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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.12.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971218011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897121801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897121801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-18
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Man bedenke, daß die Engländer den Bergstämmen mehr Truppen entgegenstellen konnten, als diese Bewaffnete zählten; man bedenke weiter, daß die englischen Truppen über eine weitaus bessere Bewaffnung verfügten, vor Allem über eine zahlreiche Artillerie, während die Gegner überhaupt keine Artillerie besitzen; man bedenke schließlich, daß die Engländer unter kriegsgeübten Osficieren fochten. Und trotz ihrer Ueber- lcgenheit über den Feind io jeder Hinsicht ist es ihnen nicht geglückt, in einem monatelangen Kampfe den Gegner nieder zuwerfen. Sie müssen sich der eingetretenen kalten Jahres zeit wegen aus den Bergländern zurückziehea und können erst im Frühjahr den Kampf forlsetzen. Damit sind für die Engländer alle bisherigen Errungen schaften des Kampfes in Fortfall gekommen. Denn was ist ihnen geglückt? Sie haben eine Anzahl von Befestigungen und Dörfern zerstört und sie haben einem Theile der Ein geborenen Gewehre und Munition abgenommen. Die Be festigungen können die an das raube Klima gewöhnten Ein geborenen wieder Herstellen, und die Munition können sie sich von Denen wieder ersetzen lassen, die sie in diesem Jahre so gut mit Gewehren und Patronen versehen haben. Mag der Emir von Afghanistan seine Beziehungen zu den Aufständischen auch tausendmal ableugncn, so steht doch fest, daß afghanische Große die Aufständischen unter stützt haben, was sie kaum gethan hätten, wenn der mächtige Selbstherrscher mnerlicv so über den Auf stand dächte, wir er sich darüber den Engländern zu Liebe geäußert hat. Die endgiltige Niederlage der Auf ständischen wäre gleichbedeulend m,l der dauernden Festsetzung der Engländer im Kayber-Paß, und diese wieder wäre eine directe Bedrohung für den Emir, da durch den Kayber-Paß der nächste Weg zur afghanischen Hauptstadt Kabul führt. Unterstützt der Emir die Bergvölker also auch nicht selbst, so läßt er eS doch zu, daß Andere sie ^unterstützen. Wenn der General Lockbart in seiner Proklamation an die Afridis von bösen Ratbgebern spricht, so wird er wohl nicht nur an die fanatischen Mollabs gedacht haben. Die Engländer haben also bisher noch nichts in einem Kriege erreicht, der für sie nicht nur sehr kostspielig, sondern auch sehr blutig war. Sie haben bis jetzt 1300 Ossiciere und Mannschaften in den verschiedenen Gefechten verloren, eine recht erhebliche Zahl bei einer Armee von kaum 50 000 Mann. Besonders schmerzlich ist für sie, daß unter den Getöbteten und Verwundeten sich 100 englische Ossiciere be finden, da die Zahl der britischen Ossiciere in der indischen Armee eine sehr geringe ist. Wird der Kampf im nässten Frühjahr fortgesetzt, so können sich die Engländer auf weitere starke Verluste gefaßt macken, denn ihre Hauptgegner, die Afridis, haben bis zum letzten Augenblick keine Spur von Entmutbigung gezeigt, obgleich sie selbst wegen ihrer schlech teren Bewaffnung natürlich viel größere Verluste gehabt haben, als die Engländer. Abgesehen indessen von den Blutopfern und Kosten, ist e« für die Engländer sehr empfindlich, wenn die Wunde an dem Körper deS indischen Ricscnreichs eine offene bleibt. Sw haben da« Riesenland sehr von Truppen entblößen müssen, um an der Nordwestgreoze 50 000 Mann aufstellen zu Wen» sie ständig eine große Truppenmacht an der indischen Rordwestgrenze behalten müssen, so müssen sie entweder die indische Armee auf einen höheren Präsenzstand bringen, oder sie müssen stet« in der Sorge schweben, über völlig un genügende Mittel zu verfügen, wenn etwa im Innern de« ungeheuren Reiche« ein Aufstand auSbricht. Daß solche Aufstände nicht ausgeschlossen sind, haben die verschiedenen Revolten im vorigen Winter gezeigt. Aber noch au« «mem anderen Grunde ist e« für die Engländer sehr bedenklich, wenn sie an der Nordwestgrenze keinen endgütigen Friedtti Her stellen können. So lange, wie sie dort keine gesicherte Grenze haben, sind sie stets in der Gefahr, daß die Nordwestgrenze ein offenes Einfallthor für die Afghanen und die Russen bildet. Die Bergvölker stellen die Verbindung zwischen dem britischen Indien und dem gefährlichsten Gegner deS britischen Riesenreiches her. . E« ist also gleichbedeutend mit einem Mißerfolge, daß die Engländer nicht in einem einzigen Feldzuge deS Aufstande« Herr werden konnten, sondern daß sie an eine neue Campagne zu denken genöthigt sind. Der Wunsch, den Kämpfen an der Rordwestgrenze ein Ende zu bereiten, wird sie vielleicht ver anlassen, den Eingeborenen gegenüber einen weniger hohen Ton anzuschlagen, als sie ihn bis jetzt beliebt Haben, uud als ihn auch General Lockbart beliebte. Wenn die Engländer den Afridi« günstigere Bedingungen stellen, so ist e« möglich, daß, ohne ferneres Blutvergießen, wenigstens aus einige <lahre, ein Zustand der Ruhe hergestellt wird, nicht aber auf länger, hinaus. Reber -en Gesuch des Kaisers beim Fürsten Lismarck veröffentlichen di« „Hamb. Nachr/' folgenden Bericht auS FriedrichSruh vom 16. December: Heute Bormittag um zehn Uhr traf beim Fürsten Bismarck die Meldung ei», daß der Kaiser auf seiner Rückfahrt von Rendsburg gegen sieben Uhr Abend- in Friedrichsruh eintreffen werd«, um in Begleitung seine- Sohne-, deS Prinzen Adalbert, dem Altreichskanzler einen Besuch zu machen. Sofort wurden zum Empfange des hohen Herrn einige Vorbereitungen getroffen, soweit dieses bei der Kürze der Zeit möglich war. An eine festliche Bekränzung der Anknusts- sielle, Illumination uud dergleichen, wie solches von der Bevölkerung der Städte, die der Kaiser mit seinem Besuche beehrt, meisten« in großartiger Weise arraugirt wird, war hier natürlich nicht zu denken, trotzdem fehlte es dem Ereigniß nicht an einer gewissen äußerlichen Feierlichkeit, wenn diese auch nur einen einfach ländlichen Charakter tragen konnte. Die Ortsseuerwehr hatte sich vollzählig in Uniform eingefunden, auch die Eiseubahn- Unterbeamten, soweit sie dienstfrei waren, erschienen in Uniform am Schloffpark, Pechsackeln wurden vertheilt, und nach und nach fand sich aus der ortsansässigen Bevölkerung, unter der sich die Kund« von dem Besuche des Kaisers allmählich herum gesprochen hatte, ein kleine« Publicum vor dem Park- i thore ein, das sich zum Tbeil mit bunten Papierlaternen I ausgerüstet hatte. Die Fackeln wurden zunächst wieder ausgelöscht, I al« di« Nachricht aukam, daß der kaiserliche Sonderzug, der zuerst um pracise 7 Uhr erwartet worden war, über eine halbe Stunde später eintreffen würde. Die Ursache der Verspätung war die ver- zögerte Abfahrt von Rendsburg; die Verspätung betrug ursprüng lich 38 Minuten, wurde aber durch beschleunigte Fahrt noch etwas verkürzt, Um 7 Uhr 32 Minuten hielt der Zug vor dem Schlosse. Graf Rantzau stand am Bahngleis und begrüßte den Kaiser, der in Gesellschaft d«S Grafen den übrigen Herren nach dem Schlosse hin voranschritt, bis zu dessen Thür rin dicker rother Teppichläufer ausgebreitet worden war. Hinter dem Kaiser gingen Prinz Adalbert und die Herren dc» Gefolges: Staat-- secretair Tirpitz, Graf Eulenburg, General v. Hahnke, Staatssecretair v. Bülow, Admiral Knorr, Generallieutenant v. Plessen, Graf Klinkowström, Contre-Admiral v. Senden- Bibran, Wirkt. Geheimrath v. LucauuS, Generalmajor v. Kessel, Major v. Böhu, Hauptmann v. Gontard, General- Arzt vr. Leuthold. Im ersten Vorzimmer erwartete Frau Gräfin Rantzau den Kaiser. Nachdem die Herren vollzählig im Schlosse versammelt waren und ihre Mäntel abgelegt hatten, während welcher Zeit der Kaiser die Frau Gräfin ins Gespräch zog, betrat die ganze glänzende Versammlung, der Kaiser an der Spitze, das Nebenzimmer, woselbst man den Fürsten im Rollstuhl sitzend seines kaiserlichen Herrn harren sah. Nach einer kurzen, aber herzlichen Begrüßung wurde ohne Verweilen der Speisesaal aufgesucht, woselbst für 18 Personen ge deckt war. Der Kaiser nahm zur Linken des Fürsten an der dem Park zugekehrtea Längsseite der Tafel Platz, zu seiner Rechten sah die Gräfin Rautzau, die einzige Dam« au der Tafelrunde. Dem Kaiser gegenüber saß Prinz Adalbert, zwischen dem General von Hahnke und dem Grafen Eulenburg, Fürst BiSmarck zur Rechten Admiral Knorr, neben der Gräfin Herr von Bülow. Der anfänglich auf eine Stunde berechnete Aufenthalt des Kaiser« dehnte sich um die Hälfte länger auS. Der Kaiser schien sehr gut aufgelegt zu sein, uud dir Unterhaltung bei Tische nahm bald ein« recht lebhafte Stimmung an. Um Uhr war das Mahl beendet und während der Kaiser sich zum Kaffee eiue Cigarre auzündete, griff Fürst Bismarck zu seiner langen Pfeife. Aber die Zeit zur Abfahrt drängte und schon nach fünf Minuten erhob sich der Kaiser und verabschiedete sich vom Fürsten, um sich an den Z»g zu begeben. Graf und Gräfin Rantzau gaben dem Kaiser das Geleite. Die vor dem Schloß- thore harrende Zuschauerschaft hatte sich erheblich vermehrt, besonders dadurch, daß nun auch die ganze Schuljugend der Umgegend zusammengcstrümt war. Die Pechsackeln der Feuerwehr beleuchteten das Bild und erhellten den Weg vom Schlosse bis zum Bahngleise. Sobald der Kaiser in Sicht kam, wurde er mit Hellem, fröhlichem Hurrah begrüßt, daß sich noch mehrmals wiederholte, bis sich der Zug in Bewegung setzte. Freundlich winkend dankte der Kaiser, der am Thürsenster seines Salonwagens stehen blieb. Prinz Adalbert stand in der Mitte deS Wagens, durch die großen Scheiben desselben Jedermann deutlich erkennbar, und verneigte sich wiederholt vor den draußen Harrenden. Fünf Minuten vor 9 Uhr rollte der Zug in der Richtung Berlin dahin. Nach der „Nat.-Ztg." bewies Fürst Bismarck in der Unterhaltung, die sehr lebhaft und gemüthvoll verlief, seine alte Energie und Schlagfertigkeit. Er befindet sich leidlich wohl und leidet nur an starken Gichtschmerzea in einem Bein; er trägt darum auch dasselbe in Gichtstrümpfe ein gewickelt, trotzdem ließ er eS sich nicht nehmen, bei der Tafel dem Kaiser und dem ganzen Gefolge gegenüber den liebens würdigen Wirth zu machen. Von der Familie und der der näheren Umgebung des Fürsten waren außer dem Grafen und der Gräfin Rantzau vr. Chrysander anwesend. Deutsches Reich. * Berlin, 17. December. Die bekannte Eheschließungs form auf Helgoland wird, wie Prof. Hinschius heute in der „Deutschen Juristen-Zeilung" erneut ausführt, mit dem 1. Januar 1900 durch das Bürgerliche Gesetzbuch be seitigt. ES treten dann an die Stelle der bisherigen Rechts normen in Betreff der Eheschließung die Vorschriften der tztz 1316 ff. des G. G.-B. Hiernach ist also künftig ein standesamtliche« Aufgebot und die Eheschließung vor dem Staudes-Beamten erforderlich, und die letztere die einzig statthafte und gütige Form für die Eheeingehung. Die Anwendung dieser Vorschriften ist durch die Geltung des Personenstands-Gesetzes, namentlich also auch durch das Gor handeusein eines Civilstandsregisters, vor Allem eines Heiraths rezisters bedingt. Denn die erwähnten Paragraphen des B. G.-B. finden ihre Ergänzung in den Bestimmungen des Reichspersonenstands-Gesetzes vom 6. Februar 1875, welches der Artikel 46 des EinsührungSgcsetzeS unter Festsetzung der durch das B. G.-B. bedingten Aenderungen aufrecht erhält. Wie die Dinge jetzt auf Helgoland rechtlich gestaltet sind, finden das B. G--B. und das Einsührungegefetz dazu am 1. Januar 1900 aber weder einen Standesbeamten, noch ein Civilstandsregister vor, d. h. es ist die Anwendung der erwähnten Bestimmungen praktisch unmöglich, insbesondere könne» die Helgoländer aus ihrer Insel von dem gedachten Tage ab keine gütigen Ehen mehr eingehen, da der Geistliche dann seine Zuständigkeit verlieren uud es an einem Standesbeamten fehlen wird. Vermieden werden kann dieser Zustand nur dadurch, daß mindestens vom 1. Januar 1900 ab auch in Helgoland und zwar durch besonderes Reichsgesetz daö Personenstands- gesetz vom 6. Februar 1875 in der ihm durch Artikel 46 des EinführungsgesetzeS zum B. G.-B. gegebenen Gestalt ein geführt wird. * Berlin, 17. December. Nach der dem Reichstage zu gegangenen Nachweisung der Nechnungsergebnisse der Berufsgenossenschaften auf das Jahr 1896 sind an Entschädigungsbeträgen 51,3 Millionen gegen 44,9 ini Jabre 1895 gezahlt worden. Die Verwaltungökosten haben 7 Millionen, die Ausgaben für Unfalluntersuchungen, Schieds gerichts-, UnfallverblltungS- rc. Kosten 3,7 Millionen und Vie Einlagen in die Reservefonds 4,9 Millionen betragen, so daß eine Gesammtausgabe von rund 67 Millionen scstzustellen war. Der Gcsammtbetrag der Reservefonds belief sich am Ende des Berichtsjahres auf 133,8 Millionen. JnSgesammt wurde» im Jahre 1896, also auch von den Ausführungs behörden rc. für 85 272 Personen Entschädigungen festgrstellt. Die Verletzungen hatten zur Folge in 6989 Fällen den Tod, in 1524 dauernde völlige, in 44 373 dauernde theilweise und in 32 386 vorübergehende Erwerbsunfähigkeit. Die Zahl der von den aetödteten Personen hinterlassenen entschädigungs berechtigten Personen betrug 13 953, darunter 4505 Wiltwen, 9194 Kinder und 254 Ascendenten. Die Anzahl sämmtlicher im Jabre 1896 überhaupt zur Anmeldung gelangten Unfälle belief sich aus 351 789 FrrrlHetsn. Rheinische Gasthäuser. Bon Ludwig EwerS. riatbdruj verbot«». Daß Poesie und Erinnerung Schwestern sind, zeigen wohl nur wenige deutsche Landschaftsgesichter so, wie das Rheinland, weil sich auf wenigen nur beide in dem Matze ausprägen wie hier, ivo von Bauwerken und Mauerrcsten römischer Zeit bis zu dem höchsten Brückenbau und dem Sockel für den größten Reiterstand- lildkoloß, die die modernste Zeit in Deutschland hervorgebracht hat, Alles sich findet zwischen dem Mainzer und dem Kölner Dom. Freilich die mächtige in Lau begriffene Brücke bei Bonn und das Provinzial-Denlmal für Kaiser Wilhelm 1. am deutschen Eck bei Coblenz, wo der ritterliche Rhein die schämige Mosel in seine Arme schlicht, sie werden durch ihre Gröhe und ihren Rang als Nummer Ein« — zunächst, ehe an anderen Puncten Deutschlands noch Kolossaleres entsteht — ein ziemliches Stückchen Poesie todt- drücken und das, weil sich an sie noch keine anderen Erinnerungen knüpfen, als die kampfreichen Präliminarien bi« zu ihrer Grund steinlegung, Zank und Streit über die Plahfragen und beim Pro- oinzioldenkmal noch obendrein die groh« Nachbewilligung für den zu bescheidenen Voranschlag. Gewiß werden auch sie in späterer Zeit einmal ein gutes Theil Poesie bedeuten, wie voraus sichtlich spätere Generationen auch den Fabritschornsteinen Poesie cibgewinnen werden, wir heut« Lebenden aber suchen die Poesie dort, wo auch die Erinnerung zu Hause ist, und diese Heimath unseres feineren StimmungSbedürfnisse» wird einstweilen immer mehr eingeengt durch die rücksichtslos sich breit machende Alltags- gegenwart. Wie sollte do« am Rhein ander« sein al» überall, auf dieser Jahrhunderte, ja mehr al» anderthalb Jahrtausende ollen Völkerstraße, über die heute zu beiden Seiten de« Strome« auf zwei der verkehrsreichsten Strecken die Eisenbahn dahinsaust und die durchgehenden Wagen London—Basel, Köln—Mailand, Ostend«—Wien ungezählte Reisende hin- und her befördern. Daß trotzdem noch immer ein unschätzbarer Reichthum an Poesie sich hier erhalten hat, ist wohl zuvörderst der Gemüthlichkeit de« Rheinländers zu danken. Diese Gemüthlichkrit wurde früher hauptsächlich durch die rhei nischen Gasthöfe repriisentirt. Wer an den Rhein kam, hielt sich auch auf, probirte langsam Wein und Gegend und suchte, be sonder« in den Jahrzehnten deS Träumens von Kaiser und Reich, de« Ringen» nach Einigung der deutschen Stamme, am Rhein va terländische Erhebung. Da man noch keine Blitz- und Exprcßzüge kannte, mußt« man sich schon Zeit lassen und that es gern, zu mal wenn man aus dem Norden und Osten an dies gesegnet« Fleckchen Erde kam, zu diesem lustigen Völkchen, dem die lachende Natur Alle« so reichlich giebt, und das daher mehr Zeit und Kraft auf den Lebensgenuß verwenden kann als andere. Der Rhein« länder hat auch heute noch ziemlich viel Zeit und nimmt bei seiner großen Gutmüthigkeit nichts so übel, wie wenn er nach seiner Art erzählt und der Hörer will die Pointe beschleunigen. DaS hat indessen der Gastwirth doch mit der Hast des modernen Verkehrs ablrgea müssen, er hat sich den Verhältnissen anbrquemt, an dern WirthShaus ist da» Hotel, aus dem Gastwirth der Hotelier und auS der blli» dospitalis der befrackte Kellner geworden. Freilich zu den übrigen einbringlichen Gewerben ist als eins der ertragreichsten di« Fremdenindustrie gekommen, die am Rheiu besser blüht, als die vollsten Weinjahre, aber ein Stück Poesie ist auch von ihr verdrängt; das echte rheinische Gasthaus ist am Rhein selten geworden. Wer es sucht, der muß in die Seitrnthäler gehen, er findet es noch durchweg an der Mosel, wenigstens an der Untermosel, von Cochem bis Coblenz, an der der Verkrhrsstrom vorübrrrast, ohne zu bedenken, daß die stillen weißem Moseldörfcr mit ihren Ruinen und guten Weinen wahre Schätze von Romantik bergen, daß man vom Gaschos zur Burg Eltz in Moselkern den Blick auf die schönste Felspartie an der Mosel hat, daß bei Hatzenport ein un gemein süffiger Wein wächst, daß hinter Brodenbach mit seinen woiaumsponnenen Laubensitzen die stolzeste Ruine, die Ehrenburg, hoch und herrlich auf spitzem Felsregel über die Hunsrückberge emporschießt, daß in dem Winninger und Koberner Plan der Aristokrat unter den Moselweinen wächst und als Brauneberger in den Handel kommt, und daß vor allen Dingen hier reinliche Einfachheit in billigen Gasthöfen den Wanderer selbst bedient. Man kann'S hier erleben, wenn man da« romantisch« Thal mit seinen engen Felsen, an denen der Wein in unermeßlicher Fülle emporkleitert, bi« Lochem durchwandert, daß man keinen einzigen Kellner zu sehen bekommt. Ebenso ist r» an der Wied, lange nicht ganz so an der Lahn, an der Ahr und an anderen Nebenflüssen. Am Mein aber sieht Hotel neben Hotrl, «in» immer anspruchsvoller al» da» andere. Welch ein Zauberklang liegt in dem Namen Rüdesheim, und wie sieht der Ort heute aus! Das Straßenrechleck um den Bahnhof Friedrichstraße in Berlin hat nicht so viele Hotels aus einem Haufen, wie Rüdesheim an der Rhein-Straße; dazwischen linst der trotzige, grünumrankte uralte Klotz des Ingelheimer Schlosses mit seiner malerischen Zerfallenheit wie ein hilfloser, halberdrück ter Greis, der das Nationaldenkmal hoch droben über den köst lichen Weingeländen de» Niederwaldes anzuklagen scheint. Läge di« idyllische Wirchschaft des Weinbauern Maßmann mit ihrer grünen Laube und ihrem guten Schluck, ihrer altenWirthin und den bedienenden Mägden nicht der Dampferbrücke gegenüber, man würde sie kaum finden. Ebenso wie hier, vor dem Zusammen schluß des felsverengten Rheinthale, ist es drunten vor dem völli gen Zurücktreten der Berge, in Königswinter, wo nur das kleine von den Bonner Studenten mit Vorliebe ausgesuchte Gasthaus von Vellinghausen mit seinen grünen Jalousien und dem Lauben garten das alte gemüthliche Gasthaus am Rhein repräseistirt. Daß hier ein Hümpchen Bowle viel schöner und selbst derechte Königs- winterer Goldtropfcn oder das berüchtigte Drachenblut, das nicht nur die Vögel verstehen, sondern auch die Engel singen hören lehrt, viel edler schmeckt al» auf einer modernen Hotelterrasse — das kann nur der bestätigen, der beide» genossen hat. Aber wie diese genannten Wirthshäuser beweisen, giebt es doch am R>hein noch Gasthäuser, in denen sich auch heute der nord deutsche Sänger jener Stimmung: „und abends im Städten, da kehr' ich durstig ein" glücklich fühlen würde mit seinen fauch- und trinkhaften Freunden, die zu Anfang der vierziger Jahre die Ro mantik des Rheins in Liedern und Römern erklingen ließen und gern am Fuß des Siebengebirges bei Karl Simrock auf seinem gastlichen Landsitz Menzenberg das rothe Eckenblut zechten. Das Andenken ihrer Thaten wahrt noch heute die Krone aller alten rheinischen Gasthäuser, die „Krone" in Aßmannshausen. Man muß schon in der Lage sein, es machen zu können, wie der Pfarrer Aßmann, der's bekanntlich machte, wie er wollte, um nach Aßmannshausen zu kommen. Denn hier halten weder Schnellzüge noch Rheindampfer, und wer nicht gern mit Bummel zügen reist oder auf dos Localschiff Rüdesheim—Bingen—Aß- mannshausen warten will, das tags manchmal fährt/der muß schonzuFußoderzuRad von Lorch- oder von Rüdesheim sich nahen. Aber wer sich naht, der naht auch in Ehrfurcht dem alten Haus, das eine Gedenktafel mit Freiligralh's Namen über der Thür trägt. Denn Freiligrath Hot hier in den vierziger Jahren ge wohnt, und mit den rheinischen College», insbesondere Emanuel Geibel, der nach seiner Pensionirung noch St. Goar zog, lustig ge zecht. Davon zerlgen noch heute die Autogramme des Dichters, die im Gastzimmer hängen, Verse, fröhlichen Stunden entsprossen. Doch nicht nur Dichter, die sich hier verewigten, sondern auch Maler kehrten in der „Krone" ein, und auch sie hoben ihr« Spuren zurückgrlaflen:d«r Hau»flur ist tapeziert fast mit Gemälden. Näm lich der Kronenwirlh war damal» sowohl Rheinländer wie Mensch, und kam so ein Farbenmann mit Schlapphut und fliegender Tra- vatte zu ihm, der gut uralte und gut zechte und nachher seine Zeche nicht bezahlen konnte, so fand der Wirth einen sehr richtigen Zahlungsmodus: er ließ den Künstler eben mit dem zahlen, was er hatte; konnte der so gut malen wie zechen, so wurde «in Gemälde in Zahlung genommen. Dadurch hat die Gemäldegalerie ihren unschätzbaren Werth gewonnen, der nicht in den Namen liegt — obgleich auch große Namen vertreten sind, die thoils erst nachher groß geworden sind und deswegen hier nicht genannt werden sollen — nicht in den Namen, sondern in dem Können, das jedes Bild documentirte. — Also war's in alten Zeiten . . . ob's heute noch o ist, kann ich natürlich nicht wissen, da ich kein Maler bin. Aber das weiß ich, daß der stets kalt aufgetragene rothe Aßmannshauser ohne Tadel ist, und daß man die Gäste, die als trunkbewährt mit icherem Blick erkannt sind, auch für die Nacht versorgt. So ein ambrosischer Schoppen Aßmannshauser auf dem Nachttisch, beim Erwachen in der Sommernacht genossen, wenn durchs offene Fenster her der Rhein Wunder und wilde Märe rauschend kündet, begöttert zu neuem Traumleben und belebt zu frischem, froh eligem Erwachen am Morgen. Daß der rothe Götlertropfen auch als Unterbrechung des Schlafs mitten in der romantischen Nacht genossen, mit dem Katzengeschlecht in keiner Beziehung steht, rst bei seiner keuschen urgesunden Reinheit selbstverständlich. Diese Art der Gastfreundschaft, denn das ist sie im wahren Sinne des Wortes, wird am besten dadurch gekennzeichnet, daß manche Gasthäuser aus gastlichen Häusern entstanden sind. So lebte in Godesberg, dem reizenden Villenparadies eine Stunde von Bonn stromaufwärts, in den sechziger und siebziger Jahren ein Mann, der wegen seiner Gemüthlichkeit, seines Humors und seines guten Weines viele, ja, nur Freunde hatte; für Godesberg hat er in Bezug auf Wege und Anlagen zur Förderung des Ortes Unvergängliches geleistet, und die Professoren der Universität Bonn kamen gern zu ihm, erfrischten sich an seinem Humor und zechten mit ihm. Aber seine Gastfreiheit, die, wenn Freunde da waren, den Wein in Strömen fließen ließ, bedrückte die Freunde, und endlich schlug man ihm vor, er solle sich die Schank concession erwirken und aus seinem gastfreien Haus ein Gasthaus machen. Freilich wollte er nichts davon wissen, aber dem Drän gen gab er nach, und so entstand im Anfang der siebziger Jahre der Gasthof „Zum Adler" in Godciberg, und in dem Fremdenbuch sind noch heute die Namen der feuchtfröhlichen Begründer dieses Gasthofes zu lesen. Mancher Student, der sich in Bonn ein schönes Sommerscmester, Geld im Beutel und Uebermuth im Her zen, Studirens halber aufhält, sieht in diesem Stammbuch ver ehrungsvoller und dankbarer die Namen der Professoren, die dieses kleine lustige künstlerische Asyl für Durstige mit ins Leben ge rufen haben, als er da» sckwarze Brett im Flur der Universität studirt. Nicht überall, aber vereinzelt, wie Veilchen im Wiesengrün, stehen diese Wirthshäuser noch am Rhein, in denen neben der Ethik des Gelderwerbs auch noch ein Stück Aesthetik lebt, in denen Poesie und Erinnerung den Becher kredenzen.
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