Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980221021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898022102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898022102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-21
- Monat1898-02
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Abend-Ausgabe. KlMger.TaMait Anzeiger. Amlskkatt ies Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nokizei-Ämtes der Liadt Leipzig. M«zeige«'Prei- -die 6 gespaltene Peützeile SO Ps^ Nerlamr» «at« dem RrdactionSstrick (4g» Walten) ÜO^. vor den Familieanachrlcki«» (Sgespalte») «U^z. Lrvgere Schriften last nufere» Preis- verztichniß. Labellarijchrr »ad Zisferajatz nach höhere« Taris. Extra»Veilagea (gefalzt), aur mit d« Morgen-Ausgabe, ohae Postbeförderun^' M.—, mit Poftbesörderuug 70.—. ÄnvahmeschlvL für Anzeigen: Ab »ad-Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. viorgea-Au-gabe: Nachmittag» »Uhr. Bet de» Filiale« »ad Annahmestelle» je eia» halbe Stund» früher. Anzeigen sind stet» an die Sxpe-ltio» zu richten. LrnS und Verlag von L. Pol» ia Leipzi- Montag den 21. Februar 1898. 92. Jahrgang. Regierungspräsident von Köslin (dessen Bezirk das conservativ« Paradies bildet. Die Red.) hat schon seinen Beamten die Be stimmungen de» Befetzes eiugefchärst. Herr v. d. Recke fügte hinzu, daß die unter dem Verdachte der Dertdeilung svciaidemokratischer Schriften erfolgte Verhaftung „Rektifikation" nach sich gezogen habe. DasbatteHerrNickertschon erwähnt, er halte aber zugleich mitgelheilt, daß der betreffende Landrath auf Beschwerde einen ungenügenden und bvchfabrenden Bescheid batte ergeben lassen und erst der Regierungspräsident in angemessenem Tone von der „Neclificirung" der Schuld tragenden Kennluiß gegeben batte. Hinsichtlich der übrigen verübten und noch zu erwartenden Kantschukoff-Streiche ist man in Preußen auf die heilsamen Wirkungen des dem Minister ia die Glieder gefahrenen Schrecken» angewiesen. Allzuviel darf man sich aber nicht davon versprechen. Ein Mi nister, der .hofft", daß künftig da» Gesetz von Staatsbeamten gerecht gehandhabt werde, bietet nur schwache Garantien für die Erfüllung. In Bulgarien mag rin oberster Ver waltungschef ja auf den guten Willen feiner Untergebenen angewiesen sein, in Preußen braucht ein Minister, der seiner seits will, eS nicht dem Glück anheimzustellen, ob nach feinen Vorschriften verfahren werbe. Die ministerielle Ent schlossenheit scheint aber nickt von der Art, um die Beamten in Pommern zur Beobachtung der Gesetze au- zufeuern. Herr v. d. Recke hat über die Remedur wegen der erwähnten Verhaftung bemerkt: „Worin die Reclification besteht, ist ein Internum zwischen den Vor gesetzten und dem Beamten." DaS ist aber nur so lange eine erträgliche Maxime, als die Oeffentlich- keit erkennt, daß die „Rektifikationen" ihren Zweck erfüllen. Davon war aber bisher in Pommern keine Rede. Es sind im vorigen Jahre Beamten-Maßregeln rectificirr worden, die harmlos waren im Vergleich zu de» setzt wieder bekannt geworbenen Beamten-Ausschreitungen. Trotz dem sind diese vorgekommen; die bisherigen „Rektifikationen" scheinen also nicht auf abschreckende Wirkung eingerichtet gewesen zu sein. DaS Abgeordnetenhaus hat aber ein Recht, zu sehen, ob Beamten, die dem Gesetz ins Gesicht schlagen, ein Ernst gezeigt wird, der ihnen unv ihren mit den gleichen , Plinioren" sich tragenden College» dieWiederhol-nz und Nach ahmung verleidet. Der Landrath von Stolv, der, so weit wenigstens bekannt ist, die jetzige Aera der RecklSverböhnung in Preußen inaugurirt hat, sitzt aber noch ruhig in seinem Amt und ist offenbar gar nicht „erschrocken". Der Schrecken des Herrn v. b. Recke macht diesem alle Ehre, aber besser wird «S erst, wenn er Schrecken verbreitet. Sonst werben die betreffenden Beamten den heiteren Beifall der kon servativen Fraclion des Abgeordnetenhauses stärker aus sich wirken lassen, als die GemütbSbeweguug des Herrn Ministers. Zum Mißbrauch ihrer Gewalt neigende Beamte werben durch die Sonnabend-Rede ihres höchsten Vorgesetzten schon deshalb nicht sonderlich eingeschücktert sein, weil Herr v. d. Recke in demselben Alhem, in dem er die Ausschreitungen beklagte, seinem Schmerze darüber Ausdruck gab, daß das Abgeordnetenhaus sich geweigert bat, Beamten, die selbst ihrem Chef Schrecken einzujagen vermögen, mit dem Ver ein sgesetze noch weitere, dem Mißbrauch besonders aus- gesetzie Befugnisse zu gewähren. In Wirklichkeit ist niemals ein- dringlicher gegen die lex Recke gesprochen worden, als vorgestern von ihrem Vater oder Tauspaihen, und wenn die Wirkung dieser Rede noch durch etwas gesteigert werden konnte, so war es der vorbergeganzene Freudenschrei, mit dem die, wie schon bemerkt, sehr viele Beamte zählende konservative Fraktion die Erzählungen von empörenden Ungesetzlichkeiten be gleitet hatte. Es käme einem Selbstmorde gleich, würde daS preußische Büraerthum diesem Elemente neue Waffen in die Hände geben. H eut e wird übrigens Hcrrv.d. Recke noch zu einer sehr bedeutsamen Erklärung sich genötbigt sehen. Am Sonn abend verflieg sich nämlich der Abg. Dr. Hahn, Direktor beS Bundes der Lanbwirthe, nachdem er die drei Hildesheimer Lanvrälhe ia Schutz genommen hatte, zu der Auslassung: „Die Politik der Negierung ist eine Politik der Sammlung. Diese erfolgt unter derjenigen Fahne, die am meisten Erfolg ver spricht, daS ist der Bund der Landwtrthe. Die Landräthe sind somit der Politik der Regierung gefolgt." Da bekanntlich die drei Landräthe reclificirt worden sind, so ist diese Behauptung eine Provokation der Regierung, wie sie stärker kaum denkbar ist. Herr v. d. Recke wird daher im Einvernehmen mit seinen College» sich zu erklären haben, ob die Regierung sich von Herrn vr. Hahn den Mittelpunkt der zu sammelnden Elemente vorschreiben und der von ihm auS- gegebenen Parole sich unterwerfen will. Die von dem Staatssecretair v. Bülow dem Eentralvorstande de» Evangelischen Bundes auf seine Ein gabe an den Fürsten Hobeulohe ertheilte Antwort hat be greiflicherweise im ultramontanen Lager ebenso hohe Freude erweckt, wie in jenen Kreisen, die am liebsten mit dem Centrum sich „sammelten". Andere Kreise hat diese Antwort ebenso befremdet wie unS. Die „Nat.-Ztg." ist allerdings der Meinung, der Bundesvorstand habe die Bedeutung der Vorgänge bei der Feier beS letzten GeburtStagS deS Kaiser in Rom übertrieben, aber sie urtheilt gleickwohl: „Während früher die in Rom lebenden Deutschen den Ge- burtöiag deS Kaisers gemeinj am frierten, batte» in diesem Jahre die dortigen deutschen Klerikalen zum ersten Mal eine gesonderte Feier veranstaltet, und zwar mit der ausdrück lichen Motivirung, daß sie nicht an einem Hoch auf den König von Italien Theil nehmen wollten. Es konnte ivmit keinem Zweifel unterliegen, daß hier eine klerikale Demonstration beabsichtigt war. Vielleicht wurde sie er leichtert durch den zufälligen Umstand, daß der deutsche Bot« ^'basier beim König von Italien, Herr von Saurmo-Jeltsch, um die,e Zeit auf Urlaub gegangen war; er hätte dir Temonstration vielleicht durch einen Hinweis auf ihre Mißlichkeit verhindern könne». Wie dem auch sein mag: es war nach unserem Tasnrhalteu ein Fehler, daß der preußische Gesandte beim Vatikan, Herr v. Bülow, die an ihn gerichtete Einladung der Veranstalter zu der Sonderseier onnohm; er ist der Vertreter des Königs von Preußen beim Papste, nickt bei den in Rom leben den deuijchen Klerikalen. Bei der Feier nun hat der Gesandte von Bulow den Toast auf Len Kaiser und den Papst ausgebracht, über welchen der Vorstand de» Evangelischen Bundes sich beschwerte und dessen Unversänglickkeit der Slaatsjecntair des auswärtigen Amtes >o geschickt vcrideidigt hat, wie man — eine Nngrschick- lickkeit veriheidlgen kann. ES ist ganz richtig, daß, wie der SiaatSsecretair ausführt, der Papst die Stellung eines SouverainS einnimmt und daß bei der Feier von Kaisers Geburtstag im AuSlande ein Toast aus den Souvcrain, in dessen Land« die Feier statlfindel, ausgebracht wird; aber die Feier der deutschen Kleri kalen hat nicht im souverainen Gebiete de» Papstes, sie hat nicht im Vatikan, sondern sie hat aus königlich italienischem Gebiete sratlgrsuuden, und deshalb scheint uns die Vrrtheldigung, mit der das Auswärtige Amt den Gesandten zu decken sucht, nicht ausreichend. Tie Verbindung eines ToasteS auf den Papst mit dem aus den Kaiser war nicht geboten. Doch wir legen überhauvl auf diesen Toast nicht das hauptsächliche Gewicht; »in Mißgriff Les Gesandten bestand uach unterer Meinung schon darin. Laß er die klerikale Demonstration, welche in der zum Vez«g--Prett M ß» Hmept^pedittv» Mr tz« G, tzftM bezirk «d d« Vororte, «richtet« ARtz- atwestev« «hgrtzolt: vierteljährlich «k uveimaliger täglich« 8»ft«ll»« i»O Halt» ^il bLL Durch die Post bezog« fßr Deutschland und Oesterreich: »irrtest ihritch Gi—. Dteea» tägliche Kreuzbands«-»» ß» lUiAlaudt M""-eilch Di» Morge»-«u«aab, «scheiut um '/.? MV bt» Blbeud-LuSgab« Wochentag« «u b Uhr, Uüartim Lrvr-itto»-! G. Di» Expedition Wochentag« uunnterbroch« »»ssul — früh 8 bt« Abend« 11M /Male«: k!tt« KI«»«.» Eortt«. (Alfred Hechte), Uuiv«si1Lt«straße 3 iPaulluumj, Laut» Lisch«, Rslhai Is«str zch «uP uud kkSnfg*t-^» 2, 83. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2i. Februar. Während der Reichstag am Sonnabend auf die erste Beratdung der DampfersubveutionSvorlage noch eine volle Sitzung verwendete, die lediglich bewies, daß sie ent behrlich gewesen wäre uad auch ohne sie die Vorlage an «ine Commission hätte verwiesen werden können, spielten sich im preußischen Abgeordnetenhaus« bei der Weiterberathung de« EtatS deS Ministerium« des Innern interessante Scenen ab, in denen die conservativen Mitglieder des HauseS eine sehr bemerkenSwerthe,ihre Neigung zur „Sammlung" ganz eigen artig beleucklende Rolle spielten und Herr v. d. Recke, der an den vorbergegangeneu Tagen den grober Willkürakte be schuldigten Verwaltungsorganen eine sehr weitgehende Tole ranz bewiesen hatte, zu einem Rollenwrchsel sich genötbigt sah. Sei «S, daß zwischen Freitag Abend und Sonnabend früh bei ihm „etwas einzetroffen" war, sei eS, daß daS parlei- «vnservative Erz um seine Brust doch nicht jeder Temperatur widersteht, jedenfalls vergaß ver Minister am letztgenannten Tage sein herausfordernd gleichmäßiges Lächeln und zeigte sich als Minister eines Rechtsstaates. Der Auftritt war nicht ohne dramatischen Reiz. ES war Herr Rickert, der Be schwerden vortrug, derselbe Abgeordnete, der selbst gesagt hat, eS sei nun einmal sein Schicksal, im Parlament ausgelacht zu werden. Aber eS giebt Nackrichten, denen auch der Mund der lustigen Person nichts von ihrem Ernst nehmen kann. Und Herr Rickert berichtete Verfälle, die man selbst in ver von dem Oberpräsiventen v.Pultkamer regierten Provinz deS vo» dem Herrn v. d. Recke administrulen Preußen für un möglich gehalten hätte. Die Conservativen aber lachten, nicht über den Erzähler, sondern weil ihnen die erzählten Dinge „diebischen" Spaß machten. Man bat einen Mann der freisinnigen Vereinigung auf einer Reise gefragt, ob er irgendwo — socialdemvkratische Blätter vertheilt habe, und ihn, als er natürlich verneint batte, doch aus der Eisenbahn herausgebolt, zum nächsten Ainlsvorsteher gesckleppt und dann selbstverständlich, nachdem sein Zug abgefahren war, wieder entlassen. Die Conservativen lackten über diesen köstlichen Witz und sie jubelten, als sie hörten, daß eia an derer Beamter von den Ihrigen die Abhaltung einer Ver sammlung oeö „Nordost" dadurch vereitelte, Laß er die An nahme eines eingeschriebenen Briefes verweigerte, von dem mit Bestimmtheit anzunehmen war, daß er die gesetzlich vor geschriebene Anmeldung enthielt. Es wurden noch andere, mindestens ebenso schreiende Fälle von Verhöhnung deS Gesetzes mitgelheilt, aber die Heiterkeit der zum guten Thcil aus Staatsbeamten bestehenden conservativen Fraclion wurde dadurch nur nock gesteigert. War dock, waS sie da börte, nicht nur an sich lustig, sondern auch zu ibrem politiickcn Vortheile geschehen. Daß die Regierung diese Dinge mit anderen Augen anseben könnte, siel ihnen nickt ein, brauchte ihnen auck nicht einrufallen. Sie wußten ja die Urheber dieser humoristischen Rechtswidrigkeiten un behelligt in ihren Aemtern. Es kam aber doch anders; Herr v. d. Recke erhob sich und erklärte: Zu meinem Äedaucrn muß ich sagen, daß ich über die Hand- babuu« de« Verein«- und Versammlung-rechtes in gewissen Theilen von Pommern geradezu erschrocken bin. Ich habe rnisprrchende strenge Weisungen gegeben und ich hoffe, daß eine gerechte Hand habung de» Gesetzes auch ia Pommern eiutretrn wird. Der Feuilleton. Durch eigene Lrast. 7j Roman von Alexander Römer. Nachdruck verioitn. „Sie?" Ottilie sah ihn maßlos erstaunt an. „Sie leben ja in Ihrem Elternhause — aber freilich — haben Sie nie diese« Dorf verlassen?" Während sie ihn ansah, dämmerte ihr der Gedanke, daß dieser Mensch wohl auch noch Anderes forderte, als was ihm gewährt wurde. „O, es ist mir so entfahren", stotterte er, „ich wollt« nicht von mir sprechen. Ihnen nur zum Trost sagen, daß auch Andere kämpfen und leiden, und daß man sich schließlich befriedig! fühlen und seine nothrvendigen LebenSforderungrn sich doch be schaffen kann, wenn man treu auSharrt, sein« Pflicht thut und mit offenen Augen um sich schaut. Da wird man oft gewahr, wie daS, wonach man verlangt, auch seine tiefen Schatten hat." Ottilie fing an, sich mehr und mehr für ihren Begleiter zu interessiren. Er sprach wunderbar gebildet und er sah eigentlich sehr gut auS. Dieses gebräunt« Gesicht mit der regelmäßig ge bildeten Nase, dem weichen, von blondem Schnurrbart beschatteten Mund, dem an den Schläfen leicht sich kräuselnden Haar war hübsch, und dann — in der öden Einförmigkeit ihrer jetzigen Tage erschien ihr dies wie ein Abenteuer, wie eine kleine Episode von prickelndem Reiz. Sie hatte noch keine Erfahrungen mit Cour machern eingesammelt; dieser ließ sich als eia solch« an, jeden falls hatte ihre Person auf ihn Eindruck gemacht, er würde nicht an Jede so viel Theilnahme verschwenden. Sie stellte bei sich fest, daß er ein sehr guter Junge sei. Ottilie fragte ihn jetzt eifrig nach seinen Erlebnissen; es zer streute sic, eS war ihr ein Trost, von dm Kämpfen einer anderen Seele zu hören. Sie sprach ein wenig herablassend, beinahe gönnerhaft, bis Ludwig's eigenthümlicheS Lächeln sie verwirrte, und sic fühlte, daß sie roth wurde. „Das lohnt sich nicht der Mühe", erwiderte er kühler, als vorhin, „meine Erlebnisse sind nicht interessant. Ich bin der einzige Sohn meiner Eltern, und mein Pater ist «n sehr ver ständiger Mann, wenn er auch keine Bildung besitzt. Ich wollte höher hinaus, Kenntnisse erwerben, mir einen anderen Platz im Leben erobern. Da bin ich eine Zeit lang in schweren Widerstand mit meinem Alten gerathen. Ich wußte, daß di« Geldmittel für meine Ausbildung vorhanden waren —" „Und da hat Ihr Vater Ihnen den gerechten Wunsch ver weigert?" rief Ottilie in großer Entrüstung. „Ja, Fräulein Röpke, und ich habe eingesehen, daß er in der Grundidee recht hatte." Ottilie rümpfte die Nase. „Da habm Sie also nichts gelernt als etwas Schreiben und Lesen —" Sie hielt inne, er lächelte wieder so seltsam. Der Mensch hatte ein merkwürdig ausdrucksvolles Gesicht und aus ihrem bis herigen Gespräch hätte sie wohl annehmen können, daß in seinem Kopf Gedanken wohntm, di« über das Dorf und seinen Stand hinausgingen. Etwas verworren freilich flogen solche Betrachtungen durch ihren Kopf. „Ich sagte Ihnen schon, daß es sich nicht lohne, von mir zu reden", erwiderte er auf ihre unhöfliche Rede, „es handelt sich nur um Sie. Und jetzt wage ich freilich kaum noch mit der Bitte hervorzukommen, die ich im Sinne hatte —" „O bitte, bitte, sprechen Sie doch!" Sie rief es sehr eifrig, sie schämte sich. Sie hatte sich recht häßlich benommen in Erwiderung seiner warmen Theilnahme. Er wendete sich wieder freundlich zu ihr, lächelnd wie zu einem unartig« Kinde, dem man nicht- nachtragen darf. „Ich wollte Sie bitten, meine Mutter einmal zu besuchen. Meine Mutter ist eine einfache Frau, aber sehr warmherzig, und sie findet besser, als eS Ihren Tanten möglich ist, den Aus druck für Ihre Gefühle. Ich dachte, Sie könnten in Ihrer jetzigen Lage vielleicht an meiner Mutter eine Stütze finden, di« Ihnen über die schwere Zeit hinweghilft." Ottilie kämpfte mit sich. Es war rührend, wie er um sie sorgte und für sie dachte. Ihr besseret Selbst siegte über die hochmüthigen Regungen. Sie reichte ihm in jugendlichem Im puls die Hand, Thronen standen in ihren Augen. „Sie sind sehr gut — besser als ich. Ach! Ich bin so un glücklich!" Er hielt ihre feine Hand und drückte sie fest. Sie standen vor der Mühle, er antwortete nicht», das Brausen de» Wasser» würde auch seine Worte übertönt haben. Sie war auf den schwankenden Steg getreten, der über den Mühlengrabrn führte. — ES war die Stelle, welche sie besonder» liebte; da» unschöne Speichergebäude lag seitwärts, und der Blick fiel nur auf die Gärten und Felder, mit dem rauschenden Mühlbach, den rastlos sich drehenden Rädern im Vordergrund«. Sie stand wie schwebend über den tosenden Wassern, und er hielt ihre Hand fest, um sie zu halten. Da fuhren Beide, wie au» einem Traum erwachend, zu sammen. Hinter ihnen erscholl Pferdegetrappcl, Peitschenknallen, eine dichte Staubwolke wirbelte auf, und aus dem Nebel tauchten zuerst die Gestalten einiger Reiter auf. Unter Lachen und lauten Reden kamen sie näher, dann folgten mehrere der herrschaftlichen Equipagen, und abermals Reiter und Reiterinnen in buntem Gemisch — die ganze Jagdgesellschaft aus dem Herrenhause, welche von der großen Treibjagd, die heute abgehalten worden, heimkehrte. Ottilie fühlte sich wie betäubt. Ihr Begleiter hatte sie von dem schmalen Steg zurückgeriffen, sie stand jetzt neben ihm am Rande des Fahrdammes; die zahlreiche Cavalcade ließ wenig Raum für Fußgänger. Man unterschied die leicht erkenntliche Stimme des alten Barons, der mit drei anderen Herren in einer offenen Jagd kalesche saß und in seinem breiten, gemüthlichen Jargon redete. In dem folgenden Landauer saßen die Baronin und eine fremd« Dame, in pelzverbrämte Mäntel gehüllt. Die Baronin nahm ihre Lorgnette und beäugrlte das Paar auf der Landstraße, während Herr Ludwig Heidemann seine Mütze zog. Neben ihrem Wagen ritten einige Herren und fast am Ende des Zuge» Baron Felix und Emily von EichSfeld. Die elegante Figur der jungen Dame kam in dem knappen Reitkleid voll zur Geltung. Baron Felix ritt dicht an ihrer Seite, sie schienen in lebhafter, heiterer Unterhaltung begriffen zu sein. Als sie an den Fußwanderrrn vorübcrkamen, wurden sie aufmerksam. Felix wendete sich mehrmals um, sie tauschten Be merkungen, und des jungen Herrn Art, mit der er Ottilie musterte, war unverschämt. Ottilie wäre am liebsten in die Erde gesunken, ihr war schlimm zu Muthe. Sie fühlte sich wie eine Bettlerin auf der Straße, während diese Menschen aus derselben Gesellschaftssphäre, in der sie sich biihrr heimisch und ebenbürtig gefühlt, spöttisch und hochmüthig auf sie herabsahen. Ihr Begleiter hielt die Mütze ia der Hand und grüßte fort während, er sah sehr ernst und ruhig auS. Ihn drückte seine untergeordnete Stellung nicht, er gehörte in sie hinein. Und sie — war ihm jetzt gleich! Die Enkelin des Müllers und der Sohn deS Krugwirth», sie paßten zusammen. O! In ihr tobte ein Sturm in diesem Augenblick, und Alles, waS seine guten, verständigen Worte vorhin ihr an Trost gegeben, löschte diese Begegnung wieder au». Die strahlenden Augen Emily'S von EichSfeld waren den ihrigen begegnet, Neid und Bewunderung hatten sie durchzuckt — wie stolz ritt jene dahin, an der Seite d«S eleganten Cavaliers, im Genüsse ihrer Jugend! Sie waren vorüber, die Staubwolke entwich; Ottilie zitterte ersten Mal erfolgenden Absonderung der klerikalen Teutscken bei ter Frier laq, durch seine Theilnahme unterstützte." Ganz ebenso urtheilt der „Hamb. Corr.", der überdies, um zu zeigen, wie in den klerikalen Kreisen RomS die Separat feier, an welcher der Gesandte v. Bülow tbätigen Anibeil nahm, auf den Bericht hinweist, der von dort der „Germania" über die Feier zuging und in dem eS heißt: „Wir KatboUken zollen dem Könige Humbert alle Hochachtung, welche seine Person und sein Cdarakier verdienen; anck wir sehen in ihm Len Verbündeten unjeresKaijers; aber in Rom ist n ach unierer Ucberzeuguiig und nach Ueberzeugung der ganzen kalholijcheu Welt nickt König Humbert, sondern Leo XIII. der legi time Herrscher und der einzig legitime Herrscher, und wenn wir bereitwilligst in Turin oder Mailand an einer Lvalion für den König tbeilnedmcn würden, in Nom ist unS das durch unsere kalho- lischen Principien unterjaqt." Die „Tägl. Nndsck." findet, die Antwort sei mit diplv matiicher Geschicklichkeit abgefaßt, aber sie wende sich nur gegen die angreifbaren Punkte der Eingabe und lasse den Hauptpunkt unerörtert, den Hauptpunkt nämlich, „daß der Feier der Charakter einer ultramontanen Kund gebung gegen einen deoi deutschen Reiche ver bündeten Monarchen" ausgedrückt war. Desto noch wendiger sei eS, Len Beweis;u liefern, „das Graf Wintzingerode nicht jür sich allein die Kundgebung kaiserlichen Mißfallen« auffich zu nehmen hat, sondern Laß er nur die Gefühle berechtigten Unwillens beS evangelischen deutschen Volkes wicdergegeben hat." Wir selbst glauben noch darauf Hinweisen zu müssen, daß es der — „Deutsche Reichsanzeiger" gewesen ist, der den Bundesvorstand in der vom Staatssecretair v. Bülow in so schroffer Weise als irrig zurückgewiesenen Annahme bestärkt har, der Gesandte v. Bülow habe ia seinem Drink spruche in erster Linie den Papst unv erst in zweiter Linie Len Kaiser gefeiert. Denn wörtlich stand am 28. Zanuar dieses Jahre- im „Reichsanzeiger": „Die deutschen Katholiken in Rom, darunter viele Geistliche, versammelten sick gestern Abend zur Frier de« Geburt-feste- Seiner Majestät des Deutschen Kaiser» im Hotel Minerva zu einem Diner, bei dem der preußische Gesandte beim Vatikan v. Bülow der Vorsitz führte. Derselbe toastete auf den Papst und de» Kaiser» Monsignore de Waal auf den Gesandten. Sodann wurden patriotische Lieder gesungen, in denen der Papst und der Kaiser gefeiert wurden. — Abends waren die Mitglied« der deotscheu Eolonie zu dein Gesandten v. Bülow geladen. Ter Gesandte brachte »in Hoch aus Seine Majestät den Kais« au«." Dies« Meldung ist nicht berichtigt worden, sie mußte also dem Bundesvorstände als zutreffend erscheinen und gegen sie Halle der Staatssecretair seinen Unwillen richten muffen. Auch daS wird mit zur Sprache gebracht werben müssen, wenn die Angelegenheit in einer der parlamentarischen Körper schaften zur Erörterung kommt. Seit dem Auftreten der Generäle Pellieux und DoiSdeffrc im Protest Zola ist dieser so gut wie entschieden. Es zweifelt kaum noch Jemand an der Verurtheilung de« Angeklagten, die vor der Intervention der Generäle nock unentschieden war. Ja, man sagt sogar, die Geschworenen seien rum Freispruch entschlossen gewesen. Aber schon wird daS Interesse an der Frage, ob Verurtheilung ober Frei- spruch, wieder abgeschwächt durch eine andere Affaire, die ein bezeichnende« Ei reiflicht auf die Solidarität der obersten staatSerbaltenden Gewalten in Frankreich wirst. Der ministerielle „TempS" wendet sich nämlich in einem und war leichenblaß. Ihre Züge spielten sehr deutlich ihre Em pfindungen wider, sie schritt mechanisch vorwärts, ihr war's, als ob ihre Füße sie kaum trügen. „War die Begegnung Ihnen so unangenehm?" sagte ihr Be gleiter neben ihr. Sie fuhr zusammen, sie sah verstört zu ihm auf. Sie stutzte über sein verändertes Aussehen. Sein« gntmüthigen Mienen hatten sich verfinstert, strenge Linien waren in seinem Gefickt. „Es war mir furchtbar peinlich", brachte sie stotternd hervor, „sie starrten uns Alle so an — und — dieser Gegensatz, diese Glücklichen — meine Lage kam mir zu herbe zum Bewußtsein." Er zuckte die Achseln. „Sie irren sich gewaltig, wenn Sie diese Menschen ohne Unterschied für glücklich halten", sagte er hart, „indetz — Sie sind hier vor Ihrer Thür angelangt — leben Sie wohl!" Sie war sehr schwach in diesem Augenblick, ein ungeschulte? Kind mit ihren 16 Jahren. Sie flüsterte in halb ersticktem Ton: „Sind Sie mir böse?" Er stand noch einen Moment still, und daS gute Lächeln er hellte wieder seine Züge. „Wie sollte ich Ihnen böse sein, wie hätte ich, der Fremde, ein Recht dazu! Ich sagte Ihnen schon vorhin, ich verstehe Sic, und daS thue ich auch in diesem Fall." Er lüftete seine Mütze und grüßte sie höflich, aber er reichte ihr nicht mehr die Hand, sondern eilte, ohne sich weiter umzusehen, mit raschen Schritten dem Kruge zu. Sie klinkte langsam die Gartenpforte auf und ging müde ins Haus. Im Flur brannte noch kein Licht, sie tappte im Dunkeln die Treppe hinauf in ihre Kammer. In der Thür des Kruges stand Fran Doris Heidemann und sah ihren Sohn mit der Tochter des Fritz Röpke daherkommen. Sie hatte schon eine Weile nach ihm ausgeschaut, er war seit Mittag fort und hatte kein Vesperbrod mitgenommen. Wenn der bei der Arbeit war, vergaß er Essen und Trinken. Sieh, sieh! Nun stand er da noch und redete mit dem Mädchen; er ging immer so still seinen Weg, der Ludwig, sie dachte mitunter, er sei zu ehrbar für seine Jahre und kümmere sich um Frauensleute gar nicht. Ein breites Lächeln flog über ihr Gesicht. Etwas Apartes mußte es natürlich sein, wenn ihr Ludwig sich darum kümmern sollte, und apart war die Kleine, ein bildhübsches Ding, nur noch so scheu oder hochmüthig. Doris Heidemann nahm gewöhnlich daS Beste von den Menschen an, und so war sie auch in diesem Falle der Meinung, da» junge Mädchen sei scheu. Sie hatte, wenn sie einmal drüben
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite