40 III. Die Preußische Polenpolitik seit 1871. Als Bismarck im Frühling 1871 von Versailles nach Berlin zurückgekehrt war, spukte eine Welt von Gespenstern um ihn her und scheuchte den Schlaf von seinen Lidern. Und nicht ohne Grund, lagen doch die Leichen eines Königreiches und zweier Kurfürstentümer, jedes so legitim wie die Krone Preußen selber, an seinen: Wege und klaffte doch am Leibe Frankreichs die elsaß-lothringische Wunde, die, wie er Wohl wußte, nicht so bald verharschen würde und die eigentliche Quelle seiner Nöte und Aeugste war. Denn wie Karl Marx vorausgesagt, die Annexion Elsaß-Lothriugens hatte durch die Erweckung des Revanchegedankens Frankreich an die Seite Rußlands getrieben und so den Zaren zum Schiedsrichter Europas gemacht. Um ihn bei guter Laune zu erhalten, mußte Preußen seine Polen genau so kuranzen, wie Rußland die seinen kuranzte: das Unterpfand der deutsch-russischen Beziehungen war die Brutalisierung der Polen hüben wie drüben und russische Polenpolitik in jeden: Sinne des Wortes preußische Polenpolitik. Wenn es den: Romanow in Petersburg aber einfiel, über einem russisch-französischen Bündnis die Fahne des Panslavismus zu schwenken, war die panslavistische Gefahr, die Bismarck mit den: Bütteldienst von 1863 auf lange be schworen zu habe:: glaubte, leibhaftigste und bedrohlichste Wirklichkeit geworden. Vom militärischen Standpunkt mußte dem „eisernen" Kanzler allerdings die Polenfrage, wie er sie sah, einen Schauder nach den: andern über den Rücken jagen, denn einen Krieg mit Rußland, ein Aufflammen des Panslavismus und einen Aufstand der Provinz Posen einmal vorausgesetzt, lag die östliche Flanke Deutschlands und die Neichshauptstadt Berlin den russischen Angriffen offen, und Ost- nnd Westpreußen im Norden und Schlesien im Süden schwebten in der Luft. Deshalb galt es, nicht nur die Polen, sondern alles, was des neuen Reiches Macht und Herrlichkeit widerstrebte, so schnell als möglich einzudeutschen, und auf dieser taktischen Linie entbrannte der Kulturkampf. Nicht, wie die liberalen Karlchen-Mießnick-Politiker noch heute wähnen, als ein Kampf gegen eine Partei, die in erster Reihe die Herrschafts ansprüche der Papstkirche anzumelden kam und alle finsteren Gelüste des Jesuitismus vertrat, sondern gegen eine Partei,