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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.01.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980127019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898012701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898012701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-01
- Tag1898-01-27
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Di» Morgeu-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr, dis Abend-Ausgabe Wochentag- um b Uhr^ NeLaciion und Erpeditio«^ Johanne»,ässe 8. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbtoche» geöffnet von ftüh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Vit» Klemm'» Eorti«. (Alfred Hahn)» UnivrrsitSUstrab« 8 (Paultnam), Laut« Lösche, Katdarineustr. Part. m»d Kömg»platz 7. Vrz«g--Vrei- t» der Hauptrxpeditio» oder den tm Stadt- beatrk und den Borort«» «richtet«» Aus gabestellen abgebolt: vierteljährlich ^lt.50, bei zweimaliger täglich« Zustellung in» Haus L.S0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: diertestährlich ^l S>—. Direkte tägliche Drruzbandseadung in» Ausland: monatlich 7.b0. Morgen-Ausgabe. MpMer TaMaü Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Aa-eigen-VrOiD die 6 gespaltene Petitzeile KV Pf-. Reklame» unter dem Rrdactionsstrick (»-»» spalten) LO/4, vor den Familiennachricht»» (6 gespalten) 40/^. Grögerr Schriften laut unsere« Preis verzeichnis,. Tabellarischer und Zissernsa, nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen«Au-gabr, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderilng 70.—. ^Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 46. Donnerstag den 27. Januar 1898. 92. Jahrgang. ZUM Geburtstage des Kaisers. Kaiser Wilhelm II. beginnt heute daS vierzigste Lebensjahr. Der Schritt auf die Höhe des MannesalterS ist für unseren Kaiser von doppelter Bedeutung. Da» vierzigste Jahr seine- Daseins ist zugleich daS zehnte seiner Herrschaft auf einem mächtigen Throne. Es ist keine häufige Erscheinung in der Geschichte, daß Fürsten in diesem Alter auf eine so lange Regierungszeit zurücksehen. An Wilhelm II. ist der Ruf zum schwersten Amte nicht so früh ergangen wie an seine großen Ahnen, den Kurfürsten Friedrich Wilhelm und den König Friedrich II. Dennoch aber früh und, waS ihm die Bürde noch belastete, wider Erwarten früh. Wenig mehr als ein Jahr vor seinem Regierungsantritte durfte der Sohn des kraftstrotzenden Kronprinzen Friedrich Wilhelm auf die Wohlthat einer langen VorbereitungSzeit für den ohne Gleichen anspruchsvollen Beruf hoffen. DaS Schicksal wollte eS anders. ES versagte dem Prinzen, lernend und prüfend einen Vertreter der der seinigen zunächst stehenden Generation länger al» Monde des Regi mentes walten zu sehen. Das jugendliche ManneSalter mußte Lei dem hohen Greisenalter das Vorbild der Herrscher tugend und Herrscherweisheit suchen. Wohl ein Vorbild, wie es herrlicher keinem Thronerben jemals beschieden war. Aber die Natur, die Jugend und Alter körperlich scharf unter scheidet, hat eS jener auch nicht gegeben, im Geistigen, im Denken und Empfinden, im Thun und Lassen wie dieses zu sein. Und in Wilhelm's I., deS spät zur Herrschaft Gelangten, Vorbilde fehlt zudem der Zug de» jugendlichen Monarchen. Jedoch die Erkenntniß der Unmöglichkeit, wie der Groß vater zu sein, hat Wilhelm II. keinen Augenblick darin beirrt, wie der bewunderte Vorfahr zu wollen: unermüdlich und ausschließlich daS Glück und die Größe des ihm anvertrauten Reiches und Volkes zu wollen. Vieles in dieser fast zehn jährigen Regierungszeit war Gegenstand des Zweifelns; aber daß Wilhelm II. redlich strebt, ist daS abgeschlossene Urtheil deS deutschen und nicht nur des deutschen Volkes. Dem monarchischen Ideal ist mit allen Idealen die Unerreichbar keit gemeinsam. Auch für die Bewerthung eines Fürsten giebt die Stärke seine- Willens, sich an die Vollkommenheit heran zuleben, den einzigen gerechten Maßstab. Kaiser Wilhelm kann ihn getrost an seine Herrscherpersönlichkeit anlegen lassen. An diesem Geburtstage blickt der Monarch auch auf er folggekröntes Streben zurück. Ohne den leisesten Verdacht einer Abschwächung jener Selbstbeschränkung, die seine Friedens liebe ihm auferlegt, zu rechtfertigen, hat Deutschland unter Wilhelm H. soeben sein Ansehen und Recht kräftig und glücklich gewahrt uud neue Bürgschaften dafür erlangt, daß seine Gleichberechtigung im Kreise der aufwärtsstrebenden Länder auch künftig anerkannt bleibe. Doch die Politik bleibe dem Wiegenfeste fern. Hoch über sie hinaus aber al- der Nerv unseres nationalen Lebens ragt da- erneute Gelöbniß der Treue, welche die deutsche Nation und ihre Fürsten, die mit unserem König heute zahlreich in Berlin versammelt sind, dem Kaiser, dem Symbol und zugleich dem Schirmer ihrer schwer errungenen Einheit, wahren, — gewiß, allzeit Treue dafür einzutauschen. Dem Gelöbniß geselle sich der Wunsch, unser Kaiser möge auch im neuen Lebensjahre goldene Früchte vom Baume der Sorgen pflücken, den er für daS Vaterland pflegt und wartet, und eS mögen ihm in seinem vorbildlich reinen häu-lichen Leben immer neue Freuden erblühen! Das Fiasco -es englischen Maschinenbauerftreiks. Der Maschinenbauer-Ausstand in England ist an seinem vorherzusehenden Ende angelangt. Damit erlitt die international socialrevolutionäre Propaganda, welcher dieser Riesenstreik eine Kraftprobe gegenüber den alten Gewerkschaften sein sollte, wieder einmal ein vollkommenes Fiasco. Fast sieben Monate hat der Ausstand gedauert. Ohne daß etwas für die Arbeiter erreicht ist, sind etwa 17 Millionen Mark an Streikgeldern ver schleudert worden, während natürlich jener Verlust, den die Ar beiter an entgangenen Löhnen erlitten, um ein Mehrfaches größer ist; haben sie doch nur etwa ein Drittel ihres früheren Wochen lohnes aus der Streikcasse erhalten. Die unter die Botmäßigkeit der socialdemokratischen Faiseurs gelangten Gewerkvereine der englischen Maschinenbauer und Metallarbeiter traten in diesen Kampf mit einem Vermögen von etwa 7 Millionen Mark ein. Auf 9—10 Millionen wird geschätzt, was theils ihre bei der Arbeit verbliebenen Mitglieder, theils die mit ihnen sympathisirende Arbeiterschaft Englands und des Auslandes beisteuerten. Etwa 1 Million dürfte aus Deutschland zur Unterstützung dieser Riesen- thorheit nach England geflossen sein, Hot doch sogar Professor Lujo Brentano nicht nur seine Sympathie, sondern auch 40 Mk. beigesteuert. Aber die streikenden rund 80 000 Arbeiter waren nicht länger aus dem Streikfonds zu unterstützen, nachdem der letzte Versuch eines Appells an das „Clastenbewußtsein" der ge- sammten britischen Gewerkvereinler gescheitert war. Diese sollten pro Kopf 25 Pfennig wöchentlich für den Streikfonds opfern. Es gelang zwar, Sympathie-Beschlüsse und Versprechungen zu Stande zu bringen, aber die erhoffte Viertelmillion pro Woche blieb aus, und etwa 800 000 Mark brauchte man wöchentlich. Damit war die Sache am Ende. Als socialrevolutionäre Machenschaft kenn zeichnet sich dieser Streik schon durch seine Principalforderung des Achtstundentages für die im Fabrikdistrict von London gelegenen Betriebe, welches Verlangen den äußeren Anlaß zu dem ganzen Rummel geben mußte. Im Auslande wurde der Streik deshalb als Principienkampf des gesammt-n Proletariats für den Achtstundentag ausgegeben, und für diesen flössen Sympathie und reichliche Mittel. Aber der Achtstundentag war dennoch nur das Aushängeschild, bestimmt, ausländische Gimpel zu kirren. Die von der englischen Socialdemokratie beabsichtigte eigentliche Kraftprobe hatte ein anderes, viel weiter greifendes Ziel. „Ver waltung und Leitung" der Betriebe sollte den Unternehmern, mehr noch als bisher schon der Fall gewesen, entwunden und den Leitern der Gewerkvereine überliefert werden. Die Arbeitgeber der englischen Metallindustrie waren längst schon zu der Erkenntniß gelangt, daß die von ihnen dem Gewerk verein, so lange er noch zu den ,,alten" zählte, wegen Verwaltung und Leitung gemachten Zugeständnisse unhaltbar wären. Die „neuen" socialdemokratischen Führer der Metall arbeiter erstrebten aber gerade auf diesem Gebiete weitere Ein griffe; die Gewerkvereine sollten sich immer weiter in die Leitung der Fabriken einmischen. Schon bisher sollten die Arbeiter jeder nur eine eng begrenzte Art der Arbeit verrichten, damit sie nicht in das „rechtmäßige" Gebiet eines anderen Gewerkvereins Übergriffen; jede Maschine sollte, ohne Rücksicht auf die Leichtig keit ihrer Handhabung, stets von einem besonderen Arbeiter be dient werden; jedes Gewerkvereinsmitglied sollte ohne Rücksicht auf seine persönliche Leistungsfähigkeit einen Minimallohn, d. h. den jeweilig höchsten Satz erhalten, den man für den be treffenden Bezirk in einem anderen Betriebe hatte erzwingen können. Außerdem hielten die localen Vorstände zahlreicher Gewerkvereine ihre Mitglieder zu absichtlich langsamer Arbeit an. Statt jedoch ein Mehr solcher Ungeheuerlichkeiten erzielt zu haben, die ebenso sehr für den Arbeiter, wie für die Unter nehmer verderblich sind, weil sie die ausländisch« Concurrenz geradezu begünstigen, werden die streikenden Metallarbeiter Eng lands gerade auf diesem Gebiet die Kriegskosten zahlen müssen. Die Unternehmer haben ihre zukünftigen Arbeitsbedin gungen, ohne deren Annahme sie die Fabriken nicht wieder in Gang setzen wollen, dahin formulirt: vollkommene Freiheit in Zutheilung der Arbeit und Bedienung der Maschinen; keine Be schränkung der Zahl der Lehrlinge — die Gewerkvereine erlaubten bisher nur einen auf drei gelernte Arbeiter —; Vermehrung der Ueberzeitarbeit — die Vereine haben diese auf ein Minimum beschränkt —; Einführung des Accordlohns, wogegen die Trade- Unions seit Jahrzehnten mit Erfolg gekämpft haben; vor Allem aber Abschaffung des Minimallohncs. Jeder Arbeiter soll nur nach Tüchtigkeit und Leistung bezahlt werden und den Gewerk schaften so gut wie kein Recht zustehen, bei Festsetzung der Lohn sätze mitzureden. Die englischen Maschinenbauer und Metallarbeiter verlieren also durch diesen von ihren socialdemokratischen Freunden ohne jede Noth heraufbeschworenen Kampf so gut wie Alles, was die alten Gewerkvereine für sie in langen Jahren unv unter oft recht opferreichen Lohnkämpfcn errungeä hatten. Aber sie müssen die Bedingungen der Unternehmer entweder widerspruchs los annehmen, oder den Gewerkverein sprengen und als dlag legs einzeln in die Fabriken unter ganz den gleichen Bedingungen ein treten. Die Niederlage, welche die englische Socialdemokratie und infolge ihrer Unterstützung die internationale bei diesem Monstrestreik erlitten hat, ist also vollständig. Dazu kommt obenein, daß aus der englischen Arbeiterschaft heraus bereits sehr laut nach Aufhebung jenes zweiten Absatzes des Cap. 7 der 1875 erlassenen Ocmspirac^ nnck krotection ok kropert)' verlangt wird, welcher den im ersten Absatz aus gesprochenen ausgiebigen Schutz der Arbeitswilligen durch aller hand einschränkende Clausulirungen illusorisch macht. Die Er fahrungen dieses an einer festen und zielbewussten Organisation der Arbeitgeber gescheiterten und durch den socialrevolutionären Uebermuth hervorgerufenen Streiks werden in England nicht verloren sein. Vielleicht lernt man auch bei uns zu Lande daraus. Eine -umme Schande. Unter der vorstehenden Ueberschrift schreibt die Münchener „Allg. Ztg.": „Es ist Menschenrecht, sich lächerlich zu machen, so gut daS ein Jeder vermag; allein ein solches Recht ist ein höchst persönliches und sollte nur im Privatleben auS- geübt werden. Die jetzige Majorität der Zweiten badischen Kammer gilt, wenigstens äußerlich, als Der tretung des badischen Volks, und als solche hätte sie Anlaß gehabt, ihrer Faschingölaune nicht völlig die Zügel schießen zu lassen. Weil seit einem Menschenalter die deutscheMonarchie den Frieden aufrecht erhält, haben einige demokratische Größen daS unabweisbare Bedürfnis verspürt, in Mann heim, Pforzheim, Offenburg rc. Ortsgruppen der deutschen FriedenSgesellschast zu gründen. Diese Ortsgruppen ihrerseits haben an die badische Kammer eine Petition ge richtet, in welcher unter Anderem gebeten wird, auS den GesckichtS- und Lesebüchern alles chauvinistische Beiwerk zu beseitigen. In einer Commission, deren Mehrheit auS sechs ultramontanen, zwei socialdemokratischen und einem demo kratischen Abgeordneten bestand und für die der Abg. Werr schriftlichen Bericht erstattet hat, wurde dann die Prüfung der Schullesebücher vorzenommen. Ohne ein Urtheil darüber abzugeben, ob die bemängelten Stellen Chauvinistisches ent halten, stellt es Herr Werr der Erwägung der Regierung anheim, ob solche nicht in pädagogischer Beziehung Be denken erregen könnten. Man höre: der Tod Sch Werin's in der Schlacht bei Prag wird so berichtet: „fünf Kugeln hatten ihn getroffen, eine Hinterm Ohr inS Genick, eine durchs Herz und drei in den Unterleib". Da pädagogische Bedenken des famosen Herrn Werr liegt hier offenbar im „Unterleib". Die badischen Schüler dürfen in Zukunft nimmer wissen, daß es einen Unterleib giebt, in welchen man sogar geschossen werden kann. In einer Erzählung über den Anfang deS Krieges 1870/71 wird von den Franzosen als von dem Erbfeind gesprochen. Der geistreiche Herr Werr hat die »»beschämte Stirne, in einem Lande, da die Schloßruine von Heidelberg ins Thal hinabschaut, den Ausdruck „Erbfeind" als un pädagogisch zu erachten. Welch' herrliche Früchte der Er ziehung im Priesteneminar! Der sanfte Herr Werr nimmt bei Freiligralh'S Gedicht „Die Trompete von Grave lot te" unter Anderem Anstoß an den Worten: „wir haben sie niedergeritten". Zukünftige Cavallerie-Attacken sind also gemäß priesterlicher Weisung — Herr Werr ist eine Säule seiner Kirche — so einzurichten, daß vom Feinde Niemand zu Schaben kommt. ES ist weiter »»pädagogisch, unsere Kinder zu lehren, daß wir die Franzosen bei Wörth auf das Haupt geschlagen haben. Bedenklicher wäre es jedenfalls, wenn gesagt worden wäre, auf einen anderen edlen Tbeil. Auch ist cs viel zu breit, wenn in einem Lesebuch für die Mittelschulen aus 7>/r Seiten — man denke! — erzählt wird, wie die Preußen im Anfang des Jahrhunderts unter Auf bietung der letzten Kraft sich und uns die Befreiung von der Fremdherrschaft eroberten. Das war überhaupt nicht schön, denn man soll ja nicht tödtcn. Wie viel richtiger wäre es nach Herrn Werr, unsere Knaben, statt ihnen von den Helden- tbaten unserer Väter zu erzählen, über die Thätigkeit der Missionaire zu unterrichten. Wir könnten diese Blüthenlese noch weiter fortsetzen, daS Angeführte genügt. Die Commission hat die Lächerlichkeit nicht gescheut, die Petition der Regierung zur Kenntniß- nahme zu überweisen. Man ist der Zukunft schuldig, die I Namen der Herren aufzubewahren, welche diesen wunderbaren I Kohl beschlossen haben. Es waren die Herren v. Bodman, I Armbruster, Kopf, Hennig, Schuler und Werr vom Centrum, Die pommerschen Kassuben. Bon Theodor Hermann Lange. Nachdruck »erboten. Unter den im östlichen Pommern lebenden Kassuben sollen fick» die Spuren polnischer Agitation bemerkbar machen. Die pommerschen Kassuben sind die letzten Ueberbleibsel der einst ganz slawischen Bevölkerung Pommerns und leben jetzt nur noch in den Kreisen Lcruenburg, Bütow und Stolp. Im 16. Jahrhundert bildete noch der Persantefluß, der sich bei Colberg in die Ostsee ergießt, die Sprachgrenze. Die Gaue westlich der Persante waren schon germanifirt, diejenigen östlich, wenigstens in den ländlichen Distrikten, mindestens zur Hälfte kassubisch. Größer als in Pommern ist heute noch die Zahl der Kassuben in Westpreußen, und zwar in den Kreisen Neustadt, Karthaus, Danzig (Danziger Höfe), Beoent, Dirschau, Stargard, Könitz, Tuchel und Flatow. Das kasssbisch« Sprachgebiet erstreckt sich also in der Richtung von Osten nach Westen von Danzig bis nach Stolp — auf dem Zoppoter Markte kann man schon die Bäuerinnen kassubisch sprechen hören — und in der Richtung von Norden nach Süden etwa von Leba bis nach Tuchel. Da aber das Kassubische nur ein Dialect des Polnischen ist — der Unterschied zwischen Hoch polnisch und Kassubisch ist noch nicht einmal so groß wie der zwischen Hochdeutsch und Plattdeutsch —, so sind die west preußischen Kassuben, welche sich ausschließlich zum Katholicis- mus bekennen, von den in Westpreußen lebenden Polen kaum zu unterscheiden. Die hinterpommerschen Kassuben sind schon seit etwa dritthalb Jahrhunderten Angehörige des brandenburgisch- preußischeu Staates. Die Kreise Bütow und Lauenburg wurden im Jahre 1657 der Monarchie des Großen Kurfürsten einverleibt. Die pommerschen Kassuben sind heute nur noch ein kleines Häuflein, das, soweit es noch nicht germanisirt ist, wenig über 10 000 Seelen zählt, wobei natürlich die in den letzten Jahren besonders in die Lauenburger Gegend eingewanderten polnischen Arbeiter aus Westpreußen nicht mitgerechnet sind. Zu Anfang dieses Jahrhunderts zählte man in Hinterpommern noch an nähernd 20 000, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts noch etwa 40 000 Seelen. Das bekannte Lied, welches der Soldaten humor der pommerschen Regimenter dem Zapfenstreiche unterlegt: Wo kommen die Kaschuben her, b» find so viel, wie Sand am Meer, Ut Stolp — ut Stolp — ut Stolp. trifft heute nicht mehr zu. In einem Kirchspiel nach dem andern erlischt die kassubische Sprache. In vielen Dörfern sprechen und beten nur noch die Alten kassubisch, die Jungen nur noch deutsch. Wenn die Alten sterben, dann legt man ihnen öfters ihre Gesang- und Gebetbücher mit in den Sarg, denn von den Hinterbliebenen versteht ja doch Keiner mehr kassubisch zu lesen. In den Kirchen büchern steht sehr oft der Vermerk: „Weihnachten 1866 oder 1876, 1888 u. s. w. wurde in unserer Gemeinde zum letzten Male kassubisch gepredigt. Es war kein Bedllrfniß mehr für kassubische Predigten vorhanden. Nur noch 8 oder 5 Gemeindemitglieder sprachen kassubisch, aber ebenso gut auch deutsch." So oder ähnlich lauten die Eintragungen in den Kirchen büchern. In den Kreisen Lauenburg, Bütow und Stolp giebt cs ein bis zwei Dutzend größerer Dorfgemeinden, in denen um 1820 die Bevölkerung noch mindestens zur Hälfte kassubisch war, während heute in diesen Dörfern keine kassubisch sprechenden Leute mehr gezählt werden. Die Verdeutschung erfolgte am schnellsten in den Jahren von 1817—1850. Die meisten pom merschen Kassuben sind katholisch und gehören zur Kulno-Pelp- liner Diöcese. Unter den 5000 Katholiken des Kreises Bütow befinden sich über 2000 Kassuben. Von den 3900 Katholiken des Kreises Laurnburg sind nahezu zwei Drittel kassubisch. Die pommersche Kassubei ist eine ziemlich weltvergessene Gegend, die abseits der großen Heerstraßen liegt. Und wie man spottweise von den Masuren sagt: „Wo sich aufhört die Cultur, Da fich anfängt der Masur." so konnte man fiirher wenigstens sagen: „Wo Mensch und Vieh in einer Stube, Ta lebt gemUthlich der Kassube.« Das eisenbahnleere Viereck zwischen Bütow, Könitz, Rum melsburg und Preußisch-Stargard ist ein von dem Hasten. Rennen und Jagen der modernen Cultur ziemlich „unentwegtes" Fleck chen Erde, das aber gewisser landschaftlicher Schönheiten nicht entbehrt. Der Nordexpreßzug braust zwar bei Könitz vorüber, aber die Kassuben, die in den Hütten hinter den Wäldern in der Nähe des Karschiner und Muskendorfer Sees wohnen, werden von dem Hauch« des Fruerrosses des zwanzigsten Jahrhunderts nicht gestreift. Viele der alten kassubischen Sitten und Bräuche sind zwar ver schwunden, aber viele haben sich nocherhalten. So wird rin echt kassu- bisches Brautpaar sich nie an einem Donnerstag trauen lassen, weil in einer an diesem Tage geschlossenen Ehe stets Unfrieden herrschen soll. Die meisten Trauungen finden am Freitag statt, der bei den in Pommern lebenden Kassuben als besonderer Glücks tag gilt. Meist schließen die Kassuben ihre Ehen vor oder nach Michaeli und zwar hauptsächlich am Dionysiustage (9. October). Außer den vorgeschriebenen Gebühren erhält der Geistliche vom Brautpaar noch verschiedene Geschenke, mindestens aber ein Paar Handschuhe. Die Braut trägt übrigens von dem Tage an, wo sie zum ersten Mal aufgeboten ist, eine ganz andere Tracht als bis dahin. Anstatt des schwarzen Kleides legt sie nun ein blaues an, das unten herum mit Zackenlitze besetzt ist, anstatt der weißen Schürze eine grüne und einen schwarzen Gürtel. Das Haupt schmückt ein viereckiger Kopfputz aus gravirtem Messing, um den sich ein Kranz von Liguster, Raute, Sellerieblättern und Flittergold schlingt. Die letzte Woche vor der Hochzeit läßt sich die Braut und häufig auch der Bräutigam nicht blos bei den katholischen, sondern auch bei den protestantischen Kassuben vom Pfarrer in der Katechismuslehre prüfen. Der Bräutigam ver ziert während des Brautstandes gewöhnlich seine Mütze oder seinen Hut nur mit einem grünen oder blauen Bande. Die männlichen Kassuben tragen als Leibrock die sukmanL, es ist dies ein die Taille eng umschließender Rock, dessen Schöße sehr lang sind, so daß sie weit über die Knie reichen. Im Winter setzt sich der pommersche Kassube die sog. „lclapinuos" (Klappmütze) auf, die mit grauem Krimmer umnäht ist. Wenn die Weiber Sonn tags zur Kirche gehen, so umwickeln sie sich den Kopf mit weißen Tüchern. Der ethnographische Schriftsteller A. I. Parczewski, der über den kassubischen Dialekt an Ort und Stelle zahlreiche Forschungen angestellt hat, meint in wenig galanter Weise, daß die kassubischen Weiber, wenn sie mit ihren weißen Kopftüchern und in geschloffenen Reihen auf der Landstraße einherwandelten, in der Entfernung wie eine Heerde Gänse aussähen. Wie bei den meisten Slawen, so ist auch bei den Kassuben die weiße Farbe diejenige der Trauer, nur bei den protestantischen Kassuben hat sich schon mehr und mehr die schwarze dafür einge bürgert. Am zweiten Osterfeiertage findet noch der sog. Dengus (polnisch Dyngus) bei den Kassuben statt. Die jungen Burschen und Männer begießen die Mädchen und Frauen mit Wasser, die feineren auch mit Parfüm. Dieser „Dengus" soll an die Auferstehung Christi erinnern. Wie die Legende erzählt, ließ nämlich nach der Auferstehung Christi der römische Land pfleger die Jünger, die sich versammelten und die Ereignisse jener Tage besprachen, durch Waffergüsse auseinander treiben. Viel Lieder und Sagen besaßen die pommerschen Kassuben von jeher nicht. Aber auch das Wenige ist fast gänzlich in Vergessen heit gcrathen. Als vor etwa vierzig Jahren der russische Forscher Hilferding Lieder und Sprüche zu sammeln anfing, war es eigent lich schon zu spät. Unter den wrstpreußischen Kassuben haben sich allerdings weit mehr Volkslieder erhalten. In den Märchen der pommerschen Kassuben spielen der Teufel, Hexen und Zau berer, Nixen und dergleichen eine große Rolle. Wie in den Er zählungen der westpreußischen Kassuben ein Fischer gewöhnlich nach Putzig geht, um dort Netze zu kaufen und bei dieser Gelegen heit die allerseltsamsten Abenteuer erlebt, so passirt auch in den Erzählungen der pommerschen Kassuben den Fischern bei ihrem Aufenthalt am Strande oder bei ihren Einkäufen in der Stadt alles Mögliche. Ferner spielen in den kassubischen Kinderge schichten Zwerge und Erdgeister eine große Rolle, welche Kinder rauben, Kinder vertauschen u. s. w. Die Wohnhäuser der Kassuben sind auch heute noch über alle Maßen ärmlich, aus Klebfachwerk aufgeführt, mit Stroh gedeckt und an der Wetterseite mit Brettern verschalt. Die Stübchen werden meist durch Lehmöfen geheizt und besteht der Fußboden oft aus Ziegeln oder festem Lehm. Um den Ofen zieht sich die bekannte Bank, auf der der Kassube von des Tages Last und Mühe ruht und mit den Seinen plaudert. Natürlich sprechen die Kassuben, mit ganz vereinzelten Ausnahmen, auch deutsch, obschon diese Sprache ihnen immerhin weniger geläufig ist. Man glaubte übrigens schon im 16. Jahrhundert, daß der kassubisch-pommersche Dialekt in absehbarer Zeit verschwinden würde und darum ließen auch die pommerschen Reformatoren die lutherische Bibelübersetzung zunächst nicht ins Kassubische über tragen, was erst im 17. Jahrhundert geschah. Von dem kleinen Katechismus vr. Luther s erschien die erste Auflage 1643, die zweite 1758 in Danzig, die dritte 1828 in Stettin. Als der russische Sprachforscher und Ethnograph Hilferding 1856 die kassubischen Dörfer Hinterpommerns und Westpreußens durch wanderte und darauf sein Werk „Die letzten Slawen am süd lichen Ufer der Ostsee" (,.Oütatki 8Invian na zurnvm beregn baltz-skego morj»") schrieb, bemerkte er darin, daß in Hinter Pommern in zwanzig, allerspätestens dreißig Jahren Niemand mehr kassubisch sprechen würde. So nahe schien schon damals diesem russischen Forscher die Germanisirung der pommerschen Kassuben und doch zählt man heute noch in Hinterpommern 10—11000 noch nicht germanisirter Kassuben. Völker sterben sehr langsam und auch bei den kleinen Nationen währt der Todes kampf geraume Zeit. Vor wenigen Jahren hat die Krakauer Akademie d«r Wissen schaften ein Wörterbuch des kassubisch-pommerschen Dialekts herausgegeben, daS als Sprachdenkmal bleiben wird, auch wenn der letzte kassubisch sprechende Pommer schon unter dem grünen Rasen schläft.
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