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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.01.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980117018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898011701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898011701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-01
- Tag1898-01-17
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Größere Schriften laut unserem Preis- derzeichniß. Tabellarischer und Ztffernfatz »ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ^l 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Änuahmeschluß fir Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Margen-Au-gabe: Nachmittag» »Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. 27. Montag den 17. Januar 1898. S2. Jahrgang. Lieber Culturideale. Bon Th. Acheli». Nachdruck verboten. Der himmelstürmende Idealismus des vorigen Jahrhunderts hatte das souveraine Ich in den Centralpunct der Welt gestellt und aus dieser Perspective die Ethik mit systematischer Folge richtigkeit entwickelt, so daß Kant die allgemeine Formel auf stellte: Handle so, daß die Maxime deines Handelns jeder Zeit Princip einer allgemeinen Gesetzgebung werden kann. In den ätherischen Höhen der Spekulation hatte man sich nicht darum gekümmert, ob die Erfahrung sich mit dieser Forderung ver trüge oder nicht, kam es hier doch nur auf eine lückenlose dialektisch-begriffliche Construction an. Erst unsere moderne Völkerkunde lehrte die unvergleichbare Fülle sittlicher und rechtlicher Normen auf dem Erdball kennen und sie lenkte vor Allem den Blick des Forschers auf die Ab hängigkeit dieser Ideale von den Organisationsstufen, in denen sich diese verwirklichen sollten. Gegenüber der bisherigen ab soluten Fassung der obersten Grundsätze suchte man die rela tiven Schwankungen des sittlichen Bewußtseins zu erfassen und diese Wandlungen gesetzmäßig zu bestimmen: Das war die große Thal der Sociologie, welche sich ihrerseits wieder eben auf das weitreichende Material der Ethnologie stützte. Schon Lessing war im Laokoon der klaffende Unterschied zwischen griechischem und germanischem Heldenthum ausgefallen — dort Klugheit und List, verbunden mit rückhaltloser Aeußerung rein menschlicher Empfindungen und Stimmungen, hier gewaltige Kraft und unerschütterlicher Trotz, der lachenden Auges in den Tod geht, rigorose Bekämpfung jedes Schmerz gefühls und ausgesprochene Verachtung alles heimlichen und ungeraden Gebührens. Aber da wir uns hier innerhalb des selben großen Culturkreises der Jndogermanen befinden, so sind bei allen Abweichungen doch vielfache Uebereinstimmungen unverkennbar; viel weiter öffnet sich die Kluft, wenn wir darauf hin die Acten der Völkerkunde ansehen. Der Tscherkesse und Montenegriner üben nach uraltem Brauch und Recht die heilige Pflicht der Blutrache und sie würden jedes staatliche Verbot als einen unerträglichen Ein griff in ihre Freiheiten und Vorrechte betrachten; der Moslim, welcher vom Glauben seiner Väter abfällt, begeht damit, wie er wohl weiß, ein fast unsühnbares Verbrechen, während uns die Entscheidung in religiösen Angelegenheiten ein un antastbares persönliches Recht ist. Die unserem Empfinden entsetzlichen Strafen, mit denen das Gericht im Mittelalter jeden Rechtsbruch schwererer Art ahndete, waren dem da maligen Bewußtsein völlig unanstößig. Sehr viele Natur völker, namentlich die kriegerischen und kräftigen, erkennen dem Jüngling nicht eher die Manneswürde zu, als bis er einen Feind erschlagen hat und als Beweis den Kopf desselben vorzeigen kann. Manu bestimmte, daß einem Cudra, welcher sich beifallen ließ, einen Brahmanen auf seine Pflichten hin zuweisen, glühendes Oel in Ohren und Mund gegossen würde, um diesen Schimpf gebührend zu rächen, und in Egypten wurde Jeder, der einen Ibis, sei es auch nur aus Versehen, getödtet hatte, hingerichtet. Wir haben nicht nöthig, diese Blllthenlese fortzusetzen, und etwa an die Verbrennung der Wittwen in Indien nach dem Tode des Mannes, an die Orgien des Kannibalismus, an die Monstrositäten des Fetischismus und an die düsteren Scheiter haufen der Hexen zu erinnern — so viel ist für eine unbefangene Prüfung der Thatsachen klar, daß wir kein Recht haben, von einer übereinstimmenden, in sich zusammenhängenden ethischen Idee zu sprechen, aus der sich alle übrigen Formen auf dem Wege organischer Entwickelung abzweigten. Kann man un bedenklich an einen Fortschritt der Cultur festhalten, so ist doch der jeweilige Inhalt ihrer Normen und Ideale so abweichend, daß von keiner systematischen Ableitung die Rede sein kann. Dies Mißverhältnis giebt zu denken, und vielleicht verlohnt es sich, das Problem wenigstens einer methodischen Lösung ent gegen zu führen. Vor Allem gilt es, will man die Frage aus dem Nebelmeer der Spekulation in die uns allen zugängliche Erfahrungswelt verpflanzen, sich darüber klar zu werden, wie entsteht überhaupt ein Codex sittlicher Gebote? Gegenüber der Aufklärungsphilo- sophie des vorigen Jahrhunderts, welche in allen Beziehungen die Bedeutung des Individuums sehr erheblich überschätzte, sind wir jetzt zu der Erkenntniß durchgedrungen, daß wir es bei Religion, Mythologie, Kunst, Sitte, Recht und Staat nicht mit Schöpfungen einzelner, und sei es noch so hervorragender Menschen zu thun haben, sondern mit großen social-psychischen Erzeugnissen, die nur innerhalb einer ethnischen Gruppe Geltung besitzen, und sei dieselbe auch nur eine primitive, auf bloßer Blutsverwandtschaft basirende Geschlechtsgenossenschaft. Das isolirte Individuum, von dem die geschäftige Phantasie eines Rousseau so viel zu erzählen wußte, und dessen Spuren auch die spekulative Philosophie nicht verleugnete, ist in der That nur eine Erfindung der grübelnden Einbildungskraft, die in rerum natura nicht vorkommt. So weit vielmehr uns ver läßliche Kunde bis an den Rand des wogenden Nebelmeeres zurückführt, das überall den Anfang des Völkerlebens bildet, und so weit wir andererseits in unmittelbarer Gegenwart etwa noch versprengte und von der verheerenden Sturmfluth der Civilisation verschonte Reste der Naturvölker finden, treten uns immerfort bestimmte Organisationsformen entgegen, ausgerüstet mit all jenen Gaben und Schätzen des xenus domo sapiens, wenn auch vielfach nur in den ersten Entwickelungsstadien. So ist die Sittlichkeit gleichfalls kein Erzeugniß eines über mächtigen Willens und einer übernatürlichen Autorität, sondern ein organisches Ergebniß des Volkslebens selbst, das einerseits mit der Religion, andererseits mit dem Recht und der socialen Organisation überhaupt aufs Engste zusammenhängt. Was die Fühlung mit dem Dogma anlangt, so ist für unsere kultur historische Betrachtung das nächstliegende Beissnel der Koran, der bekanntlich für den Muselmann zugleich die Quelle seiner Rechtspflege bildet. Dieser religiöse Nimbus umschwebt und heiligt aber jeden Rechtsspruch bei den Naturvölkern — es ist bekannt, welch eine Rolle allein im Verfahren der Zauberproceß, das Ordal u. s. w. spielt. Womöglich noch wichtiger sind für diese Entwickelung Recht und Wirtschaft, die Existenzbedingungen, unter denen die Völker zu leben gezwungen sind, überhaupt. Bislang hat man dies Derhältniß viel zu oberflächlich nach dem bestimmten Schema der Jägerei, Fischerei, des Nomadismus und Ackerbaues betrachtet, ohne einerseits auf die dadurch wieder bedingten so cialen Organisationsformen und andererseits auf die für die ganze Weltanschauung in Betracht kommenden Momente und Differenzirungen Rücksicht zu nehmen. Ehe, Verwandtschaft, die Beziehungen der Kinder zu ihren Eltern, die Wehrfähigkeit der Jünglinge, Patriarchat und Matriarchat u. s. w., kurz, alle Institutionen und Anschauungen, welche hier ihren Nährboden finden, sind sowohl rechtlicher als sittlicher Natur. Dies gilt so unbestritten, daß zu Anfang der Dinge (sit venia verdo!) Recht und Sitte unmittelbar zusammenfallen, so in der primi tiven Geschlechtsgenossenschaft, dieser Keimzelle aller weiteren Associationen, wo nach einer allgemeinen Sitte und Ueber« lieferung der Häuptling das Regiment über die Blutsfreunde führt. Erst dann, wenn ein Volk unter ungünstigen Existenz bedingungen, die chm gewaltsam aufgedrungen werden, zu leben genöthigt ist, tritt der verhängnißvolle Zwiespalt zwischen Recht und Sitte ein, welcher für unser empfindlicheres Bewußtsein vielfach tiefere tragische Conflicte erzeugt. Betrachten wir unter diesem ethnologischen Gesichtspunkt die Entfaltung sittlicher Ideen, so wird es begreiflich, daß sie ein mehr oder minder getreues Abbild socialer Verhält nisse sind, und da diese Entwickelungsstufen sich überall auf der Erde wiederholen, so treffen wir auch (eben in den be treffenden gleichen Stadien) demgemäß auf dieselben oder doch sehr ähnliche Normen, welche jeden ethnographischen und topo graphischen Zusammenhang weit überschreiten. Das hat un widerleglich die neuere vergleichende Rechtswissenschaft, die mit dem großen Material der Völkerkunde arbeitet, dargethan, und in dieser Beziehung begegnen uns bei den Mongolen, Semiten, Malayen, Jndogermanen u. s. f. die auffälligsten schlagendsten Analogien. Andererseits sind aber bestimmte völkerpsychologische In dividualitäten nicht zu verkennen, die sich nicht mit einigen hochtönenden Phrasen abfertigen lassen. Für ein Naturvolk bildet der eigene Stamm die Welt und die Grenze des Denkens und der Anschauung; diese Naivetät offenbart sich bekanntlich in der sich sehr häufig wiederholenden Bezeichnung, wonach die stammfremden Nachbarn Stumme oder, um griechisch zu sprechen, Barbaren genannt werden, aller menschlich höheren Bildung bar. Dieser Stolz verräth, um nur ein Beispiel anzuführen, der Ausdruck Khoikhoin-Menschen, den die doch wahrlich nicht sehr hoch stehenden Hottentotten auf sich anwenden. Jeder Fremde ist ein Feind, wie noch die Geschichte des lateinischen Wortes dostis so anschaulich lehrt, er kann, sofern er nicht unter be sonderem Schutz eines Stammesgenossen steht, straflos er schlagen werden, während der Mord eines Landsmannes Blut rache und wilde Fehde erzeugt. Mit anderen Worten, die Moral ist eine lediglich ethnographisch bedingte, auf die Stam meszugehörigkeit beschränkt und keiner weiteren Verallgemeine rung fähig. Jene Antwort, welche ein Buschmann auf die heikle Frage eines Missionars erthcilte, was gut und böse sei, nämlich gut, wenn er einem Fremden eine Kuh wegnähme, schlecht, wenn sie ihm gestohlen würde, ist in diesem Sinne eine sehr drastische Illustration. Aber wenn wir weiter in den Gang weltgeschichtlicher Er eignisse uns vertiefen und unseren Blick nicht absichtlich ver schließen, so bemerken wir, daß ganzen Völkern und Rassen bestimmte Neigungen, Anlagen, fast könnte man sagen, Instinkte eigen sind, wodurch sie sich charakteristisch von Anderen unter scheiden; so zeigen die Inder einen starken Hang zu speculativer Betrachtung und zum Mysticismus, die Hebräer zu religiöser Vertiefung, die Griechen zu ästhetischer Auffassung, die Römer zu praktisch-juristischer Begründung der Zustände u. s. w. Es wäre höchst übereilt, diese Thatsache allein, wie es selbst neuer dings (so noch von Jhering) geschehen ist, aus äußeren Verhält nissen (Boden, Klima, Einwirkungen fremder Völker u. s. w.) abzuleiten, da wir sonst jeden geistigen Factor aus diesem Proceß ausschalten würden. Daß der Himmelsstrich, Beschaffenheit des Grund und Bodens, Lebensweise und Beruf u. A. m. von sehr nachhaltigem Einfluß sind, versteht sich von selbst; aber die Fehlschlüsse, die der scharfsinnige Buckle auS diesen Momenten gezogen hat — so sollen vulkanische Erscheinungen immer ein düsteres Temperament hervorbringen, und daraufhin vergleiche man einmal die Japaner mit den Russen! —, sind noch in zu guter Erinnerung, um einer ausführlichen Widerlegung zu bedürfen. Man wird überhaupt gut thun, gewissen blendenden Hypo thesen moderner Anthropologen gegenüber eine kritische Vorsicht zu beobachten. Wie oft hat man behauptet, daß der Neger von Natur keiner höheren Civilisation zugängig sei, und doch voll zieht sich unter unseren Augen ein merkwürdiger Assimilations- proceß und eine dementsprechende intellektuelle Veränderung in den Vereinigten Staaten Nordamerikas mit den verachteten Söhnen des dunklen Erdtheils, und es ist zur Zeit noch nicht abzusehen, wie diese Entwickelung enden wird. Man muß entgegen solcher Ueberhebung mit aller Entschiedenheit betonen (was auch alle besonneneren Forscher zugeben), daß die Bil dungsfähigkeit nicht durch specifische anatomisch-anthropologische Merkmale bedingt wird, sondern vielfach nur beengt durch un günstige räumliche Verhältnisse (Zersplitterung oder Jsolirung des Volkes, ungünstige Erwerbsverhältnisse u. s. f.). Manche Oceanier und Malayen sind ohne alle Frage an Lebhaftigkeit und Schärfe der Auffassung europäischen Völkern, die selbst auf eine längere Geschichte zurückblicken können, so z. B. die Spanier oder die Iren, völlig gleich. — Sind wir somit auch über diese Relativität der sittlichen Ideale bei den einzelnen Völkern im Klaren, die sich mit organischer Nothwendigkeit aus dem jeweiligen Stande ihrer ganzen Culturstufe ergiebt, so würde es sich letzten Endes noch um die Frage handeln, — ob diese ethnographisch beschränkten Normen nicht einer gewissen Vervollkommnung, einer inter nationalen und kosmopolitischen Erweiterung fähig sind, welche sie somit über den engen Bereich ihres Ursprungs zu einer ge wissen Allgemeingiltigkeit heraushebt. Fassen wir, ohne uns in eine umständliche Zergliederung des Begriffes Cultur ein- zulassen, diesen Ausdruck als die Bezeichnung der gesammten geistigen und sittlichen Errungenschaften eines Volkes, so wird, wie wir gesehen haben, zunächst diese völkerpsychologische In dividualität völlig ungetheilt hierin zur Realisirung gelangen. Ist eine Nation in der glücklichen Lage, einen beherrschenden, cidilisatorischen Einfluß ausüben zu können, so wird sich dieser Typus mehr oder minder getreu einem ganzen Zeitalter, soweit dasselbe eben unter jenem Bannkreis steht, mittheilen. So sprechen wir von mächtigen kulturhistorischen Strömungen und Richtungen, die epochenmachend für den Gang unserer Welt geschichte geworden sind; man erinnere sich des un gemein mäch tigen Hellenismus, der, befruchtet durch semitische Einflüsse, den ganzen damaligen europäisch-vorderasiatischen Culturkreis ja bis nach Egypten hinein umfaßte, wo er schließlich im Alexan drinerthum verknöcherte und erstarrte. Oder an die für die neuere Geschichte so bedeutungsvolle Bewegung der Renaissance, jenes höchst eiaenthümlichen Wiedererwachens des klassischen Alterthums auf dem so fruchtbaren italienischen Boden, eines Ereignisses, das seine Wirkungen nicht blos auf das ästhetische Gebiet erstreckte, sondern auch (so seltsam es klingen mag) dir Religion mit in ihren KreiS zog. Könnten wir nicht diese Perspective erweitern? Wäre die echte, allgemeine Humanität, die ein Herder so begeistert feierte, nur ein flüchtiger Traum, der im Angesicht des bellen TageS zerrinnen müßte? Vor unseren Augen vollzieht sich ein Er oberungszug der europäischen, und was fast dasselbe ist, der arischen Cultur, deren Sieg trotz aller Hemmungen unabwendbar erscheint. Die mannigfachen Gräuel, welche diese große Be wegung im Gefolge hat (die Blätter der Colonialgefchichte wissen von den Tagen des Cortes und Pizarro bis auf manche zweifel hafte Größen unserer Tage davon Blutiges zu berichten), lasten dennoch keinen Zweifel aufkommen, daß der Werth dieser sieg reichen Gesittung unvergleichlich höher steht, als die hinfälligen Schöpfungen der Naturvölker — von so uralten und gefestigten Culturen, wie z. B. die indische und chinesische, sprechen wir hier nicht. Sieht man nun von den nationalen Eigenthümlich- keiten ab, die sich hier etwa noch geltend machen könnten, z. B. von dem Gegensatz der Germanen und Romanen, so ergiebt sich alS gemeinsamer Typus dieser ganzen Bewegung das Christenthum, natürlich nicht in einseitig dogmatischer, sondern in höherer ethischer Fassung. ES würde u. E. die Aufgabe sein, gerade diesen rein geistigen Gehalt unserer Weltanschauung als kosmopolitischen, internationalen Begriff zum Ausdruck zu bringen; denn nur dann haben wir einen Rechtsanspruch darauf, unsere Normen und Ideen zu allgemein giftigen Werthmessern Feuilleton. Miß Hvette's Rache. Eine amerikanische Humoreske von Josef Fligl. Na-trun verboten. I. Miß Pvette Jusserand war ein gefeiertes Mitglied des New Parker Feetheaters, dessen Direktion sich der Künstlerin für jedes Auftreten mit dem geringen Sümmchen von tausend Dollars erkenntlich zeigte. Es ist mehr als selbstverständlich, daß die vergötterte Miß die Gefangskunst ebenso wenig inne hatte, wie z. B. der brasilianische Silberfasan; Amerika hat sich aber über die abgenützte Schablone, welche von den Sänge rinnen sogar auch Stimmmittel verlangt, längst hinweggesetzt. Miß Jusserand feierte in den Pantomimen ihre glorreichsten Triumphe; bei diesen hatte sie nämlich Gelegenheit, ihr schönes, tizianrothes Haar offen über ihre alabastergleichen Schultern wallen zu lassen. Ein Localdichter besang ihre herrlichen Haar flechten und sagte, sie hätte ihre Farbe von dem Blute der Liebesopfer der Miß erhalten. Dieses Gleichniß schmeichelte der eitlen Künstlerin überaus und sie lud den Dichter, Mr. Jefferson, bald nach dem Erscheinen des hübschen Gedichtes zu sich in ihr prächtiges Hotel ein. Die Muse Mr. Jefferson's unterschied sich von der seiner europäischen Collegen dadurch, daß sie ihre Helden auf der New Dorker Börse suchte, und unser entschieden talentirter Musensohn wählte seinen Stoff aus den dort sich ereignenden Tagesneuig keiten. Trat eine »Baisse" rin, dann stimmte er ergreifende Trauerlieder an; an den sogenannten »schwarzen Samstagen" entrang sich seiner Brust eine so wilde Verzweiflung, daß die Elegien des Tibullus im Vergleiche zu seinen Versen flotte Ma drigale sind. Wehte aber zwischen den mächtig-düsteren Säulen des New Parker Wechsel- und Werthpapieren-Tempels der er frischende Hauch der „Hausse", da ertönten von seinen Lippen die Rhapsodien deS Sieges mit überwältigender Kraft. Die Göttin Fortuna erbarmte sich dieses Börsendichters aber trotz alledem nicht, und dieser blickte auf der Llaclc-street auS einem armseligen Stübchen des zehnten Stockwerkes auf den glanzerfllllten Boule vards der Weltstadt herab. Als der Dichter da» feinparfümirte Briefchen der Diva erhielt, warf er sich rasch ia seinen schwarzen Salonrock und betrat, von den rosigsten Hoffnungen beseelt, das Vorzimmer deS mit fürst lichem Glanz eingerichteten Hotels der Primadonna. Im Wartesalon hatten sich bereits die reichsten und abgelebtesten HabituSs New Ports, sowie andere vornehme Bewunderer des hellglänzenden Fee-Theater-Sternes eingefunden. Der Dichter blickte etwas beklommen umher und dachte bei sich, wann man wohl ihm zum Empfange vorlaffen werde. Denn er hatte nicht viel Zeit zu verlieren, da eben an diesem Tage eine neue Aktien gesellschaft ihre Papiere zum ersten Mal auf den Platz brachte und er beauftragt war, dies große Ereigniß mit schwungvollen Reimen zu besingen. Wir groß war daher sein Erstaunen, al» der anmeldende Lakai ihn als Ersten bat, einzutreten. Die Diva empfing den Besucher mit ausgesuchter Höflichkeit. „Es freut mich, daß Sie meiner Einladung so rasch folgten", sprach die Künstlerin, dem Gast neben sich auf der Ottomane einen Platz anweisend. „In erster Reihe muß ich mich bei Ihnen für das reizende Gedicht bedanken, mit welchem Sie mir eine sehr angenehme Ueberraschung bereiteten. Ich hoffe, in Ihrer Person endlich jenes mächtige Dichtertalent entdeckt zu haben, nach welchem ich schon lange fahnde." »Aber, Miß . . ." „Betreiben Sie das Dichten schon seit längerer Zeit?" „Ich machte schon Gedichte, als ich noch das Alphabet nicht kannte. . ." „Und darben trotzdem in einem Käfig des zehnten Stock werkes? Nun denn, ich will Ihnen auf leicht« Weise zu einem großen Vermögen verhelfen. Sie sollen das undankbare Gebiet der lyrischen Dichtung verlassen. Von heute ab werden Sie bloS Theaterstücke schreiben . . Mr. Jefferson erhob sich beleidigt von dem weichen Stuhle. „Miß, Sie behaupten, ich sei eine begabter Schriftsteller, und setzen von mir dennoch voraus, daß ich mich der Bühnen literatur zuwrnden werde . . „Sie haben mich mißverstanden. Heutzutage schreiben die begabten Dichter weder in Europa noch in Amerika Theater stücke. Diese werden nunmehr blos von umsichtigen Menschen geliefert, die über entsprechende Verbindungen ver fügen. Verbindungen dazu, damit die Theaterdirection das Stück zur Aufführung acceptire, damit die Darsteller ihm kein Fiasko bereiten, damit das Stück von dem PremiSren besuchenden Publicum wohlwollend ausgenommen und damit es von den Kritikern nicht todtdelchrieben werde. Ihnen, Verehrtester, fehlen eben all diese Derbmdungen. Nun denn, ich will sie Ihnen der- schaffmt" „Wie Miß, Sie wollten . . „Mr werden jenen einfältigen, altmodischen Gebrauch, laut welchem das Stück von einem einzigen Menschen geschrieben wird, der das ganze Risico trägt, einfach verwerfen. Wir werden die Bühnenliteratnrauf neuen Grundfesten festlegen, und zwar auf dem System der Aktiengesellschaft." „Aber, Miß . . „Zu so einem Stück habe ich auch sogar schon eine aus gezeichnete Idee gefaßt. In diesem Stücke habe ich eine Glanz rolle. Ich und meine Haare. Die Details wollen wir gemein sam ersinnen. Ich theile dasselbe dann einigen meiner reich begüterten Vertrauten mit und diese müssen unS die ersten Aktien notiren . . Die Diva erhob sich und schritt in ihrem Empfangssalon nervös auf und ab, indem sie dem staunenden Poeten ihr Projekt folgendermaßen erklärte: „Wenn am Vormerkbogen der neuen literarischen Aktien gesellschaft die Namen einiger amerikanischer Nabobs erscheinen werden, was meinen Sie, wie dann die Idee auch bei den übrigen Geldbaronen Anklang finden wird? Erfährt dann erst die Welt, worum es sich handelt! Von einem Theaterstücke, zu dessen Lancrrung eine riesenhafte Menge von Interessenten sich geeinigt hat!! In das Direktorium werden blos berühmte Schriftsteller gewählt. Diese werden von der Generalversamm lung zur Lieferung des Theaterstückes aufgefordert und haben bis zu dem festgesetzten Termin das fertige Stück der General versammlung vorzulegen. Jeder Actionair hat dann das Recht, eventuelle Abänderungen, Kürzungen oder Einlagen vorzu schlagen. Was glauben Sie, wie viel geheime Dramendichter es in Nordamerika giebt? Diese werden alle als Actionaire in unsere Gesellschaft treten, denn sie werden die günstige Gelegenheit erhaschen, ihre eigenen Stücke aufführen lassen zu können, oder zum mindesten ihren Antheil an einem gemeinsam zu schreibenden Stücke zu haben. Wie diese verkappten Poeten dann solche Stücke lobpreisen werden! Wie sie ihre Verwandten und Be kannten, besonders aber ihre Feinde und Neider, ins Theater locken werden! Mit unserem ersten Stücke machen wir eine TournSe durch ganz Europa und Amerika! Triumphe, Ruhm, Bestürmen der Theaterkassen allenthalben! Und nach Verlauf eines Jahres bezahlt die Gesellschaft ihren frohlockenden Ac- tionairen eine hübsche Dividende . . ." Der Poet hörte die Worte der Künstlerin kaum mehr. Vor seinen geistigen Augen erschien auf den goldgesäumten Wolken seiner ZukunftSträume da» imposante Theater der Actiengesell- schäft, in welchem jede PremiSre mit unerhörtem Beifall auf genommen werden soll . . . Er dankte der Diva auf den Knien dafür, daß sie sich gerade ihn zur Durchführung ihrer epoche machenden Idee auserkoren hatte. „Keine Sentimentalitäten, junger Freund!" ermahnte ihn die Miß. „Und nun schreiten wir zum geschäftlichen Theil der Sache . . . Verfertigen wir das Sujet des Stückes . . Bei sich aber dachte sie: „Dieser Bursche gefällt mir ungemein. Vorerst will ich ihn zu einem reichen und gefeierten Mann machen, dann wird er geheirathet. . ." II. Alsbald erschien auf der Stirnseite eines der prächtigsten Hotels der fünften Avenue folgende Reklame-Annonce: Iks ?irst American katont Oramatie Oompanz: l^imiteä. Zur selben Zeit bezog die Aktiengesellschaft der Dramen schriftsteller glänzende Räume im ersten Stockwerke, in welchen von dem Tage ab reges Leben herrschte, da das Projekt der Miß Jusserand und des Mr. Jefferson glänzend gelang. Die zahl reichen Verehrer der Miß, darunter sechs Eisenbahnkönige und drei europäische Thronprätendenten, notirten die ersten Aktien mit warhaft chevaleresker Freigebigkeit, und die Concurrenz der geheimen Dramendichter füllte die circulirenden Bögen in kürzester Zeit. In der constituirenden Sitzung waren die Actionaire vollzählig erschienen. Mr. Jefferson hatte den Präsidcntensitz eingenommen. Er wurde von allen Seiten mit stürmischen „Hört! Hört!"-Rufen empfangen. „Verehrte Damen und Herren!" sprach der Dichter, »ich bin so frei, das Programm der Aktiengesellschaft Ihrem erprobten Kunstverständnisse anzuempfchlen. Wir glauben, auf der Höhe unserer Aufgabe zu stehen, wenn wir Ihnen ein durchweg modernes Sujet in Vorschlag bringen. (So ist'S!) Unsere Heldin ist eine junge Dame, in welcher die Frauenemancipation, der Geist der Neuzeit eine würdige Vertretung finden soll. (Die weiblichen Actionaire lassen den Redner hochleben.) Die Dame steht einer Advocaturcanzlei vor, welche sie mit einem spitzfindig ersonnenen Heirathsvermittelungsbureau noch einträglicher zu ge stalten wünscht. Zu diesem Behufe hat sie sich bereits einen jungen Gentleman als Helden auserwählt, der über eine Mitgift von zehn Millionen Dollars verfügt. Das böse Schicksal legt ihr aber große Hindernisse in den Weg. (Lebhafte Bewegung und „Hört!"»Rufe.) Da» Her, dt» zehnfach«« Millionair»
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