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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.12.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971210015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897121001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897121001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-10
- Monat1897-12
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifsernsatz nach höherem Tarif. Extra-Verlagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbefördrrung Sv.—, mit Postbeftlrderung 70.—. Jiavahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition z» richten. Druck uad Verlag von <k. Polz in Leipzig. K29. Freitag den 10. December 1897. Sl. Jahrgang: Neichsgerichtsrath vr. Stenglei« über -e« Entwurf -es Militairftrafprocesses. DreSdea, 8. November. In einer vom Rational liberalen Reichsverein einberufenen, recht gut besuchten öffent lichen Versammlung sprach heute Herr ReichSgerichtS- rath vr. Stenglrin-Leipzig über den Entwurf einer Militairstrafprocrß-Ordnung, wie er dem Reichstage vor wenigen Tagen zugegangen ist. Nach Eröffnung und herz licher Begrüßung der Versammlung durch Herrn vr. Bogel, der in seinen einleitenden Worten auf dir Wichtigkeit deS Gegenstände« der Tagesordnung und auf die noch größere Wichtigkeit der Marinevorlage verwieg, nahm Herr Reichs- gerichtSrath vr. St eng le in da« Wort, um nach einem interessanten Rückblick auf die Entstehung deS bayerischen MilitairstrafprocesseS und seine eigene Antheilnahme*) an dem selben in eine ebenso sachliche wie gründliche Kritik d«S neuen Entwürfe« einer Militairstrafproceßordnung einzutreten. Die Forderung nach einer solchen reformirten Strafproceß- ordnung sei bereit« unmittelbar nach Gründung de« Reiche« erhoben und seit dem Jahre 1879 besonder« lebhaft geworden. Als Ergebnis dieser wiederholten Forderungen sei der nun mehr vorliegende Entwurf anzusehen, in dessen umfangreichen Inhalt er sich bei der Kürze der Zeit noch nicht völlig habe vertiefen können, um ein sicheres Urtheil über alle Detail« zu haben; soweit er sich aber mit der Materie beschäftigt habe, könne er versprechen, daß er keine Behauptung avfstellen werde, die nicht auf einer guten Basi« beruhe. Der Ent wurf wurde eingeleitet durch eine Reihe von Artikeln in den öffentlichen Blättern, die voll deS LobcS über den Entwurf waren und darzulegen suchten, daß er all den Anforderungen entspreche, welche man an einen solchen Entwurf stellen könne, daß er insbesondere daS bürgerliche Verfahren ganz zu seinem Vorbilde genommen habe. Diese Schnelligkeit der Berichterstattung unmittelbar nach Erscheinen deS Entwurfs sei erstaunlich gewesen. Beim Studiren des Entwurfes habe er eine der gründlichsten Enttäuschungen erlebt, die er je in seinem politischen Leben erfahren habe. Die Form sei *) Der bayerische Entwurf entstammt der Feder vr. Stengleia's, der dafür vom bayerischen ÄriegSministrr de» Lobspruch erhielt: „daß er der erste Abgeordnete sei, der ihm begegnet, welcher etwa« von militairischen Dingen verstände". geblieben und insofern seien alle Versprechungen erfüllt, einen Gesetzentwurf zu geben, der sich an da« bürgerliche Gesetz anlehut, von dem Wesen einer Proceßordnung, die volle Rechtssicherheit gewährt, sei leider wenig vor handen. In eine Erörterung der einzelnen Abschnitte deS Entwürfe« rintretend, wendet sich Redner zunächst zu dem Priacip der Oeffentlichkeit. Im bayerischen bürger lichen Proceß war e« nur gestaltet, au« Gründen der Sitt lichkeit die Oeffentlichkeit au«zuschließen; dem fügte dir Militairstrafproceß-Ordnung bei, daß auch au« Gründen de- Dirnstintereffe« die Oeffentlichkeit «»«geschloffen werden könne. Dagegen sei an sich nicht« einzuwenden. Allein er müsse doch hrrvorheben, daß für die Militairgerichte die Oeffentlich- krit in gewissen Fällen von ganz unschätzbarem Werth sei, besonder« gegenüber einer Partei, die es zum Sport aus gebildet habe, Soldatrnmißhandlungen zum Vorschein zu bringen. Wenn hier die Oeffentlichkeit walte uad da« Publicum erfahre, aus welchen Gründen freigesprochea und au« welchen Gründen verurtheilt sei, so wäre allen Machinationen der Socialdemokratie sogleich die Spitze abgebrochen. Daffelbe treffe auch zu bei Fällen, wo von der Waffe Gebrauch gemacht sei. In einzelnen Fällen könne der Ausschluß der Oeffentlichkeit wohl günstig wirken, aber damit scheine auch alle» erschöpft zu sein, wa» man in dienstlichem Interesse von der Ausschließung der Orffentlich- keit verlangen könne. Mit diesen allgemeinen Bestimmungen habe sich der Entwurf nun leider nicht begnügt, sondern in ß 272 Absatz 2 dem Kaiser weitgehende Befugnisse ein- geräumt. Weshalb zum Ausschluß der Oeffentlichkeit noch eine besondere kaiserliche Verordnung nothwendig sein soll, sei wohl für Jedermann unerfindlich, und unwillkürlich werde man veranlaßt, darin noch eine besondere Beschränkung zu finden. Man müsse doch zu den Militairgerichten das Vertrauen haben, daß sie selbst entscheiden könnten, wenn au« Gründen der DiSciplin die Oeffentlichkeit auszuschließen ist. Wa« sich hinter diesem zweiten Absatz verstecke, darauf könne er eine Antwort nicht geben, allein man werde das Gefühl nicht lo«, daß hier etwas Besonderes gesucht würde. Nach K 274 sollen keine weiblichen Personen, keine »»erwachsenen Menschen, Niemand, der in seinem Aeußeren der Würde deS Gericht« nicht entspricht oder der bürgerlichen Ehrenrechte entbehrt, auch Niemand vom Militair, der im Range unter dem An geklagten steht, zugelaffen werden. Wenn also ein Unterofficier wegen einer Mißhandlung angeklagt ist, so dürfen die Soldaten der Verhandlung und Aburtdeilung nicht anwohnen. Wenn man diese Liste der zum Ausschluß Designirleu übersieht, so fragt man sich unwillkürlich, wer dann noch zuhöreu darf. Hier scheine ihm Alles erfüllt, nur die Oeffentlichkeit nicht. Bezüglich derMündlichkeit und Unmittelbarkeit deS Verfahrens müsse zugegeben werden, daß der Entwurf da«, was man als mündliche« Verfahren bezeichnet, vorsieht und daß der Beweis größtentheilS unmittelbar bleiben wird. Der Entwurf habe hier ziemlich viel aus der R.-St.-P.-O. entlebnt, aber doch wichtige Zwischenbestimmungen ausgelassen. Der ganze Reichthum an Iudicatur, den man für die R.-St.-P.-O. gesammelt habe, sei mit einem Federzug vernichtet worden. Aber im Großen und Ganzen sei die Mündlichkeit und Un mittelbarkeit im Entwürfe gewährt. Hinsichtlich der Garantie für die Unparteilichkeit derGerichte weiche der Entwurf von allem Gewohnten ge waltig ab. Redner vergleicht die im Entwurf vorgesehenen Stand gerichte,Kriegsgerichte,Oberkriegsgerichte und daSReichSmilitair- gericht in ihren Competenzen und ihrer Zusammensetzung mit den bestehenden bayerischen Institutionen und kommt zu keinen günstigen Ergebnissen. Er wolle nicht davon reden, daß die armen Juristen doch übel daran seien, wenn sie nach jahrelangem Studium und ebensolanger PrariS endlich zur selbstständigen Ausübung des Richteramtes kämen und nun sehen müßten, wie die Officiere neben ihrem schwierigen Dienst, für den allein sie voraebildet seien, spielend in die Iudicatur eingreifen. Er könne sich der Ueberzcugung nickt verschließen, daß entweder dieser Dienst der Officiere etwas mangelhaft auSfalle, oder daß der Auditeur, der im jetzigen Verfahren da» Mädcken für Alles sei, hinter den Cvuliffen agire und den Officiere» in denjenigen Fällen, wo sich daö Schwurgericht nicht zu helfen weiß, soufflire, was sie zu rhun haben. (Heiterkeit.) Eine Erfüllung des Versprechen- vom ständigen Gericht könne er nicht finden. Die Institution des Gericht« Herrn sei eine mittelalterliche ReminiScenz, die doch endlich auS dem Militärgericht hätte verschwinden sollen. Daß dieser maßgebend sein solle in Fragen über das, was wir gewohnt sind als eine Sache des Rechtes anzusehen, wird einem Juristen niemals einleuchten. Was sonst alles der Auditeur besorgte, hat jetzt der Gerichts herr zu besorgen. Er entscheidet, ob ein Verfahren einzu leiten ist, beauftragt in geringeren Fällen den GerichtSofsicier. in schwereren den KriegSgerichtSrath, den Juristen, mit der Führung der Untersuchung, die nur in seinem Namen durchgeführt wird. Wenn die Untersuchung geschloffen ist, rapportirl der UntersuchungSführende dem Gerichtsherrn über daS, waS er ermittelt hat, und letzterer bestimmt, ob eine Anklage erhoben werden soll oder nicht. Er ernennt, da eine ständige Staatsanwaltschaft nur da vorgesehen sei, wo sie nach Ansicht des Redners den geringsten Werth habe, das ab- zuurtheilende Gericht. Diejenigen, die den Entwurf bearbeitet hätten, schienen die harmlose Ansicht gehabt zu haben, als ob sich die Tbätigkeit des Staatsanwaltes darin erschöpfe, daß er in der öffentlichen Verhandlung eine glänzende Rede halte, in der er den Angeklagten möglichst schwarz male. Ein richtiger Staatsanwalt wird zu Gunsten und zu Ungunsten des Angeklagten sprechen und auch nach dem Entlastungsbeweise deS Angeklagten fragen. Der Gerichtsherr habe außerdem das ominöse Bestätigungsrecht. Alles in Allem könne er dieses Institut deS Gerichtsherrn, der sich als rother Faden durch daS ganze Verfahren hindurchziehe, nicht als besonders glück lichen Theil deS Entwurfes anerkennen, zumal auck das AblehnungSrecht des Angeklagten gegenüber dem Richter in öffentlicher Sitzung aufs äußerste beschränkt sei. Während der bürgerliche Angeklagte jeden befangenen Richter ablehnen könne, sei der militairische Angeklagte auf einen kurzen Augen blick in der Hauptverhandlung beschränkt. Damit sei das AblehnungSrecht, wie eS im bürgerlichen Entwürfe vorgesehen sei, im neuen Entwürfe geradezu auullirt. Was die Ve rt hei d i guu g angehe, so werfe er die Frage aus, welche Garantie für die freie Vertheidigung geschaffen sei. Diese ganze wichtigeMatcrie sei im Entwurf mit wenigen Paragraphen abgefunden. Esscheine,alSobmandasGebiet der Vertheidigung in einer glänzenden Rede zu finden geglaubt habe, dem Ber- theidiger sonst aber eine Thätigkeit nickt einräumen wolle. Der Angeklagte könne nicht in jedem Stadium der Sache einen Bertheidiger beizieben. Diese Beiziebung sei auch da durch erschwert, daß bürgerliche Vertkeidiger erst beim Militärgericht um ihre Zulassung nachzusuchen haben. Wer würde daS aber tbun? Die beschäftigten, tüchtigeren Rechts anwälte gewiß nicht, denn eS wäre im Ganzen doch ein un dankbares Geschäft. Also wäre der Angeklagte auf die Referendare und die Assessoren angewiesen; mithin erscheine die Vertheidigung beschränkt, so sehr, wie sie überhaupt nur be schränkt sein könne. Bezüglich der Beweisführung sei im Entwurf das Gericht völlig frei in der Ablehnung des Beweises. Es sei FaniHetsn. William Hogarth. Eine Studie zu seinem 200. Geburtstage, 10. December.*) Bon vr. Franz von Weert. Racheruck »abotcii. 1. William Hogarth genießt noch heute nicht nur in seinem Va terlande, sondern auch in Deutschland, einen Ruf und eine Popu larität, die viele vollendetere Künstler nie besessen haben. Dabei ist es allseitg anerkannt, daß seine Kunst an großen Schwächen leidet, wenn auch die Einen diese Schwächen milder, die Anderen strenger beurtheilen. Es muß also doch etwas in seinem Werke liegen, was noch nach mehr als einem Jahrhundert eine starke An ziehungskraft ausübt. Dies Etwas ist der kulturhistorische Ölehalt seiner Darstellungen. Jede von ihnen versetzt uns mit einer staunenswerthen zwingenden Kraft mitten in das London der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und unter sein« Menschen hinein, macht uns zum Zeugen ihres Lebens, ihrer Sitten, selbst ihrer Gedanken. Und ist die Welt, deren Zeitgenossen wir durch Hogarth's Kunst werden, keineswegs immer eine erfeuliche, so ist sie doch stets eine interessante. „iiVlorrv olcl Luzlsuä!" Mit patriotischem Stolze spricht der Brite noch heute diese berühmte Phrase aus. Und doch war die Llorr^ vick bmglauel-Epocke keineswegs eine Zeit harmlos gesunder Lebensfreude, sondern eine Zeit, in der sich Gut und Böse oft ganz bednklich vermischten. Älvrrx olck Ln^Iunä wollte sich von der finsteren Sittenstrenge des Puritanerthums, von den Aengften der revolutionären Stürme erholen und warf sich einem scrupellosem Lebensgenüsse in die Arme. Die Frauen und Männer der höchsten Geschellschaftsclassen, vom Fürsten an, be trieben ganz öffentlich scandalöse Liebe-Händel; die Eedelleute ver spielten und vertranken ihr Erbe; ein gewisser dünner Ftrni« de« LuxuS verdeckte kaum die natürliche Rohheit de« englischen Cha rakter». Die Mode konnte kaum etwas finden, wa» ihr geziert und geckisch genug war, aber die Sitten waren schlecht, roh und ungebildet. Wohl lag Kraft in diesem Jnselvolke, aber eS war die Kraft eine« Matrosen, eine ungezügelte, physische, unfruchtbare Kraft. In den niederen Volksschichten fällt nun auch da« bischen Modefirnis ab, aber damit fällt auch die Heuchelei der Mode- formen. Die Kneipen, die übel berüchtigten Stätten de« Laster«, find dicht besetzt, die Gaukler finden ein großes Publicum, kein Tag vergeht, wo nicht wilde Schlägereien zu blutigen Katastrophen führen. Auch hier dieser gewisse Matrosencharakter, der dem eng lischen Leben ja noch heut nicht fehlt. Und nun denke man sich dieses lärmende tolle Leben in Alt-Londons engen Gassen und Straßen, in seinen niedrigen Häusern und ihren halbdunklen Höfen zusammengedrängt, und denk, an all' die fragwürdigen Ge stalten, die in der Themsestadt zusammenströmen: müßige Schiffsleute, Glücksritter, Fischhändler, Kupplerinnen, Quacksalber und Marktschreier, Dümmlinge vom Lande und Menschen au« fernen Reichen — da» gießt eine Hölle, die in ihrer Art dem deS großen Florentiner» wohl an die Seite gestellt werden kann. Einen Borzug hatte diese tolle Zeit jedenfalls: sie war über reich an charakteristischen Figuren und Originalen. Sie hat daher den Blick der Engländer für Originale und komisch« Käuze so geschärft, daß er zu einer ihrer festen Eigrnthümlichkeiten in der ") Die Angaben des GeburttdatumS schwanken zwischen dem 10. November und 10. December 1607 Literatur und Kunst geworden ist und bei ihren größten Schrift stellern, wie Dickens und der Elliot, sehr prägnant sich geltend macht. Dem Sittenschilderer bot sich bei jedem Schritte auf der Straße der köstlichste Stoff. Aber die Zeit verschmähte diesen Stoff. Ihr künstlerisches Ideal war das klassische nach fran zösischem Stile, das Akademisch-Feierliche; das starke eigenthüm- lich« Leben ihrer Welt existirte nicht für sie. Bis ein Maler kam, der es mit großer Keckheit verwerthete und damit ein neues oder wenigstens fast neues Genre begründete. Dieser Maler war William Hogarth. 2. Hogarth entstammte den bürgerlichen Mittelklassen, die sich un- ziveifelhaft auch hier die größte sittliche Gesundheit erhalten hatten. Er war der Sohn eines Lehrers und Schriftstellers, lernte bei einem silvvr - pluto - euszrnvsr Gold- und Silber sachen mit Schmuckzeichnungen ätzen und entwickelte sich dann nacheinander zum Kupferstecher und zum Maler. Von seinem Leben wissen wir im Großen und Ganzen bedauerlich wenig. Sein Selbstportrait zeigt uns ein Mann von jener Art, die wir wohl „Helle Köpfe" nennen. Es zeigt uns ein kluges Gesicht mit auf merksamen Augen und fröhlichem Ausdrucke. Er war, „nehmt Alles nur in Allem", ein guter Kerl; er konnte noch als Erwach sener sich harmlos wie ein Knabe vergnügen, war ein verständiger Haushalter und Familienvater und ein praktischer Mann. Ein Genie war er ganz gewiß nicht. Aber eben dies wurde in ge wissem Sinne sein Glück. Denn als er sah, daß er als Graveur und alss Kupferstecher der gewöhnlichen Art seine Familie nicht ernähren konnte, und daß da« Portraitfach sich nur dann lohnen würde, wenn er es rein handwerklich betriebe — wozu er sich, zu seiner Ehre sei es bemerkt, nie hat entschließen wollen — da überlegte er ganz nüchtern-prak tisch, wie er sein Können gewinnbringender verwerthen könne. Und da kam er (so erzählt er selbst) auf den Gedanken, Bilder zu malen, die den Vorstellungen der Bühne ähnlich sein sollten. Durch solche Compositionen meinte er zugleich unterhalten und bessern und so zum größten öffentlichen Nutzen beitragen zu können. „Ich bemühte mich, meinen Gegenstand wie ein Drama tiker zu behandeln; mein Bild ist meine Bühne und Männer und Frauen meine Schauspieler, die durch gewisse Handlungen und Bewegungen ein stummes Schauspiel Vorsteven." Und mit dieser künstlerischen Idee verband er al« praktischer Geschäftsmann zu gleich dir vorzügliche Geschäftsidee, die Drucke dieser Darstellungen billig in weit« Kreise zu bringen. Man sieht demnach: Hogarth ging ganz wesentlich von einem moralischen Gesichtipuncte, wenig von einem künstlerischen, gar nicht von einem malerischen aus. Und da man «inen Künstler billig vor Allem nach seiner eigentn Absicht brurtheilen muß, so hat inanzunächst zu fragen: gelang ihm seine Absicht „zu bessern und zu bekehren"? Darauf muß man doch mit Ja antworten. Seine Blätter, die sofort eine große Verbreitung fanden, und sich »ine große Doltsthllmlichkeit eroberten, öffneten Bielen die Augen über die zuchtlosen Sitten und dir Uebel der Zeit. Sie drangen selbst zu den Regierenden und veranlaßten öffentliche Unter suchungen, z. B. zur Verminderung der Branntweinschänken, zur Schließung von Tom King'S Koff»ehau«. Wie die Helden des „Struwwelpeters" manchem Kinde für sein ganzes Leben eine heilsame Sorge für seine Fingernägel und die Gewohnheit, seine Suppe artig zu essen, beigebrocht haben mögen, so werden auch die schrecklichen Schicksale de« Hogarth'schen „Leichtsinnigen" man chem Springinsfeld zur wohlthätigen Lehre und Abschreckung gedient haben. In einer anderen Beziehung hingegen erreichte Hogarth seine Absicht nicht. Seine Darstellungen sind meist nicht dramatisch zu nennen. Denn dazu gehört doch die Veranschaulichung des Zu sammenstoßes starker Gegensätze. Erfüllt ist diese Bedingung z. B. in jenem Bilde der „Heirath nach der Mode", auf dem der Earl den Liebhaber bei seiner Frau trifft und von ihm tödtlich ver wundet wird, während der schuldige Mann durchs Fenster ent wischt und das Weib in einem jähen Anfall von Reue und Ver zweiflung Verzeihung erflehend vor dem Sterbenden kniet. Aber die meisten seiner Darstellungen sind vielmehr anekdotisch, sie geben Genrescenen, feuilletonistische Begebenheiten. Sie schließen in dieser Hinsicht an die Holländer des 17. Jahrhunderts an, überbieten sie aber dadurch, daß sie gewöhnlich mehr Handlung, geben und sind damit die Vorläufer unserer modernen Genre malerei geworden, die in Künstlern, wir z. B. Knaus, so schöne Blüthen getrieben hat. 3. Den Kern des Werkes Hogarth's bilden die vier Cyclen „Der Lebenslauf einer Dirne", „Der Lebenslauf eines Liederlichen", „Die Heirath nach der Mode" und „Die Früchte des Fleißes und der Trägheit." Alle diese Darstellungen sind so schlagend und derb, daß ihre Grundgedanken Jedermann sofort einleuchten. Hogarth verschweigt und verschleiert nichts: er geht dem Anstößi gen nicht aus dem Wege, er mildert das Brutale nicht, ja er be tont es mit einer gewissen Befriedigung. Es sei nur an das scheußliche Schlußblatt der „Bier Stadien der Grausamkeit" er innert oder an die „Branntweigasse". Wenn er uns hier zeigt, wie das Kind der sinnlos betrunkenen Frau kopfüber das Geländer hinabstllrzt, so ist das eine unnöthige Rohheit. Das ist das Ple bejische in Hogarth's Kunst. Er führt uns nirgends irgendwie über die häßliche Wirklichkeit, die er darstellt, hinaus; er hat keiner lei höhere Ideen, als die an sich doch ganz Platten Morallehren, di« jtdesmal dem Ganzen seiner Darstellungen zu Grunde liegen. Nur der Humor bringt ab und zu ein Licht in diese finstere, schlimme Welt, aber auch dies Licht ist eher grell, als wohlthuend. Denn sein Humor, wie er ihn in der „schlafenden Gemeinde", in den „Lachern", in der „Richterbank" u. s. w. bethätigt, hat wieder etwas Scharfe» und Sarkastisches an sich; e« fehlt ihm Gutherzig keit und Freundlichkeit. Liegt so im Realismus eine Schwäche Hogarth's, so liegt in ihm auch seine Stärke. Er hat nicht« Blasses, Verbissenes ge schaffen. Jede seiner Figuren (meist find sie unmittelbar der Wirklichkeit nachgezeichnet) lebt. Welch eine Galerie von Alt- Londoner Gestalten! Der verlebte Edelmann, die freche Dirne, der Cavalier nach der Mode, der nüchterne Kaufmann, der Säufer — sie Alle treten uns in erschreckender Wahrheit entgegen. Ho garth's Pinsel und Griffel schont keinen Stand. Er sucht den adligen Salon und die wüste Schänke, das stille Bürgerhaus und den belebten Markt auf und schildert sie und ihre Bewohner alle mit derselben ungeschminkten Aufrichtigkeit. Obwohl er zum Caricaturisten neigt und oft die Caricatur streift, so fühlen wir doch mit Sicherheit, daß seine Darstellungen in allem Wesent lichen wahr sind. Am meisten gilt daS von seinem vollendetsten Werk«, der maringe ä In moäs. Da« Schicksal der Alderman- tochter, deren Geldsack der verarmte und verlebte Earl hrirathet und die von der Langeweile zum Verbrechen und zum Lebensüber druß gelangt — dies Schicksal wird gerade, weil e« maßhaltiger geschildert ist, als Hogarth sonst pflegt, immer echte Theilnahme erregen. Wenn trotz der sprechenden, ja, man kann fast sagen, schreien den Deutlichkeit seines Vortrages Hogarth'« Werke viele Com- mentatorm in Thätigkeit gesetzt haben, so liegt da» an seiner üblen Angewohnheit, in seine Bilder unglaublich viel hineinzu- aeheimniffen. Sie sind mit einer Penibilität bi« ins kleinfie Detail durchgeführt, in der die Aengstlichkeit der alten Miniaturisten ohne ihre Naivetät wiederkehrt. Hogarth war eben, noch einmal sei es gesagt, kein Genie. Darum begnügte er sich nicht damit, die Hauptfiguren schlagend und groß zu schildern, sondern er setzt neben ihnen noch allerhand Nebenpersonen, setzt selbst die Diener schäft und die Hündchen in Action und kennzeichnet den Geschmack seiner Heldinnen und Helden durch die Titel ihrer Bücher und die Bilder, mit denen sie ihr Zimmer schmücken, kulturhistorisch be sonders interessant ist diese Art künstlerisch ein schwerer Mangel, indem sie ganz verwirrend wirkt. Man blicke nur einmal in das Tohuwabohu des „Marktes von Southwark"! Da habrn wir Kartenleger, Trommler, Scherenschleifer, Reiter, Dudelsackbläser, Seiltänzer, Zuschauer. Hier bricht ein schwankes Gerüst zusam men, dort entsteht eine Boxerei. Daß sich in der Beschränkung erst der Meister zeigt, dieser Gedanke lag Hogarth fern. Je mehr, desto besser. Diese Ueberhäufung mit Details hat dann sehr bald die Nothwendigkeit eingehender Erläuterungen seiner Bilder fühl bar gemacht, und diese Erläuterungen sind mit der Zeit zu einer eigenen kleinen Literatur angewachsen, zu der ja der Deutsche Lichtenberg einen der besten Beiträge geliefert hat. 4. Faßt man alle Züge des Schaffens Hogarth's zusammen, so wird man es erklärlich finden, daß die Urlheile über ihn sehr ver schieden ausgefallen sind. Bei uns hat z. B. der ausgezeichnete Carl Justi sich ziemlich scharf über ihn ausgesprochen, der be kannte Richard Muther ihm eine sehr hohe Schätzung angedeihen lassen. Die Geschmacksrichtungen werden sich eben immer bei ihm streng trennen. Feines ästhetisches Empfinden wird es stets abstoßen, dralle Lebenslust anziehen. Ein vornehmer Geist wird nur zögernd in seine plebejische Welt eintreten, ein Moralist ihm großes Interesse entgegenbringen. Sucht man nun von den Nn gungen des Geschmackes zu abstrahiren und sich auf die historische Werthschätzung zu beschränken, so zeigt sich die merkwürdige und höchst interessante Erscheinung, daß in neuester Zeit Hogarth, der als Künstler immer am meisten Bedenken erregte, eben in dieser Eigenschaft wieder mehr zu Ehren kommt und daß sein Wirken als Volk-Pädagoge, das stets besonders gefeiert worden ist, im Werth- sinkt. Dem Künstler Hogarth muß es doch hoch angerechnet werden, daß er sich von einem todten Classtcismus ganz frei gemacht, ener gisch dem Leben zugewandt und ein neues Stoffgebiet erobert hat. So hat er der modernen Richtung in der englischen und überhaupt europäischen Malerei Bahn gebrochen, freilich mit einer gewissen Rohheit, aber doch mit nachhaltiger Kraft. Was indes; den erzieherischen Werth seiner Werke angeht, so mag er für die Engländer vielleicht noch heute bedeutend sein. In diesem Bolle steckt ja ein großer Theil platten Rationalismus, wie es ja auch in der Philosophie die nüchternsten Moralsnstcme gebildet hat, und eine Neigung zum Extremen verbindet sich damit, die den Eng ländern auch das Häßlichste, wenn es charakteristisch ist, genießbar macht. Für unser Volk aber werden wir Hogarth's Darfiellungen nicht mehr als Erziehungsmittel wünschen. Die Moral, die sie predigen, wiegt uns die crasse Häßlichkeit ihrer Welt nicht mehr auf. Wir Deutsche haben auch Maler gehabt, die als Bolkserzieher im höchsten Sinne schufen: Dürer und Holbein. Aber sie suchten durch Macht der Darstellung, Tiefe des Gedankens und seelisch, Innerlichkeit zu wirken; und das sind noch heute die Elemente, die wir für eine deutsche volksthümlicke Kunst wünschen werden. So ist William Hogarth in seinen Stärken und Schwächen, in seinem scharfen Blicke für das Charakteristische, der Energie seines Ge dankens, der Robustheit seiner Mittel, der Gesundheit seiner Moral, aber auch in dem Mangel an Hoheit und Tiefe des Geistes und an Maßhaltigkeit des Geschmackes al« ein echter Vollblut Engländer zu bezeichnen.
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