Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.12.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971224015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897122401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897122401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-24
- Monat1897-12
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
II»». W.Lpp.36 .22.05.500 .v.22.!>l-<'. Z.1öe.50L. »»VN. >»«». x«rv 8<: 000,806. 88er— elsit»n. L Ll s i ^ at es es SS 88 k «»rk rL2E6. ^«2 BezngS-PreiS I» der Hauptexpeditron oder den im Stadt, bezirk und den Bororten errichteten Au«- gabrslellen ab gedolt: viertelicchrlich^l4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« X 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierlestährlich ^l 6.—. Direkte tägliche Kreuzdandiendung inS Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AuSgabr erscheint um '/,7 Uhr, dir Abend-Au-gabe Wochentag- um 5 Uhr. Ne-aclion und Erveditiou: IohanneSgaffe 8. Di«Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend» 7 Uhr. Filialen: Ltto Klemm'- Sortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstratzr 3 (Paulinum), Laut» Lösche, Katbarinenstr. Part, und König-Platz 7. Morgen-Ausgabe. WpMcr.Tagcblatt Anzeiger. Ämtsvratl -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nattjes nnd Nalizei-Ämtes der Stadt Leipzig. «55. Freitag den 2^. Decem-er 1897. Anzeigen Prei- V.e sigespallene Pekitzeile 20 Pfg. Reklamen unter demRedactionSstrich (4ge- spalten) 50^, vor den Familiennachrichtru (6gespalten) 40 N,. tyrotzere Schriften laut unserem Preis verzeichnis,. Tabellarischer und Ziffern''« tz nach höherem Taris. Hytra Btilagktt (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderung .ei M.—, mit Postbesörderung .ei 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abenv-AuSgabe: Bormittags 10 Uhr. . Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die (prpeditian zu richten. Druck und Berlag von E. Polz in Leipzig. Sl. Jahrgang. Anzeigen für die Frühnnmmer von Montag, den 27. d. M., erbitten wir bis spätestens heute Abend 7 Uhr. Unsere Hochschulen und öffentliche Kundgebungen. Or. v. 8. Wir befinden uns zur Zeit auch im akademischen Leben in einer gäbrenden Periode beständiger Demonstrationen. TaS fremdsprachliche Ausland kann hierbei außer Betracht bleiben, denn ob z. B. die französischen Studenten für einen angeblichen Berräther oder für einen notorischen Verleumder (t la Rochefort demonstriren, wird nickt wirkungsvoller sein, als wenn ihre griechischen Kommilitonen zu Gunsten der belleniscken Staatskasse einen Aufruf an die Großmächte er lassen, oder wenn fick in Rumänien die akademische Jugend in antisemitischen Straßenkrawallen, in Italien in examens feindlichen Special-Revolutiönchen ergebt. Einen anderen Cbarakter gewinnt jedoch die Sache, wenn sich eine ganze an der Spitze der Civilisation stehende Nation der offenkundigen Rechtsbeugung nnd Gewalttbat einer bru talen Mehrheit gegenüber im Zustande der Nothwehr be findet, wenn es fick, wie in letzter Zeit mehrfach und ver schiedenen OrleS, um ihre geistige wie physische Existenz ban delt. Dann ist es keineswegs zu verwundern, wenn auch die akademische Jugend deinonstrirend auf die Straße steigt, wenn die von Vaterlandsliebe getragene Bewegung elektrischen Funken gleich auf andere Hochschulen des Reiches und des stammverwandten Auslandes überspringt, da zündet und zur bellen Flamme wird, dort begeistert und im Kampfruf wieder- lmllt. So erklären sich die Vorfälle auf Oesterreichs hoben Schulen, und wenn gerade in diesen Blättern über manchen ungehörigen Exceß ihrer leicht erregbaren Studentenschaft keines wegs zurückgebalten wurde mit Kritik nnd Tadel, so wird lick beute, — so weit die deutsche Zunge klingt, — nur eine Stimmung gellend machen, das Mitgefühl und solidarische Srammesbewnßlsein, der gebieterische Glaube alteingewurzelten Rechtsgefühls. So war schon die Sympathie - Knndgebung aufzufassen, welche vor einem halben Jahre cmf Anregung Alt-Heidel bergs fast sämnstliche Professoren der Reichsdeutschen Univer sitäten an die deutsche Universität zu Prag aus Anlaß ihrer Haltung in der bekannten Spracheuverordnungsfrage richteten, so fassen wir beute alle jene akademischen Kundgebungen auf, welche sich von reicksoeulschen Studenten an die Adresse der Commiliionen in Prag, Wien und Graz richten. Das Recht ist ausschließlich der Gradmesser, welcher all' diese Kundgebungen weit über jede zufällige Beifalls- oder Beileidsbezeugung emporhebt. Zudem bandelt es sich aber um nationale Angelegenheiten im Sinne bedeutungsvoller Eulturfragen, und daß in solchen, selbst wenn die äußeren Momente nicht so zwingender Natur sein sollten, die Hoch schulen und ihre Angehörigen eine gewichtige Stimme, ja sogar die Pflicht haben, sich sachgemäß zu äußern, unterliegt Wohl keinem Zweifel. Ebensowenig können Kundgebungen auffallen, welche in Hockschul-Angelegenheiten, also in eigener Sache, sei es von dem geschlossenen Ganzen der Hochschul-Angehörigen, sei Ferirlletsn. Oer Weihnachtsmann. Von Elsbeth Friedrichs. Nickdciick vcrbetk». Erstes Bild. „Mutter, sieh hier; das hat das Christkind vom Himmel her- untergeworfcn, nebenan bei Erdmann's Anning." Mit glühendem Gesicht war der kleine Bursche zur Thiire hereingestürmt und legte mit diesen Worten ein rothes, zusam mengebundenes Tuch in den Schoß der Mutter, welche einsam beim trüben Lampenlicht neben dem Tische saß. Sie schob den Spinnrocken zur Seite und, den einen Arm um den Knaben legend, knüpfte sie mit stillem Lächeln das Tuch auf. Aepfel, Nüsse und kleine braune Kuchen rollten heraus, und von Neuem jubelte das Kind, als sie zum Vorschein kamen. „Dieses sollst Du haben vom Christkindlcin," sagte der Knabe und schmiegte sich an die Mutter. „O, es schneit so lustig drau ßen, und kein Licht brennt in Erdmann's Stube, und als Erd mann's Großmutter die schönen Geschichten erzählte vom Christ lind, das den Weihnachtsmann zu uns schickt, da — springt die Thiire auf und herein fliegen viele schöne süße Sachen, die wir aufsammeln durften, und da hab' ich gleich gedacht, ich wollt'S Dir bringen. — Darf ich nun auch eins essen?" „Gewiß darfst Du das. Aber bist Du denn noch gar nicht müde? 's ist spät, mein Liebling." „Ach Mutter, blase die Lampe aus und erzähle mir eins vom Weihnachtsmann, willst Du lieb' Mutting? Und dann sage ich nochmal meine Berslein auf! Ja?" Gern wurden diese Wünsche erfüllt. Und den Knaben auf dem Schoße saß die einsame Frau auf der Ofenbank und vergaß >eim traulichen Knistern des Feuers und unter dem Zauber der 'Weihnachtszeit auf eine halbe Stunde des schweren Leides und der Sorgen, welche ihre Seele belasteten. Andächtig lauschte der Knabe ihren Erzählungen, die sie mit leise bebender Stimme hervorbrachte. O ja, sie wußte Manches zu sagen von der Weihnachtsfreude und Weihnachtslust; denn sie stammte aus einem gesegneten Vaterhause, aus fröhlichem Geschwisterkreise. Und nun lllcs lag wie ein Traum hinter ihr, sie schöpfte daraus für ihren Knaben, ihm die einzige Weihnachtsfrcude damit reichend, die sie zu bieten hatte. Und als das Kind in ihren Armen zu gähnen begann und dann sein Köpfchen zum Schlummer an ihre Brust sank, da begannen ihre Lhränen zu fließen und sie empfand eS von einzelnen Tbeilen oder Persönlichkeiten deS Lehr oder LernkörperS auSgehen. Es wird Niemanden mißliebig ausgefallen sein, wenn vor nicht allzu langer Zeit die Professoren-Eollegien der ver schiedenen Hochschulen und Facultäten das Wort in der wichtigen Discussion über die Regelung der Professoren gehälter ergriffen haben, und wo solche Emanationen nickt, w. z. B. in Graz, über den Rahmen der sachlichen Behandlung hinausgingen, haben dieselben, trotz der Getbeilt- beit ihrer Ansichten, zweifellos zur Klärung und besseren Erledigung der Frage wesentlich beigetragen. Nicht viel anders liegt die Sache, wo einzelne Hochschul angehörige bezw. Professoren als Sonder-Interessenten oder Demonstranten in mehr persönlicher Weise aus dem GroS ihrer College« und auch aus dem Nahmen der Hochschule berauSlrelen und Stellung nehmen zu Ereignissen oder Fragen nationaler oder internationaler Art als Erkenntniß- Problemen wissenschaftlicher Forschung, denn wir baden in der Presse, und zwar in der politischen Presse so gut als in der Fachpresse, ein so gebräuchliches und an erkanntes VerständigungSmittel, daß eine Erörterung solcher Fragen durch berufene Hochschullehrer an dieser Stelle selbst dann noch nicht unangenehm empfunden werden kann, wenn in derselben die sub>ective Anschauung die objeclive Erörterung überwiegt. Aus solchen Kundgebungen, deren Bedeutung im geraden Verhältniß zur Autorität ihrer Urheber wächst, bildet sich nicht selten die öffentliche Meinung. Es ist somit einer derartigen Meinungsäußerung selbst in den heikelsten Fragen der Gegenwart in religiösen, politischen und socialen Angelegenheiten der denkbar werteste Spielraum gelassen. ' - . Wenn also beispielshalber Professor So hm-Leipzig vor Kurzem in der „Tägl. Rundschau" öffentlich Verwahrung einlezte gegen den dem Pfarrer Naumann wegen Beleidigung eines Armeecommandos gemachten Proceß, so hätte er hierzu selbst dann noch das Recht gehabt, wenn er ausschließlich in Wahrnehmung persönlicher und nicht, wie seinem Artikel entnommen werden.mußte, in der Wahrnehmung nationaler und socialer Interessen so gebandelt hätte. Gegen Kundgebungen auf dem gebräuchlichen, man darf wohl sagen legalen Wege kann somit eine Erinnerung oder gar, falls der Betreffende gewissen Verordnungen oder Ge setzen untersteht, eine Handbabe zur Anwendung der letzteren nicht gefunden werden. Es ändert sich jedoch die Sachlage vom Momente, wo die Kundgebung einen agitatorischen oder herausfordernden Charakter annimmt, und in solchem Falle wird der Urheber auch dann die öffentliche Meinung noch gegen sich haben, wo ein gesetzliches Einschreiten in Folge mangelnder Bestimmungen ober wegen unvollständiger Er schöpfung LeS durch vas Gesetz vorgesehenen Thatbestandes nicht erfolgt. Wenn die Autorität des Wissens zu Parteizwecken miß braucht wird, dann steht auch die geistreichste Kundgebung in keinem Verhältniß zu dem wirklich erreichbaren Erfolg und wird sich auch selten oder nie zu einem thalsächlichen oder auch nur moralischen Nutzeffekt verdichten können. in diesem Augenblick die Armuth niemals bitterer als gerade zur Weihnachtszeit. — Wieder brannte die Lampe auf dem Tische, und das Schnurren des Spinnrades erfüllte den Raum. Von Zeit zu Zeit hielt die Spinnerin inne in ihrer Arbeit und horchte, den Kopf erhebend, auf die tiefen regelmäßigen Athemzüge, welche aus dem Bettchen drüben hervordrangen. Sie hatte ein Stückchen dunklen Papieres oberhalb des Lampenglases befestigt und es nach der Seite ge schoben, wo der Knabe schlief, damit ihn das Helle Licht nicht be lästige: denn nur diesen einen Raum besaß die Hütte, der im Winter bewohnbar war, und wäre nicht der glänzend braune Kachelofen, in welchem eine mächtige Baumwurzel knisternd ver brannte, an seinem Platze gewesen, so hätte er wohl jeder Behag lichkeit entbehrt. Nur auf das Nothwendigste ivar die Ausstattung der Wohnung beschränkt, und dieses bestand aus einem hölzernen Tische nebst wenigen Stühlen — die Ofenbank bildete ein gehobel tes Brett, welches auf zwei Holzklötzen ruhte — an der einen Wand stand eine uralte Truhe und drüber ein braunes Holzgestell, angefüllt mit einigen Tellern, Töpfen und zinnernen Löffeln. Die beiden Betten — ein großes und daneben das Kinderbett — standen dem Ofen gegenüber. Aber auf einem Seitenbrettchen prangte in einem glänzenden Gefäße ein hübsch geordneter Strauß rothrn Heidekrautes, und einige dunkelgrüne Kiefernzweiglein steck ten hinter den Rahmen der wenigen Bilder, welche die Wände bedeckten. Von draußen drang es in gleichmäßig wiederkehrenden Stößen wie von tosenden, brausenden Wafserwogen herein. Die einsame Frau hörte es nicht mehr, es war das Heranrollen der Meeres wogen, die über aufgethürmte schimmernde Eisschollen brausend an die Küste schlugen. Sie spann emsig; denn morgen in der Frühe, wenn die Wege einigermaßen passirbar waren, wollte sie in das nächste Pfarrdorf, um das bestellte Garn abzuliefern. Und dann — sie berechnete den Erlös. Er reichte kaum aus zum An kauf der nöthigsten Nahrungsmittel, deren sie und ihr Kind für die nächste Zeit bedurfte, bis eine neue Arbeit beendet sein würde. Aber wenn sie keine neue Bestellung erhielt? Was dann? — Ver kauft hatte sie Alles, was entbehrlich war, und jetzt gab die Kuh keine Milch. — O, der lange, lange Winter, und dann die Weih nachtszeit. Da lag das Kind, für welches sie lebte, leben mußte, und träumte vom kommenden Weihnachtsabend. „Ach" — Das Rad stand still und die fleißigen Hände bedeckten für Augen blicke das Gesicht. Nur wenige Groschen für einige Lichtlein, einige Aepfel und Nüsse und eine kleine, kleine Gabe für das Kind! Wie wenig bedurfte es zur Weihnachtsfreude, wie wenig! — Noch eine Bestellung und, noch waren es einige Tage und Nächte bis zum Weihnachtsabend. Die „Hamburger Collecten-Affaire", welche ob genannte Grenze in bedenklicher Weise streifte, ist ein sprechen des Beispiel hierzu, verschiedene Kundgebungen des National ökonomen Prof. Brentano in München sind dagegen direct als Exempel negativster Art zu betrachten. Ein Agitator wie Bebel kann in einer Studenten versammlung den anwesenden Akademikern ungescheut die Vorzüge der Socialdemokratie anpreisen und sich in Ver achtung über di- traurige Lage der BourgeoiS-Wirthsckast ergehen; das wundert Niemanden! Wenn aber ein hoch angesehener Hochschullehrer, eine anerkannte Autorität der Schule wie des Lebens, in einem Festvortrag für die akademische Jugend den moralischen Bankrott einer großen politischen Partei verkündet, aus deren Kreisen vie Hochschulen selbst bis dahin wohl den größten Zufluß erfahren haben, dann muß man sich verwundert fragen, kann auf solche Weise dem politisch noch unmündigen Studenten wirklich die richtige „Stellung zu den social- politiscken Aufgaben der Zeit" vorgezeichnet werden!? Auf solchem Wege dürften unsere Studenten am aller wenigsten zu einer vorurtheilsfreien „Betrachtung der Dinge vom Standpunkte des Ganzen" gelangen, denn ihnen fehlt noch auf Jahre hinaus der freie Blick in die sichere „Erkenntniß der Wahrheit", die ihr berühmter Lehrer trotz der Einseitigkeit seiner momentanen Kundgebung vor ihnen voraushat. Viel glücklicher ist da Prof. Sombart im gleichen Falle gewesen, als er kürzlich auf dem Stiftungsfeste des Berliner social-wissenschaftlichen Studentenvereins in seiner Festrede über „Wissenschaft und Politik" die letztere kategorisch auS den Hörsälen der Universität und ans dem jugendlichen Kreise der Studentenschaft verwies. Und wenn wiederum Prof. Brentano es für zweckmäßig cracktet, seine eigene Autorität in dem von ihm selbst als furchtbar bezeichneten socialen Kampfe der englischen Maschinenbauarbeiter gegen ihre Arbeitgeber zu engagiren, und denselben mit einem ziemlich provokatorisch klingenden öffentlichen Schreiben einen Beitrag zu dem Streikfonds zu übersenden, so kann man gegen solche Kundgebungen unserer Hochschullehrer nicht energisch genug Verwahrung einlegen. Es hätten Prof. Brentano Wege genug offen gestanden, auf welchen er nicht weniger wirkungsvoll seine Ansicht in dieser hoch bedeutsamen socialpolilischen Frage hätte zur Geltung bringen können, und wenn er eS außerdem für nöthig befindet, die Streikenden finanziell zu unterstützen, so ist das, sachlich ge nommen, wvbl sein unantastbares Recht. Seine Pflicht der Rücksichtnahme auf die durch sein Vergeben in Mitleidenschaft gezogene Hochschule verdient aber nicht geringere Beachtung als sein Recht, und der einzig mögliche Compromiß zwischen Recht und Pflicht ist in diesem Falle eine sachgemäße Vorsicht in der Wahl der Art und der Mittel seiner Kundgebung. Man rede nickt immer wieder von „Schmälerung der bürgerlichen Reckte", oder von den Professoren als „Bürgern II. Classc", — der Landesfürst selbst muß sich als „erster Bürger nnd Beamter" Sie erhob den Kopf und ihre Augen fielen auf den Haus segen, welcher über der Thiire hing. „Die Liebe hört nimmer auf." Ihr Herz begann sich mit unbestimmter Hoffnung zu füllen. Und doch — für sie hatte das Leid nicht aufgchört, auch ihre glück lichsten Stunden, welche das kurze Eheleben ihr gebracht hatte, waren gemischt gewesen mit Leid, und jetzt, ach, das Weihnachts fest machte es fast unerträglich. Wieder drehte sich das Rad und mit ihm die Gedanken. Sie kannte wohl die wonnige Weihnachtsfreude, die zitternde Erwartung des Kindes. Auch sie hatte einst ebenso daheim im Bettchen gelegen mit weit offenen Augen und hatte die Tage ge zählt. „Wie oft muß ich nun noch wach werden, bis der Weih nachtsmann kommt?" Die Mutter hatte ihr lächelnd geantwortet, und dann war der Christabend gekommen, und Vater und Mutter, Schwestern und Brüder, Magd und Knecht — Alle hatten unter dem strahlenden Baume gestanden. Die Mutter hatte auf dem alten Claviere gespielt und „Stille Nacht, heilige Nacht", war es im Chor durch den Raum erklungen. Dabei war der Vater dann immer verschwunden und sobald die letzten Worte gesungen waren, schlugen die Hunde an, und mit vielem Gepolter war man zur Treppe heraufgekommen, die Thüre hatte sich geöffnet, und hereingestampft war der Weihnachtsmann, schneebedeckt und gabenbeladen. Dann hatten sich die kleinen Hände gefaltet, und Jedes hatte seine Verslein gebetet und mit Ehrfurcht aufgeschaüt zu dem gehcimnißvollen Boten des Christkindleins. So war es viele Jahre gewesen daheim, und die Geschwister waren herangewachsen und aus dem Vaterhause geschieden. Sie war immer die kleine Försterliese geblieben; denn sie war die Jüngste von Allen, und der Vater — ach, das sagten Alle — hatte seine Freude an ihr. Dann Ivar ein Weihnachtsabend ge kommen, an dem kein Lichterbaum brannte. Die Mutter war ge storben, und es war gewesen, als sei plötzlich das Band zerrissen, welches Alle an einander kettete. Der Kreis wurde kleiner und kleiner. Der älteste Bruder wanderte aus nach Amerika, Schwe ster Marie starb bald darauf, und am darauffolgenden Weih nachtsabend stand Louise das letzte Mal am Tische, Hand in Hand mit dem erwählten Manne, der sie bald darauf mit sich nach Hol land führte. Die Brüder hatte ihr Beruf weit fortgebracht ins bunte Leben hinein, und dann blieb sie allein mit dem Vater, allein auf der einsamen Försterei im tiefen Walde. Sie war immer regelmäßig und gern in die Kirche gegangen, obwohl der Weg dahin durch den Wald sich sehr weit hinzoq. Zuerst hatte die Mutter sie es so gelehrt, und nachher zog es sie von selbst hin. Die Macht der Rede, die Macht der Liebe und der Wahrheit hatte sie immer gefesselt und tief bewegt, und sinnend des Staates noch ganz andere Reserve auferlegen als der Fürst im Reich der Wissenschaft, und was den Einen ehrt, ist auch des Andern Werth! Die Boycottirungsversuche der Gedanken- und Meinungs freiheit auf deutschen Hochschulen, wie sie in den absolutistischen „Kundgebungen" eines „Königs von Saarabien" zu Tage treten, sind niemals nach unserem Geschmacks gewesen, wir wissen uns aber Eins mit den bedeutenden Verfechtern der wahren und vornehmen Geistes- und Lehrfreiheit, wenn wir nickt nur volles Gewähren von der einen, sondern auch tactvolles Zurück- und Maßhalten von der anderen Seite beanspruchen: „Es giebt nur eine Atmosphäre, in der die wurzelechte Arbeit des Geistes gedeiht, selbst die staatliche, geschlossene und zünftige, das ist die reine Bergluft der Freiheit und volle Un abhängigkeit." Der preußische Cultusminister hat selten ein schöneres Wort gesprochen als dieses; bevor wir ihn aber bei diesem Worte nehmen, wie dies in den letzten Tagen durch die Presse schon so vielfach geschah, seien die zur Freiheit in erster Linie Berufenen daran erinnert, daß sie die Höhenluft der Freiheit auch wirklich rein er halten! M unser ostasiaiisckes Geschwader kriegstüchtig? In einem vielbesprochenen Aufsatz behauptete diejer Tage die „Morning Post", die Schiffe, die Deutschland in Ostasien zusammenziehe, seien weder nach Armirung noch Fabrt- geschwindigkeit auf der Höbe der Zeit, obwohl sie das Beste darstellten, waS die deutsche Flotte zur Zeit aufbringen könne. In solcher Verallgemeinerung enthält dieser Tadel denn doch eine grobe Entstellung der Tbatsachen. Daß unser Kreuzergeschwader, schreibt die „Köln. Ztg.", sich nie und nimmer mit dem starken ostasiatischen Geschwader der britischen Flotte messen kann, weiß auch bei uns Jeder, und daß unsere für die Kiao-Tschau-Bucht bestimmten Kreuzer das weder sollen noch werden, wissen wir ebenfalls. Aller dings kann die kleine, in ihrer naturgemäßen Entwickelung so unglücklich gehemmte Flotte des deutschen Reiches es sich noch nicht leisten, Panzerkreuzer und mehrere moderne Kreuzer erster und zweiter Classe auf eine auswärtige Station zu schicken — auS dem einfachen Grunde, weil sie noch nicht vorhanden oder wenigstens noch nicht in den Dienst gestellt sind. Um aber einer diplomatischen Action, die voraussicht lich keine ernstlicher« kriegerischen Verwicklungen zur Folge haben wird, Nachdruck zu verleihen durch eine kleine Flotten kundgebung, brauchen wir nickt gleich das Beste, was die Flotte aufweist, binauSznschicken, und das Beste, der Kern unserer Flotte, ist und bleibt daS erste Geschwader, vor Allem die erste Division mit den vier neuen Hochseepanzerschiffen war sie allsonntäglich durch den stillen Wald heimgekommen. Bei schönem Wetter hatte sie wohl zuweilen den etwas weiteren Weg über die Höhe eingeschlagen; denn der Pfad führte hoch oben rechts vom Waldessaum und links am Strande entlang, und berührte daneben das auf einsamer Höhe gec.gene Stranddorf Freesdorf. Es bestand aus wenigen Häusern, welche vor Jahren die Sturm fluth übrig gelassen hatte. Für sie besaß dieser eigenthümlichc, von den brausenden Wogen bespülte Ort einen romantischen Reiz Ganz vorn, dem Wasser am nächsten, lag ein einfaches sauberes Häuschen. Dort hatte der junge Fischer Hans Jürgen mit seiner alten Mutier gewohnt. Auch er sah allsonntäglich in der Kirche, und oft hatte sic gefühlt, wie sein Auge auf ihr ruhte. Immer hatte er ihrer am Eingänge der Kirche geharrt und war mit ehrer bietigem Gruße zurückgetreten, wenn sic an ihm vorüber dem Aus gange zuschritt. So war es Jahre lang geblieben, bis sie einst auf dem Heim wege ausgeglitten, und er sie in sein Haus geführt und der Sorg falt seiner alten Mutter übergeben hatte. — Seitdem waren sie oft miteinander gegangen und hatten über das soeben Gehörte manches ernste Gespräch geführt. Jeder von ihnen fand den Wie dcrhall der eigenen Gedanken in des anderen Seele; doch kein be gehrlicher Wunsch hatte je diesen Verkehr beeinflußt; der niedri ger geborene Fischer erhob nur mit Ehrerbietung das Auge zur Försterstochter, und diese wußte, daß ihr Platz daheim beim Vater bleiben würde, der ihrer bedurfte, wenn auch nicht zur leiblichen Pflege und Unterstützung; denn der Förster war damals ein Mann von fast noch jugendlicher Kraft. Rauh und zuweilen hart gegen Andere, war er doch weich und freundlich gegen sein Töck terlein, „sein Liesing", die er in Allem, was sie that, mit Zufrie denhcit gewähren ließ. — Doch all das hatte sein Ende erreicht, ach. so jäh und unerwartet. Die Wolle war aufgesponnen, und mechanisch schob die Spin nerin den Rocken zur Seite, sie wandte sich um, stützte beide Ellen bogen auf den Tisch und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Der letzte Weihnachtsabend daheim war ihr in die Seele ge brannt und würde immer, immer in der Seele brennen. Sie hatte damals das fünfundzwanzigste Lebensjahr schon erreicht. Auf der Försterei war zu Weihnacht Besuch gekommen, ein Vetter den sie nie zuvor gesehn. Der Himmel mochte wissen, wie es gc pommen war, daß der Vater sein Wohlgefallen an dem eitlen, oberflächlichen Stadtherrn fand, daß er sich überreden ließ, ihm die Hand seiner Liesing zu versprechen, und zugleich den seltsamen Plan faßte, sich pensioniren zu lassen und in die Stadt zu ziehen. Ach, wie konnte ein alter, biederer Forstmann durch die lieber redungskunst, durch die Vorspiegelungen eines solchen Menschen, der nichts wollte, nichts begehrte, als seine zerrütteten Verhält«
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite