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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.12.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971211020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897121102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897121102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-11
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Wenn die Gegner der Flottenverstärkung im Reichstage trotz der in der Tbronrede und bei der ersten Berathung der Marine-Vorlage über die Finanzlage des Reiches abgegebenen Erklärungen noch gehofft haben sollten, bei der Berathung des Etats aus den Aufstellungen deö Neichsschatzsecretairö Material zu einer ungünstigeren Beurtbeilung der Finanzlage und zu Agitationen gegen eine planmäßige Verstärkung unserer Wehrkraft zur See schöpfen zu können, so ist ihnen diese Hoffnung gestern zu Wasser geworben. Das Bild, das der neue Schatzsecretair Frhr. v. Tbielmann von dem Stande unserer Reichsfinanzen entwarf, ist ein durch aus erfreuliches. Zuerst wurde das Finanzergebniß von 1896/97 behandelt, bei dem eine Gesamnumehreinnahnie von 78^> Millionen sich herausstellte, von denen 50 Millionen für die Schuldentilgung abgeschrieben, 28'/z Millionen auf das nächste Jahr übertragen wurden. Die überwiesenen Steuern erbrachten 27 Millionen mehr, als veranschlagt worden war. Dann kam das laufende Etatsjahr 1897/98 an die Reihe, für das der Schatzsecretair schon jetzt einen Ueberschuß gegen den Voranschlag von 20 Millionen Mark bei den reinen Reichseinnabmen, abgesehen von Zöllen und Verbrauchssteuern, berechnete. Diese letzteren lassen einen Ueberschuß von 69 Millionen Mark über den Voranschlag von 404 Millionen Mark erwarten, so daß 473 Millionen Mark im Ganzen sich ergeben, oder ein Mebrüberschuß von 53 Millionen über die zur Ueberweisung an die Einzelstaaten zu bestimmende Summe; von diesen sollen 40 Millionen Mark z^r Schuldentilgung benutzt werde», während 13 Mill. Mark (nicht 30, wie im ReichStagsberichle fälschlich angegeben ist) als Ueberweisung an die Einzelstaaten zurückgehen. Die Finanz lage ist also ganz so günstig, wie sie bei Einbringung der Flotten vorlage im Allgemeinen geschildert wurde. Im Zusammen hänge theilte der Schatzsecretair mit, daß durch das Vorgehen der Bereinigten Staaten die Aussichten auf Abschaffung der Zuckerexportprämien sich gemehrt haben. Dann ging er zum Etat für 1898/99 über, der jetzt kurzweg Etat für 1898 genannt wird und gegen das Vorjahr 65 Millionen Mark mehr an ordentlichen Ausgaben und 36 Millionen Mark an außerordentlichen Ausgaben aufweist. Der Schatzsecretair fügte aber die beruhigende Versicherung hinzu, daß die Ein nahmen andererseits außerordentlich vorsichtig eingeschätzt sind, so daß auch für das kommende Finanzjahr ein günstiger Abschluß zu erwarten ist. Für die Vorsicht, mit welcher der Haushaltplan für 1898 aufgestellt ist, spricht der Umstand, daß in ihn 30 Millionen weniger eingestellt worden sind, als die Finanzverwaltung zu erlangen hoff:. Mehr noch als dies kenn zeichnet den günstigen Stand der Reichscasse der Umstand, daß seit zwei Jahren keine Schatzanweisungen mehr auS- gegeben zu werden brauchten. Sehr erfreulich war, daß in nächster Zeit zur Beseitigung der Zollbeschwerden Ein- richlungen getroffen werden sollen, durch die jeder Kaufmann von einer Oberzollbebörde auf Anfrage eine schriftliche Aus kunft erhalten kann, die ibn gegen Rachforderungen schützt. Nur die allerhöchste Vollziehung steht noch aus. Wir be grüßen diese Maßnahme als einen erfreulicken Schritt auf dem Wege, als dessen Endziel zur Abhilfe der Zollbeschwerden von nalionalliberaler Seite unablässig und noch in der letzten Session die Einrichtung einesZollgerichtsböses bezeichnet worden ist. Die erste Elatsberathuug ist damit in erfreulicher Weiseeingeleitet.—DievorBeginn der erstenLesung dcsEtals zu Ende geführte Besprechung über die Interpellation Bassermann betreffs des deutschen Petroleum Handels hatte insofern ein Resultat, als der Staatssecretair des Innern Graf v. Posadowsky bekannt gab, ein Tbeil der voi gekrackten Wünsche werde schon in kurzer Zeil eine Erfüllung finden, da eine Herabsetzung dcS EisenbahntarifS für russisches Petroleum auf den niedrigsten Satz, der für Rohprodukte in Frage kommen könne, in die Wege geleitet worden sei. Mit diesem Ergebniß wird sich aber die nationalliberale Fraktion des Reichstages nicht begnügen, sondern in noch zu formu- lirenden Anträgen die Frage weiter verfolgen. Was den Arbeitsplan VcS Reichstags betrifft, so hört die „Nordd. Allg. Ztg.", für die erste Etalsberatbung seien zwei Tage in Aussicht genommen, und an drei Taaeu der nächsten Woche werde man die erste Lesung der Militairstraf- proceßordnung durchzuführen versuchen. Da voraus sichtlich alle Parteien an dem Entwürfe viel auözusetzen haben, bekommt die Militairverwaltung einen schweren Stand. Die eigentlichen Schwierigkeiten der Session aber werden erst nach Neujahr mit den Beratungen der Budgetcommission über das Flotiengesetz beginnen, denn noch in diesem Jahre in diese Berathung einzutreten, dazu hat die unter dem Drucke des Centrums stehende Com mission keine Lust. Herr vr. Lieber wird bann die Sache noch weiter in die Lange zu zicken suchen und dafür Sorge tragen, daß die ultramontane Presse eine lebhafte Agitation gegen die Vorlage betreibt und dadurch der Regierung die Erwägung nahe legt, welcher Dank groß genug für das Entgegenkommen des Centrumsführers sei. Ein vielver sprechender Anfang mit dieser Agitation ist schon gemacht; um so erwünschter ist es, daß der Eifer der Flotten freunde im Lande nicht erlahme und daß namentlich die Weibnachtspause des Reichstags zu Kundgebungen für das Floltengesetz benutzt werde. Als neue Vorlage ist dem Reichstag die Civilproceßordnung zugegangen; zur ersten Berathung kommt der Entwurf wohl erst nach den Weihnachtsferien. An dem Gesetzentwurf, betr. den Schutz der Baubanbwerker, ist nach den letzten Mel dungen bis in die jüngsten Tage im preußische» Justiz ministerium gearbeitet worden, doch darf seiner Veröffent lichung nunmehr täglich cntgegengcsehen werden. Das, was derselbe vorsiebt, ist in der Hauptsache, daß bei jedem Bau unternehmen eine Schätzung des Baustellenwcrthes slaltfindet und daß unmittelbar hinter den danach zu bemessenden Hypo theken die Forderungen der Bauhandwerker in das Grund buch eingetragen werden. DaS Vorgehen Deutschlands in China hat nicht nur die Engländer, sondern auch die Franzosen mobil ge macht. Sie haben zur Verstärkung ihrer in China besind- lickcn Flotte den Kreuzer „Jean Bar" dorthin gesandt. Sie batten bis jetzt allerdings in den chinesischen Gewässern nur über 4 Kriegsschiffe verfügt, während England und Rußland deren je 3l zur Verfügung haben. Die Entwickelung starker Marinekräfte der in Ostasien mit Deutschland cvncurri- renden Staaten, England, Frankreich und Rußland, zeigt, daß die Entsendung deS deutschen Geschwaders unter dem Prinzen Heinrich keineswegs überflüssig ist, wie die „Vossische Ztg." meint. Wenn der „kranke Mann" im Osten I Asiens einstweilen Wohl noch Ruhe vor den europäischen I Mächten haben wird, so Hal er daS vielleicht dem „kranken I Mann" im Südosten Europas zu verdanken, der die Auf ¬ merksamkeit Europas noch immer in Anspruch nimmt. Aber die Zeit ist vielleicht nicht fern, in der an der ost asiatischen Küste eine Verschiebung des Landbesitzes stattfinbet, und deshalb erscheint es, abgesehen von den durch die Besetzung von Kiao-Tschau noch möglichen Zwischenfällen, geboten, daß die in Ostasien stationirte deutsche Flotte nicht völlig minderwerthig gegenüber der mari timen Machtenlwickelung Frankreichs, Englands, Rußlands und übrigens auch Japans in den oslasialischen Gewässern ist. Wenn sich auch selbst nach der Verstärkung der deutschen Flotte kaum dauernd ein so starkes Geschwader in jenen Gewässern vereinigen lassen wird, wie es in 6—8 Wochen dort sein dürfte, so wird die deutsche Flotte in Ostasien doch wohl andauernd stärker sein müssen, als sie in den letzten Jahren dort gewesen ist. Sollte sich die Nachricht, daß Deutschland an Stelle von Kiao-Tschau einen der Insel Formosa gegenüber gelegenen Hafen erhalten soll, bestätigen, würde so — allen unter richteten Kreise» in Berlin ist davon Nichts bekannt — die deutsche Flotte in den ostasiatischcn Gewässern erst recht ständig einen ziemlich hohen Bestand habe» müssen, weil Deutschland dann mit diesem Hafen gewissermaßen der Nachbar deS ehrgeizigen Japan sein würbe. Von Interesse ist, daß die in Berlin erscheinende „Ostasiatische Correspondenz", die übrigens nicht als osficiöses Organ der dortigen chinesischen Botschaft gelten will, aber die fortschrittlichen Anschauungen Li-Hung-Tsckang's vertritt, die Mission des Prinzen Heinrich beurtheilt. Nach dem die Correspondenz hervorgehoben hat, daß cs im eigensten Interesse Chinas liege, an seiner Ostküste einen Freund in der Noth — sie denkt an neue Angriffe Japans — zu haben, schreibt sie: „Nichts konnte besser im Pekinger Kaiserpalast den Ernst und die Bedeutung demonstriren, welche Deutschland der schwebenden Streit angelegenheit mit China beimißt, als die Nachricht von der Entsendung des Erlauchten Bruders deS deutschen Kaisers nach China .... Der Kaiser von China soll sogar darüber seine freudige Gcnugthuunz ausgesprochen haben, und unterliegt es für unS keinem Zweifel, daß Prinz Heinrich in Peking mit allen denkbaren höchsten Ehren empfangen und ausgezeichnet werden wird! Der persönlichen Begegnung Höchstdesselben mit dem „Sohne des Himmels" glauben wir jetzt schon die größte Trag weite für Deutschland ebenso, wie für China, beimesscn zu können, insbesondere, wenn der Erlauchte Prinz hierbei in die Lage kommen würde, den jungen chinesischen Kaiser über seine Herrscherpflichten nach europäischen Begriffen auf zuklären Reformvorsckläge für China von dieser unmittelbaren höchsten Seite würden zweifellos große Be achtung finden, und der Dienst, welcher eventuell damit der Dynastie und dem Reiche Chinas, wie überhaupt der Civili- salion und allen Völkern in China geleistet werden würde, wäre ganz unberechenbar!!! . . ." Angesichts deS entschiedenen Auftreten« der national gesinnten Deutschen Oesterreichs zur Wahrung ihrer Rechte arbeiten Polen und Tschechen ihrerseits stark in Ver brüderung und slavischer Gemeinbürgschaft. So gestaltete sich, wie die „Tagt. Rundsch." mittheilt, in der galizischen Hauptstadt Lemberg am Mittwoch die fünfundzwanzigile Aufführung von Smelana's tschechischer Oper „Die verkaufte Braut" im dortigen polniscken Nationaltbeater zu einer polnisch-tschechischen Verbrüderungsseier, welcher die dort an sässigen Tschechen vollzählig beiwohnten. Schon vor Begin» der Vorstellung war auf der Bühne das gesammte polnische Opernper sonal, mit dem Regisseur an der Spitze, versammelt. DaS Orchester stimmte das tschechische Nationallied „Lcks ckoraov wuz'^ an, worauf das Publicum in stürmische Beifallsrufe auSbrach Dann verlas der Regisseur von der Bühne herab drei aus Anlaß der Feier vom Prager Bürgermeister vr. Pod- lipny, vom Bürgermeister in Prerau, Franz Tropper, und vom Director des Tschechischen Nationaltheaters in Prag, Schubert, eingetroffene Telegramme, von denen daS deö Prager Bürgermeisters folgendermaßen lautet: „Den polnischen Brüdern herzlichen brüderlichen Gruß! Möge die Musik Smelana's daS die polnische Nation und die Tschechen vereinigende Band noch mehr kräftigen! Unsere Gemeinbürgschaft, die slawische Gemein bürgschaft wird uns zum Siege führen. Harret aus!" Nach der Verlesung dieses Telegramms spielte das Orchester die Hymne: „Noch ist Polen nicht verloren", und daS Publicum rief: „Es lebe Polen! Hoch die Tschechen!" Die Lemberger tschechische Colonie bereitete zum Schluffe der Vorstellung dem Director des polnischen National-TheaterS und dem an der Ausführung der „Verkauften Braut" mitwirkende Per sonal zahlreiche Huldigungen, und die Darsteller der Haupt rollen erhielten Lorbeerkränze und viele werthvolle An gebinde. Nach der Vorstellung beantwortete das Lemberger AdelScasino die Depesche des Prager NakionaltheaterS. Drese theatralische Verkündigung der Gemeinbürgschaft aller Slawen dürfte außerhalb Galiziens auch wohl manche Herzen höher schlagen lassen, insbesondere das unseres preußisch-polnischen Herrn v. KoScielSki Lemberger Angedenkens, in dem polnischen Musterstaate Galizien selber aber recht gemischten Gefühlen begegnen, nämlich bei den Ruthenen, für welche jener Begriff nur eine Befestigung der sie knechtenden Polenherrschaft be deutet. In der römischen Kirche scheinen sich neuerdings evangel ische Strömungen geltend zu machen, und zwar am bemerkbarsten in den katbolijchen Ländern Frankreich und Italien. Unter den Studirenden der protestantischen Theologie in Paris befinden sich gegenwärtig fünf frühere katholische Priester (Moreau, Nezereau, Philivpot, Scheffer und Vidalot), sowie ein früherer Jesuit (Aubert). Ueberhaupt mehren sich die Regungen der Selbstständigkeit innerhalb der katholischen Pricsterschaft so sehr, daß die Ultramontanen eine eigene Zeitschrift „Voix äs V6rit6" gegründet haben, um, wie sie erklären, „die protestantischen Umtriebe zu entlarven". Das führende Blatt derselben klagt: „Der alte eigensinnige, tadelsüchtige, zänkische Geist, welcher die Umwälzungen deS 16. Jahrhunderts (d. h. die Reformation) ckaraklerisirt, ist aufs Neue erwacht." — In Rom selbst ist kürzlich ein Blatt „Das neue Rom" (Hn nuova Roma) be gründet worden, in welchem katholische Geistliche ihre Klagen über den durch die Herrschaft der Jesuiten herbeigeführten geistigen Niedergang der katholischen Kirche zum Ausdruck bringen. Bezeichnenderweise trägt die erste Nummer an der Spitze ein Bild, auf dem daS „Neue Rom", ein altes aus zwei Krücken — „Iesuitentbum" und „französisches Geld" — gestütztes Weib, den „vaticaniscken Journalismus", aus dem Thore RomS hinauSweist. Eine besondere Abtheilung des Blattes führt die Ueberschrift: „Befreien wir unS vom IPapstthum!" Zahlreiche Zuschriften von katholischen I Geistlichen und Laien, die daS Unternehmen freudig begrüßen, I werden in jeder Nummer veröffentlicht. Feirrlleton. Das Wahrzeichen -er Herrendorfs. 6j Roman von L. Migula. Nachdruck verboten. „Ganz bestimmt. Er hatte, wie ich Dir schon sagte, anfangs nicht die Absicht, in Europa zu bleiben, sondern Dich mit nach Amerika zu nehmen, indessen meine Berichte über die hiesigen traurigen Zustände und namentlich über Onkel Siegfried, dem Du als Pflegerin unentbehrlich seist, haben wohl den ihn noch be herrschenden Groll besiegt und ihn veranlaßt, in L. zu bleiben und womöglich eine Versöhnung mit dem Großvater herbeizuführen. Da dies ja auch seit Jahren Dein Ziel ist, so denke und hoffe ich, wird es Euch gelingen; nur muß natürlich die größte Vorsicht angewendet und nichts übereilt werden, denn Du weißt ja, wie hartnäckig Dein Großvater in seinen Vorurtheilen ist. Die kleinste Unbedachtsamkeit kann Alles über den Haufen werfen." „Unter diesen Umständen kann er natürlich nicht unter seinem wahren Namen hier auftreten." „Nein, gewiß nicht; indessen hoffen wir, es möglich zu machen, daß Frau v. Herrendorf ihn empfängt und er dadurch Gelegen heit erzählt, seinem Großvater näher zu treten; auch Du kommst dadurch öfter mit ihm zusammen. Asta wird es sich jedenfalls angelegen sein lassen, einen so berühmten Mann, der zugleich so stattlich und vornehm ist, an sich zu fesseln; das wäre ein großer Vorhteil für unseren Plan. Sie weiß bereits, daß ich mit ihm bekannt geworden bin und ich freue mich jetzt darüber, daß Ternow in ge wohnter Schwatzhaftigkeit von meinem Besuch bei Hans Roland sprach, so unbequem es mir im ersten Augenblick war, da ich erst eine glaubwürdige Ausrede ersinnen mußte. So ist die Sache in unbefangenster Weise eingeleitet und ich kann ihn später ohne Sorge als meinen Freund einführen. Frau v. Herrendorf liebt es ja, alle hervorragenden Künstler in ihrem Salon zu empfangen, und eine Berühmtheit wie Hans Roland läßt sie sich sicher nicht entgehen, ganz abgesehen von Asta's Schwärmerei für die Bühne und die Bühnenkünstler." „Aber wird man ihn nicht wiedererkennen?" fragte Inga be- sorgt. „Kaum! Bedenke, Lehmann, der Dich ja so gut kennt wie ich, bestritt jeglich« Ähnlichkeit; sie muß also doch nur für einen besonderen Blick zu sehen sein; außerdem haben sie ja von Hans Roland's Leben keine Ahnung, während ich von vornherein jeden fremden Sänger mit Herzklopfen musterte," „Ach, ich möchte noch viel fragen, und weiß nicht, wo beginnen. Du sagst, der alte Herr, der ihn begleitet, sei die Veranlassung zu seiner jetzigen Stellung?" „Ja, in gewissem Sinne; er gab ihm die erste Anregung und vorzüglichen Unterricht. Gegenseitige Dankbarkeit und Achtung fesselt sie aneinander. Es ist ein rührendes Verhältniß zwischen Beiden, Vater und Sohn könnten sich nicht näher stehen." „Und was ist aus dem kleinen Mädchen geworden?" „Die Kleine hat ihren Großvater und Pflegevater natürlich nach Europa begleitet, und Hans läßt sie in einer guten Schweizer Pension ausbilden, weil er sie den Unbequemlichkeiten seines jetzi gen Wanderlebens nicht aussetzen wollte." „Wie alt ist sie jetzt?" „Fünfzehn oder sechzehn Jahre muß sie wohl sein, aber noch ein völliges Kind, nach dem Bilde zu urtheilen, das Hans mir von ihr zeigte." „O erzähle, wie sieht sie aus, ist sie hübsch?" „Hübsch, das ist ein Begriff, der auf dies Geschöpfchen eigent lich gar nicht anzuwenden ist. Wie soll ich sie Dir beschreiben? Hast Du einmal „Das Märchen" von Bodenhausen gesehen? Ja? Nun so weißt Du, wie Angela Wertach oder Norden, wie sie genannt wird, aussieht, sie besitzt eine nahezu erstaunliche Ähnlich keit mit dem Bilde, ganz dieselben wunderschönen, großen Augen und den weltfremden Ausdruck in dem zarten lieblichen Ge sichtchen." „Wie reizend muß sie dann sein! O, ich sehne mich recht da nach, sie Alle kennen zu lernen, die meinem Hans nahe stehen und ihn lieben. Aber — es ist spät geworden, und die höchste Zeit, nach Hause zu reilen, Großpapa weiß sonst wirklich nicht, was er von mir denken soll, wenn ich ihn gleich früh Morgens warten lasse." Fritz wendete sofort sein Pferd, aber er konnte doch nicht um hin, zu sagen: „Du opferst Dich, Inga!" „Sage das nicht, Fritz! Es ist mir ein wohlthuendes Be wußtsein, dem so schwer geprüften Kranken das Leben einiger maßen erleichtern zu können, ich halte es mehr für eine Gnade GotteS, denn für ein Opfer, einem Menschen unentbehrlich zu sein." „Du hast recht, wie immer, Inga, verzeihe mir. Ich war nur ungeduldig, daß Du Alles das hust, waS eigentlich die Pflicht Frau von Herrendorf's wäre, die statt dessen sich amusirt und ihr Leben genießt." „Wenn es sie befriedigt, lasse sie ruhig so weiter leben! Ich tauscht um nichts in der Welt mit ihr, denn wenn ich mein Da sein in der Weise wie sie und Asta verbringen sollte, würde ich es für verloren halten." „Gewiß, auch darin stimme ich Dir bei, aber es macht mich ganz zornig, wenn ich sehen muß, wie sie Dir das Leben ge flissentlich erschweren, wie sic keine Gelegenheit vorübergehen lassen. Dich zu kränken und zu demüthigen, und statt Dir dankbar zu sein, aqe möglichen Steine in den Weg legen." „Ich falle ja nicht darüber; kümmere Dich nicht darum! Ihre Gehässigkeiten habe ich übersehen gelernt; sie treffen mich nicht, seit ich Großpapa auf meiner Seite habe. Auch dadurch ist über haupt unendlich viel gewonnen, und nun ich weiß, daß mein Bru der lebt und in der Nähe weilt, will ich es endlich wagen, das strenge Verbot, seiner zu erwähnen, das ich fast elf Jahre lang nicht übertreten habe, zu brechen." „Sei vorsichtig", warnte Fritz besorgt, „Du kennst Deinen Großvater, übereile nichts." „Das werde ich gewiß nicht thun, weiß ich doch, was auf dem Spiele steht. Doch da ist die Capelle und es ist auch Zeit, daß ich heim komme. Lebe wohl, Fritz, und innigen Dank für Deine treue Freundschaft." „Leb' wohl, Inga, hoffentlich kommt ihr bald in die Stadt, ich sehne mich mehr als je danach; die Abende werden schon be denklich lang und meine Arbeit ist beinahe beendet." Sie reichten sich die Hände und sprengten in entgegengesetzter Richtung davon. 9. Capitel. Herr von Herrendorf hatte sich endlich von seinem Rheuma tismusanfall erholt und gab dem Drängen seiner Frau und Stieftochter, den Aufenthalt auf der Ringburg nun mit der Re sidenz zu vertauschen, nach, obwohl ungern wie immer. Inga hatte ihm in früheren Jahren stets tapfer beigestanden, wenn er sich gesträubt hatte, nach L. Uberzusiedeln, und er wunderte sich im Stillen, daß sie dies Mal gar nicht daran dachte, irgend welchen Protest einzulegen, sondern im Gegentheil sehr zufrieden damit sckien. „Sie kann Fritz dann öfter sehen", dachte der alte Herr und lächelte vergnügt dabei. Er hätte seinen Liebling freilich am liebsten bei sich behalten, aber mußte er sich doch einmal von ihr trennen, so gönnte er sie keinem eher, als dem prächtigen Jun gen, dem Fritz. So wurde denn der Umzug in Scene gesetzt und bald lebten Frau v. Herrendorf und Asta in einem Strudel von Gesellig keit, ganz noch ihrem Wunsch und Gefallen. Auch Inga konnte sich hier nicht allen Anforderungen entziehen und es wäre bei ihrer Jugend unnatürlich gewesen, wenn sie dies bedauert hätte, namentlich, da man ihr, wo sie erschien, mit der unbegrenztesten Achtung und Bewunderung begegnete, ja e4 geschah zuweilen, daß selbst die blendend schöne Asta vor ihr zurückstehen mußte, hatte sie doch neben ihrer anmuthsvollen, edlen Erscheinung auch Herz und Gemüth in die Waagschale zu werfen. Indessen wurde Asta dadurch nie beunruhigt, sie wußte, Inga legte keinen Werth auf einen Kreis von Verehrern, und ihr sehr zurückhaltendes Wesen hielt die Herren stets in einer gewissen Entfernung. Es war in der Woche nach dem Weihnachtsfest, als sich Fotz eines Morgens bei seiner Cousine melden ließ. „Hast Du Nachricht von Hans?" fragte sie sogleich. „Ich komme soeben von ihm; er ist gestern Abend wieder hier eingetroffen und hat mich sogleich benachrichtigt." Inga war ganz blaß geworden. „O Gott, nun beginnt der Kampf! Wie wird das Ende sein?" „Nun, gut, wollen wir hoffen, liebe Inga; kämpfe nur muthig weiter, Du hast ja schon so manchen Sieg errungen." Sie antwortete nicht, sondern sah sinnend vor sich hin, wäh rend sie die schlanken Finger fest ineinander preßte, als könne sie dadurch die stürmische Aufregung gewaltsam unterdrücken. „Wenn ich ihn doch sehen könnte!" kam es endlich bittend über ihre Lippen. „Auch Hans sehnt sich danach und wir haben überlegt, wie es sich am besten thun ließe. Ich habe vorgeschlagen, in die Bilder galerie zu gehen. Vormittags, namentlich vor 12 Uhr, ist es ge wöhnlich ziemlich leer da, und wenn ich Dich begleite, so ist ein Zu- jammentreffcn sehr gut zu ermöglichen." „O, das ist herrlich, lieber, lieber Fritz, wie danke ich Dir! Ich will nur Großpapa benachrichtigen, dann bin ich sogleich be reit." Eine Viertelstunde später schritten Beide in angelegentlichem Gespräch der nahen Bildergalerie zu, die täglich mehrere Stunden für das Publicum geöffnet war. Inga befand sich in unbe schreiblicher Aufregung. Nach fast elf Jahren sollte sie den gelieb ten Bruder Wiedersehen, der Augenblick, den sie all die Zeit herbei gesehnt und lebendig ausgemalt hatte, war nun da! Sie hörte kaum, was Fritz zu ihr sprach und ließ sich in halber Betäubung durch die fast leeren Säle zu einem ziemlich abgelegenen Cabinet führen, das nur einige alte Gemälde enthielt und selten besucht wurde. Kaum hotten sie die Schwelle überschritten, als Hans Roland, der sie hier erwartet hatte, mit beiden Armen seine Schwester umfing. Longe hielten sie sich schweigend umschlungen, bis Inga sich sanft losmachte und ihren Bruder mit glücklichem Entzücken an sah. „Ist es denn wirklich wahr, Hans, daß ich Dich ivreder habe, nach so langer, langer Trennung?"
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