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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.02.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980219015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898021901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898021901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-19
- Monat1898-02
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Morgen-Ausgabe. ttpIM-Tagtblait Druck und Verlag von S. Polz !n Leipzig. Jahrgang Sonnabend den 19. Februar 1898. durch Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Fenrlleton. Annah«eschl«ß fm? Aryeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreisen sind stet« an die Expedition zu richten. Le-aclion und Lrvedition: JohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: Dtto Klemm'» Eorttm. (Alfrek Hahn), UniversitätSstraße 3 (Paulinum), Loni» Lüsche, Aatbarineustr. 14, Part, und König-Platz?. Nnzeigen-PreiS die ögespaltme Petitzeile SO Pfg. Reclamrn unter dem Redacliondstrich (4ae- spalten) 50^, vor den Familiennachrichlea (6 gespalten) 40.^. Größere Schriften laut unserem Preis, verzeichniß. Tabellarischer und Ztffernsatz nach höherem Tarif. Anzeiger. MLsvlatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Ratljes nn- Volizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Extra-Veilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ^l SO.—, mit Postbesörderung 70.—. secretair desselben, dem Landtagsabgeordneten Bueck, unter- reichneten Artikel, in dem erklärt wird, die Versuche der Vertreter der Industrie, eine Verständigung mit denen der Landwirthschaft herbeizuführen, seien al» gefährdet zu erachten, nachdem die agrarischen Führer ihre Handels und verkehrspolitischen Ziele in jüngster Zeit unumwunden dargelegt haben: „In der Handelspolitik geschah dies, abgesehen von den viel fachen Verhandlungen im Reichstage und Abgeordnetenhaus, in der hervorragendsten Veriretungskörpsrschaft der deutschen Landwirth- schast, im deutschen Laadwirthfchost»rath, wo der Referent Graf von Kanitz sowohl in seinen Ausführungen als in den von ihm gestellten Anträgen festgelegte Tarifverträge entschieden ver warf. Diese Anträge wurden bis auf di« Ziffer 3 angenommen. Aus dem Parteitage der Conservativen am 8. Februar dieses Jahres in Dresden äußerte sich Graf Kanitz in gleichem Sinne; »r schloß feine Ausführungen mit den Worten: „die Zwangsjacke der Handelsverträge muß so bald wie möglich obgestreisl werden." Auch in der Hauptversammlung des Bundes der Landwirth» am 14. dieses Monats stellte dessen Director vr. Diederich Hahn unter dem „Bravo" der Hörer fest, daß der Bund der Landwirthe jede handelspolitische Bindung durch Verträge auf lange Jahre hinaus auf das Entschiedenste zurückweise. Diese Vorgänge erweisen, daß die agrarischen Führer die Handelsverträge überhaupt und ins besondere Tarifverträge unbedingt verwerfen. Durch diese Stellungnahme werden die Interessen der Industrie durchaus preisgegeben. Es ist eine unumstößliche Thatsache, daß in Deutschland von dem Gedeihen der Industrie die Ernährungssähigketl eine» sehr erheblichen Procentsatzes der Bevölkerung abhänat. Ein gedeih licher Zustand kann in der Industrie aber nur bestehen, wenn «in bedeutender Theil ihrer Erzeugnisse Absatz im Auslande findet. Die exportirende Industrie kann nur bestehen, wenn sie im Vertrauen auf die Sicherheit und Festigkeit der Zolltarife Einrichtungen von langer Hand treffen und der weltbewerbenden Industrie des Aus landes gegenüber haarscharf calculiren kann. Rußland änderte seine Zollsätze früher zu unseren Ungunsten fast jährlich, zuweilen auch oster. Nach dem Vertragschluß hat sich der Geschäftsverkehr mit unserem großen Nachbar jo befriedigend gestaltet, weil die haupt sächlichsten Zölle durch Bindung für lange Zeit sestgelegt sind. Daher wird und muß die Industrie aus den Abschluß von Tarifverträgen, d. h. auf der Bindung der beiderseitigen Tarifsätze für möglichst lange Zeit, bestehen, sie steht und fällt, wir der Abgeordnete Möller in der Sitzung des Abgeordneten- hauseS vom 11. d. M. ganz richtig sagte, mit der Aufrechterhaltung unserer Handelspolitik. Bis dahin hatte die Landwirthschaft nur Widerspruch gegen die künftige Bindung der Getreidrzölle erhoben. An anderer Stelle wird darüber zu entscheiden sein, ob es möglich ist, Tarisverträge ohne Bindung der Getreidezölle mit Ländern zu schließen, die Ge- treide ausführen wollen, um damit ihre Einfuhr an Industrie erzeugnissen zu bezahlen. Der Schwerpunct der Frage wird auch vollkommen verrückt, wenn er in die Bindung der Getreidezölle gelegt wird, er liegt vielmehr in der Höhe des gebundenen Zolles. Die Industrie hat aber ost genug erklärt, daß sie nach Ablauf der Verträge eine den Verhältnissen der Landwirth. schäft entsprechende Erhöhung der Grtreidezöllr unterstützen würde. Ob die Bindung der Getreide zölle nicht auch im Interesse der Landwirthschaft liegt, wird diese selbst am besten zu entscheiden haben. Die Erwägung liegt jedoch nabe, Laß sehr häufig und zuletzt noch von dem Abg. Möller auf den Ansturm hingewiejen ist, den die Getreidezölle vor dem Abschluß der Verträge alljährlich auszuholten hatten. Solchem An sturm wich sogar der Graf von Kanitz, als er s. Z. im Reichstag wegen der hohen Getreidepreise die zeitweilige Aulhebung der Ge- treidezölle beantragte. Der vielqrjchmähtr Reichskanzler Caprivi wies, ruhig und fest nach beiden Seiten, diesen Antrag mit der Begründung zurück, daß man nicht wissen könne, ob es möglich sein werbe, die Nisprndirten Zölle wieder einzuführen. Solche Fälle können wieder einireten; sie legen den Gedanken nahe, ob nicht auch die Land- wirthschast ein Interesse an festen, gebundenen Zöllen haben könnte. Lehrreich in di.ser Beziehung sind gegenwärtig die Vorgänge in Italien, die bluiigen Brodkrawalle und die Herabsetzung der Äe- ireidezölle. Doch alles Las zu erwägen ist Sache der Regierung und der Landwirthe; hier handelt rS sich darum, sestzustellen, daß Deutsche- Reich. * Berlin, 18. Februar, Zum Kapitel Centrum und B a u e r n b u n d ist eine Erklärung des Abgeordneten Roere n von Interest«, welche in der Ceutrumsprest« veröffentlicht wird. Oberlandesgerichtsrath Roeren bestätigt auf Angriffe von agra- risck>er Seite, daß er in einer Versammlung bei Besprechung der Agrarfrage gesagt hat, die Centrumsfraction prüfe selbst verständlich die Wünsche aus landwirthschaftlichen Kreisen ge wissenhaft. „Aber sic hat es stets als unehrenhaft abgelehnt, für Forderungen einzutreten oder Versprechungen zu machen, die sich von vornherein als unerfüllbar oder als unausführbar darstellten, und die dann später nichts Anderes zurücklassen als bittere Enttäuschung." Herr Roeren constatirt nun ausdrücklich, daß er einzig und allein die „Neußer Beschlüsse" und den Antrag Kanitz bei jener Ausführung im Auge hatte. Er halte den Antrag Kanitz für unausführbar und unerfüllbar, und da wäre es unehrenhaft, nun trotzdsm für solche Beschlüsse einzutreten. Herr Roeren schließt: „Uebrigens habe ich mich in ganz gleichem Sinne, wie auf der Xantener Versammlung, schon auf einer Reihe von Versammlungen, über die Agitation des Plötz'schen Bundes der Landwirthe und seiner Helfershelfer in Rheinland und Westfalen ausgesprochen und werde dies auch ferner thun auf allen Versammlungen, auf denen ich eine Be sprechung dieser gewissenlosen Verhetzung unserer katholischen Bevölkerung gegen ihre treuesten und bewährtesten Vertreter für angezeigt erachte." L Berlin. 18. Februar. (Telegramm.) Der Kaiser und di« Kaiserin geleiteten gestern Mittag die Prinzessin Heinrich bei ihrer Abreise nach dem Lehrter Bahnhof und besuchten Nachmittags das Atelier des Bildhauers Schott. Gestern Abend fand ein größeres Diner zu Ebren des Großberzogs von Sacksen-Weimar statt. Heute Nachmittag wird im Schloß eia Kriegsspiel abgehaltrn. 1880 angehört. Nächst Bennigsen der hervorragendste Führer der nationallibrralen Partei, hat Miquel den grund legenden Gesetzen de» neuen Reiches an zahllosen Stellen seinen Stempel aufgedrückt und zwar die» vorzüglich nach der doppelten Richtung der Erweiterung der Befugnisse de» Nationalstaates und der liberalen Gestaltung seiner Einrich tungen. Insbesondere gebührt ihm ein großer Antbeil an der Ausdehnung der ReichScompelenz auf die Zustizgesetzgebung, um deren Zustandekommen er sich, als Rechtskundiger nicht geringer denn al» VerwaltungS- und Finanzmann, nachmals große Verdienste ertborben hat. Namentlich bei diesem Werke zeigte sich Miquel al» Meister der Kunst, möglichst viel zu erreichen, ohne um minder wichtiger Dinge willen daS Ganze zu gefährden. Er war, wo e» Noch that, einer der besten Vertreter jener Comprormßpolitik, die, einst so viel verlästert, nun al« ein Ruhmestitel der nationalliberalen Partei galt und auch gelten würde, wenn die Lästerer von damals neuerdings nicht selbst und gerade bei den schon in den siebziger Jahren strittigen Punkten der Iustizgesetzgebung in Len Spuren der National liberalen gewandelt wären. Das Verhältniß Miquel's zu der von ihm mit begründeten Partei war vielleicht zu keiner Zeit so geartet, wie eS sich zwischen seinem Landsmann v. Bennigsen und den National liberalen herausgebildet hatte. Möglich, daß des gewandten, auSkunstsreichen und schmiegsamen Mannes Politik nicht so groß angelegt erschien, um ibm in Augenblicken, wo die Kritik des einzelnen Abgeordneten hinter das Vertrauen zu dem Führer zurücktreten mußte, die Gefolgschaft zu sichern, mit der Bennigsen dem Fürsten Bismarck manche Schicksal stunde des Reiches entscheiden half. Jedenfalls glaubte sich Mancher in Miquel einer Sphinxnatur gegenüber. Aber als ein positiver Politiker hat er allen Parteigenossen gegolten und dieses Urtheil glänzend gerechtfertigt durch die Schöpfung des Heidelberger Programms, von dem die Erneuerung der nationalliberalen Partei datirt. Als Minister, wenn nicht schon früher, hat Miquel den Parteimann völlig abgestreift und unsere Freunde in den Parlamenten haben sich auch niemals Rechnung auf ihn als solchen gemacht, wenn auch das über seinem in der Angelegenheit des Zedlitz'scheu Schulgesetzes und neuerdings in der Vereinsgesetznovelle gelagerte Dunkel Verwunderung erregte. Aber wir glauben nicht, daß in dem einen wie in dem anderen Fall ein ehe maliger Parteigenosse de« Ministers abgeneigt gewesen wäre, die Möglichkeit zuzugeben, daß Herr Miquel sich von Beweg gründen leiten ließ, die vom liberalen Standpunkte verständlich waren. Keinesfalls hat es dem Minister v. Miquel an der Unter stützung der früheren Parteifreunde gefehlt, aber grundsätzlich konnte es ihnen auch nicht schwer fallen, ihm beizuslehen. Sein Ruhmeswerk, die große Steuerreform, ist die Erfüllung aller nationalliberaler Forderungen gewesen, seine preußische Mittelstands- und Agrarpolitik begegnete nationalliberalen Gedanken und bei der leider noch nicht geglückten Bemühung, die Reichsfinanzen zu ordnen, waren unsere Freunde seine natürlichen Bundesgenossen. Daß sie auch die Kerntruppe einer Politik der Sammlung, der Reinigung und Verein fachung de« Parteiwesens bilden wird, dessen ist Herr v. Miquel sicher. Unser GeburtStagSwunsch ist, baß es ihm ge lingen möge, mit diesem Werke die Arbeit seines Lebens zu krönen. die Führer der letzteren jede Bindung irgend welcher Tarife, wie die Tarifverträge selbst, unbedingt zuruckwrisen. Weiter wird von den agrarischen Führern die sofortige Kün digung unserer Meistbegünstigung-Verträge verlangt. Auch diese Forderung richtet sich gegen das dringende Interesse der exportirrnden Industrien. Es wird s. Z. beim Ablauf der Verträge zu erwägen sein, ob die Meistbegünstigung künftig noch anderen Grundsätzen al» bisher geregelt werden muß. Eine vorzeitige Kündigung der Meistbegünsligungrverträge aber würde unserer In dustrie die Möglichkeit des Wettbewerbes in höchst wichtigen Absatz gebieten abschneiden und sie schwer schädigen. Endlich kann der Widerstand der Landwirthschaft und besonders der agrarischen Führer gegen die Erweiterung der Verkehrsmittel Lurch einen planmäßigen Ausbau von Wasserstraßen nicht unbeachtet bleiben. Derselbe ist häufig im Abgeordnetenhaus» und nun jüngst in den Verhandlungen d«S preußischen LandeS-Oekonomie- Eollegium« hervorgetreten, trotzdem der Minister der öffentlichen Arbeiten erklärte, daß die Eisenbahnen auf die Dauer nicht mehr im Stande seien, den sich immer mehr steigernden Güterverkehr zu bewältigen. Für die Industrie ist die Vermehrung und Vervoll kommnung der Verkehrswege, sind besonders niedrigere Transport kosten LrhenSbedingungen; jener Widerstand ist daher gleichfalls gegen die Interessen der Industrie gerichtet. Wir haben es für unsere Pflicht erachtet, die Aufmerksamkeit der Industrie auf di« Haltung dec agrarischen Führer in der Han dels- und Verkehr-Politik zu lenken; diese Haltung ist säst aus- nabm-Ios bisher von der Landwirthschaft mit Beifall begrüßt und gebilligt worden. Die Industrie wird reiflich zu erwägen haben, ob ihre vitalsten Interessen »« ihr unter den dargelegten Verhält- nisten gestatten, sich der Landwirthschaft anzuschließen, oder dem Ruse nach Sammlung zu folgen, bevor nicht vollkommen un- anzweifelbare, sichere Anzeichen dafür vorliegen, Laß die Landwirth- schäft nicht beabsichtigt, den agrarischen Führern in ihrer gegen die Interessen der Industrie gerichteten Haltung weiter zu folgen." Bezugs-Preis At der Hauptexpedition oder den im Stadt« bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgebalt: vierteljährlich^4^0, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestäbrlich ^il S.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung i>» Au-land: monatlich 7.50. Industrie und Landwirlhschaft. Ueber die Stellung der Industrie gegenüber den neuesten programmatischen Kundgebungen der Agrarier bringt die „Deutsche Industrie-Ztg", das Organ des Central- verbaodeS deutscher Industrieller, einen von dem General- FabrikationSmetboden kennen zu lernen, blieben nicht ohne nachhaltigen Einfluß auch auf andere Wirtschaftszweige, da er dort da« kaltblütige belgische Pferd kennen lernte, das sich als besonders geeignet erwies, schwere Lasten im lang samen Zuge fortzubewegen, und das er daher für die Rübengegenden nicht nur theoretisch empfahl, sondern auch in erheblichen Mengen rinführte und mit gutem Erfolge selbst züchtete. Daß es unter diese» Umständen nicht lange dauern konnte, bis Sombart in die Direction de« landwirthschaft- lichen Centralvereinö der Provinz Sachsen und in daS königl. Landesökonomiecollegium gewählt wurde, das wird Jedem begreiflich sein, der sich daran erinnert, daß zu damaliger Zeit die Wahlen in die laodwirth- schaftlichen VertretungSkörperschaften im Wesent lichen von hervorragenden persönlichen Leistungen im landwirthschaftlichen Betriebe abhängig waren. Sombart'S Wirksamkeit im Centralverrin wurde bald eine sehr bedeutende, ja vielfach maßgebende; in allen technischen Fragen galt er al» Autorität, und die Anregungen, die er auf den verschiedensten Gebieten des landwirthschaftlichen Betriebe» gab, sind mir, der ich damals zu den Jüngeren gehört«, gleich vielen Anderen unvergessen geblieben. Mit der Zeit freilich trat in seinem intimen Verhältniß zum Centraloerein eine fühlbare Acnderung ein; die agrar politischen Interessen traten naturgemäß mehr und mehr in den Vordergrund, und die große Mehrzahl der Land» wirthe wandte sich mit Entschiedenheit von dem politischen und wirtbschqftlichen Liberalismus ab, während Sombart, der inzwischen auch in da» Abgeordnetenhaus gewählt war, sich dort dem sogenannten linken Centrum angrscblossen hatte. — Ta« führte mit der Zeit zu wachsenden Spannungen, die aber doch, wie mir scheint, zum größten Theil weniger auS principiellen Gegensätzen al« au« parteipoliti schen Motiven derau«wuchsen. Mochte nämlich Sombart auch in rein politischen Fragen und in der Werthschätzung constitutieneller Staatsformen weiter link« sieben al« die meisten seiner Beruf«genossen, so war er doch in einem für di« ganze Agrarpolitik grundlegenden Puncte sogar noch erheb lich konservativer al» viel« seiner Gegner, nämlich in der vr. Johannes v. Miquel. K Die der zweiten Hälfte unsere» Jahrhundert- eigen- thümliche große Anzahl von deutschen Staatsmännern, die eine im frühen Mannesalter gewonnene starke Bedeutung ungeschmälert in das achte Jahrzehnt ihres Lebens hinrin- brinHen, vermehrt sich heute um eine besonders gewichtige Persönlichkeit. Inmitten lebhaften Kampfes und reichen Schaffens wird Johannes v. Miquel ein Siebzig jähriger. Körperlich darf er, nachdem ein nicht geheuchelte« Ruhebedürfniß wieder geschwunden, sich mit Moltke messen, der im gleichen Aller — im Feldzuge deS Jahres 1870 — stets zu den Zungen sich rechnete, und wie das geistige Feuer in dem thatsächlicben Präsidenten und thatsächlichen Sprech minister des preußischen Ministerium- lodert, haben die jüngsten Wochen und Tage gezeigt. So hat sich Miquel dagegen ge sichert, beute Beglückwünschungsartikel lesen zu müssen, die als politische Nekrologe gedacht sind. Vielleicht erblickt ihn, da die Umbildung der Regierung mehr als eine Redensart zu werden begonnen hat, der Beginn deS Patriarchenalters noch nicht einmal auf der vollen Höhe seines Wirkens, sondern im Weiterschreiten — wenn nicht der äußeren Stellung nach, so doch nach dem Inhalte des TbunS. Wie immer aber dieses Leben sich in der Zukunft noch gestalten möge, jene Vergangenheit bis zum heutigen Tage wirb, wie sie den Zeitgenossen einen Rückblick reizvoll macht, auf bedeutsamen Blättern deutscher Geschichte Platz finden. Miquel ist ein seltener Mensch von seltener Laufbabn. Aber es macht diese Persönlichkeit doppelt interessant, daß ihr bei aller Sonderart Las Typische für ihre Zeit nicht fehlt. Der von dem niedersächsischen Wesen in vielen Zügen abweichende und vielleicht noch von dem französischen Blute seiner Vor fahren beeinflußte Hannoveraner kleinbürgerlicher Herkunft hat alle die Phasen der politischen Entwickelung durchlaufen, an deren Ende das Vaterland ein Bürgerthum besitzt, daS ein großer Moment nickt als kleines Geschlecht vorfand. Im Jahre 1848, als junger Göttinger Student, ging Miquel sogar über den tagesüblicken Radikalismus hinaus; die Svcialdemokratie hält ihm dies noch heute gerne vor, ob wohl sie klüger verschwiege, daß ihre oder den ihrigen ver wandte Ideen eine scharfblickende, keineswegs von gemeinem Ehrgeiz beherrschte und — was das Wichtigste ist — zeitlebens socialpolitisch gerichtete Persönlichkeit nicht fest zu hallen vermocht haben. Wie lange sich der Most in dem jugendlichen Feuerkopfe absurd gebervet, wissen wir nicht. Heiausgetreten ist Miquel aus jener Sturm- und Drangperiode als ein für daS höchste politische Ideal des Jahres 1848, das nationale, mit Be geisterung erfüllter Mann, der fick aber wohl bewußt ge blieben war, daß die deutsche Einheit des Kittes bürgerlicher Freiheit nicht entrathen könne. Miquel wurde einer der Begründer und eifriges Mitglied des Nationalvereins und des deutschen Abgeordnetentages, während er gleichzeitig als Schriftsteller das verrottete volksfeindliche Regiment seines Heimathlandes schonungslos bekämpfte, charakteristischer Weise vorzugsweise aus finanzpolitischen Gesichtspunkten. Der Umschwung des Jabres 1866 bot der außerordentlichen Be gabung, die er bereits als Gesetzgeber bekundet batte, ein WirkungSfeld, da« fast unermeßlich, aber nicht größer war als seine Leistungsfähigkeit. Miquel trat 1867 in da- preußische Abgeordnetenhaus (das er 1882 in seiner Eigenschaft als Oberbürgermeister von Frankfurt a. M. mit dem Herrenhause vertauschte) und in gleichem Iabre in den Norddeutschen Reichstag ein; dem deutschen Reichstage hat er zunächst von dessen Begründung bis zum Iabre 1877 und dann wieder von 1887 bis zu seiner Ernennung zum Finanzminister im Jahre Erkenntniß der hoben Bedeutung, welche ein kräftiges Bauernstand für die Gesundheit des Landes wie für dar Heil der Monarchie besitzt! Darin ließ er nicht mit sich spaßen; seine Anschauung über die Stellung des jeweiligen bäuerlichen Besitzers zum Bauernhof« selbst war durchaus die dem niedersächsischen Stamme und dem deutschen Neckte eigentbümliche. Nack ihm bildete das Bauerngut, an dessen Erhaltung dem Staate überhaupt etwas gelegen sein konnte, eine untheilbare Wirtschaftseinheit, die naturgemäß nur von einem — dem Anerben — als Hort der Familie ererbt und besessen werden konnte. Natürlich nahm er e- auch mit der Bewerthung der dem Anerben zufalleuden sittlichen Pflichten gegen den Staat und Familie sehr ernst; um ihm aber dir Möglichkeit zu gewähren, diesen Aufgaben zu ge nügen, nahm er auch die Consequr nzen des Anrrbenrechts, Beschränkung der Pflichtthrile und Uebernahme deS Gutes nach dem ErtragSwerthe, mit in Kauf — sich darin von der Mebrzabl seiner politische» Freund« merklich unterscheidend. — Als Hauptübel der gesammten Landwirthschaft galt ihm, abgesehen von dem Druck der auswärtigen Coucurrenz, den ec in steigendem Maße zu würdigen wußte, ein doppeltes: die Ueberlastung de» Grundbesitze» mit un productiven Schulden und der Mangel einer durch eigenen Besitz m itdemkandeverbnudenenArbeiter- Bevölkerung. — Die Beseitigung dieser beiden Grundübel hielt er für die wesentlichste Aufgabe unserer inneren Agrar politik. Ohne die Renteotheorie von Rodbertu» durchaus zu vertreten, und obue deren Unzulänglichkeit bei stetig sinkendem ErtragSwerthe zu verkenne«, war er doch ein entschiedener Gegner der rein kapitalistischen Auffassung de» Grundbesitzes und erkannte die socialpolitische Bedeutung eine« festen, der Spekulation nicht unterworfenen Besitz stände» in höchstem Maße an. „Ich bin", so äußert« er ein mal, „keineswegs ein Gegner de» Großgrundbesitze», ich er achte ihn vielmehr sowohl in wirthschaftlicker al« politischer Hinsicht in einem monarchischen Staate für aeboten . . . .; hingegen ist der bankerotte Theil de« Großbesitze« so wohl au« wirtbschaftlichen al« au» socialpolitisch«« Gründen zu beseitigen und zum Theil — den verschiedenen Provinzen entsprechend — durch Bauern zu ersetzen: d. h. e« muß hier «in« staatlich geleitet« Eolouisatton vermo-e der Reuten» Änton Ludwig Sombart.*) Wer in Berlin während der letzten Jahre Abends die schattigen Straßen der westlichen Stadt wanderte, be gegnete wohl bisweilen einem ehrwürdigen Herrn, dessen auffallend gerade und elastiscke Haltung sei» hohes Lebens alter kaum errathen ließ, dessen vorsichtige« Tasten bei den Straßen-Uebergängen aber den Beweis gab, daß ihm die edelste Himmelsaade, da« Lickt der Augen, nur noch in spär lichem Maße beschieben sei. DaS war Vater Sombart, der niemals Klagende und Murrende, in seiner Stimmung immer der Gleiche; eine vorbildliche Erscheinung für alle im Spät herbste deS Lebens Stehenden und nun ein Gegenstand herz erquickender Erinnerung für Alle, die ihm nahe zu treten daS Glück batten. — Wie bei edlen Naturen das Erlöschen der Sehkraft häufig eine Concentration der inneren Kräfte zur Folge bat, die dem Charakter seine höchste Vollendung und Weibe giebt, so war eS auch bei ibm; seine dereinst so lebhaft«, scharf dia lektische und dem Gegner oft bart zusetzende Eigenart machte mehr und mehr jener überlegenen Rübe und nachsichtigen Beurtheilung der Personen und Dinge Platz, dir nur dem Weisen beschieben ist und die als daS gemeinsame Ergebniß reicher Erfahrung und innerlicher Vertiefung anzusebrn ist. In diese- Stadium geistiger Edelreis« war Sombart bereits seit geraumer Zeit getreten, als er der Unsrige wurde und in Gemeinschaft mit einigen gleichgesinnten Männern den Ausschuß für Wohlfahrtspflege auf dem Lande, al« besonvere Adtbeilung der Centralstelle für Arbeiterwohl- fahrtSrinrichtungen, in» Leben rief. Der Umstand, daß er sich noch in hoben Jahren in so nachdrücklicher Weise einem Bestreben zuwandtr, dessen *) Unserem kürzlich Heimgegangenen Parteigenossen widmet der LandrSökonomierath Robbe den vorstehenden Nachruf, den wir der Zeitschrift „Da« Land" mit Genehmigung ihre« Herausgeber« Heinrich Sotznrey entnehmen. Di« Red. günstigen Einfluß auf das öffentliche Leben er zu schauen I Belgien, die er zu dem Zwecke unternahm, die dortigen nicht mehr hoffen durste, spricht ebensowohl für die seltene - Uneigennützigkeit seiner Natur, wie für dir sociale Wichtig keit, die er den ländlichen Wohlfabrtsbestrebungen und der Förderung unserer für das Staatswohl so hochwichtigen Land bevölkerung beimaß. Im vollen Umfange aber werden wir sein Interesse an den Ausschußbestrebungen nur dann wür digen können, wenn wir einen Blick auf sein Leben und seinen geistigen Entwickelung-gang werden geworfen haben. Anton Ludwig Sombart ist am 14. September 18l6 zu Hau» Brück bei Hattingen a. d. Ruhr geboren, widmete sich dem Landmefferberuf und stieg bald vom Geometer zum SpecialcommissariuS im Dienst der Generalcommission der Provinz Sachsen auf. In dieser einflußreichen, für da» Studium der ländlichen Bevölkerung und ihrer eigenthüm- licken Interessensphäre besonder» geeigneten Stellung er warb er sich jene reichen Kenntnisse deS deutschen Bauern- tbumS, seine» Charakters, seiner Bedürfnisse und seiner Rechtsanschauungen, die ihm später, als sein Blick sich mehr der socialen Seite unserer wirtbschaftlichen Entwickelung zuwandte, für sein bahnbrechende« Wirken maßgebend geblieben sind und daS Gelingen seiner Schöpfungen auf diesem Gebiete mitentschieden baden. Zunächst freilich schien seine Entwickelung einen andern Weg nehmen zu wollen. Ai« er — eS mag kurzvor 1850 gewesen sein — das Grobgut ErmSlrben im ManSfelder Gebirg-kreise erwarb und sich ganz der praktischen Land- wirtbschaft widmete, warf er sich mit der ibm eigenen Energie ausschließlich auf die Vervollkommnung deS landwirtbsckaft- licken Betriebe» und auf die Zuckersabrikation. Unrichiig freilich würde e» sein, wenn man Svmbart, wie e» wohl bis weilen geschiebt, al« den eigentlichen Begründer der ratio nellen Zuckerrübencultur in der Provinz Sachsen ansehen wollte, denn eine solche bestand sckon lange, bevor er die Zuckerfabrik Erm-lebrn in- Leben rief, und die stetige Ver besserung der Tecknik wie de- Rübenbaues ist ein so allgemeine» Verdienst der Chemie wie der Landwirthschaft, daß e« un gerecht sein würde, einem Einzelnen da« volle Verdienst zu- zusckreiben. Gleichwobl erzielte er auch auf diesem Gebiete große Erfolge; seine Zucker wurden auf der ersten Pariser Ausstellung mit hohem Preis« bedacht, und seine Reisen nach
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