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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.12.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971228013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897122801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897122801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-28
- Monat1897-12
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Der zweite Baud wirv in den nächsten Tagen erscheinen; ihm sind als Anhang eine Reibe wichtiger Aktenstücke und sonstiger Belege beigegeben, deren Abdruck die Verlagsbuch- bauvlung,die J.G.CoNa'scke Buchhandlung Nachfolger in Stutt gart, uns gestaltete. Wirtheilen davon die nachstehende Unter redung mir, die Fürst Bismarck Herrn Friedjung am 13. Juni 1890 — man beachte daS Datum — gewährte. DaS Gespräch wendete sich den Berbandlungen beim Besuche König Wilhelm'» und BiSmarck'S in Schönbrunn im Herbste 1864 zu, und der Fürst machte auf die Frage, ob Oester reich 1864 etwa geneigt gewesen wäre, Schleswig-Holstein anPreußen gegen dieGarantie seines italienischen Besitzstandes abzntreten, folgende Mittheilungen: „Ich erinnere mich", sagte der Fürst, „nicht an ein solches Angebot Oesterreichs, und ich glaube, so viel ich mich auf mein Gedächtnis verlassen kann, daß e« nicht gemacht wurde. Aber nach meiner damaligen und späteren Intention hätten wir sehr gut darauf eingeben können; kenn ein festes Bündniß mit Oesterreick war stets mein Ziel, und auch mein königlicher Herr bätte, um mit Oesterreich Freundschaft und Frieden zu erhalten, um den Preis Schleswig-Holsteins gerne eine solche Bürgschaft geleistet. Wir saßen damals st gnstrs in einem Gemache des Schönbrunner Schlosses: res österreichischen Kaisers Majestät, mein königlicher Herr, Graf Rechberg und ich. Es galt, daS Schicksal Schleswig- Holsteins zu entscheiden, unk da erklärte Graf Neckberg, daS Land könne nur dann Preußen überlasten werden, wenn Oesterreich zur Herstellung des Gleichgewichtes in Deutschland eine Entschädigung erhalte. Er wies aus die Grafschaft Glatz als solcke bin. Davon aber konnte bei der Gesinnung drS Königs keine Rede sein. Oesterreich konnte nicht einmal darauf Hinweisen, daß die Bewohner jene» Landes mit dem Tausche der Herrschaft einverstanden wären. Da» war nicht der Fall, vielmehr waren Petitionen und Arresten an den König eingelaufen, in denen er gebeten wurde, sie nicht von Preußen zu trennen. Ich setzte damals dem Kaiser von Oesterreich aus einander, daß es dem Gedanken unseres Bündnisses entspräche, wenn dieHerzogthümer ohne solches OpferPreußen zusiclen. Unser Bund, so sagte ich, sei keine ErwerbSgenossensckast, welche den Ertrag nach Procenlen vertbeile, er gleiche vielmehr einer Jagdgesellschaft, bei welcher jeder Tbeil seine Beule nach Hause trage. Wenn wir etwa im Fortgänge deS Bundes gemeinsam Krieg gegen Frankreich und Italien führen sollten und Mailand fiele dabei mit preußischer Hilfe wieder in Oesterreichs Hände, so würde Preußen doch nickt etwa LanteSentschadigung dafür verlangen, sondern sich mit einer Getdsumme für seinen Kriegsantheil abfinden lasten. Diese Darlegung blieb auf den Kaiser nicht ohne Ein druck; ick schloß daS aus der Frage, die der Kaiser an mich richtete, ob Preußen also die Annexion als wün- ichen-werthe Lösung der Herzogthümerfrage betrachte. Es war mir sehr angenehm, daß die Frage so unmittelbar, und zwar in Gegenwart des Königs, an mich gestellt wurde; denn mein königlicher Herr hatte sich, wenn unter uns vou der Zukunft der Herzogthümer die Rede war, stets zurück haltend benommen; ich konnte keine bestimmte Willensäußerung von ihm erhalten. Ich wandte mich also an ihn und sagte: „Diese Frage zu beantworten bin ich nicht berechtigt." Ader der Köniz zauderte auch diesmal und sagte, die Eiuverleibuaz Schleswig-Holstein» sei von ihm nickt gerade ins Auge gefaßt Daraus mußte ich mich natürlich bescheiden und die Sache für jetzt fallen lasten. Ich selbst war in viel bestimmterer Weise al» mein König für euie ganze Lösung der Frage eingenommen, während er damals noch zum Augustenburger neigte. Dessen Hau» aber hatte keine wirtlichen Ansprüche auf Schleswig- Holstein, denn «S hatte bereits zwei Mal auf die Herzog- thümrr verzichtet, zuerst 1721, dann 1852. Es bestand also kein Hinderniß, die Herzogthümer in Preußen e>n- zuverleiben. Wir wären, wenn Oesterreich darauf einzing, in einem künftigen Kriege in Italien auf seiner Seite ge standen." „Den österreichischen Staatsmännern", erlaubte ick mir einzuwerfen, „schien wohl sür die Machtstellung Oesterreichs der gemeinsame Besitz in Schleswig-Holstein wichtiger als daS bereits verlorene, nicht wieder zu gewinnende Mailand." „Ich will", entgegnete der Fürst, „letzt keine Kritik üben, sondern nur den verlauf der Tinge schildern. Rechberg war einer solchen Lösung damals nicht abgeneigt, wie ich denn überhaupt mit ihm seit der Frankfurter Zeit sebr gut stand. Er war wahrheitsliebend, und ich hatte volles Vertrauen zu Dem, was er sagte. Immer schwebte mir der Gedanke vor, den ich denn auch in die That umsetzte, daß es nothwendig sei, mit Oesterreich zu einer Verständigung, zu einem Bündnisse zu gelangen. Aber erst viel spater, 1879, konnte dieser Plan zur Ausführung kommen; nur bätte ick damals gewünscht, daß daS Bündniß ein pragmatisches werbe. Ich schlug dem Grafen Andrassy vor, daß eS durch die gesetzgebenden Gewalten beiderReiche bekräftigt würde; eS wäre werthvoll gewesen, wenn die Parlamente Deutschlands und Oesterreich-UngarnS ihre Zu stimmung zum Vertrage gegeben hätten; sein Bestand sollte nicht von den Regierungen allein abhängig sein, und seine Dauer wäre dadurch um so bestimmter verbürgt gewesen. Indessen konnte ich nicht Alles durchsetzen, was ich anstrebte, und eS ist schwer genug geworden, zu dem that- sächlich Erreichten zu gelangen. Mit dem Grafen Rechberg bätte ich vor dem Kriege wohl zum Einverständnisse kommen können. ES war mir deshalb unlieb, als er bald nach der Schönbrunner Zusammenkunft von seinem Posten zurückiral. Ich rieth meinem König damals, Oesterreich ein Zugeständniß zu machen, welches Rechberg für nölbig hielt, um sich im Amte behaupten zu können. Er wünschte, daß Preußen in den neuen Handelsvertrag mit Oesterreich die Bestimmung deS früheren wieder aufuehme, durch welche ibm der spätere Eintritt in oen Zollverein offen gelassen wurde. Ich befand mich gerade in Biarritz bei Kaiser Napoleon, während diese Unterhandlungen schwebten, und eS gelang unterdessen meinem College», meinen alten Herrn brritzuichlagen und ihn zu bestimmen, den Wunsch Oesterreichs abzulebneu. ES trat mir damals der ganze Einfluß gegenüber, den man später unter dem Namen Delbrück zusammenfaßle. Auch der da malige HandelSminister Graf Ztzenplitz, eine Unterschriften maschine, arbeitete mir entgegen, ebenso Finauzminister Bodelschwinzh, der mir stets, wo er mir etwas anhaben konnte, eins versetzte. So wurde meine Absicht, mit Oester reich in friedlichem Einverständnisse zu bleiben, vereitelt." Hier erlaubte ich mir die Bemerkung einzuwersen, daß in dessen au» den Staatsschriften des Fürsten, die er aus Frank furt nach Berlin gesendet hatte, hervorgebe, daß er schon damals den Krieg als daS notbwendige Mittel zur Lösung der deutschen Frage im Auge gehabt habe. „Im Allgemeinen gewiß", war die Antwort, „aber nicht hie und da, nicht iu den einzelnen Wendungen unserer Politik. Es hieße daS Wesen der Politik verkennen, wollte man an nehmen , ein Staatsmann könne einen weit auSsehenven Plan entwerfen und sich als Gesetz vorschreiben, was er in einem, zwei oder drei Jahren durchführen wolle. Es ist richtig, daß der Gewinn SchleSwig-HolsteinS einen Krieg wertd war; aber in der Politik kann man nicht einen Plan für lange Zeil festlegen und blind in seinem Sinne Vorgehen. Man kann sich nur im Großen die zu verfolgende Richtung vor- zeichuen; diese freilich muß man unverrückt im Auge be halten, aber man kennt die Straßen nicht genau, auf denen man zu seinem Ziele gelangt. Der Staatsmann gleicht einem Wanderer im Walde, der die Richtung seines Marsches kennt, aber nickt den Punkt, an dem er auS dem Forste herauS- treten wird. Ebenso wie er muß der Staatsmann die gang baren Wege einschlaaen, wenn er sich nicht verirren soll. Wohl war der Krieg mit Oesterreich schwer zu vermelden, aber wer daS Gefühl der Verantwortlichkeit für Millionen auch nur in ge ringem Maße besitzt, wird sich scheuen, einen Krieg zu beginnen, bevor nicht alle anderen Mittel versucht sind. Es war stets ein Fehler der Deutschen, Alles erreichen zu wollen oder nichts und sich eigensinnig auf eine bestimmte Methode zu steifen. Ich war dagegen stets erfreut, wenn ick der Ein- beit Deutschlands, auf welchem Wege immer, auch nur aus drei Schritte näher kam. Ich hätte jede Lösung mit Freuden ergriffen, welche uns ohne Krieg der Vergrößerung Preußens und der Einbeit Deutschlands zufübrte. Viele Wege führten zu meinem Ziele, ich mußte der Reihe nach einen nach dem anderen einschlagen, den gefährlichsten zuletzt. Ein förmigkeit im Handeln war nicht meine Sache." „DaS war auch", fuhr der Fürst fort, „der Gedanke unserer Sendung deS Herrn v. Gablenz, deS Bruders des Generals, nach Wien, welche noch hart vor dem Kriege, im Mai 1866, die Herbeiführung eines Ausgleichs mit Oesterreich bezweckte. Man hat später auf beiden Seiten diesen Zwischenfall als ein Pudendum betrachtet und von ibm nichts in die Oeffentlichkeit dringen lasten. Gablenz überbrachte dem Kaiser von Oesterreich den Vorschlag, Preußen und Oesterreich sollten sich in die Herrschaft über Deutschland tbeilen. Wir sollten den militairischen Oberbefehl über Norddeutschland übernehmen, Oesterreich über den Süden. Niemand bätte unS damals bei der Theilung Deutschlands widerstehen können. Die beiden deut schen Mächte standen in gewaltiger Rüstung da und konnten dem auf diese Wendung nicht vorbereiteten Europa daS Gesetz vorschreiben. Der König von Bayern hätte aller dings mit den übrigen Fürsten SüddeutscklandS ein Stück seiner Souveränität dem Kaiser von Oesterreich abtrelen müssen, aber die Enschränkuug wäre nicht so groß gewesen wie jene, zu der er sich 1871 freiwillig ver stand. Dieser Umstand ist es, der, wie ich früher be merkte, bewirkte, daß man diese Unterhandlungen als ein Pudendum behandelte. Weder wir noch Oesterreich, das einen Monat darauf Bayern zum Alliirten im Kriege gewann, mochten davon Erwähnung thun, daß wir rm Mai über die Tbeilung Deutschlands unterhandelt hatten. Ich weiß nickt, ob diese Ordnung eine endgiltige gewesen wäre und ob nicht doch später ein Wafsengang zwischen Oesterreich und Preußen nothwendig war, um die dauernde Gestaltung Deutschlands berbeizufübren. Jedenfalls aber wäre Oesterreich 1866 der Krieg und die Niederlage eripart worden. Außerdem aber schlug ich Oesterreich vor, daß wir, schlagkräftig wie wir waren, unS gemeinsam gegen Frankreich wenden sollten, um die Herausgabe deS Elsaß zu erzwingen: Oesterreich konnte dann Straßburg nehmen, Preußen Mainz behalten." „Gablenz", fragte ich, „überbrackte also den Vorschlag eines gemeinsamen Krieges gegen Frankreich?" „So wie ich eS eben erzählte. Napoleon batte damals nur eine schwache, durch die mexikanische Expedition zerrüttete Armee, er hätte uns nicht widerstehen können. Der Kaiser von Oesterreich war vielleicht nicht abgeneigt auf die Sache ein- zuzehen; wenigstens übergab er die Angelegenheit seinem Ministerrath zur Prüfung. Aber Kriegöminisler Franck war der Meinung, e« ginge nicht an, nach den großen Rüstungen der letzten Monate ohne einen Kanonenschuß Frieden zu machen, man könne sonst von dem Heere Oesterreichs sagen, eS sei pulverscheu; vielleicht ließe sich nach der ersten Schlacht darüber sprechen. Dieses Vorurtheil hatte freilich General Gablenz nicht zu scheuen, denn er balle im vorhergehenden Feldzug in Schleswig-Holstein gezeigt, daß er das Pulver nicht sürchte. Noch enlichiebener lehnte Ftnanzmiuister Graf Larisch ab. Er meinte, die österreichischen Finanzen machten einen Krieg unbedingt nothwendig, entweder um im Falle eines glücklichen AuSgangs vou Preußen eine große Kriegs- contribulion zu erlangen, oder nach einer Niederlage mit Anstand die Staatsschuld liquidireu zu können. So wurde der Vorschlag von Oesterreich abgelehnt." „Vielleicht aber war eS besser, daß die Sache rasch durch das Schwert entschieden wurde. Denn die Uhr des deutschen Dualismus mußte bisher in jedem Jahrhundert einmal durch einen Krieg richtig gestellt werden. Dieser Dualismus ist älter als der zwischen Oesterreich und Preußen; er prägte fick zuerst im Gegensatz zwischen Franken und Sachsen, dann zwischen Hohenstaufen und Welfen aus. Hierauf brach er wieder in der Reformation auf; Moriz von Sacksen erhob sich wider Karl V. doch vornehmlich zu dem Zwecke, um die Herrschaft von Kaiser und Reich ab- zuthun: das nannte man damals die ,deutsche Freiheit'. Oder glauben Sie, daß er, als er von der .viehischen Servitut' sprach, in welcher Deutschland damals an geblich schmachtete, an die traurige Lage der geknechteten Bauern Deutschlands dachte? Gewiß nicht — er meinte damit nur den Gehorsam, den sich der Kaiser bei den Fürsten erzwungen batte. Aehnlich traten sich seit den schlesischen Kriegen Oesterreich und Preußen gegen über, und jetzt äußert sich dieser Gegensatz in dem Wider spruche des Individuums gegen den Staat. Merkwürdig ist, baß der Kampf stets in der Mitte des Jahrhunderts statt sand, während die Versöhnung der Gegensätze sich um dir Wende deS Jahrhunderts vollzog. Ich bin nicht so aber gläubisch, um in diesem Zeitmaße eine Vorausbestimmung zu sehen; cs lag offenbar in der Natur der wider einander streitenden Kräfte, daß sich in jedem Jahrhundert ungefähr zur gleichen Zeit ein Ruhcpunet ergab. Jede Nation erfüllt ibr Geschick nach der ihr innewohnenden Fähigkeit, nach der Mitgift, die sie von der Natur erhalten bat. So waren wir Deutsche stets höchst unverträglich unter einander und viel zu nachgiebig gegen Fremde." „Als die Schlacht von Kvniggrätz geschlagen war, ver suchte Oesterreich noch einmal mit Hilfe Napoleon's den Kampf wider uns aufzunehmen. Die Situation war für unS nickt ungefährlich. Wohl konnte Napoleon im ersten Augenblick nur 40—60 000 Mann an die Grenze schicken, aber mit Hilfe der tüchtigen süddeutschen Truppen wäre uns damit im Rücken eine ernste Verlegenheit erwachsen. Was geschehen wäre, wenn wir damals schließlich doch unter legen wären und wenn Oesterreich noch einmal seine Herr schaft in Deutschland befestigt hätte, ist schwer zu sagen. Denn wenn wir nicht ganz niedergeworfen worden wären, mußte Oesterreich nicht lange darauf gegen einen Bund Preußen-Frankreich-Nußland seine Stellung aufrecht zu erkalten versuchen, und es ist nicht wahrscheinlich, daß ihm dies ge lungen wäre. Indessen, das sind geschichtsphilosophische Be trachtungen, welche zu weit führen. Oesterreich halte, indem eS unser Angebot ablchnie, die Sache auf die Spitze deS Schwertes gestellt, und der AuSgang deS Kampfes ergab sich als Schluß deS Spieles der mannigfaltigsten Kräfte und Ein flüsse. Wieder hatten die Kanonen über den deutscher, Dualis mus entschieden — als eS aber dann gelang, trotzdem zum Bunde mit Oesterreich zu kommen, trat ein wahrhaft befriedigender Zustand in Mitteleuropa ein. In der That, so wie die Dinge sich durch mein Zuthun ent wickelten, befriedigten sie mich wirklich und aufrichtig; eS ist daS ein Abschluß für lange Zeit." „Wäre aber ein pragmali>ckeü Bündniß, wie es Durch laucht 1879 anstrebten, nicht für spätere Zeit wünschens wert!) ?" „DaS sind Sorgen künftiger Politik", erwiderte der Fürst, „und von ihr will ich jetzt nickt sprechen. Denn man fürchtet in Berlin, ich wolle auf die Geickäfte des Staates Einfluß üben. Das aber ist nicht meine Absicht. Ich habe im Leben genug geleistet, um mir im Alter die Muße eines Landedel- manneS zu gönnen. Jetzt habe ich wieder Zeit zu poetischer Leclüre. So habe ich den Schiller vorgenommen und lese seine Dramen jetzt noch einmal in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Als ich jüngst beim Schlafengehen die „Räuber" vernahm, kam ich an die ergreifende Stelle, wo Franz den alten Moor ins Grab zurückschleudcrt mit den Worten: „WaS? Willst du denn ewig leben?" Und da stand mir mein eigenes Schicksal vor Augen." Der Eindruck dieser Worte war unbeschreiblich. Sie wurden mit einer leisen Bewegung der Stimme, aber ohne eine Veränderung in dem licfgefurchtcn Antlitz gesprochen. FauiUatsn. Um die Erde. Reisebriese von Paul Lindenberg. Nachdruck verboten. IX. Kandy,diePrrlrCeylon-. — FahrtnachKandy. — Die Stadt. — Geltung als Europäer. — Ge sunde-Klima. — Historische Erinnerung. — Der Ort unter englischer Herrschaft. — Der Buddha-Tempel. — DerhriligeZahnBuddh a's. Festlichkeiten zu seinen Ehren. — Der Zahn und der König von Siam. Kandy, 30. November. Ganz Ceylon ist ein Paradie», aber auch ein Paradies hat wohl noch so ein Fleckchen, wo eS ganz, ganz besonders schön ist und wohin sich die übrigen, d«S Paradieses Gewürdigten noch sehnen, und da- ist für diese- herrliche Einland Kandy, in welchem wir seit einigen Tagen weilen, in wahrhaft glücklichster Stimmung, die nur durch Ein- getrübt wird: daß man weh- müthig an den Abschied denkt! Schon die vierstündige Eisen- Kahnfahrt von Colombo hierher, wieviel der unvergeßlichen Ein drücke bot sich uni dar, sah man doch fortwährend von den be- guemen Wagen aus, die an den Längsseiten offen und gegen die Sonne durch dachartige hölzerne Jalousien geschützt sind, in dir idealste Parklandschaft hinaus oder vielmehr hinunter, denn die Bahn steigt fortwährend, und während recht- und links im Hinter gründe immer höhere Berge auftauchen, blickt man hinab in die lachenden LHLler, geschmückt von der üppigsten, verschwende rischsten Tropennatur, in welcher wir die thätige Hand de» Menschen nur an den die Bergabhänge bedeckenden Thee-Pflan- zungen sowie an den terrassenförmig angelegten Reisfeldern verspüren. Dicht neben dem Schirnenstrang aber eine einzige. fortlaufende Blumenhecke, besäet mit blauen, rothen, gelben, weißen Bliithen in wechselvoller Pracht. Schwer brütet in diesen Thälern die Sonne; in dem luftigen Speisewagen bei kühlen Getränken merken wir nichts davon, aber der bedienende braune „bc>^ macht uns auf eine Säule aufmerk sam, die dort aufragt, errichtet zur Erinnerung an die zahllosen Opfer von braunen Arbeitern und weißen Ingenieuren, die der Eisenbahnbau hier über dir Gebirgsketten gefordert. Und nun sollen auch wir, wenn auch nur auf wenige Minuten, die Gluth der steigenden Sonne kennen lernen: unser Zug hält, wir müssen hinau-, denn vor wenigen Wochen zertrümmerte hier ein ge waltiger Fel-sturz die Bahnstrecke, und um gigantische Blöcke herum wandern wir auf schmalem Pfade, an dessen rechter Seite eS abschüssig einige Hundert Fuß hinuntergeht, zu dem jenseits der Unglücksstelle unser harrenden Zug«, der unter einer ausge dehnten FelSwölbung hält. Nach halbstündiger Pause, durch das Umladen der Fracht hervorgerufen, ging'» dann schnell weiter, fuhren wir doch hinunter in den Bergkrffrl, in welchem Kandy liegt. Diese Lage bedingt schon, daß die von ca. 250 Europäern und 20 000 Eingeborenen (diese zur Hälfte Singhalesen) be wohnte Stadt mehr zusammen gedrängt ist, al» Colombo. Die Villen der Weißen sind auch hier ganr im Grünen versteckt, meist auf den beiden Hügelseiten des zu Anfang dieses Jahrhunderts künstlich angelegten stattlichen Sees, um den eine sorgsam ge pflegte Promenade führt, wir auch di« nächste Umgebung schöne Spaziergänge aufweist, die zu prächtigen Aussichtspunkten ge leiten. Die Ufer de- Sees selbst wie die nahen Hügel und Berge sind von tropischem Dickicht bewachsen, unter den Bäumen überwiegen Palmen-, Brod- und Tempelbäume, letztere mit den süßduftenden, weißen Bliithen (sehr ähnlich den bei uns bekann- ten Tuberosen), daneben Flamboyantbäume mit ihren unzähligen, den Camelien ähnelnden rothen Blumen und die rothblättrigen Eisen- wie Hibi-cusbäume, ferner Bambus und Schilf in erstaun licher Höhe, aber noch mehr gedeiht blühendes Buschwerk aller Art und unzählige Schling- und Schmarotzerpflanzen, die sich von Stamm zu Stamm und von der Erde zu den Kronen der Baumriesen ranken, so dicht, so massenhaft, daß, um Licht und Luft zu den Wegen zu führen, oft ganze Stellen niedergeschlagen und noch häufiger weite Partien an den Bergabhängen niederge brannt werden müssen, und gerade jetzt sieht man allabendlich die mächtigen Feuer auflodern; in wenigen Jahren aber steht Alles wieder in üppigster und grüner Farbe da! Unmittelbar am See erhebt sich das von einem deutschen Direktor ganz vortrefflich geleitete Oueen's Hotel, in welchem wir sehr gut aufgehoben sind; wunderschön ist von unseren Fenstern der Blick auf die baumumgebene Wasserfläche, aus der die zier lichen Köpfe zahlreicher Schildkröten gucken, die bei dem geringsten Geräusch mit schwerfälligen Bewegungen in die Tiefe tauchen. Hinter dem Hotel und zu seiner rechten Seite dehnt sich die Ein geborenenstadt aus, nur aus einem halben Dutzend längerer Straßen bestehend, meist dicht nebeneinander gebaute Hütten aus Holz und Lehm zeigend, die unteren Gelasse offen oder nur mit Matten verhängt, ein gut Theil des Lebens sich auf der Straße abspielend, zum Mindesten in der Oeffentlichkeit derselben, denn auch die Bureaux der eingeborenen begüterten Kaufleute (es giebt nur zwei oder drei europäische Läden), in denen oft Geschäfte von manchen tausend Rupcen abgeschlossen werden, die Schreib stuben der dunklen Advocaten, selbstverständlich auch die Werk stätten der Handwerker rc. kennen weder Fenster noch Thllren. Selbst der Gottesdienst in den verschiedenen kleinen christlichen Kirchen und Bethäusern (das Srctenwesen scheint in großer Blüthe zu stehen) findet bei weitgeöffneten Thoren und Fenstern statt; die Heilsarmee, die natürlich auch hier ihr Quartier auf geschlagen hat, macht es, wie ich am vorgestrigen Sonntag sah, am praktischesten: an einer Straßenecke predigte rin mit rothem Turban und weißem Anzug bekleideter dunkelhäutiger „Officier" sehr beredt, eine ältliche europäische Dame saß an einem trans portablen Harmonium und entlockte ihm die bekannten Weisen, aber es stand meist nur hindostanische Jugend herum und rin paar Tamulen, die gerade aus ihrem Tempel kamen. Hier in Kandy hat der Europäer noch eine bestimmte Geltung, und zumal der Fremde erfreut sich eines gewissen Ansehens und seitens der Jugend sogar eines beträchtlichen Anstaunrns. Gehe ich aus und durchwandere die Straßen der Eingeborenen, so folgt mir stets ein Trupp dunkelbrauner Schlingel, die bei einer unvermutheten Bewegung meinerseits ängstlich davonstieben, dann sich aber wieder lachend zusammenrottcn und für den Schreck sofort um ein paar Cents betteln; dieses Verlangen nach einigem „Kleingeld" mag mit der Neugierde sehr eng verknüpft sein! Aber auch die Erwachsenen bleiben häufig stehen und sehen sich die ,.6urmau meu", die Deutschen, näher an, denn daß wir aus Deutschland kommen, hat sich doch wohl schon herum gesprochen; führte uns doch gestern Abend nach dem Diner, als wir auf der Veranda unseres Hotels unsere Cigarren rauchten, ein Zauberer unter den bei seinen Kunststücken zur Verwendung kommenden Pupven auch „Mr. Nauke" vor und antwortete aus unsere lachende Frage: ..0, Ar. lauste is u tümon!> Oerman! - — „O, Herr Nauke ist ein berühmter Deutscher" wer von unseren Landsleuten mag dies wohl dem Hindu cingeredet haben! Mit der wundervollen Lage Kandys ist sein gesundes Klima verbunden. Wie frisch und würzig ist hier die Luft gegenüber der feuchten Hitze Colombos, die Einen dort bei der leichtesten Bewegung in einen Zustand versetzt, als ob man in einem rö mischen Bade weile, und wie kühl ist das Wasser zum Waschen und Baden hier! Von der Colombo-Treibhaus-Temperatur ist hier nichts zu merken, wir haben Morgens um sechs 15 und um zehn Uhr Vormittags 20 " Rßaumur, und in der Nacht kann man, bei offenem Fenster, sogar eine leichte wollene Decke ge brauchen, ein Ding, dessen Anwendbarkeit wir während dec letzten sechs Wochen für völlig überflüssig gehalten. Und gerade so lange ist's her, daß wir nicht einen bewölkten Himmel ge sehen, wolkenlos blaute er am Tage stets auf uns herab; hier zum ersten Male wieder sehen wir die „Segler der Lüfte" über den Bergkuppen dahinziehcn und zur Abendstunde wallen selbst Nebel über dem See, aus denen dann ganz phantastisch die blinkenden Glühwürmchen aufleuchten. Kandy ist die alte Krönungs- und Hauptstadt der Insel,
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