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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.01.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980105023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898010502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898010502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-01
- Tag1898-01-05
- Monat1898-01
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Nerlame« unter dem RedaetionSstrkch (4-m spalten) 50^. vor den Familieunachrichte» («gespalten) 404 Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzrichaiß. Dabellarischer und Ziffernsatz »ach höherem Tarif. Extra»vetla«en (gefalzt), nur mit de» Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderuni' ^4 60.—, mit Vostbesörderung 70.—, ÄnnndmeschluA str Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Atorge n-Au-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halb« Stunde früher. Anzeigen find stet» an die Expedition zu richten. Druck »nd Verlag von E. Polz in Leipzig, Mittwoch dm 5. Januar 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. Januar. WM Jeder kennt des Ruffen Sascha Schneider unbehagliches Bild „Das Gefühl der Abhängigkeit". Wem eS unbekannt ist, dem empfehlen wir die Leclüre deS bereits in unserem heutigen Morgenblatte im Auszuge wieder gegebenen Artikels der „Kreuzztg.", in dem bas Blatt offenbar im Einvernehmen mit den Führern der conser- vativen Partei der Leitung des Bundes der Landwirthe Borstellungen machen möchte, in Wirklichkeit aber als sub- miffesler, die Furcht vor Zurückweisung verratbender Bitt steller auftritt. Es bandelt sich natürlich um die alte Geschichte: das Verhalten des Bundes gegenüber der Ge fährdung des conservativen parlamentarischen Besitzstandes durch antisemitische Einbrüche. Die „Kreuzztg." hatte kürzlich gefragt, welche Stellung die Bundesleitung zu den „antisemitischen Zersetzungscanbidaturen" einnehme. Die Antwort, die in der „Deutsch. Tageszeitung" gegeben wurde, War theilS hinterhältig, theilS hochmüthig abweisend: daS Wort „Strolidrescken", das darin vorkam, setzt die „Kreuzztg." an die Spitze ihrer neuesten Abhandlung und man konnte schon deshalb erwarten, daß die conservative Parteileitung, getränkt, wie sie sich zeigt, auf einmal ein kräftiges Wort gefunden haben würde. Aber weit gefehlt. ES wird der BundeSlcitung dreimal bezeugt — Herr vr. Habn sagt viclleicvt: iusiuuirt —, daß sie mit der conservativen Partei im besten Einvernehmen leben wolle, sowie auch das ihr, der Bundes leitung, die Absicht, einer klaren Antwort auf die bewußte Frage auszuweichen, nicht zugetraut werden könne. Aber die Ant wort ist nicht erfolgt und um dieses Ausbleiben dreht sich die zwei Spalten lange Klage der „Kreuzzeitung". Morgen kann sie das alte, auch schon von der „Eons. Corr." gesungene Lied wiederholen, denn die „Deutsche Tageszeitung" hat schon wieder geantwortet, daß sie nichts zu antworten habe. „Wenn", so beißt eS in dem BundesorHan weiter, „die Stellung der Bundesleitung der conservativen Partei nicht bebagt, so ist ihr ja die Möglichkeit gegeben, sich darüber unmittelbar mit der BundeSleitung zu verständigen." Herr von Ploetz erinnert also die conservative Fraction daran, daß er zu ihr gehöre; wenn sie etwas von ihm wolle rc. Dieser blutige Hohn zeigt viel leicht den Conservativen, daß sie mit Bitten und Betteln nicht vorwärts kommen. Die „Kreuzztg." hat nun auch an den Dresdener Parteitag appellirt. Tort hofft sie eine „präcise" Erklärung, eine „scharfe Parole" gegen die „die lanLwirthsckastliche Sache schädigenden Ouer- treibereien der Antisemiten" zu hören. Unseres Er achtens beruht eS auf einer starken Unterschätzung der Presse und der persönlichen Einwirkung von BundeScandidaten, wenn man glaubt, eine Versammlung, bei deren Zu sammensetzung der Zufall eine nicht geringe Rolle spielt, könne in zwei, drei Stunden einreißen, was die Preßorgane und die Agitatoren seit vielen Monaten mit bewundernSwertbem Raffinement aufgebaut haben. Man hat ja sächsischen Boden für den Parteitag gewählt, weil man hier eine genauere Bekanntschaft mit dem Wesen der Liebermann v. Sonneberg'schen Politik voraussetzt, als sie sonst in Deutschland anzutreffen sein mag. Aber eS war schon kein gutes Vorzeichen für die Bewährung dieses CalcülS, daß der conservative Verein in Leipzig sich un mittelbar vor dem Parteitage von dem Chefredacteur eben Kampf und Entsagen. Zf Roman von M. von Eschen. Nachdruck verbalen. „Ach wo!" Und NUN machte sie sich daran, ihm zu beweisen, daß sie ja zehntausendmal lieber zu Hause geblieben wäre; der Cousine aber hätte sie helfen muffen, weil man doch die schönen Kartoffeln im Herbste von ihr bekomme — und man überhaupt nicht wissen könne, wie Einem auch die entferntesten Verwandten mal nützlich sein möchten." „Geh, Anna!" „Pah!" — Sie wußte, was sie that und war mit sich zu frieden. Er lüftete den Hut, als sei es ihm trotz der Kälte zu warm geworden, und drückte ihn dann noch tiefer in die Stirn, wie um seine Züge zu verbergen. Sie schwiegen Beide. Der Ueber- gang über die Leipziger Straße in die Friedrichstraße mit seinem Gedränge von Menschen und Wagen machte wohl eben auch eine Unterhaltung unmöglich. „Ist was gekommen, Renz?" fragte die Frau nach einer Weile. „Nein — ja. Ein Brief — von Paris. Mein „Leiermann" hat im Salon eine ehrenvolle Erwähnung davongetragen." „Giebt das Geld?" „Nein." „Was ich mir dafür koofe —" Das war eine Errungenschaft ihre» Aufenthalte» in der Stadt der Intelligenz. Er rückte abermals an seinem Hut. „E» ist eine Aus zeichnung und freut mich doch", sagte er. „Na, denn is gut. Und ich freue mich auch. Gewiß, Renzo, ich freue mich. Wenn Du nur zufrieden bist." „Gute Seele! Und Etwas habe ich doch auch in xotot für Dich. Eine Ueberraschung —" „Wahrhaftig?" Sie wollte wissen, was r» sei. Er lachte und widerstand gutmüthig ihren Bitten. Sie waren in die Nähe de» Gehöfte» gekommen, für welche» Anna arbeitete. „Wart'", sagte sie, „und „halt'" noch einmal!" Damit hängte sie ihm schließlich doch den Korb über den Arm, ehe sie in dem Portal eines großen Hause» verschwand. Nach wmigen Minuten schon kam st« zurück, ein Päckchen im Arm. jener „Deutschen Tageszeitung", deren Verbalten gegenüber den I Conservativen einer- und den Antisemiten andererseits die I .Kreuzzeitung" ebenso empörte, wie die „Leipziger Zeitung",, über die politischen Fragen der Gegenwart hat belehren lassen. Ein noch weniger günstiges Vorzeichen ist eS, daß Herr vr. Oertel, der „Leipz. Ztg." zufolge, in der an seinen Vortrag sich knüpfenden Debatte erklärte: „daß die deuisch-conservative Partei im Allgemeinen den Reformern nicht günstig gesinnt sei, daß aber eine direct feindliche Stellung nicht zu empfehlen sei, da sachlich beide Parteien einander sehr nahe stünden. Grundsätzlich werde das Berhältniß nie geregelt werden, e» werde vielmehr die Politik der freien Hand einzuschlagen sein. Für die Wahlen seien Einigungen geplant und wahrscheinlich, ja zum Theil schon perfect, wie im Freierger Kreise, wo er — Referent — bekanntlich von beiden Parteien als Candidat ausgestellt worden sei." Und daS ungünstige Vorzeichen ist, daß der „Freiberger Anzeiger" die Candidatur des Herrn Or. Oertel dadurch unter stützen zu können glaubt, daß er sich einen Ausfall der „Deutschen Wacht" auf die „politisch corrupte cartell- parteiliche Gesellschaft" aneignet, obne zu befürchten, durch diese Aneignung die conservativen Befürworter der Oertel'schen Candidatur zu kränken. Ein Parteitag kann überhaupt nicht machen, waS sich nicht schon vorher als von der großen Mehrheit der Parteigenossen Gewollte« zur Geltung gebracht hat. Und wenn sich die conservativen Führer in Dresden so de- und wehmüthig vernehmen lassen, wie jetzt die „Kreuzzeitung", so werden sie mündlich mit den selben Zweideutigkeiten abgespeist werden, welche die „Deutsche Tageszeitung" alltäglich mittels Druckerschwärze provucirt. Am Tage darauf wird dann die Hetze gegen die „von der sächsischen HosratbSpartei philosemitisch und manchester- lich dirigirlen Deutschconservaliven" fortgesetzt werden, als ob nichts geschehen wäre. Die „Kreuzzeitung" will eine Erklärung, durch welche „principiell die Aufstellung zweier dem Bunde gleichmäßig nahe» lebender" Candlvaturen verurtheilt wird. D i e kann ie ja bekommen. Aber wie gewöhnlich schon jetzt, o wird eS nachher überall, wo conservative Mandate in fremde Hände zu spielen sind, heißen: Der Bund der Landwirthe ist an der Aufstellung nicht betheiligt. DaS stimmt auch gewöhnlich. Die Aufstellung besorgen dem Wahlkreise nicht angehörige Antisemiten und Herr v. Ploetz giebt hinterher seinen Segen dazu. Mit „Erklärungen" wird solchen inneren Mißständen nicht abgeholfen. Das haben im Falle Stöcker die Conservativen eingesehen. Erklärungen konnten sie von diesem Fractionsgenosien die allerschönsten baden; sie gingen aber der Differenz auf den Grund. Nun ist ja nicht zu leugnen, daß gerade jetzt principielle Auseinandersetzen zwischen den Conservativen einerseits und Bund der Landwirthe und Antisemiten andererseits Mißliches für die Ersteren zur Folge haben kann, besonders bei uns in Sacksen, wo man unmöglich mit Hoffnung auf Erfolg gegen Socialdemokraten, Bund der Landwirthe und Antisemiten gleichzeitig kämpfen kann. Wenn irgendwo, so ist gerade hier „Sammlung" aller der Umslurzpartei feindlich gegenüberstehenden Kräfte geboten. Das hat kluger Weise auch Herr vr. Oertel in seinem hier gebalteneu Vorträge betont. Aber auch eine Sammlung ist nur möglich, wenn unter den zu sammelnden Elementen Klarheit über den Weg zum Ziele herrscht und nicht der eine Theil fürchten muß, in einem Zustande künstlich er zeugten und erhaltenen Nebels oder gar unter der Kampf parole „Wider eine politisch corrupte cartellparteiliche Gesell- „Nun aber heim!" rief sie vergnügt. „Ich habe den Jammer nach meinem Jungen und Deiner Ueberraschung!" Schnell eilten sie nach der nächsten Station. Auch hier waren die Leute in Massen unterwegs, die Wagen der dritten Classe überfüllt. Dicht gedrängt saßen sie beieinander. Anna lehnte den Kopf an des Mannes Schulter, eine frohe Ungeduld spiegelte sich in ihren Zügen. „Heim!" flüsterte sie zuweilen. Und auch in seinen Augen glänzte mild wie Abendsonne eine stille Freude. Dann stiegen sie endlich aus. Noch eine kurze Wanderung und mit einem Juchzer, dem man anhörte, daß er lange ver halten war, begrüßte Anna den Knaben, den eine freundliche Nachbarin, während der Vater die Mutter abholen gegangen war, in Aufsicht genommen hatte. Mit einem abermaligen Juchzer, ihren Knaben auf dem Arm, betrat Frau Anna die heimische Schwelle. Lorenz machte Licht. Es war ein ziemlich geräumige» Zimmer, das die Lampe beleuchtete. Zugezogene Gardinen von farbigem Creton verdeckten die etwas mißliebige Aussicht auf allzu nahe Dächer und Schornsteine und liehen dem Ganzen ein anheimelndes Aussehen. Die Möbel waren modern und gewöhnlich, bis auf einen großen Schrank von dunklem Holz mit einem kostbar geschnitzten Aufsatz und einer Thür, die, im Geviert getheilt, die Evangelisten auf Goldgrund gemalt, trug. ES war noch ein Stück aus besseren Zeiten, eine Studie von Lorenz Kirchner'» Hand und stimmte in der ihm eigenartigen Pracht zu der übrigen Einrichtung, wie ja vielleicht Meister Kirchner selbst zu seiner Umgebung, trotzdem diese nicht jeglicher Annehmlichkeit entbehrte, im Augenblick sogar Mit dem un gewöhnlich gut gedeckten Tisch einen freundlichen und behaglichen Eindruck machen konnte. „Jesses!" Frau Anna schlug immer wieder die Hönde zu sammen: „Renzo, wir hast Du das nur fertig gebracht!" Er lachte. „Künstler müssen Alle» können!" „Jesse», Jesse»!" Frau Anna tollte mit dem Kind, welche» mit seinen zarten Zügen, dem lichten Haar und den großen grauen Augen mehr nach dem Vater al» nach der Mutter gerathen war, in dem Zimmer herum. „Sieh nur, Willi, und auch Wein!" Sie blieb vor den Herr lichkeiten stehen. „Sogar Blumen!" E» waren schlichte Primeln nur, aber zwei gut auSgereiftr Stöcke, die in einem Topf zusammengefatzt, einen prächtigen Strauß von duftig weißen und rothen Bltithen darboten. „Renzo, hast Du in der Lotterie gewonnen?" „Da» gerade nicht." Er freute sich an ihrem Staunen. sckaft" von angeblichen Freunden auS alten Sitzen hinauS- manövrirt undauS dem Reichstage binauSversammelt zuwerden. Zu der Meldung, daß der für BreSlau neu ernannte amerikanische Consul Brodowski daS Exequatur nicht erkalten bat, weil er polnischer Nationalität ist, bemerkt das „Berl. Tagebl.": der besondere Grund der Nichtbestätigung scheine darin zu liegen, daß Brodowski seine polnische Ge sinnung betbätigt habe, indem er zur Tbeilnahme an der KoSciuskvfeier nach Krakau reiste. Die „Post" bestätigt, daß dem genannten Herrn daS Exequatur für BreSlau nicht ertheilt worden sei, und bemerkt hierzu: „Daß grundsätzlich kein Einwand gegen Herrn Brodowski von der deutschen Reichsregierung erhoben worden ist, geht zur Genüge aus dem Umstande hervor, daß er das amerikanische Consulat in Fürth übernehmen wird, dessen bisheriger Inhaber Erdmann nach Breslau geht. Man wird danach annehmen dürfen, daß man sich an maßgebender Stelle hier den schweren Bedenken nicht verschlossen hat, denen wir schon vor etwa drei Monaten Ausdruck verliehen haben, als zuerst die Ernennung Brodowski's zum Consul in Breslau ^bekannt wurde. Wir theilten damals aus Grund einer Notiz im „Przeglad Wszechpolskt" mit, daß Herr Brodowski bisher der Präsident des polnischen Nationalverbandes für Nordamerika gewesen war, in dessen Händen die Vertretung der großvolnischen Bestrebungen jenseits des Oceans liegt. Daß der Leiter der polnisch-nationalen Agitation in Nordamerika nicht die geeignete Persönlichkeit sein konnte, sein Adoptivvaterland in einem Kreise mit einer so großen und so ausgesprochen polnischen Industrie bevölkerung, wie es gerade der Consularbezirk Breslau ist, zu ver treten, liegt aus der Hand." Die „Post" giebt dann noch ihrer Freude darüber Aus druck, daß sich ein Weg habe finden lassen, um die peinliche Angelegenheit einer „glücklichen Lösung" entgegenzuführen. Im Gegensatz zu dieser Auffassung erscheint unS die ge fundene „Lösung", nämlich die Versetzung deS ConsulS Brodowski nach Fürth, keineswegs glücklich. Eia groß polnischer Agitator als Vertreter einer fremden Macht kann im deutschen Reiche nirgends willkommen sein. Die „Berl. N. N." sprechen die jedenfalls begründete Vermutbung auS, daß die Vereinigten Staaten, wenn der Fall umgekehrt läge, die Frage nicht auf dem von deutscher Seite eingeschlagenen Wege „gelöst" haben würden. Für d,e Behauptung der „Köln. Ztg.", daß Rußland und Frankreich über die gemeinsame Begebung einer chinesischen Anleihe nicht einig geworden seien, und daß des halb eine gewisse Mißstimmung zwischen beiden Staaten herrsche, spricht Mancherlei. Zunächst sind die Franzosen einigermaßen verschnupft darüber, daß Rußland in Cbina beträchtlich größere Vortheile eingeheimst hat, als Frank reich. Nicht nur der Heißsporn Cassagnac in seiner „Autorits", sondern selbst daS ruhige „Journal des Tsbats" zeigt sich einigermaßen verdrießlich darüber, indem eS sagt, daß Frankreich zwar mancherlei Vortheile in Ostasien erlangt habe, daß diese aber hinter den russischen Erfolgen verschwänden. Mit der Auslassung der „Kölnischen Zeitung" würbe auch die etwas küble Form der zwischen dem russischen Kaiser und dem französischen Prä sidenten ausgetauschten Neujahrsglückwünsche übcr- einstimmen. In dem Telegramm des Zaren war der von den Franzosen so hoch geschätzte Ausdruck „alliirt" durch den Ausdruck „befreundet" ersetzt worden, und daS AntwortS- telegramm deS Herrn Faure ging überhaupt nicht über banale Höflichkeitsformeln hinaus. Es mag wohl sein, daß man in Frankreich eS endlich satt hat, für russische Pläne „Zuweilen findet eine blinde Henne auch mal ein Korn", meinte er launig. „Schau, da ist noch eine Ueberraschung mehr." Damit nahm er die Blumen auf, wies auf ein zusammen gefaltetes Papier, das unter den dicklichen, rauhen, graugrünen Blättern sichtbar ward. Im Nu hatte Anna es entfaltet, und eins, zwei, drei, vier, fünf — Zwanzigmarkstücke glänzten auf ihrer Hand. „Verdient!" antwortete er auf ihren fragenden Blick. „Ein Scherz, eine Studie. Der Sohn unseres Wirthes als rother Husar im Schnee. Natürlich nur eine Skizze, aber sie ward so ähnlich, daß Peter, der Kater, vergnügt einen krummen Buckel zog und den Schweif in die Höhe reckte, als er davon Kenntniß bekam. Sie baten mich, ich gab ihnen das Blatt. Und nun schickten sie mir zweihundert Mark. Am liebsten hätte ich das Geld wieder zurllckgeschickt — aber ich dachte an Dich —" „Das war gescheit", entschied Frau Anna merkwürdig kurz. „Und nun, Kinder, ich habe einen Löwenhunger. Zur Schau ist der Tisch doch nicht gedeckt." Die Verstimmung, die noch eben mit trübem Hauche die Augen von Lorenz Kirchner verdunkelte, wich, da er sich mit Anna und dem Knaben niederlieb. Auch ihm hatte der No vemberwind Appetit gemacht; die Aussicht, auf ein paar Wochen ohne drückende Sorgen zu sein, that dabei das Ihre. Dazu ließ es sich Willi in ein«r Weise schmecken, die den Kostbarkeiten, die Papa heut eigenhändig zusammengetragen, und dem Taufkuchen, den die Mutter mttgebracht hatte, allen solchen beherzigenswrrthen Ausnahmen gebührende Anerkennung zollte. Lorenz wurde vergnügt mit der Frau und dem Kind, wie lange nicht. „Das ist einmal ein Sonntag!" erklärte Annna, munter und fidel, wie sie es al» junges Ding noch stets gewesen war, vor Allem an jenem Tage, da Lorenz zum ersten Male in ihrer Familie erschien, um als ihr Mieth»herr der Eltern silberne Hochzeit mit ihnen zu feiern. Und lustig, harmlo», gutmüthig, ein praktische» Kind aus dem Volke, brach sie in die Worte au»: „Solltest immer rothe Husarm malen, Renzo —" „Schäme Dich!" verwies er heftig. Sie hob den Kopf. Er blieb still, al» habe er sich auf Etwa» besonnen; aber auch sie sagte nicht». Dann begann sie abzuräumen, an der Reisetasche und dem Korbe aulzukramen. Sie hantirte herum, wortlos, ob auch nicht lautlo». Mehr denn einmal fuhr Lorenz zusammen, wenn die Teller klirrten, viel mehr, als nothwendig schien, oder ein Gegenstand aufschlug in einer Weise, die ihm unglaublich dünkte. Dann sah Geld herzugeben und selbst nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Die Stimmung in Frankreich würde sich aber ändern, sobald die Nachricht, daß Rußland nunmehr mit Deutschland zusammen das Geschäft mit China abschließeu solle, eine festere Form annimmt. Diese Nachricht hat darum etwas Wahrscheinliches für sich, weil Rußland auf jede denk bare Weise sich bemühen muß, den Abschluß deS Anleihe geschäfts mit Ckina nicht etwa den Engländern zu überlassen. Würden nun Rußland und Deutschland zusammen an daS Geschäft Herangehen, so würde man in Frankreich die Besorg- niß hegen, daß daraus eine zu große Intimität zwischen den beiden Kaiserreichen entstellen könnte, und würde selbst sich einzuschieben suchen. So wäre eS nicht undenkbar, daß die Entente vom April 1895 sich für die chinesische Anleihe wiederholt. Die politische Bedeutung eines solchen gemein samen Vorgehens wäre nicht zu unterschätzen, denn die Jso- lirung Englands würde dadurch wieder einmal in das grellste Lickt gestellt werden. Käme umgekehrt ein Anleihe vertrag zwischen England und China zu Stande, so würde die „Allianz von 1895" da« daraus entstehende Uebergewicht deS Einflusses Englands auf die chinesische Politik bald unangenehm empfinden. Die englische Regierung bietet natürlich Alles auf, um das brillante Geschäft zu macken, und läßt, wie uns gemeldet wird, um jeden Stein deS Anstoßes zu vermeiden, sogar durch die „Preß Association" in London versichern, die Nachricht, daß England auf einer Gebietsabtretung in Cbina bestelle, sei unbegründet. Die» sei, wie ihm wolle, jedenfalls hält Lord Salisbury eS für opportun, Englands Absichten auf chinesisches Gebiet augenblicklich abzuleugnen. In der französische» Presse ist ein Streit darüber ent brannt, ob der Proceß Esterhazy vor dem Kriegsgericht unter Ausschluß der Oeffentlichkeit geführt wird oder nicht. Die gefammte Esterhazy-Presse verlangt daS geheime Ver fahren, und auch daS „Ecko de Paris", daS als ofsiciöses Organ deS Kriegsministeriums gilt, stellt eS als noth- wendig hin, da man die Namen derjenigen Agenten deS geheimen militairiscken JnformationSdienileS, welche die Entdeckung de« Verrathe« Dreyfu»' herbeigefsihrt haben, nicht der Oeffentlichkeit Preisgeben könne, ohne diesen Informationsdienst schwer zu gefährden. Andererseits versichert aber der „Matin", der gleichfalls officiöse Be ziehungen hat, die Oeffentlichkeit der Verhandlungen werde so vollständig als möglich sein, sie werde nur für die Ver nehmung gewisser Zeugen und die Vorlegung gewisser Docu mente ausgeschlossen werden. Die radicalen Organe protrstiren energisch gegen den Ausschluß der Oeffentlichkeit, da daS öffentliche Gewissen endlich beruhigt werden müsse. Dabei spielt zugleich der geheime Wunsch und die Hoffnung eine Rolle, Deutschland, von dem man ja in Frank reich trotz der Erklärungen der deutsckren Botschaft und der französischen Regierung annimmt, daß es in die DreyfuS- Affaire verwickelt sei, unheilbar compromittirt zu sehen. Dieser Hoffnung wird neuerdings von der „Köln. Ztg." ein Dämpfer aufgesetzt. DaS rheinische Blatt schreibt nämlich, offenbar inspirirt: „ES scheint, daß bei der Verhandlung de« Esterhazy-Processes Alles vermieden werden soll, WaS im Stande ist, aufzuklärcn, inwieweit der Hauptmann Dreyfus sich der Spionage schuldig ge macht hat. Die Lhatsache der res zuäientL soll viel mehr mit aller Strenge festgehalten werden. Dem gegen über wird eS zweckmäßig sein, noch einmal auf Grund der eingehendsten und zuverlässigsten Erkundigungen festzustellen, die Frau wohl zu dem Manne hinüber; aber auch jetzt schwieg er immer noch. Und sie begann von Neuem mit ihrem Werk, lebhaft und laut, wie er es so peinlich nie empfunden hatte. Willi wußte nicht recht, was er aus dem plötzlichen Schweigen der Eltern machen sollte. Instinktiv fühlte der Knabe, daß Etwas nicht in Ordnung war. Da er aber nicht wußte, wohin sich wenden, versuchte er sich zu unterhalten auf neuem Gebiet und auf eigene Faust. Er kletterte der Reihe nach auf jeden Stuhl, aß, etwas mühsam, doch mit ziemlichem Genuß noch ein Stück Kuchen mehr aus dem, wie es schien, heute zu einem Märchenkorbc verwandelten Korbe des Houses, und versuchte schließlich, Hänschen, den Kanarienvogel, der lang' schon sein Federkleidchen aufgebauscht, das Köpfchen unter dem Flügel, auf der Stange saß, zu ermuntern, welche Versuche ihm schließlich einen Klaps und einen „nichtsnutzigen Schlingel" von der Mutter einbrachten, worauf sich Willi fik den Vater entschied. Ein Stück Papier, eine Scheere waren bald gefunden. „Schneiden, Papa", erklärte der kleine Mann energisch und reichte Beides zu dem Vater in die Höhe. Lorenz Kirchner seufzte. Er fuhr mit der Hand über die Stirn. Dann nahm er den Knaben auf die Kniee, und ihn mit beiden Armen umschlingend, so daß er ihn fefihieli, begann er vor dem aufmerksamen Kinde allerhand Figuren, Gänse, Hühner, einen Hund, kurz, wa» klein Willi behagen wollte, zu schneiden. „Und 'nen Christengel nun mal!" bat da» Kind, wohl durch die nahe Weihnacht dazu angeregt. Lorenz setzte die Scheere an, die er beinahe wie den Pinsel zu führen verstand. Und die Wange de» Engel», die Falken seine» englischen Mantel» erinnern ihn plötzlich an Linien, die er vor kaum ein paar Stunden nur in Wirklichkeit gesehen und — bewundert hat. Zugleich denkt er zum ersten Mal darüber nach, ob denn in der That eine Dame, eine aus jenen — seinen — Kreisen, ihm doch etwa» Andere» geworden wäre, mehr hätte sek» können, al» Rratsch, rratsch — schneidet die Schere durch die Wangen, den Mantel de» Weihnachtsengels hindurch — „O Papa, nein!" jammert das Kind. Und Lorenz laßt nun auch diese» fahren. „Bist Du mir böse, Anna?" fragtr er herzlich die Frau, die sich zu ihnen an den Tisch, freilich noch an die äußere Kante erst, gesetzt hatte. Und wenn Anna noch böse gewesen wäre, sein Wort würde sie entwaffnet haben.
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