85 Simone Lässig Jüdische Privatbanken in Dresden Seit längerem wird die Frage diskutiert, inwieweit Privatbanken die »Industrielle Revolution« in Deutschland beeinflußten. Sachsen muß in diesem Kontext als eine besonders interessante Re gion angesehen werden, war das Königreich doch Mitte des 19. Jahrhunderts schon zu einem Zen trum der frühen Industrialisierung gereift. 11 Aus dieser Sicht mag es verwundern, aber auch auf schlußreich sein, daß das Bankwesen Sachsens, und hier vor allem Dresdens, zu eben dieser Zeit noch in den Kinderschuhen steckte. Zwar hatten sich hier schon im 18. Jahrhundert einige re nommierte Wechselstuben etabliert. Sie aber richteten ihr Geschäft, das zudem oft noch mit einer Spedition oder einer Lotterieeinnahme verbunden war, vorwiegend auf die Finanzierung des Hofes und des Außenhandels aus. Auch die rasch ansteigende Zahl der Neugründungen - zwischen 1826 und 1871 verdreifachte sich die Zahl der privaten Bankinstitute - änderte vorerst nur wenig an Dresdens Ruf als »Bankenprovinz«. 2) Zunächst nämlich entstanden vorwiegend kleinere, wenig kapitalkräftige Institute, die sich auf Hypotheken-, Pfandbrief- oder Anleihe geschäfte konzentrierten. Mit den Anforderungen einer modernen Industriefmanzierung und der Suche nach neuen Wegen der Kapitalbeschaffung waren sie zumeist überfordert. 3) Im Zuge einer fortschreitenden Industrialisierung ergaben sich aus dieser Lücke im Bank wesen allerdings auch gänzlich neue Entwicklungspotentiale, die einige Privatbankiers auf innovative Weise zu nutzen wußten. Hierbei zeichneten sich zwei Strategien ab: Entweder wur den sie zu Geburtshelfern größerer Aktienbanken oder sie suchten in sorgsam ausgewählten in dustriellen Wachstumsbranchen ein modernes Standbein. Für beides finden sich in Dresden namhafte Beispiele. Auch deshalb gelang es der Residenzstadt, die seit 1857 zudem über eine eigene Börse verfügte, den Provinzstatus rasch abzustreifen. Bereits in den 1870er Jahren galt Dresden als wichtigster Platz im Börsen- und Bankengeschäft Mitteldeutschlands. Jüdische Bankiers haben in diesem Prozeß keine unbedeutende Rolle gespielt, was freilich auch kaum überrascht: Das Privatbankwesen gilt gemeinhin als klassisches Betätigungsfeld »jüdi schen Unternehmergeistes«. 4) Tatsächlich waren Juden in jener kleinen sozialen Gruppe in signi fikanter Weise präsent; auch in Dresden hatte fast die Hälfte aller Bankinstitute jüdische Inhaber. Das verweist auf eine Reihe von Fragen, so etwa nach den Ursprüngen und Triebkräften dieser Dominanz, nach Aufstiegswegen und möglichen Spezifika in der Unternehmensführung oder nach dem Anteil gerade dieser Banken an der frühen Industrialisierung. Für Dresden existieren allerdings zu den meisten dieser Probleme derart grundlegende For schungsdefizite, daß gesicherte Aussagen derzeit kaum möglich sind. Um sich dennoch dem