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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.12.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189712124
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18971212
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18971212
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-12
- Monat1897-12
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.12.1897
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Bez«g-.Pret- D» d« Hauptexvevltton over den km Stadt- bezirk und den Vororten errichteten Au»- avbestelle» obgeholt: vierteljihrtick^llLO; bet zweimaliger täglicher Zustellung»in« Han- SLO. Durch die Post bezogen für Leunchload und Oesterreich: virrteliädrlich >t 6.—. Directe tägliche Kreuzbandirndung ins Ausland: monatlich 7.üO. Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/»? Uhr. die Abend-AuSgabe Wochentags um b Uhr. Nedartion nn- Erpe-Mou: Aohanne-gasse 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uh^ Filialen: . Otto Klemm'» r-rtim. (Alfred Hahn). UniversitätSstraße 3 (Paulinum), Lonis Lösche. Katbannenstr. 14. part. und Königsplatz 7. Anzeiger. Mtsölatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes nnd Nalizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSftrich (4g»> spalten) 50-H, vor de» Familiennachrichte» (Sgespalten) 40/iZ. Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz .... nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgab«: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anzeigen find stet» an die Expeditta« zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Tonwtag den 1December 1897. 91. Jahrgang. «33. Aus -er Woche. Wenn der Reichstag die Etatsdebatte beendet und die Militairstrafproceßorvnunz einer Commission überwiesen haben wird, so bat er — von der wieder erbärmlich gewordenen Frequenz abgesehen — seine Schuldigkeit vor Weihnachten gelban. Er ist sogar noch etwas über sie hinauSgeganzen durch die schleunige Beralhung der Interpellation über das Petroleum-Monopol. Dabei ist aber nicht viel berruS- gekommen. Immerhin ist die Versicherung, daß der Bund zwischen den russischen und den amerikanischen Quellenbesitzern nickt — noch nicht? — zu Stande gekommen, und die daran geknüpfte Zusicherung von Sperialtarifen für daS russische Product nicht wertbloS. Daß die Mannbeim-Bremer Filiale der Standard Oil Company dem Grasen Posadowsky in Bezug auf die Daumfchraubenverträge mit den Groß händlern Besserung gelobt, schlagen wir nicht hoch an. Die Trauben hängen noch nicht niedrig genug. Zugegeben muß aber werden, daß die Frage eine- staatlichen Schutzes gegen Ueber- theuerung des Erdöls eine sehr schwierige ist. Handelt es sich Loch dabei um einen unentbehrlichen Verbrauchsgegenstand auch der ärmsten Claffe; dies wenigstens so lange, als ein anderer billiger Brennstoff nicht entdeckt ist. Das Spiritus licht leuchtet zwar schon lange am Himmel der Zukunft, aber dort scheint eS sich auch als Fixstern etablirt zu haben. Nach dem Uriheil eines vom Grafen Posadowsky consultirten Sach verständigen soll allerdings eine vollkommen explosionssichere und sonst allen Anforderungen deS Haushalts genügende SpirituSlampe conslruirt worden sein. Aber die Industrie hat sich ihrer noch nicht ausreichend bemächtigt. Mil einem erhöhten Petroleumzoll dem Erfinder- und Unter nehmergeiste nachhelfen, wie die Agrarier wollen, ist ein technisch ungewöhnliches und social ein recht gewagtes Experiment. WaS die Verbilligung des für technische Ver wendung benutzten Spiritus anlangt, so glauben wir, daß der Staat, so weit an ihm liegt, nach dieser Richtung im Interesse der Landwirthschast wieder Opfer bringen dürfte, wenn verständige Vorschläge an ihn herantreten. Bei der Erwägung der Abwehrmittel gegen Vie augenblicklich drohende Gefahr der Petroleum-Vertheuerung wird aber die Möglich keit der Erfindung und Verbreitung einer brauchbaren SpirituS lampe besser außer Ansatz bleiben. Zwischen die erste Lesung und den Beginn der Com- missionSberathung der Marinevorlage werden sich wenig stens drei Wochen Parlamentsferien einschieben. Herr vr.Lieber bekommt dadurch eine erwünschte Gelegenheit, bei seiner Rück lehr über die verbältnißmäßig wenig freundliche Aufnahme, die seine Rede bej d/n „Parteigenossen im Lande" gefunden hätte, viel nützlich Erscheinendes zu sagen. Tie klerikale Presse hat schon den Auftrag erhalten, entweder mehr oder weniger deutlich zu mäkeln oder auseinanderzusetzen, daß sich der Parteiführer eigentlich für gar nicktS festgemacht habe. Welches Letztere insofern richtig ist, daß er schließlich stimmen kann wie er will. Wie es die ultramontanen Zeitungen meinen, weiß man nicht, aber diesocialdemokratischePresse ha« sich daran gemacht, die klerikalen Wähler ernstlich gegen Herrn Lieber aufzureizen. Sie giebt sich deshalb den Anschein, zu glau^n' daS Crnlrum hab« daS Flotlengesetz bereits mit Haut und Haaren geschluckt. Der „Vorwärts" spricht einmal vom „ IudaS-Ccntrum", da» andere mal von den Centrums- abgeorvnelen al» den „Handelsjuden des Reichstags". Diese Taktik hat möglicherweise den gewünschten Erfolg; manche Leute werden vielleicht sogar die Gutmütbigkeit haben, Herrn Richter Glauben zu schenken, der bei der Behauptung an gelangt ist, im Volke seien e» nur die „Geheimen Commerz»»- rätbe", die »ine Vermehrung der Kriegsschiffe anstreblen. Herr Richter muß alle Hoffnung auf die Geldschränke der Kaufmannschaft fahren gelassen haben. Der conservative Parteitaa für die Provinz Bran» denburg bat, wie eS bei solchen Veranstaltungen die Regel ist, hinter verschlossenen Thüren stattgefunben. Man weiß also von ihm nur zu sagen, WaS die Parteileitung zu veröffent lichen sür gut befindet. So z. B. ist nicht zn erfahren, ob Herr v. Levetzow, der Brandenburger ist, in die Verhandlung eingegriffen oder ihr auch nur angewohnt hat. DaS Publicirte ist wenig geeignet, den Glauben an einen Regenerationproceß innerhalb der konservativen Partei zu befestigen. Der Haupt redner Or. Kropatsckeck war stark in politischer Schauspielerei, andere Redner waren eS nicht minder in wirthschaftlicher Aufreizung, so daß die tadelnde Erwähnung deS „wirren Streites materialistischer Interessen" in einer der angenom menen Resolutionen sich nicht gerade stilvoll auSnimmt. So kräftig wie die agrarische und die zünftlerischc, wurde auch dir antisemitische Saite angeschlagen. Jedoch war der Erfolg kein gleichmäßiger. Während das Organ des Bundes der Land- wirthe sich vor Entzücken über den Verlaus des Parteitages nicht zu fassen vermag, bezweifeln „deutschsociale" Blätter die Echt heit des conservaliven Antisemitismus, der sich immer erst vor den Wahlen bemerklich macke und dann freilich sehr laut sei. Letzteres war der Kropatscheck'sche Antisemitismus allerdings. Wirzbezweifeln aber sehr, daß die conservative Partei gut thun werde, sich die von ihm angeschlagene Wahlparole „Wiker die Juden" anzueiznen. Wenn die Specialisten für Juden hetze Grund haben, über schlechter werbenden Geschäfts gang zu klagen, so kann eine Partei, für die noch andere politische Fragen existiren, sich wohl nicht auf den Anti semitismus als Hauptzugmittel verlassen. Man muß aber bedenken, daß es eia Provinzialparteitag und zwar der brandenburgische war, zu dem Herr Kropatscheck sprach. Tort sind die Conservaliven durch die erfolgten und an gedrohten antisemitischen Einbrüche in ihre Wahlkreise nervös, um nicht zu sagen furchtsam geworden. Aufregung und Furcht aber sind schlechte Berather. Auf dem Parteitage der conservaliven Gesinnungsgenossen, der nächstens m Dresden slatlfinden soll» wirb man wohl einen höheren und festeren Standpuncl finden, al- ihn Herr Kropatscheck zu erklimmen wußte. Zwischen nationalliberalen und freiconservativen Blatter» ist ein heftiger Streit wegen deS Ausganges der LandtagSersatzwabl in Fallingbostrl in der Provinz Hannover entbrannt. Der bisher stets nationalliberal ver tretene Wahlkreis ist bekanntlich an die Freiconservativen übergegangen. Derartige- ist in Hannover schon wiederholt vorgekommen und es liegt auf der Hand, daß die frei conservativen Annexionen da» künftige Zusammengehen beider Parteien gegen gemeinsame Gegner erschweren muß. Der letzte Fall scheint jedoch nicht gerade besonders geeignet, Empörung bervorzurufen. Der Neugewählle ist bis vor kurzer Zeit Mitglied der nationalliberalen Partei gewesen und hat ihr den Rücken gekehrt, weil er mit dem Verhalten der RcichS:agSsraction in einem bestimmten, überwiegend persön lich gelagerten Falle sich nicht zu befreunden vermochte. Der „Vorwärts" kann auch nachsichtig sein. Der fran zösische socialdemokratische Führer und Abgeordnete Milleranv hat sich dieser Tage mit einem Parlaments-Collegen geschossen, ohne daß da» „Centralorgan" von „Gesetzesverächtern", von einer „für das Volt beleidigenden Fiction einer besonderen Ehre" und dergl. geredet hätte. Der Fall war aber auch gutartiger, al- die Ehrenhändel in Deutschland zu sein pflegen. „Das Duell zwischen Millerand und Reinach", so wird telegrapbirt, „verlief nach dem üblichen zweimaligen Kugelwechsel ohne Resultat." Vermuthlich ist der „Vorwärts" unterrichtet gewesen, baß das gegenseitige Nickltreffen verabredet war, und hat darum Milde walten lassen. Aber wie steht eS mit dem Gesetz? Strafbar ist der Zweikampf n Frankreich wie bei unS. In Deutschland erfolgt auch obne Ausnahme Verurtbeilung und der „Vvrw." spricht regelmäßig von der Privilegirnng von Mördern, wenn ein Tbeil der Strafe nachgesehen wird. Für seine LueUirenden „Genossen" erachtet er aber nicht einmal Strafverfolgung für aschig. Professor Brentano über die Arbeiterfragen. Professor Brentano in München hat eS für angemessen erachtet, in den großen Kampf im englischen Maschinenbau.Gewerbe zu Gunsten der Arbeiter einzu greifen. Er bat an den Secretair deS Gewerkvereins der Maschinenbauer einen Beitrag zu dem Streikfonds und em langes Schreiben gesandt, das im „Daily Ehronicle" eme Spalte füllt. Wir heben Folgendes daraus hervor: Posessor Brentano bringt in Erinnerung, daß er der Geschichts» schreiber der englischen Gewerkvereine, insbesondere desjenigen der Maschinenbauer sei und 1868 bei seinein Aufenthalt in England innige Freundschaft mit den damaligen Secretairen des Vereins, William Newton und William Allan, geschlossen habe. Er habe seine Ansichten über das richtige Verhältnis zwischen Capital und Arbeit seit der Zeit nicht geändert. Die Freiheit des LontractS, wie die alte ökonomische Schule gelehrt habe, sei eine Unwahr heit, wenn der einzelne Arbeiter seinen Lontract abzuschließen habe. In Deutschland seien die Folgen dieser verderblichen Lehre nur zu klar zu Tage getreten und die Folge davon sei das Entstehen der deutschen socialdemokratischen Partei gewesen. „Ihr Verein hat mich gelehrt, daß es auf Grund der bestehenden Ordnung der Dinge wohl möglich sei, den arbeitenden Classen einen größeren Antheil an der Gesittung und Hebung der Menschheit zu ge- währen. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland zogen anfangs nur die Fabrikanten Nutzen von meiner Lehre. Die Feinde der Arbeitervereine in Deutschland erfanden rin Bersicherungssystem, wonach die Wohlthätigkeitszwecke von den Gewerkvereinen los- getrennt ly» ^a. Diese» wurde eines der großen Hindernisse der gesunden ? Nickeluna- A—^'^einsthums in Deutschland. Statt . Eandeu <a große und mäckttg, ^*beiverl.u,we, welche der Slnst't^ag von Gewerk» oeretniei 4. feindselig entgegentraten. Sie Beiträge zu der ubligatoris. " Verpchrrung mochten ,» de» Arbeitern außer ordentlich fckm^' d'e Gewerkvereine einzureten, während das System, Gewerkverei. ? au>? -die schwarze Lste zu setzen, diesen das Leben verbitterte. Collectiver Cckntractsabchluß wurde nicht er- laubt. Ebensowenig hatten die Arbeiter Freiheit in der Wahl Der» jenigen, welche ihre Sache den Arbeitgebern vortragen sollten. Nur Angestellte des betr. Geschäfts werden als Wortführer zugelassen. Die Folge von alledem ist, daß wir in Deutschland eine Arbeiter» Partei besitzen, welche der bestehenden Ordnung der Dinge, und eine andere Partei, welche dem Fortschritt feindlich gegen übersteht. Und daS bildet eine Gefahr für alles politische und nationale Leben. Sie können sich denken, mit welchem großen Interesse ich den Verlaus Ihres jetzigen Kampfes mit den Arbeit gebern verfolgt habe. Es erfüllte mich mit tiefem Mißtrauen, als ich vor sechs Wochen in den Zeitungen las, daß englische Arbeit geber dieselbe Politik beginnen wollten, welche so viel Unheil in Deutschland angestiftet hat. Das Resultat der Lonferenz ist so aus- gefallen, wie ich befürchtet hatte. Die Vorschläge der Arbeitgeber sind derartig, als ob sie von unserem großen Eiienindustriellen, Baron Stumm, ausgesetzt worden wären. Sie sind eine bloße Copie der Politik der Verbünde unserer Arbeitgeber. Ich kenne zu viel von den eng» lischen Arbeitern, um einen Augenblick daran zu zweifeln, daß diese Vorschläge abgelehnt werden. Ein furchtbarer Kampf wird die Folge sein. Sollten die Arbeitgeber siegen, so wäre das nicht nur ein Unglück sür England, sondern sür die ganze Welt. Die Unter- Weisung der Arbeiter würde nur eine zeitweilige sein. Das Beste, was dann geschehen könnte, wäre die Reorganisation der Arbeiter schaft, wie sie nach der verlorenen Schlacht der Jahre 18ö1,ü2 er folgte. Ich fürchte ober, daß dieses Mal eine weit ernstere Frage aujtauchen w.rd. Der Gewerkoerein der Maschinenbauer war einer der besten, wenn nicht der beste, der stärkste und reichste englische Gewerkverein. Sein Untergang würde in der ganzen Welt als Beweis angesehen werden, daß eS mit Gewerkvereinen nichts ist. Bisher hat England sich rühmen können, daß eS keine revolutionaire Arbeiterpartei von ernsthafter Bedeutung besitze. Künftig könnte es in dieser Beziehung leicht mit dem Festlande rivalisiren. Das Ende könnte nur Unordnung der ernstesten Art sein." Wie uns der Telegraph auS Berlin meldet, bemerkt hierzu die „Nat.-Ztg.": Professor Brentano hat, als er anfangs der siebziger Jahre sein Werk über die englischen Gewerkvereine veröffentlichte, durch dasselbe in Deutschland die Kenntniß von Einrichtungen verbreitet, von denen man bis dahin bei uns nur wenig wußte. Dies war unzweifel haft ein Verdienst. Aber schon damals ist von kritischen Beurtheilern eingewendet worden, daß Brentano die un leugbaren Verdienste der damaligen englischen Gewerk vereine um die Hebung des englischen Arbeiterstandes und die vorbildliche Bedeutung dieser Vereine übertrieb, indem er in ibnen ein Mittel sicherer und dauernder Ausgleichung der Interessen-Gegensätze zwischen Arbeitern und Arbeitgebern erblickte. Sckon damals und später vielfach ist die Tendenz zum Mißbrauch der Macht, die in der GewerkvereinS- organisalion steckt, hervorgeboben worden. Solcher Mißbrauch der Macht auf Seiten der Gewerkvereine aber ist der Anlaß des gegenwärtigen Kampfes in England. Die Arbeitgeber wollten nicht länger die immer weilrrgreifende Einmischung der Gewerkvereins-Fübrer in die Leitung der Arbeiten, welche den Unternehmern gebührt, ertragen. Es ist verständlich, daß Professor Brentano von der Widerlegung seiner allzu opti mistischen Darstellung deS GewerkvereinSwesenS durch die thatsäckliche Entwickelung desselben unangenehm berührt ist; aber weder in Deutschland, noch in England wird sein Schreiben das Urtheil über diesen Verlauf der Dinge ändern können. Sehr bedauerlich ist die zum Tbeil unzutreffende Dar stellung der bezüglichen deutschen Verhältnisse in dem Bren- tanv'schen Schreiben. Die deutsche sociale Versicherungs- Gesetzgebung stammt aus den achtziger Jahren. Sie bat — entgegen der Behauptung Brentano » — keineswegs bezweckt, die Bildung starker Gewerkvereine zu verhindern, sondern ihr Zweck war ein durchaus sachlicher, socialpolitischer: die Hebung der handarbeitenden Classen durch Sicherung derselben gegen die schlimmsten wirthschaftlichen Wechselfälle deS Lebens. Die Versicherungsgesetzgebung konnte auch schon der Zeit nach gar nicht die Wirkung haben, welche Herr Brentano ihr zuschrecbt, die Gewerkvercins-Bilduug niederzuhalten und dafür die Ent wickelung der Socialdemokratie zu veranlassen. Bevor auch nur das erste der socialpolitischen Versicherungsgesetze in Deutschland erlassen worden, war die Socialdemokratie in ihrer revolutionairsten Form bereits zu solcher Macht und Ausdehnung gelangt, daß 1878 gegen sie daS Socialistengesetz erlassen wurde; zur Bildung von Gewerkvereinen waren vorder nur schwache und unbedeutende Versuche gemacht worden, weil die deutsche Socialdemokratie die politische Agitation vorzog. Deutsches Reich. T. Berlin, 11. December. (Telegramm.) Der Kaiser empfing heule Vormittag um 8»/« Uhr den Baurath Schmöckel und hörte danach den Vortrag deS Generals von Habnke. Um 10 Vormittags begab er sich nach dem Entenfang zur Fasancnjagd. LU. Berlin, 11. December. (Privattelegr amm.) Die Deputation zur Errichtung eines Denkmals für die März gefallenen bat unter dem Vorsitz deS Oberbürgermeisters Zelle beschlossen, den Kirchhof in Friedrich-Hain in einen würdigen Zu st and zu setzen. Für da- Denkmal selbst ergab sich keine Majorität. (Fortsetzung deS Dexter in der I. Beilage.) Feuilleton. Der Lärm und unsere Nerven. Von Vr. Kreusler. Nachdruck verdoteu. Fast jede menschliche mechanische Thätigkeit ist mit Erzeugung von Geräusch verbunden. Die Verwendung metallener Hand- wcrkszeuge zur Anwendung aller unserer Gebrauchsgegenstände hat zur nothivrndigen Folge, da jeder Professionist bei Ausübung seines Handwerks Lärm macht. Die Concentrirung des Men schenüberschusses in den großen Städten, welche niemals ein solches Wachsthum erfahren haben wie in unserem Jahrhundert, und vor Allem der Ersatz der menschlichen Kraft du.ch die Maschinen haben es dahin gebracht, daß der Lärm in größeren Orten, welche Brennpuncte industrieller Thätigkeit sind, sich zu einer bedenklichen Höhe gesteigert hat, welcher eine Gefahr für die Nerven der jetzt lebenden und der kommenden Generationen zu werden droht. Wer ein aufmerksames Ohr hat, vernimmt das Sausen und Brausen einer Großstadt bis weit hinaus in die ländliche Stille al» ein unbestimmbares Durcheinander, und wa» wirkliche Ruhe und Stille ist, empfindet der an ein gewisses Quantum Lärm gewöhnte Großstädter erst, wenn ihn der Zufall in einen jener weltentlegenen, verkehrsentrückten Orte führt, welche im Dornröschenschlaf zu liegen scheinen, und deren Laut losigkeit für den nervösen Bewohner der Großstadt oft geradezu etwas Beängstigendes hat. Und doch ist Ruhe eines der wenigen, vielleicht das beste aller Heilmittel, welches dem nervös überreizten Culturmenschen der Jetzt,eit verordnet werden kann. Man stelle sich nur einmal die Unsumme Lärm vor, welche das empfindliche GehörSorgan im Laufe eine» Tages über sich ergehen lassen muß. Schon lange, bevor der Morgen seine ersten bleichen Strahlen zwischen die Häuserzeilen entsendet, beginnt der Lärm der Fuhrwerke, welche mit Milch und anderen Nahrungsmitteln beladen miß- tönig über das Granitpflaster fahren; später gesellt sich dazu das Heer jener, welche unter Rufen, Pfeifen und Läuten ihre Maaren feilbieten; dann treten elektrische Bahnen und Droschken in ihre lärmende Thätigkeit, und so steigert sich von Stunde zu Stunde das Straßengeräusch. Auf der Rückseite der Häuser geht e» derweilen auch nicht stille zu. Das Klopfen von Tep pichen, Decken und Belten in den Höfen oder auf den Wirth- schaftsbalcons martert mit seinem einförmigen Tacte stundenlang das Ohr; Leierkastenmänner, welche auf der Straße nicht ge duldet werden, mißhandeln, unterstützt von johlenden Kinder- schaaren, ihre Instrumente, und in diesem Lärm, der durch die Scheiben der Doppelfenster dringt, der sämmtliche Thcile des Hauses in beständig vibrirender Bewegung hält, sitzen zahlreiche Menschen, welche ihre Gedanken auf einen Punct concentriren wollen. Die Schüler der Gymnasien und anderer Anstalten, welche ihr stundenlanges Arbeitspensum abzuwickeln haben, Stu denten, welche sich auf Examina vorzubereiten haben, Gelehrte und Schriftsteller, welchen der Lärm den Gedankenfaden jäh abschneidet, Richter, welche ihren juristischen Scharfsinn an die Begründung ihrer Urtheile und Gutachten setzen u. s. w. Zu alledem kommt nun noch der — ich möchte sagen — innere Lärm unserer Häuser. Nicht jede Familie hat Mittel und guten Willen, für ihre Kinder ein eigenes Zimmer zur Verfügung zu halten, in welchem dieselben auf schalldämpfenden Decken und Teppichen unbeschadet fremder Nerven ihren Spielen nach gehen können. Oft wird daS zum Theil recht massive Spielwerk, — man denke nur an Baukästen, Wagen, Trommeln und der gleichen — auf dem unbedeckten Boden hin- und hergeworfen, daß in unseren hellhörigen Häusern der darunter Wohnende jedesmal jäh zusammenschreckt, oder es wird das Treppenhaus zum Tummelplatz erkoren. Und obendrein noch, was ein em pfindliches Ohr den Tag über an Musik über sich ergehen lassen muß, die von Berufenen und Unberufenen geübt wird, und in dem eigenen von zahlreichen Parteien bewohnten Hause, aus den Nachbarhäusern, von den geöffneten Fenstern des Gegenüber in buntester Abwechselung und fast unaufhörlich auf unsere Nerven einstllrmt. Die fortwährende Erregung unserer Gehörsnerven ist eine Hauptursache der heute zur Modekrankheit gewordenen Neu rasthenie. Wer eine mehr oder minder mechanische Arbeit aus zuführen hat, weiß die Wahrheit dieser Behauptung kaum zu würdigen. Er begleitet, um den geistigen Theil seines Jchs zu beschäftigen, sein Wert gar noch durch eine Melodie, welche er vor sich hersingt oder pfeift, und es liegt gewiß tief begründet im Egoismus der menschlichen Natur, daß man den Lärm, den man selber macht, nicht empfindet und sich kaum vorstellen kann, wie störend derselbe häufig auf den lieben Nächsten wirkt. Man empfindet das so recht erst, wenn man einmal selbst krank dar nieder liegt oder am Krankenbette eines Angehörigen steht, wie unangenehm der Lärm reizbare Nerven beeinflußt, und wer einmal einen Mittelohrkatarrh gehabt hat und Tage und Wochen lang durch die damit verbundenen subjektiven Geräusche bis zur Raserei gequält worden ist, kann sich verstellen, wie das geräuschvolle Treiben unseres modernen Lebens langsam aber sicher an der Nervenkraft zehrt. Was geschieht nun zur Bekämpfung dieses Uebels? Man sucht durch Polizeiverordnungen den unnöthigen Straßenlärm, das Pfeifen und Läuten der Wagen, das sinnverwirrende Aus rufen der Waarenverkäufer, daS Peitschenknallen der Kutscher rc. einzuschränken. Das sind aber durchaus unzureichende Maß regeln. Viel wichtiger wäre eine gründliche Reform unseres Strahenpflasters. Das übliche Granitwürfel- oder Kopfstein pflaster, welches noch in den meisten Städten die Straßendecke bildet, hat freilich den Vorzug der Dauerhaftigkeit für sich und ist dadurch gleichzeitig das billigste. Aber für das Ohr ist es nicht gut, da ist Asphalt, Holz, Macadam besser. Wenn es nun auch immer unmöglich sein wird, in unseren Hunderttausend- und Millionenstädten die Ruhe der kleinen Orte herzustellen, so ist es doch unzweifelhaft, daß auf diesem Wege wenigstens der größte und empfindlichste Theil des Straßenlärms aus der Welt geschafft werden kann. Schwieriger ist, die wünschenswerthe Ruhe im Hause her zustellen. Der Reiche und Wohlhabende, der im entlegenen Cot tageviertel eine tief im Garten gelegene Villa bewohnt, braucht freilich nur so viel Lärm über sich ergehen zu lassen, als er selber will und verursacht. Wer aber gezwungen ist, in unseren mo dernen Häuserblocks eine bescheidenere Wohnung zu miethen, der ist dem guten oder bösen Willen seiner Nachbarn preisgegeben. Er kann höchstens aus dem Parterre, in welchem er den Stra ßenlärm aus nächster Quelle erhält, und von den über ihm wohnenden Parteien belästigt wird, in den dritten oder vierten Stock ziehen, wo im Vergleich zum Erdgeschoß eine fast idyllische Ruh: herrscht, und er wird dabei auch sonst keinen schlechten Tausch machen, da die geringere Mauerfeuchtigkeit, die bessere Heizbarkeit und Ventilation und das reichlicher Zutritt findende Tageslicht das Wohnen in den höheren Stockwerken zu einem viel gesünderen macht als in den Parterregeschossen unserer viel fach schon an Steilschluchten erinnernden Straßen. Mag auch das Clavierspielen und Singen bei offenem Fenster oder zu vorgerückter Nachtstunde an den meisten Orten polizeilich verboten sein, so bleibt doch noch genug Lärm übrig, der bei gutem Willen abgestellt werden könnte. Hier kann aber nur die plan mäßige Erziehung zu gegenseitiger Rücksichtnahme helfen. Was mich heute in meinem eigenen Treiben nicht genirt, und was ich deshalb mich auch nicht verpflichtet fühle, in Rücksicht auf den Nachbarn zu unterlassen und zu mäßigen, kann, wenn ich es unter veränderten Umständen morgen von Anderen über mich ergehen lassen muß, zur Qual und Plage werden. Hier kann nur die Beherzigung des Sprichwortes helfen: „Was Du nicht willst, das man Dir thu'. Das füg' auch keinem Andern zu."
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