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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980223023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898022302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898022302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-23
- Monat1898-02
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Größere Schriften laut uuserem Preis« verzelchniß. Tabellarischer und Zissernjatz nach höhere» Tarif. Extra»Vcilagen (gefalzt), nur mit d« Morgen-A»Sgabe, ohne Postbesörderun^' SV.—, mit Postbesörderung 70.—. ÄunatMeschluß für Anzeigen: Ibrud-AuSgabe: Vormittag« 10 Uhr. Viorge u-Ausgabe: Nachmittag« «UhL Vrt de» Filialen und Annahmestellen je ein» halb« Etuud« srntzer. Anreise» find stet« an di« Expedttio» zu richten. Druck and Verlag von E. Volz in Lelpzi« 92. Jahrgang. 97 Mittwoch dm 23. Februar 1898. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. Februar. Graf Caprivi hat sich einmal über die <lu vowdr»" (Zahlenwuth) in militairischen Dingen lustig gemacht. Diese Zahlenwuth herrscht aber auch in bürger lichen Angelegenheiten, z. B. bei den Wahlen. Von den Socialdemokraten ist eS schon längst bekannt, daß sie, um eine möglichst hohe Gesammtstimmenzahl zu erlangen, in fast allen Wahlkreisen Candidaten ausstellen; sie werden auch diesmal so verfahren. Die Antisemiten stellen gleichfalls eine Menge von Zahlcandidaten aus, offenbar zu einem ähnlichen Zwecke. Nun ist auch in das Centrum die „ragv ckll nowdre" gefahren. Nicht nur, daß e« beispielsweise in säst sämmt- lichen schlesischen Wahlkreisen, auch in solchen, in denen eS nach dem Prvcenlsatze der Confessionen von vornherein keine Aussichten hat, Candidaten aufstellt, sondern «S beglückt auch den Wahlkreis Charlottenburg, der kaum fünf Proceat katholischer Wähler hat, mit einem ultramontanen Candidaten. Schon vor einigen Monaten war diese Tactik von CentrumSblättern angelündigt worden. ES hat da« Centrum offenbar gar zu sehr verdrossen, daß eS bei den vorigen Wahlen von den Socialdemokraten an Stimmenzahl beträchtlich überholt worden ist. Wollten alle Parteien nach dem vom Centrum in Charlottenburg gegebenen Beispiele verfahren, so würden so ziemlich in allen Wahlkreisen ein halbes Dutzend Candidaten um die Gunst der Wähler ringen. Eine derartige Antwort auf den Sammelrus der Regierung war höchst bellagenSwerth, denn nicht nur wächst mit der Zahl der ausgestellten Candidaten die Verwirrung und Verbitterung im Wahlkampfe, sondern eS wird auch durch die Candidalenmenge die Wahrscheinlichkeit der Stichwahlen erhöbt, die den Wähler dieAufregungen und Vie Kosten des Wahlkampfes zweimal auferlegen und dem Wahlschacher Thür und Thor öffnen. Denn je mehr Parteien an der Hauptwahl sich betheiligt haben, um so mehr Parteien haben bei der Stichwahl di« Entscheidung in der Hand und kommen in die Versuchung, die sonderbarsten Abmachungen unter einander zu treffen. Das Centrum hat denn auch schon vor Monaten als weiteren Zweck der Aufstellung einer möglichst großen Zahl von Candidaten die Möglichkeit bezeichnet, die verschieden artigsten Stichwahlbündnisse «ingehcn zu können. Durch solche Wahlgeschäfte giebt aber der Reichstag ein ganz falsche» Bild der Willensmeinung de« Volkes und büßt an seinem ohnehin schon sehr gesunkenen Ansehen noch mehr ein. Es ist daher Sache der Wähler, sich dem FractionsegoismuS, der hinter der massenhaften Auf stellung von Zählcandidaten steckt, zu widersetzen und schon vor den Hauplwahlen durch naturgemäße Wahlbündnisse das Wahlgeschäft zu vereinfachen, der Verbitterung möglichst vor zubeugen und den Slichwahlschacher zu beschranken. Bei un« in Sachsen sind ja im Allgemeinen die günstigsten Vor bedingungen für einen derartigen Austrag des Wahlkampfes gegeben; in den Wahlkreisen, wo sie noch fehlen, wird hoffent lich das Bewußtsein, daß Sachsen seit langen Zähren allen übrigen Staaten bei Reichstagtwahlen mit gutem Beispiele vorangegangen ist, der rags cku nowdrv ehrgeiziger Minori täten noch rechtzeitig «inen Dämpfer aussetzen. Zum Magtzeburger Parteitage derNationalliberalrn der Provinz Sachsen, Braunschweigs und Anhalt» sind Nachträge erfreulichen Inhalt« nothwcndig geworden. Die Zahl der Parteigenoffen, die nach der Mittheilung eine« Redner» wegen der wirthschaftS-politischen Haltung der ReichStag«frac«ion der Versammlung fernbleiben zu wollen erklärt haben, ist ganz geringfügig. Der ausgezeichnete Ver lauf der Veranstaltung und der günstige Eindruck, den sie hinterließ, konnten daher auch durch den vereinzelten Ab sentismus nicht beeinträchtigt werden. Weiter ist nochmals hervorzuheben, was der Abg. v. Eynern dem Hinweis auf die durch wirthschaftS - politische Meinungsverschiedenheiten nicht gestörte Uebereinstimmung der Partei in den großen Fragen hinzuzufügen mit Grund für angemessen fand. Er bemerkte bekanntlich: Allerdings ist e« rin Unglück, daß sich an ihren (der national- liberalen Partei) Schoost sortgeirtzt »ine linkt-liberale Presse hängt, die sich als national-liberal giebt oder die als national-liberal be- zeichnrt wird, wie namentlich dir „Nation al-Zeitung" in Berlin, die jeden Zwiespalt, der in der national-liberalen Fraction bet diesen Fragen ausbricht, fortgesetzt in.einer solchen Weise zum Ausdrucke gelangen läßt, daß der Anschein dadurch erweckt wird, als ob fort- gesetzt in der national-liberalen Fraktion deS Reichstage- Alle« in Helle» Flammen wäre. Herr v. Eynern hat damit nichts gesagt, waS auf dem letzten allgemeinen Parteitag nicht von einer Reihe von Parla mentariern, und zwar ohne in der nach vielen Hunderten zählenden Versammlung ein Wort deS Widerspruchs zu erwecken, ausgesprochen worden war. Aber die Bereitwillig keit der Gegner, die von der „National-Zeituna" mit mehr Zähigkeit als Würde festgehaltene Fiction ihrer Zugehörigkeit zur nationalliberalen Partei gegen diese auszubrulen, ließ eine Wiederholung angezeigt erscheinen. Was die „National-Zeitung" Herrn v. Eynern erwidert, ist bei nahe erschütternd. Sie mutzt zunächst bas Druck- oder Sprachversehen „Schooß" statt „Rockschöße" breitspurig auf und schreibt dann: „WaS uns betrifft, so haben wir die Kämpfe deS nationalgestnnteu gemäßigten Liberalismus schon mit durchgefochlen, al« der Herr von Eynern außerhalb Barmen« nur in den Kreisen des ZndigohandelS bekannt war." Der frühere Eintritt in das politische Leben beweist nicht bessere Einsicht, und warum das Organ des „Schutz- verbandeS" gerade dem Handel in Indigo eine levis uola maculae anhängt, ist nicht ersichtlich. Es können doch nicht alle Leute Börsengeschäfte machen. DaS wäre auch dem „ehr baren deutschen Kaufmann", der sich durch die Einschränkung der Jobber« bedrückt fühlt, gewiß sehr unangenehm. Vor mehr als Monatsfrist war bereits die Mittheilung aufgetaucht, daß die chinesische Anleihe gemeinsam von deutsckenund englischen Banken gezeichnet werden würde, dann hörte man wieder von verschiedenen anderen Projeclen, und endlich hieß e«, Chinas Anleibebemühungeu seien überhaupt erfolglos verlaufen. Nun endlich steht fest, daß jener früheren Meld ung entsprechend, eine deutsche Bank in Gemeinschaft mit ein«r englischen die Anleihe zeichnen wird. Wenn die Berliner Börse diese Thatsache mit einer Aufwärtsbewegung begrüßt, so thut sie recht daran, denn für Deutschland ist diese Erledigung der Anleibefrage in mancherlei Hin sicht erfreulich. Man erinnert sich, daß vor einigen Wochen, als die Candidatur deS Prinzen Georg von Griechen land für den Gouverneursposten von Kreta fraglich wurde, ein Theil der russischen Presse in ärgerlichem Tone Deutschland darauf aufmerksam machen zu müssen glaubte, daß Deutschland bei solchem Verhalten sich unter Umständen ganz neuen Gruppirungen der europäischen Großmächte gegenübersrhen könnte, und daß e» jener sploncliä Isolation anheimfallen könne, die für England so wenig vortheilhajt ist. Nun sieht man an diesem Anleiheabschlusse wieder einmal, daß Deutschland bei allen möglichen Actionen doch recht werthvoll sein kann, weil es ein Staat ist, der nicht nur über große Machtmittel verfügt, sondern der auch wirth- schaftlich und finanziell kräftig dasteht, und der in dieser Hinsicht jedenfalls Rußland bei Weitem überragt. Zum Zweiten ist r« ganz gut, daß die Anleihe nicht eine einseitig englische ist. Dadurch ist England nicht in die Lage versetzt gewesen, solche Forderungen an China zu stellen, wie es ursprünglich wohl beabsichtigt hatte. Die „Times" haben die von ihnen zuerst gebrachte Mittbeilung, daß von China die Fortführung der birmanischen Eisenbahn durch die Provinz Aünnan gestaltet worden sei, dementiren müssen. Das ist sehr wichtig. Hätte England die Concessionirung dieser Bahn erlangt, so würde die allen Mächten freizegebene Benutzung der chinesischen Wasserstraßen, insbesondere des Jang-tse-kiang, thatsächlich nur den Engländern zu Gute gekommen sein, weil England eine direkte Verbindung aus seinem Gebiete zum Jang-tse-kiang gehabt hätte. Wie die Dinge jetzt liegen, wird auch Deutschland von der Frei- gebung der Wasserstraßen Vortheil ziehen können und China wird auch umso eher geneigt sein, Deutschland die selben Vortheile zu Theil werden zu lassen, wie England, al« ja auch deutsches Capital dazu beiträgt, China aus seinen gegenwärtigen schweren finanziellen Sorgen zu befreien. Endlich ist wohl gerade weil China nun endlich wirthschaft- lich erschlossen wird, mit Sicherheit zu hoffen, daß daS in der chinesischen Anleihe angelegte deutsche Capital völlig gesichert sein wird. Die Wirkung deS Plaidoyer« Labori'S im Zola- Proeetz war eine bedeutende. Rauschender Beifall, der natürlich sofort Gegenkundgebungen hervorrief, folgte dem dramatischen Schluffe seiner meisterhaften Rede. Das Publicum im Schwurgerichtssaale war sorgfältig ausgewählt, eS bestand zum größten Tbeile aus Gegnern der „DreyfuS-Gruppe", und doch «ine Ovation für Laboril 6'est la b'rauce. UnS interessirt in Labori« Rede zumeist der Passus, welcher die officiellen deutschen Erklärungen zur Dreyfus- Sache streifte. Wir erhalten darüber heute folgenden ge naueren Bericht: " Pari», L2. Februar. Im Verlause seines Plaidoyer- deutete Advocat Labori auf die Erklärungen de« Staatssecretair« des deutschen Auswärtigen Amtes, Staatsministers v. Bülow, hin und sagte: „Sind nicht Erklärungen fremder Regierungen in Betreff Dreyfu«' vorhanden? (Murren.) Ich habe dieses Murren erwartet. Wir hätten Fremde als Zeugen vorladen können ...", der Prä sident unterbrach Labori mit Len Worten: „Wir hätten sie nicht gehört", worauf Labori sortfuhr: „Wir haben that- sächlich keinGewichtdaraufgelegt, Fremde in dieser A ngelegenheit anzuhörin, welche unter un« geregelt werden soll, damit wir Franzosen trotz aller Zwistigkeiten un« Hand in Hand finden, wenn die Kriegsdrohungen, di» man ziemlich leicht- fertig in die Debatte geworfen hat, sich verwirklichen sollten. Aber schließlich ist eine ofsicielle Erklärung in einer Tom- misjion des deutschen Reichstags erfolgt. . . ." Hier unterbrach der Präsident den Redner wieder und sagte: „Ueber- grhrn Sie daS", worauf Labori erwiderte: „Dir Erklärungen in der Commission sind nicht entscheidend, aber ihr Werth ist bedeutend. Es widerspricht allen diplomatischen Gewohnheiten, die Berräther zu vrrtheidigeu, wie man behauptet, man liejert di» Brr- räther nicht aus, aber wenn sie entdeckt werden, so sucht man sie auch nicht zu retten." Man sieht, wie am Schluß des PlaidoyerSLaboris der Kampf zwischen dem Vorsitzenden und dem Vrrtheidiger wieder auf cm Ringen nicht um die Ueberzeugung der Richter, sondern um die Hurrab-Sympathien des chauvinistisch erregten Auditoriums hinauslief. Labori wußte, daß er mit dem Hinweis auf die Erklärungen des deutschen Staalssecretairs, auf die man in Frankreich bekanntlich nicht so viel Werth legt, die man als selbstverständliche Lüge für abgethan hält, nur Unwillen erregen mußte. Deshalb ließ er wieder den großen Tag der Rache und die Franzosen an diesem Tage alle Hand m Hand er scheinen, ein Bild, das seinen Eindruck nicht verfehlte. Noch wirkungsvoller beinahe war die Art, wie der Vorsitzende die deutschen Erklärungen abthat: „Wir hätten die Fremden nicht vernommen" — „übergehen Sie daS." Ueberlegener und verächtlicher — wie muß daS dem ChauviuiSmu« geschmeichelt und zugleich angestachelt haben! —vermag man allerdings über das schwerstwiegende und absolut sichere Argu ment dafür, daß DreyfuS nicht mit der Vormacht des Drei bundes in Beziehungen gestanden hat, sich nicht hinweg- zusctzen. Wie gern hätte Labori dieses Argument zu Gunsten DreyfuS' ausgebeutrt, aber er durfte eS nicht, wollte er seine Sache nicht verloren geben. In der sogenannten Anklage schrift gegen DreyfuS ist auf Beziehungen desselben zu Deutsch land ausdrücklich hingewiesen, woraus zu schließen ist, daß wegen VerrathS an Deutschland die Anklage gegen ihn erhoben worden ist. Im Verlauf deS Proccsses hat sich der Verdacht höchstwahrscheinlich nach einer anderen Seite gelenkt, aber trotzdem hält in Frankreich, wer an die Schuld des DreyfuS überhaupt glaubt, daran fest, daß er eia deutscher Spion gewesen ist. Di, abwehrende Aeußerung de« Vorsitzenden, der diesen Glauben offenbar theilt, wird die Franzosen nur in ihrem von vornherein fertigen Urtheil bestärken. Die weiteren Aus führungen Labori'S bedeuteten thatsächlich die Eröffnung der Revision des DreyfuS-ProcesseS vor dem Schwurgericht, denn sie waren durchweg ein vernichtendes Urtheil über diesen in allen seinen Einzelheiten. Sie sprechen in ihrer fast durchweg überzeugenden klaren Logik für sich selbst, so daß sie weiterer Erläuterung nicht bedürsea. Die Bestätigung der Nachricht, daß die Unruhen unter den Eingeborenen ia den sütztveftasrtkanische» Besitzungen PortuaallS, in der Provinz Angola nördlich deS Kunene, in der Hauptsache auf das eigenmächtige und rücksichtslose Vorgehen der dort angesiedeltev TranSvaalboeren zurückzuführen sind, muß die Aufmerksamkeit wieder aus die Erörterungen lenken, welche vor einigen Jahren über die Frage der Niederlassung von Boeren in größerer Anzahl in unserem südwestafrikanischen Schutzgebiete ge pflogen wurden. Wenn man sich entsinnt, mit welcher Wärme damals für eine ausgedehntere Heranziehung von Boeren zur Besiedelung unseres Schutzgebietes von verschiedenen Seiten eingetreten wurde, so wird man anaesichtS der jetzigen Zwistigkeiten zwischen den portugiesischen Ovambos und den Boeren unserer Colonialverwaltung nur Dank dafür wissen können, daß sie einer solchen Fürsprache nicht nachgegeben hat. Freilich standen unserer Colonialverwaltung die guten Beobachtungen deutscher Forschung-reisender dabei zur Seite, namentlich die der Herren vr. Hindorf, Privatdocent vr. Dove und MarinestäbSarzt a. D. vr. Sander, welche 1894 auch über die Boerenfrage eingehendere Gutachten er- Vs Durch eigene Lraft. Roman von Alexander Römer. Nachdruck »«rbot««. Die Baronin blieb in ihren Gemächern, der Baron, der mit dem Jnspector stundenlang gearbeitet hatte, tauchte in un behaglichster Stimmung überall auf, und war überall im Wege. Auch er verlangte von Emily, daß sie ihn mit dem Gewohnten versorgen solle. Die Wolters sei einmal wieder confuS, und draußen se kein Bissen Warme« zu haben. Er hatte sich Reste bringen lassen vom gestrigen Ueberfluß, aber die Pastetchen waren nicht gewärmt, die Bouillon versalzen, die Mayonnaise nicht zu finden. Er und sein Sohn saßen einstweilen bei einer Flasche Jo hannisberger, aber Felix vermißte die Gardinenbüchse und fragte auch deswegen bei Emily an. Sie lief hinunter und bracht« sie ihm wirklich, er küßte dankbar ihre rosigen Fingerspitzen. „Sie waren gestern entzückend, Emily", flüsterte er, „wahr haft blendend. Sie verdunkelten alle» Weibliche um sich her. Ich glaube übrigen«, wir waren beide rin bischen lugst sptriwck, und Sie mit Ihren Gluthaugen haben allerlei Herzen gebrochen. Apropo«! Sahen Sie nicht« von Llau« Hartwig heute Morgen?" Emily wandte sich ab und hüllt« «ine silberne Dose in zarte« Seidenpapier. „Herrn Hartwig? Nein", entgegnet« sie, „bleibt er «igentlich hier oder geht er mit nach Berlin?" „Na, da« denke ich von Jhn»n zu erfahren, Emily, Sie sind doch seine erste Rathgeberin und Vertraute." Sie warf den Kopf herum. Er fixirte sie scharf mit listigem Ausdruck. „Ich mag diese ewigen Neckereien mit dem Maler nicht", sagte sie zornig, „er geht mich gar nicht« an." „Pah, Emily, denken Sir denn, daß ich keine Augen im Kopfe hab«? Er saß ja gestern Ihnen schräg gegenüber und machte ein Gesicht, al« ob er Sie morden wollte. Da« haben Sie gerade so gut gesehen wie ich." „Ich hatte gestern Abend Andere« zu thun, al« auf Herrn Hartwig zu achten." „Hm — zu thun hatten Sie eben w«iter nicht« al» vielleicht in erster Reihe mir und dann nach verschiedenen Anderen die Köpfe zu verdrehen, eine Beschäftigung, welche Ihnen noch etwa« Mitleid mit einem so armen Jungen lassen konnte. Uebrigen« Frau Cäcilie holte ihr Riechfläschchen und ihr Taschentuch, allemal zwei bedenkliche Zeichen, aber sie sagte nur: „Wir Frauen sind immer die Schuldigen, Victor." Der Baron war schlechter Laune, darum verschanzte sich Frau Cäcilie hinter ihre äußerste Sanftmuth. Emily scherzte mit Felix; ihre Wangen brannten, und ihre Augen glänzten wie die einer Fiebernden. Als die Tischsitzung aufgehoben wurde und die Tante sich zur Siesta zurückzog, war es vollständig dunkel. Emily aber hüllte sich ein und lief hinaus in den Park. Ihr war, als müsse sie ersticken, wenn sie im Zimmer blieb, und was wollte sie draußen? Ihn suchen? Ein eisiger Schauer rann ihr über den Leib — wenn sie ihn fände! Klappernd schlugen ihre Zähne aneinander, als sie durch das dürre Laub, das unter ihren Füßen raschelte, die Partwege entlang flog. Was sie jetzt so furchtbar peinigte, war das dieses sonst geleugnete Gewissen? Sie ging allmählich langsamer und spähte scheu um sich her. Sie schritt an der Parkmauer entlang bis auf die Landstraße und hörte drüben den Bach rauschen, der die Mühle trieb. Sie stand dort und zitterte wie Espenlaub, der Abend war bitterkalt. Welch ein Unsinn, hier herum zu iren, zweck- und ziellos. Sie ging zögernd über die Straße und lehnte erschöpft an dem Gitter de« Vorgärtchens, da« zum Hause der alten Schwestern Röpke führte. Drinnen, in dem zu ebener Erde gelegenen Wohnzimmer, brannte Licht, und die Läden waren nicht geschloffen. Am Tische, den Kopf in die rechte Hand gestützt, über ein Buch gebeugt, saß eifrig lesend das fremde Mädchen, welches sic noch kaum gesehen hatte. Die Lampe warf einen lichten Schein über das Blondhaar — wie fein und regelmäßig waren die Linien des jungen Gesicht« und wie unschuldig der Ausdruck! Sie war allein in der Stube, die Stimmen der alten Jungfern hörte man im Hofe, wo sie mit einem Holzhauer redeten. In der Lauscherin draußen ging Ungewöhnliches vor. Sie starrte wie gebannt auf das ruhig« Bild drinnen. Dir da wgr nicht viel in besserer Lage als sie einst. Aber sie fand hier einen sicheren Zufluchtsort bei Blutsverwandten. Ihr hatte man damals, als sie ebenso jung, ebenso unschuldig und unerfahren war wie diese, keinen geboten. In die Fremde hinaus war sie geschleudert worden, »ine Stelle al« Erzieherin in Ungarn hatte man ihr vermittelt. Sie in ihrer Unerfahrenheit und Schutzlosigkeit hatte für sich einzustehen, sich mit ihrem leidenschaftlichen Temperament und ihrem Hunger nach Lebens lust abzusinden — wehe ihr, wenn e« ihr nicht gelang! Es war ihr ja wohl so ziemlich gelungen, und es mußte ihr auch ferner gelingen, nur solche Stunden wie diese am heutigen Scherz bei Seite, sein Verschwinden fängt an, mir räthselhaft zu werden. Clau« ist gestern nämlich vor Beendigung des Diners weggerannt, ohne Ueberzieher, und ist bi« zu diesem Augenblick spurlos verschwunden. Ich war in seinem Zimmer, sein Bett ist unberührt. Er sah au«, al» sei er gerade in der Stimmung, sich au« diesem Leben hinaus zu spediren. Ist Ihr Gewissen ganz rein, Emily? Sr wär» nicht der Erste, den eine Evastochter zu verzweifelter That trieb." Felix sprach in einem ganz ernsthaften Ton, waS bei ihm eine solche Seltenheit war, daß es förmlich auffiel. Emily fühlte, wie sie erbleichte, ihr war schlecht zu Muthe. So sehr sie auch in der Beherschung geübt war, der Schreck fuhr ihr doch in die Glieder. Sie war sich ja bewußt, wie auffällig sie gestern mit Felix kokettirt hatte, in einer ganz bestimmten Absicht sogar, um Claus, dem e« nicht begreiflich zu machen war, daß ei wirklich und für alle Zeit zwischen ihnen aus sei, deutlich zu zeigen, wie er keine Hoff nung mehr hab«. Sie hatte ihn abscheulich behandelt. Und noch am gestrigen Morgen hatte sie eine leidenschaftliche Scene mit ihm gehabt, in der er wiederholt gedroht, er werde sich daS Leben nehmen. Sollte er — aber warum gleich daS Schlimmste denken? Tie ärgerte sich Uber sich selbst, über ihr« groß« Dummheit und Unvorsichtig keit. Man mußte auch in den Stunden der Sntmuthigung auf seiner Hut sein. Als sie sich damals so «lend gefühlt, hatte sie sich an den ersten Besten geklammert. Wie schwer lösen sich solche Fesseln. Sie faßte sich aber und zuckte geringschätzig die Achseln. „Pah! Lassen Sie sich noch durch solche Reden ins Bockshorn jagen, die« Stück steht dem Herrn Hartwig recht ähnlich. Er ist immer Hantwurst und Komödiant und e» ist ja recht artig gegen seine Gönner, die so viel für ihn gethan haben, wenn er jetzt heimlich sich davon macht und das ganz« Hau« in Alarm setzt. Er wird irgendwo stecken." „Emily, Smily! Wo sollte er stecken? Im Kruge ist er nicht; ich sprach die Krugwirthin, sie sagte mir, er se! im Frack, ohne Ueberrock, sehr aufgeregt, kurze Zeit dagowesen, nach dem Abendbrod hab« fie ihn nicht mehr gesehen. Seine Effecten stehen alle auf seinem Zimmer, seine Börse war auch, fürchte ich, gänzlich leer — die Sache ist wirklich bedenklich." „Und wa« habe Ich damit zu schaffen, fordern Sie ihn etwa von mir? Felix, Sie sind mehr als sonderbar." Sie sagte e« in einem Ton, der lachend klingen sollte, aber doch unnatürlich war. Ihr Herz klopfte wild. Sie sah Felix mit einem Blick an, der an Haß streifte. Machte er sich einen Spaß daraus, sie zu ängstigen? Felix wandte sich zum Gehen. „Gut", sagte er, und es war wieder schwer zu unterscheiden, ob er im Scherz oder Ernst sprach, „ich will um Ihrer Ruhe willen hoffen, daß wir ihn nicht im Teich oder an irgend einem Baumast finden." Emily blieb wie unter einem Banne zurück. Sie verrichtete nur noch mechanisch, was ihr oblag, und forschte nun vorsichtig überall unter der Dienerschaft, ob Niemand den Maler gesehen habe. Ja, gesehen hatten ihn viele, und alle stimmten überein, er sei daoongerannt wie in Berzweifelter. Er sei aber nach dem Kruge hinübergelaufen, und dort verlor sich seine Spur. Auch bei Tische war später viel die Rede von dem Vermißten; Emily war es, als ob ihr jeder Bissen im Munde stecken blieb. Aber Felix' forschenden Augen gegenüber galt es, sich zusammen zu nehmen. Ihre Bemerkungen drückten jetzt ruhige Theilnahme aus. Der arme Mensch, er hatte an seinem Können sehr ge zweifelt in der letzten Zeit, aber — dies sei doch nicht zu denken. Die Baronin verwarf diese Annahme auch entschieden. Sie ieß sich des Breiten über die Undankbarkeit solcher Leute aus, le war überzeugt, daß er betrunken gewesen sei und irgendwo einen Rausch auSgeschlafen l>abe. Nun möge er sich wohl schämen, hnen wieder unter die Augen zu treten. Am meisten beunruhigte ie das unvollendete Bild, die Einiugsscene, die er ja ganz viel- versprechend skizzirt habe. Es wäre abscheulich, wenn er davon liefe, ohne sie fertig zu machen. „Darum wird er sich am wenigsten kümmern, Cäcilie", meinte der Baron, der ernste Nachforschungen anordnete, „wenn ihm überhaupt der Boden hier nicht mehr behagt hat. Und von einem k.einen Rausch würd: er auch kein Aufheben machen, daS pastirl solch einem jungen Kerl öfters, einem alten auch bisweilen. Da steckt Anderes dahinter." „Was zum Beispiel?" fragte die Gnädig« verletzt. „Na, wie kann ich's wissen. Ihm ist hier nicht mehr wohl in seiner Haut gewesen, er hätte auch gar nicht nach Heßbach kommen sollen. Da» war Deine Idee, er sollte Dir da« Bild malen, solch ein junger Künstler muß aber Anderes schaffen, wa« ihn fördert, ihm einen Namen macht." „Habe ich ibn etwa daran gehindert, Victor?" „Nun ja, Cäcilie, wenn wir ehrlich sein wollen, Du warst auf dem besten Wege, ihn zu einer Art Hofmaler Deiner Hoheit zu machen, und er war ein gutmüthiger Jung», er wollte sich nicht undankbar erweisen. Ich habe den Claus immer gern gehabt."
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