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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.02.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980225016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898022501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898022501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-25
- Monat1898-02
- Jahr1898
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Gröbere Schriften laut unserem Preis Verzeichnis. Tebrllarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbeförderung 70.—. Än«ah«eschluß siit( Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anreißen sind siet» an die Expedition zu richten. Druck uud Verlag von E. Polz in Leipzig. M. Freitag den 25. Februar 1898. 92. Jahrgang. Bismarck über die Einheitlichkeit der auswärtigen Politik. Aus der Biographie Kaiser Wilhelm'- I. von Erich Marcks wissen wir, daß unmittelbar nach dem Auftauchen der dänischen Erbfolgefrage, im November und im December 1863, die Stellung deS Ministerpräsidenten von Bismarck ernstlich erschüttert gewesen sei. Wer hierzu vornehmlich beizetragen habe, erkennen wir auS Briefen deS Grafen Robert v. d. Goltz an BiSmarck, die Professor vr. Horst Kohl in den neuesten, nächste Woche erscheinenden Lieferungen des Bismarck-Jahrbuches*) veröffentlicht. Es war u. A. der preußische Gesandte in Paris, Graf R. v. d. Goltz, der BiSmarck's dänische Politik bekämpfte und zwar mit einem Nachdruck, daß Letzterer, als der verantwortliche Minister des Auswärtigen, zu energischer Abwehr sich genöthigl sah. Sie bestand in einem ausführ lichen, sehr bestimmt gehaltenen Schreiben, das, am heiligen Abend 1863 von Bismarck verfaßt, jetzt durch Horst Kohl auszugsweise bekannt wird. Wir theilen im Nachstehenden das principiell Wichtigste daraus mit, schicken aber zur Er läuterung der damaligen Lage in aller Kürze eine geschichtliche Erinnerung voraus. Preußen hat bekanntlich den Erbanspruch des Augusten burgers und die Stimmung in Deutschland ignorirt; es ist im Gegensätze zu der öffentlichen Meinung und zu der Politik der Mittelstaaten auf den Bahnen des Londoner Protokolls vvrgegangen, letzteres gerade durch seine strenge Innehaltung schließlich aufbebend. Dem Vertreter dieser unerhört genialen und sickeren Diplomatie, Herrn von Bismarck, schrieb Graf v. d. Goltz am 22. December 1863 u. a. Folgendes: „Der Londoner Vertrag ist das Schmählichste der Manteuffel- fchen Vermächtnisse; Sie, lieber Bismarck, durften sich am aller wenigsten zum Executor desselben bergeben. Sie setzen hierdurch nicht allein ihre Zukunft, sondern diejenige der Dynastie, die Groß machtstellung Preußens, die Existenz der konservativen Partei auf- Spiel. Denn die faktische Lostrennung eines deutschen Landes von Deutschland, mitten im 19. Jahrhundert, ohne Schwrrlstreich, das wäre der Bruch mit Preußens Beruf." *) Die beiden Lieferungen, die 3. und 4. des fünften Bandes, enthalten wieder eine Fülle werthvollsten Materials; nämlich: 32 Briese des Grafen v. d. Goltz an Bismarck; 2 Briefe König Wilhelm's I. an Bismarck; ein Schreiben BiSmarck's an König Wilhelm; einen Brief Les Erbprin zen Friedrich v. Augusten- bürg an BiSmarck; die Bismarck-Chronik vom 1. Januar bi» 31. December 1897; eine Abhandlung v. Mülverstedt's über die Herkunft des Erzbischofs Dietrich von Magdeburg; eine Abhandlung H. Kohl's, betr. Beiträge zu den politischen Reden BiSmarck's; endlich eine Uebersicht der Bismarck-Literatur 1894 97. — Ter Preis der Lieferung (Verlag der G. I. Göschen'schen Verlaashand- lung in Leipzig) beträgt wie bisher 2 Hierauf antwortete BiSmarck am 24. December 1863 u. A. Folgendes: Berlin, den 24. December 1863. «... Was die dänische Sache betrifft, so ist es nicht möglich, daß der König zwei auswärtige Minister habe, d. h. daß der wich tigste Posten in der entscheidenden TageSfrag« eine der ministeriellen Politik entgegengesetzte immediat bei dem Könige vertrete Die schon übermäßige Friktion unserer Staatsmaschine kann nicht noch ge steigert werden. Ich vertrage jeden mir gegenüber geübten Wider- spruch, sobald er aus so kompetenter Quelle, wie die Ihrige, hervor geht; die Berathung des Königs aber in dieser Sache kann ich amtlich mitNiemandem theilen, und ich müßte, wenn Se. M. mir dies zumuthen sollte, aus meiner Stellung scheiden. Ich habe dies dem Könige bei Vorlesung eines Ihrer jüngsten Berichte gejagt. Se. M. fand meine Auffassung natürlich, und ich kann nicht anders als an ihr festhalten. Berichte, welche nur die ministeriellen Anschauungen wiederspiegeln, erwartet Niemand; die Ihrigen sind aber nicht mehr Berichte im üblichen Sinne, sondern nehmen die Natur ministerieller Vorträge an, die dem Könige die entgegengesetzte Politik von der empfehlen, welche er mit dem gejammten Ministerium im Conseil selbst be schlossen und seit 4 Wochen befolgt hat. Eine, ich darf wohl sagen, scharfe, wenn nicht feindselige Kritik dieses Entschlusses ist aber ein anderes Ministerprogramm und nicht mehr ein gesandschaftlicher Bericht. Schaden kann solche kreuzende Auffassung allerdings, ohne zu nützen; denn sie kann Zögerungen und Unentschiedenheiten Hervorrufen, und jede Politik halte ich für eine bessere, als eine schwankende. . . Wenn Sie statt meiner hier im Amte wären, so glaube ich, daß Sie Sich von der Unmöglichkeit der Politik, die Sie mir heut empfehlen und als so ausschließlich „patriotisch" ansehn, daß Sie die Freundschaft darüber kündigen, sehr bald über zeugen würden. So kann ich nur sagen: la oritiqus est mass; die Regierung, namentlich eine solche, die ohnehin in manches Wespen- nest hat greifen müssen, unter dem Beifall der Massen zu tadel», hat nichts Schwieriges; beweist der Erfolg, daß die Regierung richtig verfuhr, so ist von Tadeln nicht weiter die Re^e; macht die Regierung FiaSco in Dingen,die meuschliche Einsicht uno Wille überhaupt nichh beherrschen, so hat man den Ruhm, rechtzeitig vor- hergesagt zu haben, Laß die Regierung aus dem Holzwege sei. Ich habe eine hohe Meinung von Ihrer politischen Einsicht; aber ich halte mich selb st auch nicht für dumm; ich bin darauf gefaßt, daß Sie sagen, dies sei eine Selbsttäuschung. Vielleicht steigen mein Patriotismus und meine Urtheilskrast in Ihrer Ansicht, wenn ich Ihnen sage, daß ich mich seit 14 Tagen auf der Basis der Vor- schlüge befinde, die Sie in Ihrem Bericht No. . . machen. . . Vielleicht werden noch andere Phasen folgen, die Ihrem Pro- gramm nicht sehr fern liegen; wie aber soll ich mich entschließen, mich über meine letzten Gedanken frei gegen Sie auszulasscn, nach- dem Sie mir politisch den Krieg erklärt haben und Sich ziemlich unumwunden zu dem Vorsatz bekennen, das jetzige Ministerium und seine Politik zu bekämpfen, also zu beseitigen? Ich urtheile dabei blos nach dem Inhalt Ihres Schreibens an mich und lasse alles bei Seite, was mir durch Colportage und dritte Hand über Ihre mündlichen uud schriftlichen Auslassungen in Betreff meiner zugeht. Und doch muß ich als Minister, wenn das Staatsinteresse nicht leiden soll, gegen den Botschafter in Paris rückhaltslos offen bis zum letzten Worte meiner Politik sein. Die Friktion, welche jeder in meiner Stellung mit den Ministern und Räthen, am Hofe, mit den occulten Einflüssen, Kammern, Presse, den fremden Höfen zu überwinden hat, kann nicht dadurch vermehrt werden, daß die Disciplin meines Ressorts einer Concurrenz zwischen dem Minister und dem Gesandten Platz macht und daß ich die unentbehrliche Einheit des Dienstes durch Dis kussion im Wege des Schriftwechsels herstelle. Ich kann selten so viel schreiben, wie heut in der Nacht am heiligen Abend, wo alle Beamte beurlaubt sind, und ich würde an Niemand als an Sie den vierten Theil des Brieses schreiben. Ich thue es, weil ich mich nicht eutschließen kann, Ihnen amtlich und durch die Büreaus in derselben Höhe des Tones zu schreiben, bei welchem Ihre Berichte augelangt sind. Ich habe nicht die Hoff- nung, Sie zu überzeugen, aber ich habe das Vertrauen zu Ihrer eignen dienstlichen Erfahrung und zu Ihrer Unparteilichkeit, daß Sie mir zugcben werden, es kann nur Eine Politik aus einmal gemacht werden, und das muß die sein, über welche das Ministerium mit dem Könige einig ist. Wollen Sie dieselbe und damit das Ministerium zu werfen suchen, so müssen Sie das hier in der Kammer und der Presse an der Spitze der Opposition unternehmen, aber nicht von Ihrer jetzigen Stellung aus, und dann muß ich mich ebenfalls an Ihren Satz halten, daß in einem Constict des Patriotismus und der Freundschaft der erstere entscheidet. Ich kann Sie aber versichern, daß mein Patriotismus von so starker und reiner Natur ist, daß eine Freundschaft, die neben ihm zu kurz kommt, dennoch eine sehr herzliche sein kann. v. BiSmarck." Graf v. d. Goltz hat in einem von Horst Kohl ebenfalls mitgetheilten Schreiben sich zu rechtfertigen bemüht und u. A. die „Dicla'iur des Ministers der auswärtige» Angelegen heiten" theoretisch bekämpft. Der verdiente Diplomat würde heute wohl selbst bei Herrn Eugen Richter in diesem Puncte nicht auf unbedingte Zustimmung rechnen können. Schutz der Reicksverfajsung. Der inhaltlich schon kurz erwähnte Artikel der „Hamb. Nachr." über den Schutz der Reichsverfassung lautet wörtlich folgendermaßen: „Das Auftreten der socialdemokratischen Abgeordneten provocirt die Prüfung ihrer Legitimation in strengerer Form als bisher. In dieser Hinsicht ist die ReichS- tag-sitzung vom 21. Februar lehrreich, in welcher der Ab geordnete von Stumm auf die socialdemokratischen Jnvec- tiveu erwiderte: „Sie haben eigentlich gar nicht das Recht, hier zu sitzen. Sie beziehen zugestandenermaßen Diäten und verletzen damit die Ver fassung." Abg. Bebel: Den Bezug von Privatdiäten habe ja Fürst Bismarck verhindern wollen, er habe aber doch nicht die Macht dazu gehabt. Abg. Singer: Seine Freunde müßten Diäten annehmen, weil sie sich nicht ... an Gründungen betheitigrn könnten. Hiernach gestehen die Socialdemokraten offen zu, als Ab geordnete Diäten zu beziehen, und setzen sich damit in flagranten Widerspruch zu Art. 32 der Reichsverfassung, welcher lautet: „Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Be soldung oder Entschädigung beziehen." Die Frage ist als eine Verfassungsfrage so tiefgehend, daß es sich wohl empfehlen würde, ibr näher zu treten, als in den flüchtigen Verhandlungen zwischen den oben genannten Ab geordneten geschehen ist. Da der Reichstag nach Art. 27 der Verfassung die Legitimation seiner Mitglieder selbst prüft, so ist es für ibn eine Ehrenpflicht und eine Rechts pflicht, dafür zu sorgen, daß Mitglieder, welche in dieser ihrer Eigenschaft Entschädigungen beziehen, nicht zugelassen werden, ihre Functionen auSzuüben. Die Diätenlosigkeit war bei Herstellung der Verfassung das Aequivalent für das allgemeine und geheime Wahlrecht. Wenn dieses Aequivalent reichstagsseitig nicht gegeben wird, so wird man eben auf die Unterlagen des damaligen CompromisseS wieder znrückgreifen müssen. ES ist die Frage, ob ein Reichstag, welcher sich der Verfassung nicht conformirt, berechtigt ist, die Reichstagsfunctionen auSzuüben, und ob nicht die verbündeten Regierungen in der Lage sind, den geschäftlichen Verkehr mit einem Reichstage, welcher sich seinerseits den verfassungsmäßigen Verpflichtungen nicht fügt, abzulehnen. Die nächste Aufgabe der Regierungen in dieser Richtung würde sein,' sich die Gewißheit zu verschaffen, welche Mitglieder des Reichstags in Widerspruch mit Art. 32 der Verfassung Diäten beziehen und dadurch ihr Anrecht auf Theilnabme am Reichstage verlieren. Da die Ausführung des Art. 32 nach der Verfassung dem Reichstage und seinem Präsidium obliegt, und da die Ver fassung zu den Reichsgesetzen gehört, Uber deren Ausführung nach Art. 17 dem Kaiser die Ueberwachung zustebt, so kann man sich also fragen, ob es nicht angezeigt wäre, daß der Kaiser unter Bezrmnahme auf Art. 17 der Verfassung eine Botschaft an den Reichstag richtete, in welcher derselbe zu stricter Ausführung deS Art. 32 an seinem Theile aufgefordert würde." Soweit die „Hambg. Nachr.". — Fürst Bismarck hat, wie die „Nat.-Ztg." in Erinnerung bringt, Anfangs der achtziger Jahre, als auch die Fortschrittspartei öffentlich Parleidiäten kür ihre Mitglieder einführte, gegen solche mehrere Civilprocesse anstrengen lassen auf Grund einer Bestimmung des allgemeinen Landrechts, wonach ein Vortheil, den sich Jemand durch Verletzung der Gesetze verschafft hat, ihm zu Gunsten des FiscuS „entrissen" werden soll. Nachdem die Gerichte erster und zweiter Instanz in verschiedenem Sinne erkannt hatten, er- FerriHetsn. Die Sappho von Wersmeninkeu. ii. Aber auch wohlwollendere „Berather" unserer Johanna Ambrosius, die ihr wohl zu verstehen gegeben haben, daß der „Naturdichterin" von Wersmeninkeu doch immer noch manches Unfertige anhafte, daß sie die Form noch nicht genügend beherrsche, daß ihre Gedichte noch zu wenig selbstständig seien, an das und jenes Vorbild erinnerten — dabei hat sie Goethe s und Schiller'« Gedickte, die man im Auge hat, erst nach dem Erscheinen ihrer ersten Sammlung kennen gelernt! — daß sie den „Weg zum Glück" beschreiten, d. h. Feld und Stall Valet sagen, in städtische Kreise eintreten und einer literarischen Clique sich anschließen, aus ihrem dichterischen Capital Zinsen in klingender Münze herausschlagen möge rc. — auch diese „Freunde" konnten ihr nur webe thun und sie beleidigen mit ihrem Rath. Ihnen ruft sie zu: „Frei will ich sein." Nein, neiul Erbettelt hab' ich nimmer meine Lieder! Schlägt eine harte Faust mit starkem Hammer Auf heißes Eisen, fallen Funken nieder, Uud weithin tönt da» Erz iu seinem Jammer. Geht, geht! Belehrt mich nicht, wie ich zum Glück gelange. Und fragt nickt immer, warum ich noch weine, Warum so blaß di» »iugesallnr Wang« — ES ist doch «u«r Glück nicht auch das mein«. Frei, frei! Laßt brausen meine Schmerzen, meine Wonnen, Ihr werdet meine Seele nimmer zügeln; Sie stammt au- fremdem Reich, dem Land der Sonnen, Ist groß und stolz mit mächt'gen Adlerflugeln. Ja, sie ist rin stolze» Weib, di« Sappho von WerS« meninken, und sie darf eS auch sein. Sie weiß, daß der Geniu» Wohnung iu ihrer Brust genommen, daß sie «ine Dichterin ist von Gotte» Gnaden, aber sie will e» nur für sich sein, sich da- Urbermaß der Lust und des Schmerzes von der Seele singen, groß sein allein, allein, wie sie immer war, wenn auch elend und arm. Ihre Armuth ist ihre Ehre. So singt fl« in dem kraft- und charaktervollen, großgedachtro, in jedem Betracht voll«ndet«n Gedicht „Berthridigung": Arm nennt ihr mich, uud ihr habt bitter Recht, Bin eine Magd nur unter meinen Schwestern; M»i» Lebra geht d«a ewig gleichen Gang, Da» Morgen ist wie heut, da- Heut wie gestern. An meinen Händen funkelt lein Rubin, D«r Arbeit Ringe nur sind «tnaeschnttten, Und nirgend ander» ist mein rascher Faß Al» über Stesenteppich htageq litte». Doch bin ich reich an Sorgen, Notb und Schweiß, Lang waren meine Tage, kurz die Nächte, Und stolz heb ich mein Haupt und hock empor Zum Schwur die arbeit-harte braune Rechte: Reich bin ich, reich! denn nur die Arbeit greift Mit Segevshänden in deS Weltrads Speichen! Arm ist, wer sich des Müßgganges freut I Ich trage stolz die schönen Armuthszeichen! Nur ein hoher, selbstbewußter, ernster Geist, der, auf sich allein gestellt, im Kampfe mit sich selbst und der Welt reif und stark geworden, der gelernt hat, sich den Menschen und dem Schicksal gegenüber zu behaupten, der das Leben in seinen lichten Höhen, aber auch in seinen dunklen Tiefen, seiner Notb und seinem Elend kennen gelernt und selbst durch lebt bat, kann solche Töne treffen, kann sie so meisterhaft treffen. Und so sind eS denn auch vorzugsweise die Niederungen des gesellschaftlichen Lebens, die Hütten der Armuth, der un verschuldeten und der verschuldeten, wo der Hunger am kalteu Ofen bockt und Krankheit vergebens deS rettenden Arztes oder der Samariterliebe der Menschen harrt, aus denen sie die Motive für ihre packenden socialen Gemälde sucht. Sv arm sie selbst ist, ihre Tbeilnabme, ja ihre Liebe gehört den noch Aermeren, ihre Noth greift ihr anS Herz, an ihre Fenster schleicht sie sich Abend» heran, um sie zu belauschen und dann mit ihnen die Bürde zu tragen, di« sie zu erdrücken droht. Und wo sie die Armuth geknechtet, einen reuigen Sünder, verachtet und verhöhnt sieht, da wirft sie sich unerschrocken und muthig zu ihrem Anwalt auf: Und unsres Heiland» Wort fällt stets mir ein: „Wer ohne Sünde, heb' b«n ersten Steinl" Diese Schlußstrophe ist dem Gedicht „Die Sünderin" ent nommen, das in seiner rührenden und erhebenden Tragjk zu dem Besten gehört, von dem wir wissen. Sie kennt die tiefe Kluft, die frierende Armuth von üppigem Rcichthum trennt, aber weit davon entfernt, aozuklaaen und zu richten, den Haß zu schüren und der socialen Revolution das Wort zu reden, stellt sie die Hilfe Gott anheim: „Die Hände streck ich zum Himmel auf — Herr habe doch Erbarmen, — Erlös' die Menschheit von Hunger und Noth — Und trockn« den Sckweiß der Armen!" Und der reichen Frau, der im auS- gestorbenen Heim die Langeweile wie ein Schatten folgt, ruft sie zu: «.Geh' in die Hütten, wo der Hunger wohnt — Wo man mit Thronen Dein« Schritte lobnt, — Geh', setz' Dei» Leben für die Menschheit «in, — Mach' andre glück lich, dann wirst Du eS sein." Allem kann die Dichterin entsagen, nur der Liebe nicht. Die Hoffnung kann sie mit Füßen treten, dem Schmerze die «isenfest«» Glieder brech««, Doch w«nn e» heißt: Run schlag die Lieb' in Scherben — Da» ka»» ich nicht, ach, lieber laßt mich sterben! Ja, voll, übervoll von Liebe ist die» Dichterherz. Ihre «igeuUichen Li«br»li«der gehör«» zu d«a aumuthigsteu, I naivesten, stimmungsvollsten und ergreifendsten erotischen I Poesien unserer Literatur. Der Grundzug ist auch hier I Wchmuth und Entsagen, aber wir haben auch Lieder jubeln der Lust von Johanna Ambrosius, die uns zeigen, daß die Liebe der Leitstern ihres Lebens war, daß Liebe und Glück sie nur als synonyme Begriffe kannte. Welch elementare, l» geradezu dämonische Gewalt die Liebe über das Herz dieses schlichten Naturkindes geübt, sagt sie selbst in dem faustischen Bekenntniß „Lavagluthen": Komm' nicht zu nah'; ich bringe jedem Schmerzen, Trau' meiner vielgepriej'nen Ruhe nicht! Komm' nicht zu nah', ich berge tief im Herzen Ein Flammenmeer, das keine Macht zerbricht. Du möchtest deinen Mund auf meinen pressen So lang' und heiß in stummer Liebe Qual, Laß ab! laß ob! Es ist ein groß' Vermessen, Denn wer mich küßt, den küss ich tausendmal. Es schlügen dann empor die wilden Flammen Uud überströmten dich mit Lavagluth, Wir gingen unter Beide, beid' zusammen; Komm'mir nicht nah'! doch bl«ib mir herzlich gut! So sang sie in jungen Jahren — das Herz der Mutter gehört ihren Kindern. Die schönsten Gedichte des ersten Bandes waren ihnen gewidmet, und wir haben seiner Zeit Proben dieser Poesie echten stolzen Mutter- glückS mitgetheilt. Jbnen giebt das liebliche Gedicht der zweiten Auslese „Meiner Tochter zum 18 Geburtstag" nicht» nach. Ungemein rührend schildert die glückliche Mutter, wie ihr Herz vor Freude lacht ob der holden Rose, die ihr Stolz und ihre Augenweide ist, wie sie oft gebangt um da- Leben des kränkelnden Kindes und sich schon mit dem trübe» Gedanken vertraut gemacht: „Dick holt gewiß ein früher Tod", wie aber unvermutbet Gott der Herr ein Wunder getban und sie hat ausblühen lasse» zur schönsten, reinsten Blume: „Ich streichle sanft dein schöne» Haqr — Und schau dir in die Augen klar, — Du meine einzige Rose! — Bewahre dir dein Unschuldkleid, — E» schützt vor Reue dich und Leid — In unsrem Weltgetose." Mit ihr groß geworden ist aber auch die Liebe, die un ausrottbar« zur Hrimatb. Mst ibr ist sie aufs Innigste verwachsen, von ihr kann sie nicht lassen, zu ihr muß sie immer zurück. Freundliche Menschen haben ibr einen längeren Aufentbalt in der Schweiz an den entzückenden Usern deS Virrwaldstädter SeeS, inmitten der gigantischen Welt der Alpen ermöglicht und sie hat eS ihnen von Herzen gedankt, aber: laßt mich, laßt mich, ruft sie au», laß» mich wieder beim, heim in meine schlichten, einfachen Berbältuiffe, wo die Sonne die grünenden Wellen de» wogenden Korn» vergoldet, wo kräftige Männer mit sicherem Arme de» Pflug regieren und keusche Mädchen und herrliche Frauen die fleißigen Hände rrg«a. O du gesegnetes Heimathland! Deutsche Fahne, du schönste von allen, Strahlest weit in die Lande hinaus I Heimathlieder lieblich erschallen, Heimathblumen umblühen das Haus, Bin für die weite Eb'ne geboren! . . . Für todte Felsen bin ich verloren. An dem Schicksal des Vaterlandes nimmt die Dichterin lebendigen Antheil, und wenn auch fern vom Strome der Geschichte, verfolgt sie die Verhältnisse auf der Weltbühne mit wachem Auge. Als die Kraft de« zweiten Kaiser» des neu erstandenen Reichs aus dem Schmerzenslager dahin welkte, da betete sie laut für den „Liebling de» Volkes": „Erhalt unS Ihn!", und als der zweite Friedrich dann seine herrliche Seele ausgehaucht, da weihte sie ihm „Des Volkes Thränen": Auch Du nun todt! Und Thränenströme fließen Dem „Guten" nach, wie längst sein Volk ihn nennt, Nur aus dem blauen Himmel wird er grüßen Sein Volk, von dem er viel zu früh getrennt; Doch ruft's mit tbränumflortem Äug' ihm nach: „Die Liebe bleibt, wenn auch die Hoffnung brach!" Ueber allen Schmerz und Kummer, den das Leben bringt und davon das Schicksal gerade ihr ein voll gedrückt und gerüttelt Maß inS Haus gebracht, erbebt sie sich, ein starker Geist, in einem Gotlvertrauen, das Alles überwindet, selbst den Tod, den die Dulderin von Wersmeninkeu nicht fürchtet, sondern nur als trauten Freund und Erlöser kennt. Vom Altar batte der Unerbittliche ihren Bruder Fritz hinweggerufen, tief in die Seele schnitt ihr der Schmerz — Ta fiel mein Blick zur Erde, und ich sah Der Menschen ewig Ringen, Kämpfen, Streiten, Nur überm Friedhof, wo die Tobten ruhen, Den Friedensengel sanft die Schwingen breiten. Und plötzlich sand mein Herz die Antwort auch, Daß Du den größten Segen doch empfangen. Erst wenn der Tod giebt den ErlösuugSkuß, Sind wir zum vollen Glücke eingrgangen. So zeigt Johanna Ambrosius sich überall, nach welcher Seite hin sie auch ibren reichen Geist betbätigt, al« eine edle, groß« Seele. Al» solche sie in erster Linie den Lesern nahe zu bringen, war unser Bestreben. Daß auck al» Dichterin ihr rin Platz in der ersten Reihe gebührt, lassen di« wenig«» Proben, di« wir zu ihrer Charakteristik mitth«il«n konnte», von Neuen, erkeuuen. Möchten si« den Wunsch rege machen, den Dust de» ganzen Strauße« zu genießen, den ihre schön- h«,tSku»dige Hand un» g«wu«d«a. 0. 8.
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