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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980209024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898020902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898020902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-09
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hende Gefahr von dem Haupte ihres Satten cbgewendet war. Der Tod der Madame Benoit sicherte ihm Straflosigkeit. Straflosigkeit! Während sie dieses Wort mit leiser Stimme aussprach, fühlte Alice, wie ein heftiger Schmerz ihr Herz durchdrang. Jetzt, da sie sich selbst einen Augenblick eines Verbrechens beschuldigt hatte, begriff sie erst, wie entsetzlich es ist, wenn man wirklich eines begangen hat. Diese seelische Empörung dauerte jedoch nur kurze Zeit, und die Macht der Liebe nahm schnell wieder von ihr Besitz. Gaston war gerettet, das war die Hauptsache! Sie würde ihn Wieder sehen und durch sie, durch sie allein, würde er frei sein .... Dann wollte sie ihm sagen . . . Aber nein, sagen wollte sie ihm nichts.... Jetzt fürchtete sie nichts mehr. Davidot konnte suchen, und die ganze Polizei konnte sich bemühen, den Mörder zu entdecken, sie hatten keine Jndicien mehr. Die Todte würde nicht sprechen, das stand sicherlich fest. Um wieder ihre gewöhnliche Ruhe und Fassung zu gewinnen, hatte Alice einige Stunden bei Madame Davidot zugebracht und mit ihr lange Zeit von ihrem Sohn gesprochen, für den sie ihre Nachsicht und ihr Mitleid erflehte. Die alte Frau antwortete nicht, sondern sah sie verstohlen von der Seite an; sie konnte nicht begreifen, warum Alice für diese von vornherein verlorene Sache sprach. „Fürchten Sie, daß er Ihnen schaden könnte?" fragte sie schließlich. „Mir?" versetzte Alice, unwillkürlich bei dem Gedanken zitternd, sich verrathen zu haben. „Weshalb? Gott sei Dank, habe ich nichts mit der Polizei zu thun." „Nun, wenn ich Sie gegen ihn vertheidigen müßte", fuhr Madame Davidot fort, „so wissen Sie, würde ick es gerne thun." Alice sckwieg. — Sah man denn schon auf ihrem Gesicht, daß sie die Frau eines Mörders war? Die Stunden vergingen, Alice kehrte in ihr Zimmer zurück, zündete die Lampe an und fing an zu sticken. Dor zwei Tagen batte ihr Gaston geschrieben, seitdem hatte sie keine Nachricht. Sie litt unter diesem Schweigen, doch sie sagte sich auch, daß jeder Tag, der verging, zu seiner Sicherheit beitrug. Sie hatte geschworen, geduldig zu sein, und . wollte ihr Wort halten. ES klopfte. Alice blickte auf die Thür, als hätte sie durch daß Holz entdecken können, welche Gefahr sich jetzt ihren Augen zeigen würde. vielleicht war eS der Lakai Gaston'S und sie nahm sich vor, diesmal ihn auszufragen. Es klopfte von Neuem, diesmal stärker. Sie öffnete und wich mit einer Gebärde des Entsetzens zurück, denn sie erkannte den Mann mit dem gräßlichen Gesicht, den ihr Mann ihr eines Tages mit in die Wohnung gebracht hatte. „Sie, Sie hier?" rief sie zitternd, „was wollen Sie?" Baucroix oder LaverdiSre, denn er war es, trat, ohne auch nur den Hut abzunehmen, ins Zimmer, stieß die Thür mit dem Fuße zu und sagte in brutalem Tone: „Ist Clairac da?" Alice fühlte, daß sie wankte; das war die Vergangenheit, die wieder vor ihr erschien, die sie mit jener Frau im Hospital ent schlafen geglaubt hatte. Endlich faßte sie sich und stammelte: „Herr v. Clairac, mein Mann, ist abwesend." „Abwesend? Ausgegangen, gut; ich werde auf ihn warten." Mit diesen Worten ließ er sich auf einen Fauteuil fallen, der unter seinem Gewicht krachte. Alice betrachtete ihn einen Augenblick, und nach und nach gewann sie ihre Kaltblütigkeit wieder. Das war also der Mann, der Gaston sozusagen zum Ver brechen erzogen, der ihn vom rechten Wege abgelenkt hatte! Ein heftiger Zorn stieg in ihr auf, ein unwiderstehliches Verlangen, diesem Elenden ihre Verachtung ins Gesicht zu schleudern und sich für alle erlittenen Qualen an ihm zu rächen. Ach, wenn sie diesen Mörder sein abscheuliches Verbrechen hätte büßen lassen können, dessen Mitschuld er einem bis dahin Un schuldigen aufgebürdet hatte! Und dieser Mann hatte die Kühnheit, wieder zu erscheinen und sogar bis in ihre Wohnung zu dringen. Sie betrachtete dieses häßliche, vom Laster verwüstete Gesicht, diese abgeschabten Kleider, diese beschmutzten Stiefel, und sie dachte dagegen an Gaston, mit seinem schönen Gesicht, seiner eleganten Haltung und seinen vornehmen Manieren .... Ja, sie wollte ihren Gatten wiedergewinnen, sie wollte sich entschlossen zwischen ihn und diesen Banditen werfen. Es trat eine Pause ein, während welcher Vaucroix ungeduldige Bewegungen machte, bis Alice das Wort ergriff und in ent schlossenem Tone sagte: „Ich habe Ihnen bereits einmal gesagt, mein Herr, mein Mann ist abwesend; eS ist unnütz, daß Sie auf ihn warten, er kommt nicht nach Hause." Vaucroix sprang von seinem Sessel auf, sah ihr fest inS Ge sicht und rief: „Weshalb diese Lüge? Wo er auch sein mag, er wird doch nach Hause kommen, heut' Nacht oder morgen." Alice richtete sich stolz auf und versetzte: „Ich lüge nie, und habe nie gelogen. Ich erkläre Ihnen, mein Mann ist verreist und zwar für mehrere Tage." „Verreist?" lachte Vaucroix höhnisch; „das müssen Sie An deren erzählen, meine Kleine. Er hat zu viel Bande, die ihn fesseln; wenn Sie das aber wirklich glauben sollten, so sind Sie recht dumm, daß sie sich solche Geschichten aufbinden lassen." Dieser unverschämte Ton erbitterte die junge Frau noch mehr und sie erwiderte mit noch größerer Schärfe: „In jedem Fall ist das meine Sache und nicht die Ihre... Zum letzten Mal sage ich Ihnen, daß ich hier allein bin, daß ich meinen Mann weder heute noch morgen erwarte und daß ich Sie infolge dessen bitte " Sie hatte die Lampe ergriffen und ging in durchaus unzwei deutiger Absicht auf die Thür zu. „Das heißt", sagte Vaucroix, sich erhebend, „Sie setzen mich — deutlich gesprochen — vor die Thür." „Mein Herr...." In diesem Augenblick war eS ihr nicht einmal unangenehm, daß er gekommen war, trotz deS Widerwillen», den ihr dieser Mann einflößte. Das war der letzte Gegner, der ihr erschien, und nach ihrer Ansicht kein allzu gefährlicher. Vaucroix betrachtete sie und schnell wurde eS ihm klar, daß sie ihn nicht belogen hatte. Clairac hatte ihr irgend eine Geschichte erzählt, um seine Ab wesenheit zu bemänteln. Die Situation gestattete Vaucroix nicht, sich damit abspeisen zu lassen, und darum sagte er: „Nun meinetwegen; also er ist verreist, wohin denn?" Plötzlich schoß Alice der Gedanke durch dm Sinn, dieser Mensch könne Gaston bei seinem Protektor aufsuchen. „Ich weiß nicht, wo mein Mann ist", erklärte sie mit er hobenem Haupte, als wolle sie ihrer Lüge mehr Nachdruck ver leihen. Vaucroix schien einen Augenblick nachzudenken, dann sagte er mit dem natürlichsten Tone der Welt: „Das fürchtete ich, deshalb habe ich einen Brief mitgebracht, e» ist sehr wichtig, daß er ihn empfängt. Würden Sie so freundlich sein, ihm daS Schreiben zukommen zu lassen?" Bei diesen Worten hatte er ein Papier au» der Tasche ge zogen. Die gröbsten Fallen sind oft die besten. Alice dachte nicht nach, und da sie vor allen Dingen bemüht war, sich diese» entsetzlichen Besuche» zu mtledigm, so er widerte sie: „Ich will e» übernehmen, Sie können sich auf mich Verlassen." 1030 beabsichtigte Labori dem Zeugen vvrzuleyen, e« wurde ihm nicht gestattet. Aber wenn eS auch geschehen wäre, wie Casimir-Perier zu verstehen gab, schließt ihm da» Amt-geheimniß den Mund. Er entzog sich der Justiz mit den bezeichnenden Worten: „Ich kann nicht schwören, die Wahrheit zu sagen, weil ich sie nicht sagen kann; eS ist für mich Pflicht, sie nicht zu sagen." Wenn diese Aeußerung im Sitzungssaal« große Bewegung bervorrief, so ist daS nur zu begreiflich, denn sie ist bis jetzt daS wichtigste Ergebniß des Proteste«. Hat Casimir-Perier auch nickt bekenne» können, was die Regierung verbirgt, so hat er doch zu versieben gegeben, daß sie etwa» verheimlicht, verheimlichen muß; hat er auch nicht die Existenz eines „ActenstückeS Esterhazy" eingestanden, so hat er doch auch nicht geleugnet, daß ein geheimes Aktenstück überhaupt im Spiele war. Nach letzterem fragte Labori; dieser Frage Wick der ehemalige Präsident aus und sprach nur von einem „Aktenstück Esterhazy". Ein Anderes, von anderer Hand verfaßtes, gebeimgebalteneS Beweismittel kann also den Proceß DreyfuS beeinflußt haben und hat es aller Wahrscheinlichkeit nach. Ob dieses während der Gerichtsverhandlung dem Richter- colleginm vorgelegte, dem Angeklagten Dreysus vorent haltene Beweismaterial ausschlaggebend für die Lerur- theilnng DreyfuS' war, was seine Vertheidiger bezweifeln, oder ob es einen Anderen gravirte, für den der Excapitain büßen muß, diese Frage wird wohl schwerlich jemals authen tisch beantwortet werden. Klar scheint nur das Eine, daß die Nicht» im Proceß DreyfuS sich eines ungesetzlichen Beweis mittels bedienten und daß in Folge dessen die Revision des Processcs zur gesetzlichen Nothwenvigkeit wird. Aber auch dazu wird eS nicht kommen, da die Aeußerungen Casimir-PerierS nur Schlüsse gestatten, nickt aber als strikter juristischer Beweis in Anspruch genommen werden können. Nach den Meldungen einiger Blätter soll übrigens in Paris ein Stimmungsumschwung zu Gunsten Zola'S stattgesunden haben, doch ist daraus nur wenig zu geben. Augenblicklich imponirt die Heldenhaftigkeit des großen Dichter», der nicht das Seine sucht, ja daS Seine um der Gerechtigkeit willen aufs Spiel setzt, und sie muß imponiren gegenüber dem kläglichen Vertuschungssystem und den brutalen ErflickungSversuchen einer schwachen Regierung, der die Beine schlottern im Angesicht der Wahrheit, einer Regierung, die sich von einem socia- listischen Blatte sagen lasten muß: „Sie zittern davor, sich gegenseitig zu verrathen und das famose Gcheimniß sich entschlüpfen zu lassen, das angeblich ein Geheimniß der nationalen Vertheidigung, in Wirklichkeit aber daS Ge heimniß von Schurken und Hanswursten ist." Aber was will daS heißen? 3m nächsten Augenblick, wenn der Vorsitzende oder der Kriegsminister an den Patriotismus der Nation appelliren und an eine andere „Gerechtigkeit" erinnern, die Frankreich von der Weltgeschichte zu erwarten bat, wird das Volk wieder schreien: „Vive la rsxudligue!" bas Xola!" Eine politische Folge aber bat der Zolaproceß schon gehabt. Mit einer seltenen Einmüthigkeit macht die italienische Presse ihrem Zorne über daS Ver ¬ halten der französischen Regierung Luft; mit der selben Einmüthigkeit drückt sie ihre Bewunderung für Zola aus. Diese Haltung der italienischen Presse ist wohl, abgesehen von der auck heute noch feindseligen Stellung Frank reichs in Sacken des französisch - italieniscken Handelsver trags, nicht zum kleinsten Theile darauf zurückzuführen, daß sie Zola als den Sohn eines Venezianers, als ihren Lands mann betrachtet. Einerlei aber, ob italienischer Local- patriotismus, oder die menschliche Entrüstung über die Unterdrückung der Gerechtigkeit in Frankreich in diesem Falle mitspricht: jedenfalls ist die Mißstimmung der Italiener gegen die große Mehrheit der Franzosen groß, und es versteht sich von selbst, daß die größte Mehrheit der fran zösischen Chauvins ihrerseits das grobe Geschütz der italieni schen Presse nicht unbeantwortet läßt. Die italienischen Radikalen kommen durch den Fall Zola zu der Einsicht, daß bei der geliebten „lateinischen Schwesternation" denn doch nicht Alles zum Besten bestellt ist. Die Führer der italieni schen FranzöSlinge befinden sich in einer unangenehmen Ver legenheit gegenüber der Thatsache, daß die größten italienischen Gelehrten, Künstler und Dichter, z. B. Carvucci, Zola in den herzlichsten Ausdrücken beglückwünschen und damit indirekt daS VerdammungSurlheil über die französische Regierung und die große Mehrheit de- französischen Volkes aus gesprochen haben. Deutsches Reich. * Berlin, 8. Februar. Wie schon kurz gemeldet, beschäf tigen die Erbfolgestreitigkeiten in Lippe-Detmold den BundeSrath von Neuem. DaS schaumburg- lippische Ministerium hat an das lippe-det- moldische das Ersuchen gerichtet, die Thronfolge-Vor lage zurück»» zieh en, „weil nach anerkannten Grund sätzen deS deutschen StaatSrechtS die LandeSgrsetzgebung nicht für befugt zu erachten sei, über Thronfolgestreitigkeiten, zumal unter Hmtenansetzung und Nichtberücksichtigung agnatischer Rechte, zu entscheiden." Dieses Gesuch ist abgelehnt worden und in Folge dessen hat da» schaumburg-lippische Ministerium auf Grund de» Art. 76 Abs. 1 der Verfassung deS deutschen RrickeS den Bundesrath um Erledigung dieses Streites zwischen zwei bundesstaatlichen Regierungen angerufen und beantragt, die fürstl. lippische Regierung zur Zurückziehung deS ThronfolgegesetzentwursS zu veranlassen. Die „Lippische LandeSzeitung" bemerkt dazu: „Die schaumburg.lippifche StaalSregieruog wird unsere» Er- achtens mit diesem Gesuch wenig Glück haben, der BundeSrath wird dasselbe zweifellos zurückweiscn. DaS Fürstenthum Schaumburg- Lippe und das Fürstenthum Lipve resp. dir Regierungen beider Länder haben keinen Conslict miteinander; die Rechte, die der Fürst von Schaumburg-Lippe in unserem Lande zu haben glaubt, sind lediglich die eines lippische» Agnaten. Nicht der Fürst eines fremden Staates, sondern der Ches der dritten erb- herrlich lippischen Linie will vermeintliche Rechte geltend machen. Hierüber zu entscheiden hat der BundeSrath keine Competenz. Der BundeSrath wird sich in unsere Thronfolge angelegenheiten gerade so wenig mijchen, wie in die Thronfolge tu Meiningen, Rudolstadt ». f. w. DaS lippische Staat-Ministerium hat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, die Thronfolge im Lande durch Gesetz zu regeln, resp. den Versuch zu machen, damit die Möglichkeit fernerer schwerer Wirren ausgeschlossen ist. DaS Schiedsgericht konnte nur laut Schirdsvertrag entscheiden, wer nach dem Tode de» Fürsten Alexander Fürst zur Lippe ist, und eS hat für den Grafen Ernst entschieden. Im Schied», vertrage war leider von den Linien nicht die Rede, sondern nur von den Ches». Hätte Gras Ernst auch nur dir Möglichkeit derartiger Machenschaften, wie sie jetzt von Bückeburg angrzrttelt werden, ahnen können, so würde er jedenfalls darauf gedrungen haben, daß in dem SchiedSvertrage die Bestimmung getroffen wäre, daß dem Schiedsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt werde, welche Linie nach dem Tode des Fürsten Alexander zur Thronfolge in Lippe berufen sei; da» ist nun leider nicht geschehen. Aber nach dem SchiedSvertrage sollten in der Begründung die thatsächlichen und rechtlichen Feststellungen deS Schiedsgerichts wiedergegeben werden, das ist geschehen und diese Begründung hat daher dieselbe rechtliche Wirkung und Be deutung wie daS Urtheil. Nach der Begründung aber ist die Eben- bürtigkeit der gräflichen Söhne zweifellos. Jedes Rütteln an dieser Thatsache kann nur daraus hinauSlausen, neue unnöthige Ver wickelungen hervorzurusen. Hierin wird der BundeSrath, abgesehen davon, daß die Frage nicht zu seiner Competenz gehört, das schäum- burg-lippische Ministerium nicht unterstützen. Ob dir Vorlage im Landtage Gesetz wird, da zwei Drittel Mehrheit nothwrndig, ist zweifelhaft. Im Interesse des Friedens und um der Verhetzung endlich einen Riegel vorzuschieben, wäre e» höchst wünschenswerth. Das Recht, die Vorlage anzunehmrn, hat der Landtag unbedingt. Wenn behauptet wird, daß dem Fürsten von Bückeburg die Mög lichkeit, den Weg der Civilkiage zu beschreiten, nicht gegeben sei, da bürgerliche Gerichte über Thronsolgesragrn nicht entscheiden könnten, so ist das unrichtig. Die Thronfolge hängt von der Familienzugehörigkeit ab, wer Mitglied und Agnat eine» Hause», ist auch thronfolgefähig, der Fürst von Bückeburg kann also un zweifelhaft beim hiesigen Landgericht den Antrag stellen, daß den Söhnen Les Grafregenten die Familienzugehörigkeit abgefprochen wird; in letzter Instanz würde daun diese Frage das Reichsgericht entscheiden." Wir lasten diese Frage mit der „Nat.-Ztg." dahingestellt. Wie der Fürst von Schaumburg-Lippe sich auf den Art. 76, Abs. 1 der Reichsverfassung berufen kann, das ist allerdings unverständlich, denn dieser lautet: „Streitigkeiten zwi s chen verschiedenen Bun des staaten, sofern dieselben nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehörden zu entscheiden sind, werden auf Anrufen deS einen TheileS von dem Bundesrathe erledigt." Die Befugniß der Gesetzgebung jedes Bundesstaates, über die in demselben geltende Erbfolge zu entscheiden, scheint un» unaofechtbar. — Wie die „Post" von zuverlässiger Seite hört, trifft am Mittwoch Abend Großfürst Constantin von Rußland mit Gemahliu, von Petersburg kommend, zum Besuch am hiesigen Hofe ein. Der Kaiser wird seine Gäste persöaliö am Bahnbose empfangen und nach dem Schlosse geleiten, wo sie Wohnung nehmen. — Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht eine Uebersickt de» Verkehrs auf den vom Reiche subventionirten Dampfer linien für da» Jahr 1896. — Die „Mar.-Pol. Corr." schreibt: Die Nachricht de» „Berl. Tagebl.", daß auf dem Panzerkreuzer „Deutsch land", aus dem bekanntlich der Divisionschef Prinz Heinrich sich befindet, eine Kolbenstange gebrochen und dadurch ein längerer Aufentbalt bei Aden verursacht sein soll, ist, wie wir von zuverlässiger Seite erfahren, falsch. E» war nur ein Trunkzapfenlager warm gelaufen und die Kühlun und Reparatur desselben in Aden schon auSgeführt, so daß daS Schiff' von dort aus seine Reise ohne irgend welche Havarie fortgesetzt hat. — Die Budgetcommission de» Reichstags beschloß in ihrer heutigen Sitzung, zunächst noch den Militairetat zu berathen und danach zu Anfang nächster Wocke in die Berathung der Marinevorlage einzutreten. — Die polnische ReichStagSfraction wollte heute (Dienstag) Abend zur entscheidenden Sitzung bezüglich ihrer Haltung zur Marinevorlage zusammentreten. — In der „Köln. Z." lesen wir: „Ueber Tag und Jahr der Geburt deS Finanzministers vr. v. Miguel sind mannig fache Legenden verbreite». Die ConversationSlexika und der Deutsche ParlamentS-Almanach lassen ihn am 21. Februar 1829 geboren sein; in den amtlichen Handbüchern de» Herren ¬ bause» wird der 14. Februar 1828 al» Geburtstag auf- esübrt; Hirtb'» ParlamentS-Almanach von 1868 und )r. Philipp « Historisch-politische« Jahrbuch verzeichnen den 21. Februar 1828 al» den Tag, wo Miquel zu Neuenbaus in der Grafschaft Bentheim da» Licht der Welt erblickte. Diese Angabe ist richtig, die abweichenden Auskünfte ent behren der Begründung. Herr v. Miquel wird also am diesjährigen Rosenmontag, 21. Februar, sein 70. Lebensjahr vollenden und damit seinen 70. Geburtstag feiern." — Der Abg. Herold (Centr.) bat mit Unterstützung vou Mitgliedern auch ver nationalliberalen Partei im preußischen Abgeordnetenhause beantragt, baldigst einen Gesetz entwurf vorzulegen, durch den daS AuSfübrungsgesetz zum ReichS-Biehseuchengesetze nach der Richtung bin ab- ,rändert wird, daß die Kosten der tbierärztlichcn Unter- uchungen, welche auf Anordnung von Verwaltungsbehörden erfolgen, auf die Staatskasse übernommen werden. — Der seit Wochen schwer erkrankte ReichstaqSabgeordnete v. Leipziger befindet sich, wie die „Kreuzztg." mittheilt, aus dem Wege der Besserung, so daß er in einigen Wochen eine Erholungs reise nach dem Süden wird antrrten können. — Heute Abend fand im Weißen Saal des Königlichen Schlosses und in den angrenzenden Räumen rin größerer Ball statt, zu welchem etwa 1800 Einladungen ergangen waren. * Hamburg, 8. Februar. Die organisirten Schneider verzichteten auf Anrathen der Vertreter der GewerkschaftS- General-Commission darauf, im Frühjahr in die beabsichtigte Lohnbewegung einzutreten. * Hof, 7. Februar. Wie da» „Hofer Tageblatt" meldet, ist in der hiesigen mechanischen Weberei von Vogel u. Peetz heute früh ein Textilarbeiterstreik auSgebrochen; es feiern gegen 50 Arbeiter und Arbeiterinnen. Als Grund de» Ausstande» wird die Weigerung der Firma, eineu ein heitlichen Lobntarif aufzustellen, bezeichnet. * Darmstadt, 8. Februar. Die zweite hessische Kammer ist zur Berathung deS Budgets zusammengetreten. * Bayreuth, 7. Februar. Der „Oberfr. Ztg." zufolge wird von den Vertrauensmännern der Nationalliberalen und deS Bunde» der Landwirthe im Wahlkreise Forch heim-Kulmbach der Landtagsabgeordnete Friedrich Neu ner in Hammermühle al» Candidat für die Reichstagswahl aufgestellt werden. * Kalmar, 7. Februar. Wie die „Elsaß-Lothr. Volksztg." mittheilt, ist der verantwortliche Redakteur Eug. Schmidt am Sonnabend aus der Haft entlassen worden. Redakteur Walter befindet sich dagegen noch in Untersuchungshaft. Oesterreich-Ungarn. Die Sprachenverordnungen. * Graz, 8. Februar. Der Landtag nahm mit großer Mehr heit den Antrag des BerfasiungsausschusseS auf Aushebung der Sprachenvrrordaungen an. Ein deutsch-conservativer Antrag wurde in namentlicher Abstimmung abgelehnt. In demselben spricht der Landtag die sichere Erwartung ouS, die Regierung werde zwecks Aufhebung der die Interessen der Deutschen schädigenden Sprachen verordnungen ehestens die gesetzliche Regelung der Sprachrnfrage anbahnen und hierbei die historische Stellung der Deutschen berück- sichtigen. Die Galerien wurden wegen Lärm geräumt. Frankreich. Procetz Lola. * Paris, 8. Februar. Nach Leblois wird Scheurer-Kestner vernommen. Der Präsident sagt: „Sie sollen über die Affair e Esterhazy und nicht über die Dreysus.Angelegenheit sprechen, über die wir nicht ein Wort hören wollen." Scheurer- Kestner erwidert: Ich habe erfahren, daß im September 1896 Oberst Picquart, der Director deS Nachrichtenbureaus im Kriegs ministerium, entdeckt hatte, daß man im Jahre 1894 sich getäuscht habe, indem man da» Bordereau dem Haupt mann DreyfuS zuschrieb. Ich erfuhr ferner, daß, als Oberst Picquart diese Entdeckung gemacht hatte, er den Sachver ständigen Bertillon aufsuchte. Als er ihm die Schrift vor Augen hielt, habe Bertillon auSgerufen: Ah! die Fälschung ist geglückt, das ist keine Sehnlichkeit, das ist die Identität. Oberst Picquart schlug alsdann seinen Vorgesetzten vor, eine Untersuchung an- zustellen und andere Sachverständige zu vernehmen. General Gonse habe ihm davon abgerathen. Aber eS bestehen hierüber Briefe, von denen ich Kenntniß genommen habe, und ich habe die Ueberzeugung gewonnen, daß Gonse in Uebereinstimmung mit Picquart gehandelt habe, der die Revision vorbereitete. Ich besitze Briefe darüber, ich kann sie dem Gerichtshof» vorlesen. (Bewegung. Als Scheurer-Kestner die Briefe deS Generals Gonse an den Oberst Picquart verlesen wollte, erhob der Präsident Einspruch, gestattete dem Zeugen aber, den Inhalt der Briefe mitzutheilen. Scheurer- Kestner bedauerte, dir Briefe nicht vorlesen zu dürfen, und erklärte, er werde versuchen, ihren Inhalt kurz wiederzugeben. Am 7. Sep- tember 1896 habe General Gonse geschrieben: „Mein lieber Picquart, sehen Sie Ihre Enquete mit der größten Umsicht und Klugheit fort. Ich glaube nicht, daß »S gut ist, Dritte, Schreib sachverständige, in die Angelegenheit zu ziehen." Oberst Picqart habe hierauf geantwortet, er werde diesen Rath befolgen, aber hinzugefügt, die Leute, die üb,/zeugt seien, daß man sich bezüglich ihr« t» Jahr« 1894 getäuscht habe, würden großen Lärm schlagen, und vielleicht würde eS besser sein, sofort Gerechtigkeit zu schaffen, um Skandal zu vermeideu. Später habe General Gonse an Picquart geschrieben: „Auf dem Punkte, wo Ihre Enquete angelaugt ist, handelt e» sich nicht darum, Licht zu schaffen, sondern zu sehen, wie die Wahrheit anS Licht gebracht werden kann." Picquart habe darauf erwidert, man müsse sich beeilen, denn wenn man warte, werde es schwierig sein, der Wahrheit zu ihrem Rechte zu verhelfen. Scheurer-Kestner berichtet dann über die Unterredung, die er wegen der Drrysus-Angelegenheit mit dem Kriegsminister hatte. Als er den Minister nach dem Beweise für die Schuld DreyfuS' gefragt habe, habe der Minister erwidert, DreyfuS sei schuldig, er könne ihm nichts Anderes sagen. Auch mit dem Ministerpräsidenten, erklärte Scheurer-Kestner, habe er eine Unterredung gehabt. Mathieu DreyfuS habe nnab- hängig von ihm — Scheurer — erfahren, daß Esterhazy der Verfasser des Bordereau zu sein scheine. Er selbst habe Mathieu Dreysus angerathen, dem Kriegsminister Mittheilung zu machen. Scheurer-Kestner erklärte schließlich, General Billot habe ihm versprochen, eine persönliche Enquete zu veran- talte», er, Zeuge, habe nicht- davon gesehen. — Nach Scheurer-Kestner wird der frühere Präsident der Republik Casimir.Perier vernommen. Im Saale herrscht große Be- wegung. Der Präsident sagt zu dem Zeugen: „Sie sollen chwören, ohne Haß und Furcht die Wahrheit zu sagen", wird aber von Casimir-Perier mit den Worten unterbrochen: „Verzeihung ch kann nicht schwören, die Wahrheit zu sagen, weil ch sie nicht sagen kann. Es ist für mich eine Pflicht, sie nicht zu sagen". (Bewegung.) Der Präsident erwidert hierauf, daS Gesetz, das die Zeugen verpflichtet, zu schwören, ehe sie sprechen, sogar wenn es zu dem Zwecke sei, die Aus- sage zu verweigern, zwinge ihn — den Präsidenten — dem Zeugen den Eid aufzuerlegen. Casimir-Perier erhebt hierauf die Hand zum Schwur. Advocat Labori fragt den Zeugen: „Können Sie uns sagen, ob Sie zur Zeit, da Sie Präsident der Republik waren, von der Verhaftung des betreffenden OfsicierS wußten, daß auf einem Osficirr des Generalstabes der Verdacht lag, daß er Verrath begangen habe, und welche Verdachtsgründe gegen ihn Vorlagen?" Der Präsident greift hier ein und sagt, diese Frage dürfe n i ch t gestellt werden. (Lärm.) Labori fragt den Zeugen nun, ob er gewußt habe, daß im Kriegsministerium ein geheimes Aktenstück existire. Casimir-Perier erwidert, er habe keine Kenntniß davon gehabt, daß «in Aktenstück Esterhazy existire. Labori fragt: „Wissen Sie, wie es kommt, daß dem Kriegsgerichte rin geheimes Schriftstück mitgetheilt worden ist?" Hierauf erwidert der Präsident des Gerichtshofes, diese Frage werde nicht beantwortet werden. (Erneuter Lärm.) Labori erklärt darauf, er werde dann seine Anträge stellen. (Ausführlich wiederholt.) * Pari», 8.Februar. Casimir-Perier erklärt zum Schluffe seiner Aussagen: „Ich kenne die Thatsachen, die nach der Zeit meiner Präsidentschaft liegen, nicht, und meine Pflicht wie meine verfassungsmäßige Unverantwortlichkeit würden mich hindern, etwas zu sagen. Aber ich bin hier als einfacher Bürger und stehe zur Verfügung des Gerichts." Labori erwidert: „Sie geben, Herr Präsident, ein edles Beispiel, dem andere wenigerHockgestellte.als Sie gewesen sind, nicht geglaubt haben, folgen zu sollen, da wir gezwungen gewesen sind, sie mit Gewalt hierher zu bringen." (Beifall.) Hierauf bringt der Vertheidiger Zola'S seine Schlußfolgerungen ein, welche lauten: „In Erwägung, daß die Zeugenaussage Casimir-Perier's unerläßlich für die Ermittelung der Wahrheit und nöthig ist, um den guten Glauben des Angeklagten nachzuweisen, und daß es das Recht der Vertheidigung verletzen heißt, wenn seine Vernehmung ab- gelehnt wird, ist zunächst Act zu nehmen, daß der Präsident sich geweigert hat, dem Zeugen folgende Fragen zu stellen: 1) Hat Casimir-Perier gewußt, daß ein Officier des General- stabes des Berraths verdächtig war, und zwar hat er das vor der Verhaftung dieses OfsicierS gewußt? 2) Hat er die Ver- dachtsgründe gekannt, welche auf diesem Officiere liegen? 3) Hat er gewußt, daß dem Kriegsgerichte in Abwesenheit des Angeklagten und seines Vertheidigers rin geheimes Schriftstück mitgetheilt worden ist? 4) Wenn er es gewußt hat, zu welchem Zeitpunkt hat er es erfahren? 5) In moralischer Hinsicht und rein vom Standpunkte deS guten Glaubens aus: Wenn Casimir-Perier er- fahren würde, daß von irgend einem Gerichtshöfe eine Verurtheilung durch die Vorlage eines geheimen Schriftstücks erreicht worden ist, was würde er von einer solchen Handlung und von Demjenigen, der die Verantwortung dafür zu tragen hat, denken?" Nach- dem Labori seine Schlußfolgerungen in Betreff der Vernehmung Casimir-Perier's eingebracht hat, wird die Sitzung aufgehoben. Al- Casimir-Perier sich zurückzieht, ertönt von allen Seiten leb hafter Beifall. Casimir-Perier wird eine wahre Kundgebung dargebracht. Das Publicum erhebt sich und klatscht begeistert Beifall. Der Gerichtshof tritt wieder ein. Die Schlußfolgerungen der Vertheidigung, darauf hinausgehend, daß Casimir-Perier gewisse Vaucroix brach in lautes Lachen aus: „Und vor einen Augenblick wußten Sie doch nicht, wo er sich befindet? Sehen Sie, meine Kleine, mit so alten Wölfen, wie ich einer bin, können Sie doch nicht kämpfen. Also hören Sie", fügte er hinzu, sein Gesicht der armen Frau nähernd, „ich will Ihren Mann sprechen, hören Sie wohl, ich will ihn sprechen und zwar sofort, sonst . . . ." „Sonst würden Sie mich vielleicht ermorden", -ersetzte Alice kaltblütig. Das Wort war ihr unwillkürlich entschlüpft. Ihr ganzer geheimer Abscheu war in diesen wenigen Worten zum Ausdruck gelangt. „Aha!" rief er, einen Schritt zurückweichend, „wir kennen also die Geschichte? Dieser Dummkopf erzählt seine Privatangele genheiten seiner Frau . . . Nun, dann können wir wenigstens offen sprechen." Alice hatte ihre Unklugheit eingesehen und versuchte, sie wieder gut zu machen, indem sie versetzte: „Was wollen Sie damit sagen? Ich weiß von Nichts.... Wenn ich Ihnen das gesagt habe, so kam das nur daher, weil Sie in so drohendem Tone zu mir sprachen." „Ah! bah!" unterbrach er sie, „machen Sie doch keine Aus flüchte, verlieren Sie Ihre Zeit nicht und lassen Sie mich die meine nicht verlieren. . . Wenn ich mit Clairac zu sprechen habe, und zwar unverzüglich, so ist das gerade wegen der frag lichen Affaire .... Wir haben", fügte er hinzu, indem er mit bezeichnender Geberde nach dem Hals fuhr, „gemeinsame Inter essen, die ich Ihnen wohl nicht näher zu erklären brauche . . . . Sagen Sie mir, wo ich ihn finden kann. Ich habe nicht die geringste Lust, ihn zu compromittiren, davon können Sie über zeugt sein. Geben Sie mir nur di« Adresse; da» Andere über nehme ich." Alice hätte sich eher tödten lassen, als daß sie diesem Wunsch« nachgekommen wäre. „Ich habe die Adresse nicht", versetzte sie energisch, „kann sie Ihnen daher auch nicht geben." 'Fortsetzung folgt.)
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