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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980217028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898021702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898021702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-17
- Monat1898-02
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ErVßer» Schriften laut Unserem Prait» verzkichoiß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach Häher«« Tarif. Extra »Vellage« (gesalzt), anr mit dm Moraen-AuSgabe, ohne Postbesörderum? ^l SO.—, mit Postbrfördrrung 70.—. Iinnahmeschluß für Anzeigen: Abr»d-Au-gabr: Bormittag« 10 Uhr. Rstorge«-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anreisen sind stet« an die Eppe-itio« zu richten. Druck aad Verlag von E. Pol, in Leipzig 88. Donnerstag den 17. Februar 1898. 92. Jahrgang. Eine Eingabe des Centralvorstandes des Evangelischen Lundes an den Reichskanzler. Unmittelbar vor der letzten Sitzung des Gesammtvor- standeS des „Evangelischen Bundes zur Wahrung der deutsch protestantischen Interessen" hatte die „Germania" ihren Bericht über die „Kaiser-GeburtStagsfeier der deutschen Katholiken in Rom" (Nr. 25,3. Blatt) gebracht, der nach Mittbeilungen aus allen vertretenen Hauplvereinen Deutschlands ein peinlichesAufsehen in den weitesten Kreisen her vorgerufen hatte. Nach äußerst lebhaften Verhandlungen wurde beschlossen, dem Auftreten deö preußischen Gesandten am päpstlichen Hofe eine ernste Zurückweisung widerfahren zu lassen. Der engere Vorstand bat nunmehr, nachdem durch eine virecte Anfrage dem Gesandten Gelegenheit gegeben war, etwaige übertriebene Färbungen in der Berichterstattung der „Germania" zu berichtigen, und eine solche Richtig stellung nicht erfolgt istj an den deutschen Reichskanzler die nachstehende Eingabe gerichtet: Merseburg, den 14. Februar 1898. Hochgebietender Herr Reichskanzler! Durchlauchtigster Fürst! Euer Durchlaucht als dem Königlich Preußischen Minister der Auswärtigen Angelegenheiten ist der unterzeichnete Vorstand deS Evangelischen Bundes zur Wahrung der deutsch - protestantischen Interessen verpflichtet, das Folgende ganz gehorsamst zu unterbreiten. Nach unwidersprochenen Zeitungsberichten und ohne daß eine ver trauensvolle Bitte um Berichtigung, welche der mitunterzeichnete Vor sitzende an den Königlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister am päpstlichen Hose Herrn Wirklichen Geheimen Rath v. Bülow gerichtet hat, bisher eine Erwiderung erfahren hätte, hat der Herr Gesandte an einer Geburtstagsfeier für Seine Majestät den Kaiser und König theil- genommen, welche von deutschen Katholiken in Rom am 27. Januar d. I. veranstaltet war. Diese Feier, an welcher auch das Personal der Königlich Preußischen Gesandtschaft sich betheiligt haben soll, war im ausgesprochenen Gegensätze zu der von der großen deutschen Colonie geplanten ins Leben gerufen. Als Grund der Absonderung ist angegeben worden, daß die deutschen Katholiken nicht in der Lage wären, an einer Feier theilzunehmrn, bei welcher auch dem Landessürsten, dem treuen Verbündeten unseres aller gnädigsten Herrn, dem Könige Humbert, durch einen Trinkjpruch gehuldigt werden würde. Bei dieser gegen-italienischen Feier soll dann — und wir wagen an der Richtigkeit dieser Darstellung leider nicht mehr zu zweifeln — der Herr Gesandte von Bülow einen Trinkspruch ausgebracht haben, in welchem er wiederholt die erhabene Person unseres Kaisers und Königs mit der des römischen Papstes so verband, daß er an erste Stelle den römischen Papst, an zweite den Kaiser, dem die Feier galt, setzte, auch das Hoch auf Len Kaiser mit einem Hoch auf den Papst verschmolz. Seiner Majestät des Königs von Italien wurde nicht gedacht. — Endlich soll der evangelische Vertreter des evangelischen Königs von Preußen der Absingung eines Liedes „Greis von Jahren jugendkrästig" bei beigewohnt haben, welches den Papst in einer mit dem evangelischen Christenthume in schneidendstem Gegensatz stehenden Weise verherrlichte. Es sind nicht die Aeußerungen der gut deutschen, neuerding« auch der italienischen Presse allein, welche uns von der Erregung, die das Auftreten des Herrn Gesandten heroorgerufen hat, Kunde geben; es ist auch nicht unser eigenes Empfinden allein, welches uns zu dieser ehrerbietigen Vorstellung veranlaßt. Vertreter aus fast allen Theile» Deutschlands haben uns diese Bewegung aus weiten evangc- lischen, ihrem Kaiser und ihrem Vaterland- treu ergebenen Kreisen bezeugt. Sie haben uns verpflichtet, die gemeldeten Thatsnche» zu Euer Durchlaucht Kenntuiß zu bringen und die Bitte vorzutragen, die Wiederkehr solcher Vorkommnisse für die Zukunst zu verhindern. Unsere Aufgabe mag es nicht sein, gleich einem italienischen Blatte etwaigen Besorgnissen um die Beziehungen Deutschlands zu dem verbündeten Italien Ausdruck zu geben. Das aber ist unsere Pflicht, es vor Euer Durchlaucht, wie vor der Oeffent- lichkeit ungescheut auszusprechen, daß jeder solcher Vorgang den Uebermuth des deutsch-seindlichen Ultramontan is- mus steigern und die in ihrer Königstreue und Vaterlandsliebe durch päpstliche Melthcrrschaftsbestrebungen nickst beengten Volks genossen, zumal die evangelischen, auf das Tiesste bedrücken muß. Euer Durchlaucht bitten wir in Ehrerbietung, die geeigneten Maß nahmen tressen zu wollen, um für die Zukunft einer Haltung des Königlichen Gesandten am päpstlichen Stuhle vorzubeugcn, welche unseren evangelischen Volksgenossen zum schweren Aergerniß gereicht. In vollkommener Verehrung Euer Durchlaucht gehorsamste Der Vorstand des Evangelischen Bundes zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen. Der Vorsitzende: Der Schriftführer: gez. Graf von Wintzingerode. gez. 0. Witte. Unter Verweisung auf unsere früheren einschlägigen Aus lassungen können wir die vorstehende Eingabe nur auf daS Lebhafteste begrüßen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. Februar. Daß die Demokratie der Haltung des CentrnmS der Flottcnvorlagc gegenüber und einer Auflösung deS Reichstags infolge Verwerfung der Vorlage mit Bangen enl- gegensieht, haben wir schon dieser Tage erwäbnt. Heute schreibt die „Nat.-lib. Corr.": „Sicherem Vernehmen nach ist eS den marinefreundlicken Elementen im Ccntrum nicht gelungen, für die gesetzliche Sicherung des von der Negierung als unerläßlich bezeichneten FloltenmindestbestandeS eine ausgiebige Anzahl von FractionSniitglicdern zu gewinnen. Darüber, daß die Negierung, nachdem sie vor breitester Oeffentlickkeit die Bedürfnisse des Reiches zur See dargelegt, auf dem Flottengesetze bestehen muß und auch bestehen wird, ist man auch im Cenlrum unterrichtet. Bezeichnend für die Situation ist, daß schon jetzt nicht nur auf demokratischer, sondern auch auf extrem agrarischer Seite mit Mißbehagen die Consequenzen erörtert werden, die sich aus diesen Verhältnissen ergeben." Daß die extremen Agrarier eine Auflösung des Reichslags und Neuwahlen, die unter der Parole „für oder wider daS Flottengesetz" sich vollziehen müßten, ebenso ungern sehen würden wie die Demolraren, liegt aus der Hanv, denn der Berliner Leitung des Bundes der Landwirlhe könnte nichts Unangenehmeres begegnen, als wenn eine solche Parole es ihnen unmöglich machte, nach ihrer Weise zu „sammeln." Es ist daher gar nicht unwahrscheinlich, daß daS nament lich in der Rheinprovinz verbreitete Gerücht, es werde hinter den Coulissen der Versuch gemacht, die preußische Regierung zu Cvncessionen an das Ceutrum zu veranlassen, mehr als leeres Gerede sei. Daß die Hinter männer der „ K re u z z e i t u n g " lieber Wahlbünd nisse mit dem Centrum als mit den Mittelparteien abschlössen und deshalb die Gefolgschaft des Herrn Ilr. Lieber gern als Flottenfreunde auftrelen sehen möchten, bat das Blatt schon verrathcn. Es kennt auch seit dem vielbesprochenen „Scheiter hausenbriefe" des Herrn Stöcker an den damaligen Chef redakteur v. Hammerstein sehr genau die Mittel, mit denen man in gewissen Kreisen die Bismarck'sche Cartellpolitik ver dächtigen und Stimmung für eine klerikal - konservative Politik machen kann. Tie „kleine, aber mächtige Partei", die hinter der „Kreuzzeitung" siebt, würde also nur die alten Wege wandeln, wenn sie wirklich, wie verlautet, daraus anSginge, in preußischen Nezierungskreisen Neigung zur Einwilligung in die Aushebung des Jesuiten gesetz cs, oder doch wenigstens zur Befreiung der den Jesuiten verwandten „Schwestern vom heiligen Herzen Jesu" von der Wirkung dieses Gesetzes zu erwecken und eS dadurch Herrn Vr. Lieber zu ermöglichen, wenigstens den größten Tbeil des Centrums für das Flotten gesetz zu gewinnen. ES wäre daher wohl an der Zeit, sich durch eine Anfrage entweder im Reichstage oder im preußischen Abgeordnetenhause Klarheit darüber zu verschaffen, wie die maßgebenden Kreise über einen solchen „Kuh handel" denken, und die preußische Regierung eindringlich vor der Beschreitung eines Weges zu warnen, der zur schlimmsten politischen Corruption führen müßte und der nicht einmal durch eine schwere Nothlaqe sich rechtfertigen ließe. Je mehr Demokratie, ein großer Theil des Centrums und extremes Agrarierthum vor der Ablehnung der Flottenvorlage und vor Neuwahlen unter der Einwirkung einer Flotten parole sich fürchten müssen, um so weniger ist die Ablehnung zu besorgen. Und sollte sie wirklich erfolgen, so würde der nächste Reichstag höchst wahrscheinlich eine der glücklichen Lösung aller großen nationalen Aufgaben mehr gewachsene Mehrheit a'.cfiveisen, als ein ReiwStag, der unter dem verwirrenden Einflüsse wirtschaftlicher Jnteressensragen zu Stande käme. Der RcichstngSmahlkrcis Vrombcrg, der fast stets deutsch vertreten gewesen ist, ist bei den Wahlen von 1893 durch einen Polen erobert worden. Umsomehr ist es natürlich Ehrenpflicht der Deutschen, ihn diesmal wieder zurückzuerobern. Um den deutschen Sieg zu ermöglichen, ist der Bromberger Regierungspräsident v. Tiedemann principiell bereit, das Opfer zu bringen, aus dem Staatsdienst auszuscheiden. Aber auch das kann Herrn Richter nicht befriedigen. „Für den Regierungspräsidenten", meint sein Organ, „kann selbstverständlich kein Freisinniger stimmen, Herr v. Tiede mann außer Amt ist aber eine politische Null." Für einen Beamten also kann man nicht cintreten und Jemand, der nicht Beamter oder nicht mehr Be amter ist, ist zu einer politischen Nolle nicht befähigt. Welch sonderbare Logik! Sollten wirklich der Großdestilla- teur Schulz, oder der Rector Kopsch, oder der von Herrn Richter jetzt mit aller Kraft geförderte Redakteur der „Frei sinnigen Ztg." wirklich so viel mehr politische Einsicht haben, als ein Mann, der lange Jahre hindurch eine hervorragende Stellung in der Verwaltung eingenommen bat? Aber es kommt dem Organe des Herrn Richter auch gar nicht darauf an, einen wirklichen Grund anzusühren. Ob Herr v. Tiedemann,cderHerr Lehmann, oder Herr Müller aus gestellt wird, ist ihm egal, — wenn der Candidat nicht der freisinnigen Volkspartei angehört, so ist er eben eine „poli tische Null". ^Die Folge der Aufstellung eines eigenen Can- didaten von Seiten der freisinnigen Volkspartei wird nur sein, daß wiederum der Pole gewählt wird. Die Wahl von 1893 hat das gezeigt. Waren damals die bürgerlichen deutschen Parteien zusammen gegangen, so hätte deren gemeinsamer Candidat im ersten Wahlgange bereits mehr Stimmen erhalten, als der Pole und der Social demokrat zusammen genommen, wäre also glatt gewählt werden. Durch die Spaltung der bürgerlichen Parteien kam es zur Stichwahl und in dieser zum Siege des Polen, der in der Haupkwahl noch nicht ganz ein Drittel der abgegebenen Stimmen erhalten hatte. Ein derartiges Resultat ist um so beschämender, als in diesem Kreise die Polen nur ein Drittel der Bevölkerung auSmachen. Die „deutschen" Freisinnigen tragen also die Schuld daran, wenn eine deutsche und evangelische Mehrheit wiederum von einem klerikal gesinnten Polen vertreten werden sollte. Wen bei den endlosen Verhandlungen deS Zola-ProceffcS Langweile angewandelt haben und wer ihnen darum nicht mehr mit der Aufmerksamkeit gefolgt sein sollte, die er verdient, dem rathen wir, wenigstens die gestrigen Aeußerungen desGenerals Pellieux, deö Untersuchungsrichters im Esterhazy-Proceß, genau zu beachten. Wir sagten gestern, die Dreyfus-Partei luche den französischen Chauvinismus in die Segel zu bekommen und wiesen auf daS Wort des Professors Grimand hin: „Ich grüße die Trikolore und hoffe, daß sie dereinst über den verlorenen Provinzen wehen wird." Der für französische Gemüther entschieden große Eindruck, den diese Apostrophe gemacht hatte, mußte von den Gegnern des Drehfus-Synvicats entschieden paralysirt, ja Überboten werden. Es war kein geringerer als General Pellieux, der sich dazu hergab. Nicht allein, daß er den Zeugen Franck, der bekanntlich Belgier ist, als Ausländer zu verdächtigen und gegen Zola und Genossen, die ihn berufen hatten, Stimmung zu machen suchte, er blies förmlich die Revanche-Fanfare, indem er an den Tag berGefahr erinnerte und hinzufügte, er sei vielleicht näher als man glaube. An etwas anderes als an den großen Waffengaug mit Deutschland hat der General auf keinen Fall gedacht, sonst hätte er nickt die Möglichkeit an beuten können, daß Zola mit einem neuen „vekLcls" seinen Sieg vor einem Europa gewinnen werde, von dessen Karte Frankreich gestrichen sei. Nur in einem zweiten unglücklichen Kriege mit Deutschland riskirt Frank reich, wenn auch nicht, wie Pellieux übertreibt, den Verlust seiner staatlichen Existenz, Wohl aber eine empfindliche Decimirung, woran bei einem Krieg mit Eng land, den man noch im Auge haben könnte, nicht zu denken ist. Zweimal verzeichnet unser Bericht bei dieser rhetorischen Leistung des hohen französischen MilitairS „Sensation". Unter anhaltendem, warmem Beifall trat Pellieux von der Schranke zurück. Die Waagschale der Dreyfus- Gegner war wieder emporgeschnellt, der Zweck erreicht. Eben weil die Worte Pellieux' nur für diesen Zweck zugeschnitten waren, nehmen wir sie nicht so ernst und tragisch, wie sie aussehen oder sich angehört haben, aber nichtsdestoweniger sind sie doch ein klassisches Beispiel dafür, wie in Frankreich nicht nur von ministerieller Seite aus — man denke an den Dankesgruß, den Ministerpräsident Mvline jüngst nach Elsaß-Lolhringen sandte —, sondern auck Durch eigene Kraft. 4s Roman von Alexander Römer. Nachdruck verboten. Er lachte und hielt ihre Hand, die das Glas faßte, fest, dabei sah er ihr mit einem dreisten, zärtlichen Blick in die Augen. „Ja, Sie", meinte er, „Sie kommen mit Ihrer Unverfroren heit brillant durch die Welt." Sie versuchte, ihre Hand loszumachen, und warf den Kopf zurück. „Lasten Sie mich, Ihre Unverfrorenheit ist weit größer als die meine." „Da würden wir ja gut zu einander Pasten", lachte er, „kommen Sie, Emily, Sic sehen allerliebst aus heute Morgen, und Sie sind — in der That — ein verteufelt kluges Frauen zimmer. Wenn ich betrachte, wie Sie mit meiner Mutter fertig werden — ha ha!" „Das ist mitunter ein köstlicher Spaß. Ich glaube, Mama hält sie wirklich für eine fromme, demüthige Seele." „Felix, was wissen Sie von meiner Seele?" Ihr Ton klang bitter und scharf, sie ging rasch in das anstoßende Speisezimmer, dessen Thür sie offen ließ, nahm die betreffenden Flaschen aus dem Büffet und goß dieselbe Mischung wie zuvor in sein Glas. „Emily, mischen Sie doch auch für sich eins zurecht, wir wollen einmal anstoßen auf gute Freundschaft." Er hatte sich aus seiner trägen Ruhe aufgerüttelt, reckte seine Glieder und kam ihr mit langsamen Schritten nach. Sie stand noch mit dem Rücken ihm zugewandt und nahm keine Notiz von seinen Worten und von seinem Kommen. Er versuchte, den Arm um ihre Taille zu legen und ihren Kopf zurückzubiegen. Sie entwand sich mit energischer Bewegung seiner Berührung. „Stechpalme", sagte er in humoristischem Grollen. „Ja, Stechpalme", wiederholte sie, und in ihren dunklen Augen glühte ein seltsames Licht auf. „Meinen Sic etwa, daß solche arme Mädchen, wie ich eins bin, gar keine Waffen haben? Wehe ihnen, wenn sie sie nicht gebrauchen. Ich fühle mich Ihnen ebenbürtig, Vetter Felix, hier in diesem Kopf", sie tippte mit dem Finger auf ihre Stirn, „sitzen freie Gedanken, ein Bwußtsein von Kraft und von Macht. Mich tragen die Verhältnisse nicht, da muh ich mich selber tragen." Sie stand da, stolz, mit sprühendem Blick, und sah wirklich schön aus in diesem Augenblick. Er betrachtete sie mit feuriger Bewunderung. „Ja, Sie sollten an einem anderen Platze stehen", gab er mit voller Ueberzeugung an, „wenn Sie so eine Million hätten, denn so viel braucht man ungefähr in unserem vorgeschrittenen Zeitalter." Sie kräuselte spöttisch die Lippen. „Ja, das ist wirklich schade, ich würde sie zu gebrauchen wissen. Aber da mir die nun nicht in die Wiege gelegt wurde, so muß ich mich an meine anderen Gaben halten. Für den, den ich einmal erkiese, habe ich vielleicht etwas zu geben —" Er sah ihr einen Moment starr in die funkelnden Augen, sein Athem ging schnell. Er faßte ihre Hand und preßte sie an seine Lippen. „Mädchen", flüsterte er in unterdrückter Leidenschaft und beugte sich näher zu ihr, „Du verstehst es, Einen wild zu machen, Du brächtest es fertig, daß man eine große Thorheit um Deinet willen beginge." Sie trat rasch einen Schritt zurück und ihr Gesicht war jetzt kalt. „Machen Sie keine Thorheiten, Herr Baron", sagte sie jetzt schneidend, „und lassen Sic mich auf jeden Fall die pvor relation bleiben." Er drehte sich kurz auf den Hacken um und brummte etwas Unverständliches vor sich hin. Sein gefülltes Glas stand un berührt auf dem Büffet. „Sie wollten ja trinken, Vetter Felix", rief sie ihm nach, „der prickelnde Schaum versprüht — wie mag Ihnen das passiren." „Sie haben mir den Appetit verdorben", brummte er. Sie lachte ihr kurzes, Helles Lachen. Er wandte sich um. „Kamen Sie, Emily", rief er befchlshaberisch, „setzen Sie sich hier zu mir, ich muß noch mit Ihnen reden." „Das Reden zwischen uns fruchtet nicht viel, fürchte ich", entgegnete sie, „ich will Ihnen aber ein Lied singen, wenn Sie erlauben, und Sie um Ihr kritisches Urtheil bitten. Sie wissen, ich habe die Absicht, im Frühjahr nach Paris zu gehen und dort meine Stimme au«zubildcn. Man versichert mir von kompe tenter Seite, daß ich aus ihr einst Capital schlagen werde — vielleicht die halbe Million, hahaha!" Wie übermüthig sie dastand und lachte! Er sah sie kopf schüttelnd an. „Sie sind ein freies, kühnes Geschöpf, Emily, nicht kleinlich und philisterhaft, da» ist Ihre größte Eigenschaft. Erinnern Sie sich noch unseres Gespräches vor ein paar Tagen? Ich war ver wundert über all die modernen Ideen, die da in Ihrem Köpfchen spukten. Und Sie haben Recht. Man sollte brechen mit diesem ganzen Ballast unseres Althergebrachten, mit diesen engen Be griffen nach der abgestempelten Schablone und den Phantomen, welche zum Schreckgespenst für einen Backfischhorizont passen und wohlanständigen Spießbürgern als ewiges Gesetz gelten. Das freie Aufleben der Individualität nach allen Richtungen, ohne diese künstlichen Hemmschuhe „Reue und Gewissen" — sagten Sie nicht so? — nur das allein kann das Gefühl der Befriedigung geben!" Emily lehnte am Flügel, mit dem Gesicht ihm abgewandt, und blätterte in den Noten. „Sagte ich so?" erwiderte sie lakonisch. Dann setzte sie sich, ohne weiter in die Diskussion einzugehen, und begann zu singen. Es war ein unbekanntes Lied, nur wenige Strophen, und eine ihm fremde Composition. Er be anspruchte den Ruf eines Musikkenners, und er hörte jetzt auch gespannt zu. „Was stehst Du da so traurig Unter dem blühenden Baum? Ich denke an meine Blüthezeit, An meinen Jugendtraum." Sie besaß eine tiefe, volle Altstimme, welche in dem großen Raume schön zur Geltung kam; in dem Vortrag gab sich aber mehr gekünstelte als echte Empfindung kund, was jedem einfachen Hörer zum Bewußtsein kommen mußte. Sie blieb am Flügel sitzen, als sie geendet, und wartete auf seinen Ausspruch. Er saß da in seiner gewöhnlichen, nachlässigen Haltung. „Ganz hübsch", sagte er, „aber Sentimentales liegt Ihnen nicht, für Sie paßt Sturm und Leidenschaft. Werfen Sie sich nicht auf solche Sächelchen, da bringen Sie nichts Echtes heraus. Uebrigens denken Sie doch wohl nicht im Ernst daran, zur Bühne gehen zu wollen?" Sie drehte sich blitzschnell um. „Warum sollte ich nicht daran denken?" fragte sie kurz. Er lachte. „Weil — weil Sie zu alt werden, bis Sic so weit ausgebildet sind, um die Laufbahn beginnen zu können. Sie sind jetzt 24, nicht wahr? Und vier Jahre müssen Sie doch rechnen, bis Sie zum Auftreten reif sind, da zählen Sie 28, das ist zu spät." Er sagte es kalt, überlegen, rücksichtslos. Ihre Augen schillerten in einem grünlichen Glanze. Vielleicht traf nichts so hart, wie das Wort: zu alt. „So, da habe ich ja mein Urtheil kurz und bündig", rief sie, „und ein sehr offenes, liebenswürdiges, ich bedanke mich." Sie schloß den Flügel und machte ihm einen spöttischen Knix. „Vielleicht besitze ich die Kühnheit, den Versuch zu wagen, meinen 24 Jahren zum Trotz." Er zuckte die Achseln. „Claus Hartwig spricht ja auch davon, nach Paris zu gehen", warf er mit ausdrucksvollem Seitenblick hin, „dem wäre es heilsam, wenn er einmal rechtschaffen anfinge, zu arbeiten, bis jetzt ist er nur ein Gelegenheitsmalcr, ein bequemer Bummler." Sie erröthete unwillkürlich und ärgerte sich darüber. Er gewahrte es und schenkte ihr seine Bemerkung dazu nicht. „Warum werden Sie denn roth, Emily? Haben Sie etwa mit Claus Verabredung getroffen, daß Sie gemeinsam studiren wollen, das würde ja ein pikantes Duo, haha!" „Ich räume Ihnen das Feld, Herr Vetter." Sie verschwand in der Thür, die auf den Corridor führte. Er sprang auf und ging ein paarmal erregt auf und ab. „Dummes Zeug", sagte er vor sich hin, „Sie ist ein schlaues Ding, eine arge Kokette, ich muß mich gegen diesen prickelnden Reiz wehren, den sie auf mich ausübt — es mag gut sein, wenn sie sich selbst in die Ferne rückt. Ob es ihr Ernst war? Sie ist die Person dazu, dergleichen auszuführen, an Selbst vertrauen fehlt es ihr wahrhaftig nicht." Er trat vor den Spiegel, bürstete sein Haar und betrachtete sich prüfend. „Das Leben ist eigentlich eine rechte MisSre", grollte er, „mit seinen Wünschen stößt man überall an die Wand, breit macht sich nur die Langweiligkeit. Morgen geht nun hier der alte Train los, die wohlbekannte Jagdgesellschaft rückt ein, diese behaglich in gleichmäßigem Tempo von ihren Anständen knallen den Herren, von denen Viele die Ricke nicht vom Bock unter scheiden und sich gewaltige Nimrode dünken, wenn sie das bequem zugetriebcne Wild glücklich erlegen. Die Hauptsache ist ihnen das Frühstück und die Flaschenbatterien, die Papa beim Mittags gelage auffahren läßt. Da machen dann dieselben Kalauer und Jagdgeschichten wie vor fünf Jahren die Runde, und dasselbe dröhnende Lachen erschüttert die Wände. Und die Damen — Gott stehe uns bei! — sie haben alle ein paar Fältchen mehr um die Augenwinkel aufzuweisen, sind um ein paar Liebschaften reicher und debütiren in neuen, mit jedem Jahre excentrischer werdenden Costümen. Brrr!" Er öffnete das Fenster, die Luft im Zimmer war schwer geworden. Draußen ging Ludwig Heidemann vorüber, er kam vom alten Baron, der ihn bei seiner jeweiligen Anwesenheit zu allerlei
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