Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980214024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898021402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898021402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-14
- Monat1898-02
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
8V idie Mottzen-AuSgatz« erschein» »» V,^ Utz^ dl» A»«d<M««gab« Wochentag« um - Uhr, Le-arlion vnd ErveLitio«: z,hai,vtt»affk 8. Dir Expedition ist Wochentag» nnnnterbwchM y«»fst»t von früh S hi» Abeud» 7 Uhk Filiale»; vtt» Klemm'« Tsrtim. <>lfretz HatzdX Uatversitüt-straß« » lPaultnum), ösni» Ltfch«. Oachartu-nstr. 14. patt. «ch KttutgSplech A, VezugS-Prei- K.V zabrstellen aboetzolt: »iert«ljährlich^4.öO, Kl »M«»«llD« «Gttilh« Nustellil«, ins chnnS^i S.»L Durch die Pvst b«z»gtii ft» Teutjchlond und Oesterreich: vierteljährlich X ».—. Dir,«» tägliche streu,dendielldun» t»s lustadtzl «onatttch ^i 7LV. Abend-Ausgabe. MpMer. TagMaü Anzeiger. Amtsblatt des AöttigNchen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Vokizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. AnAeig»»Pik*rs dir S gespaltene Perttzeile tO Pfg. Dec kamen unter dem RedactionSstrtch («»» spalten) bOH, vor den Familleanacr>kick>t«M iS gespalten) 40 «rötzere Gchrlstea laut unserem Prel«. verzrtchaib. Tabellartichet und Zissernsutz nach höherem Tarif. S,tra»Vrilagen (gefalzt), nur mit dtt Moraeu»Ausgabe, ohne Postbeförderuiu: SO.-, mit PostbesSkderuüg 70.-. A»«ahmeschl»ß fiir Jinzeigen: Nb end «Ausgabt: Lötmittag» 10 Uhr. Riorgea» Ausgabe: Nachmittag» »Uhr. Lei de» Filiale» und Annahmestellen je ein, halb« Stunde früher. Intrigen st»d stet» an die Expedition tu richten. Lrsck n»d Verla, »an S. Paiz t» Leipzig Montag den 14. Februar 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. Februar. Zum ersten Male seit Jahren hat der Reichstag am Sonnabend die zweite Lesung des Etat» der Schutzgebiete in einer einzigen — allerdings nahezu fünfstündigen — Sitzung erledigt. Vielleicht hat zu dieser raschen Erledigung die überaus dürftige Besetzung des HauseS etwas beigetraaen; da aber Herr Eugen Richter und die socialdemokratischen Dauerredner auch vor leeren Bänken zum Fenster hinaus zu sprechen pflegen, wenn sie damit im Lande Eindruck machen zu können glauben, so ist jedenfalls der Schluß gerechtfertigt, der Verzicht dieser Herren auf eine mehrtägige Colonialdebatte sei weit weniger der geringen Zahl der am Sonnabend versammelten Hörer, als der Einsicht zuzuschreiben, daß erstens mit der principiellen Gegnerschaft gegen jede deutsche Colonial politik kein Geschäft mehr zu machen und zweitens auch beim besten bösen Willen den jetzigen Leitern dieser Politik nicht leicht etwas am Zeuge zu flicken ist. Der Verlauf der Debatte liefert für Letztere» einen erfreulichen Beweis. Für Ostafrika besprach der Abg. vr. Häm in acher (nat.-l.) die Einführung einer Hüttenstener, welche nicht nur zur Steigerung der Einnahmen de» Schutzgebietes, sondern auch zur Heranziehung eines arbeitswilligen Arbeiter personals aus den Eingeborenen beitragen könne. Weiter erkannte er die Fürsorge der Verwaltung für die sanitären Verhältnisse an und streifte dann die Frage derDeportation, von welcher er dringend abrieth. Zu einer längeren Debatte gab die Forderung von 72 000 Anlaß, welche für die U s a m b a r a - E i se n b a h n auSgeworfen sind, um sie in betriebsfähigem Zustande zu erhalten. Die Abgg. Richter und Bebel witterten hinter der vorläufigen Forderung weitere Ansprüche, die sich in die Millionen steigern würden. Unterstaatsfrsretair Frhr. v. Richt Hofen legte darauf dar, daß es sich lediglich darum handele, entweder die Bahn ganz verfallen zu lassen, oder sie soweit auszubauen, bis sie rentabel sei. Die ReichSregierung habe sich für das Letztere entschieden und werde die eutsprecheuden Pläne dem Reichstage vorlegen. Die gegenwärtige Forderung hräjudicire den weiteren Beschlüssen des Reichstags in keiner Weise Von diesem Gesichtspunkte aus traten auch die Abgg. Graf zu Stolberg-Wernigerodr(cons.), vr. Ham macher (nat.-l.), vr. Lieber (Centr.) und vr. v. Bennigsen (nat.-l.) für die Forderung rin. Der Letztere betonte die Nothwendigkeit, mit Bahnkanten in Afrika besonders vorsichtig zu sein, und meinte, der Abg. Richter sollte damit zufrieden fein, daß man sich im Vergleich zu den früheren Projekten eine starke Be schränkung auferlegt habe. Sicher sei allerdings, daß auS den vstafrikanischen Colonien nur durch den Plantagcnbau etwas werden könne; der letztere setze aber neben der Heran ziehung des nöthigen Arbeiterpersonals in erster Linie die Schaffung einer guten Verbindung mit der Küste voraus. Nachdem man noch um die Rentabilität des Plantagen- banes in Ostafrika gestritten, wurde die Forderung gegen die Stimmen der freisinnigen Volkspartei und der Social demokraten genehmigt. Die Etats für Kamerun und Togo gaben zu einer Debatte gar keinen Anlaß. Besonders inter essant gestaltete sich dann die Berathung des Etats für Deutsch-Südwestafrika dadurch, daß sie dem anwesenden Landeshauptmann der Colonie, Major Leutwein, Ver anlassung zu einer Darlegung über die Aussichten dieses Schutzgebiete» gab. Bei der Forderung zur Weiterführung der Bahn Smakopmund-Windhoek erging sich nämlich Herr Richter, der sich seit der ersten Lesung des Etats da von überzeugt bat, daß diese Eisenbahn sich für eine oppositionelle Action größeren Stils schlechterdings nicht verwerthen läßt, in der gewohnheitsmäßigen weg werfenden Kritik jenes „gottverlassenen" Landstrichs, den bedauerlicher Weise der Graf Caprivi nicht an den ersten Besten verschenkt habe. Major Leutwein begann darauf mit der schlagfertigen Bemerkung, daß er die allgemeine Sacb- kenntniß deS Vorredner- oft bewundert habe, aber in Süd westafrika doch besser orientirt zu sein glaube. Es mußte in der That für den Reichstag von hohem Wertbe sein, über den so häufig auf Grund vorgefaßter Meinungen umstrittenen Werth der Colonie ein Gutachten von so unzweifelbafter Sachkunde zu vernehmen. Zn knapper Form faßte Major Leutwein sein Unheil dahin zusammen, daß das Schutzgebiet, wiewohl eS nicht das beste sei, das wir un« wünschen könnten, doch einer wirtbschaftlicken Ent wickelung fähig sei, die ihm ermöglichen werde, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen und Deutschland wachsenden Nutzen zu gewähren. Als Voraussetzung einer solchen Ent wickelung bezeichnete er den Bau der Eisenbahn, für deren entschlossene Inangriffnahme er der Colonial-Verwaltung im Namen des ganzen Schutzgebietes dankte. Es konnte nur er weiternd wirken, daß der Abg. Richter das Gewicht dieser Dar egungen durch die verwegene Schlußfolgerung abzuschwächen uchte,daßMajorLeutwein,gerade weil erfür das Schutzgebiet o Bedeutendes geleistet bat, keinen objectiven Maßstab dafür besitze. Herr Richter setzte ihm dann nochmals sein durch Sachkunde nicht befangenes Unheil entgegen. Die Abgg. Ham macher und v. Kardorff drückten dem Landeshaupt mann für seine verdienstvolle und erfolgreiche Wirksamkeit den Dank der NeichslagSmehrheit aus, worauf die Forderung — wieder gegen die Stimmen der freisinnigen Volkspartei und der Socialdemokraten — bewilligt wurde. Die Aus gaben für den Hafenbau in Swak opmund, 250 000 als erste Rate, wurden nach einer kurzen Darlegung über die projectirlen Bauten ebenfalls bewilligt und dann der Rest de- Etats ohne Debatte erledigt. Das Gleiche geschah bezüglich deS CapitelS Colonialabtheilung im Etat des Aus wärtigen Amts. Der angeblich einmüthig gefaßte Beschluß der polnischen ReichStagSfraction, gegen die Alottcuvorlage zu stimmen, hat augenscheinlich die Demokraten peinlich berührt. DaS kann nicht befremden, denn die Herren hatten mit Sicherheit angenommen, die Vorlage werde bewilligt und dann biS zu den Neuwahlen vergessen werden. Jetzt erscheint ihnen als Drob- gespenst die Auflösung und eine Wahlbcwegung unter der Parole „Für oder wider das Flottengesetz", also eine Wahlbewegung, bei der gar mancher sonst waschechte Demokrat daS Roth seiner Partei hierbei in Marineblau umwandeln dürfte. Die „Franks. Ztg." mahnt daher die Regierung, doch ja nicht zu hartnäckig zu sein, um nicht am Ende in ihrer Zuversicht aus die marinefreundliche Stimmung im Lande enttäuscht zu werden. Mit der Miene ernstlicher Sorge um die Regierung schreibt da« Blatt: „Wir glauben, daß seit geraumer Zeit Manches in der Frage b»S Flottengesetzes geschehen ist, wenn auch in vertraulichen Ver handlungen hinter den Coulissen. ES ist versucht worden, ein Compromtß zu Stande zu bringen, bei dem die Regierung nur in der Form, in der Bewilligung auf 7 Jahre, hätte nachgeben müssen. Wir glauben, daß diese Versuche nunmehr gescheitert sind und daß die Eventualität einer Reichstagsauslösung näher gerückt ist, als man in letzter Zeit angenommen hat. Die Regierung wiegt sich in zn großer Sicherheit über die marinesreundliche Stimmung im Lande und fast scheint r», als ob gewisse einflußreiche Männer im Interesse ihrer Politik der Sammlung ein Compromiß nicht wünschen, sondern sich von Wahlen unter der Parole des Flottengesetzes einen ähnlichen Erfolg wie im Jahre 1887 versprechen, wo die Parole der Militairvorlage den Cartellreichstag lieferte." Die „gewissen einflußreichen Männer" werden sich aber durch solche Mahnungen nicht täuschen lassen; spricht doch aus jeder Silbe die Angst vor der „marinefreundlichen Stimmung im Lande" bis tief hinein in die demokratischen Reihen. Gerade diese Angst ist der beste Beweis dafür, daß jede Nachgiebigkeit der Regierung ein schwerer Fehler wäre. Bleibt die Regierung fest, so ist eS gar nicht unwahrscheinlich, daß bei der Schlußabstimmung so viel demokratische Ab geordnete, als nöthig sind, um ein ablehnendes Votum zu verhüten, „aus Gesundheitsrücksichten" daheim bleiben, um eS nicht erleben zu müssen, daß der Reichstag aufgelöst wird und die Wählerschaft diese Auflösung und deren Ursachen der Demokratie auf das Kerbholz schreibt. DaS „geheime Actenstück" im Proceß Drehfus ist nach wie vor der Angelpunkt, um den sich der Procetz Zola dreht. Das von uns schon besprochene Verhör des Oberstlieutenants Picquart über diesenPunct nahm nach der „N. Fr. Pr." folgenden Verlauf: Labori: Im sogenannten geheimen Dossier befindet sich ein Dokument, welche- Esterhazy betrifft? Picqnart: Ja. Labori: Also giebt es doch ein geheimes Dossier? Picquart (nach einigem Nachdenken): Der Bericht des Majors Ravary spricht davon. Labori: Seit wann existirt dieses geheime Dossier? Picqart: Ich habe zum ersten Male Ende August 1896 davon Kenntniß erlangt. Labori: Exlstirte eS schon 1894? (zur Zeit des Dreyfus- processes.) Picquart: Davon weiß ich nichts, aber ich glaube ja; in jedem Falle wird darüber Oberst Henry besser sprechen können als ich. Labori: Woraus schlossen Sie, daß das gewisse Document sich eher auf Esterhazy als auf Dreysus beziehen könne? Picquart: DaS sind geheime Angelegenheiten; ich kann darüber nicht sprechen, ohne durch den Kriegsminister vom Amtsgeheimnisse befreit zu sein. Wenn ich diese Erlaubniß nicht habe, spreche ich nicht davon. Ich möchte so gern über diese Frage sprechen. (Bewegung). Auch durch diese Darstellung wird die Annahme nicht wider legt, daß Picquart hier eben jene« geheime Actenstück im Auge habe, auf das hin DreyfuS schließlich verurtheilt wurde. Es wird allerdings von Labori das Document genannt, welches Ester ha zu betrifft; allein offenbar nur deshalb, weil Picquart der Ueberzeugung ist, da- Schriftstück belaste nicht Dreyfus sondern Esterhazy, wie der Zeuge ja auch kurz vorher darauf hingewiesen hatte, seine Ueber zeugung habe sich auf die Thatsache gegründet, „daß die Handschrift in dem geheimen Actenstück mehr auf diejenige Esterhazy's als auf diejenige DreyfuS Passe". Daß Picquart, wie eS in einem Blatte dargestellt wird, auf den Nachweis aus sei, daß dieses Schriftstück ideutisch sei mit dem, welches die verschleierte Dame Esterhazy übergab, ist zu unwahrscheinlich. Das letztere Blatt enthielt die Worte: „Oetto canuille äe V . . und war von einer dritten Person (angeblich von einem Botschafter an eine aus wärtige Negierung) geschrieben, konnte also weder für die Handschrift Esterhazy'- noch für diejenige deS DreysuS etwas beweisen. Aber wie auch die Aussage Picquart'S zu deuten sein mag — volle Klarheit dürften erst die PlaidoyerS bringen — das Verhör vom Sonnabend hat noch die Aus sage desDreyfusvertheidigers Dömange gebracht, und über diese kann man nicht wie über diejenige Picquart'S, dem das Dienstgeheimniß verbietet, völlig klar zu sprechen, im Zweifel sein. Dömange deponirte die ihm von seinem College» Salle gemachte Mittheilung, daß ein Mitglied deS Dreyfus- KriegsgerichtS ihm (Salle) offenbart habe, eS sei dem Kriegs gericht ein geheimes Document milgetheilt worden, auf daS bin Dreyfus verurtheilt wurde. Damit ist die begangene Rechtswidrigkeit durch eine völlig klare Zeugen aussage festgestellt worden. Nun aber büllt sich wieder das Esterhazy angeblich „befreiende" Schriftstück mit dem Worte „Letts canaille äe v...." ins Dunkel. Oberst Henry, der Nachfolger Picquart'S al» Chef deS geheimen Informationsbureaus, hat am Sonnabend sich zu der Er klärung drängen lassen, dieses Schriftstück habe niemals in irgend welcher Beziehung zur DreysuS-Angeleaenbeit gestanden, sondern zu einem anderen unwichtigen Actenstück gehört. Be ruht diese Aussage auf Wahrheit? Wenn ja, dann ist es unbegreiflich, wie Esterhazy durch den Besitz dieses „rettenden" Dokumentes sich gegen Picquart'S belastende Aussagen ge schützt glauben konnte und wie daS Kriegsgericht Esterhazy auf Grund diese- Schriftstückes soll freigesprochen haben können. Eine dritte „Sonderbarkeit" dieses Processes dürfen wir nicht unerwähnt lassen. Von ihr ist zwar nicht im GerichtS- saal, sondern in der Kammer dieRedegewesen.aber daß die Zola- Angelegenheit dorthin verschleppt werden würde,war ja voraus zusehen. In der Kammer ist am Sonnabend eine Interpella tion eingebracht, welche dem Kriegsminister Billot vor wirft, jetzt noch freundliche Beziehungen zurFamilie DreyfuS zu habe n und ibn auffordert,über dieseBeziehungen sich zu äußern. Wie erwähnt, wurde die Interpellation bis nach Erledigung deS Zola-ProeesseS vertagt, aber sie wird wieder kommen. Billot erklärte schon am Sonnabend formell, daß er niemals Beziehungen zur Familie DreyfuS gehabt und niemals Jemand veranlaßt habe, solche Beziehungen herbeizuführen. Man darf daraus, wie die Sache ausgeht, ebenso gespannt sein, wie auf den Ausgang der hochgradigen Erreguna, die sich der Seine-Metropole und der ganzen Republik bemächtigt hat und die offenbar von einer Seite geschürt wird, die am völligen Zusammenbruch deö republikanischen StaatSsystenis am meisten interessirt ist. Gestern erscholl in einer Ver sammlung zum ersten Male neben dem Rufe „Vive i'armöe!^ der Ruf — „Vive I'empereurl" Wir haben wiederholt die zuerst in Brüssel auf^etauchte Vermuthung erwähnt, es sei Nutzland die Macht, an welche Dreyfus, oder wer nun der Verbrecher gewesen ist, geheime, die LandeSverlbeidigung betreffende Acten verrathen hat. Jetzt nimmt der „Budapesti Hirlap" die Sache wieder auf und giebt folgende Darstellung d«S Falles DreyfuS-Esterhazy: Vor drei Jahren suchte Frankreich Annäherung an Rußland. Der Zar mahnte zur Geduld und «bat officiclle und actenmäßige Informationen über di« französische Armee. Diese wurden anscheinend FpnNlrton. Durch eigene Kraft, tj Roman vo» Alexander Römer. Nachdruck Verbote». Erstes Eapitel. Die Kronen der hohen Linden vor der Thür der Krug- wirthschaft auf dem Gute Hrtzbach färbten sich gelb, der rauhe Wind entblätterte bereits dir breiten Beste. Die kleinen, blanken Fensterscheiben des im Sommer im tiefsten Schatten liegenden HauseS blitzten, und drinnen in der langen Gaststube fielen di« weiß gescheuerten Tische, di« Reih« der Deckellrüg« auf den Simsen in» Auge. Der September war in» Land gekommen, die dürren Blätter wirbelten auf den Stufen, welche zum Kruge hinaufführten. Die Sonne war nach einem regnerischen Morgen am Nachmittag hervorgekommen und sandte auf die grün angestrichene Bank unter den Linden ihre warmen Strahlen, welch« der hagere Mann, der sich mit der Pfeife im Munde dort niedergelassen hatte, mit Behagen auffing. Es war der Krugwirth, Herr Heidemann. Er stopfte auS dem ledernen Tabaksbeutel ein neues Kraut in seine Pfeife und blickte mit Hellen, scharfen Augen vor sich hinaus auf die Land straße. Drüben, wo ein Boskett von Zierbiischen dieselbe ein faßte, lag hinter dem von Kastanienbäumen umgebenen weiten Rasenplatz« daS stattliche Herrenhaus, dessen Fenster während deS ganzen Sommers verhangen gewesen waren. Jetzt, seit ein paar Tagen, war die Herrschaft drüben eingekehrt, der Herr Baron von Wakdstätten und seine Gemahlin. Auch der einzige Sohn, der Herr Regierungsassessor, war di«»mal mit ihnen; die großen Jagden sollten abgchalten werden, und rin Schwarm von Gästen wurde erwartet. Für ihn, den Krugwirth, war da» keine unangenehm« Aus- sicht, da gab ,» auch rm Kruge Verdienst, aber der alte Mann mit d«n festen Zügen — er hatte für einen menschenkundigen Beobachter rin merkwürdige», kluge» und charaktervolle» Gesicht — sah trotzdem sorgenvoll und unzufrieden drein. Seit er denken konnte, waren seine Interessen mit denen der Gutsherrschaft verschmolzen gewesen, wo da» große gedieh, gedieh auch sein kleine» Anwesen. Jetzt trennte sich bä». Er, sein Weib und sein Sohn arbeiteten; die neue Zeit forderte allerlei Neue», in da» «d. sich nur schwerfällig schickte, aber sein Sohn war jung, gehörte ded neuen Zeit an und trug den vrrändrrten Verhältnissen Rechnung. Er war im Laufe der Jahr« ein wohlhabender Mann geworden, zu der von seinem Vater ererbten Scholle hatte sich ein Stück Land nach dem anderen gefugt; vor einigen Jahren hatte er auch die Mühle, die neben seinem Gehöft lag, erstanden, als der Kauf vortheilhaft zu machen war, aber seine und der Seinigen Bedürfnisse hatten sich nicht erhöht. Und das sollte auch so bleiben. Er klappte den Deckel seines Pfeifenkopfes mit kräftiger Be wegung zu bei diesem Gedankenschluß, als wolle er ein Siegel unter eine Urkunde setzen, und seine Stirn furchte sich. Er konnte sein altes Herz nicht zur Gleichgiltigkeit zwingen gegen die da drüben, und da paßte der neumodische Luxus, das üppige, großartige Leben nicht mehr zu den Einnahmen. Er kannte die Verhältnisse genau, genauer vielleicht als der Baron selber. In dem steckte noch etwas von der Art seines Vater», er war freundlich und leutselig, und wenn er einmal Zeit hatte, waS freilich selten der Fall war, siAvatzte er gern mit dem alten Heidemann von den früheren Zeiten, und e» zuckte dann ein gewisses Etwas um sein gutmüthige» Gesicht, da» wie Wehmuth aussehen konnte. Du lieber Gott! Die früheren Zeiten — in dem Leben, daS der Baron jetzt führte, war keine Spur von Ähnlichkeit mehr mit demselben. Er war ja mittlerweile fast ein Fremder auf seinem eigenen Besitz, seine Interessensphäre, sein Wirkungskreis lagen in der Hauptstadt. Da war er Mit glied und Wortfiihre einer großen Partei im Reichstag, und inzwischen führte hier ein eleganter, neumodischer Inspektor da» Regiment, der den Händlern, Agenten, Taxatoren u. s. w. üppige DinerS gab, bei denen der Champagner floß, der aus seines Herrn Beutel bezahlt wurde. „Hm, hm", — ein knurrender Ton kam auS der Kehle de» schweigsamen Grüblers, während er dichte blaue Rauchwolken vor sich hinbki«S. Er wandte jetzt den Kopf. Auf der Diele hinter ihm wurden Stimmen laut, es er« schienen zwei Hauben in der Hausthür. Lila Bänder flatterten um da- rundliche Kinn keiner Ehehälfte; lwa» ihm an Leibesfülle abging, besaß sie reichlich, und dabei war Ihre kugelrunde Gestalt dreimal so beweglich al» die seine, und ihr Mund holte auSgiebig an Redseligkeit nach, wa» der seinige versäumte. Aber es ward Einem wohl um» Herz, wenn man diese» h«it«re Vollmondgesicht ansah, Kraft, Gesundheit und Zufriedenheit spiegelten sich darauf. Die Andere, welch« neben der Krugwirthin in der Hau»thür stand, war ihr sehr unähnlich. Sie war mager und derbknochig, die große Nase stoch unschön au» dem harten Besicht hervor; sie sah verdrießlich au», und die schmalen Lippen gaben dem Munde einen derben Zug „Na, na, behalten Sie man den Kopf oben, Marianne, und wehren Sie sich, so gut Sie können", sagte Frau Herdemann. „Sie müssen erst mal sehen, was er sich eigentlich denkt, und wie das junge Ding sich anstellt. Du mein Herr Jemine, wenn mans bei Licht besieht, daß Sie diese Bruderstochter noch gar nicht kennen, und nun — nun will er Ihnen das Kind auf halsen. Na — aber stramm, sage ich — wenn das kleine Ding artig und zutraulich ist, dann — dauern kann sie Einem ja, die Mutter so früh verloren, und der Vater er ist Ihr Bruder, Marianne, und ich bin die Letzte, die etwas auf Einen sagt, der heruntergekommen ist, aber aus Ihrem sicheren Erbtheil lassen Sie sich nun einmal nicht herausdrängen, das ist meine Meinung." Ein lautes Räuspern machte sie stocken. Ha! Da saß ihr Alter draußen, und er meinte immer, daß sie zu viel rede, aber ihr Herz lief mit ihr davon, und was sie für recht hielt, mußte sie doch sagen. „Du Alter, sic kommen All' heut Abend", rief sie ihrem Manne zu, „der Fritz Röpke mit seiner Tochter. Sie ist diese Ostern schon confirmirt und geht in ihr sechzehnte» Jahr. Ich hab« eben mit Butter und frischem Brode ausgeholsen, Marianne und Lisa haben morgen erst backen wollen, weil er sich für Donnerstag angemeldet hatte. Ja — so sind die Mannsleute, daß so was Umstände macht und nicht zu aller Zeit Alle» fertig und parat ist, daran denken sie nicht." Der Wortschwall floß ohne Aufenthalt aus ihrem Munde, und die hagere Marianne Röpke hätte beim besten Willen keine Gelegenheit zu irgend einer Gegenrede gefunden. Sie schien aber auch gar nicht dazu aufgelegt zu sein, sie hielt das in ein sauberes Tuch geschlagene Brod unter ihrem grauen, wollenen Umschlagetuch und das Stück Butter auf einem blaugeränderten Teller in der Hand. Der Krugwirth nahm sein Käppchen ab und grüßt« sie. Ein freundlicher Zug erhellte sein faltige» Gesicht. »So — also heute Ab«nd rückt Ihre Eiaquartirung schon ein", sagte er langsam. „Ja", entgegnete die Angeredete, auf deren schne«wrih«r Haube ein Sonnenstrahl die sorgsam gefällten Striche vergol dete, und sie seufzte hörbar dabei. Mir fürchten un« davor, Heidemann", setzte sie in kurzem, hartem Ton« hinzu, .r» ist nicht zum Freuen, wenn der einzige Bruder Einem so ins Hau» kommt. In hohem Ton schreibt er ja immer noch, wa» aber eigentlich werden soll, wissen wir nicht." Der Alte schüttelte den Kopf. „Abwarten", sagte er, „unser Herrgott macht Alle» zu Schick in der Welt." Sein« Ehehälfte lief jetzt die Stufen hinab, der schon unten Stehenden nach. „Ein schwarzes Kleid würde ich aber doch anziehen", meinte sie überredend, „es ist doch die Schwägerin gewesen, die gestorben ist, und wenn Sie sie auch nicht gekannt haben, das Kind, wissen Sie, das kann doch für nichts, und es könnte sich daran stoßen." Di« alte Jungfer sah mürrisch an ihrem blauen, groß blumigen, nicht eben sehr geschmackvoll gewählten Hauskleid herunter und brummte etwas für sich. „Bah! Es wäre ja lächerlich, wenn ich mich zum Empfang der kleinen Kröte in mein neues schwarzes Kleid werfen sollte", sagte sie. „Sie wissen ja, Heidemann, ich habe nur das neue, was ich mir in der Stadt habe machen lassen; das alte ist mittler weile zu ruppig." „Thut nichts, thut nichts, ziehen Sie man das alte an, es ist doch wenigstens schwarz, und das gehört sich doch so." Marianne machte eine Kopfbewegung, die sich verschieden deuten ließ, antwortete aber weiter nicht», sondern ging mit großen, energischen Schritten in das durch einen Gemüsegarten vom Kruge getrennte NebenhauS. ES war ein freundliche-, ein stöckiges Gebäude mit einem Giebel. Links davon rauschte ein wasserreicher Bach, welcher die Mühle trieb. Diese hatte ehemals dem Vater der beiden alten Schwestern gehört, die jetzt in dem Hause ihr Leben beschlossen. Der Müller Röpke war auf seiner Mühle reich geworden; er war ein speculativer Kopf gewesen und hatte seine Conjunc turen auszunutzen verstanden. Den großen Speicher neben der Mühle hatte er noch ein Jahr vor seinem Tode aufgeführt und daS Geschäft erweitert, wa» nun seinem Nachfolger, dem alten Heidemann, zu gute kam. Wie oft dachte Marianne, wenn ihr Bruder Fritz di« Mühle behalten hätte — ab«r daß daS nicht so gekommen war, daran trug nicht er allein di« Schuld. Das viele G«ld, welch?» so plötzlich hereinfloh, verrückte dem alten Müller den Kopf; der Sohn sollte etwa» Großes werden, er tonnte r» den Vornehmen jetzt gleich thun. Der Fritz war «in schmucker Mensch mit Manieren, sie hatten ihn al» Jungen immer den Prinzen genannt. Marianne Röpke stieß mit dem Ellbogen die HauSthür auf. Sie war so beladen, daß sie keine Hand mehr frei hatte. „Liess!" rief sie laut mit dem rauhen Ton, der ihr eigen war. Sin« kleinere, ihr ziemlich unähnliche Gestalt kam au» der Wohnstube. Sie trug dir gleiche weiße, gefältete Haube von apartem Schnitt, ein paar weiße Battistrnden knüpften sie unter dem Kinn fest, und ihre Züge waren feiner, beweglicher, al» die der Schwester. Aber wer hier bekannt war, und tiefere Einblick» hatte, wußte, daß auf die gutmüthigrr« und impulsiver»
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite