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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.12.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971229027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897122902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897122902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-29
- Monat1897-12
- Jahr1897
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Größere Schriften laut unserem Prei«» vrrzeichniß. Tabellarischer und Zisfrrnsatz nach höherem Tarif. Extra »veilagen (gefalzt), nur mit de. Morgen. Ausgabe, ohne Postbeförderunz- 80.—, niit Postbesörderung 7V.—. Auaahmeschlu- für Anzeige«: Abeud«Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. Ntorgeu-AuSgabe: Nachmittag« «Uhr. Sei deu Filialen und Annahmestellen je rin» halbe Stunde früher. Anreisen sind stet« au di« Srheditio» zu richten. I > Druck und Verlag vo» L. Polz in Leipzig KW Sl. Jahrgang- Mittwoch den 29. December 1897. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. December. Während in der letzten Zeit die Gegner der Marine vorlage den „betrübten Lohgerbern" glichen, denen die Felle fortgeschwommen sind, werden sie jetzt hoffnungsfreudig auf- athmen, denn ihnen nabt Hilfe von einer Seite, von der sie sich solche nicht versprochen hatten. Unter den Unterzeichnern des Ausrufs, der eine Kundgebung von Bertrelern des Handels und der Industrie, deS Groß- und des Kleingewerbes für die Vorlage anregt, befinden sich nämlich über lOO — tzommcrztcnräthc! Die „Freisinn. Zlg.", die daS herausgefunden, ist darüber begreiflicher weise höchst erfreut, um so tiefer aber wird die Nieder- geschlagenbeit der „Flottenschwärmer" sein. Denn nun muß es auch dem Blödesten klar werden, daß die Vorlage nichts ist als daS Product von Köpfen, die sich nicht scheuen, zur Befriedigung ihrer Flottensportgeliiste den deutschen Steuer zahlern viele Millionen aus der Tasche zu ziehen, und die angebliche Flottenbewegung nichts als die Mache von Leuten, die durch Willfährigkeit gegen die Flottensportlüstlinge ihren CommerzienralhStüel bezahlen wollen. WaS versteht denn so ein Cvmmerzienrath von dem Zwecke einer Kriegsflotte, von ihrem Werthe für die Handelsflotte, von Handel, In dustrie und Großgewerbe überhaupt, vom Kleingewerbe ganz zu schweigen? Ist eS nicht weltbekannt, daß man zu Com- merzienräthcn nur solche Leute macht, die sich durch Unkennt- niß in commerziellen Dingen ebenso auözeicknen, wie durch Liebedienerei nach oben? Wie sehr diese Leute jedes gesunden UrtheilS entbehren, ergirbt sich schon daraus, daß sie sich einbilcen, durch ihr Eintreten für die Marinevorlaze diese zu fördern, während sie doch einsehen müßten, daß sie gerade durch dieses Eintreten die Vorlage heillos viscrcditiren. Und vollends die übrigen Unterzeichner deS Aufrufs! Sie sehen nicht einmal ein, daß sie sich durch ihre Verbindung mit mehr als hundert Commerzienräthen an den Pranger stellen, ihre geheimsten Strebcrgedankcn enthüllen und dadurch die Vorlage vollends in Verruf bringen! Sie wollen Commerzien- rälhe werd-en, und die Kosten sollen die Steuerzahler tragen! Aber eben weil dieser Zweck so durchsichtig ist, wirb er nicht erreicht werde». Wie ein Mann wird nun das plötzlich aufgeklärte Volk sich erheben, die Streber kennzeichnen und vom Reichstage einmütbige Ablehnung des Entwurfs fordern; die Regierungen aber werden die Cvmmcrzien- räthe und Die, die es werden wollen, die ganze Schwere ihrer Ungnade fühlen lassen. In der That kommen die Regierungen durch die geplante commerzienräthliche Kund gebung auch daun in die schlimmste Lage, wenn die Ver anstalter in Erkenntniß der Zweckwidrigkeit ihres Planes auf dessen Durchführung verzichten; denn schon dieser ungehenerliche Plan ist tödtlich für die Vorlage, wenn nicht schleunigst zu dem einzigen heroischen Mittel gegriffen wird, das die Unbesonnenheit der Veranstalter wieder gut machen kann. ES wird schwere Ueberwindung kosten, es anzuwenden, aber in einem so kritischen Momente darf man auch daS Peinlichste nicht scheuen. Man mache schleunigst Herrn Eugen Richter, den scharfsinnigen Entdecker der commerzienrätblichen Namen unter dem Aufrufe, zum Cvmmerzienrath. Dann verzichten alle übrigen Träger LeS Titels auf diesen, er hört auf, begehrenswerth für die übrigen Unterzeichner des Aufrufs zu sein, alle Unterzeichner werden in der öffentlichen Meinung rehabilitirt und ihre Kundgebung macht den beabsichtigten Eindruck. Alles aber. WaS mit dem CommerzienrathStitel an ihnen klebte, ist auf den Häuptling der Flottengegner abgeladen. Ablehnen wird er den Titel nicht, denn er ist ja tief überzeugt, daß er allein, wenn das wahre Verdienst belohnt würde, kaiserlich deutscher Cvmmerzienrath sein müßte. WaS man nicht Alles erlebt! Es gab eine Zeit, wo Herr Eugen Richter von der großen Mehrheit der deutschen Inden sozusagen als ihr Syndikus betrachtet und behandelt wurde. Sammellisten aus dem Süden wie dem Norden, wenn sie erhalten sind, können davon erzählen, wie doch man in diesen Kreisen den Mann als Schilthalter geschätzt hat. Er versah denn auch seinen Dienst nach bestem Wissen und Können. Obwohl nicht feinfühlig durch Veranlagung, ver leugnete er seine Natur, um sich jene Mimosenhaftigkeit an zuempfinden, die überall Antisemitismus witterte. Unver geßlich ist eS, wie Herr Richter — es war freilich vor den Wahlen — im Jahre 1890 Tag für Tag einen Klageschrei über die BerfassungSverleyung erhob, die er, natürlich im vollen Ernste, darin fand, daß die Zahl der activen jüdischen Officiere in den HeereScontingenten eine geringfügige ist. Damals war es auch, wo er an die Dutzend jüdischer Reickslagscaudidaten aufstellte, allerdings zumeist an Plätzen, wo freisinniges Wild nicht zu wechseln pflegt. Kurz, Herr Richter stand da als der Fels, an dem die Wogen des Antisemitismus, mochte er wie immer geartet sein, früher oder später sich drecken mußten. Und was müssen wir heute in der „Freisinnigen Zeitung" lesen? Dem „Berliner Tageblatt" und dem „Berliner Börsen - Courier", die wieder einmal auf die üblen Folgen deS Kampfes der beiden freisinnigen Flügel hingewiesen hatten, erwidert Herr Richter, daß der Streit nur wenig Wahlkreise berühre, und er kleidet seine Schluß folgerung in die gemischtsprachige Form: „WaS soll also dieses ganze Geseire?" Früher hatte die „Freisinnige Zeitung" für solche Ausdrucksweise ein eigenes Fach mit der Aufschrift: „Antisemitische Gemeinheiten". Und jetzt läßt Herr Richter die von den größeren antisemitischen Blättern selbst verlassene, der Blüthezcil der Iudenhetze entstammende Manier des spottend nachäsfenden „MauschelnS" in eben dieser „Freis. Zlg." wieder aufleben, tzuautum mutatim ad illc»! „Ich seh wahrhaftig schon die Zeit", wo die Zimmer mann und v. Liebermann daS in Vergessenheit gerathene „Hepp, bepp" anstimmen werden, um nur in der anti semitischen Steepleckase nicht von dein officiellen Organe der Freisinnigen BolkSpartei um viele Nasenlängen — „Juden nasenlängen", wie Herr Richter nun bald witzig sagen wird — geschlagen zu werden. Man versteht die wachsende Liebe für die Antisemiten und die gegentheilige Empfindung für die Juden in der führenden voUsparteilichen ManneS- brust. Die Antisemiten liefern „aus Bosheit und Plainr" kostenlos conservative Mandate in die freisinnige Küche, wo Meister Schmalhans auS den Töpfen guckt, und was die freisinnigen Juden betrifft, so kann Herr Richter mit dem Schatzmeister im „Faust" über die „wie Röbrenwasser" ausbleibenden Sudsidien klagen. An Herrn Richler's fünfzigstem Geburtstage mußten sich die Cassen der freisinnigen Wahl- und Preßfonds weit, weil öffnen, um einen Goldstrom einzulassen. Zm nächsten Jahre feiert er den sechzigsten, und die Hoffnung, daß mehr als schmale Silberbäche den Lauf zum volksparteilichen Häuptlingszelte nehmen werden, ist in seinem Busen gestorben. So etwas muß den Menschen und den Parteiführer verdrießen. Aber wer die Trümmer der Volkspartei und deren noch immer confessionell gemischten Charakter kennt, muß sich doch Wundern, daß Herr Richter die philosemitische Maske so ganz fallen läßt bis zum mißfälligen Pfeifen Meseritzer Heimathsweisen. Wir für unfern Theil können wenigstens die Absicht nicht er kennen und fragen hiermit nach berühmtem Muster ergebenst an: Woßu, Herr Eugen Richter? Wie sehr durch die Ausschreitungen des tschechischen Deutschenhasses in Böhmen der Ruf und das Ansehen des Landes geschädigt werden, ist aus zahlreichen, auS dem Auslande an den Ausschuß der nächstjährigen Ausstellung in Brüx einlangenden Briefen ersichtlich, in welchen man eine eventuelle Betbeiligung nur dann in Aussicht stellt, wenn jeder tschechische Einfluß bei diesem Unternebmen ganz ausgeschlossen bleibt. So schreibt unter vielen Anderen eine alte, renommirle Fabrikunternehmung aus Liegnitz folgende bezeichnende Zeilen: „Auf Ihre Anfrage erwidern wir Ihnen, daß wir im Princip ja nicht abgeneigt wären, Ihre Ausstellung mit zu beschicken. Nur blieb uns dabei das Bedenken nicht fern, daß irgendwie Tschechische Hand, sei es bei den Ausstellern oder bei den Besuchenden, mit im Spiele sein könnte, denn sobald dies der Fall, würden wir uns unter keinen Umständen betheiligen. Hierüber mühten wir also erst Ihre bestimmte Erklärung haben, und wissen wir uns hierin einig mit noch so und so vielen anderen reichsdeutjchen Firmen." Dem gegenüber bat der Ausstellungsausschuß sofort ge eignete Schritte eingeleitet, um dem Auslände, sowohl als dem deutschen Inlande gegenüber festzustellen, daß die „Nordweslböhmische Ausstellung für deutsche Industrie, Gewerbe und Landwirthschaft 1898 in Brüx", wie schon der Name sagt, ein durchaus von Deut schen ausgehendes und nur für Deutsche berechnetes Unternehmen ist, das hauptsächlich ein Bild der wirlhschaft- lichen und culturellen Entwickelung des deutschen Volksstammes bieten soll. Der Preßaussckuß der Brüxer Ausstellung ersucht darum alle befreundeten deutschen Blätter von dieser Er klärung Notiz zu nehmen. Die Herren Tschechen aber mögen aus den angeführten deutschen Kundgebungen entnehmen, wie sehr sie sich durch ihren Chauvinismus vor der civilifirten Welt in Verruf gebracht haben. Mögen sie denn an ihrer chinesischen Mauer weiter bauen, die sie von der Weltcultur abschließt, der Schaden wird schließlich nur auf sie selbst zurückfallen! An Blamage fehlt es ihnen jetzt schon nicht. Wie auS Prag gemeldet wird, ist der Bürgermeister Janda vom Vororte Werschowetz verhaftet worden und zwar erfolgte, wie der „Magdeb. Ztg." gemeldet wird, die Verhaftung wegen DiebstahlS- theilnahme. Begangen wurden die Waarendiebstäble vor dem Prager Staatsbahnhofe im Einversländniß mit Bahn bediensteten. Bei Janda soll ein Theil der Waaren gefunden worden sein. Der Edle ist auch der Mitschuld an dem Ueber- fall der Wcrschowctzer deutschen Schule verdächtig. Vor Kurzem batte er noch die Dreistigkeit gehabt, sich über die Werschoweyer Polizei höheren OrtS zu beschweren; ibre Leistungen wären ungenügend gewesen, weil sie ihre Auf merksamkeit der deutschen Schule zugewandt habe. Es beißt, daß Dänemark daran denkt, seine drei zu den kleinen Antillen gehörenden Inseln an die Ver einigten Staaten zu verkaufen, daß aber auch Deutschland bereit sei, den Dänen die Inseln abzukaufen. Für die Vereinigten Staaten hätte der Besitz der Inseln weniz Werth. Sie zeichnen sich weder durch Größe, noch durch b, sondere Fruchtbarkeit aus, und sie sind auch strategisch für die Vereinigten Staaten nicht wichtig; denn diese sind durch ihre bi zum 25. Breitengrade vorgeschobene Lage im Stande, auch jetzt schon jeder Zeit in kurzer Frist überall in Ameriti einzugreifen. Ob ihr letzter nach Süden vorgeschobener Posten bi zum 25. Breitengrade reicht, wie die Südspitze von Florida, oder bis zum 18. Breitengrade, wie die dänische Insel St. Croix, dürfte von keiner Bedeutung sein. Auch die Monroe-Doctria käme nicht in Frage, wenn die Inseln aus dänischem in deutschen Besitz übergingen; denn sie wechseln dann nur ihre europäische Herrschaft. Ganz etwas Anderes ist es aber mu den Interessen Deutschlands. Deutschland würde an den Inseln endlich einen maritimen Stützpunkt für seine vielfachen amerikanischen Interessen gewinnen. Deutschland hat in den letzten Jahren wiederholt die Interessen deutscher Staatsangehöriger auf den Antillen, auf dem Festlande von Mittelamerika und an der Ostküste Südamerikas wahrzunehmcn gehabt. Für diese Interessen bieten die dänischen Inseln ihre geographischen Lage nach einen ganz ausgezeichneten Mittelpunkt Die commerziellen Interessen Deutschlands in Mittel- und Süd amerika sind kaum geringer, als die in Ostasien. Die, wir möchten sagen, persönlichen Interessen, — d. h. das Interest für deutsche Staatsangehörige — sind beträchtlich größer, denn in Mexiko, Mittelamerika Venezuela, Brasilien und Argentinien sind viel mehr Deutsche ansässig, als im gesammten Ostasien. Zu besorgen ist freilich, daß bei der nicht sehr freundlichen Stimmung der Dänen gegen Deutschland Dänemark die Inseln eher für einen bescheidenen Preis an die Vereinigten Staaten, als für einen anständigen Preis an Deutschland abtreten wird. Die Wiederbesetzung des ShyberpaffcS durch eng lische Truppen entlastet das Herz der angloindischen Politiker von einer schweren Sorge. Denn der Rückzug deS Expeditionscorps aus den insurgirten Grenzgebirgsländer» war nickt darnach angetban, den Respect der indischen Be völkerung vor ihren ausländischen Beherrschern zu erhöben. Die Wiederbesetzung der wichtigen Position von Ali- Musjid im Khyberpaß war das Wenigste, was gesckebe» mußte, um dem raschen Verfall des Prestiges der englischen Waffen, der dem Mißerfolge gegen die Afridis sick auf dem Fuße anschloß, einigermaßen zu steuern. Eine Position von so hervorragender strategischer Wichtigkeit durfte überhaupt nicht dem Risico, durch einen Handstreich verloren zu gehen, ausgesetzt sein, wenn aber, so mußten unverzüglich Anstalten zu ihrer Rückgewinnung getroffen werden. Es scheint, daß die Sorglosigkeit und Kurzsichtigkeit der englischen Kriegführung in Indien heute noch ebenso unbegrenzt ist als in den Tagen des Sepoh-AufstandeS, nur daß seitdem die allgemeine politische Constellation Asiens sich keineswegs zu Gunsten des englischen Macht einflusses daselbst verschoben hat. Für die GemüthS- stimmung der indischen Bevölkerung sind die immer heftigeren Auslassungen der einheimischen Hindupresse in hohem Grade bezeichnend. So forderte unlängst ein in Bombay erscheinen des Mahratta-Blatt, daS im ganzen indischen Nordwesten gelesen wird, mit unverblümten Worten die Sepoytruppen zur Meuterei auf, indem eS zu beweisen unternahm, daß die englischen Regimenter, deren Leute ja, wie man weiß, zur Hälste in den Spitälern liegen, nicht eine Stunde lang den eingeborenen Soldaten Stand zu halten vermöchten. Man darf nicht übersehen, daß den Orientalen nur Die Geschichte meines Stipendiums. Bon Rudolf Greinz. Nachdruck verdoten. Ich habe arm studirt. Wenn eS mir nicht geglückt wäre, ein kleines Familien-Stipendium zu erlangen, dann hätte ich wohl überhaupt mein Licht unter den Scheffel stellen müssen. Nach absolvirtem Gymuasiuin wandte ick mich dem Studium der Kunstgeschichte zu. DaS Doctordiplom hatte ich endlich in der Tasche. Mein Stipendium war mit deut Abschluß meiner Studien sistirt. Nur noch eine einzige Rate war zu beheben. Meine gute Mutter, die ich früh verlor, stammte aus einer freiherrlichen Familie. Diesem Umstande hatte ich auch mein Stipendium zu verdanken. Die Auszahlung desselben erfolgte regelmäßig am Landgericht gegen Quittung und AuS- folgung des von Fall zu Fall von dem Amtsgericht eines entlegenen Nestes unterzeichneten StistSbriefeS. Dort hausten die Nachkommen deS Stifters. Es war mir einmal mitgetheilt worden, daß die Besitz- tbümer dieser mir gänzlich unbekannten Verwandtschaft aus Olim'S Zeiten an eine alte lebige Dame übergegangen seien, die nicht von dem liebenswürdigsten Charakter sein sollte. Ich batte eine Probe davon bereits zu Beginn meiner akademischen Studien erhalten. Da kam von dem Amts gericht Lingenau — so hieß daS Nest — au mich im Auf trage der gegenwärtigen Majoratsherrin Ulrike Freifräulein von Zierfeld der stricte Befehl, mich dahin zu äußern, ob ich wohl keiner schlagenden Verbindung angeböre. Ich war aber trotzdem die letzten zwei Jahre meiner UniversitätSzeit ein flotter CorpSbruver, soweit e« meine beschränkten Mittel erlaubten. In meiner Brusttasche steckte die unterschriebene Quittung für die letzte Rate meines Stipendiums. Ich wollte heute noch nach dem Landgericht, um mir da« Geld zu holen. Eine Viertelstunde später stand ich vor der Liquidatur, wo mir die Summe und der quittirte Stiftsbrief eingehändigt wurden. Zum letzten Mal. In nicht gerade rosiger Stimmung kam ich nach Hause. Ich entfalte zufällig den Stift-brirf, al« mir die Unterschrift bei der letzten Auszahlung ausfiel: Königliches Amtsgericht Lingenau. vr. Wilbelm Bornemann, Amtsrichter. Den kannte ich ja! Als ich noch crasser Fuchs bei den Vandalen war, machte er seine Gerichtspraxis und war unser Conkneipant. Ich batte sogar mit ihm Bruderschaft getrunken. Dann waren wir uns entschwunden, wie es im Leben zu gehen pflegt. Also schon Amtsrichter! Hat rasch vorwärts gemacht der Bornemann! Sonderbar, aus welchen Wegen man von einem Menschen wieder ersäb.t!... Zu dem einzigen Fenster meiner Bude im vierten Stock, der ich durch Iabre treu geblieben war, wob die Abend dämmerung ihre Schleier herein. Da kam eS plötzlich wie eine innere Erleuchtung über mich. Ich zündete hastig meine kleine Studirlampe an, setzte mich zum Tisch, nahm einen großen Bogen vor und schrieb in eiligen Zügen folgenden Bries an meinen Freund Bornemann . . . „Lieber Wilhelm! Mit lebhafter Freude laS ich Deinen Namen unter dem letzten AuSzahlungs-Vermerk meines Stipendiums. Und nun falle ich sofort mit der Thüre ins HauS. Ich habe vor Kurzem meinen Doctor gemacht und gedenke mich baldmöglichst zu babilitiren. Dazu braucht's aber Geld und wieder Geld. Mit ein paar Hundert Mark wäre ich schon heraus. Könnte eine kleine Studienreise machen und mich während der nächsten Zeit ungestört meiner Wissenschaft widmen. Ich habe nickt cm Entferntesten die Absicht, Dick anzupumpen. Jedoch dürfte eS vielleicht Deinen persönlichen Beziehungen zu meiner mir unbekannten Urtante Ulrike von Zierfeld gelingen, eine außerordentliche Unterstützung für mich berauSzuschlagen. Ich habe allerdings nicht viel Erfreuliches über Vie Liebenswürdigkeit der Majo- ratSberrin gekört. Erwähne ja nichts von meinem Van- dalenthum! Die alte Dame scheint keine Freundin von schlagenden Verbindungen zu sei«. Sprich also für mich bei dem alten Drachen. Fressen wird er Dich wohl nicht. Du bist ja als Amtsrichter eine Respektsperson. Mit großer Spannung sehe ich Deinen Nachrichten entgegen. Fiducil! Dein alter treuer ii)r. Edgar ReinfelS." Eilig adressirte ich den Brief, sprang über die vier Treppen hinunter und trug ihn zum nächsten Postschalter. Da« war «in Einfall gewesen! — Eine ganze Woche verging unter Hoffen und Harren. Dann kam ein kurze« Schreiben von Bornemann: „Lieber Alter! Deinen Brief erhalten. Ich glaube, e« wird besser sein, wenn Du selber kommst. Ich habe dem „Drachen" von Deinem Anliegen bereit« Mittheilung gemacht. Er wünscht persönliche Vorstellung. Aussichtslos ist Deine Sache keines wegs. Ich will Dir ein getreuer Schildknappe sein. Salem Aleikum! Ich bin seit anderthalb Jahren verdeirathet und sehr glücklich. Wir haben kürzlich einen kräftigen Jungen auS der Taufe gehoben. Melde Deine Ankunft!" Besonders beruhigend klang das gerade nicht. Etwas warS aber doch. Ick würde mich auch leichteren Herzens zu der Fahrt nach dem Glück entschlossen haben, wenn mich der Spiegel nicht jeden Tag darüber belehrt hätte, daß eine regelrechte hohe Quart meine Physiognomie verschönern half. Und damit sollte ich der MajoralSherrin begreiflich macken, daß ich nie einer schlagenden Verbindung angehört habe! — Ich beschloß trotzdem, sofort abzureisen. Meinem Freund telegraphirte ich, daß ick morgen mit dem Mittagzuge am Ende deS verfügbaren Schienenweges ankommcn und von dort meinen Weg per Post weiter suchen würde. Als am nächsten Tag die schnaubende Lokomotive der Secundairbahn mit 35 Minuten Verspätung ihr Endziel erreicht hatte, war ich nicht wenig erstaunt, Freund Bornc- mann mit seiner Frau, einer Herzticken kleinen Brünette, auf dem Bahnhof zu finden. Als wir vom Perron ins Freie traten, wartete auf uns eine herrschaftliche Equipage mit livrirtem Kutscher. „DaS siebt aber verdammt feierlich aus!" rief ick. „Wir werden Dich doch nicht in dem miserabeln Rumpel kasten von einem Postwagen fabren lassen! Der Wagen ist natürlich vom Schloß. Tu siebst, cS läßt sich gar nicht so unfreundlich an!" klopfte mich Bornemann auf die Achsel. Er nölhigte mich, einzusteigcn. Auf meine Erkundigungen nach der MajoratSberrin gab er ziemlich ausweichende Ant worten. Dann fragte er mich eindringlich, ob ich auf der Bahn vielleicht zufällig Leute auS der Gegend gesprochen habe, die mir von dem alten Freifräulein Näberes erzählt hätten. Als ich e« verneinte, war er sichtlich befriedigt. In nicht viel mehr al- zwei Stunden erreichten wir den Markt, der sich malerisch am Fuße eine- langgestreckten HöbenzugeS auSbrritete. DaS „Schloß meiner Ahnen" lag noch etwa eine Viertelstunde außerhalb des Orte« auf einer kleinen Anhöhe, von einem riesigen Park umgeben. Eine breite Fahrstraße führte durch den Park, um den eine ziemlich hohe Umfassungsmauer lief. Auf der Straßen seite war die Mauer durch ein elegante« Gitter unterbrochen. Freund Bornemann sprang au« dem Wagen, zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloß daS Gitter auf. Er schien hier wie zu Hause zu sein. Das Gitter wurde hinter uns gesperrt und es ging in langsamem Tempo den sorg fältig geschotterten, sich in weiten Serpentinen windenden Weg empor. Der Wagen hielt an einer großen Rampe. Ei» livrirter Diener öffnete den Schlag und belud sich mit meinem kleinen Reisekosfer. Wir stiegen eine prachtvolle Freitreppe empor, der Diener mit dem Koffer voran. Wir langsam hinter drein. Ein Stockwerk. Ein zweites Stockwerk. Wir traten in ein geräumiges Zimmer. Der Diener stellte den Koffer auf den Boden und entfernte sich schweigend mit einem Bückling. „Und jetzt?" fragte ich meinen Freund in etwas unbehag licher Stimmung. „Jetzt lassen wir Dich allein!" entgegnete er. „Du mußt doch Toilette machen!" „Wir geben einstweilen in den Salon hinunter zu dem gnädigen Fräulein und erwarten Sie dort", sagte Krau Bornemann. „Das Stubenmädchen oder ein Diener wird Sic führen. Läuten Sie, sobald Sie fertig sind!" Sie deutete nach einem gestickten Glockenband neben der Tbür. „Kneife mir nicht aus!" flüsterte ich meinem Freunde zu. „Verlaß Dick auf mich! Eine halbe Stunde wird für Deine Vorbereitungen wohl genügen?" „Ich denke!" Ich schüttelte ihm die Hand. Herr und Frau Bornemann verließen mich. Ich war allein in meinem neuen Heim. Aeußerst comfortableS Zimmer. Die Fenster gingen nach dem Park. Draußen der blaue Himmel und lichter Sonnenschein. ES wäre märchen haft schön gewesen, wenn mir meine erste Aufwartung bei der freiherrlichen llrtante nicht noch bevorgeslanden hätte . .. Als ick mich vom Fenster weg wandte, siel mein Blick auf ein Bild, das an der einen LängSwand deS Zimmers hing. ES stellte die heilige Familie dar. Ein Sonnenstrahl spielte auf den goldenen Locken des KindeS. Das war ein guter alter Meister, ein Kunstwerk ersten Ranges! Ich trat näher, legte die Hand über die Augen, um alle Einzelnheiten plastischer bervortreten zu lassen. Hier stand ich vor etwa- Außergcwöhnlichem! ES ließ mir keine Ruhe mehr. Ich stieg auf einen Stuhl, nahm daS Gemälde vom Nagel, brachte es ans Fenster nnd ließ das Sonnenlicht, gedämpft durch den halb zugezogeneu Vorhang, aus all die Farbenpracht fallen. Ein lauter Jubel schrei entrang sich meiner Brust. Ich konnte mich unmöglich täuschen. DaS war ein echter Tintoretlo! Ich hatte unwillkürlich die Hände vor der Brust gefaltet
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