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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.12.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189712058
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18971205
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18971205
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-05
- Monat1897-12
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.12.1897
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Reklamen unter demRedactioatstrich (4g*- spalten) SO^z, vor den Familiraaachrichten (S gespalten) 40^5- Größere Schriften laut unserem Preis- rerzeichniß. Tabellarischer und Ziffern'ntz nach höheren« Tarif. -Lira-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.-. mit Postbesörderung ^ti 70.—. Ännahmeschluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz kn Leipzig. SL. Jahrgang. 82V. Sonntag den 5. December 1897. Aus -er Woche. Man mochte über dir Verbindung der SchissSsorderungen mit einem förmlichen FlottengestaltuugSgesetze vom taktischen Standpunkt« denken, wie man wolle, «inen Vor- theil schien da» Verfahren sicher mit sich zu bringen. Da» Marinegesetz fällt auS dem Rahmen de- Etat-, und wenn man e- nicht vergewaltigen wollte, so mußte man eS in einer besonderen Commission, anstatt in der Budgetcommission, durchberathen. Da- soll nun nicht geschehen. Zwar baden die Mehrheitsparteien der Besonderheit der Flotten vorlage insoweit Rechnung getragen, daß sie deren erste Berathung vor der ersten Lesung de- Etats, die in der Regel da- erste Gericht auf der parlamentarischen Tafel bildet, für nächsten Montag auf die Tagesordnung setzten. Damit ist aber nickt viel erreicht. Da der Gesetzentwurf in die Budgetcommission verwiesen werden soll, so kann man mit ziemlicher Sicherbeil schließen, daß er als solcher nicht mehr herauskommt. Die Kunst de- Centrum-, Entscheidungen in der Budgetcommission zu verschleppen, ist oft genug be währt worden, auch im vorigen Jahre. Die „Kölnische Volksztg." hat sich schon dahin ausgesprochen, eS empfehle sich, vorher diejenigen Vorlagen zu erledigen, über welche eine Verständigung der Parteien untereinander und mit den Regierungen zu erreichen sei. Dann könne man mit um so größerer Ruhe und Sachlichkeit an die Erledigung der Marine vorlage herantreten. Die „Sachlichkeit" kennt man. Sie ist meist tödtlich für die Sache. Bis in- Frühjahr hinein zu diplomatisiren, dann sebr wenig mit seinen Bayern oder etwa- mehr ohne seine Bayern zu be willigen, da- dürfte der Plan des Centrums sein, den die Regierung zu durchkreuzen bemüht sein muß. Sie hat jedoch dazu nur ein Mittel. Sie darf keinen Zweifel daran auskommen lassen, daß mit der Auflösung des Reichstag- vor gegangen werden wird, sobald sich erkennen läßt, daß da- Centrum durch dilatorische Behandlung der Angelegenheit deren Versumpfung herbeizuführen sucht. Ganz abgesehen von dem Flottengesttz und selbst von der-Vermehrung der Kriegsschiffe: aus allgemeiu politischen Gründen darf sich die Regierung nicht mehr vom Crutrum dielen lasten, wa- in den letzten Jahren immer geschehen ist und steigenden Unmuth bei anderen Parteien erweckt hat, ohne daß da- Centrum seine „ausschlaggebende" Stellung ander- als in negativer Weise gebraucht hätte. Das „Hoffen und Harren" vor der Thüre deS Herrn 1>r. Lieber erhöht das Vertrauen zur Negierung und den Neipect vor der Regierung wahrlich nicht. Ist Vie ultramontane Partei nicht zum Jasazen zu bewegen, so muß sie vor dem Lande als Neinsagerin hingeslrllt werden, wie es nn Jahre l886 trotz seiner Bewilligungs-Heuchelei Windlhorsl widerfahren ist, nicht zum Vortyeil diese-, an Klugheit von Herrn Lieber nicht erreichten Parlaments diplomaten. D«e große Frage ist nur, ob die Regierung sich zu einer Thal auszurassen vermag, oder ob es gebt wie schon w manches mal: vorher schone Worte, nach dem Fehlschlagen böse Worte und in der Mitte — nichts. Wir befürchten das Letztere. Wo immer in der Presse eine Auslösung als wahrscheinlich oder gar al- un zweifelhaft für den Fall der Verschleppung der Marinevorlage hinaestellt wird, walten parteitaktische Ab sichten vor. Die Einen wollen die Wahlagitation anseuern, die Andern Nachbarparteiea Verlegenheiten bereiten. Letztere- «st der Fall der Freisinnigen Ver einigung, die außerordentlick „flau" macht, um die zwischen ihr und ter Volkspartei Schwankenden mittelst der Flottenfrage fest an sich zu schließen. In der Hauptsache, dem Flottengesttz, versagt aber auch die Freisinnige Vereinigung und selbst in Bezug auf die unverkürzte Bewilligung von ersten Raten für GckiffSneubauten bat ihr Organ eine schwankende Haltung beobachtet. Schon aus diesein Grunde wird r- wenig Anklana bei unseren Freunden finden, daß auf dem nordostdeutschen Parteitage der naiionalliberalen Partei, der vor acht Tagen in Kiel stattsand, der Hauptredner, Herr vr. Sem irr au- Hamburg, die Freisinnige Vereinigung als nächste GesinnungSverwandte der Nationalliberalen begrüßt hat. Herr vr. Semler meinte, di« Gegensätze zwischen beiden Parteien seien nur künstlich gezüchtet und nur etwa die „Fraction-interefsenten" möchten Interesse an diesen Gegen sätzen haben. Aebnliche- bat man schon früher gehör», aber nur auS der Freisinnigen Vereinigung heraus, und nur dort wieder hat dieser Jrrthum Glauben gesunden oder vielmehr Leute, die sich gläubig stellten, weil die foldatenarmen Gencräle dieser Gruppe feit Langem darauf auSzehen, die Führer einer Armee zu spielen, die von den Nationalliberalen aufgeboren wird. In Wabrheit trennt uns von der Freisinnigen Vereinigung ibr manchesterlicher Charakter, der, wo es gerade paßt, wie jetzt, sich national drapirt, aber auch „andere- kann". Herr Bartb ist ein „Nichtöalsfreihäodlrr", wa« er durch sein neuerliche« Eintreten für Heer und Flotte gerade am besten beweist. Zur Zeit des autonomen Tarifs war die Parole „Keinen Mann nnd keinen Groschen" gerade so gut die seinige, wie die Eugen Richter'-. Und dir Rickert, Bam berger u. s. w. unterscheiden sich hierbei in nicktS von Herrn Barth. Zu einer Partei, dir für den landwirthschaftlicken Notbstand nur taube Obren, wenn nicht Spott gehabt hat, befindet sich die nationalliberale in Wirklichkeit in einem schroffen natürlichen Gegensätze, und da- kann sich nicht ändern. Die „Kreuzzeitung" hat nach dem Sturze Badeni'S wieder, wie schon häufig, die Partei der Polen und Tschechen al- die der Autorität genommen. Inzwischen haben sich die Tschechen einen neuen RechtStitel auf diese Qualifikation erworben. Da- Berliner AdelSblatt hatte zu Unrecht behauptet, die deutsche Minderheit im Wiener Reich-ratb bade sich mit der Straße verbündet. Den Be weis dafür blieb die „Kreuzzeitung" aus guten Gründen schuldig. Wenn er aber zu erbringen wäre, so hätten die Deutschen doch nur durch Kundgebungen gegen einen Recht-bruch protestiren lassen, während die Tschechen in Prag einen förmlichen Aufruhr gestiftet, gesengt, gebrannt und geplündert haben, nicht weil die Verfassung verletzt wurde, sondern weil Kaiser Franz Joseph von seinem Rechte, Minister zu berufen und zu ent lassen, Gebrauch gemacht hatte. Diese also haben sich gegen die „Autorität" aufgelrhnt, wegen deren an geblicher Verletzung durch die Deutschen die „Kreuz zeitung" eine Anleihe bei ihrem ehemaligen, längst todten Mitarbeiter Stahl gemacht bat. Für die Rechtsverletzung und deren Duldung durch Badeni fand daS „konservative" Blatt kein Wort, e- trat vielmehr für deren tschechische Urheber ein, weil diese sich vom Adel politisch benutzen lassen, und al- die Nachrichten von dem nun einmal nicht zu be schönigenden Prager Aufruhr kamen, da schien eS diesein „nationalen" Organe nicht zu niedrig, die Vorgänge in der böhmischen Hauptstadt mit denen in Wien auf eine Stufe zu stellen. Da- erinnert an ein andere- ehemaliges RedactionS- mitgiied, das aber nicht todt ist. Mit Herrn Liebermann v. Sonnenberg, der das sächsische Carlell «ine „verbrecherische Gründung" genannt hat, mögen sich die sächsischen Conservativen auSeinanbersetzen. Die im Munde eine- Liebermann doppelt niederschmetternde Anklage trifft sie zwar wegen der Erneuerung eines Pactes mit den Nationalliberalen, aber diese wenden schon längst kein Achsel zucken mehr daran, wenn sie auf der Tugendwaage dieses Agi tators sür zu leicht befunden werden. Wenn Herr v. Lieber mann hinzusügt, den Vorgang in Sachsen würden die Con- servativen im ganzen Reiche bei den nächsten Wahlen zu büßen baben, so hat er nur eine neue schlechte Ausrede für eine alte Praxi- vieler seiner Parteigenossen gefunden. „Vorgänge", wie die bei der Wahl in der Westpriegnitz beobachteten, haben sich schon lange vor dem sächsischen „Vorgang" der Cartell erneuerung ereignet. Mit besserem Grunde könnten die Conservativen unsere« Landes ansübren, eine Partei, die bewußt den specifischen Berliner Freisinn im Reichstage ver stärken Hilst, sei ihnen nicht antisemitisch genug. Die Berliner Blätter bringen folgenden Bericht: „WaS einem anständigen Mädchen inBerlin passiren kann." Mit diesen Worten leitete der Vorsitzende der 4. Strafkammer des Berliner Landgericht- I die Berdandluna gegen den Arbeiter Friedrich K-irl Herzog ein, der der wissentlich falschen Anichuldiguag und der Beleidigung angeklagt war. Es wurde gegen den An- qeschuldigten folgender Sachverhalt sestgestellt: Am Abend des 14. August d. I., einem Sonnabend, war die unverehelichte Elise Köppen auf dem Wege nach den Elekiricitätswerken in dcr Brunnen straße, um ihren dort angestellten Bräutigam, der um 10 Uhr Feierabend hatte, abzuholrn. Als sie am Hninboldthain vorüber ging, wurde sie von dem Angeklagten angesprochen, der eine unsittliche Zumuthung an sie stellte. Mit den Worten „Belästigen Tie mich nicht!" eilte das juuge Mädchen schnell an ihm vorüber Tie batte schon eine ziemliche Strecke Wegs zurückgelegt, als sie von zwei Männern, einem Schutzmann und dem An geklagten, eingeholt wurde. Der Schutzmann redete die Köppen mit den Worten an: „Fräulein, Sie sollen diesen Herrn hier angekoberi haben, er verlangt Ihre Feststellung, Sie müssen mit zur Wache"! Vergebens waren alle Verncherungen des jungen Mädchens, daß die Bezichtigung völlig aus der Luft gegriffen sei, der Angeklagte blieb bei seiner Behauptung, der er dadurch Nachdruck gab, daß er hinznsetzte, er sei ein ehrbarer Burger, der auf der Straße nicht belästigt sein wolle. Der Beamte nahm den Angeklagten wie das junge Mädchen mit zur Wache. Als der vernehmende Wacht meister die Bemerkung machte, daß die Köppen doch gar nicht Len Eindruck mache, als sei sie eine Dirne, und den Angeklagten daraus hinwir«, ob er sich seine Beschuldigung nicht lieber noch überlegen wollte, setzte sich dieser wieder aufs hohe Pferd, verlangte al» „ehrbarer Bürger" Schutz und drohte sogar, er werde sich über den Wachtmeister wegen Vorhaltungen be schweren. Der Beamte stellte die Persönlichkeit Les Denuncianten fest und entließ ihn; das junge Mädchen mußte auf der Wache bleiben. Sie flehte, «nun möge doch ihren in Pankow wohnenden Eltern telephonisch von dem Vorgefallenen Kenntnis geben, damit sie sich nicht ängstigten, sie sei anständiger Leute Kind, ihr Vater sei Pserdebahnkutscher. Der Wachtmeister konnte ibr nicht Helsen, denn der Telephon-Verkehr war bereits geschlossen. Nach einer Lurch, wachten Nacht wurde die Koppen am folgenden Morgen mittelst grünen Wagens nach dem Polizei-Präsidium gebracht. Hier mußte die Bedauernswerthe sich einer ärztlichen Untersuchung unterwerfen. Dann begannen die Ermittelungen über ihre Personalien und als ihre Angaben in allen Punkten Bestätigung sanden, wurde sie am Sonntag Nachmittag L Uhr entlassen. Ihr Vater hat beim Polizei- Präsidium Beschwerde geführt und den Bescheid erhallen, daß daS Präsidium sich erst äußern werde, wenn da- Bersahren wegen wissentlich falscher Anschuldigung, welche- inzwischen gegen den Tenuncianten «ingeleitrt worden war, beendet sein würde. Der Staatsanwalt erklärte, daß ihin die Worte fehlten, um die ganze Niederlrächtigkeit, die in der Handlung-weise des Angeklagten liege, gebührend zu kennzeichnen. Er beantragte gegen denselben eine Üiesammtstrafe von einem Jahr und einem Monat Gesäug- niß. Das Urtheil lautete aus eine Gejängnißsirafe von sech- Monaten. Die „Bert. Neuesten Nachr." nehmen diesen empörenden Vorfall zum Anlaß einer scharfen Kritik an den Polizei vorschriften, die Derartiges erinöglichcn. Vielleicht mit Recht. Aber interessant ist jedenfalls die gerichtliche Seite dcS Falles. Dcr preußische Justizminister hat kürzlich den Staats anwälten eingeschärft, nach Möglichkeit schärfere Bestrafung von Ehrverletzungen, als sie bisher üblich, herbeizufübren. Dcr in dem vorstehend erwähnten Proceffe fungirenve öffeiil licke Ankläger hat sich anck an die Weisung gebalten; sein Antrag lautete auf 1.1 Monate Gefängniß. Das Gericht ging, obwohl mit der Beleidigung eine wissentlich falscke Anschuldigung concurrirte, auf die Hälfte herab. Vielleicht bat der Bericht der Zeitungen ein zu Gunsten des Ange klagten sprechendes wesentliches Moment unterdrückt. Wahr scheinlich ist dies aber gerade nicht. Die Schreckensscenen in Prag. Bon geschätzter deutscher Seite erhalten wir auS Prag folgende, unsere Auffassung der dortigen Vorkommnisse voll auf bestätigende beachlenSwerthe Zuschrift vom 2. December: Das Standrecht ist proclamirt! Diese Nachricht wirkte wie »ine Erlösung auf die in Leben und Eigenthum bedrohten Prager Deutschen. Denn wir haben wahre Schreckenstage oder vielmehr Schreckensnächte erlebt. Schon der Umstand, daß der Prager Bürgermeister vr. Podlipny, ein fanatischer Deutschen- Hasser, den die Regierung niemals hätte in seinem Amt bestätigen sollen, am Montag ohne besonderen Grund eine Stadtratbs - Sitzung einberies nnd in ihr eine wülhrnde Rede gegen das deutsche Volk hielt, ließ Schlimmes bc- ürchten. Denn solche verblümte Aufforderungen zum Temonstriren fallen bei dcr hiesigen gewalttbätigen Menge immer aus einen fruchtbaren Boden. Schon am anderen Tag, in dessen Morgen stunden die Rede deS Stadtoberhauptes durch die Blätter bekannt wurde, begannen auch die Ansammlungen. Man hat offenbar noch im Lause dieses Tage- einen Plan darüber gemacht, welche deutschen Gebäude man zuerst heimsnchen müßte. Denn daS Vor gehen war ein planmäßiges, wir sahen am Hellen Tage Send- linge vorübergrhrn, welch« mit dem Bleistift in der Hand sich die betreffenden Häuser notirten. Natürlich galt der erste Sturm den verhaßten deutschen Schulen und dem Theater. Abends gegen ' .lOUHr stürmte die Menge johlend gegen das deutsche Mädchenlhceum nnd warf alle eben- erdigen Fenster ein. Dann ging es zu der unweit gelegenen deutschen evangelischen Schule. Hier zertrümmerte man nicht nur Lia Fenster des Parterre, sondern schleuderte auch i» den ersten Stock, den der evangelische Pfarrer Ectardt bewohnt, große Ziegelsteine. Ter Letztere konnte nur mit Mühe seine in den Betten schlafenden Kinder vor den durch dieFensrer sausenden Steinen retten und entging selbst kaum Len Steinwürfen. Polizei war nicht zu sehen, sie wäre auch viel zu schwach ge wesen. Währenddessen griffen andere Trupps das deutsche Gym - nasiuin in der Stefansgasse, das Palais Nehrenthal, das Haus der „Schlaraffia" und andere Gebäude an, drangen in das Innere und devostirten eS vollständig. Am anderen Morgen ließ einer der ehrenwerthesten Bürger Lev Stadt,Herr Stabenow, ein Verwandter desLeipzigrrPro- sessors Luthardt, in sein jammervoll verwüstetes Haus Len Bürger meister kommen, man hat aber nicht gehört, Laß dieser Angesichts der Heldenthaten seines getreuen Pöbels sich besonders geschämt hätte. Vielmehr nannte er noch am selben Tage diese Unmenschen in einer Proklamation: „theure Mitbürger" (ürari odcniiö). Uebcr- Erkaltung und Abhärtung. Bon Vr. meä. Georg Korn. Nachdruck verboten. Was man nicht anders nennen kann, das sieht man als Er kältung an, so könnte man nach dem heutigen Sprachgebrauch die bekannte Genusregel variiren. Was wird nicht Alles aus Erkältung zurüctgefuhrt! Schon die Kinder wissen ihre Unpäß lichkeit immer als Folgen einer Erkältung hinzustellen, auch wenn sie sich durch GenäMgteit den Magen überladen haben. Dennoch bleiben auch für den kritischen Arzt Fälle genug übrig, die wirklich einer Erkältung ihren Ursprung verdanken müssen, so wenig ge klärt auch dieser allgemeine Begriff zur Zeit noch erscheint. Zur Erklärung der Erkältung hat man verschiedene Theorien aufgestellt, von denen jedoch bi-her keine al» unbedingt richtig anerkannt werden kann. Für manch« Fälle, z. B. Schnupfen, ist anzunehmen, daß die Erkältung auf irgend eine unbekannte Weise die Entwicklung entziindungSerregender Bakterien an den betreffenden Stellen begünstigt. Wenn man unter Erkältung die Schädigung versteht, die der Körper durch raschen Wechsel der Temperaturen und zwar auch solcher Temperaturen erleidet, dir an sich ohne Schaden ertragen werden können, so wird man ihren vielfachen Einfluß nicht leugnen können. Besonders schädigend wirkt dir gefürchtete Zugluft, also ein Zustand, in dem dir kühlere Luft zugleich von einem gewissen Grade von Bewegung ergriffen ist, namentlich wenn sie Theile der Laut trifft, dir sonst bedeckt getragen werden, und noch mehr auf solche, die im Augenblick der Erkältung zufällig schwitzen. Nur dann aber entsteht eine Erkältung, wenn drei Momente Zusammenwirken, einmal schroffe Temperatur-Unterschiede, gleich viel ob Hitze nach Kälte folgt, oder umgekehrt, dann eine theilweise Abkühlung des Körpers, endlich Ermüdung desselben. So er klärt eS sich, daß man sich nicht erkältet, wenn man sich ganz entkleidet, wie zum Baden, daß man ober sofort sich einen Katarrh holt, wenn man etwa die mit Schweiß bedeckte Brust allein entblößt dem Luftzuge darbietet. Dieser läßt den Schweiß verdunsten, die Brust wird ei»kalt, die Gefäße ziehen sich zu- sammen, da» Blut fluthet noch innen, Lberfluthet die inneren Organe und eS muß ein Katarrh entstehen, wenn da- ermüdete Herz nicht mehr im Stande ist, sofort die Kreislaufsstörung durch kräftigen Herzschlag auszugleichen. Wir erkälten uns nicht, wenn wir z. B. Morgens früh aus dem warmen Bett aufspringen und, nur mit dem Hemd bekleidet, das Fenster öffnen. Der Körper ist dann eben ausgeruht, das Herz frisch und gleicht sofort mögliche Stauungen auS. Daher können auch viele gesunde und kränkliche Leute unter Umständen sich Tag für Tag Temperatur wechsel aussetzen, ohne sich zu erkälten. Den Zusammenhang einer Krankheit mit einer Erkältung verrathen namentlich zwei Umstände. Einmal empfindet der Erkrantte die kühle Temperatur unangenehm und bekommt bald allgemeines Frösteln, und zweitens schließt sich daran bald rin allgemeines Krankheitsgefühl und der Eintritt bestimmter KrankheitSanzeichen. Naturgemäß bestehen zwischen dem erkälteten Hauttheil und den ihm nahe gelegenen Organen ganz bestimmte Beziehungen. Erkältung deS Halse» führt bekanntlich leicht zu Kehlkopf-Katarrh, Menstruationsstörungen entstehen durch Er kältung der Füße und de» Unterleibes, Durchfälle durch Erkälten de» Bauche», den Schnupfen bekommt man leicht, wenn man aus heißem Zimmer in die Kälte kommt, doch auch umgekehrt, und ähnliche Beziehungen finden sich in Menge. Schon seit Langem hat sich die praktische Medicin mit der Aufgabe beschäftigt, den Körper vor zu großer Empfindlichkeit für Erkältungen zu bewahren und, wenn sie doch eintreten, wenigstens ihre nachtheiligen Folgen nach Kräften zu vermindern. Das erste Erforderniß hierzu ist eine von früher Jugend an geübte, vernünftige und maßvolle Abhärtung. Zu einer vernünftigen Hygieine sollte schon in frühester Jugend der Grund gelegt werden; allein wie sehr hier gefehlt wird, lehrt leider die tägliche Erfahrung. Und so sehen wir denn auch, daß gerade diejenigen Kinder, die am sorgfältigsten vor jedem kalten Luft zuge gehütet und zum Schutz gegen die Unbilden de» Wetters mit möglichst dielen Tüchern umwickelt werden, daß gerade diese verzärtelten Sprößlinge ganz besonders häufig von Katarrhen und Halsentzündungen befallen werden. Diese Verhätschelung und Luftscheu setzt sich in systematischer Weise in da» Mannesalter fort und wird besonder» durch die bei Beamten und Gelehrten so sehr beliebte Ueberheizuna der Bureaux, Studirzimmer und Wohnräume oder den methodischen Gebrauch zu warmer Bäder, namentlich der Dampfbäder, sowie durch mangelhafte Lüftung dre Schlafräume bi» zu vollständiger Erschlaffung der Haut und beständiger Neigung zum Schwitzen in bedenklichster Weise gesteigert. Es mag zugegeben werden, daß auch wetterfeste Naturen und nicht in Treibhauswärme Auferzogene den Unbilden und Schwankungen der Temperatur nicht immer ungestraft trotzen, immerhin jedoch kann als Grundsatz gelten, daß die Schleimhäute um so seltener von entzündlichen Processen befallen werden, je kräftiger und abgehärteter die äußere Haut ist. Daß man durch Einwirkung auf die Nerven der Haut eine Aenderung des Blut kreislaufes und der Absonderung und eine Kräftigung der Haut bewirken kann, ist unzweifelhaft. Bei vielen zu Erkältungen neigenden Personen genügt oft schon das Tragen von Woll kleidern, um den erstrebten Zweck zu erreichen: die Wolle ver hütet cm besten Schwankungen in der Oberflächen-Temperatur der Haut, auch saugt sie von allen Stoffen am meisten Flüssigkeit auf und läßt dieselbe am langsamsten wieder verdunsten. Die Aengstlichkeit der Mütter in Bezug auf die Kleidung ihrer kleinen Lieblinge ist zu bekämpfen; die Kleidung soll ausreichend schützen — gute Fußbekleidung, leichte Bedeckung der HalSgegend, Tragen einer Flanelljacke — aber nie verweichlichend einwirkrn. Ebenso begreift man, daß mit der Beseitigung der übermäßig hohen Zimmer- und Bade-Temperaturen eine weitere Ursache für die Erschlaffung der Hautgefätze wegfällt. Ganz besondere Aufmerksamkeit sollte der Hautpflege zugewendet werden. Bei Kindern mache man lauwarme Waschungen mit Salzwasser von 24 Grad Neaumur Wärme mit nachfolgender Abreibung des ganzen Körpers, bei Erwachsenen naßkalte Abreibungen der ganzen Körperoberfläche von zwei Minuten Dauer mittels großer Laken, die vorher in kaltes Wasser getaucht und tüchtig aus gerungen sind, mit nachfolgendem Frottiren mit trockenem, ge wärmtem Laken. Durch die verschiedenen hydropathischen Proceduren, besonders durch tägliche am Morgen vorzuneymende kalte Waschungen, Abreibungen, Wickelungen, Douchen, im Sommer durch Fluß-, Sturz- und Wellenbäder kann die Haut in hohem Grade ge kräftigt und widerstandsfähig gemocht werden. Am besten wirkt unstreitig ein längerer Aufenthalt an der See, mit täglichem Seebade und beständigem Genüsse der Strandluft oder eine Eur in einer gut geleiteten Kaltwassrr»Heilanstalt. Auch der längere Aufenthalt an geschützen, waldreichen Höhenorten (etwa in Höhe von 400—600 Metern) ist von guter Wirkung. Bei scrophulösen Kindern sind Soolbäder von 20—25 Grad Reaumur und 10—15 Minuten Dauer angebracht. Die ungeduldigen Patienten müssen freilich bedenken, daß eine seit Jahren groß gezogene Erschlaffung der Haut nicht in wenigen Wochen oder Monaten völlig beseitigt werden kann. Hat aber eine Erkältung eingewirkt, fühlt man sich in Folge davon unbehaglich, zum Frösteln geneigt, treten die Vorboten eines fieberhaften oder sonstigen krankhaften Zustandes auf, dann ist die gleichmäßige Wärme des Bettes gleichzeitig mit dem Genuß eines Glases Glühwein oder einer Tasse warmen Thees oder ähnlicher warmer Getränke, zeitig genug angewendet, oft das beste Mittel zur Verhütung ernstlicher Erkrankung. Die friib.r noch viel häufiger als jetzt angewendete Schwitzcur hat ihre volle Berechtigung und ist oft das sicherste Mittel zur Abwendung von schweren örtlichen Erkrankungen, die sonst sich einzustellen drohen. Eine der häufigsten Ursachen von Erkältungskrankheiten sind kalte oder durchnäßte Füße. Gegen kalte und schweißige Füße sind die Hauptheilmittrl energische, häufige Bewegung und kaltes Waschen bei peinlichster Reinlichkeit. Bei nassen Füßen ist der Wärmevrrlust dreimal so groß, als wenn diese Gliedmaßen unbekleidet wären. Wenn man an der Fußbekleidung nur drei Loth Wolle durchnäßt hat, so ist nach Pettenkofer's Berechnung zur Verdunstung de- darin angehäuften Wassers ebenso viel Wärme erforderlich, als man nöthig haben würde, um mehr als ein halbes Pfund Eis zum Schmelzen zu bringen. Also sorge man zunächst für gutes, wasserdichtes Schuhwerk, und wenn man wirklich nasse Füße bekommen hat, so wechsele man, um üblen Folgen vorzubeugen, sofort die Strümpfe, trockne die Füße tüchtig ab und frottire sie; darauf befördere man den Blutumlauf durch ausgiebige Bewegung, wodurch eine wohl thuende Wärme-Regelung hrrgestellt wird. So sehen wir, daß wir öfter, als man wohl annimmt, durck Selbsthilfe und geeignete Dorbeugungsmaßregeln die gefürchteten Erkältungen fernhalten oder doch unschädlich machen können. Einer Form der leichteren Erkältungen wird freilich der Volk, glaube stet- eine Art heilsamer Bedeutung beilegen, nämlich dcm Ni-sen. lind so wollen wir denn mit dem alten schönen Zuruf schließen, der jedem Niesenden zu theil wird: „Zur Gesundheit!"
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