1 Vorbemerkung Seit mehr als 250 Jahren ist Dresden in der Welt berühmt als Barock-Residenz mit großen Archi tekturen und einmaligen Sammlungen. Dieses gelegentlich auch etwas konservativ gepflegte Kulturstadt-Image hat einem breiten Publikum bis heute den Blick verstellt auf die anderen Gegebenheiten der »Stadt am Strom«. Sachsen war Pionierland der industriellen Revolution in Deutschland, und seine Hauptstadt wuchs seit der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Verviel fachung der Bewohnerschaft zu einem bedeutenden, in sich sehr charakteristischen Industrie standort heran. Diese wenig bekannte Entwicklung war Thema des Herbstkolloquiums 1999 des Dresdner Geschichtsvereins, dessen Beiträge in vorliegendem Heft publiziert werden. Eine Art Ehrengalerie bedeutender Firmen und erstklassiger technischer Leistungen, die hier zu Hause waren, ist sehr wohl geläufig. Für die Leipzig-Dresdner Ferneisenbahn (die erste in Deutschland) lieferte 1839 Andreas Schubert seine in Übigau gebaute erste deutsche Lokomo tive, die »Saxonia«. 1854 gründeten Villeroy & Boch ihre Dresdner Filiale, die bald zum führen den Keramikproduzenten in Deutschland wurde. 1862 siedelte sich der erste Zigarettenhersteller hier an, dem später große Namen wie Yenidze, Jasmatzi und Haus Bergmann (HB) folgten. Erne- mann wurde zum Inbegriff qualitätvoller Kameras, Seidel & Naumann mit ihrer berühmten »Erika« zur Nummer Eins der Schreibmaschinenbranche, und ein Eschebach belieferte mit sei nen Küchen halb Europa. Auch das künstliche Mineralwasser wurde in Dresden erfunden. Die Leo-Werke brachten die erste Zahnpasta »Chlorodont« auf den Markt und Lingner sein berühm tes »Odol«. Beides war »in aller Munde«, wie eine Exposition des Hygiene-Museums vor einigen Jahren effektvoll titelte. Viele der vorgenannten namhaften Firmen sind durch Publikationen und Ausstellungen schon hinreichend popularisiert. So lag es für unser Kolloquium nahe, vor al lem allgemeine Rahmenbedingungen und Fragen der Infrastruktur zu thematisieren. Sie erst machen die Besonderheiten und das beeindruckende Spektrum der »feinen Industrie« Dresdens (Jürgen Paul) und ihrer Leitbranchen verständlich. Wie immer steht hinter solcher »Erinne rungsarbeit« der Gedanke nützlicher Ermutigung. Die Risikofreude der Gründerzeit-Unter nehmer, die ingenieurtechnischen Fähigkeiten ihrer sächsischen Tüftler und die Kultivierungs sehnsucht der Skeptiker hemmungsloser Industrialisierung haben um die Jahrhundertwende ein besonderes Amalgam neuer Lebensformen hervorgetrieben mit großer Langzeitwirkung. Noch in der gebremsten Planwirtschaft blieben sie in vielen Improvisationen punktuell am Leben. Ihre Energie läßt sich jederzeit mit Gewinn rekonstruieren. Besonderen Anteil bei der Vorbereitung des Kolloquiums hatte die Arbeitsgruppe Wirtschafts geschichte im Dresdner Geschichtsverein, geleitet von Holger Starke. Die GEHE AG hat die Ver anstaltung mit einer Spende großzügig gefördert. Zusätzlich zu den Vorträgen wurden in das vorliegende Heft die Aufsätze von Ursula Forberger, Fritz Micklisch und Wolfgang Zimmer aufgenommen. Hans-Peter Lühr