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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.02.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189802136
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980213
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980213
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-13
- Monat1898-02
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.02.1898
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WM vtlvn Druck und Verlag do» E. Volt i« Leipzig. 82. Jahrgang Sonntag den 13. Februar 1898. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, die AheuXlurgab« Wochentag» um b Uhr." Redaktion und Expedition L Johannr»gafir 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uh4 AnnalMschluß für Anzeige«: Abrnd-Au-gabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« »Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Filialen: ktt» Klemm's Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraffe 3 (Paulinum), Lotti» Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und KünigSplatz 7. > 0 t. v «. v. , n. i. 0. «. ll. I. o. rv so. W.OpHä i I). I IX i 0. X o. i. I-. i. 0. 1.1). X ll. . t. l>. l. 0. AnznigemPrei- die S gespalten« Petttzetle »0 Pfß, Neelamen unter dem Nedartiontstrich (4a»> spalten) LO/ij vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40^. Größer« Schriften laut unserem Preis- verzetchnitz. tabellarischer und gtffenlsatz »ach höherem Tarif. ktMgcr TagMü Anzeiger. Amtsökatk des Äönigktchen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes nnd Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. BezugS.PreiS ßp der Hauptexpedttiou oder de» i» Gtadt- deoirk »»d de» Vororten erricbteten Aus- aabrstellen ab geholt: vierteljährliL ^»LO, bei zweimaliger täglicher Zustrl lang in» Haus b.SO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich! vierteljührlich l X ü.—. Directe tügltch« Kreuzbandiendung f»O Ausland: monatlich ^l 7.S0. Extra-VeilagtN (gefalzt), »ar mtt der Morgen-Ausgabe, ohne PostbefÜrderuug ^l SO.—, Mit PostbesSrdernng ^4 7V.—. nou i»e» Mer- r«r v 87: IIM.iLtt. vom Bundesrathstische gewesen. An ibm selbst ist nichts zu preisen, höchstens sein großindustrielles Mitglied Nösicke, das in dem Streben, sich zum socialistischen Mirabeau Deutsch lands auszubilden, immer weitere Fortschritte Knackt. Er verficht jetzt die CoalitionSfreiheit ebne Schutz- maßregeln für die Arbeitswilligen. Das macht einen Fabrikbesitzer interessant. Noch anziehender hätte sich der Großbraucr Nösicke gestalten können, wenn er s. Z. für die vorgeschlagene geringfügige Erhöhung der Biersteuer, vie zugleich eine Förderung der kleineren Braubetriebe mit sich gebracht hätte, eingelretcn wäre, anstatt sie zu bekämpfen. Die Milita irstrafproceßordnung hat die erste Lesung in der Commission durchlaufen. Jetzt erst kommt die Hauptsache: die Regelung der Revisionsinstauz für Bayern und die Einigung zwischen BundeSralh und Commission über die von dieser beschlossenen Abweichungen von der Regierungs vorlage. Es ist kein Grund vorhanden, noch bei dem Reichs tag auf ein leidliches Ergebniß zu hoffen. Sehr gering ist so größer die der Außerdem eine mit dem Bande 1.1>. ,. i>. i. u . lot,SM. i. v. l l>. Ein ätraßenbild. 6. Paris, 11. Februar. Der große Justizpalast liegt auf dem westlichen Dreieck der Seineinsel, das auf der einen Seite vom Pont Neuf, aus der anderen vom Boulevard du Palais begrenzt wird. Der Haupteingang befindet sich auf dem letzteren, aber zu dem breiten Aufgange zum großen Schwurgerichtssaale gelangt man von der entgegengesetzten Seite. Es ist gegen fünf Uhr, als ich vom Centrum der Stadt her an dem Ouais ankomme. Ahnungslos gehe ick auf die Brücke zu, aber ein Schutzmann tritt mir in den Weg: „Hier geht's nicht weiter." Wie, der Pont Neuf, der breiteste, belebteste Verbindungsweg zwiscken den beiden Seineufern, ist gesperrt?" Nicht möglich! Aber wahrhaftig, links und rechts wimmelt es ja von Schutzleuten, die das Publicum rurückhaltcn; ich zähle: links 22, rechts 19. Also so umjassende Maßregeln hat man heute getroffen! Glücklicker Weise sehe ick, daß die Omnibusse passiren diusen; ich schwinge mich auf den ersten besten. Die Seineinsel ist vollkommen verödet. Drei Zugangsstraßen führen zum Justizpalast: Quai de l'Horloge: 20 Schutzleute, Place Dauphine: vier berittene und etwa 30 andere Schutzleute, Quai des OrsövreS: 20 Schutz leute, sonst keine menschliche Seele. Ja, bekommen die armen Kaufleute, die da ihre Läden haben, wenigstens eine Ent schädigung? Inzwischen sind wir lchon vorüber. Am anderen Brückeuende wieder links und rechts je ungefähr 20 Schutz leute und zwei Berittene. Wahrlich, der Herr Polizeipräseci hat seine Sache gut gemacht. Aber es scheint auch nölhig zu sein. Die Ouais hinauf. und hinunter drängt sich eine vieltausendköpfige schwarze t leute haben Menge. Sind sie wirklich Alle gekommen, um Zola anzu- l brüllen? Oder wollen die Meisten nur sehen, was loS ist?'zu werden. I. ItM. l80U-):I00 6. r.p.l.,7.S8 :.p.t,Ä98 Aus der Woche. „Halb Tiger, halb Affe." Nicht ein Germane, sondern der tvpische Gallier Voltaire ist «S gewesen, der das französische Volk also charakterisirt hat. Und wenn auch gewöhnlich daS eine Thier hinter daS andere zurücktritt, er erhält mindestens in jedem Jahrzehnt einmal Neckt. So heute wieder, wo das Tigerartige, wie e» sich in der grausamen Peinigung des Gefangenen auf der Teufelsinsel und der Verfolgung der Vertheidiger seiner Unschuld offenbart, mit dem Possen haften, da» im Proceß Zola auck im officiellen Frankreich zu Tage tritt, in eine Physiognomie zu sammenfließt. Un» interessirt vor Allem, wenn nickt auSsckließlich, der Umstand, daß die Erscheinungen im Nachbarstaate, die den Abscheu einer Welt erregen, in dem Hasse und dem Rackegefühl gegen Deutsch land wurzeln und daß dies der Grund ist, weshalb die Regierung, mochte sie über den Fall Drcyfus wie immer denken, derVolkswutb nachgeben und den ProceßZola so, wie geschehen, instruiren lassen mußte. In Dreyfus und Zola soll Deutschland getroffen werben. So wirr der Gedankengang ist^ver zu solcher Möglichkeit gelangt, er ist der der großen Mehrheil derFranzosen. Nur so lange die Fiction von DieyfuS als einem Verräther im Solde Deutschlands aufrecht erhalten werden kann, ist ver ehemalige Hauptmann ein geeignetes Object für den fran zösischen Haß. Deshalb sind die Erklärungen des Staals- fecretairs v. Bülow nicht nur von den chauvinistischen Pariser Zeitungen als Lüge zurückgewiesen worden, sondern auch die gemäßigte Presse hat nicht gewagt, sie als das zu nehmen, was sie sind; sie hat ein verlegenes Schweigen beobachtet. Die Vorgänge in Frankreich bieten wieder einmal einen untrüglichen Maßstab für die Größe der von Frankreich unter allen möglichen europäischen Constellationen drohenden Kriegsgefahr. Diese Seite der „Affaire Zola" möchten wir der demokratischen deutschen Presse, die so eifrig für die Person des Dreyfus, die unS gar nichts angeht, Partei nimmt, sowie unseren „Friedensfreunden", die Deutsch land wie ein Lamm neben dem französischen Wolfe grasen sehen möchten, der gefälligen Beachtung empseblen. Bielleich kommen sie dabei auch zu einer weniger abfälligen Beurtheilung der Marinevorlage. Ob Zola verurtheilt, ob er freigcsprochen wird, daS Unheil kann nichts daran ändern, daß die Wulh Frankreichs gegen unser Vaterland sich als eine so unbändige verralhen hat, daß der Damm, den ihr die Diplomatie entgegenzusetzen vermag, unter allen Umständen eil,en unzureichenden Schutz- bildet. Unser Pariser Corre- spondent, der die Dinge von der Nähe betrachtet, hält die Verurtheilung für wahrscheinlich. Wir aber möchten glauben, daß die Klerikalen und vielleicht auch die Regierung die Geschworenen im Sinne der Freisprechung beeinflußen. Beiden kann eine Fortsetzung der Sache beim Cassalionshofe nicht erwünscht sein. diejenigen seiner Mitglieder, die in der vergangenen Woche in Berlin „beratben" haben — vom „Schutzverbande gegen agrarische Uebergriffe" subvenlionirt wäre, so hätte er den Freihändlern keinen besseren Dienst leisten können, als er durck die Annahme von Anträgen, die auf das grundsätzliche Verlassen der Handelsvertragspolitik hinauölausen, gethan. Die Herren ließen sich für die Empfehlung des vcrtragsloscn Zustandes gewinnen. Zum Glück gleicht ihr Sckick'al dem der Kinder von Hameln nicht bis zum bösen Ende. Gras Kanitz bat eben wieder einmal einen rhetorischen Erfolg davongetragen; in den Zauberberg bringt er Deutschland nicht. Dafür werden nicht nur die Negierungen und die Mittel parteien sorgen. Wir wüßten wenigstens nicht, wie die sächsischen Conservanven bei ihrer Partei verbleiben lönnten, wenn diese sich ihrem Fractivnsmitgliede Kanitz auschlicßen sollten. Der Effect von dessen Rede ist nur die Er schwerung des HandinbandgehenS von Industrie und Land- wirlhschast. Das bat Herr Or. v. Miquel erkannt, der bei dem Festmahl des Landwirthschastsralhes dessen Mitgliedern sehr höflich, aber auch sehr deutlich anveutete, daß sie in die Irre geraihen würden, wenn sie sich so gerieten, als ob sie ganz allein auf der Well wären. Die Freisinnigen haben die der Politik der Sammlung von dem conservativcn Groß grundbesitzer aus dem Osten geschlagene Wunde natürlich auch sofort erspäht und sorgen dafür, daß sie sich nicht so rasch schließt. Schließlich werden ihre Verwirrungsversuche doch an der klar zu Tage liegenden Jnleressengemeinichaft der großen Erwerbsgruppen scheiteln. Den Palatinen der San- Josv - Schildlaus winkt kein Sieg mehr in Deutschland. Während Graf Kanitz der conservativen Politik, wie sie wenigstens in Dresden Proclamirt worden ist, künstliche Hindernisse bereitet, machen sich die aus der Entwickelung hcrvorgegangenen Schwierigkeiten der Partei mit durch den Parteitag wenig geschwächter Kraft bemerkbar. Herrn Or. Ha hu vom Vorstande des Bundes der Landwirthe sind die Anti semiten nach wie vor „mindestens" eben so lieb, wie die Conservativen, und mit einem Parteitage der Berliner Conser vativen, ter am Dienstag staltsand, können die Anl iemiteu eher zufrieden sein, als die Conservativen. Die Epigone, Ahlwardt's bekamen von dem Conservativen v. d. Gröben böse Dinge zu hören, aber das Ende vom Liebe war, daß ein Nurantisemit zum zweiten Vorsitzenden des conservativen Vereins gewählt wurde. Der Erfolg ist allerdings nur ein moralischer. In Berlin haben die Antisemiten politisch nichts zu hoffen; die Conservativen freilich auch nichts. In der Zweiten sächsischen Kammer ist vor einigen Tagen ein Wort gefallen, bas im jetzigen Reichstag unerhört wäre und trotz der Neigung der Piäsidialparteien, ihr Parlament vom 23. März 1895 zu belobigen, ungehört bleiben wird. Der Präsident vr. Ackermann stellte unter dem Beifall des Hauses fest, daß in diesem bisher fleißig gearbeitet . . . i ss^rven ist. Im Reichstag kommt man aber nicht weiter; waS Wenn der deutsche LandwrrthschaftSrath — richtiger I in ibm diese Woche zu loben war, sind fast ausschließlich Neben Sehen wir sie uns ein wem- an. bie Anzahl der Arbeiter, um s Studenten, mit und ohne Barett. Menge älterer Leute, selbst Herren der Ehrenlegion, Frauen und Mädchen, einige Geistliche, vor Allem aber auch recht viele jener Gestalten, die zu dem aller schlimmsten Auswurfe de« Volke» gehöre«. Im Allgemeinen verhält fick das Publicum ruhig. Durch den Lärm der Wagen tönt hauptsäcklich nur das Gebrüll der Zeitungsausrufer, die tbeils die „Patrie", tbeils die „Lumiöre", die niedrigsten Organe der beiden Parteien, feilbieien und de» ewig wieder kehrenden: ^.vrmcer, Lles8iour8! „Writergehen!" der Schutz leute. Wohl ein Viertel aller Leute liest stehend oder gehend. Endlich finde ich ein Plätzchen, wo man mich in Ruhe läßt, gerade gegenüber dem Eingang zum Justizpalaste am Quai. Das Publicum, drei oder vier Reihen hintereinander, bie Vordersten die Ellenbogen auf die Brüstung gestützt, unter hält sich lebhaft. Ich habe in der letzten Zeit so viel inter essante Gespräche gehört, baß ich gespannt lausche: „Wissen Sie, was cs mit dem animal cke O ... für eine Bewaobtniß hat?", fragt ein junger Herr im Cylinder. „D ... heißt Durand. Dieser Durand war ..." und nun folat eine merk würdige Clubgeschichte mit Spielschulden, Weibern u. s. w. „Na, Wenns nicht wabr ist, ist» wenigstens gut erfunden", meint skeptisch ein Anderer. „Ach, quatsch doch nicht", lönt es auS einer Gruppe von Studenten, „natürlich ist Dreyfus schuldig. BoiSdefsre hatS gesagt und Mercier und Gonse, und die wissen eS besser als Du." Aber ein alter Herr legt sich ins Mittel. „Ob DrcysuS schuldig ist oder nicht, ist vor der Hand gleichgiltig. Zunächst handelt cs sich um das Gcbeimdvcument, und bas ist ganz sicher, darauf schwöre ich ...." „Warum nur Zola die ganze Geschichte überhaupt angesangen bat; eigentlich ging sie ihn doch gar nicht- an," sagt neben mir rin junges Märchen. „Aber wenn er doch an die Un schuld von Dreyfus glaubt!" „Nun ja doch, aber deswegen so ein Scandal." . . . Zwei alte Herren gehen vorüber. „Seit ein paar Wochen lese ich überhaupt nur noch Vermischtes und Feuilleton". Ter Glückliche! Dann braucht er über haupt keine Zeitungen mehr zu lesen. Selbst daS „Echo de Paris", das literarischste Blatt von Paris, das sonst jeden Tag zwri Feuilletons veröffentlicht, bringt jetzt drei Seiten Proceß Zola und eine Seite — Annoncen. Eine Gruppe Studenten zieht mit ihren Mädchen singend vorüber, bie Baretts sitzen tief im Nacken, die Kleider sind hoch geschürzt. Was geht sie DieyfuS und Zola an! Aber daß heute etwas Besonderes los ist, das wissen sie und das haben sie beim mmcluwä ckv via tücktig begossen. Vielleicht haben sie daS beste Theil erwählt. UebrigenS geht eS nicht überall so vergnügt zu. In einer Gruppe kommt eS zu heftigen Auseinandersetzungen und Schimpfworten und die Schutz- t leute haben alle Mühe, die Streitenden zu trennen. . . . I Einhalb sechs Uhr. DaS Publicum fängt an ungeduldig > zu werden. Drüben am Justizpalast zündet man die GaS- cls8 LleusLt.roul8 cku Uo-aumo cko b'ranoo". In Deutschland hieß es „Spielleute-König", „Spielgraf", „Musikgraf" oder „Pfeifer könig". Besonders folgenreich für die Pfeiferinnung wurde die Ueber- tragung des Pfeiferkönigthums an die Herren von Rappoltstein im Elsaß. Ein sehr selten gewordenes Buch, „Die Herrschaft Rappoltstein", Beiträge zur Geschichtskunde des Ober-Elsasses, herausgegeben von I. Rathgeber, enthält hierzu sehr interessante Ausführungen. Ein für allemal sei für unsere Darstellung über haupt besonders auf dieses Buch verwiesen. Die Herren von Rappoltstein übernahmen also das Pro tektorat über die Pfeifer. Die ältesten Urkunden darüber wurden ums Jahr 1400 aufgestellt. Das Diplom Kaiser Friedrich's III. von 1481 bestätigte bereits alte Rechte. Bei der verachteten Stellung der Pfeifer war das Amt der Rappoltsteiner nicht gerade ein dankbares. Wilhelm 1. von Rappoltstein gab sich viel Mühe um seine Spielleute. Er war es, der ihnen den Kirchenbesuch erwirkte und nicht eher ruhte, als bis sie 1480 vom Kirchenbanne losgesprochen wurden. Bon Anfang an war es so, daß die Herren von Rappoltstein über die Pfeifer, oder jetzt, besser gesagt, die Pfeiferinnung, nur die Oberherrlichkeit ditect ausübten. Für die vielen einzelnen Geschäfte der Innung ließen sie von den Pfeifern selbst einen geeigneten Mann wählen, der dann allemal auf ein Jahr als Vertreter des Rappoltsteiner Herrn waltete, selbstverständlich erst, nachdem er von letzterem officiell bestätigt worden war. Z. B.: „Smasman von Rappoltstcin setzt den trummeter Loder zu einem pfifferkunig über die Varenden lute". Dieser Vertreter war es dann eigentlich allein, der den populären Titel „Pfeifer könig" erhielt. Also aus eigener Mitte nahm man einen zum „könig der pfifer und Varenden lüte". Oder, wie cs auch hieß, dieser Vertreter, der ein Pfeifer, Trompeter, auch sonst einer von den Fahrenden sein konnte, hatte auf ein Jahr das „Ambacht (Amt) des Künigrichs varender lüte". Das Königreich wurde in allen Formen als solches angesehen und behandelt. Pfeifer könig und Pfeifertag waren dabei das Wichtigste. Auf die Person des Pfeiferkönigs kam viel an. Er war dafür verantwortlich, daß sozusagen der Corpsgeist innerhalb der Genossenschaft nicht schwinde. Es galt deshalb darüber zu wachen, daß kein Spielmann zu irgend einer Festlichkeit zu gelassen würde, der nicht Mitglied der Bruderschaft sei. „Er seyn denn zuvor in die Bruderschaft uff vnd angenommen". Jede Mißachtung dieser Vorschrift sollte bestraft werden, „wer dagegenkommt, wird gestraft und nimt man ihm das Spil". Auch sonst hatte der König streng auf Befolgung der Ordnungen zu sehen. Nur Einiges davon mag erwähnt werden. Nicht jeder Landstreicher sollte in die Innung ausgenommen werden dürfen; „er sol auch einen ehrlichen Geburttschein und Abscheid aufweisen". Wollte Einer Mitglied werden und in der Stadt als Pfeifer auftreten, dann mußte er zwei Jahre gelernt haben, für ein Dorf ein Jahr. Jeder hatte einen besonderen Eid zu leisten, „dem König und der Bruderschaft hold und gewärtig zu sein". Die Aufnahme, wie auch der Austritt kostet zwei Reichs thaler, dazu kam Schreiber- und Botenlohn, je „12 straßburgisch Schilling". Der Pfeiferkönig hatte ferner auch unter den Mit gliedern jeden Gedanken einer unlauteren Loncurrenz zu unter drücken. Wie im Tone des Dekalogs klingt's in einer Ver ordnung von 1606, wo es heißt: „Ein Bruder soll dem andern das Spiel und die Schüler nit abspannen, noch zu Mahlzeit, Tanz-, Tag- oder Nachtspiel in dem Haus oder auf der Gasse spielen, er wäre denn dazu berufen". Falls Jemand als zweiter Spielmann wohin berufen würde, so sollte er sich, bevor er spielte, erst überzeugen, ob sein entlassener College auch richtigen Lohn bekommen hätte. Ein Zeichen der Zeit war es, wenn ein Mit glied einem Juden nur für einen Goldgulden aufspielen durfte. Frommer Sinn sollte gepflegt werden. Einmal jährlich Messe lesen lassen und „alle Frauentag mit Beichtmeß hören und Almosen geben andächtiglich verehren", das war das Mindeste, was von den Jnnungsmitgliedern verlangt wurde. Sollte jedoch die Bruderschaft „Gott und sonderheitlich der allerheiligsten Jungfer zu höchsten Ehren" sein. Wurden die Ordnungen übertreten — und das kam oft vor — dann erging eine geharnischte Warnung. So erließ z. B. Johann Jakob von Rappoltstein 1664 ein Mandat, in dem es heißt: „daß wo Sie solchem nicht nachkommen würden . . . wider Sie als Verbreche« und lose leuth procedirt werden müsse". Zur besonderen Unterstützung für die Besorgungen der mannig fachen Angelegenheiten seines Reiches hatte der Pfeiferkönig ver schiedene Beamte. Vier Meister standen unter ihm, dann der Fähndrich, die Zwölfer und der Weibel. Auch Schultheiß und Marschall werden als Beistand genannt. Das mühevolle Pfeiferkönigsamt war Nicht ganz ohne Ein künfte, wenn diese auch nicht immer gerade freudig entrichtet wurden. In einer der ältesten Urkunden betreffs der Pfeifer (bei Scheid, ckiss. cks iurv in Nusicos mn-ul.) um 1400, einer „Ovnstitntio Vicarii siva Ovoum tenentw, bockte vul-o Pfeiferkönigs", heißt es: „Also das er dasselbe Königreich vnd Ambacht . . . besizzen, nuzzen, vnd nießen". Demgemäß waren Abgaben an den Pfeiferkönig zu entrichten. Vor 1434 mußte Jeder am Jakobstage „ungeverlich ein hun und ein fester Habern" geben. Dann wurde es zwei Viertel Haber. Seit 1460 wurde in Geld gezahlt „2 Basel plappert", später 100 Livres jährlich. 1606 ist von zwölf Batzen „unterlendisch" die Rede. Der Reichstag der Pfeifer war der große „Pfeifertag". Für den Elsaß, unter Oberherrlichkeit der Rappolsteincr Herren, fand er am 16. August zu Alt-Thann und Bischweiler, am 8. Sep tember zu Nappoltsweiler statt. Verschiedene Orte mußte man nehmen, weil man die Innung in drei Bruderschaften getheilt hatte. Die obere reichte vom Hauenstein bis zum OttmarS- bühel, die mittlere dom OttmarSbühel bis nach Epfig, die untere von Epfig bis zum Hagenouer Forste. Später gab es einmal einen großen Proceß, weil sich die Orte Mutzia und Bischweiler um die Ehre stritten, den Pseifertag in ihren Mauern zu haben (um 1700). Hunderte von Jnnung»genofsen kamen am Pfeifertage zu sammen. Nur ganz außerordentliche Gründe, die angegeben werden mußten, entschuldigten ein Fernbleiben. Anschaulich wird uns ein Einzug der Pfeifer in Bischweiler geschildert. Zu erst vier Trompeter und ein Pauker zu Pferde, dann ein Herold „in Livereh"; es schließt sich an der Pfeiferkönig mit einer aus dem Hute befestigten Krone. Gerichtsleute, Musikanten folgen, der Fähndrich naht mit der Fahne. Spielleute kommen in Sechserreihen. Man besucht die katholisch« kleine Kirche. Am Pfeifertage soll Niemand die Messe versäumen. Noch 1751 ver langte man von den reformirten Mitgliedern, daß sie die Messe hörten, die Lutheraner durften sich freier bewegen, nur sollten sie da» Almosen nicht versäumen. Nach dem Gottesdienste zog man ins Schloß, wo ein gemein sames Mittagessen servirt wurde, das Gedeck zu einem Thaler. Wer entschuldigt fehlte, hatte gleichwohl den Betrag fürs Essen einzuschicken. Alle wichtigen Angelegenheiten der Genossenschaft wurden am Pfeifertage besprochen oder erledigt. Am wichtigsten war jedenfalls die Wahl des neuen Pfeiferkönigs. Hierbei wurde übrigens eine besondere Einschreibegebühr erhoben; die Wahl, „der Tung", kostete also zwölf straßburgische Schillinge extra. Der Pfeifertag war auch Gerichtstag. Jedes Mitglied — so war's ausdrücklich z. B. in der Verordnung Eberhard's von Rappoltstein bestimmt — war nicht in erster Linie seinem Ortsgericht, sondern dem Pfeifergericht unterworfen. Eine Appepllation war nur gestattet an das Hererngericht, lange Zeit also an den jeweiligen Herrn von Rappoltftein. Sonst wurden alle Gerichtsverhandlungen und Strafurtheile am Pfeifertage abgemacht. Gewöhnlich handelte es sich um die Bestimmung irgend eines Schadenersatzes. Geldstrafen wurden auferlegt; auch konnte darauf erkannt werden, eine gewisse Menge Wachs, etwa für die Dusenbacher Liebfrauencapelle, zu liefern. Selbstverständlich fehlt es am Pfeifertage auch nicht an Spiel, Gesang und Tanz. Nur durfte kein Spielmann an diesem Tage an einem anderen Orte aufspielen als an dem, wo der Pfeifertag gehalten wurde. Das Saiteninstrument, das seit dem Ver stummen der Troubadours und Minnesängrr überhaupt in den Hintergrund getreten war, war bei solchen Gelegenheiten nicht po- pulair. Diese zünftigen Musikanten bevorzugten gerade oder ge brochene Zinken, Trompeten, Posaunen, lange Flauten, kurze Querpfeifen, große Trommeln, Becken, Triangeln. Beim Tanz waren Trommeln und Pfeifen hauptsächlich beliebt. Nach dem AuSsterben der Rappoltsteiner erhielten die Pfalz grafen von Birkenfeld da» Königreich der fahrenden Leute als Reichslehen. Als der Elsaß französisch wurde, gab es manche Streiterei zwischen dem Grafen Pfalz-Zweibrücken und den Pfeifern. Der französische König nahm Beschwerden von Er sterem entgegen. Die höchste Instanz für die Genossenschaft war nach 1648 der Onn^oil Svnverain ck'^Isam». Die einzelnen Satzungen änderten sich wenig, obgleich z. B. in der Verordnung von 1606 eine Aenderung „nach Zeit und Umständen" ausdrück lich Vorbehalten war. Herzog Max von Zweibrücken druckte das erwähnte Mandat Eberhard'» unverändert ab. (1785.) Mit der Revolution hörte die Genossenschaft allmählich auf, da» zu sein, wa» sie Jahrhunderte gewesen war: eine zunftmäßige Vereinigung der elsäsischen Spielleute (auf verwandte Erschei nungen anderswo, z. B. in der Schweiz, gehen wir hier nicht ein); der letzte Jnnungsbruder war Franz Lorenz Chappuy; er starb am 23. December 1838 zu Straßburg, „ehedessen virtuo» auf der Violine, welcher über fünfzig Jahr« al» erster Geiger und Qrchesteranführer glänzte". S,1..s>!S tv». FenrHetsir. Die Pfeiferinnung. Vou Or. A. S. Fahrend Volk, von jeher hatte dieses Wort einen geheimniß- voll-poetischen und romantisch-abenteuerlichen Klang. Leute, die nichts zu verlieren hatten, dunkle Existenzen, die sich nirgends lange halten konnten, zogen in Schaaren mit unter der Fahne des Kreuzes. In unbekannten Ländern sahen sie ungekannte Sitten, ungelannte Gefahren; was kümmerte diese Abenteurer der ideale Zweck der Kreuzfahrt! Wenn nur Jeder auf eigene Faust sein Glück dabei machte. Und wenn sie arm am Beutel und am Herzen heimkehrten, wie staunten die guten Deutschen über die Wundermären, die Heldenthaten, die Schauergeschichten, die ihnen aufgetischt wurden. Eine bunte Gesellschaft mit phantastischen Flitter und bewegter Vergangenheit, dies fahrende Volt. Erzähler, Sänger, Seiltänzer, Taschenspieler, Gaukler, Musikanten, Spielleute aller Art zogen herum, begafft, belacht — aber überall verachtet und rechtlos. Daß sich Gesellschaft und Kirche niemals dieser Leute an nahm, darin lag eS wohl hauptsächlich, daß die „varenden lüte" in sich selbst ein Ganze» zu bilden bestrebt waren, eine Genossen schaft, einen „Orden". In der Thal war ihre Lage recht traurig. „Varende lüte, Pfiffer und andere ehrlose, onechte lüte", das war keine ungewöhnliche Zusammenstellung. Die Pfeifer, ein Name, der also hauptsächlich auf die Musikanten sich bezog, wurden im Schwaben- und Sachsenspiegel für ehrlos erklärt. Im letzteren heißt e» ausdrücklich: „Kämpfer und ihre Kinder, Spielleut, die seyn alle Rechtlos." War einem Pfeifer Unrecht geschehen, so durfte er vor Gericht nicht etwa an der Person, sondern nur an dem Schatten seine» Widersachers Genug- thuung verlangen; den Schatten durfte er schlagen. Sehr mißtrauisch stand die Kirche den Pfeifern gegenüber. Oft war dies sehr berechtigt. Leichtfertigem, ja auch unsittlichem Wesen wurde an manchen Orten von Spielleuten Vorschub ge leistet. Lange Zeit durfte kein Pfeifer ein Gotteshaus betreten, und Keinem wurde das heilige Abendmahl gereicht. Da war e» Kaiser Karl IV., der «in ungewöhnliches Interesse für die Spielleute zeigte und ihnen im Jahre 1355 ein besondere» Wappen und einen „König" gab. Seitdem wurden die Pfeifer allmählich zur Genossenschaft, zur Innung. „Johannes der Fiedler" wurde zuerst als rer omvium kistricmum ernannt. Um 1385 ernannte der Erzbischof Adolf von Mainz «inen gewissen Brachte zum „König varender lüte" de» Erzbi»thums Mainz. In Oesterreich gab es einen Srzspielarafen und einen Reichs- spielleute-König für'» gan« Reich. Die Kurfürsten von Sachsen nannten sich „Oberherren der Trompeter und Pauker de» Reichs- Heere»". Derartige Aemter waren entweder rein« Hofämter oder wurden als Lehen dem hohen Adel übertragen. Der dabei vorkommrnde Titel „König" wurd« in ähnlich«! Beziehung zuerst In Frankreich und England gebraucht. Der Vorsteher der Spiel leute und Sänger am Hofe war der,^koi cke« vlolou»-oder ^koi »rlc «VS.
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