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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.01.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980125025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898012502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898012502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-01
- Tag1898-01-25
- Monat1898-01
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Unsere Demokratie liebt es, wenn sie gerade nicht über etwas Anderes zu raisonniren weiß, den Grad deS Mitbestimmungsrechts des deutschen „Volkes" an der auswärtigen Politik im Vergleich zu England „beschämend dürftig" zu nennen, aber der politisch gebildete Engländer lacht darüber. Er weiß ganz genau, daß auch er nicht über das Bedürfniß der Regierung hinaus unterrichtet wird. „Das Beste, was Du wissen kannst ." In England hütet sich auch die „Opposition", Fragen zu stellen, die nicht beantwortet werden tonnen. Sie würde im anderen Falle ihrer Reputation schaden. 3m Großen und Ganzen hielten sich denn auch gestern die An fragen, die in der Budgetcommission des Reichstags an den Staatssecretair deS Auswärtigen v. Bülow über die Beziehungen des Reiches zu anderen Mächten gerichtet wurden, in den Grenzen, die durch die Natur der Diplomatie gesteckt sind. Nur die Herren Richter und Bebel machten in ihrem „WissenSdurste" nicht Halt an diesen Grenzen, verlangten von dem Staatssecretair weit mehr zu wissen, als sie selbst über ihre hinter den Eoulissen betriebenen taktischen Manöver den Parteigenossen mitzutheilen für ralbsam halten, und stabilisirten das bekannte Frage- und Autwortsverhältniß von 1: 10, das in Worten zu übertragen die Höflichkeit ver bietet. Herr v. Bülow zeigte sich seiner Aufgabe vollkommen gewachsen; er fertigte die mit dem politischen Tacte unver einbaren Fragen mit vornehmer und tadellos sachlicher Re serve ab und beantwortete die übrigen so ausführlich, wie es ihm möglich war. Viel Neues ist dadurch allerdings nicht bekannt geworden, aber daS Gesagte ist wenigstens eine authentische Bestätigung dessen, was mit größerer oder ge ringerer Zuverlässigkeit in die Oeffentlichkeit gedrungen war. Insbesondere stellte Herr v. Bülow von Neuem fest, daß Deutsch lands Eingreifen in die kretische Frage nur dem Zwecke vienk, zu verhüten, daß das Feuer um sich greift und den europäischen Frieden bedroht. Die deutschen Inhaber griechischer Schuldverschreibungen erhielten die Zusiche rung, daß die Zahlung der Kriegsentschädigung an die Türkei nicht ihre Rechte beeinträchtigen soll und daß Griechenland zum Mindesten die Forderungen erfüllt, welche im Wesent lichen von den im Sommer 1896 in Paris versammelten drei SchutzcomiteS — dem deutschen, englischen und franzö sischen — gegen die griechische Regierung erfolglos geltend ge macht wurden. Darüber hmaus ist dann die internationale Finanzcontrolle von der Rcichsregicrung aefordert worden. Mit Recht hob der Staatssecretair hervor, weicher Dienst damit den griechischen Staatsgläubigern auch in den andern Ländern er wiesen wird. Die Erörterung der Drey fuSaffai re gab Herrn v. Bülow Anlaß, nachzuholen, waS trotz osficiöscr Anregungen die französische Regierung bisher unterlassen, nämlich in aller Form vor breitester Oeffentlichkeit zu erklären, daß zwischen dem Ex-Capitain Drcyfus und irgend welchen deutschen Organen Beziehungen oder Verbindungen irgend welcher Art niemals bestanden haben, daß die Geschichte von dem an-1 geblich im Papierkorb der deutschen Botschaft in Paris > gefundenen Brief ein Schwindel ist und daß die zwischen Deutschland und Frankreich bestehenden gleichmäßig ruhigen Beziehungen dadurch nicht gestört zu werden vermochten. Besonders befriedigend war, was der Staatssecretair über die Abmachung mit China mitzutheilen in der Lage war. Es beweist, daß diese Abmachung einen Ruhmestitel unserer Regierung bilden. Der im ersten Augenblicke ziemlich all gemein getbeilten Ansicht, daß die „Verpachtung" von Kiao- tschau die Sühne für die Ermordung der deutschen Missionare zu bilden habe, lag eine Unterschätzung der deutschen Regierung zu Grunde. Die Besetzung eines Hafens ist in Wahrheit nur als Präventivmaßregel gedacht, daS Geschehene wird gebüßt durch Bestrafung chinesischer Würdenträger und durch Geldzahlungen für den verursachten Schaden. Moralisch kann eS gleichfalls als präventiv angesehen werden, daß der chinesischen Regierung auferlegt worden ist, auf ihre Kosten drei christliche Kirchen — mit dem Zeichen des deutschen Schutzes — und sieben sichere Missionshäuser zu erbauen. Das Beste zur Sicherung deutschen Wirkens in China, so bemerkte Herr v. Bülow mit gutem Grunde, ist die bleibende Anwesenheit deutscher Kriegsschiffe und die Besetzung einer Bucht in den dortigen Gewässern. Vielleicht ohne es zu wollen, aber sehr nachdrücklich gab ihm hierin derAbg.Lieber Recht, der bemerkte, es sehe so aus, als ob wir das hätten nehmen müssen, WaS England übrig gelassen habe. Daß vom chine sischen Territorium für Deutschland das Beste von der Schüssel nicht übrig geblieben ist, kann ja sein, wir wissen es nicht. Aber in den Gewässern, für Schiffe ist auch für uns noch Raum, und daß wir hierin hinter England nicht allzusehr nachstehen, liegt in der Hand der Partei deS Herrn Lieber, der ja auch aus den Miltheilungen des Herrn von Bülow über die Angelegenheit der Gläubiger Griechenlands, wenn er sie recht verstanden bat, erkannt haben kann, daß im Völkerleben daS Recht Noth leidet, wenn es sich nicht auf Macht stützen kann! Die nationalliberale Fraktion des preußischen Abgeordnetenhauses beabsichtigt^ beim Etat des Ministeriums des Innern das im Leitartikel unseres heutigen Morgenblattes besprochene Auftreten der drei Land- räthe im Wahlkreise Hildesheim zur Sprache zu bringen. Hoffentlich bleibt die Beantwortung der Anfrage nicht dem Minister des Innern allein überlassen; nöthigenfalls müßte man den Ministerpräsidenten Fürsten Hohenlohe und seinen Vertreter vr. v. Miquel zu einer Erklärung über die Parteien, die gesammelt, und die anderen, gegen die gesammelt werden soll, zu veranlassen suchen. Das Organ des Bundes der Landwirthe, die „Deutsche Tageszeitung", sucht inzwischen die drei Land- räthe zu schützen, indem sie die an ihrem öffent lichen Auftreten geübte Kritik für „Denunciation" erklärt. Ueber die Lächerlichkeit dieses Rettungsversuches braucht kein Wort verloren zu werden. Bemerkenswerther ist die Be hauptung deS Bundesorgans, daß die drei Landräthe „maßgebende" Gesinnungsgenossen hätten; es schreibt nämlich: „Daß der Wahlaufruf eine kurze, scharfe Kritik der jetzigen Handclsvertragspolitik enthält, wird wohl auch von der gegen» wärtigcn Regierung nicht so übel vermerkt werden; denn es darf daran erinnert werden, daß vom RegierungStische die Nothwendig- keil, das jetzige System der Handelsverträge zu ändern, ausdrücklich hervorgehoben und zugestanden worden ist. Aus Privatgesprächen werden noch schärfere Urtheile maßgebender Männer über die bestehenden Handelsverträge mitgetheilt. Wenn also Beamte sich an der Kritik der Handelsverträge betheiligen, so betheiligen sie sich jedenfalls nicht an einer Kritik der gegenwärtigen Regiernngspolitik." Bei der angekündigten Verhandlung im Abgeordnetenhause werden die „maßgebenden Männer" sich ja auch hierüber äußern können. Besonders beachtcnSwerlh ist aber die Stellungnahme der „Deutsch. TageSztg." für die national- ib ersten Wähler im 9. sächsischen Reich StagS- wahlkreise. Ihnen wird zugemuthet, für den Leiter eines Blattes einzutreten, das eine Lanze für die Unterzeichner eines Aufrufs bricht, in dem gegen die Nationalliberalen die gröbsten und unberechtigtsten Vorwürfe geschleudert werden und die Parole auögegeben wird: „Fort mit denNational- liberalen!" Besser kann die naive Dreistigkeit jener Zu- muthung und die „cartellfreundliche" Gesinnung des Herrn vr. Oertel nicht charakterisirt werden. Tie Nachricht der deutschen Blätter in Licbcilbürgcn, daß an die d rutschen Bahnbed ienste ten unter Drohungen das Ansinnen gestellt worden sei, ihre Namen zu magya- risiren, ist von der ungarischen Regierung dementirt und „die ganze Alarmnachricht" als „böswillige Verleumdung" bezeichnet worden. Wie weit dieses Dementi Glauben ver dient, geht aus Folgendem hervor. Der Stationschef der ungarischen Staatsbahnen hat im „Siebend, deutschen Tagbl." nachstehende Erklärung veröffentlicht: „Wie allgemein bekannt, liegt sämmtlichen Bediensteten der k. und k. Staatsbahnen die Bewältigung einer riesigen und rastlosen Arbeit ob, wovon das große Publicum sich wann und wo immer jederzeit selbst lleberzeugung verschaffen kann. Zur Lösung der uns zufallendcn großen Aufgabe ist die erste und unerläßliche Bedingung die, Laß alle Bediensteten, in gleichem Fühlen und Denken vereint, zu einer starken Körperschaft verschmelzen, die so im Stande ist, diese Arbeit allezeit und beständig zu voll» führen. Bon solchen Gedanken geleitet, haben die höheren Be amten in der That eine Bewegung zu dem Zweck eingeleitet, unter den Einzelnen sowohl in der Arbeit als im privaten Leben gegenseitigen Einverstand und Einklang dauerhaft zu befestigen. Und w wurde Leun auch die Idee einer Namensmagyarisirung gleich irgend einer anderen wohlrhäligen Institution auch den niederen Angestellten, den subalternen Beamten und den Diener» ohne An wendung irgend welchen Zwangsmittels bekannt gemacht nnd ihnen gejagt, daß alle diejenigen, die der Sache Neigung entgegenbrächten, einen nach Belieben frei gewählten Namen bei ihrem vorgesetzten Tiensteschef anmelden sollten, damit die Bewilligung möglichst zu» gleich nachgejucht werden könne. Daß zur Verbreitung der Namens- magyarisirungsidce keinerlei Zwangsmittel in Anspruch genommen wurden, beweist der Umstand, daß dagegen einzig nur von solchen Bediensteten in den allernntersten Stellungen, die wegen vor- geschrittenen Alters nicht das geringste Interesse für die Sache hegen, appellirt worden ist " DaS „Tagbl." bemerkt hierzu: Die Thatsache steht fest, daß man an die subalternen Bediensteten mit der Anforderung herangetreten ist, sich ihre Namen magyarisiren zu lassen. Damit ist eS genug. Ob dieses in einer fchärferen oder milderen Form geschah, bleibt sich gleich. UebrigenS hält daS „Krönst. Tagebl." daran fest, daß an die nichtmagyarischen Bahnangestellten die Forderung gerichtet worden sei, zu magyarisiren oder ihren Dienst zu quittireu. UnS selbst wird dies von durchaus vertrauenswürdiger Seite bestätigt und daS Dementi als ofsiciöse Ableugnung und Vertuschung bezeichnet. Wie derselbe Gewährsmann uns mittbeilt, steht dieser Fall nicht allem da. Seit der neugewählte Pester Bürgermeister Haberhauer seinen gut deutschen Namcu in Hal mos umwandelte, welcher Act in frivoler Effc^- hascherei als eine patriotische Großthat gepriefen wurde, s.it in Folge dieser Heldenthat auch eine Reihe Pester Etat:- väter dem gegebenen Beispiele ihres Oberhauptes folgte,-, seitdem drängen unaufhörlich die größeren Actienunutc. nehmungen und Fabriken ihre Untergebenen dazu, sich magv.: risiren zu lassen. Und wenn schließlich ein armer Bahnwärte r der einen Haufen Kinder zu ernähren hat, nachgiebt und siel, statt Binder Kädür nennen läßt, wen trifft dann die Schuir an diesem nationalen Seelenschacher? Den armen Kerl von einem Bahnwärter oder die „ritterlich-herrschende Nation?" Es geht uns ferner die Nachricht zu, daß an sämmtlic. e Magistratsbeamte der deutschen Städte Siebenbürgens amtliche Aufforderungen ergangen sind, ihre Namen zu magyarisiren. Hoffen wir, daß diese deutschen Beamten s? viel Ehrgefühl besitzen, eine solche Zumuthung mit Entrüstung zurückzuweiscn. Hoffen wir aber auch, daß die in Ungarn in unabhängiger Stellung lebenden Deutschen ihren Volksgenossen in Zukunft mit besserem Beispiel vorangehe», als der Hc:r — Haberhauer. In einigen Zeitungen wird der Einbruch der Ettü- liinvcr in die neutrale Zone deS Togo-Hinterlanvcs durch die Annahme zu beschönigen gesucht, daß die Engländer Salaga nur als Stutzpunct gegen aufständische Eingeborene zu halten beabsichtigten, vn. McCarthy, der britische Ageui in Kumassi, hat nnn, wie die „Post" schreibt, selbst erklärt, daß er mit einigen wichtigen Missionen von der Regierung der Goldküsten-Colonie betraut gewesen sei, in deren Ver lauf er einige Verträge abgeschlossen und werthvolle Ge biete für die Colonie erworben habe. McCarthy be setzte zuerst Aegi, eine bedeutend gewordene Stadt am Volta, in ter neutralen Zone gelegen. Der König nahm die Engländer freundlich auf und schloß mit ihnen einen Vertrag. In Jegi wurde nach McCarthy s igenen Angaben der eigentliche Zweck der Expedition mit- gerheilt, nämlich die Besetzung von Salaga. Salaga sei im Mai 1896 von den Deutschen angegriffen nnd theilweisc zerstört, von ihnen aber nicht dauernd besetzt gewesen. Es war nothwendig, Salaga mit Sturm zu nehmen, da cs hieß, „eine deutsche Expedition sei zu demselben Zwecke unter wegs". Der König Dzimini stellte sich freiwillig, er klärte, daß er mit keiner anderen Macht außer mit England etwas zu thun haben wolle, und unter zeichnete einen Vertrag, durch welchen sein Land der Golr- küsten-Colonie einverleibt wurde. Die Engländer ließen dann einen Posten in Salaga, welcher monatlich einmal von 9)egi auS, welches daS Hauptquartier war, inspicirt wurde. Zu gleicher Zeit, also etwa Ende Juli, wurde Capitain Armtagr von Kumassi nach Dagomba, also nördlich von Salaga ent sandt, „um dies Land zu erforschen". Es ist dies der zweit c Einbruch der Engländer, welcher aber nicht so erfolgreich war. Denn Armitage, welcher zwar eine Haussatruppe, aber keine Geschütze hatte, konnte den Widerstand eines mächtigen Häuptlings in Dayomba, Namens Barbato, nickt brechen. Wie die Dinge sich dort weiter entwickelt haben, ist nicht bekannt. Eine dritte englische Expedition unter Stewart war nun noch nördlich von Dayomba nach Gambaga gezogen, doch steht nicht fest, ob Stewart die neutrale Zone berührt hat; ebenso wenig liegt eine bestimmte Mittheiluug von ihm darüber vor, daß er auf seiner Reise Verträge mit den Eingeborenenhäuptlingen gefchlosseu habe. Allerdings Feuilleton. Kampf und Entsagen. isj Roman von M. von Eschen. Nachdruck verboten. Helja Wollte etwas entgegnen, eine Welle Blut schoß ihr ins Gesicht, dienstbereit fuhr die Frau fort: „Wenn die gnädige Frau Essen befehlen — 's ist eine sehr gute Restauration hier in der Nähe, gleich um die Ecke weg — dann kann's geholt werden. Wir haben das immer so gehalten, auch bei der Dame, die hier vorher gewohnt hat." Und mit abermaligem Knix: „Ich werde der gnädigen Frau gefällig sein, wo ich kann." Und da plötzlich sieht Helja, wie das Lächeln der Sprecherin etwas widerlich Süßes nntr Lauerndes zugleich annimmt. „Wer wohnte denn hier vor mir?" fragt sie, um der Wallung, die sie zu ersticken drohte, Luft zu machen. „Hm, hm, 's war Eine vom Theater, Eine vom Chor; oh, sonst eine ganz feine Person. Natürlich nicht so fein, wie die gnädige Frau, auch nicht mehr so jung. Aber sehr nobel doch!" Auf einmal um Vieles zutraulicher geworden, nähert sie sich dem jungen Mädchen: „Sie hatte — sie ging mit 'nem Jrafen, ein sehr feiner, nobler Herr. Der Herr Baron waren auch bekannt hier, 's ging auch Alles ganz gut, eine Herrlichkeit und Freude — da zankten sie sich r^'d — Himmel, was ist Ihnen denn?" Der Boden schien plötzlich unter Helja's Füßen zu wanken, die Wände gingen mit ihr um; einer Ohnmacht nahe, sank sie auf einen Stuhl. „Nerven? — Oh — aber das giebt sich! O mein Gott! Da hat's der Willem vergessen! Neunundneunzig Mal kann man's dem Jungen sagen — er vergißt's doch! Er sollte es doch hersetzen für die gnädige Frau!" Im Nu war sie hinaus, im Nu wieder here-n mit einem Korbe prächtiger Rosen. „Den sollten wir Herstellen! O, 's iS auch ein feiner Herr, der Herr Baron!" „Hören Sie auf!" schrie Helja darwischen. „Na, was is denn —?" Der redseligen Frau aber erstarb daS Wort im Munde. — Helja war an ihr voriibergeeilt, hinaus, hinunter, fort — auf's Gerathewohl. Und so stürmte sie dahin durch eine Straße nach der anderen, nichts sehend, nichts hörend, nur erfüllt von dem, was ihr Herz und Hirn zu zerwühlen drohte. Wie erschien ihr nun das neue freie Leben, das er so be strickend geschildert hatte, — seine Begeisterung für die Kunst, seine ritterliche Freundschaft, Alles, Alles — was so häßlich, gemein, so niedrig gemein in Wirklichkeit war! — Ein Stoß traf sie in den Rücken. Das Vorderblatt des Rappen an einem dahinrollenden Coups berührte ihre Schuller, schon fühlte sie das warme Schnauben der Nüstern im Nacken. „Ho, he!" rief der Kutscher und hielt, wohlgeschult, den Tra kehner an; ein Schutzmann griff das wankende Mädchen am Arm und schalt über die Gedankenlosigkeit auf offener Friedrich straße hier. Arme Helja! Sie hatte, von ihren Gedanken gequält, die Straße und ihre Umgebung vergessen. Nun stand sie allerdings wieder fest auf den Füßen, doch nur, um wieder ihren Gedanken anheim zu fallen. Wo sollte sie hin? Was sollte sie beginnen? Es schien ihr unmöglich, je wieder unter die Menschen zu gehen nach dieser Fahrt in die Charlottenstraße, die Wohnung, welche der „Kuseng" für sie gemiethet hatte. Immer wieder trieb ihr das Wort, das Bild jener Frau das Blut ins Gesicht, immer aufs Neue jagten sich in toller Hast die Empfindungen in ihrem Innern. Und sie selbst wurde gejagt wie von einem bösen Feind durch eine Straße nach der anderen. Und die Menge wogte ringsum. Es war die Stunde, wo zum dritten Mal am Tage der große Strom des Lebens, so zusagen aufs Neue, zu fluthen beginnt, wo sich die Geschäfte schließen, die Theater und andere Vergnügungslocale aufthun. Omnibusse und Pferdebahnen, Droschken und Equipagen rollen unaufhörlich vorüber; dazwischen mächtige Reclamewagen, an ihren erleuchteten Fenstern bunte Bilder, lockend zu Spiel, Tanz und Genuß aller Art. Auf den Trottoirs schieben sich die Menschen, immer dichter streifen sie aneinander vorüber, fest ihrem Ziel entgegen, Alles merkend, Alles beachtend, nur nicht die Thränen eines einsam verlassenen, verlorenen Menschenkindes. Immer noch planlos, fast bewußtlos trieb Helja mit der Menge, nur langsamer ward ihr Schritt. Die Beine wurden ihr schwer, es zog ihr den Kopf herunter wie mit Centnergewicht. Längst schon war sie in die Linden eingebogen, jetzt war sie auf der Schloßbrücke angelangt. Einen Moment lehnte sie gegen einen der Pfeiler hier, starrte mit brennenden Augen auf den Strom. Und „da unten, da unten", ringt eS sich in ihr los, sehnsüchtig dumpf in dem von Kummer und Verzweiflung be täubten Hirn. Feuchtkalt hauchte die Luft von dem Wasser herauf, wo das erregte Mädchen stand — Helja schauerte. Sie legte die Arme auf das eiserne Geländer, den Kopf auf die Arme: „Gott, mein Gott!" weinte sie in die Schauer hinein. Es sollte wohl eine Bitte oder ein Gebet bedeuten. Und zuweilen scheint es, daß der alte, liebe Gott doch noch lebt, daß er hört, wo nur ein Stammeln nach ihm verlangt, und denen seine Engel schickt, die sich nicht selbst mehr helfen können. Dieser Engel in einfach schlichter Gestalt, ähnlich dem Engel eines Uhde'schen Bildes, war hier Anna. Sie hatte eben ihre Arbeit abgeliefert und eine kleine Aus einandersetzung mit ihrem Prinzipal gehabt. Dieser Mann wußte die Fähigkeiten seiner Arbeiterin zu würdigen. Er machte ein sehr gutes Geschäft mit ihnen, was natürlicherweise in ihm nur den Wunsch erregte, ein noch besseres zu machen. Er sah nicht ein, warum ein Frauenzimmer, dem es so flink von der Hand ging, nicht billiger arbeiten sollte, als die, denen es sauer wurde! Er hatte also begonnen mit der theuern Zeit, welche die Ge schäfte drückte, dann fortgefahren mit dem Rückgang dieses Ar tikels und schließlich damit geendet, daß er noch geringeren Lohn bot, als er bisher gezahlt. Anna hatte gestreikt, dann aber im Hinblick auf die Verhältnisse zu Haus sich gefügt. Hinterher hatte sie freilich auch geweint. Diese Thränen und die eigene Noth hatten das warme Herz nur noch empfindlicher für die Noth und die Thränen ihres Nächsten gemacht: Einen Unglücklichen sehen, zu ihn treten, war eins für Frau Anna und eben erst recht. Leicht legte sie die Hand auf der Weinenden Schulter: „Wo fehlt es denn? Und kann ich helfen? — Jesses, Jesses, sie ist es!" brach sie dann aus, als Helja, das thränenüberströmte Gesichtchen ihr zuwendend, plötzlich mit einem unartikulirten Laut die Arme um ihren Hals schlang und das Köpfchen an ihrer Brust barg. „Hsch, hsch", beruhigte Anna. Sie zog Helja mit sich fort, über die Brücke, an den Museen, der Ruhmcshalle vorüber, in das kleine Wäldchen hinter der Universität — hier erst machte sie Halt und zwang das Mädchen neben sich auf eine Bank. Natürlich fehlten auch hier, dem schönen Frühlingsabend zu Liebe, die Menschen nicht. Einige alte Männer, einige alte Frauen, die Letzteren noch ruhig strickend, um das bischen Leben bei den Enkeln in einer Kellerwohnung die viel weiter nach dem Norden hinaus lag, zu verdienen, saßen zerstreut in dem Grün; junge Pärchen, die kein Geld und keine Zeit hatten für einen lustigeren Ausflug, flanirten unter den Kastanien. „So", meinte sie dann endlich, als sie Platz gesunden hatte, „nun erzählen Sie mal ruhig, was hat's gegeben?" Ruhig erzählen! — Helja war fassungslos. Nur in wirrem Chaos rang sich über ihre Lippen, was sie zu ersticken drohte, was ihr gleich einen Alb die ganze, lange Zeit mit einsamem, stummem Leid und gezwungenem Schweigen die Seele betäubt hatte. Es war nicht leicht, sich in diesen abgebrochenen Sätzen zurecht zu finden. Frau Anna verstand aber doch soviel, daß es sich hier um Einen handelte und um einen Andern noch, daß das wemendc zitternde Geschöpf in ihren Armen im Augenblick keinen Ausweg wußte, noch ein Unterkommen hatte. „Gehen Sie mit mir", entschied Frau Anna darauf, als wäre es nur selbstverständlich. „Wir haben eine kleine Kammer, wo nur ein paar alte Bilder stehen. Ich stelle sie Ihnen gegen die Wand, wenn Sie graulich sind." Helja aber schlang die Arme um den Nacken Anna's und nahm cs an mit dem gleichen Empfinden, Alles, wie es ihr ge boten war. Lorenz Kirchner machte keine Einwendungen gegen den Gast; — er sah ein verweintes Gesicht —- und hieß ihn willkommen. Er selbst sogar lehnte die Bilder „Verwegene Gesellen", „Ein sterbender Gladiator", „Ein bleiches Todtengesicht", Studien aus aus früherer Zeit, gegen die Wand. Er wußte, daß dergleichen lebensgroße Figuren erregte Nerven beunruhigen können, wenn im nächtlichen Dunkel das Mondlicht darauf fällt. Und der Mond schien zu dem Fenster herein. Gardinen hatte man nicht; auch fehlte außerdem in diesem nicht benutzten Raum eingentlich Alles, was einem von der Cultur verwöhnten Menschen das Dasein behaglich machen muß. Trotzdem cm pfänd Helja einen lange nicht gekannten Frieden inmitten dieser ärmlichen vier Wände, und sie schlief auf dem Lager, zu dem Jeder im Geheimen etwas beigesteuert hatte, so süß und fest, wie Jemand, der einer großen Gefahr entronnen, zum ersten Mal wieder festen Boden unter den Füßen fühlt; so tief, wie ein Mensch schläft nach langer .Krankheit, da es gilt, neue Kräfte für das neugeschenkte Leben zu sammeln. „Lassen Sic mich hier bleiben bei Ihnen", bat sie, da sie am andern Morgen ihr Schicksal mit Anna berieth. Davon wollte diese nichts wissen.' Sie gehöre in eine andere Welt, in andere Verhältnisse, nicht zu ihnen, zu ihr. Helja aber schüttelte den Kopf und reichte der Frau die Haud. Ach sie empfand nur ein Grauen vor der Welt, aus der sie kam, vor Allem, das hinter ihr lag: rin Grauen so fürchterlich, daß sie kaum trauern konnte, als es sich herausstellle, daß ihre Stimme verloren schien. Eine Erkältung — etwa eine sehr starke Erregung oder Kummer und Gram, meinte der Arzt, mochten die Stimmbänder gelähmt haben. Ruhe allein konnte hier helfen. Gewiß, diese Gleichgiltigkeit war ein Unrecht; aber sie hatte
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