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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.12.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971209025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897120902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897120902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-09
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Die Morgen-Av-gabe erscheint um '/,7 Uhr, di» Abend-Au-gabe Wochentag- um 5 Uhr. Ne-action »nL Lrve-itiou: IohanneSgaffe 8. Dir Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geössaet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. VezugS-PreiA -e der Hauptrxprdition oder de« tm Stadt- b«»irl und de« Vororte« errichtete« Ao«- aabestellen abgeholt: vierteljährliche«4^0. bei zweimaliger täglicher Zustellusg in« Hau« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestährlich S.—. Dirrcre tägliche Dreuzbandsenduag in« Ausland: monatlich ü« 7.50. Filiale»: Dtt« »lemm's Cortim. (Alfred Hatz«), UniversitätSstratze 3 (Paulinom), Loni« Lösche, »atharinenstr. 14, patt, und »önig-pla» 7. Abend-Ausgabe. WpMtr.TaMM Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes un- Nolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen'PreiA die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. 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Die Angelegenheit war schon einmal, im Mai 1895, zum Gegenstand einer An frage im Reichstage gemacht worden und zwar von antisemitischer Seite. Unter Zustimmung einer er drückenden, auS Mitgliedern aller Parteien mit Ausnahme ter interpellirenden bestehenden Mehrheit verweigerte die Regierung die Beantwortung mit der Begründung, eS sei nicht angängig, über die »«gestellten Ermittelungen und die etwa zu treffenden Maßregeln sich zu äußern. Es kamen nicht einmal die zur Beschießung der Besprechung der Inter pellation erforderlichen Stimmen zusammen, weil das HauS überzeugt war, seinerseits nichts Praktisches vorbringen zu können. Die Begründung der Interpellation durch den Ab geordneten Zimmermann bestätigte diese Unfähigkeit in einem sogar noch über das Notbwendige weit hinauS- gehenden Maße. Heute liegen die Dinge anders. Bor zwei Jahren fand das von der Standard Oil Compagnie der Herren Rockefeller, von Baron Rothschild und Anderen an gestrebte Petroleummonopol an zwei deutschen Häusern (Poth L Co. in Mannheim und Rassow, Jung L Co. in Bremen) ein Hinderniß, daS neuerdings, wie cs scheint in Folge des Ablebens des Begründers der tapferen Mannheimer Firma, beseitigt worden ist. Die beiden Häuser haben capitulirt und bilden jetzt als Mannheim-Bremer Petroleumgesellschaft ein willenloses Glied in der Kette, an die unter Führung der Standard Oil Company der Petroleumverbrauch der Welt und vor allem Deutschlands geschlossen werden soll. Nachdem die deutschen Importeure durchweg dem Trust unterworfen sind, geht dieser gegen die noch unabhängigen Grossisten vor, namentlich in Süd- und Südwest-Deutschland. Die Mannheim-Bremer Petroleumgesellschast sucht den Grossisten dreijährige Verträge aufzuzwingen, deren Inhalt so beschaffen ist, daß nach ihrem Ablauf die Grossisten ihre Unabhängigkeit gänzlich eingebüßt haben und vor die Wahl gestellt sein würden, entweder zu reinen Agenten der Standard Oil Company herabzusinken oder dem Petro leumgeschäfte gänzlich fern zu bleiben. Die Großhändler inMannheim sind zu festem Widerstand entschlossen und es ist kein Zufall, daß der Urheber der im Reichstage eingebrachten Inter pellation, Abg. Basser mann, der Bertreler dieser südwest deutschen Handelsstadt ist. Selbstverständlich besteht ein Unter schied der Interessen nur zwischen den Grossisten, die der Oil Company botmäßig gewesen sind, und den unabhängigen. Die Verbraucher in HauS und Werkstatt sind an der Ab wendung deS drohenden Monopols im ganzen Reiche gleich mäßig interesslrt. Noch ist die Standard Oil Company nicht die Herrin der Situation. Maa sie auch, wie nach dem rapiden Verschwindendes asiatischen OelSvom deutschen Markte kaum mehr zweifelhaft sein kann, mit den russischen Quellenbesitzern sich geeinigt haben, in Pennsylvanien, dem wichtigsten ProductionS- bezirke, verfügt die Rockenfeller'sche Gesellschaft über einen verhältnißmäßig nur kleinen Theil des täglich gewonnenen OelS. Ihre an die Alleinherrschaft grenzende gebietende Stellung hat sie nur zu erringen vermocht, weil sie über die Röbren- leitung nach der Küste bis vor einigen Jahren allein verfügte. Das hat sich geändert; die unabhängigen Producenten be ¬ sitzen jetzt Leitungen und Schiffe, sie sind zu einer Gesellschaft, der Pure Oil Company, zusammengetreten, die den Kampf mit der Standard Company aufgenommen, aber mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, da die ältere Gesellschaft alle europäischen Tankräume an sich gebracht hat und ihre Wettbewerberin auf die Anlegung von neuen angewiesen ist. Etliche Tanks konnten übrigens bereits ihrer Bestimmung entgegengeführt werden, so die in Hamburg und Amsterdam. Das durch den Abfall der beiden besten deutschen unabhängigen Häuser nöthig gewordene energische Vorgeben der Pure Oil Company ist es wieder, was den Monopol-Trust zu seinen eiligen und scharfen Pressions versuchen gegen die freigebliebenen Grossisten bestimmt hat. Die den Großhändlern zugemutbeten Vertragsabschlüsse sind in der Mannheimer Versammlung als ein Angriff auf die Ehre der Angehörigen der Branche entschieden zurück gewiesen werden, allerdings nicht einmüthig, denn einige der Anwesenden hatten sich der mächtigen Gesellschaft Rocke feller bereits ergeben. Es fragt sich nun, ob von Seiten des Staats etwas geschehen kann, den deutschen Widerstand zu stärken. Der weiteren Energie der Pure Oil Company ist man sicher, da die unabhängigen Quellenbesitzer unermeßlichen Schaden erleiden müßten, wenn sie von dem Absatz in Deutschland und den Niederlanden aus geschlossen würden. Sie haben, wie erwähnt, eine viel größere Production als die Standard Oil Company und sie können überdies nur eines der bei der Raffination sich ergebenden Oele in Amerika selbst absetzen, das andere findet dort keine Abnehmer. Ob aber die Kraft der Gesell schaft so groß ist, wie ihr Interesse, vermögen wir nicht zu zu übersehe». Heute erfährt man vielleicht, ob die ReichS- regierung eS für zulässig und geboten hält, der Pure Oil Company oder vielmehr einer deutschen Gesellschaft, die mit ihr Hand in Hand zu wirken hätte, irgendwie unter die Arme zu greifen. Daß das Ccntrum oder wenigstens die Gruppe um Herrn vr. Lieber wegen des Flottengrsetzes mit sich handeln lassen will, hat Herr Eugen Richter, der den ultramontanen Blättern und Abgeordneten eine so reiche Fülle von mehr oder minder brauchbarem Oppositions material zurecht gemacht hatte, mit tiefem Grolle erkannt. Er sucht nun dem CentrumSführer das Spiel zu verderben, indem er die bayerischen Ultramontanen und den Abgeordneten vr. Bachem gegen ihn aufhetzt, die radikale Gegner der Vorlage sind und von Compro- missen nichts wissen wollen. Herr Richter kennt eben die Stellen, an denen das Centrum sterblich ist, sehr genau und weiß, was Herr vr. Lieber zu besorgen hat, wenn er eine Auslösung deS Reichstags provocirt. Indem aber der radicale Taktiker auf diese wunden Puncte des CentrumS hindeutet, zeigt er zugleich den ve rbündeten Regierungen daS Mittel, durch daS Herr Lieber am sichersten zur Nach giebigkeit gezwungen werden kann. Vor Neuwahlen hat sich der in seiner Herrschaft ernstlich bedrohte Centrumssübrer hauptsächlich wegen der Verhältnisse in Bayern zu fürchten, die durch die Verdrängung des bisherigen Präsidenten der bayerischen Kammer scharf charaklerisirt worden sind. Welcher Haß gegen daS Ceutrum muß sich in Bayern bei den Bauernbündlern und den Socialdemvkraten angesammelt haben, um sie zu dem Entschlüsse zu bringen, dem bisherigen ultramontanen Präsidenten einen national liberalen Nachfolger zu geben! Daß dieser Haß bei Neu wahlen einen Ausdruck finden würde, ist zweifellos; eS wäre gar nicht unmöglich, daß alle nichtultramontanen Parteien ohne besondere Abmachung gemeinsam die Centrumscandidaten bekämpften. Das würde natürlich nicht anders werben, wenn der jetzige Reichstag infolge der Bewilligung des Flottengesetzes sein natürliches Ende erreichte. Dann aber würden wenigstens diejenigen Centruinscandidaten, die für die Bewilligung gestimmt batten, nichts von den Folgen zu spüren haben, die eine von der Negierung mit allem Nachdruck betriebene Aufklärung der Wähler über die Notbwendigkeil eines selchen Gesetzes haben müßte. Herr vr. Lieber und seine Freunde fahren also immer noch am besten, wenn sie sich für die Be willigung des Flottengesetzes entscheiden. Und sie werden das um so eher thun, je weniger ihnen ein Zweifel darüber ge lassen wird, daß die Regierung die Nothlage des Centrums kennt und deshalb zu keiner Concession an diese Partei sich herbeilassen will. Selbst der Anschein, daß die Regierung zu Zugeständnissen an das Centrum sich herbeilassen wollte, würde von diesem als Schwäche ausgelegt und zur Steigerung seiner Ansprüche auSgebeutet werden. Ze fester dagegen die Regierung sich zeigt, um so mehr kommt dem Centrum seine Schwäche zum Bewußtsein. Daß auch aus anderen Gründen jede Concession an das (Zentrum von den übelsten Folgen sein würde, braucht kaum wiederholt zu werden. Darüber, daß gerade die Nachgiebigkeit gegen das Centrum und die mit ihm betriebene Schacherpolitik die Begehrlichkeit anderer Parteien genährt und ganz wesent lich zur Entstehung des berüchtigten Satzes „Kein Kanitz, keine Kähne" beigetragen bat, kann keinem aufmerksamen Beobachter entgangen sein. Wenn jetzt dem Centruin für „seine Kähne" irgend ein Preis gezahlt würde, so würde damit die ohnehin tief genug gesunkene politische Moral vollends corrumpirt werden. Ueber die internationale Rechtslage betreffs der Mao-Tschau-Bucht äußert sich der frühere deutsche Ge sandte in Peking, Herr von Brandt, in seinem soeben erschienenen Buche „Drei Jahre ostasiatischer Politik", wie folgt: In dem russisch-chinesischen Geheimvertrag, der am 28. October 1896 von der in Shanghai erscheinenden „Rorth China Daily News" veröffentlicht worden ist, soll folgende Abmachung stehen: „9) Rußland hat nie in Asien einen See hafen besessen, der eisfrei und das ganze Jahr hindurch offen ist. Sollten demnach Plötzlich militairische Operationen auf diesem Continent ausgeführt werden, so wird es natürlich für die rus sische ostasiatische und Stille Meer-Flotte schwierig sein, frei und nach Gefallen sich zu bewegen. Da China dies wohl weiß, so ist es bereit, zeitweise an Rußland den Hafen von Kiao-Tschau (Tschiaotschau) in der Provinz Schantung zu verpachten; die Periode für solche Pacht ist auf 15 Jahre begrenzt. Nach Ablauf dieser Periode soll China alle Casernen, Speicher, Ma schinenwerkstätten und Docks, die Rußland dort (während es den genannten Hafen beseht gehalten) gebaut hat, abkaufen. Liegt aber keine Gefahr für eine militairische Operation vor, so darf Rußland nicht sogleich von dem genannten Hafen Besitz ergreifen oder die denselben beherrschenden Puncte besehen, um so dadurch die Eifersucht und den Verdacht der anderen M ä ch t e zu erwecken. Was die Höhe der Pacht und die Weise, in der sie gezahlt werden soll, anbetrifft, so soll dies den Gegen stand der Berathung in einem späteren Protokoll bilden." „12) Nachdem diese Convention die Unterschriften ihrer kaiserlichen Majestäten (der Kaiser von China und Rußland) erhalten hat, sollen die Bestimmungen derselben in Kraft treten, und, mit Aus nahme der auf Port Arthur, Talienvau und Kiao-Tschau bezüg lichen, den verschiedenen Localbehördcn der beiden Reiche mitge- theilt werden." Im Uebrigen dürfte der Ende März von China gemeldete Entschluß der chinesischen Regierung, die Kiao-Tschau Bucht zu einem Kriegshafen zu machen, mit Recht russischem Einfluß zugeschrieben werden, denn Ende Juli dieses Jahre-.- schrieb der „Kotlin", das Organ der russischen Admiralität, „daß die Russen im vergangenen Winter die Küste der Bai aufgc nommen und der chinesischen Regierung vorgeschlagen hätten, daß dieselbe dort Kohlendepots, Casernen und Werste einrichten solle. Die chinesische Regierung habe dazu zuerst wenig Lust gehab:. aber der russischen Diplomatie sei es schließlich gelungen, die Be denken Chinas zu überwinden. Da China weder Geld noch In genieure besitze, habe Rußland angeboten, die Arbeit auf seine eigenen Kosten zu unternehmen, unter der Bedingung, daß sie dort dieselben Rechte wie China genieße. Der neue Hafen werd jetzt so schnell wie möglich gebaut werden." Wie der „Kotlin" be merkt, wird er nur dem Namen nach chinesisch, thatsächlich aber ganz in den Händen der Russen sein. — So Herr von Brandt. Was es mit dem „Geheimvertrag" zwischen Rußland und China auf sich hat, ist bisher nicht authen tisch bekannt geworden. Hat Rußland ein Interesse an der Kiao Tschau-Bucht, so wird dasselbe wohl Gegenstand von Verhand lungen zwischen der deutschen und der russischen Regierung ge worden sein. Erfreulicher Weise beginnt der deutsche Handel be reits der Flagge zu folgen. Die in überseeischen Geschäften er fahrenen Berliner Kaufleute haben bereits geeignete Schritte gc than. Chefs dortiger großer Häuser haben Vertreter ihrer Ge schäfte im fernen Osten angewiesen, sich die Verhältnisse in Kiao Tschau näher anzusehen. Die betreffenden Herren dürften schon unterwegs sein. Wie die „Neue Freie Presse" meldet, sind die Verhand lungen der österreichische» Regierung mit den Parteien für jetzt ganz abgebrochen. Der Ministerpräsident Frhr. von Gautsch erklärte gestern dem Abgeordneten vr. Funke als dem Vertreter der Linken, daß die Regierung derzeit die Verhandlungen mit den Parteien des Parlaments nicht fortzusctzen gesonnen, wobl aber ernstlich gewillt sei, so bald als möglich parlamentarische Zustände wieder herzustellen. Es wird nunmehr die Entscheidung des Kaisers über die Quote, nach welcher Oester reich und Ungarn zu den gemeinsamen Auslagen beizusteuern haben, eingeholt werden. Die Entscheidung wird, wie man allgemein annimmt, den statug guc>, daS ist die Quote von 70 zu 30, auf die Dauer eines Jahres auf rechthalten. Das Ausgleichsprovisorium, das Budgetprovi- sorium und die RecrutenauShebung werden durch kaiserliche Verordnung auf Grund dcS Paragraphen 14 deS StaatS- grundgesetzes bestimmt werden. In der parlamentsloseu Zeit will die Negierung Verhandlungen über die Regelung c-er Sprach en frage in Böhmen und Mähren mit den Führern der Parteien führen. Es soll insbesondere versucht werden, den berechtigten Einwendungen der Deutschen gegen die Toppelsprachigkeit der Beamten im deutschen Sprachgebiete Böhmens Rechnung zu tragen. Angesichts der Erregung in Prag erscheint die Einberufung des böhmischen Land tages im Laufe dcS December als ausgeschlossen, da für die persönliche Sicherheit der deutschen Abgeordneten Niemand eine Garantie übernehmen könnte. Die deutsche Fortschritts Partei und die deutsche Volkopartei werden in den aller nächsten Tagen ein Manifest an das deutsche Volk erlasse». Mit dieser Orientirung der „N. Fr. Pr." steht die Mit- lhcilung unseres Wiener Correspondentcn, wonach Frei herr von Gautsch beute einen letzten VergleichSversuch unter nehmen werde, einigermaßen im Widerspruch. Mit unserer FeiriHetsir. Das Wahrzeichen der Herrendorss. 4) Roman von L. Migula. Nachdruck »»boten. Mein Großvater wollte sprechen, aber mit einer herrischen Handbewegung schnitt sie ihm das Wort ab: „Sagen Sie noch nichts! Sie haben vielleicht in gutem Glauben an Ihr Recht auf dem Erbe Ihrer Väter gelebt und keinen Augenblick daran gedacht, daß Sie möglicherweise Andere beraubten. Ich will darauf nicht näher cingehen. Dieser Ring aber, den ich in dem Nachlaß meines Schwiegervaters fand, be weist mir und wohl auch Ihnen, da Sie selbst Ihren unumstöß lichen Glauben an dies alte Familicnklcinod ausgesprochen, hin länglich, daß Sie jahrelang mit Unrecht den Reichthum genossen haben, der nach unserer Aller moralischer Ueberzeugung Ihrem Bruder, meinem Schwiegervater, hätte zukommen sollen. Ich will und werde öffentlich nichts thun, um Beweise über die Richtigkeit der Documente zu erbringen. Es wäre ja auch völlig zwecklos, da nach meines Mannes Tode, der keinen männlichen Erben hinterlassen hat, das Majorat jetzt doch auf Sie und Ihre Nachkommen übergegangen wäre; aber ich kann Sie nicht in der Ueberzeugung lassen, daß Sie einen Act der Gnade und Barm herzigkeit begehen, indem Sie mir und meinem Kinde eine Hei- math bieten. Es ist dies einfach Ihre Pflicht den so schwer Ge schädigten gegenüber; daS Wenigste, was Sie zur Sühne des Unrechts tbun können, das Sie an Ihrem Bruder und seinem Sohne, meinem armen Gatten, begangen haben, dem unsere Ar- mutb manche schwere Stunde bereitete." Sie schwieg und ließ ihre funkelnden Augen auf meinem Großvater ruhen, der sowohl von der Entdeckung eines zweiten RingeS, als auch von den ihm so rückhaltlos entgegengeschleu derten Anklagen völlig erstarrt, sprachlos dasaß. Papa, der na türlich ebenso überrascht war, gewann jedoch bald seine Fassung zurück und sagte höflich: „Ihre Anklagen, gnädige Frau, können uns natürlich nicht treffen. Mein Vater hat erst, nachdem die glaubwürdigsten Zeugen sein Recht bekundet, nachdem das Gericht auf das Ein gehendste geprüft und dann zu seinen Gunsten entschieden hatte den Besitz angetreten. Sic sehen also, daß Ihr schwerer Vorwurf jeglicher Begründung entbehrt." „Und der Ring? Der Ring, der den Herrendorfs mehr gilt als jegliche gerichtliche Entscheidung, wie steht es damit?" „Dieser Ring befand sich eben im Besitz meines Vaters, der vondem Vorhandensein eines zweiten natürlich keine Ahnung haben konnte. Außerdem aber ist der Ring, den Sie besitzen und in dem Nachlaß meines seligen Onkels gefunden haben, durchaus kein sicherer Beweis, denn da nur der eine der beiden Ringe der echte sein kann, bleibt es doch sehr die Frage, welcher es ist." Ein ver ächtliches Lächeln überflog ihr wunderschönes Gesicht und die schwarzen Augen blitzten schadenfroh, als sie erwiderte: „Ich war darauf vorbereitet, daß man diesen Zweifel auf werfen würde, aber er ist rasch zu beseitigen. Die Echtheit des Ringes ist wohl leicht zu beweisen, denn ich habe stets gehört, auch selbst in einer alten Chronik gelesen, daß beim Erhitzen des Steines die Gestalt eines Zwerges darin sichtbar werden soll." Diese Worte brachten plötzlich Leben in die bis dahin reglose Gestalt meines Großvaters. Hastig sprang er auf und rief: „Gewiß, gewiß, so lautet die Sage. Mein Bruder und ich waren als Kinder stets begierig, dies Wunder zu sehen, und baten unfern Vater oft, uns den Ring des Zwerges zu zeigen, aber so bereitwillig er sonst jeden unserer Wünsch« erfüllte, diesen ver weigerte er uns stets; wir bekamen den seltsamen Ring nie zu sehen. Als er mir ihn auf seinem Sterbebette übergab, war ich zu bewegt, um ihn besonders zu betrachten. Später hatte mich wohl die Neugier dazu getrieben, die geheimnißvolle Gestalt des Zwerges in dem Ringe hervorzurufen, aber ich habe den Versuch nur einmal gemacht und da er erfolglos blieb, habe ich eben das Ganze nur als Sage aufgefaßt. Dazu bestimmte mich auch noch besonders der Umstand, daß sich außer jener Chronik nirgends auf die Wunder bezügliche Documente vorfanden und daß mein Vater niemals die Probe hatte machen mögen. Daß ich dennoch den Ring für den echten hielt, lag in der feierlichen Weise, in der ihn mein Vater mir sterbend übergab." „Was Sie für Sage halten, ist dennoch Thatsache, mein Herr, wollen Sie jetzt noch einmal die Prüfung des Ringes vornehmen?" „Ich glaube nicht daran und bin von der Erfolglosigkeit der Prüfung überzeugt, doch da sie darauf bestehen, will ich Ihren Wunsch erfüllen." Mit einer raschen Bewegung trat er an den Schreibtisch und zündete ein darauf befindliches Wachslicht an, über dessen Flamme er nun den Stein des Ringes hielt. Aber so sehr er ihn auch er hitzte, er blieb unverändert, keine noch so scharfe Beobachtung vermochte irgend eine Gestalt darin zu erkennen. Mit einem triumphirenden Lächeln näherte sich jetzt das schöne Weib und brachte den Ring, den sie mitgebracht hatte, an die Flamme. Kaum war er erwärmt, als auf dem Hellen Krystoll, deutlich er kennbar, sich in feinen Linien die Gestalt eines Zwerges zeigte. „Nun, halten Sie die Ueberlieferung noch für eine Sage?" fragte sie spöttisch. Wie gebrochen sank mein Großvater in einen Sessel und barg sein Antlitz in beiden Händen. „O, mein Bruder", rang es sich wie ein Stöhnen aus seiner Brust, „ich habe Dich wirklich beraubt, oh, warum schwiegst Du, als man falsche Beweise für mein Recht erbrachte, warum tratest Du nicht vor mit dem Deinigen, der mir genügt hätte, trotz der gerichtlichen Entscheidungen auf allen Besitz zu verzichten! Wie soll ich jemals sühnen, was ich an Dir und Deinem Sohne ver schuldet habe?" Ich hatte die ganze Scene unbemerkt hinter einem Fenstervor hang mit angesehen und angehört mit der ganzen Neugier meiner elf Jahre, dabei aber mit einem über dies jugendliche Alter hinaus geweckten Verstände verfolgt. Auch jetzt hielt ich mich ganz still in großer Spannung, was sich nun weiter ereignen würde. Als mein Großvater so völlig verzweifelt niedergebrochen war, trat plötzlich die schöne Frau dicht an ihn heran und sagte mit weicher, schmeichelnder Stimme, indem sie ihre feine Hand leicht auf seinen Arm legte: „Verzeihen Sie mir den Schmerz, den ich Ihnen bereitet habe, ich konnte nicht anders handeln; ehe ich in Ihrem Hause meine Heimath finde, mußte es klar zwischen uns werden. Ver gessen Sie nun, was nicht mehr ungeschehen zu machen ist, die Thatsachen lassen sich nicht ändern, und wir wollen nicht darüber grübeln, was ihren Vater veranlassen konnte, einen solchen Con- flict heraufzubeschwören, indem er Ihnen einen ähnlichen Ring übergab wie Ihrem Bruder, er hatte jedenfalls nur Gutes im Sinne." Die schöne Frau hatte gut reden. Der Sturm, den sie in meines Großvaters Brust entfesselt hatte, legte sich nicht so schnell. In den bittersten Ausdrücken beschuldigte er sich immer wieder, Bruder und Neffen um ihr Eigenthum gebracht zu haben; er hörte auch nickt auf meinen Vater, der ihm vorstellte, daß die Herrschaft nun dock an ihn gefallen wäre, da sie laut Urkunde nur in der männlichen Linie forterben und erst, wenn diese aussterben sollte, auf die zunächst berechtigte Tochter übergehen dürfe. Es war Alles vergebens. Tage, ja wochenlang konnte er sich nicht beruhigen und überlegte fortwährend, wie man an den Hinter bliebenen der „Beraubten" wenigstens theilweise gut machen könne, was er, wenn auch ahnungslos, im festen Glauben an sein Recht verschuldet, und ließ sich dabei willig das Netz über den Kopf werfen, das die schöne Frau mit geschickten Händen gewoben. Du mußt natürlich nicht denken, lieber Fritz, daß ich damals, wenn auch durch den steten Verkehr mit Erwachsenen über mein Alter gereift, doch erst elfjährig, verstand und richtig auffaßte, was um mich her vorging. Erst viel später begriff und erklärte ich mir den Zusammenhang dieser Dinge, an die ick natürlich stets zurückdenken mußte, und wie ich es dann aufgefaßt habe, so erzähle ich es Dir nun." Frau von Herrendorf war bald heimisch bei uns und da Groß vater sie gebeten, ja es als eine besondere Gunst erfleht hatte, daß sie sein Haus als ihre Heimath auffasscn möchte, so hatte sie sehr bald die Zügel der Regierung ergriffen und Alles geschah nach ihrem Willen. Sie war in jener ersten Zeit hinreißend lie benswürdig. Inga und mich schien sie zu vergöttern und suchte uns jeden Wunsch zu erfüllen; ihr eigenes kleines Töchterchen mußte oft vor uns zurückstehen. Dennoch konnte ich kein Ver trauen zu ihr fassen; es ist mir dies heute noch unerklärlich, in dessen, meinem Vater ging es ebenso. Je mehr Großpapa von der außerordentlich schönen Frau bezaubert wurde, desto kühler verhielt sich sein Sohn ihr gegenüber. Ich glaube, er durchschaute ihre Absicht und ahnte sehr bald, was man ihm zumuthen wollte. Monate vergingen, äußerlich in der größten Eintracht, auch wir Kinder lebten ganz friedlich miteinander, obgleich mir die kleine Asta bald ebensowenig sympathisch war, wie ihre Mutter. Bei allem äußeren Liebreiz, der ihr im hohen Grade eigen — sie war ja viel schöner wie Inga, mein scheues, ernstes Schwesterchen — zeigte sie stets ein herzloses, selbstsüchtiges Wesen, das mich immer mehr mit Zorn gegen das so geweckte und lebhafte kleine Ding erfüllte. Dieser äußerliche Frieden war jedoch nur die Stille vor dem Sturm, der eines Tages, kurz vor Weihnachten, losbrach, mit einer solchen Gewalt, daß die verheerenden Folgen niemals wieder vollständig verschwanden. Es war an einem Decembermorgen, als ich mich in Papas Arbeitszimmer an das Fenster gesetzt hatte, um eine Zeichnung, die ich Großpapa schenken wollte, zu vollenden. Damit dieser mich bei einem möglichen Eintreten nicht entdeckte, hatte ich die Portieren zugezogen und wurde dadurch Zeuge einer Unterre dung zwischen meinem Vater und dem Großvater, die entscheidend in unser aller Lebcn eingriff und die mich bis ins tiefste Herz traf. Mein Großvater wünschte, daß Papa Frau von Herrendorf zu seiner Gemahlin machen sollte, um das an dieser Familie be gangene Unrecht einigermaßen zu sühnen, und als alle seine Ue- bcrredungsversuche erfolglos blieben, da mein Vater fest und be stimmt erklärte, dem Andenken seines zu früh verstorbenen Weibes niemals untreu werden zu wollen, am wenigsten aber, um diese kaltherzige Jntriguantin zu ihrer Nachfolgerin zu machen, brach der Großvater in grenzenlosem Zorn aus. Er wandte sich nicht nur gegen meinen Vater, sondern auch von meiner todten Mutter sprach er in Ausdrücken, daß Papa, ohne das Ende seiner Worte abzuwarten, schweigend das Zimmer verließ und noch am selben Abend abreiste, nachdem er von Inga und mir zärtlich Ab-
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