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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.02.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980222010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898022201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898022201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-22
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BezugS.PreiS ki btt -auptexpebition obtt de« i» Stadt- bozirk u«d dn Vorort»» «rrickrtetea UuS- «wkstell»» «tzgrdollr vtertellüdelich^tL^O, hü »»»tmoliatt lägliehrr Kuftellu», t»s Hau» b.S0- Durch bi« Post bezog»« kär Leutschtaud uud Oesterreich: viertellSdrlich -.—. Direkt» tägliche Krrujbandienduug i»< Au»lanb: mouaUich ^ti 7.LO. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uh«h dir Abend-Ausgab« Wochentag» nm b Uhr. Urdacti-« «nd ErveLitto«: 2«hanne«iassr 8. Di« Expedition ist Wochentag» anunterbrochett geöffnet von früh 8 bt» Abend» 7 Uhch «o—c»« Filialen: Dtto Klemm'» Eorttm. kAlfretz Hatz«)» Uaiversität-ftrabe S (Paulinum), Laut» Lösche, Katbarineuftr. 1t, patt, und König-Platz 7. ripMr,. TaMalt Morgen-Ausgabe. Anzeiger. Amtsvlatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die «gespaltene Petitzeike LO Pfg. Steelamen unter d«,» RedaetionSstrich «go» spalten) öO^z, vor den Familiennochrlchte» (6 gespalten) 40 ^j. Ärößere Tchrislen laut uuierem Preu derzeichniß. Tabellarischer und tzissernsap nach höherem Tarif. Extra-Vrilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluk für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei den Filialen und Annabmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anjeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. 94. Dienstag den 22. Februar 1898. Freiherr von Ltnmm und die Evangelischen Arbeitervereine. In der Sitzung des Reichstags vom 20. Januar d. I. tbat der bekannte Großindustrielle Freiherr von Stumm die Aeußerung: „Die Evangelischen Arbeitervereine stehen den social demokratischen sebr nahe. Ich brauche nur den Pfarrer Naumann zu nennen." Gegen diese Anschuldigung baden sich die Evangelischen Arbeitervereine auf das Entschiedenste verwahrt. In einer am k. Februar in Essen abgebaltenen VerbanvS-VorstandS- sitzung, die von 136 stimmberechtigten Vorstandsmitgliedern besucht war, wurde folgende Resolution angenommen: „Die Versammlung bedauert, daß Freiherr von Stumm in brr Rede vom LO. Januar or. die Führer der Evangelischen Arbeiter vereine öffentlich als der Socialdemokratle, unserer Todfeindin, die uns nicht minder bekäinvft wir wir sie, nahestehend bezeichnet Hot. und weist diesen Angriff mit aller Entschiedenheit entrüstet zurück." In der Thal ist eS schwer begreiflich, wie gerade Herrn von Stumm, besten Wobnort in eben der Gegend liegt, in welcher dir Evangelischen Arbeitervereine ihre größte Ver breitung haben, eine solche Verwechselung dieser Vereine mit den Naumann'schen Vereinen passtren konnte. Bon letzteren unterscheiden sich dieselben schon ihrem Ursprünge nach. Sie sind nicht von Männern außerhalb de- Arbeiter standes (G lehrten) künstlich erzeugt, sondern auS Arbeiter kreisen selbst spontan bervorgegangen. Sie werden auch zum Theil entweder von Arbeitern, oder doch von Männern der Praxis (einem Bauunternehmer, einem Fabrikanten u. s. w.) geleitet. Ihr Statut bezeichnet als Vereinszweck — neben der „Treue für Kaiser und Reich" — den: „ein friedliche- Verhällniß zwischen Arbeitgebern und Arbeitern zu wahren und zu pflegen." Gegen die Streikes haben sie sich in ihrem Organe, dem „Evangelischen Arbeiterboten", wiederholt (so beim Hamburger Hafenarbeiterstreik) sehr entschieden er klärt, haben auch in einer Petition an den Reichstag (vom 22. Oktober vor. I.) um reichsgesetzliche Einführung von Einigungsämtern und Schiedsgerichten gebeten. Auf „be rechtigte Forderungen" und „gesetzliche Reformen" im Sinne einer Verbesserung des LooseS der Arbeiter wollen sie nicht verzichten, aber sie weisen nicht nur jede Art von revolutio- nairen Bestrebungen weit von sich, sondern auch solche Über triebene Forderungen, welche mit dem Gedeihen unserer Industrie Angesichts der Eoncurren; de- Auslandes unver träglich sind. Ihr Organ, der „Evangelische Arbeiterbole", hält sich durchaus frei von jenem Tone planmäßiger Schürung teS Classenhaffes, der in den Naumann'schen Blättern „Hilfe" und „Zeit" herrscht. Wenn er einmal (wie iu der Erzäulung „Ein Gang durch Jammer und Nolb") ein noch so düsteres Bild von der in manchen Arbeiterkreisen herrschenden Noth entwirft, so spitzt er dasselbe doch nicht zu einer Anklage gegen die „Auöbeuter"-Unlernebuier und die ganze bestehende DinhschaflSordnung zu, sondern knüpft daran nur theilS Vorschläge zur Abhilfe jener Noth, tbcils Mahnungen an die Regierungen und die Gemeinden, zu einer solchen Abhilfe die Hand zu bieten. Der Socialbcmokratie stehen diese Vereine so wenig „nabe", daß sie vielmehr dieselbe auf vaS Eifrigste bekämpfen und auch fort und fort die Arbeiter hör ihr warnen. Al« Herr Naumann auf einem ihrer Drlegirteniage erschien und sie zum Anschluß an die, notorisch unter socialdemokratischem Einfluß stehenden „Gewerkschaslen" verleiten wollte, trat ihm sofort der Pfarrer Weber von München-Gladbach (der treue und uneigennützige Beratber dieser Vereine) auf da« Entschiedenste entgegen, indem er sagte: „Wir Evangelischen können nun und nimmermehr und in keiner Weise mit den Socialdemo kraten zusammengehen! Ich halte die Socialbemokrane für da« größte Uebel unserer Zeit. Wir müssen sie mit aller Energie bekämpfen." Wenn die Tbätigkeit sowohl der Socialdemokraten al- auch der National-Socialen sich zum größte» Tdeile in dem fortwährenden Ansturm gegen die bestehende WirthschaftS- ordnungerschöpft,also lediglich negativer,zersetzenderNalur ist, so wenden dagegen Vie Evangelischen Arbeitervereine eine sichtlich große Mühe auf posiiivr, praktische Schöpfungen zu Gunsten ihrer Mitglieder, der Arbeiter, auf dir Errichtung von Spar casten, Kranken- und Sierbecassen, Herbergen für Arbeitslose, Consumverrine »c. Neuerdings habt» sie sogar (nach Berichten au- ihren Versammlungen) zwei große gemeinnützige Unter nehmungen in- Auge gefaßt, ein Haus für ReconvaleScenten und Genesene und em Asyl für invalide Arbeiter, die sich zur Rude setzen wollen, und haben bereit- ansehnliche Beiträge dafür zusammengebracht. Ihre aufrichtig nationale Gesinnung haben sie gezeigt bei Gelegenheit der Flottenfrage. Während die social demokratische Presse die Arbeiter gegen die Marine vorlage aufbetzke, während Herr Naumann seine Zu stimmung dazu von „Compensationen" auf socialem Ge biete abhängig machte, enthielt der „Evangelische Ardriterbote" einen ebenso patriotisch warmen, wie von richtiger Einsicht in die wirtbschaftlicheu und socialen Verhältnisse zeugenden Artikel, worin er auSfübrte, baß der deutsche Arbeiter bei der immer steigenden Bevölkerung Deutschland- ausrei chenden Arbeitsverdienst nur von einem immer schwungvolleren Welthandel zu erbosten habe, daß aber eia solcher be kräftigen Schutze- einer Kriegsflotte bevürfe. Nach alledem hat man e- hier offenbar mit einer Elaste von Arbeitern zu tbun, die nach durchaus gesunden, gegen ganz- und halbsocialdemokratische Verlockungen gefesteten Grundsätzen denken und handeln. E- wäre nur zu wünschen, baß recht viele deutsche Arbeiter sich Vieser Richtung zu wendeten und dadurch vor jenen Verlockungen bewahrt blieben. Bi- jetzt bilden die Evangelischen Vereine aller dings nur einen verhältnißmäßig kleinen Bruchtbeil der deutschen Arbeiterschaft. Die Gesammtzahl ihrer Mitglieder wird auf üO — .0 000 angegeben. Ihr Hauplilamm befindet sich in der Gegend ihres Ursprungs, in Rbeiulanc- Westpfalen, doch aiebl es auch Gruppen in Ost- und West preußen, in Pommern, Brandenburg, Schlesien, Württemberg, Tdllringen, in unserem Sachsen, in und bei DreSven (mir angeblich 4000 Mitgliedern), in und bei Leipzig u. s. w. Durch ihre Verbreitung über so versanedene deutsche Landschaften könnten sie recht Wohl KlystallisationSpuncte werden für den Zusammenschluß solcher Arbeiter, welche sich von der Umstrickung durch die Socialtemokratie sreigebalten baden oder freimachen wollen. Den Namen „evangelisch" haben sich die Vereine Wohl darum beigelegt, weil sie inmitten einer überwiegend katholischen Bevölkerung entstanden, und im Gegensatz zu den „katholischen Vereinen", weiche zum Tbeil auch sociale, daneben aber kirchliche, konfessionelle Ziele verfolgen. Nach ihrem Statut wollen sie unter ihren Mitgliedern „das evangelische Bewußtsein erwecken und sörvern" — wiederum im scharfen Gegensätze zu der glaudenSfeiudlicken Social demokratie. Gegen ultramontane An» uud Uebergriffe ver treten sie da- piotrstantische Bekrnntniß, ohne angriffsweise zn verfahren. Etwas exclusiv Kirchliche- haben ihre Kund gebungen nicht. Der Unterzeichnete steht diesen wie allen socialen Vereinen persönlich fern; er hält e- aber für eine Pflicht der Ge rechtigkeit, auf Grund langer und sorgsamer Beobachtung deS Gebühren« der Evangelischen Arbeitervereine (in ihren Versammlungen, auf ihren Delrgirtentagen, in idrem Ardeiterboten) Zeugniß für sie abzulegen gegen eine, nach seiner festen Ueberzeugung ungerechtfertigte Ver ¬ kennung und Anschuldigung ihre« Wesen- und ihrer Zwecke. Es scheint ihm auch nicht woblgetdan von Seiten der Ver treter deS Bürger- und UnternebmertkumS, diese Vereine durch eine solche Kränkung zurückzustoßen und damit möglicher weise Denen Vorschub zu leisten, welche offenbar schon lange daran arbeiten, dieselben von dem rechten Wege, den sie bisher standhaft verfolgt haben, ab- und auf Abwege zu leiten. Karl Biedermann. Vor den Plaidoyers. 6. Paris, 20. Februar. Im Jahre 390 vor Cbr. batten die Gallier Rom ein genommen, geplündert und schließlich in Brand gesteckt. Nur da- Capitol hatte sich gehalten, aber auch hier war die Be satzung durch die lange Belagerung nach und nach aufs Acußerste gebracht, und so entschloß man sich, den Barbaren die geforderte Summe Goldes auf dem Forum darzuwägen. Und schon neigte sich das Zünglein der Waage, da warf der übermülhige Gallierbäuptling BrennuS unter dem Rufe „Wehe den „Besiegten", noch sein ehernes Schwert auf die Waagschale. An diese Sage mußte ich vorgestern denken, als der General Boisbeffre seine vielbesprochene Erklärung an die Jury abgab. In zehn langen Sitzungen hatten die uner müdlichen Bertbeibiger ein Körnchen Wahrheit nach dem anderen herbeigeschafft. Die Anklage gegen DreyfuS war in nicht- zusamniengefallen. Nachdem die moralischen Beweise sich schon früher al- nicht stichhaltig erwiesen batten, waren jetzt die Urtheile der Graphologen der Lächerlichkeit preis gegeben. An der Gesetzesverletzung im BeratbungSzimmer der Richter war kaum ein Zweifel mehr möglich. Und auf der anderen Seite war der scandalösr Gang der Untersuchung gegen Esterdazy dargetban, batte eine Anzahl der berühmtesten Gelehrten Frankreichs diesem das Bordereau zugesprochen, war durch die lichtvollen Erklärungen de- OberstlieutenantS Picauarl die Behauptung, daß Esterhazy auS militairifchen G»linden nicht der Verfasser fein könne, glänzend wider legt Worten. Schon glaubte man den Sieg errungen, schon neigte sich auch hier daS Zünglein auf die Seite Zola'S, da warf der Cbef de« Generalstabes seinen Degen in die andere Waagschale. „Sie sind die Geschworenen, Sie sind die Nation. Wenn die Nation kein Vertrauen in die Führer seiner Armee mehr bat, so sind diese bereit, Andern ihre schwere Aufgabe zu überlasten." Nie vielleicht sind Geschworene in so unerhörter Weise beeinflußt worden. Wo bleibt da daS Recht, wo ihr Wahr spruch al« ein Vertrauens- oder Mißtrauensvotum ausgelegt wirb? Und nun vergegenwärtige man sich, wie diese zwölf französischen Bürger schon von anderer Seite her bearbeitet morden sind. Ich denke nicht allein an den „Ausruf an die Franzosen", in welchem da- Volk aufgefordert wird, im Falle eines Freispruche« selbst sich Gerechtigkeit zu verschaffen. Seit dem Beginne der Verhandlungen sind in einigen Blättern täglich die Namen und Wohnungen der Geschworenen abge- druckt worden, in nicht mißzuverstebender Absicht. Die meisten von ihnen sind Kaufleute oder Gewcrbtreibende. Sie sollen ruinirt werken, wenn sie diesen Hetzblättern nicht zu willen sind. Nur Vie mit dem Generalstabe durch Dick und Dünn gedenken Zeitungen beglückwünschen denn auch den General Boisdeffre. Dagegen schreibt selbst der ministerielle „Temps": „Ist eS nicht unerhört, daß der Cdef de- Generatslabe« an die Geschworenen eine Art Vertrauensfrage stellt? WaS wird aus der Freiheit der Geschworenen?" Andere Blätter sind natürlich noch viel schärsrr. So spricht die „Lanterne" von einem Pronuncramenio und im „Radicat" schreibt der greise Senator Ranc an den Kriegsminister einen von heiligem Zorne durckglühlen Brief. „Sie dulden", heißi es darin, „daß der General Boisdeffre brutal, mit rem Säbel raffelnd, an die Geschworenen eine Drobung richtet, die ohne Beispiel ist, seit eS eine Justiz, Richter, Ge schworene giebt; daß er ihnen mit einem CynismuS, ter nur in seiner Naivetät seines Gleichen findet, sagt: Ent weder Ihr verurtheilt Zola, oder der ganze General stab giebt seine Entlastung Das dulden Sie, General Billot, von Ihren Untergebenen. Eine völlige Dis ciplinlosigkeit, eine scandalöse Üederhebung der Mili- tairgewalt gegenüber der bürgerlichen, der allge^ meinen Rechtspflege." Ranc bat sich an die richtige Adresse gewendet, denn so wenig wir Vas Verhalten der Generäle billigen können, ter KriegSminister trägt die Schuld daran. Billot hatte in der Kammer gut sagen: „Die Führer unseres HeereS sind über allen Verdacht erhaben", waS bat es ihm genützt, baß er ihnen befahl, der Vorladung nicht Folge zu leisten. Sie mußten doch erscheinen und wurden so in eine ganz schiefe Lage versetzt. Sic, die doch selbst von Zola angegriffen worden waren, die gegen den Mann da auf der Anklagebank von heftigstem Zorn erfüllt waren, sie sollten allen Groll hinunterschlucken und als einfache Zeugen ihr Sprüchlein hersagen! Und noch einen psychologischen Zug müssen wir in Erwägung ziehen. Sie, die in ihrem Berufe nie einen Widerspruch zu hören bekommen, deren Worte wie eine Offen barung bingenonimen werden, zu der die Untergebenen nur Ja und Amen zu sagen haben, sie fanden hier einen unter ihnen Stehenden, sie, die Generäle, einen Oberstiieutenant, als Ihresgleichen vor Gericht, sie mußten zähneknirschend mit anbören, wie dieser Untergebene aussagte: der Herr General täuscht sich, der Herr General kann das nicht so genau wissen. Alles die- kann uns, wie gesagt, nicht dazu führen, ihr Ver halten zu billigen, aber doch es erklärlich zu finden. Selbst Esterhazy konnte fast für einen Augenblick unser Mitleid erwecken. WaS ist daS für eine allen Rechtsbegriffen Hobn sprechende Lage, in der er sich befand: ein Angeklagter ohne Vertheidiger, ein Angeklagter, der unterm Zeugcneide gegen sich selbst auSsazen soll. „Alles in diesem Process: ist Verwirrung", hat vor ein paar Tagen Muitre Clemcnceau ausgerufcn. WaS werden die Plaidoyers nun noch für Ueber- raschungen bringen, wie wird am Mittwoch der Spruch lauten? ES scheint, daß Zola vcrurtbeilt werken wird. Dann aber gebt die Sache natürlich au den CassationS- gerichtsbof. Labori bat schon wiederholt bei seinen Anträgen zu den Richtern gesagt: Ich stelle sie nicht für Sie, Sic lebnen sie ja doch ab, ich stelle sie für den CassalionShof. Und wahrlich, der Gründe sür eine Aufhebung des Unheils sind genug und übergenug. Daß Zola in die Unmöglichkeit versetzt worden ist, die „begangene Un gesetzlichkeit" zu beweisen, ist nur einer. In wclcker Weile sind die Verhandlungen geleitet worden! Wie hat man die bequemen Zeugen Alles sagen lassen, was sie ans dem Herzen hatten, und den unbequemen Zeugen von vorn herein den Mund gestopft! Wenn Labor» gesieru von Zwangsjacken und Knebelung der Verthcidigung sprach, so war da- gewiß etwas übertrieben, ter Venheioiguug wird in Frank, eich ein wundervoll Weiler Spielraum ge währt. Ader allerdings ist es ihm unmöglich gemacht worden, auf einige ohne irgend einen Schein deS Beweises vorgebrachle Behauptungen der Generäle in gehöriger Weise zu erwidern, so z. B. auf die ganz merkwürdige Visitenkarten- geschickte. Daß diese vom General Pcllieux überhaupr vorgcbracht wurde, kann den DreyfuSfreunren nur angenehm sein. Wenn man auf den erst zwei Jahre nach dem Proceffe gefundenen „unumstößlichen" Beweis für die Schuld des Ex- F-nilleton. Am die Erde. , Rrisrbrtrse von Paul Lindenberg. »«rbotra. XVlll. Bangkok im Freudentaumel.— Empfang de» Königttpaarr» im Thinesen-Viertel. — Illu mination der Stadt und auf dem Menam.— Huldigung von dreitausend Priestern. — Orientalischer Prunk. — Rede de» König» und was er für Siam tbun will. — Praktische Er geb ntsse seiner Reise. Bangkok, 6. Januar. Ganz Bangkok schwimmt in Eitel Wonne und Lust! Man feiert dir glückliche muckkebr de» König« von seiner Europa- Reise, man feiert sie während voller sechs Wochen, und jeden dritten Lag findet ein größere» Fest statt. Alle» feiert da» freudige Ereigniß: der König, die Königin, die königlichen Prinzen, der Regentschaftirath (der während der Abwesenheit de« Herrschers die Regierung geführt), die Tdelleut«, die Armee, die Flott«, die Priester, die Studenten, di» einzelnen Tlaffen der Einwohner, die Lhlnesen, jene Beamte, die Europa besucht haben, und so fort. Diner» und Souper«, Bälle, Tostümfest«, Ueber- reichung von Adressen, feierliche Empfänge innerhalb und außer halb de» Palais, Banquet», Fackelzüge, Wettrennen, Illumina tionen, Feuerwerke, Gartenfeste, Luftfahrten auf dem Menam — in wirrem durcheinander bringt daS Programm, da» vom 23 December bi» zum 2. Februar reicht. Und man versteht hier Feste zu feiern! Orient und Occident bieten da» Glänzendste auf, um Neue», Ueberraschende», Un erwartete» zu leisten, und oft glaubt man thatsächlich ein Märchen au» Tausendundeiner Nacht zu erleben, meint man sich in einen Zauber verstrickt, denkt man von einem phantastischen Traum umfangen zu sein, der jäh zerstieben muß. und der doch unser- Längliche Erinnerungen birgende Wirklichkeit ist. Ein« gütig« offictrll« Empfrhlung von minist«rt«ll»r Seit« in Berlin hatte d«m Schreiber dieses das Haus des Ministers der öffentlichen Arbeiten, Prinzen Bidyalabh, Bruders des König-, erschlossen, und nicht nur hatte mich der feinsinnige und arbeitsam« Prinz in liebenswürdigster Weise empfangen und mir eine Reihe von Briefen an alle hiesigen Ministerien gegeben, so daß Ich nur anklopfen darf, um «in „Sesam öffne dich" zu finden, er hatte auch dafür gesorgt, daß meinem Begleiter und mir zu allen gegenwärtig stattfindenden Festlichkeiten Einla dungen zugehen, und hatte ferner die Güte gehabt, mich mit dem König zusammenzuführrn. So ist eS mir denn vergönnt, Alles au» nächster Nähe zu beobachten und Eindrücke zu gewinnen, wie sie mein schöner Beruf, der mich schon manch Herrliche» schauen und Interessante» erleben ließ, mir noch nie hat zu Theil werden kaffen. Aber nur Einzelne» kann ja hier seine Wiedergabe finden, ach, ich gestehe e», eine Wiedergabe, die einen immer von Neuem empfinden läßt, wie unvollkommen die Sprach« all' den wunder- baren Farbenreichthum, d«r hier ln so üppiger Weise entfaltet wird, zu schildern vermag. Und wo soll man beginnen, wa» soll man herausgreifen au» all' dem Schönen und Fremdartigen, da» jedes vieler Feste in sich schließt I Zunächst denn der Empfang de» KönigSpaar«» im ThineseN- Biertek. Wohlaemerkt, nicht de» König» allein, wie e» bitber bei derartigen Anlässen der Fall gewesen, da der König jetzt seine erste Gemahlin an allen Ebrenbeaeugungen öffentlichen Antheil nehmen läßt, während ihm diese sonst nur allein gezollt wurden — bereit» «Ine Frucht sriner europäischen Reise, diese wichtige Aenderung, wichtig darin, daß sie auch den übrigen siamesischen Frauen eine größere Gleichstellung mit den Männern erwirken und ste von ihrer Zurilcksetzuna befreien wird. Do» Lhinesen-Diertrl mit seinem Gewirr von Gossen und Gäßchen und keinen unzähligen barackenartigen Duden hatte sich an dem betreffenden Abend gewaltig herau»g«putzt, und e» war gewiß während der voranqegangenen Lage jahrzehntelanger Schmutz beseitigt wordrn. Ueberall Lampion» und Lichter, überall sich über di» ost nur drei bi» vier Meter schmalen Straßen ziehend«, au» buntem Dapier gefertigte und durch Kerzen erhellt» Gestalten von Dllgnn, Fisch«n, Drachen, Schmettrrlinaen, Eidechsen, mit bewunderbwertham Geschick gefertigt, dann aller- orten Fahnen und Banner und fast in jedem Laden nah» dem Eingang d«r Hau»altar ausgestellt mit Götzrnfiguren, mit Holz schnitzereien und bronzenen Darstellungen in der bekannten ver rückten chinesischen Manier, mit den Bildern des Königs und der Königin, von Lichtern hell beleuchtet, an den Wänden aber ausgespannt theilweise sehr kostbare seidene Vorhänge und vor diesen befindliche schöne Möbel. Hier kam zum Borschein, waS diese Zopfträger alle» in Ihren dunklen Verließen aufgespeichcrt haben, -darunter alte und seltene Stücke, deren Werth nach Tau senden von Mark beziffert werden darf. In einer der wenigen neuen Straßen, die in dieses dumpfe Quartier Licht und Luft bringen sollen, war ein langer, von roth-weißen Stoffen überdachter Gang errichtet, dessen Säulen durch Waffen, Ma»ken, Banner, kriegerische Figuren au» Pappe und Metall geschmückt waren und der neben vielen Hunderten von Lämpchen noch durch dieselben Papier-Figuren, deren ich schon erwähnt, erhellt war. Während seinen Anfang ein offene» Theater bildete. In welchem zur Freude der dichtgedrängten chinesischen und siamesischen Zuschauer ein von dröhnender Musik begleitete» Schouerfillck aufgefllhrt wurde, fand er seinen Schluß in einem Pavillon au» rotber und gelber Seide, mit brokat bezogenen Möbeln und prächtigen Blumenvasen, mit Spiegeln und Kronleuchtern, mit Waffen und silbergewirkten SegcnS- svrüchen an den Pfosten, um die sich von oben vis unten glitzernde Drachen wanden. In diesem Zelt eine Meng« Chinesen In meist hellblauen, reichgestickten Teidengewändern, theil« stehend, tbeil» auf dem Erdboden hockend und Thee trinkend, welchem Beispiele die Mehrzahl der siamesischen Officiere folgte, die sich auf den Teppichen vor dem Pavillon niederließen, eine Cigarette nach der anderen rauchend und mit Behagen den heißen Trank schlürfend. / Ein dumpfer Kanonenschuß verändert aber da» Bild, er zeigt an, daß da» KönigSpaar soeben den Palast verlassen hat; Alle» springt empor, die Soldaten zu beiden Seiten de» Gange» ordnen sich, die gräßliche Musik de» Theater» verstummt, die blatt- gtki»ld«1en Chinesen strömen zum Eingang der Straß«, dort wird al-bald Dserdegetrappel hörbar, roth uniformirtr Garde-Reiter auf kräftigen Ponie» kommen im Galopp anaesprengt, und In «inrm »witspännlaen offenen Wagen, auf drssen Bock Kutscher und Diener In Scharlach-LIvrSen sitzen, naht da» KönigSpaar, der König im weißen Waffenrock, dir Königin im anmuthigrn siamesischen Lostüm. Die Chinesen dienern, daß ihnen die Zöpfe fliegen. klrin« chinesische Buben und Mädel» in reizenden Snd«n- kleidchcn streuen aus vergoldeten Körben Blumen vor dem Königs paar her, das unter den Klängen der siamesischen Nationalhymne freundlich grüßend langsam den Gang entlang schreitet und auf erhöhtem Platze unter dem Baldachin Aufstellung nimmt. An spräche der Bezopften, Erwiderung des Königs, Ueberreichung der „Adresse", die au» einer Uber einen Meter langen und fast ebenso breiten, mit Edelsteinen besetzten schweren Goldplatte besteht, in deren obere Seite die Huldigungsworte ringravirt sind. DaS ganze Wesen und das Auftreten de» Königspaarc» war sehr sympathisch; ich habe den König wiederholt in Deuffchlanv gesehen, dort in einer völlig anderen Umgebung kamen sein.' Figur und sein Stchgeben nicht so zur Geltung, wie hier, no er al» König erscheint, aber, daS fei besonder» bemerkt, als ein durchaus freundlicher und liebenswürdiger König, dem hoffärtigeo und gespreizte» Benehmen nach orientalischem Muster Völl , fremd sind und dessen große Natürlichkeit sofort für ihn ein nimmt. An diesem und den beiden folgenden Abenden war Illumina tion der Stadt und auf dem Menam, welch' letztere ganz be sonder» großartig außfiel. An beiden Ufern de» breiten Strome? zogen stch Flammen-Gulrlanden dahin, hier sich zu Triumphthoren, da zu Inschriften, dort zu Thürmchen und Ara be-ken stch verschlingend und gestaltend, all' die unzkihlicheu Schiffchen — es leben viele Tausende der Bewohner Bangkok > In sogenannten „Hausbooten" auf dem Menam — waren durch Kerzen und bunte Daplek-Laternen erleuchtet, und di« im Strom- verankerten siamesischen Kriegsschiffe schienen in einen glühenden Schleier »ingehlillt zu sein, denn lange Ketten von Lampions und elektrischen Lichtchen umwanden die Bords,iten und kletterten an den Tauen bis zu den höchsten Mastspitzen hinauf. In der Palaststadt selbst aber und in ihr wieder auf dem sich vor dem Palail au-brrltenden Gartenplatze erreichte die Illumination Ihren Höhepunkt; hier wandelte man thatsächlich unter einem Netz von sigurenreich verschlungenen, in allen Farben schimmern den Lampion» dahin, die so geschickt angebracht waren, daß sie in der Luft zu schweben schienen, namentlich wenn sie an ver schiedenen Stellen in Form von Baldachinen und Zelten an einander gereiht waren oder sich, vom Boden In breite Kreise, die sich stitia verkürzten, pyramidenartig erhebend, in fort währender Drehung befanden. D«r ganz« Eindruck war zauberhaft.
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