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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.10.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971028011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897102801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897102801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-28
- Monat1897-10
- Jahr1897
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. dir Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Filialen: Ltto Klemm s Lortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Aatbarinenstr. 14, part. und Königsplatz 7. Ne-action und Expedition: Aohannesgafse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geössnet von srüh 8 bis Abend» 7 Uhr. Bezugs-Preis der Hauptexpedition oder den im Stadt« bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directr tägliche Kreuzbandiendung in» Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. ripMtrTagMatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nokizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 80 Psg. Reclamen unter dem RedactionSstrich i4ge« spalten) 50^, vor den Familirnnachrichten (6 gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis Tabellarischer und Zisserniatz nach höherem Tarif. Hrtra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mrt Postbeförderung 70.—. Ännadmelchluß für Äiyeiyett: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die k-xpedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 28. October 1897. 91. Jahrgang. Die Behandlung landwirthschaftlicher Fragen. ES unterliegt keinem Zweifel, daß die Behandlung landwirtkschaftlicher Fragen langsam in die Bahnen wieder zurückgelenkt wird, die sie im Interesse nicht nur der Landwirthschast selbst, sondern des gejammten Erwerbslebens niemals hätte verlassen sollen. Für die Commission zur Vor bereitung der Handelsverträge, soweit es sich um die Mit wirkung der dazu berufenen Erwerbskreise handelt, sind nun auch die Vertreter der Landwirthschast vom deutschen Land- wirtbschastSratb gewählt. GrafKanitz, dessen Anträge haupt sächlich der Agitation die Grundlage boten, ist darunter. Und damit entfällt selbst für die Extremsten der Einwand, daß die Wünsche der Landwirthschast bei den gedachten Vor arbeiten für die künftige Handelspolitik nicht in vollstem Umfange berücksichtigt wären. Damit versteht es sich aber auch von selbst, daß man in Zukunft auf diesen Aus schuß verweisen wird, sobald die BundeSleitung beansprucht, allein beurtbeilen zu können, was handelspolitisch für die Landwirthschast ohne Schädigung berechtigter anderer Er- werbsinteressen gethan werden kann. In diesem Zusammenhang darf wiederholt auf eine Schrift verwiesen werden, welche „Grundzüge der deutschen Agrar politik" betitelt und im Verlag von P. Parey in Berlin erschienen ist, insbesondere die „kleinen" und „großen Mittel" behandelt und von einer der ersten wirthsckafls- politischen Autoritäten stammt, dem Präsidenten des badischen Finanzministeriums vr. A. Buchenberger; demselben, der, wie es im Frühjahr hieß, im Reichsschatzamt dem Staatssecretair Grafen von PosatowSky folgen sollte. „Im Interesse der gedeihlichen Weiterentwicke- lunz des wichtigen, landwirthschaftlichen Berufsstandes" ist das Werk geschrieben, das sich zur Aufgabe setzt, die agrar politischen Fragen gemeinverständlich zu erörtern und den weitesten Kreisen der Landbevölkerung in dem Irrgarten agrar politischer Fragen ein Führer und Wegweiser zu sein. Das Vorwort, das den reichen Inhalt des Werkes und die Resultate der Untersuchungen des Verfassers zusammenfaßt, haben wir bereits mitgelheilt; mit welchen Absichten und Hoffnungen das Buch geschrieben ist, sagt das Schluß wort, das vor einer trüben, pessimistischen Ausschau in die Zukunft warnt und als Grundforderungen einer er sprießlichen Agrarpolitik vorzeichnet: Die Agrarpolitik soll der Forderung des Schutzes und der Pflege der nationalen Arbeit jeder Zeit gereckt werden, da diese Forderung nir gends mehr angebracht ist, als gegenüber dem Produktions mittel Grund und Boden, von dessen fleißiger und intensiver Bestellung nationale Wohlfahrt, Kraft und Stärke von jeher bedingt war und selbst in industriell vorgeschrittenen Staaten dauernd bedingt ist. „Aber", heißt cs dann weiter, „in der Verwirklichung dieser Forderung ist AUeS zu ver meiden, was auf Unterbindung des Selbstverantwortlichkeits- gesübls hinausliefe und deshalb nicht dem wirthsckafllichen Fortschritte, sondern dem Stillstände die Wege ebnen würde. Also Staatshilfe, die der Selbsthilfe Vorschub leistet, und Selbsthilfe, die auf wohlmeinende, verständnißvolle Staats hilfe sich Rechnung machen darf." Unter diesem Gesichtspunkt wird die Lage der Landwirth- sckaft dargethan, die Grundverfassung und der geschäftliche Werdegang des Landwirthschaftsbetriebes, der Güter verkehr, Grundkapital und Gruntcredit, Ver- und Ent schuldung des Grundbesitzes, die Betriebstechnik, Ausgaben und Lasten deS landwirlbschaftlichen Betriebes, schließlich die Einnahmen, Marktpreisbildung und deren Beeinflussung durch die allgemeine Wirtbschaftspolitik. Eindringlich warnt Or. Buchenberger, nachdem er auf wissenschaftlicher Grundlage über alle diese Seiten des landwirthschaft- licken Gewerbes gemeinverständlich und überzeugend sich geäußert, einerseits vor der Befehdung einer maßvoll walten den Regierung durch die Vertreter einer extrem-agrarischen Richtung, die nicht nur nutzlos einen großen Theil der ländlischen Bevölkerung in eine Kampfstellung zur Negierung dränge, sondern auch wohlwollende nicht agrarische Kreise von der Mitwirkung abdränge. Er warnt ferner vor einem „Universalrecept" und bringt in Erinnerung, was auf dem Gebiete der Selbsthilfe, der Verbesserung der land- wirthschastlichen Technik, Bildung und Erziehung, der Weiter bildung des Agrarrechts, der Regelung der Verschuldungs frage, zweckmäßige Einrichtung des Grund- und Betriebscredits, des Wucherrechts, des Sieuerwesens und des thatsächUchen Zollfchutzes geschehen ist, um den so bestrittenen guten Willen des modernen Staates zwingend za erweisen. Mit demselben Nachdrucke warnt die «Schrift aber auch vor der Meinung, die, soweit die politischen Entscheidungen in Betracht kommen, doch nur durch eine kleine Minderheit vertreten wird, daß die Erkrankung des landwirthschaftlichen Gewerbes um so schneller überwunden werde, ze mehr man eS sich selbst überlasse. Wir legen den Nachdruck darauf, daß eine gesunde Agrarpolitik, weil der allgemeinen Wohtfahrt zu Gute kommend, vermöge des Ausgleichs aller gewerblichen Interessen auch zugleich nur eine Sammlung aller wirklich um das Wohl der Nation sich mühenden Kräfte sein kann. Daraus folgt, daß eine gesunde Agrarpolitik nicht in der Alleinherrschaft wirthschaftspolitischer Interessen und in derZurückdrängung der nationalen Interessen bestehen, sondern, wenn sie zu einem ersprießlichen Ziele führen, soll, auch der Zusammenfassung aller national gesinnten Kräfte nickt entralhen kann und alle Bestrebungen von sich weisen muß, die einen öden Materialismus auf den Thron setzen und unter seinen Mantel auch die Elemente sammeln wollen, die in den Grenzmarken und im Schooße deS Reiches aus eine Zerstörung des deutschen Reichsgevankens hinarbeiten. Die Vorgänge in Hannover entheben unS der Aufgabe, dieses durch Beispiele näher zu erläutern. „Deutsche Tageszeitung", Mittelstands- potitik und capitalistische Betriebe. Man schreibt uns: Das Organ deS Bundes der Land- wirtbe, die „Deutsche Tageszeitung", bringt in ihrer Nr. 50l vom 26. ds. Mts. an leitender Stelle eine Zuschrift aus Handwerkerkreisen, die das Ueberwuchern der Waarenhäuser beklagt und die Handwerker zur Selbsthilfe nach der Richtung hin auffordert, nur bei Handwerkern zu kaufen, die Waaren häuser zu meiden und sich nicht vom äußeren Schein und von angeblich billigen Preisen blenden zu lassen. Die „Tages zeitung" fügt diesem „Mahnrufe", der einen großen Erfolg kaum haben werde, aus Eigenem hinzu, „daß man darum nickt müde werden dürfe, die Gewißen, insbesondere auch aller Angebörigen der productiven Stände, in dieser Frage zu schärfen. Wenn selbst nur alle Angehörigen des Handwerks bei der Versorgung ihrer Bedürfnisse im Bewußtsein der Solidarität ihrer Interessen handelten, so würde die Gefahr, die vom kapitalistischen Betriebe des Kleinhandels droht, um ein gutes Theil vermindert sein. Aber die dazu nöthige Einsicht sei der Mehrzahl — wenigsten- ter Frauen — nickt oder nur schwer beizubringen. Sie unterlägen auch zu leicki ver Versuchung der scheinbaren Billigkeit. Und deswegen seien alle Bestrebungen gegen das Ueberwuchern der Waaren häuser und Ramschbazare auf dem Wege der direkten Selbst hilfe bisher vergeblich geblieben und würden es wobl auch ferner bleiben. Das Blatt für „Mittelstandspolitik" em pfiehlt sodann den Weg differentieller Besteuerung und gesetz licher Organisation, sowie den Zusammenschluß der selbst ständigen Gewerbetreibenden, der Handwerker und Klein kaufleute, wie er vorbildlich in einem Stadttheile Berlins vor sich gegangen sei. So weit die „Deutsche Tageöztg." auf Seite 1 ihrer Nr. 501. Auf Seite 3 derselben Nummer und zwar über dem redaktionellen Striche, also an bevorzugter Stelle, findet fick eine längere Reclamenotiz, deren einleitender Satz folgendermaßen lautet: „Das Geheimniß des kolossalen Absatzes der weltbekannten Firma Zeteler Weberei, Janssen L Comp., Tuchfabrik und Versandt in Oldenburg im Gr., beruht in der vorzüglichen Güte, Dauerhaftigkeit und Eleganz der von ihr fabricirten und geführten Stoffe, die gerade in folge dieses großen Absatzes wiederum zu sehr billigen Preisen abgegeben werden können" u. s. w. Zu sicbtbarlicher Ver anschaulichung legt die „Tagesztg." ibrer Nr. 501 einen Pro spekt der Firma Janssen <L Comp., Tuchfabrik und Versandt, bei, in welchem, unter Anfügung einer vorgedrucklen Bestell karte, mit mehr oder weniger Geschick Tuckfabrikate an gepriesen und das Publicum zum direkten Bezug von Neu heiten in Herren-, Damen- und Kinderstoffen, Reise-, Schlaf- und Pferdedecken rc. aufgefordert wird. Dieselbe „Tageszeitung", die als einzig wahre Vertreterin des gewerblichen Mittel standes in Stadt und Land ihrer Gepflogenheit gemäß mit tönenden Worten an leitender Stelle gegen die Gefahr der kapitalistischen Betriebe zu Felde zieht, stellt sich wenige Spalten weiter in den Dienst eines solchen kapitalistischen Betriebe», um dessen Erzeugnisse seinen Lesern zu direktem Bezüge, also unter Umgebung deS ihr so sehr am Herzen liegenden gewerblichen Mittelstandes, deS Manufacturisten, SchnittwaarenbändlerS, Schneiders der kleineren und Mittel stadt, frisch, fromm, fröhlich, frei zu empfehlen. Und das geschieht nicht zum ersten Male, sondern seil dem Erscheinen Der „Tagesztg." in flotter Folge auf fast allen Gebieten LeS gewerblichen Lebens, gleichviel ob es sich um Tuch, Cigarren, Kohlen, Bücher, Sämereien, Maschinen und Gott weiß waS noch bandelt. Da möchte man dem Blatt denn doch empfehlen, zunächst einmal das eigene Gewissen zu schärfen und sich diejenige „Einsicht" anzueigncn, die es leichten Herzens der Mehrzahl der Frauen abspricht. Es wird dann zu der Einsicht kommen, daß seine „Mittelstands politik" reckt platonischer Natur ist und da aushört, wo der eigene Geldbeutel und die Gebühren für Beilagen kapita listischer Betriebe für sie in Frage kommen. Es wird in Deutschland so leickt kein zweites Blatt zu finden sein, welches sich durch seine Thaten zum Schaden deS seßhaften Mittel- und Kleingewerbes in solchen Widerspruch zu seinen honigsüßen Worten gesetzt hätte. Die Nr. 501 der „Deutschen Tageszeitung" mit ihrer doppelseitigen Moral sei nicht nur der Beachtung deS Handwerks, sondern aller Der jenigen empfohlen, die eS angeht. Deutsches Reich. L. Leipzig, 27. Oktober. Tie „Kreuzztg." laßt sich von der „Ostpr. Ztg." darauf aufmerksam machen, daß die von uns nicht berücksichtigte Broschüre deS jüdischen Privatdocenlen Or. Hugo Preuß über daö Iunkerthum in demselben jüdischen Berlage erschienen sei, der kürzlich anonym eine andere Flugschrift unter dem Titel „Altconservativ! Versuch einer Zusammenstellung und Begründung altconser- vativer Forderungen" veröffentlichte. In Wirklichkeit ist die zuerst genannte Broschüre im Verlage von Rosenbaum L Hart, die andere im Verlage von Im berg L Lessen erschiene». Anknüpfend an die falsche Angabe der „Ostpr. Ztg." wiederholt die „Krenzztg." mir großer Energie den schon einmal gemachten Versuch, den Verfasser der auch von uns erwähnten Broschüre „Altconservativ" von den konserva tiven Rocksckößen abzuschütteln. Dabei geht es ohne eine der „Kreuzztg." geläufige Verdächtigung der liberalen Presse nicht ab. Die „Kreuzztg." schreibt nämlich: „Tie Flugschrift „Altconservativ" rührte nicht von conservatlver, sondern von jüdisch-demokratischer Seite her und hatte keine» anderen Zweck, alS den konservativen Gedanken zu schädigen. Ten liberalen und demokratischen Blättern konnte es nicht unbekannt sein, daß e» sich hier um das untergeschobene Erzeugnis einer demokratischen Feder handelte. Indem sie die Fälschung sür Wahrheit ausgaben, machten sie sich selbst der Fälschung schuldig und bekundeten dadurch, daß ihnen kein Mittet zu schlecht ist, um die konservative Partei zu bekämpfen." Angesichts dieser groben Verdächtigung wollen wir der „Kreuzztg." mittheilen, was die „Leipziger Zeitung" über obbemeldeteS „untergeschobene Erzcugniß einer demo kratischen Feder" in einer spaltenlangen Besprechung vor einigen Wochen geschrieben hat. Tie „Leip;. Ztg." sagte u. A.: „Der Verfasser dieses, wie uns scheint, unverdientermaßen sehr viel besprochenen Buchs ist conservativ in dem Sinne, wie cs ein wahrer Conservatlver nicht sein soll. Er ist ein Landjunker, welcher studirt oder sonst eine gute Vorbildung genossen hat, vielleicht auch als Rittmeister bei der Garde gestanden bat (Seite 73) und nun von seinem Schlosse oder Gutshofe aus die Welt mit der Ueberlegenheit betrachtet, wie das Treiben der Knechte und Mägde auf seinem Hofe. Wir zweifeln nicht, daß er überdies ein sehr angenehmer „Gutsnachbar" in dem Sinne ist, wie es Bismarck einst von Lassalle gesagt hat. Ja wir denken uns, in vielfacher Art wird Bismarck selbst so gedacht haben, als er noch der „wilde Junker von Kniephof" hieß, Vic! aus die Jagd ging, rauchte, trank, aber daneben doch fleißig Geschichte und Politik trieb und zuweilen sich über die Art, wie man damals in Berlin die Staatsgeschäfte betrieb, ärgerte. Auch der Verfasser der vor liegenden Schrift ist ein geistvoller Mann und selbstständiger Denker. Allerhand geistreiche Einfälle blitzen hier und da aus und man sieht oft die Dinge von einem Standpunkte, den man bisher kaum sür möglich gehalten hätte. Allein ein Politiker und gar ein conservatlver Politiker ist er überhaupt n cht. Wir wollen hier nicht wiederholen, was er über die Stellung des Adels sagt. Davon haben andere Blätter bereits mehr als genügend berichtet. Wir lassen ihm auch seine nebenbei völlig berechtigte Vorliebe sür die Landwirthschast. Aber man höre Folgendes (I. 72): „Eine Großindustrie brauchen wir nicht. Wir wollen unsere Mitmenschen nicht mehr zwingen, unter der Erde herumzukriechrn, in Schwefelhöhlen zu schuften und vor den Hochöfen zu braten. Da uns die Maschinen die Arbeit nicht erleichtern können, da wir, wie wir bewiesen haben, mit Maschinen nicht mehr leisten können, als ohne dieselben, so ist die Großindustrie völlig über flüssig. Der Mensch soll in der freien Natur auswachjen, Thiere und — Mist soll seine Umgebung sein. Der Mist ist nächst dem Menschen das Beste, was es aus der Welt giebt. Ohne Mist kein Leben." Derartige Dinge hören sich auf einer Wahl versammlung auf dem platten Lande gar nicht übel an. Allein dem Politiker nützen sie nichts und wir wünschten deshalb, daß der Herr Verfasser seine sicherlich werthvolle über schüssige Kraft lieber aus Anderes verwenden möchte." Man beurtheile hiernach die Behauptung der „Kreuzztg.", die liberale Presse habe bewußt Fälschung für Wahrheit aus gegeben! Die Sicherheit, mit der das Organ der äußersten Feuillstsn. Ein leckerer Meerbewohner. Von Gustav Michell. Nachdruck verboten. Die Auster ist trotz ihres schmiegsamen und saftigen Wesens »och immer nicht vollauf gewürdigt worden. Der Feinschmecker geräth bei ihrem Anblick in Entzücken, schließt halb die Augen und zieht mit einem verlangende Ah! den Athem ein, während der Grobzüngige sich abwendet und bei der Wurst bleibt. Aber die Auster verträgt das Eine wie das Andere mit kühler Gelassen heit, und wenn dieses Schalthierchen auf einen besonderen Humor auch wenig Anspruch machen kann, so besitzt es doch die Fähigkeit, denselben beim Menschen zu erregen oder zu steigern. Außerdem hat di« Auster mit dem Menschen die stärksten Triebe, den Hunger und die Liebe, gemein, und da sie zwei Herzen in der Größe einer Erbse besitzt, so ist sie darin dem Menschen noch über, zumal da sie auch Liebe einzuflößcn vermag, wie dies durch das wunderbare Lied: „Ein Hering liebt' eine Auster" nachgewiesen wird. Dem nach kann es nicht mehr auffallen, wenn die Auster einer ver nünftigen Erziehung fähig ist, und so hat denn auch ein großer Austernziichter an der Küste von Calvados es seinen Austern bei zubringen gewußt, außer dem Wasser nur sehr mäßig ihre Schalen zu öffnen, damit der Saft, welcher das Thierchen frisch erhält, nicht verloren geht. Bekanntlich schließt die Auster, sobald sie aus dem Wasser ist, ihr Gehäuse, um es wieder nach einiger Zeit zu öffnen, und diese Eigenthiimlichkeit benutzte jener Züchter zur Abrichtung, indem er die Austern in immer größeren Zeit räumen au» dem Meere der atmosphärischen Luft aussetzte und somit die gelehrigen Mollusken daran gewöhnte, oft viele Stunden lang ihre Thüren verschlossen zu halten. Englische Austern von der kentischen Küste waren schon zur Zeit des Agrip>va den römischen Feinschmeckern bekannt, und als einer der grvßtkL Austernverschlinger galt Vitellius, der auf einem Sitze die ZahlM^P Tausend Stück erreicht haben soll. Dagegen verspottete JutM?( diese übertriebene Austernleckersucht, wie dies auch Seneca thaM^die Auster nicht al» Nahrungsmittel gelten lassen wollte. Cervantes liebte die Austern sehr und schrieb eine Satyre auf Austernhändler, und Ludwig der XI. zeichnete die Ge lehrten der Sorbonne jährlich einmal durch ein Austernessen aus, erhob aber seinen Koch wegen seiner Verdienste in der Austernzu- bereitung in den Adelstand. Die Encyklopädisten Helvetius Diderot, Voltaire, Rousseau waren besondere Austernliebhaber, und vor der Revolution waren Austernstuben die Versammlungs orte der glühendsten Republikaner, wo Danton und Robespierre sich als eifrige Austernesser hervorthaten. Unter den englischen Berühmtheiten galten Pope, Swift, Hume, Dickens, Darwin und Bulwer als warme Austernfreunde, und letzterem verdankt die Welt einen klassischen Austernscherz. Bulwer wurde auf einem Spazierritte von einem Unwetter überrascht und suchte in einem Gasthofe an der Landstraße Zuflucht. Als der durchnäßte Dichter in die Schankstube trat, fand er den Platz um den Ofen schon von Gästen belagert, die keine Miene machten, zusammen zu rücken. Aber der Dichter wußte sich zu helfen. „Gebt meinem Pferde sofort zwei Dutzend Austern!" befahl er dem Wirth. Der Wirth machte ein verdutztes Gesicht. „Zwei Dutzend Austern meinem Pferde!" wiederholte Bulwer. „Beeilt Euch!" Der Mann stürzte hinaus, um dem Befehle nachzu kommen, sämmtlichc Gäste folgten ihm, um das außerordentliche Pferd zu sehen. Als sie mit langen Gesichtern wieder herein kamen, hatte Bulwer den besten Platz am Ofen eingenommen. „Herr", stotterte der verblüffte Wirth, „Ihr Pferd will keine Austern fressen!" Dann gebt sie mir!" erwiderte Bulwer ruhig, „dem Gaul aber ein Bund Heu!" Bon deutschen Größen sind hier Friedrich der Große, Goethe, Wieland, Heine, Richard Wagner und Bismarck als verständniß volle Kenner der Auster zu nennen, welche Galon für ein Mittel ding zwischen Pflanze und Thier hält. Die Auster ist das einzige Fleisch, daS vom Menschen, ohne Gefahr wegen Thierquälerei bestraft zu werden, lebend verzehrt wird, und die» muß geschehen, wenn man dieses Thierchen in seiner ganzen Vollkommenheit ge nießen will. Denn der bräunliche Bestandtheil, welcher der Auster ihren Wohlgeschmack verleiht, ist deren Leber und im Grunde wenig andere» al» eine Masse Glykogen, ein stärkemehlhaltiger, schwer verdaulicher Körper, wie er in jeder thierischen Leber ist; aber von diesem getrennt, befindet sich bei der lebenden Auster das Verdauungsmittel — ckisst^is siepaticn — eine eiweisartige, leichtlösliche Substanz, die durch Kauen mit dem Glykogen ver bunden, ohne Zuhilfenahme des Magensaftes verdaulich wird. Durch das Kochen aber wird jener Gährungsstoff zerstört und macht die Auster nicht leichter verdaulich, als irgend eine andere Nahrung. Trotzdem scheint Bismarck in der gebratenen Auster einen besonderen Vorzug entdeckt zu haben. Busch erzählt in seinem Buche „Bismarck und seine Leute" Bismarck habe sich bei einem Tischgespräch über Austern geäußert: „Ich habe mir um die Bewohner von Aachen ein Verdienst erworben wie Ceres durch Erfindung des Ackerbaues um die Menschheit, nämlich da durch, daß ich sie lehrte, Austern zu braten." Die Annahme, daß durch Kochen ungesunde Austern unschäd lich gemacht würden, hat sich durch Massenvergiftung in Japan als unrichtig erwiesen. In der Stadt Miran, deren Bevölkerung größtentheils von Fischnahrung lebt, starben ganze Familien dahin, ohne daß man die Ursache der Krankheit erforschen konnte. Ein von der Regierung nach dem Orte der Krankheit entsandter Arzt fand bald, daß fast alle Personen nach dem Genüsse von Austern starben, welche in großen Mengen in rohem und ge kochtem Zustande auf dem Markt verkauft wurden. Alle Austern waren auf einer Bank gefangen, die erst vor Kurzem entdeckt war. Die chemische Analyse ergab rin Vorhandensein von Pyrotoxion in nahezu allen Fällen. Bei uns zu Lande sind auch schon mehr fach leichte und schwere Erkrankungen durch den Genuß von nicht ganz frischen Austern entstanden. „Sagen Sie mir aufrichtig, lieber Doctor", fragte deshalb eine ängstliche Dame ihren Haus arzt, „sind Austern gesund?" „Hm!" meinte der alte Austern freund bedenklich, „bei mir hat sich wenigstens noch keine wegen Unwohlseins beklagt." Wenn es nun nicht auch gerade Aerzte für Austern giebt, so weist Paris doch eine ähnliche BerufSart auf, die sich pomphaft ,8o8üU8k!iteiirz ck'lmiti-08" („Austernwiedererwecker") nennt und deren Praxis darin besteht, lebensschwache Austern, die tagsüber nicht an den Mann gebracht werden konnten, von den verschiedenen Schlachtbänken zusammenzutragen, um sie über Nacht in einem künstlichen Seewasser wieder aufzumuntern. In Nord-Amerika nimmt jede Art von Gewerbe, dem ge steigerten Volks- und ÄeschäftSleben der neuen Welt entsprechend, einen großartigen Charakter an. Die Austern werden durch Dampfschiffe vom Grunde deS Meeres gefischt; ein Schleifnetz mit scharfer, eiserner Querstange, an Tauen befestigt, schleift, indem das Schiff fährt, über den Meeresgrund hin und reißt die Schalthiere los; ein Schiff ist im Stande, in der Stunde zwanzig Ccntner Austern empor zu heben, die, gleich auf Barken verladen, dem Markte zugeführt werden. Die Küsten der Vereinsstaaten von St. Lorenz bis zum Mississippi sind mit Austern reich belebt und namentlich der Lang Island Sund, die Mündung des Hud sons, die Delawarebay sind unerschöpfliche Fundorte der edelsten Austernarten, welche denen der alten Welt bei Weitem vorzuziehen sind. In Nord-Amerika ist die Auster nicht nur eine Feinspeise, sondern auch ein Volksnahrungsmittel; in den Straßen von New- Nork sind vielfach Austernbuden, in welchen der Wenigbemittelte Austern in versch.edenenZubereitungsarten, das Stück etwa zu einem Pfennig genießen kann. Und nun sollte man meinen, dieses billige und reichhaltige Nahrungsmittel hätte längst in Deutschland Ver breitung findenmüssen, zumal da der hutige Schnellt»-mpferverkehr bei Gewährung billiger Frachtsätze, wie dies bei Hochseefischen der Fall ist, eine schnelle Zufuhr ermöglichen würde! Dem ist aber nicht so. Was da hinderlich ist, ist der ungeheuere, ungerecht fertigte hohe Zoll, welcher auf der Austerneinfuhr lastet; denn die Fracht eines Fasses Austern vom amerikanischen Markte bis Bre men oder Hamburg beträgt nur 5—6 Mark, der Zoll aber nicht weniger als 58—60 Mark, so daß der Austerngenuß hier zum Luxus wird. Die Einfuhr der amerikanischen Auster ist in Folge dessen gleich Null, wodurch nicht allein dem Volke ein sehr billiges und kostbares Nahrungsmittel entzogen, sondern auch wesentlich dessen Steuerkraft beeinträchtigt wird. Die Befürchtung, daß noch eine größere Ausbeute den amerikanischen Austernfang schädigen könnte, ist völlig grundlos, da bekanntlich eine Auster etwa eine Million Eier erzeugt, die, kämen sie sämmtlich zur Entwickelung, in 10 Jahren die Austernbänke zu einem Körper vergrößerten, der unsere Erde mehrere Male überragen würde. Die deutsche Austernzucht an der schleswigschen Küste ist noch sehr gering; wahrscheinlich ist dort das Wasser zu kalt und zu nahrungsarm für eine größere Verbreitung der Auster. Zum Schlüsse meiner kleinen Austernbetrachtung noch eine scharfsinnige, zweisilbige Charade, wie sic der berühmte Herr Mikosch, dem nicht minder schlauen Herrn Jano» zum Nachtisch aufgiebt: „Die erste schreit man, wird man auf Hühneraug ge treten, die zweite schaut man, wenn man Nachts thut beten, daS ganze ißt man, wenn man hat Moneten."
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