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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980207027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898020702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898020702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-07
- Monat1898-02
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Vq«S*PrM « oder den 1» Gütb^ «t«, «richtet« Am». : vierteljährlich ^»4^0, bet IweiMaltaer täglich« Z«st«lluag tu« Halt S^O. Durch di» Post bezogen für Dentfchlcmd «ud Oesterreich: vierteljährlich S.—. Lire«, täglich« Kreuzbandiendu«» in» LnäUwd: «oiultUch 7ckO- Di» Diorgew-Anägab« erscheint «m '/,? Uhr, bt» Lbmb»L»ägab« Wochentag» «n b Uhr, Re-actio« »»- Erve-itto«ri -atzanuesgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag» «aanterbrochail Wöfkvt »o» früh S bi» «bevd» 7 Uhr. Filiale«: kitt* Me««'» L-rttm. <Alfre» HnhnX UniversitStsstrabe 3 lPanlinma), L-ni« Lösch«. Erthnrinopr. 14, »art. nnd Känigtvlah 7, Abend-Ausgabe. npMerLiUMatt Anzeiger» Ämlsbkatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes «nd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Mu-aige«.Pret- -le S gespaltene Petit-eile SO Psg. cherla««» «ntrl de« Redaction-ftrich (4g» spalt»«) üv>4, v« d«n Fa»ilt»«aackrickt« (»grspaU«) 40^. Größer» Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Zifiernsatz nach höher»«« Tarif. Extra »Beilagen (gesalzt), nur mit de» Morgen »Ausgabe, ohne Postbesördersnj' 00.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Anvahmeschluß für Anzeigen-. «bend-AuSgabr: Bormittag- 10 Uhr. ErorgeN'AuSgabe: Nachmittag» 4Uhr. Gei den Filiale» und Auaabmestellen je eia, halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an di« Expedition zu richten. Druck »ud Verlag vo« S. Polz tu Leipzig, «7. Montag den 7. Februar 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Februar. Unsere Annahme, daß der Erfolg de« am 2. d. MtS. in Dresden ab^ebaltenen canscruattvea Parteitage» sich erst dann werde völlig übersehen lassen, wenn man alle aus couservativen und besonders auS Kreisen des Bunde» der Laudwirthe laut werdenden Urlheile über die in Dresden gehalteoen Reden und gefaßten Beschlüsse kenne, stellt sich alS richtig heraus: ebenso anscheinend die Bermuthung der „Leipz. Zig", daß mit den „untergeordneten Werk zeugen deS Bundes" kein dauernder Bund zu slechten sein werde. Wir sagen „anscheinend", obgleich die „Correspondenz des Bundes der Laudwirthe" officielleS Organ deS Bundes ist. Da man aber vorläufig annehmen muß, daß Herr v. Ploetz nicht in dem officiellen Bundesorgane eine andere Sprache als in DreSven spricht, so wird man auck annebmen müssen, daß eS »untergeordnete Werkzeuge deS Bundes" sind, die jetzt in der „Correspondenz" ihr Wesen treiben. Wie sie es treiben, davon haben wir bereits in unserer SonntagSausgabe eine uoS vom Telegraphen übermittelte Probe mitgelheilt. Die betreffende Auslastung an der Spitze der letzten Nummer deS officiellen Bundesorgans (vom 5. Februar) lautet wörtlich: „Auf dem couservativen Parteitage hat Frhr. v. Manteuffel erklärt, eS sei „Pflicht des Bundes", bei der „Loncurrenz conser- vativer und antisemitischer gleichmäßig agrarischer Canvidaten für den Couservativen zu stimmen." Warum soll das unsere „Pflicht" sein? Sind wir etwa Vasallen der confer» vativen Partei? Wir haben den Couservativen ja schon früher erklärt, daß der „Bund der Laudwirthe" keine Commandite der couservativen Firma jein kann und will. Bei der Concurrenz konservativer und antisemitischer Candidalen, die „gleich mäßig agrarisch" sind, werden die Vertrauensmänner deS Bundes in dem betreffenden Wahlkreise das entscheidende Wort haben; aber daß wir unS auf alle Fälle von vornherein dem couservativen Wagen als Gespann zur Verfügung stellen, fällt uns nicht ein, denn wir sind eine wirthjchaftsoolitische, in parteipolitischen Dingen — wie Herr v. Ploetz in Dresden be merkte — neutrale Vereinigung". Selbst die „Kreuzztg.", die unmittelbar nach dem Partei tage jeden bescheidenen Zweifel an der loyalen Haltung deS Bundes oder auch nur einzelner BundeSmitglieder gegen die Couservativen als hetzerische Unterstellung zurückwieS, ist über diesen „urwüchsigen" Ton empört und erklärt: „Wer von Len Couservativen hat den „Bund der Laudwirthe" als „Vasallen" oder als eine „Commandite" der couservativen Partei bezeichnet?! Aber fast hat es den Anschein, als ob sich im Bunde der Laudwirthe eine Strömung Geltung zu verschaffen suchte, nach der die conservative Partei als eine „Commandite" des Bundes zu betrachten und der Antisemitismus als bevorzugter Mit-Commanditeur aufzunehmen sei. Gegen eine solche Ausfassung müssen wir uns entschieden verwahren; den» jeiligen Herren aber im „Bunde", die in der bezeichneten Strö mung dahin steuern, möchten wir doch warnend zurusen, nicht zu volle Segel aufzujetzen; eS dürste dem „Bunde" vielleicht doch nicht ganz erwünscht sein, so und so viele Conservative, die seine Sache bisher treu verfochten haben, von sich abzu drängen/' Noch entschiedener äußert sich der conservative „ReichSbote": „Wenn man die Rede des Herrn v. Ploetz aus dein Parteitage gehört hat, so macht diese brüske officielle Erklärung deS Bundesorgans einen frappirenden Eindruck. Herr v. Ploetz wird darin — trotz der Beziehung auf ihn — desavouirt. Er ist offenbar von der Mehrzahl der anderen Mitglieder des Bundesvorstandes überstimmt worden. Nach dieser Erklärung gilt dem Bunde di« anti semitische Partei der conservative» als gleichwerthig. Es „fällt den Herren gar nicht ein", dem conservative» Candidaren den Vor zug vor den Antisemiten zu gebe». Da» ist eiue scharfe Front stellung gegen die conservative Partei unmittelbar nach dem Parteitage, die durch die Vorgänge in Minden- Lübbecke thalsächlich beleuchtet wird. Mit diesen Berufungen auf den wirthschastspolitijchen Charakter des Bunde- und die EntscheiSung der Vertrauensmänner der Wahlkreise kann der couservativen Partei noch schlimm mitgespielt werden; denn damit kann man schließlich jede Wahl rechtfertigen." Wir nehmen, wie gesagt, vorläufig noch nicht an, daß Herr v. Ploetz von der Mehrzahl der anderen Mitglieder des Bundesvorstandes überstimmt worden und daß mithin in der cilirten Auslastung des officiellen Bundesorgans mehr als eine Kundgebung jener „untergeordneten Werkzeuge" des Bundes zu finden sei, die auf eigene Faust Politik treiben und in couservativen Wahlkreisen auf conservative Kosten ihre eigenen Geschäfte betreiben wollen. Jedenfalls aber tritt jetzt an den Bundesvorstand und besonders an Herrn v. Ploetz gebieterisch die Pflicht heran, ihrerseits diese untergeordneten Werkzeuge zu desavouiren. Die Erfüllung dieser Pflicht zu fordern, ist in erster Linie Sache der conservative« Parteileitung, besonders ihrer Mitglieder aus dem Königreiche Sachsen, der freundlichen Wirthe des Dresdener Parteitages, die am meisten um den Versuch einer Klärung der Stellung deS Bundes zu Couservativen und Antisemiten sich verdient gemacht haben. Jedenfalls müssen sie eS nicht nur für begreiflich, wndern für selbstverständlich halten, daß die Natlvnalkiberaten eS entschiede» ab lehnen, für untergeordnete Werkzeuge de- Bundes einzutrelen, die Herrn v. Ploetz deSavouiren und deshalb selbst bei der „Krcuzztg." und dem „Reichsvoten" den letzten Rest von Vertrauen verloren haben. Uebcr den seltsamen Zwischenfall, der sich in Rom beim letzten Geburtstage des Kaisers abgespielt bat und auf den wir bereits im Leitartikel unserer Morgenausgabe vom 4. d. M. hingewiesen haben, liegt in der Münchener „Allgem. Ztg." eine interessante ergänzende Mittheilung aus der italienischen Hauptstadt vor. Der am 1. Februar ver faßte Bericht dieses Blattes lautet: „Innerhalb der hiesigen deutschen Colonie ist es aus Anlaß deS Geburt-festes Kaiser Wilhelm's leider zu einem Zwiespalt gekommen. Bekanntlich Hai eine kleine Zahl deutscher Klerikalen, denen unirr Führung Monsignores de Waals, des ReclorS Les önrrreichiichen Convicts, auch Deutsch-Oesterreichrr sich anschlossen, aus die Einladung, dem gemeinsamen Banket aller Deutschen RomS beizuwohnen, für ihr Erscheinen die Bedingung gestellt, daß bet diesem Banket kein Trinkspruch auf König Humbert ausgebracht werbe. Der deutsche Botschafter beim Quirinal, Baron Saurma, brach hieraus alle Verhandlungen ab, nahm Urlaub, verließ Rom und kehrte bis heute noch nicht zurück. Die Folge war, daß infolge der Abwesenheit des Botschafters der gewohnte Empfang der deutschen Colonie im Palazzo Caffarelli am Geburtstage Wilhelm s il. unterblieb und daß dieser Em- psang in der Billa Santa Fiora stattfand, also in der Wohnung deS preußischen Gesandten beim Vatikan, Herrn v. Bülow. Man hat es hier vielfach bedauert, daß dieser Empfang im Palazzo Caffarelli unterblieben ist, weil er gerade diesmal an gesichts der gegen die Person des italienischen Monarchen gerichteten Bewegung der deutschen Klerikalen doppelt am Platz gewesen wäre. Noch mehr ist man jedoch in hiesigen politischen Kreisen durch das. von Lea deutschen Klerikalen im Hotel Minerva zu Ehren des deutschen Kaisers veranstaltete Banket verstimmt, weil Herr von Bülow demselben beiwohnte und bei den zahl reichen auf Leo XHI. auSgebrachtrn Trinksprüchen Bescheid that und Bescheid thun mußte, obwohl sich die Veranstalter des Bankers geweigert hatten, dem Bundesgenossen deS deutschen Kaisers, König Humbert, einen Gruß zu senden. Der italienische Politiker, der mir diese Mittheilung»« macht, übertreibt die Bedeutung dieser Thatiachen allerdings nicht. Er ist überzeugt, daß Herr von Bülow aus eigenem Antriebe handelte und nicht auf specielle Weisung der Regierung in Berlin. Denn so sehr dieselbe eS sich auch angelegen sein läßt, sich die Sympathien Les Botica ns zu erhalten, würde sie eS doch kaum nm den Preis einer Verstimmung mit der italienischen Regierung thun wollen." Inzwischen ist der deutsche Botschafter v. Saurma aus Berlin, wohin er sich begeben batte, nach Rom zurückgekebrt. Jedenfalls bat er dem Reichskanzler und dem SraatSsecretair des Auswärtigen Bericht über die Gründe erstattet, die ibn bewogen haben, Nom vor dem Geburtslage des Kaisers zu verlassen, auf den an diesem Tage üblichen Empfang zu ver zichten und dem preußischen Gesandten beioi Vatican freie Hand zu lassen. Daß er dazu beauftragt gewesen sei, ist wohl ebensowenig anzunehmen, wie eine Berliner Weisung an den preußischen Gesandten beim Batican, sowohl seinerseits den Empfang zu veranstalten, als auch nach demselben an einem Banket sich zn betdeiligen, bei dem König Humbert ignorirt wurde. Sicherlich ist Herr v. Saurma auch beauf tragt, durch eine Erklärung die Verstimmung zu beseitige«, die durch den Vorfall in italienischen RegicrungSkreisrn etwa erregt wordeo ist. Damit kann aber weder für den deutschen Reichstag, noch für den preußischen Landtag die Sache atzgethan sein. Wir erwarten daher, daß sowobl im Reichstage, wie im preußischen Abgeordnetenbause Anfragen hier an den Reichskanzler, dort an den preußischen Minister präsidenten gerichtet werden und um Auskunft darüber er sucht wird, was geschehen sei, um die Wiederholung so be fremdlicher Vorgänge unmöglich zu machen. In Brasilien ist wieder ein Deutscher von einem Brasi lianer, noch dazu von einem Osficier, in brutaler Weise ermordet worden. Der Vorfall ereignete sich in Curitiba, dem Hauptorte deS Staates Parana. Das dortige deutsch brasilianische Blatt, der „Beobachter", schildert den Vorgang folgendermaßen: Am dritten Weihnachtsfeiertage war, wie LaS alte deutsche Sitte ist. Kindervergnügeu im Theater Hauer und Abends Familienball, wozu nur geladene Gäste Zutritt hatten. Trotz aller Vorkehrungen wußte sich auch ein Osficier (vrrselbe heißt Joao Epamirondas de Andrade Jambo und gehörte zum 14. Cavallerie - Regiment) Eingang zu ver schaffen. Ohne alle und jede Veranlassung suchte er mit dem nichts ahnenden, ruhig dasitzenden Luiz Adam anzubindcn, fuchtelte mit einem scharf geschliffenen Dolch vor dem Adam herum uud sagte mit nicht wieder zu gebenden Worten, er werde id.m diesen Dolch in den Unterleib stoßen. Ein Sohn von Lm; Adam kam hinzu und ersuchte den Osficier io der höflichsten Weste, seinen Vater zu schonen, da dieser ihm keinen Grund zn einem derartigen Benehmen gegeben habe. Darauf geschah LaS Un erhörte, der Osficier stieß die Waffe in den Unter leib seines Opfers, so daß Luiz Adam ohnmächtig zusammen- brach. Es eutstand ein furchtbarer Tumult und Alle» flüchtete fick, da derselbe Osficier mit einem Dolch in der einen und einer Reit peitsche in der andern Hand Alles schlug und stack, was ihm in den Weg kam. Biele gingen mit zerspaltenem Kopie davon. Dieser Osficier, eine Schande für das brasilianische Heer, verwundete viele Personen, nnd auch Damen, welche in die Garderobe geflüchtet waren, wurden mißhandelt. Der Mörder entkam, wurde aber in derselben Nacht noch verhaftet. Adam erlag nach 24 Stunden seinen Wunden unter un säglichen Schmerzen. Der Beerdigung deS Ermordeten wohnten nickt nur Deutscke, sondern auch Italiener, Polen und Brasilianer bei. Der DistrictScommandant General Girard ließ sich den Mörder vorstellen und ihm seine Aus zeichnung abreißcn, wodurch er auS dem Heere ausgeschlossen ist. Er sollte dem Civilgericht zur Aburtheilung übergeben werden, doch zweifelte man in Curitiba selbst, ob dabei etwas deraustommen werde. Wenn nicht, so zweifeln wir nickt daran, daß unser Auswärtiges Amt die erforderlichen Schritt unverzüglich thun, und daß dabei sicherlich etwas berauS kommen wird. In Frankreich stehen die Kammerwablen bevor, Ministerpräsident Meline giebt den Mitgliedern des Drcv fuS-TyndicatS, mit denen er seine persönlichen freuno- lichcu Beziehungen sortsetzt, den guten Rath, sich bis nach den Wahlen zu gedulden, da augenblicklick nicht- für sie zu tbun sei. Die Regierung wünscht im eigenen Interesse nickt, daß die DrrysuSsrage die Wahlagitation verschärfe und bei der neuerdings wieder bervorgetretenen Neigung der Franzosen zu Straßenspectakel die öffentliche Ordnung gefährde. Sie bat andererseits Recht, wenn sie da» DrevsuS- Syndicat vor der Fortsetzung seiner Campagne warnt; denn die öffentliche Meinung ist diesem Bunde so entschieden abhold, daß sie sich nur um so schärfer gegen ihn äußer» wirt, je mehr er sich bemüht, sie für sich zu ge winnen. Die Warnung kommt leider uur etwas spät; die bisherige DreysuSagitation genügt schon, um einem beträchl lichen Theile der Wahlen ein antisemitische- Gepräge zu geben und anstatt des einzigen Judenfeindes, den die Kammer bislang zählte (Vicomte d'Hugues), eine Antisemitengruppc ins Parlament zu bringen. Der Zolaproceß, der beule beginnt und mindestens drei Tage, vielleicht sogar eine ganze Woche dauern wird, sorgt des Weiteren dafür, daß die Ge- mütker nicht zur Ruhe kommen. Bei den Wahlen läßt fick Alles erwarten, nur keine TreysuSsreundlickr Majorität. Ter Klerus stärkt und lenkt die antisemitische Strömung nn: ungemeinem Geschick zum eigenen Vortbeil. Besonders d:e chauvinistische Bewegung, die mit jener parallel läuft, benutzt cr, um die katholische Kirche populär zu machen. Dauc dient ibm die Einsetzung eines zweiten „Nationalfestes", das im Gegensatz zu der bestehenden Feier des Baslillesturmes (l4. Juli) zu Ehren der Jungfrau von Orleans begangen werden soll. Papst Leo XHI. hat, um den französisch«« Fsnilletsn» Alice. 9j Roman von I. Lermina. Nachdruck verboten. Die Unterhaltung nahm eine ziemlich alltägliche Wendung, was aber Alice sehr angenehm war; sie fuhr fort: „Sie sprachen eben mit so großer Begeisterung von Ihrem Beruf. Sagen Sie mir doch, erreichen Sie immer Ihr Ziel?" „Immer zu sagen, wäre eine eitle Lüge — aber häufig." „So hoffen Sie auch die Mörder der Frau v. Versannes zu entdecken?" „Das kann man nicht so bestimmt sagen, aber . . ." „Aber? O, ich bitte Sie, ich habe Ihnen einen Dienst er wiesen, indem ich diese Papiere nicht verbrannte, thun Sie jetzt auch etwas für mich: Sagen Sie mir die Wahrheit, haben Sie Beweise? Haben Sie schon etwas entdeckt? Die Sache scheint mir furchtbar schwer." „Der Polizei ist nicht» unmöglich", sagte Davidot mit stolzem Lächeln. „WaS wollen Sie damit sagen?" „Ach, Sie verlangen, ich soll Ihnen eine Lection in Crimina- listik ertheilen?" versetzte Davidot lächelnd. „Nun, ich will ver suchen, Ihnen die Sache in zwei Worten zu erklären. Um ein guter Polizist zu sein, ist die Hauptsache, gut sehen und gut beobachten." „DaS heißt?" „Ein Beispiel; eben fragten Sie mich, ob ich Beweise hin sichtlich deS Verbrechens m Neuilly hätte." „Jawohl, nun, und " „Ich habe zwei sehr wichtige Jndicien gesammelt." Leise zog Alice mit der ausgestreckten Hand einen Stuhl zu sich heran und ließ sich darauf fallen. „Ich bitte Sie", murmelte sie leise, „sprechen Sie. Wenn Sie wüßten, wie mich die Sache interesfirt." „Sie sehen. Sie begeistern sich auch dafür .... ES ist wie ein Roman, dessen Seiten Sie durchblättern. Eigentlich dürfte ich Ihnen nicht antworten, denn diese Geheimnisse gehören nicht mir selbst. Doch Sie sollen mich für gut halten und darum verrathe ich Ihnen ein wenig, Ihrethalben." „Dank, Dank!" »Nun denn, die Beamten, dir die erste Haussuchung vorge nommen haben, haben zwar viel gesehen, doch sie haben nicht zu beobachten verstanden." „Nun, und Sie?" „O, bei mir liegt die Sache ganz anders. Wenn ich in ein Haus komme, wo ein Verbrechen begangen worden ist, so theile ich es zuerst, wie soll ich es sagen, in ein Schachbrett, in eine An zahl Felder, die ich langsam Prüfe, eines nach dem anderen, ohne einen Winkel undurchforscht zu lassen. Ich vernachlässige nichts von dem, was ich sehe, ich verwerfe nichts von dem, was ich finde, denn nichts ist gleichgiltig. So kann ich schon jetzt behaupten, daß sich am Abend des Verbrechens in dem Hause eine Frau befand." „Eine Frau?" „Jawohl, eine Frau, die aber nicht Madame Benoit war." „Madame Benoit hat also gesprochen?" „Nein, das nicht, und ich glaube, daß ihr der Tod morgen für alle Zeit den Mund schließen wird. Es handelt sich auch nicht um sie; da Sie diese Notizen gelesen haben, so haben Sie auch wohl bemerkt, daß im Garten mehrere Beete und Dickichte zer treten waren." „Ja, das habe ich gelesen." „Nun denn, man hat zerbrochene Zweige gefunden, man hat die Spuren einer unbekannten Person bemerkt, die in wilder Hast entflohen ist. Ich habe die Dickichte eines nach dem anderen durchsucht, und meine Müh« wurde belohnt, denn ich fand einen Stofffetzen, einen Rockbesatz, den die Dornen von dem Kleide abgerissen hatten." Die Aufregung Alice'S war so groß, daß sie kaum die Worte murmeln konnte: „Von welcher Farbe?" „Dunklen Grund mit kleinen blauen Blumen, Farben, wie sie junge Frauen zu tragen pflegen." Er hatte die Wahrheit gesprochen, dieses Kleid hatte Alice an dem verhängnißvollen Tage getragen. Mit Staub und Schmutz bedeckt war sie nach Hause ge kommen, hatte die Kleider abgeworfen, ohne sie anzusehen, und sie in einen Schrank gehängt. Weiter wußte sie nichts, nicht ein mal, daß der Besah abgerissen war. Doch weshalb sollte sie zweifeln? Dieser verfluchte Spitzel hatte sich nicht getäuscht! „Der Stoff kommt ziemlich häufig vor", sagte sie, sich wieder fassend, „es giebt in Parts tausend Kleider dieser Art." „DaS will ich nicht bestreiten; doch ist es schon etwas Werth, daß man weiß, daß eine Frau bei der Geschichte betheiligt ist; augenscheinlich eine Compllcin, vielleicht sogar die, die den Mördern die Gelegenheit verschaffte." „Eine Complicin!" rief Alice, „Sie sagten doch, sie ist ent flohen, das ist also nicht möglich." „Wer weiß; die Frauen haben manchmal merkwürdig schwache Nerven. Vielleicht glaubte sie gar nicht, daß ein Mord beab sichtigt war. Und dann bin ich auch vorläufig mit der Fest stellung zufrieden, daß eine Frau bei der Sache betheiligt ist. Das genügt. Ueberall, wo eine Frau im Spiel ist, hat man Aussicht, die Verbrecher zu finden. Sie können sich nicht in Acht nehmen." „Sie haben eine recht schlechte Meinung von den Frauen." „Durchaus nicht. Ist es ihre Schuld, wenn selbst die größten Verbrecher Gefühle und Leidenschaft besitzen? Eine Frau spricht immer aus Zorn oder Eitelkeit, und es giebt Ohren, die bereit sind, sie zu hören. Das ist die Philosophie der Polizei. Die Sache war bis jetzt ziemlich klar, doch nun, da eine Frau dabei betheiligt ist, haben sich unsere Chancen verdoppelt." „Es ist unglaublich", sagte Alice mit gut gespielter Naivetät, „wie gut Sie das menschliche Herz kennen. Sie sind ein schreck licher und sehr gefährlicher Philosoph." Der Kriminalist, der sich geschmeichelt fühlte, lächelte ver bindlich. „DaS ist aber noch nicht Alles", fuhr er fort, gleichsam einen Trumpf ausspielend. „Wirklich, haben Sie noch etwas entdeckt?" „Jawohl, und diese Entdeckung ist bedeutend werthvoller." „Nun, sprechen Sie." „Sie finden mich wohl sehr schwatzhaft; nun, da ich einmal angefangen habe . . . Denken Sie sich also, daß Coco und seine Leute . . . Ach, ich vergaß. Sie wissen ja nicht, wer das ist, das sind nämlich andere Beamt«, die mir Schlingen legen wollen. Ich nzcine also, daß Coco und seine Leute an der Erde Papier stücke gefunden haben, die zu Geldrollen gedient hatten." „Das habe ich in der That gelesen, und die Entdeckung schien mir wichtig." »Ja, ja, es ist immer dasselbe: gut gesehen und schlecht be obachtet. Coco hat die Papiere als unnütz in den ersten besten Winkel geworfen." „War irgend eine Schrift darauf?" „Nein, das nicht; aber trotzdem habe ich die Papiere gesucht, habe sie gefunden und gesammelt." „Wozu?" „Ick weiß jetzt die Größe des im Papier zurückgelassenen Ab druckes, daß die Banditen wenigsten- drei Rollen, von der jede 80 Doppellouisdor enthielt, mitgenommen haben. Warten Ti», ich werde Ihnen die Sache zeigen, r» ist sehr merkwürdig." Mit diesen Worten zog er Zunder und Schwefel aus der Tasche und machte Feuer; dann fragte er: „Haben Sie eine Kerze?" Clairac hatte seiner Frau eben eine Reihe von DoppellouiS Vor- übergeben. Diese lagen dort auf dem Kamin, und beim ersten Lichtschein hatte Alice sie glänzen sehen. Davidot wandle glücklicherweise dem Kamin den Rücken. Wenn er nun eine Bewegung machte und die gestohlenen Louis dor» ebenfalls bemerkte! Alice hatte die Kraft, aufzustehen und langsam zwischen den Kamin und den Polizeibeamten zu treten. Sie hatte ihr Taschentuch hrrausgezogen und warf es nff: ungezwungener Geste auf die Goldstücke. Dann nahm sie einen Leuchter und kam ebenso ruhig zu dem Manne zurück, der nicht einmal den Kopf gewendet hatte, sondern aufmerksam das Holzstückchen betrachtete, das sich verzehrte uns ihm die Finger zu verbrennen drohte. Ohne zu zittern, hielt sie mit ihrer kleinen Hand, deren Muskeln zum Zerspringen gespannt waren, die Kerze hin und zündete sie an. „Es war die höchste Zeit", sagte Davidot, „die Rüge! wurden mir schon heiß." Sie hatte den Leuchter auf den Tisch gesetzt, während er ge schäftig die Papierstückchen auswickelte. „Das Merkwürdigste ist", sagte er, „daß ich weiß, daß es Doppellouisdors sind. Da, hier sehen Sie eS deutlich, den runden Einschnitt! Thaler von dieser Größe giebt es nicht, also war es Gold. Nun blieb noch folgende- Problem übrig: was sind das für Louisdors, und wie viel enthielt jede Roll«? Nun denn, der Zufall, denn ich muß ihm Gerechtigkeit wider fahren lassen, hat sich die Mühe genommen, auf diese Frage zu antworten. Die Rollen sind vor langer Zeit, schon vor Jahren gemacht worden. Man hat sie stark aufeinander gepreßt und einen Louisdor auf den anderen geschichtet. Nun denn, blicken Sie in den runden Einschnitt dieses PapierS, wa» sehen Sir?" Mit zusammengepreßten Zähnen, noch immer lächelnd, beugte sich Alice vor, doch sie konnte nichts unterscheiden, weil ihre Augen überhaupt nichts mehr sahen. „Hier bitte; bet der Inschrift: Kogi, dann ein I) und ein großes !>, in der Mitte eine lange Form, di« einem aufgeschla grnen Buche ähnlich sieht. Ferner sehen Sie wohl ein 6, nickt wahr?" »Ja, ja." „Nun denn", sagte Davidot triumphirend, „diese Louisdor.- stammen aus dem Jahre 1791. Man nennt sie „Constitutio nells", wril sie das Wort Constitution tragen. Auf d«r Vorder-
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