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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.02.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189802206
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980220
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980220
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-20
- Monat1898-02
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.02.1898
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nWgcr. TagMatt Anzeiger Druck und Verlag vou E. Pol» iu Leipzig. 92. Jahrgang Sonntag den 20. Februar 1898. Feurlletsn Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr. die Abentz-Auvgabe Wochentags um S Uhr. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Drahtheftung von Schulbüchern. ' Der preußische Cultusminister vr. Bosse bat dem Vor- stände des Börsenvereins der deutschen Buchhändler und dem Vorstande der Leipziger Buchbinder-Innung und der Vereinigung Leipziger Bnchbindereibesitzer Kenntniß von folgender Rundverfügung gegeben, die er am 13. d. M. (auf die Eingaben vom 29. Januar, bezw. 3. Februar d. I. hin) an sämnitliche preußische Provinzial-Schulcollegien und Regierungen gerichtet hat: „In dem Runderlasse vom 13. December v. I. — II 1709 Ll. 12375 II III — habe ich die Aufmerksam keit der Schulaufsichtsbehörden auf die Frage hingelenkt, ob > es sich nicht empfehle, darauf hinzuweisen, daß bei Neu- l Anschaffungen Bücher und Hefte mit Drahtheftung von dem Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: BonnittagS 10 Uhr. Morge n-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei Len Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition -u richten. Ne-action und Expedition: JohanneSgafse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 btö Abends 7 Ulm Filialen: ktto Klemm'» Lortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paultnum), LoniS Lösche, katharinenstr. 14, pari, und Königsplatz 7. riß am nächsten Tage die erbarmenswürdige Cigarren arbeiterin an den Haaren aus ihrem Kellerloche, trat sie mit Füßen und ließ sie halbtodt im Kothe des Höfchens liegen. Das unglückliche Weib, seit einigen Monaten guter Hoffnung, starb nach vier Tagen im Hospital der „Jncurabili" Lasten wir diese trüben Bilder, und werfen wir noch «neu Blick auf einen ganz originellen Gebrauch, der sich eng verknüpft mit dem fatalen Lottospiele. Wenn der Glanz des neapolita nischen Himmels und die süßen Reize der Frühlings- oder Herbstlandschaft den Geist von den alltäglichen Sorgen ablenken und den Wunsch wecken, auf einige Stunden aus den finsteren und dumpfigen Wohnungshöhlen zu entfliehen, so scheut das niedere Volk vor keinem Mittel zurück, diese Begierde nach einem Ausflug zu stillen. Man vereinigt sich demgemäß zu einer kleinen Gesellschaft und nimmt bei einer Wuchrrin ack Koo eine Summe auf, die für die Campagnata, den Landausflug, als aus reichend erachtet wird, dafür eine Lottonummer und einen Einsatz festsetzend. Kommt die festgesetzte Nummer den nächsten Sonnabend als erste unter den fünf zu ziehenden heraus, so ist die Gesellschaft quitt und die Wuchcrin hat verspielt. Kommt sie nicht heraus (und unter 1000 Ziehungen ist das 9S9 Mal der Fall), so ist die Gesellschaft verpflichtet, sovielmal den Einsatz zu bezahlen, als Wochen verstreichen bis zum endlichen Erscheinen der Nummer!! Der Einsatz muß natürlich so hoch sein, daß er, gespielt, einen Gewinn ergeben würde, der der vorgeschoffenen Summe, sammt schwergesalzenen Interessen, entspräche. Viele Kneipenwirthe in der Umgebung Neapels und im Cen- trum der guten Stadt geben auch direkt ein Mittagessen „auf Nummer", wobei sie sich selbstverständlich Zehn bezahlen lassen, was Drei werth ist. Auf solche Kleinigkeiten aber achtet der nicht, der sich einem üppigen Mahl gegenüber findet, und in der latenten Trunkenheit erscheint ihm die Hoffnung auf einen nächsten Lottogewinn noch viel rosiger. Mein alter Stiefelwichser, Gott habe ihn selig, erzählte mir, noch immer zufrieden lachend, wie er für ein kleines Mahl, das, Alles inbegriffen, mit fünf Lire gut bezahlt war, drei und ein halbes Jahr lang jede Woche fünfzig Centesimi hatte zahlen müssen, so daß ihn jenes gesegnete Essen 21 Lire gekostet hatte! „Ich hab' mir's nicht erklären können", schloß er, „daß die verdammte Nummer 22 nie und niemals herauskommen wollte. Drei Nächte hintereinander hatte ich von einem Verrückten ge träumt .... und Sie wissen doch, der Verrückte bedeutet 22." Ich habe damals den Lehrhaften gemacht und gesagt: „Der Verrückte ist der, der an solchen Unsinn glaubt. Er ist ein Feind seiner selbst, denn das Lotto lügt. Euer großer Cavour nannte eS eine Dlödsinnssteuer, der englische Volkswirth Canning eine Bettlersteuer und die große Kaiserin Katharina »ine Spitzbüberei." Wie blödsinnig blickte er mir lange in die Augen; dann meinte er: "Camme, sissnnri, vnis slts nn prulsssors e parlats nccnsii?..." „Auf deutsch: „WaS, Herr, Ihr seid ein Studirter und sprecht solchen Unsinn!" A»zeige«'Prrts - die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Reklamen unter dem Redactlvnsstrich (4ge halten) bOA, vor den Familiennachrichlen (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis). Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. bekommen, daß sein Versuch, den Unmuth über polizeiliche Verletzungen der Frauenehre auf die Presse zu übertragen, ein Fehlgriff gewesen ist, und daß auch daS Herausstreichen preu ßischer oder deutscher Polizeizustände auf Kosten anderer Länder Niemandem imponirt hat. Herr v. d. Recke blieb den Beweis für die relative Unübertroffenheit der preußischen Polizei schuldig. Wenn er ihn aber hätte erbringen können, wie armselig ist eine Verantwortung, die darauf hinauSläuft: beim Nachbar ist eS auch nicht besser, sogar noch etwas schlechter! ES ist wohl zu glauben, daß der Minister für die vorgekommenen Ausschreitungen nicht aus Mangel an Abscheu gegen die selben, sondern vermöge der ihm eigenen geistigen Orkonomie nur nichtssagende traditionelle Redensarten hatte, aber Ein druck auf die Polizeibeamten hat er wohl nicht gemacht. Nicht zu reden von Herrn Lindig, dessen ritterlicher Großthat wegen ihrer Eigenart in einer Tageszeitung das gebührende Lob überhaupt nicht gesungen werden kann. Im dritten Berliner Reichstagswahlkreise ist, wie gemeldet, von der freisinnigen VolkSpartei der pure Manchestermann und Rikbterianer sans xkrasa Fischbeck als Candidat aus gestellt worden. Das besagt, daß man auf den Wahlkreis, der erst 1893 dem Bürgerthum verloren gegangen ist, definitiv verzichtet hat, obwohl die inzwischen in diesem Bezirke vor sich gegangene Bevölkerungsbewegung der auch sonst an sich nicht schwierigen Wiedergewinnung nicht un günstig wäre. Dagegen besteht die Aussicht, den längst ver lorenen Wahlkreis Frankfurt a. M. der Socialdemokratie zu entreißen. Auf eine von den Nationalliberalen aus gegangene, zuerst zurückgewiesene Anregung haben sich mit dieser stärksten bürgerlichen Partei der Stadt Freisinnige und Deutsche VolkSpartei auf die Candidatur deS Freisinnigen Flinsch geeinigt. Unter der Voraussetzung, daß der Bewerber vorher befriedigende Erklärungen über seine Stellung zu den Wehr- und verwandten Fragen gegeben hat, ist der Schritt unserer Parteigenossen entschieden zu billigen. Organ der Herren Hirschel und Köhler schloß sich diesem Unheil und dieser Ankündigung an, indem es erklärte: „Diese Partei ohne Charakter und ohne Ueberzeugung", diese „ver krachte konservative Partei muß aus der Vertretung des Volkes verschwinden." Doch das sind die Stimmen erklärter Nurantisemiten. Aber die„DeutscheTageszeitung", dasOrgan des Bundes, bat noch am 7. December vorigen IahreS die konservative Partei als unter der Führung von Parteimitgliedern stehend geschildert, die „mittelstandsfeindlich seien und Antisemiten wie Eonservative für die Bekämpfung manchesterlicher und communistischer Candidaturen unschädlich zu machen" trach teten. Wenn daS Bundesorgan vor Dresden so von den Eonservative» gedacht bat, so kann man von ihm nicht ver langen, daß eS jetzt anders denkt, und deshalb sind die Be sorgnisse und das Mißtrauen der conservativen Presse sehr erklärlich. Die Personen, die die „Leipziger Zeitung" unter geordnete Werkzeuge deS Bundes genannt hat, neigen eben zu den reinen Antisemiten wahrscheinlich nicht auS Juden baß und aus volkSwirthschaftliwen Erwägungen heraus. Sie fühlen sich deshalb von den ihr Tivoliprogramm neuer dings wieder betonenden Conservativen gerade so abgestoßen, wie von den Nationalliberalen in Hannover und in der Rheinpfalz. Hier liegt die Gefahr für die „Sammlung" und namentlich für die Conservativen, nicht bei handelspolitischen Meinungs verschiedenheiten. Wenn die Regierung und die Conservativen sich heute rund und nett gegen jede Bindung von Zöllen auf landwirthschaftliche Erzeugnisse erklärten, so würden die von dem Leipziger conservativen Blatte classificirten Werkzeuge gleich den Antisemiten mit etwas Anderem kommen, wovon sie sicher sein dürften, daß die Regierung und eine positiv gerichtete Partei eS von sich weisen müßte. Die Frage, ob gebundene landwirthschaftliche Zölle, ist übrigens gar nicht die wirthschaftspolitische Kernfrage. Was nothwendig ist, sind Handelsverträge auf längere Dauer, ohne die die In dustrie nicht bestehen kann. Selbst der Generalsecretair des Centralverbandes deutscher Industrieller, Herr Bueck, läßt in seiner von unS mitgetheilten Auseinandersetzung die Frage der Bindung der Getrcidezölle .ffen. Er meint aber uumaß- geblich und unseres Erachtens mit Recht, für die Landwirlb- schaft komme vor Allem die Höhe des Zolles in Betracht, und habe sie in dieser Richtung das Erreichbare erlangt, so sei ihr Interesse an der durch langfristige Handelsverträge gewährten Stetigkeit kein geringeres als das der Industrie. Die Beantwortung dieser Frage steht jedoch noch in weiter Ferne und wird von der Entwickelung der Markt- verbältnisse. bis nach dem Beginn des künftigen Jahrhunderts abhängig sein. Das Princrp, der Schutz der nationalen Arbeit und die Harmonie der Interessen der großen Erwerbszweige, harrt aber schon jetzt bei den Reichstagswahlen der Entscheidung. Hat das Auftreten ves Das Fand der schönen Gelegenheit. Von Waldemar Kadeu (Neapel). Nachdruck verboten. MathildeSerao, die fruchtbare neapolitanischeSchriftstellcrin, vielleicht die genialste Italiens, verbreitet sich in einem ihrer Romane, II pavss cli Ouceaguu, der reich an kostbaren Beobach tungen ist, über die Leidenschaft des Lottospiels in allen Be- völkcrungsschichten der großen und charakteristischen Metropole, die, einst die Capitale beider Sizilien, jetzt noch immer der Haupt sitz der Schlaffheit und Schwächlichkeit und — des unwider stehlichen Zaubers ist. Die Verfasserin zeigt in ihrem Roman mit größter Klarheit alle Uebel, die dem Lottospiel entstammen, dieser niederen und unwürdigen Speculation der Regierung, gegen die sich jede- nur einigermaßen anständige Gewissen auflehnen muß. Wie in einem Hellen Spiegel sehen wir die fieberhafte Erregung und Bewegung eines Volkes von Bedürftigen und Habsüchtigen — vom Stiefelputzer bis zum vornehmen adligen Intransigenten, vom armseligen Tagelöhner bis zum reichen Großkaufmann, von der blaffen Handschuhnäherin bis zur dicken, rothen Pfandverleiherin — sehen wir ferner den athemlosen Wett lauf durch die bedrohliche Wüste der Finanzen gegen eine be trügerische Fata Morgana, die immer mehr zurückweicht, die ihr Nacheilenden in einen Abgrund lockt, der erfüllt ist von Dornen, Disteln und Todtengebeinen. Man kann das hier alle Tage beobachten. Der durch das Gesetz geschützte ungeheure grüne Tisch steht immer da, bereit und verlockend, und die Regierung sitzt, wie jene des elenden Monaco, als Bankhalter daran. Die autorisierten Croupier» des König reich» Italien streichen schaufelwnse ungestraft das Geld der Taumelnden ein, die berauscht von dem Lächeln der Dirne For tuna ihr bischen Vermögen daranwagen, dem Bankerott verfallen, ihre Ehre opfern und das Stück Brod dazu, da» für die vor Hunger weinenden Kinder bestimmt war. Es geschah eines Tages, daß ein noch nicht genügend ge- brandmarkter Tyrann danach suchte, seinem schon unter der Last der Steuern und Abgaben fast zusammengebrochenen Volke eine neue Steuerlast aufzubürden. Ein Mönch, ein geriebener Mathe matiker, zog ihn aus der Verlegenheit, indem er da» Lottospiel erfand, eine schreckliche aber freiwillige Besteuerung, die, vielleicht eine Rebellion verhütend, die erschöpften Tassen de» Landes au», giebig füllte. Wieviel Verbrechen belasten seitdem die ver dammte Seele de» Mönchs! Er war aber nicht der einzige Ordensbruder, dir, das Land der schönen Gelegenheit in» Leben rufend, sich ums Lottospiel verdient machte. Der unwissenden und abergläubigen Plebs machte man weiß, ein übernatürlicher Geist stände den Ziehungen der Nummern vor, indem er die passenden fünf unter den neunzig der Urne mit sicherer Hand au»wählte und sie dem unschuldigen Waisenlinde, da» zur wöchentlichen Ziehung bestimmt ist, in die Finger spielte. Au» diesem Märchen nun entstand der Glaube an die söge- nannten Assistiti, d. h. fromme »der teuflisch« Seelen, dir in BezugS.PreiS in der Hauptexpeditiou oder de« tm Stadt- bezirk und den Vororten errichteten Aus- oabesiellen abgeholt: viertelsährtich^l-.öO, bet zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.Ü0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich S.—. Directe tägliche Kreuzbandseuduug tu» Ausland: monatlich 7.50. direkter Verbindung mit jenem Geiste stehen, der ihnen jede Woche, ein paar Tage vor der Ziehung, ein, zwei, drei — selten alle fünf — der Nummern soufflirt, die aus der Urne hervor zugehen hätten. Die ersten dieser Assistiti waren natürlich Mönche dieses oder jenes Ordens. Sie konnten durch dieses Spiel nur ge winnen und gewannen bedeutend an Ansehen und Macht, indem sie sich derart in den Besitz vieler moralischer und materieller Be günstigungen und Belohnungen setzten. Der Assistito gab immer jedem seiner Clienten unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses, d. h. unter dem absoluten Verbot, irgend Jemand Mittheilung davon zu machen, die gewünschten Nummern, jedem andere, ver schiedene. Unter diesen zahlreichen Nummern kamen leicht zwei oder drei heraus, einige also gewannen, und das diente nur dazu, die übernatürliche, mit so viel List und Kunst hervorgehovene Macht des Assistito zu bestätigen. Die Leerausgehenden waren leicht zu überzeugen, daß der Geist „wegen der in dieser Woche be gangenen zahlreichen Sünden" die Nummern gewechselt habe, auch andere Ausreden fanden sich leicht. So stehen die Dinge noch heute: Alles liegt noch in mittel alterlicher Finsterniß, und wenn es auch, nach Aufhebung der Klöster, weniger die Mönche sind, die dieser Institution dienen, so haben sie unzählige Nachfolger gefunden, denn die Wurzel des Aberglaubens sitzt unausrottbar tief in dem Culturboden Neapels. Wie ost liest man in neapolitanischen Zeitungen von Assistiti ohne Kutten und Kapuze, die von gierigen Lottospielern in ge heimer Haft gehalten und Folterqualen ausgesetzt wurden, um die sicheren Nummern aus ihnen herauszuquiilen! Was man früher mit den Mönchen nicht gewagt hätte, wagt man heute mit den Laien trotz Polizei und Strafgesetzbuch! Vor ein paar Jahren fingen sich leidenschaftliche Spieler einen gewissen Cagli-Cagli, einen angeblichen Assistito ein, der ein Oelgeschäft in der Sektion Stella hat, steckten ihn nackt in eine Kiste und beträufelten ihm das Fleisch mit zerlassenem heißem Speck, um ihn zu zwingen, die sicheren Nummern heraus zugeben. Sie warnten ihn noch ausdrücklich und bedrohten ihn mit Hungertod und tausend Martern, etwa falsche Nummern anzusagen, denn vor der Ziehung würde er nicht herautkommen. Sie hätten die Drohung wahr gemacht, wenn nicht das Stöhnen de» Gequälten ihn der Außenwelt verrathen hätte. Ein anderer widerspenstiger und unglücklicher Assistito wurde in «inen Brunnen hinabgelassen, wo er bi» zum Hal» im Wasser stand. Er starb vor Hunger und Kälte, weil er nicht die richtigen Nummern gegeben hatte. Ein Priester, ein gewisser Dr. Mattia — jedes Kind kennt diesen Namen und seine Geschichte — schlauer als alle Assistiti, fand Mittel und Wege, sich selbst an Stelle seine» Nächsten durch da» Lotto zu bereichern. Er hatte sich in die DirectionSräume des Lottos eingeschlichen, selbstverständlich mit Hilfe von Tom- plicen, und schmuggelte eines Sonnabends Abend in die Register der in dieser Woche gemachten Spielt nur Blätter mit den bereit» am Nachmittag gezogenen Lernen und Quaternen rin, die Re gierung auf dir« Weise um verschiedene Millionen betrügend. AIS der Diebstahl entdeckt und ein Procrh angestrengt wurde, der sehr viel Lärm machte, hatte dieser würdige Diener der Kirch« bereit» seine Koffer für da» freie Amerika gepackt. Ertrck-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Poslbesörderuug M.—, mit Postbesorderung ^1 70.—. Was nun diese Betrügereien und Gaunereien betrifft, so hat die Negierung in der Ausübung ihres schamlosen Gewerbes einen Concurrenten, das ist der Collecteur des geheimen Lottos, was man in Wien, wo bekanntlich das Spiel auch in höchster Blüthe steht, die „blaue" oder Winkellotterie nennt. Dieses livtto elkmävgtmo, vom niederen Volke ,,'o zuoco piceolo", das kleine Spiel, genannt, wird in größtem Umfange betrieben und mit oer unvermeidlichen Beigabe fortgesetzter Schwindeleien. Das königliche Lotto hat die Bestimmung getroffen, daß am Freitag wie am Sonnabend die Einsätze nicht unter zwanzig oder dreißig Centesimi seien, wie auch die anderen Wochentage nicht unter zwölf. Stelle man sich nun so ein armes Weib aus dem Volte vor, die für ihren und den Lebensunterhalt ihrer Familie kaum fünfzig Centesimi täglich aufbringt, wie könnte sie 20 oder 30 Centesimi, ja schon 12 aufs Lottospiel verwenden! Sie ist also, wenn sie sich das bischen allwöchentliche Hoffen kaufen, d. h. ihr Glück versuchen will, gezwungen, sich an den Collecteur des Geheimlottos zu wenden, der auch Einsätze von einem Soldo, ja von zwei Centesimi annimmt und meist größeren Gewinn al- den beim königlichen Lotto zu erwartenden verspricht, denn er hat keine Betriebsspesen abzurechnen. Ein Bleistift und ein Notizbuch für wenige Centesimi ist der ganz- Apparat solcher Herren, deren Gewissen, nebenbei bemerkt, mit glücklichster Elasticität begabt ist, die aber auch gute Beine haben müssen, wenn es gilt, die Flucht zu ergreifen, im Fall die Gewinne die Einsätze übersteigen (was freilich ein äußerst seltener Fall ist) oder die Polizei ihnen auf den Fersen sitzt. Wer dabei schlecht wegkommt, ist ohne Ausnahme der liebe Nächste. Denn wenn so ein armer Teufel von Spieler sich einbildet, die goldenen Locken FortunaS in fester Faust zu halten, entschlüpft sie ihm wie ein Aal. Bei der Polizei darf er die Sache nicht zur Anzeige bringen, da das Gesetz alle am Ootto clauäestiuo Betheiligten ohne Ausnahme bestraft. Außer diesen — sozusagen Gesammtbetrügereien — giebt es auch noch die partiellen, bei denen die Camorra ihre Hand im Spiele hat, wie auch die Mehrzahl der Schwindelcollecteure dieser Sekte angehört. Häufig kommt es vor, daß der Gewinner eines Terno, sagen wir von 100 Lire, sich mit 60 zufrieden geben muß, auch mit viel weniger, wenn er nicht mit dem camorristischen Messer Bekanntschaft machen will. , Bor einigen Monaten hatte eine arme Cigarrenarbeiterin bei einer Ex-Wucherin, die jetzt da» kleine Spie! betrieb, drei Nummern mit einem zvgesprochenen Gewinn von 26 Lire ge spielt. Am Sonnabend werden ihre drei Nummern (auf der Di rektion des legalen Lotto») wirklich gezogen, und die Arm«, die Im größten Elend lebte, beeilte sich, bei ihrer Spielmutter die Summe zu erheben. Wie groß war ihre Urberraschung, als di schmutzige Spekulantin die Echtheit de» Treffer» angriff mit der Behauptung, die dritte Nummer sei nach der Ziehung hin zugefügt worden. Ein Höllenspektakel entstand. Auf das Ge schrei der au» ihren Himmeln Gestürzten, die am nächsten Tage vom Hausherrn sollte an di« Luft gesetzt werden und mit den 26 L' sich hätte retten können, liefen die Schutzleute herbei und ,ogen die Betrügerin w«gen Uebertretung der Poliz^vorschriften zur Straft. Und jene Bedauern»- werthe? Der Beschützer jener Ex-Wucherin und ihre» Lottobetriebe», ein gefürchteter brutaler Lamorrist, Aus -er Woche. Durch das entsetzliche Unglück auf einer Grube bei Bochum, bei dem 128 Bergleute auf dem Ebrenfelde der Arbeit geblieben sind und viele andere schwere Verletzungen davon getragen haben, ist die gesummte deutsche Bevölkerung tief erschüttert worden. Das allgemeine Mitgefühl wird sich, wenn nöthig, als ein werkthäligeS erweisen. Für die Zukunft aber bleibt der Wunsch, daß die deutschen Staaten keine noch so großen Opfer scheuen, um die Erfindung von Mitteln zu fördern, mit denen solchen fürchterlichen Katastrophen besser vorgebeugt werden kann, als es der heutige Stand der Technik erlaubt. Tie Wogen der Erörterung der sogenannten Vorgänge aus der Hauptversammlung des Bundes der Landwirthe be ginnen sich zu glätten. Man vergegenwärtigt sich wieder, daß nicht jedes Gericht, daS einer an starke Kost gewöhnten Masse vorgesetzt wird, aus seine chemische Zusammensetzung geprüft werden muß. Ein Rest aber ist geblieben: die Rede des Herrn Liebermann v. Sonnenberg, die Antwort, die Herr v. Wanzenheim-Kl.-Spiegel darauf ertbeilt, und der Umstand, daß die ossiciellen Bundesorgane die Ausführungen beider Herren todtgeschwiegen haben. Mit Recht legt die konservative Presse auf die Differenzen, die hinsichtlich der Wirtbschaftspolitik in Reden und Resolutionen zwischen dem Circus Busch und Dresden zu Tage getreten sind, geringeres und auf die Unklarheit des Ver hältnisses zwischen Bundesleitung und Antisemiten das größte Gewicht. Die Conservativen sind nachgerade über die Antisemiten als Partei ins Reine gekommen, nicht nur in Sachsen. Wenn Herr v.Wangenheim, ein wegen seines agrarischen Radikalismus eher berüchtigter als berühmter Conservativer, nach Herrn v. Liebermann aussteht und erklärt, der Bund der Landwirthe dürfe „in seine Reihen nicht eine radaulustige Herde ein dringen und dort unter der Maske der Iudenhetze social demokratische Politik treiben lassen", so ist das deutlich genug. Man kann auch nicht sagen, daß die Antisemiten die Mcnschenkenntniß der Conservativen und der Agrarier auf eine harte Probe gestellt hätten; die Herren sind auch ihrerseits unzweideutig gewesen. Nach der BundeS- Hauptversammluuz Hal man sich im conservativen Lager wohl lebhaft des letzten antisemitischen Parteitages erinnert, auf dem gegen den Bund und seine Mißwirlhschaft los gegangen wurde, ohne daß die BundeSleitung und die Bundespresse sich unangenehm berührt oder auch nur über rascht gezeigt hätten. Der Angriff hatte eben den Con servativen gegolten. Nach der Wahl in der Westpriegnitz schrieb Herr Zimmermann, die mit Hilfe der Antisemiten des Bundes bewerkstelligte Wahl eines Freisinnigen sei „vorläufig nur einmal eine Theilquittung, die den conservativen Volksverräthern ausgestellt wurde, die politische Generalabrechnung wird im nächsten Früh jahr (bei den Hauptwahlen. Red.) erfolgen." Und das Grafen Kanitz und Anderer im deutschen LandwirthschaftS- rath und im preußischen Oekonomiecoüegium die Aussichten einer erwünschten Losung unverkennbar gemindert, so ist doch die Befürchtung einer Unterwerfung der Industrie und des Handels unter daS Agrarierthum, die geäußert wird und vielfach vielleicht nur geheuchelt sein mag, nicht begründet. Die unsinnige Feindschaft gegen die Pro duction und die Ausfuhr, wie sie von einem der mehrfach erwähnten „untergeordneten" Werkzeuge dieser Tage wieder ge predigt worden ist, wird niemals Eingang in den maßgeben den Kreisen finden. Selbst ein aus den Reihen der ost elbischen conservativen Parlamentarier hervorgegangenes Mitglied der Regierung, Herr v. PodbirlSki, hat sich kürzlich in Köln wie folgt ausgesprochen: „Noch vor wenigen Jahren standen wir im Welthandel an vierter Stelle. Frankreich und die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben wir überwunden, und jetzt stehen wlr mit England an zweiter Stelle. England ist un» noch mit 4 Milliarden überlegen, aber wir wollen nicht rasten, bis wir an erster Stelle stehen; die- muß unser Streben sein. Wir sind zwar spät auf dem Weltmarkt ausgetreten. Es ist daher verständlich, daß wir uns erst einen Platz haben erobern müssen, und es ist nicht zum wenigsten das Verdienst unseres Kaisers, der daS nari^are necosso est stets wiederholt hat, daß Deutschland allmählich Fuß gefaßt und sich seine Stellung auf dem Weltmärkte gesichert hat. Wir aber haben di, Pflicht, dafür zu sorgen, daß wir im Welt verkehr auch den Platz behaupten, den wir uns mühsam errungen haben." DaS ist ebensowenig „agrarisch" gesprochen, als man in der ostasiatischen Politik, die doch nicht bis 1903 befristet ist, eine einseitige Bevorzugung der landwirthschastlichen Interessen erblicken kann. Freilich, die Regierung braucht zur Fortführung einer die Ausfuhr nicht mißachtenden Handelspolitik einen verständigen Reichstag und auf ihre jetzige Methode wird es ankommen, ob sie einen solchen er hält. ES spielt da die Behandlung der Marinefrage herein und das Verhalten zu Vorkommnissen, wie die Bethei- ligung von Landrätben an einer demagogischen Agitation. Eine solche ist, wie gemeldet, im preußischen Abgeordnetenbause zur Sprache gekommen. Sie war schon in correctrr Weise gerügt, aber Herr v. d. Recke führte auch zu dieser Angelegenheit eine Sprache, die nicht verrieth, daß ihm an dec Verhinderung von ähnlichen Unzukömmlichkeiten sehr viel gelegen sei. Ein von ihm früher gerügter Landrath arbeitet, wie der Aba. Ör. Friedberg mittheilen konnte, in der beanstandeten Weise weiter. Er nahm also mit Grund an, daß die ihm zu Theil gewordene „Corrigirung" nicht so böse gemeint war. Die preußische Strammheit von ehedem scheint sich nur noch gegenüber dem Publicum erhalten zu haben. Für die Sammlung ist eS auch gerade nicht vorlheilhaft, wenn daS öffentliche Rechtsbewußtsein so kärglich abgespeist wird, wie am Freitag durch Herrn v. d. Recke geschehen. Der Herr Minister hat selbst von Conservativen zu hören
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