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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.01.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980122019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898012201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898012201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-01
- Tag1898-01-22
- Monat1898-01
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Größere Schriften laut unserem Peels» verzrichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsap nach höherem Tarif. ikrtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrförderung 60.—, mrt Postbrförderung .M 70.—. Annahmeschluß für' Anzeigen: Abend-Ausgab»: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang Sonnabend den 22. Januar 1898. s Die Leidiger Hochschulvorträge für Jedermann. Lv. Ein Jahr ist verflossen, seitdem hier in Leipzig Hochschul- Vvrträge für Jedermann eingerichtet wurden. Möge es gestattet sein, beim Beginn eines neuen Arbeitsjahres einen kurzen Rück blick zu werfen auf das, was diese Veranstaltung schon jetzt für das Bildungsleben Leipzigs gewesen ist, und einen Vorblick auf das, was sie ihm noch wird sein können. Zuerst ist es Wissenschaft aus erster Quelle, was hier die Grund lage der Belehrung bildet. Wie sie einerseits frei gehalten werden kann von veralteten Anschauungen, die sonst nicht selten den Werth des in gemeinverständlichen Vorträgen gebotenen Wissens gutes beeinträchtigen, so wird andererseits der selbstständige Forscher in solchen Vorträgen auch nichts als endgiltig festgestellt annehmen, was noch zweifelhaft ist, und es ist gerade eine Haupt aufgabe solcher Vorträge, den Zuhörer nicht blos mit Stolz auf den menschlichen Scharfsinn, sondern auch mit jener Bescheiden heit zu erfüllen, die uns gegenüber den Grenzen unseres Wissens so sehr vonnöthen ist. Sodann sind Hochschullehrer auch am ersten in der Lage, das, was sie vortragen, ganz frei zu halten von jeglicher Partei tendenz, der es vielfach in erster Linie darauf ankommt, zu überreden, nicht aber zu überzeugen. Das Erstere soll hier vollständig ausgeschlossen werden und lediglich die reine, un- interessirte Hingabe an die Sache soll zum Worte kommen. Gewiß soll es keiner Partei, die es ehrlich mit ihrer Sache meint und die nicht unsittliche Ziele verfolgt, verwehrt sein, dem Publicum die Welt von ihrem Standpunkte aus darzustellen, mag dieser Standpunkt auch noch so begründeten Widerspruch heraus fordern. Ist doch die Mannigfaltigkeit der menschlichen Auf fassungen geradezu ein Zeichen für den Reichthum unserer Cultur, und wir würden der Cultur selbst den allerschlechtesten Dienst erweisen, wenn wir die freie Concurrenz der Standpunkte irgend wie einschränken wollten. Gerade auf geistigem Gebiete kann es zu viel Concurrenz gar nicht geben. Aber eben weil dies richtig ist, muß man wünschen, daß vor dem Publicum auch diejenige Auffassung zum Worte komme, die nicht darauf ausgeht, e? zu bekehren, sondern die lediglich beabsichtigt, es zu belehren, die ihm also keine fertige Weltanschauung, sondern lediglich parteilose Wissenschaft bieten will, cs jedem Zuhörer selbst über lassend, zu welcher Anschauung er sich die Bausteine, die ihm die Wissenschaft bietet, etwa zusammenzufügen für richtig hält. Parteien kommen bei der Belehrung, die sie ihren Zuhörern an gedeihen lassen, nur zu leicht in Versuchung, für ihre Ansicht Proselyten machen, also Seelenfang treiben zu wollen, wenn auch vielleicht in bester Absicht; dann suchen sie aber doch in erster Linie „das Ihre" und entfernen sich damit von dem vornehmen Standpunkte, der aus bloßem, reinem Wohlwollen gicbt, das eben als Wohlwollen eine Gegenleistung gar nicht beanspruchen darf, ganz abgesehen davon, daß man dem Erwachsenen die Ver antwortung, sich seine Weltanschauung selbst zu bilden, gär nicht darf abnehmen wollen. Weiter ist der Universitätslehrer am ersten in der Lage, seine Mitwirkung bei solchen Vorträgen als Mitwirkung bei einer Aufgabe der wirklichen Volks e r z i e h u n g anzusehen. Es handelt sich in der That hier nicht in erster Linie um eine bloße Vermehrung des Wissens, obgleich natürlich auch diese als Er weiterung des geistigen Gesichtskreises höchst willkommen ist, sondern es handelt sich darum, jeden Theil des Wissens auch in Beziehung zu setzen zu der ganzen inneren Verfassung des Menschen, vor allem auch zu den höchsten Aufgaben alles Men schenlebens. Das Wissen soll hier ein Mittel sein für die Erhebung des ganzen Menschen, ein Mittel der humanen Bil dung, nicht blos ein Mittel zur Gewinnung des Lebenserwerbs. Zu einer solchen Auffassung soll womöglich Jeder erzogen werden. Und diese Aufgabe wird gerade von den Hochschullehrern mit bester Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden können, weil es ohnehin ein Theil ihrer Berufsaufgabe ist, den Zu sammenhang der Wissenschaft mit dem ganzen Leben ihrer Zeit im Auge zu behalten, die Verbindungsfäden aufzusuchen und zu pflegen, durch die das Fachwissen mit der allgemeinen Bildung und mit den höchsten Zielen der Menschheit zusammenhängt. Gerade die Hochschullehrer sind berufen, den allgemeinen humanen Charakter der Bildung stark hervorzuheben, den Gesichtspunkt, der in dem Wahlspruche der Londoner Gesellschaft für University Extension niedergelegt ist: „Der Mensch braucht Bildung nicht blos um seines materiellen Fortkommens willen, sondern auch, um überhaupt menschenwürdig zu leben." Und auch an ein deutsches Gelehrtenwort sei hier erinnert. Prof. Schmoller sagt: „Der letzte Grund aller socialen Gefahr liegt nicht in der Dissonanz der Besitz-, sondern der Bildungs gegensätze. Alle sociale Reform muß an diesem Punkte ein sehen." Wir brauchen also die Bildung auch als Bundesgenossin bei Herstellung des socialen Friedens, weil allerdings die echte, wahre Bildung, die noch mehr eine Bildung des Herzens, als eine solche des Geistes ist, ganz besonders geeignet erscheint, social getrennte Schichten des Volkes wieder innerlich einander näher zu bringen. Gerade auch von diesem Gesichtspunkte aus ist es lebhaft zu begrüßen, daß Hochschullehrer sich hier der Belehrung des Volkes angenommen haben; sie haben dadurch, selbst der höchsten socialen Schicht angehörend, ein Beispiel von Entgegenkommen gegeben, das früher oder später sicher seine guten Früchte tragen wird; und zugleich ist dieses löbliche Bei spiel ein Zeichen dafür, daß wir im socialen Denken und Em pfinden in Deutschland doch, wenn man auch nur um ein Menschenalter zurückblickt, ganz wesentliche Fortschritte gemacht haben. Von welchem Gesichtspunkte wir also die Einrichtung dieser volksthümlichen Hochschulvorträge betrachten mögen, stets werden wir zu dem Schlüsse kommen müssen, daß das Publicum alle Ursache hat, es dankbar anzuerkennen, wenn der Hochschullehrer, dessen Hauptberuf doch auf dem Felde der strengen Wissenschaft liegt, noch Zeit für die Belehrung des Volkes übrig hat, und daß cs auf die hier getroffene Einrichtung, so sehr sie noch der Verbesserung fähig sein wird, schon jetzt stolz sein sollte. Und es ist nicht zu verkennen, daß die Vorzüge der Einrichtung in der That auch mit Stolz und Dankbarkeit anerkannt werden. Beweis dafür ist die musterhafte Haltung, die das Publicum seither sowohl in den Einzelvorträgen, wie in den Cursen beob achtet hat, die Aufmerksamkeit während der Vorträge selbst, der reichlich gespendete Beifall am Ende derselben und die vcr- hältnißmätzig lebhafte Betheiligung an den Cursen, die doch von dem Einzelnen ein viel größeres Opfer an Zeit und Be quemlichkeit erfordern und dem Zuhörer im Allgemeinen eine größere geistige Anstrengung zumuthen, als die mit Recht mehr auf einen ästhetischen Genuß berechneten Einzelvorträge. Ins besondere ist aber anerkennend hervorzuheben, daß, wie die Sta tistik des Besuches ergiebt, gerade solche Kreise sich am dank barsten für die dargebotene Gelegenheit der Fortbildung gezeigt haben, die nicht über allzu viel freie Zeit verfügen: Handwerker und qualificirte Arbeiter, kleine Beamte und Lehrer. Nun wird man ja allerdings einwenden, daß der Rückgang in der Besuchsziffer der Einzelvorträge, wie er sich zeigte, als die Vorträge nicht mehr im Carolatheater, sondern im Krystall- palast abgehalten wurden, nicht für eine allzu große Werth schätzung der Einrichtung spreche. Indessen rührte dieser Rück gang zweifellos theilweise von Ursachen her, die sich in dieser Weise wahrscheinlich nicht ein zweites Mal geltend machen werden. Sicher hatte der Besuch der Industrie- und Gewerbe- Ausstellung im vorigen Sommer einen beträchtlichen Theil des Publikums ernsteren Bestrebungen in nicht geringem Maße ent wöhnt; das ist eine Wahrnehmung, die man im Laufe des letzten Vierteljahres 1897 an verschiedenen Stellen ganz übereinstimmend hat machen können. Die Ausstellung bot ja allerdings selbst des Belehrenden sehr viel; aber cs ist doch nicht zu verkennen, daß die Belehrung sehr in den Hintergrund trat gegenüber dem bloßen, theilweise recht flachen Vergnügen. Stehen bleibt die Thatsache, daß die Ausstellung viele Leute ganz aus dem ge wohnten Gleise abgelenkt hatte und daß diese Ablenkung noch bis jetzt stark nachgewirkt hat. Zu dem Rückgänge im Besuche der Borträge mag aber auch ocr Wechsel des Vortraglocales beigetragen hab n. Bei einer < ganz neuen Sache, wie es ja diese Hochschulvortroge sind, wirkt eben erfahrungsgemäß die geringste Unregelmäßigkeit störend, und außerdem ist schon oft genug die Beobachtung gemacht worden, daß die Vorliebe für irgend eine Sache ganz auffallend mit der Oertlichkeit zusammcnhängt, an der ich zucrst von dieser Sache einen lebhaften und angenehmen Eindruck empfangen habe. Es ist das auch psychologisch vollkommen verständlich. Ob ferner nicht auch das Zuviel dessen, was im Winter hier geboten wird, zerstreuend und abspannend wirkt, mag unent schieden bleiben: jedenfalls findet in jedem Winter eine ungemein starke Concurrenz um das Interesse des Publicums statt, und man hat es gar nicht in der Hand, das Interesse gerade nach der Richtung zu lenken, die Einem gerade am meisten am Herzen liegt. Wenden wir den Blick jetzt von der Vergangenheit auf die Zukunft der Einrichtung, so wollen wir zunächst der Hoffnung Ausdruck geben, daß es gelingen werde, in Zukunft noch mehr Berührungspuncte zwischen Vortragenden und Zuhörern her zustellen als bisher, und dies nicht blos um der Hörer willen, die ja allerdings in erster Linie den Vortheil von einer solche? Erleichterung und Erweiterung des Verkehrs zwischen den Ge benden und Empfangenden haben würden, sondern ebenso sehr auch um der Vortragenden willen, die dann erst den wahren Genuß von ihrer Thätigkeit zu erwarten haben werden. Solche vermehrte Berührungen aber werden sich von selbst einstellen, wenn es gelingt, nach der Richtung der eigentlichen Lehrhaftigkeit die ganze Einrichtung noch weiter auszubilden. Man kann sich denken, daß die Finanzen dieser Vorträge es später einmal gestatten würden, den Zuhörern sowohl für die Vorträge wie für die Curse gedruckte Inhaltsangaben in die Hand zu geben, mit Hilfe deren es ihnen möglich wäre, sich den Inhalt des Gehörten zu Hause vollkommener wieder vor die Seele zu führen, als ihnen ohne ein solches Hilfsmittel möglich sein würde, und daß sie alsdann Gelegenheit erhielten, in einer eigens zu diesem Zwecke angesetzten Stunde sich über etwaige Bedenken, Zweifel und Anderes, was ihnen beim selbstständigen Nachprüfen des Inhalts aufgefallen wäre, beim Vortragenden Rath und weitere Belehrung zu holen. Schon jetzt wird ein solches Bcdürfniß nach innigerem Verkehr zwischen Lehrenden und Hörenden dadurch kenntlich, daß aus der Reihe der Letzteren schriftliche Anfragen an den Vortragenden gestellt werden und zwar auch da, wo dazu nicht angeregt worden ist. Im Anschlüsse daran müßte dann gewiß auch Sorge ge tragen werden, daß den Hörern, die den im Vortrage gegebenen Anregungen weiter und selbstständiger nachgeben wollen, mit Rath in Bezug auf geeignete Studienmittcl (Bücher u. s. w.) an die Hand gegangen und ihnen auch angegeben wird, in welchen öffentlichen Büchereien diese Bücher zu haben sind. Ist daS eine Erweiterung in Bezug auf die methodische Verarbeitung des Stoffes, so wäre ebenso erwünscht eine Erweiterung in Bezug auf die Gebiete der Vorträge. Als besonders wünschenswert!) erscheint es, daß früher oder später einmal versucht wird, was sich dem umfaßenden und für das geistige Leben eines Jeden so wichtigen Begriffe der Heimath durch Vorträge und Curse abge winnen läßt, hier unter Heimath sowohl die Stadt Leipzig, als das Königreich Sachsen, als unser deutsches Vaterland verstanden. Wenn diese Gebiete nach ihrer geschichtlichen, geographischen, sprachlichen, naturwissenschaftlichen und volkswirthschaftlichen Be deutung einmal klar und lebensvoll vorgeführt Mzirden, so dürfte man hoffen, daß die damit gebotene Belehrung zugleich auck einen wichtigen ethischen und socialen Zweck erfüllen könnte: di» Stärkung des Heimathsgefühles und die Erhebung desselben zum klaren Bewußtsein dessen, was ein Jeder von uns an der Heimath hat. Endlich liegt noch eine Erweiterung in der Richtung de? i Zweckes, den diese Hochschulvorträge für Jedermann Haber I sollen: das wäre eine Erweiterung nach oben und nach unten ir f der Bevölkerung. Im Allgemeinen werden weder die obersten Fettvlleton» Um die Erde. Reisebrirse von Paul Lindenberg. Nachdruck »erboten. xm. Chinesische Besuche. — Eine neue Welt. — Im Chinesenviertel. — Straßenleben. — Die Straßen Abends. — Chinesische Vergnügun gen. — Musterhafte englische Verwaltung. — Unser Vorgehen in China. — Vom neuen chine- sischenBotschafterfürDeutschland. — Wieder sehen an Bord der „Bayern". Singapore, 14. December. Früh ist's noch am Tage, kaum sechs Uhr durch, aber ich habe doch schon das Bett — es enthält wegen der angenehmen Nacht- Temperatur keinerlei Decke zum Zudecken, dafür aber eine lange Rolle, , ckntoli Nike", holländisch Weib, genannt, die mit Kopak« wolle gefüllt ist und kühlend wirken soll, — verlassen, um diesen Brief anzufangen und möglichst bald zu beenden, denn heute Nachmittag lichtet zu früher Stunde der englische Dampfer „Cerberus" die Anker, um uns nach Bangkok zu bringen. Womit soll man nun wieder einmal beginnen bei dem überreichen Stoff — ein leise- Klopfen läßt sich eben an der Thür vernehmen, ich höre nicht darauf, denn ich kann mir schon denken, was es ist; ja, wovon soll ich zunächst erzählen — Wetter, dieses schüchterne Klopfen macht einen noch nervös, also: „Como in!'' Na, dacht' ich's mir doch: ein Chinese steckt behutsam das bezopfte Haupt herein und bringt ein Packet mit Mustern weißer Stoffe zum Vorschein, den Preis eines Tropenanzuges flüsternd, drei Dollars (sechs Mark, denn der Dollar gilt hier bei dem geringen Silber- werthe nur zwei Mark), aber er macht ihn auch für zwei — und er macht ihn dafür gut. Hinaus, Chinese, das Dutzend meiner weihen Anzüge ist bald voll . . ., und er verschwindet mit höflicher Verbeugung. Man muß von Singapore als Chi nesenstadt sprechen. Chinesen und nur Chinesen, welche die malayische Bevölkerung sehr in den Hintergrund gedrängt haben. Chinesen als Buchhalter und Verkäufer in den großen Handels bureaus und in den Magazinen, Chinesen als Kellner und Diener in den Hotels, als Arbeiter und Lastträger, Handwerker und Kutscher, selbst als JinrikishaS (wie das Wort hier ge schrieben wird), jene menschlichen Lastthiere, welche stundenlang die offenen Wägelchen ziehen, die hier sogar zwei Personen Platz bieten und mit ihrer bunten, schön lackirten Malerei und dem kleinen Fußteppich einen sehr vortheilhaften Eindruck machen. In einer völlig fremden Welt befinden wir unS, wenn wir daS nahe dem Hasen liegende und stattlich wirkende europäische Viertel verlassen und die anstoßende Chinesenstadt aufsuchen, die sich, da die Häuser nur schmal und niedrig sind, in großem Umfange ausdehnt. Die Straßen sind breit und luftig, ganz trefflich im Stande und, soweit dies möglich, sogar sauber; so weit dies möglich — denn alles Leben spielt sich in der Oeffent- lichkeit ab: die im Erdgeschoß gelegenen Arbeitsstätten sind nach der Straße zu offen, und man sieht die Schneider, Schuhmacher, Barbiere, Klempner, Mattenflechter rc. bei ihrer Thätigkeit. Zu beiden Seiten des Fahrweges aber ziehen sich in langen Linien die Verkaufsstände der Bäcker, Fleischer, Obst- und Gemüse händler, Köche, Theebereiter u. s. w. hin, und hier herrscht stets das regste Leben; immer von Neuem wundert man sich, daß nicht häufiger Unfälle vorkommen, denn die kleinen, sehr ausdauernden Ponys der zierlichen Miethswagen und ihre menschlichen Concurrenten, die Jinrikishas, traben ohne Auf enthalt durch die dichtesten Massen. Das ganze Bild ist ein sehr farbiges und abwechselungsvolles; die Häuser, deren erstes Stock werk von Pfeilern getragen wird, so daß unten ein offene: Gang ist, sind meist blau gestrichen, über den Eingängen zu den Läden hängen mächtige rothe Schilder oder auch Fahnen mit großen schwarzen chinesischen Buchstaben, an den Thüren wehen lange, flatternde Papierstreifen mit Bitten an dir Götter, den Inhabern der Geschäfte gnädig gesinnt zu sein, in den Läden selbst bedecken die Wände grellbunte, große, auf Papier gemalte Abbildungen von Göttern mit Schlitzaugen und langen Zöpfen, sowie die Ahnentafeln des Hausherrn, vor denen Räucherwerk und Papier schnitzel abgebrannt werden. Aber nicht nur ihrer Vorfahren gedenken die bezopften Herren, sondern auch ihrer Nachkommen schaft, denn vor allen Thüren spielen Kinder umher, überwiegend Knaben, oft halb oder auch ganz nackt, häufig mit hübschen, für uns komischen Gesichtchen, um so komischer, da bis auf das Zöpfchen der Kopf glatt rasirt ist und zuweilen nur einige ganz absonderlich ausschauende Haarbüschel stehen geblieben sind. Nun aber erst diese Stadttheile am Abend, wenn all die Laternen, Papierballons, Lampen, Lichter angezündet werden auf den Straßen und zumal auf den Tischen der Verkäufer, vor den Häusern und Läden und in letzteren selbst, auf einzelnen Dächern sogar und vor vielen Fenstern, und wenn ein Menschen gewimmel diese Gassen ensüllt, wie eS ähnlich bei unS nur ge legentlich großer festlicher Vorkommnisse zu sehen ist. Um die offenen Verkaufsstände drängen sich dann die Käufer in Hellen Schaaren, hier trinken sie Thee, dort essen sie mittels langer Stäbchen Reis und Fleischgerichte, deren Ursprung ich nicht er gründen möchte, und da harren sie vor einem Guckkasten, bis ein Plätzchen frei wird und sie sich an den von oben her be leuchteten Bildern ergötzen können. Ueberfüllt oft sind die in den Häusern untergebrachten Garküchen, aus denen der Schein des Herdfeuers dringt, und die Theelocale, welch letztere ganz nett von Außen erscheinen, aber, o, dieser Schmutz im Innern! In einer Straße, in die wir auf einer unserer Wanderungen geriethen» lag rin TheehauS neben dem andern und „holde" Chinesinnen credenztcn hier den heißen braunen Trank. Sechs, sieben, acht, zehn der Dämchen harrten in ihren langen Ge wändern der Gäste, einzelne Gesichtchen recht hübsch, andere wieder infolge der dicken weißen Schminke wie GipSköpfe auS- sehend; aber sobald wir nur Miene machten, einzutreten, floh ein Theil dieser Vertreterinnen lieblicher chinesischer Weiblichkeit in den dunkleren Hintergrund de» großen Raumes, auf dem Damme draußen aber rotteten sich sofort die Männer zusammen, und ihr ganzes Wesen ermuthigte uns nicht, unser Vorhaben auszuführen. „Nichts für Europäer!" — Dafür stapften be leibte und auch bebrillte, durchaus nicht mehr junge Söhne des himmlischen Reiches behäbig an uns vorbei in jene Locale hinein. Für's Vergnügen ist ja der Chinese sehr empfänglich, für Vergnügungen in jeder Hinsicht. Welch ein Lärm dringt uns aus einer benachbarten Straße entgegen, eine furchtbare Musik mit dröhnenden Paukenschlägen und gellenden Pfeifentönen, da zwischen mit menschlichem Geschrei — halt, nun können wir nicht mehr vorwärts, eingekeilt steht die Menge zu Tausenden vor uns, dort, mitten in der Straße, ist ein Theater errichtet auf einem etwa drei Meter hohen Gerüst von Bambusstäben ruhend, mit Coulissen rc., und in effectvollen Costümen stolziren die Schau spieler umher und spielen mit höchstem Pathos. Diese Wander bühnen werden von wohlhabenden Chinesen auf mehrere Tage bez. Abende gemiethet, und Jedermann kann nun umsonst zu schauen. Am gleichen Abend trafen wir noch auf eine derartige zweite Bühne, auf der nur Kinder spielten, mit großem Geschick und, wie es schien, mit wirksamer Komik. Neben diesen offenen Theatern giebt es natürlich noch eine ganze Menge geschlossener, von denen wir eins besuchten: ein großer scheunenartiger Raum, schlecht erleuchtet und natürlich furchtbar schnudelig, vom scharfen Geruch der gelben Rasse er füllt, denn jedes Plätzchen ist unten besetzt von niederem Volk, nur von Männern und Kindern, während einzelne Frauen auf den Galerien thronen. Zwischen den Reihen des „Parquets" — Billet zehn und zwanzig Pfennig — wandern fortwährend Händler mit Süßigkeiten, die auf klappernden Waagschalen ab gewogen werden, mit Kuchen, Limonade, Thee, Tabak, Früchten umher, was die Aufmerksamkeit wenig zu stören scheint, denn Aller Blicke sind gespannt auf die Bühne gerichtet, und die In haber der vorderen Plätze drängen sich so dicht an die Bühne heran, daß ihre Köpfe gelegentlich über der Rampe ouftauchen. Von der Handlung vermag ich nur zu berichten, daß einem Mann mit einem Schweinskopf, der wohl einen bösartigen Dämonen darstellte, übel mitgespielt wurde, er bekam stets furchtbare Prügel, von denen er sich aber schnell wieder erholte, was immer erneute Heiterkeit erweckte. An hunderttausend Seelen mag die Chinesenstadt fassen, die sich, wie schon oben erwähnt, weit ausdchnt, aber ein Gefühl richtiger Unsicherheit hat man nirgends, so fest ist das Vertrauen zur englischen Aufsicht. Und auch hier muß man, wie auf Ceylon, der britischen Regierung das aufrichtige Lob zollen; die Ord nung ist überall musterhaft, die Straßen auch außerhalb des europäischen Quartiers sind vortrefflich chaussirt, die ganze Stadt, von der vor sechzig Jahren erst nur eine malayische Ansiedlung vorhanden war, macht einen äußerst günstigen, nahe dem Hafen sogar großartigen Eindruck, die ganze Verwaltung ist musterhaft. Zu sehen, nach Baedeker-Begriffen, ist allerdings nicht viel; sehr lohnend ist ein Besuch des botanischen Gartens und der Wasserwerke mit prächtiger Aussicht, auch das Museum bietet Mancherlei für die Geschichte und Cultur der Insel Interessantes, besonders in Bezug auf die Thierwelt, wobei ich erwähne, daß noch vor wenigen Wochen in einer Entfernung von etwa zehn Kilometern ein starker Königstiger, der vom Festland« herüber geschwommen, erlegt wurde, ein Schweizer gab von der größerer Jagdgesellschaft den Kernschuß ab. In ein sehr interessantes naturhistorisches Laboratorium führte uns ein freundlicher Zu fall; ein liebenswürdiger, naturwissenschaftlich gut vorgebildeter junger Pole, Graf Wladimir Wandejko-Klaski, der auch unser» Sprache spricht, hat hier seit einiger Zeit unter dem Namen: ..hlLlsvan Dttinologicai L Xat Ikistor)' Collections" eine Art Museum eröffnet, dessen Sammlungen jeder Art von außer ordentlicher Reichhaltigkeit sind. Nach Tausenden zählen die Schmetterlinge, von denen er fast täglich Sendungen nach Deutsch land abgehen läßt, ebenso Käfer, Schlangen, ausgestopfte Thiere und ethnographische Gegenstände, deren Preise sehr mäßige sind. Von fern her bringen ihm die Malayen aus Wald und Buscki Reptilien und anderes Thierzeug heran, und ich war gestern Zeuge, wie eine ganze Schlangencolonie, darunter ein Boa Eon strictor, abgeladen und dann sofort in großen GlaSgefätzen wissenschaftlich „beigesetzt" wurde. Zu vielen Hunderten liegen in mit Musselinvorhängen versehenen Betten die Cocons, die Schmetterlinge, kaum ausgebrochen, werden sogleich getödtet und präparirt; auf diese Weise wird ihnen der ganze Farbenschmelz er halten, der meist von einer so wunderbaren Pracht ist, daß man die Augen gar nicht fortwenden möchte von diesen Zaubergebilden der Natur. In deutschen Kreisen wird selbstverständlich auch hier nur von unserem Vorgehen in China gesprochen, wobei man die Ad Neigung gegen Japan deutlich merkt. Man vermuthet und hofft, daß wir die ganze Shantung-Halbinsel nehmen werden, und glaubt nicht, daß China selbst irgend welche Schwierigkeiten machen wird. Derselben Ansicht ist auch der neue chinesische Botschafter für Berlin, der vorgestern mit der „Bayern", die ihm zu Ehren die dreizackige gelbe chinesische Fahne mit dem schwarzen Drachen gehißt hatte, Singapore pafsirte, in Gesellschaft von drei Frauen und vier drolligen Kindern, wie einer zahlreichen Diener schäft. Excellenz Lü-Huan-Hei, der zum ersten Male nach Deutschland kommt, aber gegen die europäischen Sprachen einen gewissen Aberglauben hat und sich stets seines englisch sprechenden Dolmetschers bedienen muß, ist von warmen Sympathieen für unser Land erfüllt. „Die übrigen Nationen wollen uns schwächen", meinte er, „Deutschland will unS gegen unsere Feinde ftark machen, dafür sind wir dankbar; Alles wird sich zwischen un friedlich regeln lassen." Bon anderer Seite hörte ich, daß bereits von Shanghai aus große Ladungen eiserner Oefen, Stühle, Lampen, Decken rc. rc. nach Kiaotschau abgegangen sind, um unseren braven Marinemannschaften die Ueberwinterung zu er leichtern. Welch' große Freude für uns, als die „Bayern", die uns hinausgeführt in die Ferne, hier anleqte, und wir den lieben Freunden, vor Allem Capitain Prehn, die Hände drücken konnten und es dann ein emsiges gegenseitiges Berichten ging. Wir fühlten uns auf dem schönen Schiffe, unter all' den bekannten Gesichtern der Officiere und übrigen Angestellten, mit denen wir ja die Octoberwochen verlebt, wie in der Heimath, und auf ein frohes Wiedersehen dort oder in der Fremde klangen hell die Gläser zusammen!
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