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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.12.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971210029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897121002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897121002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-10
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Vr»h«re Schriften laut «njerem Ptei». urrzeichniß. Tabellarischer und gifferNsatz «ach höherem Tarif. Extra.Verlage« (gesalzt), nur mit da Piorgea-Au-gabe, ohne Postbeförderun^ 60.-, mit Postbeförderung ^l 70.-. Annahmeschiu^ fir Inzeizen: Abead-Au-gabe: Bormittag» 10 Uhr. Vtorge «»Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. vet de» Filialen und Annabmestelle» je ein« halbe Stunde früher. Lnreige» f>»d stet» an di« Expedttts» zu richte». Druck und Verlag von <k. Polz i» Lelpzich Sl. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. December. „Nationalzeitung* und die „Freis. Zeitung" auschen ihre Ansichten über die Bedeutung aus, welche der nede de« Abg. Vr. Lieber über da« Klattengesetz zukommt. Da ha« erstgenannte Blatt durchaus, auch in der Angelegen beit ve« organischen Flottengesetzes, auf freisinnigem Boden lieht, so kann man den Streit als einen häuslichen auf sich beruhen lassen. E« giebt nichts Gleich- giltigercS, als die Frage, ob Herr Richter seine Wahlpolitik auf die Flottenverstärkung oder auf etwas Andere« basirt hat. Auch vom „entschieden" liberalen Standpunct aus. Denn wenn der Leiter der Volkspartei seinen Wagen nicht an dem. Ende ia den Sumpf geführt hätte, so hätte er es eben an einem anderen getbän — gemäß seiner unausrottbaren Gewohnheit. So gegenstandslos wie die Auseinandersetzung zwischen der „Nationalzeitung" und Herrn Richter, ist auch eine au» dem Kreise der Abgeordneten der Freisinnigen Vereinigung stammende Proclamation im „Berliner Tageblatt",die sehr plötzlich die „Entschiedenen" gegen die — Socialdemokratie aufrust. Es wird da gesagt, „der Reichstag habe in der Sache ter Marine gesprochen, die Angelegenheit sei beendet und der strittige Gegenstand endgiltig und unwiderbringlich auS der Welt geschafft." Wer trotzdem auf seinem vor der UrtheilSfällung eingenommenen Standpunct beharre, der scheide aus dem Spiele der parlamentarischen Kräfte aus. In dieser Lage sei die Socialdemokratie und deshalb dürfe der Freisinn nichts mit ihr gemein zeigen, „keinerlei Schutz- und Trutzbündnisse im Wahlkampfe mit ihr abschließcn" u. s. w. Man sicht, die Socialdemokratie ist die Deckadresse, unter der die Vereinigung Herrn Richter notificirt, daß er sein Spiel verloren habe und nun, endlich! sich mit den Rickert und Pachnicke vergleichen müsse. Davon ist aber nur so viel richtig, daß Richter sich einer anderen Rede von Herrn vr. Lieber ver sehen hatte, als sie gehalten worden ist. Er rechnete auf eine Fanfare und Lieber blies eine Chamade. Der Irrthum kcS volksparteilichen Führers weist vielleicht nicht auf seinen gewöhnlichen Mangel an Voraussicht zurück. Er dürfte diesmal ausdrücklich dupirt worden sein. Dem Centrum konnte eS nicht unangenehm sein, wenn sich seine vorläufig sachliche " Haltung von der Folie einer wilden Opposition der Bundesgenoffen von l886 abhob. DaS Centrum will — es hat schon mehr als einmal unter dem neuen Curs Glück damit gehabt — vor allen Dingen psychologisch ein wirken. Dazu hat es drei, vier Monate Zeit, in der sich Vieles „macken" läßt, wobei man noch nicht einmal an das Iesuitengesetz und überhaupt nicht an Dinge mit einem großen öffentlichen Apparate zu denken braucht. WaS hernach geschieht, bas weiß noch Niemand. Fest steht nur Eines, nämlich daß Herr Lieber die An kündigung, er werde seiner Partei freie Hand lassen, wahr gemacht hat. Herr Richter kann möglicher Weise an ibr in der Flottenangelegrnheit noch seine Freude erleben. Für diesen Fall ist der Verlauf der ersten Lesung der Marinevorlage ein verheißungsvoller bis zuletzt geblieben. Zwar hat der Abg. Zimmermann sich mindestens ebenso zweideutig ausgevrückt wie Vr. Lieber und bat der Redner der bayerischen Bauernbündler, Hilpert, sich so gut wie ablehnend verhalten. Aber wenn das Centrum eine Auflösung deS Reichstags nölhig macht, bann wird die Reichstagsverhandlung ihr Thril dazu beitragen, baß die Nationalen bei gutem Winde segeln. Insbesondere die gestrige Rede deS alten Vr. Ham- macher, in der sich nüchterne kaufmännische Verständigkeit mit großer politischer Auffassung paar», wird bei ter Massen verbreitung, der wir entgegensehcn, eine tiefe Wirkung üben. Sie hat eS im Reichstage bereit» gethan; die Socialdemokraten schrieen auf, als der genaue Kenner unseres WirthschaftS- leben« nach einer Darlegung der industriellen Bedeutung der Flottenvorlage zu dem zwingenden Schlüsse gelangte, die Herren, die gegen das Gesetz stimmten, bandelten gegen daS Interesse der Arbeiter. Vorläufig ist nun der Eindruck, den diese Wahrbeit auf die Linke machte, wertbvoller als die liebenswürdigen Redewendungen deS Herrn vr. Lieber. Die Auseinandersetzungen, die in der socialdemokratischen Wochenschrift „Die neue Zeit" zwischen Liebknecht und Bebel wegen des bekannten Beschlusses des Hamburger Parteitages betreffs der Bctheiliguiig Ser „Genossen" an den preußischen LandtagSwahlcn im Gange waren, werden jetzt, da Liebknecht eine Freiheitsstrafe verbüßt, an seiner Stelle von dem Abg. Singer fortgeführt. Auch er tritt lebhaft für die von Bebel bekämpfte Auffassung ei», daß, die Betheiligung an dcn Lanttagswablcn nur da stattbaft und Pflicht sei, wo eigene socialdemokratiscke Wahlmänner ausgestellt werden. Im klebrigen aber ergiebt sich aus Len Ausführungen Singer'S, daß die Meinungsverschiedenheiten tief genug sind, um den Gedanken an die Einberufung eines besonderen Partei tages zur Ausgleichung dieser Gegensätze nahe zu legen. Freilich :st es höchst wabrscheinlich, daß dieses Mittel, zu dem rum ersten Male gegriffen wird, nicht zu einem Ausgleiche, sondern höchstens zu einer dauerlosen Verkleisterung der Gegensätze führt. Gerade darin, daß die alte Partei leitung die Nothwendigkeit empfindet, einen so radi kalen und kostspieligen Apparat in Bewegung zu setzen, um die alte Principienfcstigkeit zu erhalten, liegt das Ein- geständniß, daß diejenige Strömung, der das alte Bett zu eng geworden ist und die nicht nur bei den Reichstagswahlen da» Gewicht ihrer Wogen zur Geltung bringen will, sondern ein breiteres Bett sucht, das bei LandtagSwahlcn das Hinüberströmen dieser Wogen auch in andere radikale Fluthcanäle ermöglicht, Übermächtig geworden ist. Kommt es also auch auf dem „besonderen Parteitage" zu einer scheinbaren Einigung, so wird die Differenz immer wieder hervorbrcchen, bis entweder die dem Eingreifen der Genossen bei allen Wahlen abgeneigten Führer sich fügen, oder zur Seite gedrängt werden. Die nationalen Parteien haben daher allen Anlaß, mit dem Siege der actionslustigen Dränger zu rechnen und Vorbereitungen zu treffen, um nicht überrascht zu werden, wenn bei den Landtagswahlen die bürzerlich-radicalen Urwähler socialdemokratischen SuccurS erhalten. Auch der letzte Versuch des österreichischen Minister präsidenten, die Gegensätze zwischen Tschechen und Deutschen zu überbrücken, ist gescheitert, an eine Wiederauf nahme der parlamentarischen Verhandlungen also vorläufig nickt zu denken. Zn der letzten Unterredung mit dem Frhrn. v. Gautsch erklärte der Abgeordnete Funke, die Deutschen würden niemals der Zweisprachig keit der Beamten in ganz Böhmen zu stimmen, weil die« dem thatsächlichen Bedürfnisse nicht entspreche und nur den staatsrechtlichen Forderungen der Tschechen ent gegenkomme. Funke warnte ferner, den böhmischen Landtag einzuberusen, so lange die persönliche Sicherheit der deutschen Abgeordneten in Prag nicht verbürgt sei. Er hat Recht damit, denn die Stimmung der Tschechen ist noch um keine Nuance friedlicher geworden. Ihnen kommt eS nicht darauf an, mit gerechten Waffen zu kämpfen, ibnen handelt eS sich nur darum, die Situation mit allen Mitteln auszunützen und — sei eS auch mit Gewalt — obenauf zu kommen. So tadelte der Tschechensührer Gregr in einer dieser Tage gehaltenen Rede zwar die lex Falk en Hayn und die Entfernung deutscher Abgeordneten durch Polizeigewalt als einen großen politischen Fehler, setzte aber hinzu: dennoch dürfe der Beschluß nicht zurllckgenonimen werden, weil dies ein Canossa für die Mehrheit wäre. Eine etwas erfreulichere Meldung kommt aus Pest. Dort beschloß die NationalPartei in einer gestern Abend abgehaltencn Conferenz einstimmig, die Vorlage über das Ausgleichsprovisorium anznnehmen, nachdem Graf Apponyi und der Präsident der Partei, HoranSzky, er klärt hatten, die sachlichen und höheren politischen Gründe ständen in diesem Falle für die Partei höher, als ihr Mißtrauen zur Regierung, ein Beschluß, dem in den politischen Kreisen des ganzen Landes mit größtem Interesse entgegengesehen wurde. Durch den selben wirb der radikalen Unabhängigkeitspartei, welche bekanntlich schon jetzt die völlige Loslösung Ungarns von Oesterreich will, die Stellung einer schwachen Minorität angewiesen. Immerhin bleiben die Aussichten noch um wölkt genug, denn die Unabhängigkeilspartei dürfte dem ungarischen Abgeordnetenbause die angekündigte Obstructiv» auch unter den veränderten Umständen nicht schenken, und bekanntlich beschreitet auch der Antrag Banffy'S den Weg der Separation, nur baß er Oesterreich noch eine Frist läßt, zu geordneten Verhältnissen zurückzukehren. Im englischen Maschinenbauerstreik ist noch kein weiterer officieller Schritt von der einen oder der anderen Seite zu bezeichnen; doch wird eS immer wahrscheinlicher, daß die Arbeiter die Bedingungen der Fabrikanten nicht annehmen, sondern die gesammten englischen Gewerk vereine zur Hilfe rufen. Ein Mittelding giebt es nicht. Auch der bekannte Arbeiterführer John Burns hat in einer am Dienstag gehaltenen Rede auSgeführt, den Maschinen bauern blieben nunmehr nur noch zwei Wege offen, entweder eine Rational-Convention sämmtlicher Gewerk vereine einzuberufen, um einen wöchentlichen Streikfonds von 15 000 Pfd. Sterl. zu schaffen, damit der Streik aus weitere sechs Monate fortgesetzt werden könne, oder den Streik für beendigt zu erklären, die Vorschläge der Arbeitgeber anzunehmen und möglichst schnell an die Arbeit zurllckzukehren. BurnS sagte: „Entscheidet man sich für die letztere Eventualität, so will ich mich schnell nach den Centren der Maschinen-Industrie begeben und den Arbeitern die Nothwendigkeit auseinandersetzen. Das Ganze ist eine Finanzfrage. Je eher die Gewerkvereine den Ernst der Lage, in welcher sich die Arbeiterfrage gegenwärtig befindet, er kennen, desto besser wird es für sie sein." Ueber das Ergeb- niß der Abstimmung der Mitglieder der verbündeten Gewerk vereine besteht nicht der geringste Zweifel: Verwerfung der Vorschläge der Fabrikanten mit überwältigender Mehrheit. Die Führer der Gewerkvereinr sind der Ansicht, daß der wirkliche Kampf erst beginnen wird, wenn dir Maschinenbauer eine Niederlage erlitten haben und mit dem Siege der Fabrikanten dem ganzen GewerkvereinSthum ein Schlag versetzt worden ist. Dann kann sich wohl einiges von dem erfüllen, was der National- ökonomLujoBrentano voraussagt. In einem Briefe an die Ver einigte Gesellschaft der Maschinenbauer schreibt er: „Eine Niederlage der Gesellschaft würde, wie ich befürchte, in der ganzen Welt als cndgiltige Niederlage deS 1 nioniSmu» an gesehen werden. Diese Niederlage würde aber keineswegs einen Triumph der Unternehmer bedeuten; sie würde eine Stärkung der revolutionären Tendenzen in der ganzen Welt bedeuten. England, das sich bisher rühmte, keine revolutionäre Partei von irgend welcher ernsten Bedeutung zu besitzen, würde künftig in dieser Beziehung der Rivale des Continentcs werden und das Ende würden ernste Unruhen sein mit allen üblen Actionen und Reactionen in ihrem Ge folge." Nichts destoweniger können die Arbeitgeber keinen Schritt zurückweichcn, da eS sich eingestandener Maßen darum bandelt, ob die Arbeiter sie noch Herr im Hause und im Besitze ihres freien Selbslbestimmungsrechtes lassen wollen. Die Sympathien der gebildeten Welt in England sind daher auch nicht aus Seite der Streikenden, denen es sehr verdacht wird, daß sie von den Socialdemokraten de« Festlandes Unter stützung angenommen haben. Der Brüsseler Nachricht, wonach die französische Expedition Marchand niedergemacht worden sein soll, bringt man in Paris bekanntlich Zweifel entgegen. Da die Nach richt aus dem oberen Congogebiet stammt, glaubt man, es liege eine Verwechselung mit der belgischen Expedition Dbanis vor; andererseits hält man es auch nicht für aus geschlossen, daß die Nachricht auf „eine gewisse Macht" zurückzuführen ist, die das Darfurgebiet und Kordofan als res nullius erklärt hat und nun ein großes Interesse daran hätte, zu wissen, wo die Expedition Marchand eigentlich genau steht, und daß diese Macht das gern durch eine Ableugnung erfahren hätte. Die Expedition Marchand hat den Auftrag, die französische Flagge nach Mittelasrika zu tragen. Sie hat mehrere in der Erforschung Afrikas sehr erfahrene Officiere mit genommen, ferner Soldaten der Fremdenlegion, srnegalische Schützen und sogar einige Geschütze. Nachdem Marchand den Bahr-el-Gasal erreicht batte, wurde er dort von der vom Congo ausgebenden Liotard'schen Expedition versorgt. Marchand soll die wichtige Aufgabe erfüllen, eine Verkettung des französischen Einflusses von Saint Louis im Senegal bis nach Obok durch Fühlungnahme mit den Abessiniern, die er am Nil treffen soll, herzustellen. Um diesen Zweck zu fördern, hatte Bonvalot sich nach Addis Abeba begeben, und wenn auch er nicht weiter vorstieß, so setzte Beauchamp daS Unternehmen fort, und man erwartete dessen Zusammentreffen mit der Expedition Marchand. Deutsche- Reich. * Berlin, 9. December. Zu dem Unfall deS Panzer schiffes „Württemberg" berichten die „B. P. N.": „Am 6. December Vormittags waren S. M. S. „Württemberg" und die AvisoS deS Geschwaders zum Kohlenehmen, brzw- Abholen der Postsachen, im Kieler Hafen eingekommen und hatten Abends den Hasen verlassen, um sich wieder mit der ersten Division des Panzergeschwaders zu vereinigen. Letztere hatte am Montag Morgen Eckernförde verlassen, während deS Tages in See geübt und hatte sich dann nach dem großen Belt begeben, um dort die Rückkehr der anderen Schiffe zu erwarten. Gegen 10 Uhr Abends traf „Württemberg" bei dem bereits zu Anker liegenden Ge schwader ein und trieb während deS eigenen Ankermanövers, Ferrilletoir. Das Wahrzeichen ver Herrendorft. 5j Roman von L. Migula. Nachttuck »erbotkN. Ueber ein Jahr war ich da, als ich den Besitzer einer Kunstreitergesellschaft kennen lernte, der mir anbot, bei ihm einzutreten. Er hatte gesehen, daß ich mit Pferden umzugehen und leidlich zu reiten verstand. Ich nahm dies Anerbieten an, da ich hoffen durfte, freier zu sein als bisher. Indessen be tagte mir das neue Leben nur theilweise. Meine College» erwiesen sich doch meistentheils als ziemlich rohe Burschen, und oft beschloß ich, mich wieder von ihnen zu trennen; nur die stets erneuerten Bitten unseres Directors, der mich für sein Geschäft unentbehrlich zu finden schien, bewogen mich immer wieder, zu bleiben. So vergingen fast drei Jahre, al» ein Er- eigniß eintrat, das meinem Leben die entscheidende Wendung geben sollte. Wir hatten in einer größeren Stadt Vorstellungen angekündigt, und ich schlenderte nach dem Schlüsse der ersten durch die Straße«, bis ich hungrig und durstig in ein Kaffeehaus trat, um Etwas zu genießen. Es war ein sogenanntes 6'akS « Iiaiitsnt, und ich hatte mich kaum gesetzt, al» mein Blick auf eine schlanke Frauengestalt fiel, die, ein kleine» Mädchen an der Hand, sich eben anschickte, ein Lied zum Besten zu gebe«. Gleich- giltig betrachtete ich sie, aber bald flößte mir das krankhaft bleiche Gesicht mit den großen dunklen Augen, aus denen eine Welt von Schmerz zu blicken schien, tiefeS Mitleid rin. Wer mochte die Frau sein, durch welche Schicksale war sie bi» zu dieser Stellung herabgekommen? Denn daß sie einst bessere Tage gekannt hatte, dafür sprachen ihre vornehme Haltung, ihre an- muthigen Bewegungen. Sie sang mit ziemlich klangloser Stimme, aber wunderbar guter Schule einige beliebte Lieder, worauf die Kleine, wahrscheinlich ihre Tochter, mit tiNem Teller herumging und dtn Lohn für ihre Mutter eiNsaMNteste. Ich weiß noch hellte nicht, wa» es war, da» mich so seltsam NN diese unglückliche Frauengestalt fesselte; abet e» geschah ill eiNem so hohen Grade, daß ich am folgenden Tage Miedet hiNging und immer wieder, ohne jedoch Nähere» über fit ztt erfahre«. Ich wollte nicht fragen; man hätte mir doch vielleicht wenig Auskunft geben können, denn Niemand kümmttte sich um das arme Weib, daS von Tag zu Tag elender und kraftloser erschien. Und wirklich brach sie eine» Abends zusammen. Nach den ersten Tönen, die sie mit versagender Stimm« gesungen, sank sie be wußtlos nieder. Ein alter Mann, der sie seit einigen Tagen begleitet, eilte zu ihr, während die Kleine schluchzend rief: „O Mama, Mama, Du mutzt singen, sonst geben sie uns ja nichts, und wir hoben doch kein Brod und den ganzen Tag fast Nichts gegessen." Wie ein Stich gingen mir diese Worte durch die Seele, und einem augenblicklichen Impulse folgend, wie es stets meine Gewohnheit war, sprang ich auf und trat zu dem Kinde, indem ich beruhigend sagte: „Sei ohne Sorge, meine arme Kleine, ich will für Deine Mutter singen und Du sollst Geld und Brod haben." Ohne eine Erwiderung abzuwarten, stellte ich mich an den Platz der Sängerin und begann, erregt wie ich war, aus voller Brust zu singen. Bald herrschte lautloses Schweigen, aber als ich geendet, brach ein tobender Beifallssturm aus. Ich achtete kaum darauf, sondern mußte immer auf da» kranke Weib sehen, das, auS seiner Ohnmacht längst erwacht, mit leuchtenden Augen und jetzt ganz glühenden Wangen zu mir aufblickte. „Oh, ich danke Ihnen, mein Herr", flüsterte sie, „ich glaubte Nicht, datz es mir vergönnt sein würde, noch einmal eine so herrliche Stimme zu hören. Ach, singen Sie noch ritt Lied, es ist für mich wie ein heilender Trank." Und ich sang ein Lied nach dem andern; man wollte mich gar nicht mehr fort lassen. Noch nie hatte die kleine Angela eine so reiche Ausbeute gehabt, wie an diesem Abend. Der alte Mann und die Kranke dankten mir mit innigen Worten, und Du kannst Dir denken, daß ich mich am andern Abend mit einiger Erwartung in dem Cafe einfaNd. Aber die Sängerin blieb aus, auch am folgenden Abend, und al» ich nach ihr fragte, hieß es, sie sei krank. Ich erkundigte mich nach ihrer Wohnung uno suchte sie atn Nächsten Morgen auf. Ich will Dir da« Elend nicht beschreiben, das ich bei der unglücklichen Familie fand; e» erschütterte mich biS in» tiefste Herz. Bald hatte ich ihre LtbeNSgeschichte erfahren, und diese war ganz dazu angethan, da» lebhafte Interesse, das ich für sie empfand, noch zu steigern. Der alte Mann war einst Mllstklehret gewesen und seine Tochter eine schöne, gefeierte SänaeriN dkt TauseNde zugejauchzt Haven, eint Künstlerin, die die höchsten TtiutNphe gefeiert halte, und jetzt nicht Geld gering besaß, um sich utid ibr' Kind zu sättigen. Und doch war sie «inst reich und in glänzenden Verhältnissen ge wesen, denn sie halte einfach und zurückgezogen gelebt, bi» ein vor nehmer, schöner cknd tirbtn-würviatt Cavglier um sie geworben und sie zu feiner Gemahlin gemacht hatte. Sie liebte Ihn grenzen los und war vdckkowMen glücklich, Abtt nur tllrze Zeft! E» erwies sich bald; daß die glänzende äußere Hülle des Manne» ein leichtsinnig"», selbstsüchtige» Innere» barg. Wenige Jahre, nachdem sie Gräfin Wertach geworden, hatte ihr Gemahl neben dem seinen auch ihr Vermögen durchgebracht und sie dann schmäh lich verlassen, dem Elend preisgegeben, das sehr bald über sie hereinbrach. Sie entschloß sich, wieder zur Bühne zu gehen, aber Kummer und Herzeleid hatten ihre Stimme zerstört; sie, die an stürmischen Beifallsjubel gewöhnt, wurde ausgepfiffrn! Gede- müthigt, gebrochen verließ sie mit ihrem Töchterchen, begleitet von ihrem alten Vater, Europa, um in Amerika ihr Heil zu versuchen. Wie es ihr dort ergangen, zeigt das Ende. Ich habe nicht nöthig, Dir ein Bild der Leiden und Entbehrungen aller Art zu ent werfen. Das Schicksal hatte sie überwältigt, sie erlag ihm und der Tod wäre ihr ein willkommener Erlöser gewesen, hätte die Sorge, was aus ihrem Kinde, aus ihrem alten, fast erblindeten Vater werden sollte, ihr nicht das Scheiden namenlos erschwert. Gott sei Dank, es ist mir gelungen, diese Last von ihr zu nehmen, indem ich ihr mit Hand und Mund versprach, diese beiden ihr so theuren Wesen nicht zu verlassen, sondern für sie zu sorgen, als ob sie zu mir gehörten. Mit diesem Trost schlief sie beruhigt ein. Der alte Norden und Angela, mein kleines Pflegetöchterchen, zogen nun zu mir und ich habe e« nicht zu bereuen gehabt. Dem Er- verdankc ich meine jetzige Stellung. Mit seinem seinen musika lischen Verständnisse bildete er meine Stimme, so datz ich bald daran denken konnte, meinen Vertrag mit dem Circusdirector zu lösen und mich nach einem Engagement an einer Bühne umzu sehen. Es gelang mir über Erwarten rasch und seitdem ist mir da» Glück hold gewesen; ich habe mich emporgeschwungen und darf jetzt getrost in die Zukunft sehen." — Han» Roland schwieg und Fritz, der mit der lebhaftesten Theilnahme der Erzählung seine» Vetters gefolgt war, sagte be wegt, ihm die Hand reichend: „Ich danke Dir von Herzen für Dein Vertrauen, Hans? Es bedarf wohl keiner Versicherung, datz ich den aufrichtigsten Antheil an Deinem Geschick nehme. Nach Allem, wa« Du mir erzählt hast, finde ich Deine Handlungsweise sehr begreiflich; ich hätte es an Deiner Stelle wahrscheinlich ebenso gemacht. Doch nun ge statte mir noch einige Fragen. Du warst damals noch ein Knabe^ als Du Frau von Herrendorf vorwarfst, ihren Gatten Mit einem falschen Ring betrogen zu haben; wie denkst Du heute über diese Sache?" Roland sah sinnend in das Licht der Ga-flamme, dann blickte er äüf seinen Vetter uüd erwiderte ruhig: „Damals feblte Mir Erfahrung, MenfchenkeNntniß und klart Beurthellung; ich hatte kaum überlegt, Pb ich selber glaubte, Wa ich iM Zorn gesdrvchen. Heute, nachdem ich Welt und Menschen besser kennen gelernt habe, zweifle ich allerdings nicht mehr, son dern bin gewiß, daß der Ring falsch war." „Nicht möglich", fuhr Fritz ganz entsetzt auf, „Hans, be denke, was Du sprichst! Worauf begründest Du eine solche Be schuldigung, denn den Reden des alten, schwachköpfigen Weither, der bald an die neunzig Jahre zählen muß, kannst Du doch nicht im Ernst Glauben beimessen?" „Doch! Der Alte ist so wenig schwachköpfig, wie Du oder ich, aber ich habe außerdem noch mancherlei Gründe, die mich an meinem einmal gefaßten Glauben festhalten lassen. Sie jetzt näher darzulegen, würde indessen zu weit führen, aber verlaß Dich darauf, daß ich Recht habe, die Zeit wird cs lehren." Fritz schüttelte ungläubig den Kopf, dann sagte er: „Und was gedenkst Du nun zu thun?" „Vorläufig meine Gastspieltour, die übrigens sehr bald zu Ende ist, fortzusehen und mich dann hier engagiren zu lassen. Mir liegt vor Allem daran, Inga wiederzusehen und in ihrer Nähe zu bleiben. Ich hatte eigentlich die Absicht, sie mit mir zu nehmen, allein, was Du mir über den Zustand meines Groß Vaters mitgetheilt hast, läßt mich von diesem Vorhaben abstehen; ich will ihm nicht das Wenige rauben, was sein Leben noch er träglich macht." „Ja, Du hast Recht, Deine Schwester ist ihm geradezu un entbehrlich; sie widmet sich ihm mit wahrer Selbstaufopferung, zur großen Befriedigung Frau von Herrendorfs, die inzwischen mit ihrer Tochter ihr Leben genießt." „Ach, Asta — was ist aus dem kleinen selbstsüchtigen Ding geworden?" „Eine große, selbstsüchtige und berühmt schöne Dame, die mit Männerherzen ein lechtstnniges Spiel treibt und spöttisch lächelnd auf ihre Opfer blickt." „Also die würdige Tochter ihrer Mutter. Es war nicht anders zu erwarten. Und der kleine Günther?" „Ist ein für seine Jahre großer, aber recht schwächlicher, blasser Junge, der Abgott seiner Eltern. Es muß übrigens ein guter Herrendorf'scher Kern in ihm stecken, sonst müßte er der hoch müthigste und eigenwilligste Patron von der West sein, so der zogen und verzärtelt wird er von seiner UtngebuNg! Ich fürchte, er wird nicht alt werden." Die Vettern hatten sich noch mancherlei mitzutbeilen und zu fragen. Sie besprachen, dertz Fritz seine Cousine auf ein Wieder sehen mit dem Bruder vorbereiten solle, alles Weitere wollte man später berathen. Langt nach Mitternacht trennten sich die Vettern, die sich so nach langen Jahren in h«rzlichster Freundschaft wird«rgefund«n hatten.
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