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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.12.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971224025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897122402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897122402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-24
- Monat1897-12
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U» Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr, di« Ubeud-Ausgabe Wochentag» um S Uhr. Filiale«: Ott« Klemm'» Lartim. <A1freV Hahn), UuiversitütSstraße 3 lPaulrnum), Laut« Lösche, Kuthariurustr. «art. und König»pl»ch 7. Re-artis« und Lrveditio«: -«Hanne-,ässe 8. DirUxpedtticni ist Wochentag» an unterbrochen vv» früh 8 bis Abend» 7 Uhr. VezugS-Prer- M h« Haupterpeditiou oder den t» Gtadt- b«trk und den Lororteu errichteten Aos- aavestellen abgeholt: vierteljährlich ^>4^0, »et Pveimaliaer täglicher Zustellung iu- Haus ^l LLO. Durch die Post bezöge» für Deutfchl-ud und Oesterreich: viertehährlich . Liren» täglich« Kreuzbaodieuduu, ins Au-land: monatlich ^4 7.L0 Abend-Ausgabe. ÄMgrrTlMblalt Anzeiger. Ämtskkatt -es Äömgkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes und Notizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigett-Prei- Ue «sespaUrnc Pttitzeüe HS , Rrclgmea unter demArdactioa-ftttch spalten) bO^j, vor den -«uüienanchrichö» gespalt«) 40^. Größere Echriste» laut unjerem Ut»iß verzeichaiß. 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Von diesem rühmen nun die focialdemokratischen Führer, daß es seitdem „wie das klare und ruhige Licht eines LeuchttburmeS über die graue Wafserwüste in das Land der Zukunft weise"; „noch habe es in keinem Sturme versagt unv ver löschen werde cs nicht eher, als im ausrämmernden Frührolb der besseren Zeit." Vielleicht lächeln selbst waschechte Social demokraten ironisch, wenn sie das kommunistische Manifest mit dem „klaren und rubigen Lichte eines LeuchttburmeS" verglichen sehen und sich bewußt sind, daß sie selbst im Verein mit den Führern dieses „Licht" unausgesetzt als Brandfackel benutzen, das wilden Haß in den Herzen der Friedlichen und Zufriedenen entzünden soll. Alle Nichtsocialdemokratcn aber wird die Verherrlichung des Manifestes als einer in keinem Sturme versagenden und verlöschenden Lenchte gerade am diesjährigen WeihnacklSsejle daran erinnern, daß kaum irgend ein anderes Programm so kläglichen Schiffbruch er litten hat, wie dieses Manifest. Wohl bat es sich weiter entwickelt bis zu dem Erfurter Programm, und wohl ist die kleine Gruppe, die cs vor 50 Jahren annahm, zu einer starken Partei im Reiche geworden, die bei den letzten Reichstagswablen 1,7 Millionen Wähler zu sich herüber zog. Aber trotz dieses äußeren Erfolges jeiner Verkünder .st das Fundament des communistischen Manifestes wie des Erfurter Programms, das Dogma von der fortgesetzten „Verelendung der Massen", von den Tbalsachen um gestürzt worden wie ein Haufen Sand. Gerade die letzten Wochen haben in Erinnerung gebracht, wie unwiderleglich aus den Nachweisen über das Volksvermögen, über die Spar- cassen, über den Antheil der arbeitenden Elasten an Grund und Boden, über die fortgesetzte Steigerung der Lebenshaltung, über die Aufwendungen für Alter und Invalidität, Krank heit und Berufsunsälle hervorgeht, daß auch an der materiellen Hebung der Gesammlheit die unteren Schickten vollauf tbeilgenommen haben und daß die Gründung des Reiches kaum einer BevölkernnzSschicht, wenn man ver gangene Zeiten vergleicht, mehr zu Gute gekommen ist, als gerade den Classen, die unausgesetzt ermahnt werben, alle die Schöpfungen umzustürzen, denen sie ihre materille, sociale und politische Stellung verdanken. Und daß diese Culturarbeit geleistet werken konnte und weiter geleistet werden kann, das ist nicht daS Verdienst des communistischen Manifestes und der aus ihm gewachsenen zerstörenden Propaganda: das ist viel mehr das unleugbare Verdienst des nationalen Einheits gedankens, der die deutsche Zerrissenheit beseitigte und ein kraftvolles Reich zusammenichloß; ein Reich, das im internationalen Wettbewerb auch die Stellung zu be haupten vermag, die ihm die Mittel verschafft, so für die Masten zu sorgen, wie es kein zweiter Culturstaat gelhan. Auf See schwimmt das deutsche Geschwader nach Osten und bekundet den Entschluß der deutschen Nation, zu behaupten, was ihr in gleichem Rechte mit ankeren großen Nationen in der Welt gebührt. An die Lichter, die vom Tanncnbaum auf kernfeste deutsche Männer strahlen, während daS Wasser an eiserne Sckiffswände schlägt, wird daS Volk unter dem heimischen Wcihnachtsbaume renken, unv dieser Gedanke ist das „klare ruhige Licht des LeuchttburmeS", der über die graue Wafserwüste der Vaterlandslosigkeit auf dir Arbeit der Zukunft weist. Schon gestern haben wir an anderer Stelle daraus hingewiesen, daß die klerikale „Köln. VolkSztg." durch die Denkschrift des Tculschc» PatriotenbnudcS über das Völkerschlackt- Nationaldenkmal sich beschwert fühlt und in ihr „wüste Hetzereien evangelischer Bundesbrüder und Gustav-Adolf- Lereinler" finket, weil in ibr gesagt wird: „Tas neue Reich hat in dieser Richtung außer mit Len deutsch feindlichen, Lurch die iociale Frage irregcsnhrten Massen aber auch noch mst einem andern, zwar allen, dock noch immer sehr gefährlichen Feind zu rechnen: mit dem auS religiösem Absolutismus entspringenden Geiste kirchlicher Unduldsamkeit, der im Volke eine tiefe Kluft aufreißt und der die Ausgabe einer welt umfassenden, internationalen Organisation im bewußten historischen Gegensatz zu der nationalen Neugestaltung Deutschlands unter Preußens Führung verfolgt." Heute fällt uns ein Abdruck der Rede in die Hände, die am 18. October d. I. der Weibbischof vr. H. Josef Schmitz aus Köln in Crefelv gehalten hat. In dieser Rede heißt es u. A.: „Wenn in unserem Vaterlande sich die Drachen konfessioneller Zwietracht unaufhörlich bekämpfen, dann kann die Veste des Deutschen Reiches nicht feststehrn in alle Zukunst. (Lebhafter Bei fall.) Schulter an Schulter haben wir im Kriege 1870 neben einander gekämpft für die Freiheit und die Ehre des Vaterlandes. Durch Las Blut, das in den Schlachten vergossen ward, sind wir zusammengekittet. Und wer heute diesen kitt lösen will durch con- sejfionclle Entzweiung, der begeht ein Verbrechen am Vater land." (Stürmischer Beifall.) An einer anderen Stelle dieser Rede heißt es: „Wer heute die confessionelle Verfolgung in die Massen trügt, der ist der willkommenste Handlanger für die Geister des Umsturzes." Weibbischof vr. Schmitz hat damit dem Siune nach ganz dasselbe gesagt, waS die Denkschrift des Deutschen PatriotcnbundeS in den citirten Sätzen sagt, denn eS liegt auf der Hand, daß das Uebel kircklicker Unduldsamkeit nur erzeugt werden kann durch „religiösen Absolutismus", der eine andere religiöse Ueberzeugung nicht gelten lasten will. Die Uebereinstimmung der Mahnung deS Weibbischofs vr. Sckmitz mit der Kundgebung deS Deutschen Patrioten- bun' eS ze^.t sich aber nach vruUicher, wenn man oen von der „Köln. VolkSztg." verschwiegenen Passus der Denkschrift heranzieht, auf den wir gleichfalls schon gestern hinwiesen: „Auch ihm (dem Geiste kirchlicher Unduldsamkeit) gegenüber beißt der Kampfruf:. Zurück auf den Standpunkt von 1813! Das neue Reich läßt sich keiner kirchlictr-dogmatischen Autorität unter ordnen, es fordert vielmehr und gewährt in Fragen der kirchlichen Unterschiede die Duldung, die 1813 in der Zeit der Noth die Stimme der religiösen Zwietracht zum Schweigen brachte, und findet seine größte Krail in der auch alle dogmatische» Unter- sckeidungslehren der Lonsessionen überbrückenden wahrhaft deutschen Gesinnung." Der einzige Unterschied zwischen den Mahnungen des WeibbisckofS und deS Deutschen Patriotenbundes besteht also darin, Laß I)r. Schmitz auf das schöne Beispiel von 1870, der Patriotenbund aus daS von 1813 hinweist. Beide aber wünschen uud befürworten, daß das von confessioneller Zwietracht zerrissene heutige Deutschland um deS Vaterlandes willen das Beispiel eines früberen Geschleckte» befolge, da unter confessioneller Entzweiung nicht litt. Tie Rete de» Weihbischofs Or. Schmitz bat die „Köln. VolkSztg." ge rühmt, gepriesen und aller Welt zur Beherzigung empfohlen. Warum hetzt dasselbe Blatt nun gegen den Deutschen Patriotenbund? Hat e» nur geheuchelt, als eS für die von vr. Schmitz empsobleae Bekämpfung der „Drachen confessioneller Zwietracht" sich zu begeistern vorgab, oder nimmt eS an, der Herr Weihbisckof habe nur den Protestanten Duldsamkeit oder vielmehr Unterwerfung unter absolutistische Machtsprüche anempseblen wollen? Eine solche Annabme würde aber den Vorwurf gegen Or. Sckmitz enthalten, er habe die Geschichte deS Jahre- 1870 gefälscht, in dem der Kitt, der die deutschen Krieger verband, doch wabrlick nicht in protestantischer Unter werfung unter fremden Absolutismus, sondern in gegenseitiger Duldung bestand. Wirft also die „Köln. VolkSztg." dem Weihbischof nickt eine Fälschung der Geschichte vor, so stellt es sich zu ihm durch die Anfeindung des Deutschen Patrioten bundes in schärfsten Gegensatz und verrätb eine Gesinnung, die sich höchst unrühmlich von der des Bischofs und des Bundes unterscheidet Dieser erstrebt den Frieden auf Erden durch Duldsamkeit, das klerikale Blatt den Kampf christlicher Eonfcssionen bis zur Vernichtung der einen. Angesichts der schamlosen Angriffe der euglischcn Presse auf den deutsche» Kaiser und seine Regierung, auf welche man mit mathematischer Sicherheit allemal dann rechnen kann, wenn England sich bei einem internationalen Handel wieder blamirt hat — natürlich ist daran stets derRacker Deutschland Schuld, das nicht tanzen will, wie England pfeift — kommt Einem eine anerkennende von erfreulicher Selbsterkenntniß zeugende Benrtbeilnng in den Spalten englischer Blätter vor, wie die Stimme des Predigers in der Wüste. Wenn etwas Derartiges zu ver zeichnen war, haben wir es stets gewissenhaft registrirt, und so geben wir heute dem „Daily Ehronicle" das Wort. Das radikale Blatt schreibt u. A.: „So viel ist klar. Es ist kein Grund vorhanden, den Prinzen Heinrich in unserem Lande als Feind zu empfangen, wenn er unsere Königin besucht, und ebenso wenig ist ein Grund da, warum englische Zeitungen aus dem Gleise treten sollten, um de» Kaiser zu insullircu. Solche Sprache ist nicht würdig. Aber sie ist mit der Grund, weshalb wir so viele Feinde auf dem Festlande haben. Die Beleidigungen, welche englische Blätter aus den alten Napoleon häuften, hatten genug mit den Schwierigkeiten in den navolenonischen Kriegen zn thun, und der hoch empfindliche Kaiser Wilhelm wird nicht leicht die englischen Vulgaritäten, deren Opfer er gewesen ist, vergessen. Wilhelm II. hat ganz Europa thatsächlich während der griechischen Krisis geleitet und Lord Salisbury eine Nase gedreht, wie kein englischer Minister sie in unserer Zeit empfangen hat. Auch an weiteren Belegen seiner großen Kraft fehlt eS nicht. Obgleich er manchmal den Anschein er- weckte, als ob er Macht in Europa liebte, hat Kaiser Wilhelm sich das große Verdienst erworben, Deutschland zur kompaktesten und leitbarsten Einheit des festländischen Systems zu erheben. Obgleich er sich von Bismarck wegkehrte und die Dienste vieler großen Soldaten von der Zeit seines Herrn Großvaters ver- loren hat, ist die Kriegstüchtigkeit der deutschen Armee dieselbe geblieben. Sachverständige ausländische Beobachter, welche den Kaiser in den jährlichen großen Truppenübungen gesehen haben, sagen einstimmig, daß Se. Majestät wohl im Stande ist, »ine Armee zu führen. Und fürchten thun ihn Biel». Frankreich, von dem aller Charakter und alle Stetigkeit der Staatskunst schnell verschwindet, beobachtet den Kaiser mit unbehaglicher Beugsamkeit. Obwohl die Politik des Kaisers niemals sehr weit in den neuen Ausläufen, welche er angekündigt, gegangen ist, muß hervorgehoben werden, Laß der Kaiser niemals »inen bedeutenden Fehl- schlag erlitten hat und das deutsche Reich stets vorwärts ge- schritten ist. Deutschland stehl auf demselben Fuße, wir es beim Tode des Vaters des Kaisers stand, eine Macht unter den Nationen, während seine kommerzielle Entwickelung Möglichkeiten hinzugefügi hak, welche sein Herrscher envgiltig in Rechnung gezogen zu haben scheint." Diese Preßstimme würde noch an Werth gewinnen, wenn sie au- dem konservativen RecsierunzSlager käme, denn das Lob des Kaisers in einem Oppositronsvlatt involvirt einen Tadel gegen die Regierung und ihre Organe, die in erster L>nie bei jenen Unflälbigkeiten betbeiligt find. Man weiß also nicht, ob „Daily Ehronicle" e« ganz ehrlich meint. Die letzten Vorgänge im ungarischen Abgeordnet en- Hause können wohl als das definitive Scheitern jedes Aus söhnungsversucheS zwischen der Regierung und der äußersten Linken aufgefaßt werden. Die Erklärungen, die Baron Banst» in Bezug auf daö Verbältniß zwischen Ungarn unv Oesterreich abgab, lassen an Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig. Die Linke will das Band zwischen den beiden Reicksbälften ganz lösen — Banffy erklärt eS für seine Aufgabe, im Gegentbeil die Verbindung zwischen Oesterreich und Ungarn womöglich noch fester zu knüpfen als bisher. Auch abgesehen davon, daß diese Erklärung das Tafeltuch zwischen der Unabhängigkeitspartei und der Regierung voll' ständig zerschnitten hat, so daß jetzt an eine Erledigung der Ausgleichsvorlagen vor Neujahr Wohl überhaupt nicht mehr zu denken ist, erscheinen die Ausführungen Bansty'S un gewöhnlich bcmerkenswerth. Bisher hat sich ver ungarische Ministerpräsident keineswegs so vollkommen ablehnend ver halten gegen die UnabbängigkeitSwüosche Kofsulh'S und Ugron's; er ist ihnen vielmehr durch das Zugesiändniß, daß eine Erneuerung deS wirtbschafklichen Ausgleich- nur dann bcvorstebe, wenn Oesterreich bi- zum 1. Mai die Ausgleichsvorlagen bewilligt habe, und durch mehr fache Erklärungen, daß eine wirthschaftlich« Trennung von Oesterreich ernstlick inS Auge gefaßt werden solle, weiter eotgegengekommen, als im Interesse der ganzen Monarchie wünschenSwerth war. Unv nun mit einem Male diese entschiedene Erklärung zu Gunsten deS unbedingten Fest- haltenS an der Gemeinsamkeit, obgleich die Trennungs wünsche auch in den anderen ungarischen Parteien und selbst bei den Liberalen manche Anhänger haben! Man geht wohl nicht fehl, wenn man diesen Frontwechsel auf de» Wunsch und die Willensäußerung der Krone zurückführt, aber auch dem Aerger Banffy's über die Halsstarrigkeit der Anken und seiner persönlichen Kränkung darüber, daß diese al§ Preis für ihr Nachgeben den Rücktritt des CabioetS forderte, einen Antheil daran zuweist. Auf alle Fälle aber scheint, wie wir wiederholt voraussagten, auch in Ungarn die Ausgleichsfrage zu heftigen und vielleicht verhängnißvollen inneren Kämpfen sübren zu sollen. Die eigenartige Fassung des Telegramms über die etwaige Stellungnahme der Vereinigten Staaten zu der chinesischen Krane läßt erkennen, daß die Unions-Regierung aus sich selbst heraus sich überhaupt gar nicht um die Vorgänge an der ostasiatischen Küste gekümmert, sondern daß Englandden Versuch gemacht hat, sie gegen Rußland und Deutschland „scharf zu machen". Denn was Anderes kann in den Worten liegen, man nähme an, England würde Schritte der Vereinigten Staaten gegen Deutschland und Rußland günstig aufnehmen? Daran kann freilich kein Mensch zweifeln, daß die Engländer es herzlich gern sehen würden, wenn die Amerikaner mit Rußland und Deutschland anbinden wollten. Noch weniger aber läßt sich daran zweifeln, daß die Vereinigten Staaten Alles eher thun werden, als den Engländern diesen Gefallen zu er weisen. Abgesehen davon, daß die Vereinigten Staaten an den chinesischen Zuständen kein tiefergehendes Interesse haben, abge sehen ferner davon, daß bei dem Hasse, den wegen der chinesischen Einwanderung nach Amerika das amerikanische Volk gegen die Chinesen hegt, eine Action der amerikanischen Regierung zu Gunsten Chinas im höchsten Grade unpopulär wäre, würden die Vereinigten Staaten eine sehr große allgemeine Gefahr laufen. Man weiß in Washington ganz gut, daß die europäischen Mächte hinter die Monroe-Doctrin sehr starke Fragezeichen setzen. Sie lassen aber, so lange es Halbwegs erträglich erscheint, diese Doctrin passiren, wie zu dem Satze „Amerika den Amerikanern" der Grundsatz, daß die Vereinigten Staaten sich nicht in die Angelegenheiten in anderen Erdthrilen einzumischen haben, das Correlat bildet. Die europäischen Mächte müßten aber geradezu eine Gelegenheit zu provocirrn suchen, um die Nicht FettLlleton» Das Wahrzeichen -er Herrendorfs. 17j Roman von L. Migula. Nachdrrck »erboten. „Franz bringt ihn gleich", rief sie dem ihr angstvoll entgegen schauenden alten Herrn zu, „Günther hat nur eine kleine Wunde um Hinterkopf, gar nicht schlimm, aber es ist wohl gut, wenn wir gleich einen Arzt haben. Ihr könnt doch nur langsam fahren, da genügt rin Pferd; ich reite indessen schnell nach L. und schicke Professor Lang heraus." Herr v. Herrendorf schien sie nicht zu verstehen, erst als er sah, wie sie furchtlos das Sattelpferd auszuspannen begann, stieß er entsetzt hervor: „Angela, was fällt Ihnen ein, reiten — ohne Sattel?" „Bah, was macht das?" erwiderte sie sorglos. „Sie leihen mir Ihre Decke, das genügt vollkommen." „Auf keinen Fall, das leide ich unter keiner Bedingung, ich habe die Verantwortung für sie —" Er brach ab. Franz erschien am Ausgange des Waldes mit dem bewußtlosen Günther im Arm. Herr v. Herrendorf brach nicht in Klagen aus, wie Angela befürchtet hatte; er streckte nur stumm die Arme seinem Sohne entgegen und vorsichtig legte ihn Franz hinein. Angela half rasch ihm eine günstige Lage bereiten, dann winkte sie Franz, ihr auf das Pferd zu helfen. „Fahren Sie ganz vorsichtig noch Hause, Franz, ich hole indessen den Doctor; drüben die Chaussee führt doch direct nach X.?" „Jawohl, gnädiges Fräulein, aber soll ich nicht lieber — Sie haben doch keinen Sattel und —" „Nein, lassen Sie nur. Sie kennen hier die Wege nach der Ringburg besser wie ich, aber in -k. wissen Sie nicht so gut Bescheid, das giebt nur unnöthigen Aufenthalt. Nun vorwärts in Gottes Namen! Es wird noch Alles gut, Großpapa, ängstigen Sie sich nicht zu sehr!" rief sie noch einmal tröstend zurück, und dahin sauste sie, als habe das Pferd Flügel. Der Steinbruch lag etwas seitwärts auf dem halben Wege nach Zk. und Angela brauchte kaum mehr als eine Viertelstunde, um U« Meile bi» zur Stadt zurückzulegen. In vollem Galopp sprengte sie durch die Straßen, unbekümmert darum, daß alle Vorübergcheniden betroffen stehen blieben und ihr nachbUckten. Vor der Wohnung de- Professors Lang hielt sie an und glitt von dem Rücken de» Pferdes. Die Zügel in der Hand, schellte sie. Ein Diener öffnete und sah sie verwundert an. „Ist der Herr Professor zu Hause?" „Jawohl, er ist soeben gekommen." „Gott sei Dankl" rang es sich erleichtert aus ihrer Brust. „Lassen Sie sofort anspannen und führen Sie mein Pferd in den Stall; Herr v. Herrendorf auf der Ringburg wird eS ab holen lassen." Ohne eine Antwort von dem verblüfften Diener abzuwarten, hängte sie ihm die Zügel über den Arm und trat in» Hau». Sie fand den Professor in seinem Arbeitszimmer, und nach dem sie ihn mit kurzen Worten von dem Vorgesallenen be nachrichtigt hatte, war er sofort bereit, sie nach der Ringburg zu begleiten. ES war seit Angela'S Davonreiten am Steinbruch kaum eine Stunde vergangen, al» sie mit dem Professor im Schlosse eintraf, wenige Minuten, nachdem man Günther ge bracht hatte. Dieser war inzwischen au» seiner Ohnmacht er wacht, schien aber noch nicht bei klarem Bewußtsein. Professor Lang untersuchte ihn sorgfältig und erklärte, daß er für den Augenblick nicht bestimmen könne, ob wirkliche Gefahr vorhanden sei. „Die äußeren Verletzungen sind unbedeutend; ich werde morgen wiederkommen und mich vom Stande der Dinge über- zeugen." Er gab noch einige Verhaltungsmaßregeln und sagt«, dann sich an Inga wendend: „Nun sorgen Sie mir aber auch dafür, Fräulein v. Herren dorf, daß das tapfere Kind genügende Pfege erhält; sie ist sehr zart, und der tollkühne Ritt auf ungesatteltem Pferde war eine ungeheure Anstrengung für sie. Sie muß gleich zu Bett und sich ganz ruhig Verhalten. Ich schicke einige Tropfen für sie mit heraus, die sie dann zweistündlich nehmen mag, bis sie einschläft." Damit verabschiedete er sich. Es war eine bange Nacht, die über die Ringburg dahinzog; doch als der Morgen anbrach, drang auch ein Hoffnungsstrahl in die Herzen ihrer Bewohner. Günther hatte etwas geschlafen und erwachte bei vollständigem Bewußtsein. Sein« erste Frage galt Angela, ob sie auch gestürzt sei. Er wurde beruhigt und schlief bald wieder ein. Auch Angela hatte sich ganz erholt von der Anstrengung und Aufregung, sie konnte gegen Mittag das Bett verlassen, wo Inga sie bis dahin besorgt festgehalten. Nach Tisch bat diese da» junge Mädchen, zu Herrn v. Herrendorf zu gehen, sobald er nach Jemandem verlange; sie habe einen dringend nothwendigen Gang vor. Ohne sich näher zu erklären, verließ sie das Hau» und schritt durch den Park RS zu einer kleinen Mauerpforte in der Nähe des Parkwärterhäuschens. Dorthin hatte sie Hans Roland bestellt. Würde er kommen? 20. Eapitel. Ja, er kam. In sichtlicher Erregung sprang er vom Pferde und begrüßte seine Schwester. „Inga, wo» bedeutet daS?" rief er hastig, „was hast Du Mir da geschrieben von dem Eigenthum, dem Erbe, das mir der alte Weither bewahrt? O Gott, sollte wirklich diese unselige Geschichte, die mich die Liebe des Großvaters, die mich jahrelang Heimoth und Elternhaus gekostet hat, sollte sie sich endlich auf klären? Ach, Inga, Du kannst mir nicht nachfühlen, wo» ich empfand, als ich heute zum ersten Male nach elf Jahren die alte stolze Ringburg mit ihrem mächtigen, weithin sichtbaren Thurm, die lachenden Fluren von Herrmdors vor mir liegen sah. ES ist doch ein eigene» Ding um die Liebe zu solch einem Stückchen Erde, auf dem man geboren und ausgewachsen ist; sie geht in Fleisch und Blut über und ist durch nicht- auszutilgen. Ich babr es bi»h«r vermieden, sie auszusuchen; ich wollte nur versöhnt mit dem Großvater als rechtmäßiger Erbe hier einziehen oder sie nie Wiedersehen. Doch erzähle, Ingo, erzähle mir genau, was Wrrther Dir mitgetheilt hat!" „Nicht mehr, Han», al» ich Dir schon schrieb. Du kennst ja die seltsame Art de» Alten, nur in kurzen Sätzen zu reden und allerhand wunderliche Andeutungen zu machen. Du weißt auch ebenso gut, daß er Fragen, die er nicht beantworten will, beharrlich unbeachtet läßt. Aber binde jetzt Dein Pferd hier an einen Baum; e» wird unbemerkt bleiben, da im Schloß Alles mit Günther beschäftigt ist, Ver einen unglücklichen Sturz gethan, und komme zu Werthrr, der sicherlich schon mit großer Sehnsucht auf Dich wartet." Inga ging nicht näher auf den Unfall Günther's ein; sie wollte Hans Angela'» wegen nicht beunruhigen, da er, wie es schien, noch nichts von ihrem tollem Ritt erfahren, obgleich dieser sicherlich heute in T. das Tagesgespräch war; dafür kannte sie die gute Residenz zu genau, die doch niemals ihre Kleinstädterei verleugnete. Er sollte Angela erst sehen und sich überzeugen, daß sie voll kommen unbeschädigt war, ehe er von ihrer muthigen That und Geistesgegenwart hörte. Han» hatte inzwischen die Zügel seines Pferdes um einen Baum geschlungen, und folgte seiner Schwester jetzt in größter Aufregung. Da» junge Mädchen trat zuerst bei dem alten Manne ein, um ihn vorzubereiten; doch dies war nicht nöthig, bei ihrem Anblick rief er sofort: „Kommt mein Junkerlein? Es ist spät und meine Zeit bald abgelaufen! Er muß schnell kommen, da» Seinige zu em pfangen." „Er ist da, alter Freund", rief Hans Roland, vor ihn hin tretend, mit tiefer Rührung und streckte dem Getreuen beide Hände entgegen. Ein Schimmer glückseliger Verklärung breitete sich über das runzlige, kleine Gesicht, und die dargebotenen Hände erfassend, sagte er mit bebender Stimme, während die Hellen Thronen über seine Wangen liefen: „Er ist do, er ist da! Mein Junkerlein ist wieder da! Ich höre seine Stimme, di« so oft zu mir sagte: „Nun, alter Weither, wie steht'S mit dem Angeln, komm, laß uns unser Heil versuchen " Er hat immer Glück gehabt und diel gefangen, große Fische, große Krebse, aber einen Fang wie der alte Werther hat er nie gemacht. Seht Euch, setzt Euch, damit ich endlich erzähle, was mir in langen Jahren da» Herz beschiverte." Inga und Han» leisteten seinem Wunsch Folge und setzten sich, ihn aufmerksam anblickend. Befriedigt nickte der Alte. ,Jhr werdet staunen über das, was Ihr hören sollt, und es nicht glauben wollen! Aber unterbrecht mich nicht; ich muß meine Gedanken sammeln, daß ich nichts vergesse, und wenn ick Alle- gesagt habe, will ich di» Wahrbeit beweisen." Er lehnte sich in feinen Stuhl zurück und schloß die Augen, als muffe er alle äußeren Eindrücke von sich fern halten, um seine ungetheilte Aufmerksamst auf Da» zu eoneentriren, wa« er zu erzählen beabsichtigte. (Fortsetzung folgt.)
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