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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.01.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980126017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898012601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898012601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-01
- Tag1898-01-26
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Größer» Schriften laut unserem Prei-<- vrrzeicknlß. Tabellarischer und Ziffernia- nach höherem Taris. trptra-Beilagen (gesalzt), »ur mit der Morgen »Ausgabe, ob n e Postbeförderung M.—, mit Postbesörderung 70.—. Auuahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags !0 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eku« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die yxpediliä» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 44 Mittwoch den 26. Januar 1898 Der Mlljestätsdelkidigmlgsproteß gegen den „Ma-deradatsch". (Unberechtigter Nachdruck vom Berf. verboten.) II. (Schluff.) tlg. Berti», 25. Januar. Zu dem Termin sind von bei:: tbeidiger Justizratb I>r. v. Gordon Herr Prof. Manz et und der Maier Fritz Gehrke als Sachvernändige geladen worden. Letzterer ist erschienen, während Prof. Manzel angezeigt bat, daff er die Genehmigung seiner vorgesetzten Behörde zur Abgabe diese- Gutachtens nicht erhalten hat. Da die betr. Nummer Leo „Kladderadatsch" s. Z. mit Beschlag belegt worden ist, so ist Ver- iagSbuchhändier Hofmann als Interessent zur Stelle. — Ter An geklagte Trojan behauptet, baff etue Majestätsbeleidigung mit Lein Bilde nicht beabsicht worden sei. Es sei ein satyriiches Bild, dessen Spitz nicht gegen die Worte LeSKaiserS gerichtet sei,sondern gegen die orthodoxen Zeloten, die an§ Len Worten des Kaisers eine Conjequenz ziehen, die der Kaiser selbst nicht ziehen wolle, gegen jene Heißsporne, die wieder die Worte des Kaisers mißbrauchen wollen zur Verketzerung Andersgläubiger. Tie Engel mit Bäfichen sollten diese zeionschen Geistlichen darslellen. Deshalb stehe im Mittelpuncte Friedrich der Große, der den Zeloten unter den Geistlichen besonder- ein Dorn im Auge sei. Diesem lächele Voltaire zu. Friedrich der Große wende sich zu einer Gruppe unsterblicher Heiden, diese drei berühmten Heerführer lächeln — aber nicht höhnisch, sondern leicht und fein; sie lächeln keineswegs über die Worte des Kaisers, sondern über das, was in gewissen Zeitungen über die Worte des Kaisers stehe. Em „höhnisches" Lächeln wäre im Gefilde der Seligen eine Geschmack- und Sinnlosigkeit. LeonidaS und Alexander haben jn doch auch die Religion ihrer Zeit gehabt, und das Bild solle auä> gerade daran erinnern, wie im Laufe der Jahrhunderte eme Religion der anderen gefolgt ist und jede einzelne sich als die einzig wahre betrachtet hat. Der gleichfalls lächelnde Teufel siehe in directer Beziehung zu den orthodoxen Zeloten, die von dem Gottseibeiuns oft noch mehr halten, als vom lieben Gott selbst. Als Sachverständiger wird der Mater Fritz Gehrke d r» nominell, der die Behauptung des Angeklagten bestätig!, daß Friedlich der Große im Mittelpuncte des Bildes stehe und Las Lächeln Lei drei Feldherren kein höhnisches sei. — Der Vertheidiger beantragt noch, aus einer Reihe von Nummern deS „Kladderadatsch" sesrzustellen, daß der „Kladderadatsch" und speciell der Angeklagte eine loyale Stellung zum Herrscherhame einuimmt. Der Gerichtshof lehnt diese Beweiserhebung ab, indem er die darin aus gestellten Behauptungen als wahr unterstellt. Damit ist die Beweisaufnahme geschlossen. — SraatSanwali vr. Eger beantragt, den Angeklagten der Majesrätsbeteldigung für schuldig zu erachten. Die Auffassung der Anklage iei durch die Er läuterungen des Angeklagten nicht erschüttert worden. Solcle Scherze über Aeußerungen Sr. Majestät seien Wasser für die Mühle derjenigen, die der Monarchie Abbruch tbun wollen. Für Len An geklagten lügen persönlich zwar mancherlei Milderungsgründe vor: seine ganz zweifelsfreie Gesinnung, sein Alter und daß schon die Thatsache einer Vcrnrtheilung überhaupt ihn schwer treffen werde. AuS allen diesen Gründen und weil der Angeklagte aus ein Leben zurückblicke, welches ihm in weitesten .Kreisen Ebre und Achtung eingebracht habe, beantrage er das mindeste Strafmaß: zwei Monate Festungshaft und Unbrauchbarmachung der betreffenden Nummer. Vertb. Justizrath von Gordon tritt warm für die Freisprechung ein. Die Kaiserrede habe zuerst in weiten Kreisen Bestürzung her vorgerufen und sei angezweiselt worden. Er sei überzeug!, daß die Kaiierworte die Rccruten verwarnen wollte gegen die socialdemokralisch-atheistische Richtung. Se. Majestät ' gehr von der Ansicht aus, die in weitesten Kreisen getheül wird. Laß die Rückkehr zur Kirche allein die Gesundung des Volks Herbeiführen könne. Das gab er schon durch Vie WolLersee-Versammlung, das Volksschulgesetz, zu erkennen. Es handelt sich also um keine avsonderitchen Ansichten, sondern er stützte sich aus eine historische Weltanschauung, daß ohne Ehristrnthum keine sestfundirie Gesinnung exisltren könne. Wir wissen, wie hoch Se. Majestät seinen Ahnherrn schätzt, die Conscquenz zu ziehen lag ihm gewiß kern. Vom Skand- punct des „Klado." war, nachdem sich die Presse der Sache be mächtigt halte, eine Kritik nothwrndig. Die Worie konnten daS Ge fühl der Zurücksetzung Hervorrufen, Ausnahmen waren nicht genannt. Jn Folge der politischen Verhältnisse war eine Beunruhigung in sogenannten NichkSthuer, von den gebildeten Leuten ihre» Alter-, die arbeiten und verdienen müssen, als unsittliche Personen in gewissem Sinne bingestellt werden, und noch verständlicher, daß da- gleiche Urtdeil oder ein noch härtere- von minder gebildeten und deshalb leicht auszubetzenden Be sitzlosen gefällt wirb; wenn Eigenthum Diebstahl ist, so ist Besitz Uusittlickkeit. Diese Anschauung setzt sich fest und sester und wird schließlich ein Axiom, da- ohne zede Be gründung als Wahrheit hingenommen wird. AuS diesem Axiom leiten auch die Socialdemokraten, und besonders Herr Bebel, ihr Unheil über die Schlechtigkeit der „vornehmen" Welt her. Sie finden damit bei allen Jenen, die auf den Beifall der Menge rechnen, die sich bekanntlich immer besser dünkt al- die Angeklagten, lebhaften Beifall. Menschen sind keine Engel, und eS giebt auch in den Kreisen der Bourgeoisie viele räudige Schafe, mehr aber nickt als in anderen Ständen, nur werden ihre Sünden viel öfter an die Oeffentlickkeit ge bracht und besprochen, weil die Sünder die Beneideten sind und weil man ihres Stande- wegen mit ihnen schärfer inS Gericht gebt. Mit Vorliebe bearbeiten die Blätter der Partei veS Herrn Bebel die Fälle, in denen sich eine Nichtproletarierin gegen die Gesetze der Schicklichkeit und Sittlichkeit vergeht. Diese Fälle werden so breit wie möglich getreten und mit cynischem Behagen ausgcmalt, das seltsam genug von der lugendsamen Entrüstung absticht, mit der man sich am Schlüsse über die Unsittlichkeit der „höheren" Stände ereifert. Man läßt kein gutes Haar an dem Verführer des armen Proletarier kindes — aber ob dieses „unschuldige Geschöpf" nicht sehr mit der Verführung einverstanden war, da- zu untersuchen, unter läßt man wohlweislich. Zur Verführung gehören immer Zwei, und ob von einer Verführung bei dem Einverständniß beider Parteien gesprochen werden kann und ob die Geldgier nicht ein ebenso schlimmer Verführer ist wie da- Geld, ist sehr fraglich. Wie steht e- denn aber bei den Herren Proletariern? Wer einmal hier Studien machen will, der gehe auf die Tanzsäle, wo die Arbeiterinnen tanzen, der höre einmal in Fabriken zu, wo die Mädchen bei einander sitzen, oder lausche auf der Straße ibren Gesprächen, wenn sie Montags früh in die Arbeitsstätte» zichen. Wenn er der größte Arbeilerfreund ist und eine ganze Portion Vorurtheil gegen die zsuuesss äorSs und die Bourgeoisie in sich trägt, er wird beim besten Willen nicht conftaliren können, daß die Liebhaber dieser Mädchen nur, oder auch nur zum kleineren Theil, au- jenen Kreisen sich recrutiren; im Gegentheil, er wird finden, daß die Mädchen nur von Arbeit-collegen und Mitbewohnern ihrer LogiS reden. ES kann ja auch gar nicht anders sein. Gleich und gleich gesellt sich gern, denn nur bei Gleichen findet das Wollen und Empfinden volles Berstänvniß. Man hört doch den jungen Burschen zu, wie sie von den Mädchen ihre- Stände sprechen, man frage doch die Mädchen, wie sie denken, und man wirb finden, baß ihre Begriffe von Sittlichkeit nicht nur lax, sondern frivol sind,und Herr Bebel wird doch nicht glauben machen wollen, daß alle die frivolen Verhältnisse zwischen seckS- zehnjäurigen Mädchen und jungen Burschen zur Ehe führen? Er und seine Freunde haben ja oft genug die unbeschränkte Freiheit deS Willens auch auf sittlichem Gebiete vertheidigl, um nickt begeisterte Anhänger ihrer Lehre zu finden. Und bei diesen Zuständen, über die auch das Register der unehelichen Kinder Auskunft giebt, sollen eS nach Bebel nur „Osficiere, Studenten rc. sein, die an der Prostitution schuld sind". Wer den ersten Schritt leichtfertig thut, thut auch einen zweiten und dritten und fällt schließlich ganz. Das ist schlimm, aber e- ist so und einer zeuuesss clorßv bedarf eS dazu gar nicht. Daß gar manche der in Vorschlag gebrachten Ver schärfungen des Strafgesetzbuches mit den Bestrebungen aus Emaucipation deS weiblichen Geschlechte- und auf seine volle Gleichstellung in politischer und pecuniärer Beziehung mit dem männlichen sich schlechterdings nicht vertragen, sei nur nebenher betont. Denn diese Bestrebungen finden eine feste Schranke in dem gesunden Sinne der großen Mehrheit der deutschen Frauen und in ihrem Verständniß für die Grundbedingungen eines glücklichen und seinem hohen Zwecke entsprechenden Familien- iebenS. Gerade diese große Mehrheit der deutschen Frauen ist denn auch der berufenste Entlastungszeuge gegen die dreiste Anschuldigung des Herrn Bebel, die Familien der sog. besseren Stande seien durch die unsittliche Art ihrer Entstehung und ihre LedenSflibrung in Verfall aeratben. Da gerade ein rechtes Familienleben daS festeste Bollwerk gegen die Socialbrmokratie ist, so ist e- begreiflich, warum Herr Bebel zu dieser Anschuldigung greift, die ihm über dies willkommene Gelegenheit giebt, die Arbeitereben auf Kosten der Eben de- BürgerthumS zu rübmen. Daß er sich auch hierbei mit offenkundigen Tbatsacheu und der Ver nunft in den schreiendsten Widerspruch setzt, kann bei ihm nicht befremden. Er schreibt die Mehrzahl der Ehescheidungen dem Bürgerthume zu und bezeichnet die Forderung nach einem geordneten und gesicherten HauSstande al» unsittlich. Ma die erstere Behauptung betrifft, so wird sie durch eine an anderer Stelle angeführte Mittbeilung eines höheren Uustiz- beamten auf ihre» wahren Werth zurückgeführt. Zu der zweiten ist Folgendes zu bemerken: Nicht leicht entflammte Leibenschast, die Viele fälsch licher Weise als Liebe bezeichnen, ist der geeignete Boden für ein die Dauer der Jugend überlebendes Glück in der Ehe, sondern Gleichheit der Neigung, der LebenS- anschauuug, geordnete Hau-Haltung und Treue. Und wenn ein junger Mann in seinem Kreise kein Mädchen finden kann, daS ihm diese Bürgschaften deS Glück- in sich zu haben scheint, und wenn er sich deshalb an einen weiteren Kreis wendet, so bezeichnet Herr Bebel daS als unsittlich. DaS Verfahren wird aber erst dann unsittlich, wenn daS Geld den AuSscklag giebt und jeder andere Factor außer Acht gelassen wird. Herr Bebel wird doch nicht etwa behaupten wollen, da^> dies im Bürgerthum und nur hier die Regel sei. Auch im Arbeiterstande, und dort noch mehr al- im kleinen Bürgertbum, fragt daS Mädchen uach dem Verdienst ihre- Bräutigams und calculirt, ob damit ein Haus stand in bescheidener, aber voraussichtlich sorgenfreier Weise geführt werden kann. Aber auch hier kommen Fälle vor, wo diese nüchterne und social noth- wendige Erwägung nicht angeftellt wird, und daraus ent stehen Eben, für die es selbst weitherzige Entschuldigungen nicht mehr giebt. Trunksucht und Untreue sind da an der Tagesordnung, und wenn unsere Armenpfteger einmal ihre Memoiren schreiben wollten, so würde ein so häßliches Bild mancher Arbeitereken gemalt werden, daß die, Gott sei Dank, immer noch vereinzelten nicht entschuldbaren Fälle aus Len Ehen des BürgerthumS ganz in den Hintergrund treten würben. Dieses Urtheil kann Herr Bebel alle Tage von seinen eigenen Gesinnungsgenossen, die fick in ihrer Mebrzabl ein recht gesundes Auge und bellen Blick bewahrt haben, hören. Wozu also die dreiste Behauptung, daß im Bürgertbum schlimmere Zustände und größere Unsittlichkeit herrschten, al- im Arbeilerstande? Zur Besserung? Durch Ver leumdung bessert man daS Bürgertbum ebensowenig, wie man den Arbeiterstand durch Verherrlichung bessert. AIS einziger Zweck bleibt also nur die Verhetzung, die Aufstache lung des Proletariats übrig, daS die Anstreduog der Diktatur nicht nur al- politische und sociale, sondern auch als moralische Pflicht empfinden soll. Um so nöthiger ist eS, die grobe Verleumdung deS gejammten BürgerthumS dahin zu verweisen, wohin sie gehört — in daS Schwindelarchiv der socialdemokratischen Propaganda. Aus dem Schwindelarchiv der socialdemokratischen Propaganda. Wenn irgendwo, besonder- in dem bald zwrimillionen- köpfigen Berlin, irgend ein Fall sich ereignet, auf den sich die SittlickkeitSparaHraphen deS Strafgesetzbuches anwenden lassen, und wenn dieser Fall auS irgend welchen Gründen recht breit getreten wird, dann wird eS flugs im Reichs tage lebendig und gewisse Parteien kommen mit Gesetzentwürfen, die der Unsittlichkeit sofort den Garau- machen sollen. WaS baden wir in dieser Beziehung nicht schon erlebt! DaS Ver bot deS Tingeltangels mit seinen schlüpfrigen Couplet- fand kaum eifrigere Befürworter, als die Bekleidung der BenuS von Milo. WaS hat nickt der Buchhandel schon auSballen und befürchten müssen, weil man ihn in sittlicher Beziehung unter strenge Censur nehmen und dem „Ermessen" der Be amten anbeimstellen wollte, was unsittlich und deshalb zu ver bieten sei oder nickt, lieber DaS, was wirklich unsittlich ist, werden sich die Parteien niemals einigen, und über DaS, WaS anstößig ist, werden die verschiedenen Volksclassen immer verschiedener Meinung sein. Auch den Zeitströmungen unter liegt die Beurtheilung der Frage und gegenwärtig ist aller dings ein großer Theil des PublicumS geneigt, eine weite Freiheit walten zu lassen, die keineswegs zur Bildung und Festigung deS Charakters beiträgt, sondern diesen nur schädigt. Es ist daher ganz begreiflich, daß Männer, die eS mit ibrcr Nation ehrlich meinen, mit Betrüblich eine leichtere Auffassung von dem, WaS sittlich ist, im deutschen Volte um sich greifen sehen und deshalb bestrebt sind, durch Gesetze einer weiteren Ausdehnung vorzubeugen. Allein daS ist sehr schwer und cs ist bei einem gesetzlichen Eingreifen zur Hebung der Sittlich keit zu befürchten, daß die Freiheit der Auffassung des Einzelnen in einer Weise einzczwängt wird, Vie eine sofortige starke Reaction nach sich ziehen muß. Diese Bedenken sind denn auch an beiden Schweriustageu im ReickSiage gegenüber dem Anträge des CenlrumS zum Ausdruck gekommen, und so haben schließlich die Verhandlungen zu einer Ueberweisung des Antrags an eine Commission von l4 Mitgliedern geführt. Wir Wollen wünschen, daß eS der Commission gelingt, die Con- traste zwischen strengster Auffassung von Sittlichkeit einerseits und persönlicher Freideit andererseits zu verringern und einen Gesetzentwurf zu Stande zu bringen, der thalsächlich Abhilfe schafft. Gegen waS wir uns aber hier wenden müssen, ist die Beleuckiung, in die die ganze Angelegenheit durch die Reden einzelner Abgeordneter gerückt worden ist. Man Hal nämlich einseitig die sog. gebildeten Stände, daS Bürgerthum als Sündenbock hinzustellen versucht, und in der ersten wie in der zweiten Besprechung ist dieser Stellungnahme einzelner Abgeordneter nicht fest genug entgegengetreren worden. Schon der konservative Abgeordnete S cka ll glaubte einer im Publicum verbreiteten Meinung Rechnung tragen zu müssen, als er die„zouuesss ckoiSv" und insbesondere die studirende Jugend für die Prostitution vcrantwoltlich machte, und der Abgeordnete Bebel mochte es sich niwt versagen, diese Anregung weiter auszuführen und die sittliche Verkommen beil der Bourgeoisie in den schwärzesten Tinten zu malen. Nun sind wir zwar weit davon entfernt, die jungen Leute, die dem Lvhiiarbeileistande nickt angehören, als Muster der Tugend und Sittsamkeit auszugeben, aber wir müssen das Bestreben, ihnen, oder wenigstens dem giößlen Theil von ihnen, die Schuld für die Prostitution aufzubürden, doch energisch zurück weisen. Es ist eine alte Erfahrung, daß Derjenige, der mehr als der Andere bat, von dem Andern beneidet wird und daß dieser Neid sich oft genug in Herabsetzung der Person deS Ersteren gefällt. Es ist daher auch ganz verständ lich, wenn die zvuuess« äorSs im engern Sinne, also die Fe«ill«ts»r. Der Hai im Schaufenster Ler Fischhalle. ViachrruH veidolen. „Das wär' er denn", murmelte mein Nachbar vor dem Schaufenster — „Das wär' er denn! Bor diesem hätt' ich Ruh'; Hübsch ist er wohl, doch sagt er mir nicht zu!" und damit ging er. „Ein gebildeter Mann", sagte ich mir, „aber jedenfalls kein Zoologe." Ja, das mär' er denn! Der EiShai oder Grönlandshai, der liLkt-stiieräiog der Norweger, der ULewurgus txweutis der internationalen Wissenschaft. Immerhin ein stattlicher Bursche, wenn auch ein erst beginnender Jüngling; alte Herren können bis 5 Meter lang werden. Warum soll er denn nicht hübsch sein? „Ein jedes Ding", lehrt der alte weise Confucius, „hat seine Schönheit, man muß nur die Augen danach haben, sie zu sehen". Menschen augen sind verschieden und die Geschmäcker sind verschieden. Ich finde eine Kröte hübsch, und ein Mediriner sagt bei irgend einer gräulichen Hautkrankheit, „ein hübscher Fall". Ich finde unser alteS Rathhaus hübsch und mancher Leipziger Vetter Michel schwört darauf, es wäre ein scheußlicher, alter Kasten. Die Haie sind prächtige Thiere in ihrer Art, aber um sie recht würdigen zu können, muß man sie in ihrem ureigentlichen Ele mente, im freien Meere, beobachten. Dielen gegenüber muß der Mensch freilich von seinen subjektiven Gefühlen dabei absehen und vergessen, daß sie ungemüthliche Gesellen sein können, die von der Würde deS „Herrn der Schöpfung" durchaus nicht durch drungen sind und zwischen ihm und einem Seehund keinen Unter schied zu machen verstehen. Wenn Kaiser Karl V. in höchst- eigner Person in das Mittelmeer gefallen wäre, und ein Riesenhai wäre bei der Hand gewesen, so würde er dem Herrn von zwei Welten ein Bein ab- oder ihn in der Mitte durchgebiffen haben, wenn er es etwa nicht vorgezogen hätte, ihn ganz hinunterzu schlucken. ES geht eben ein bedenklich demokratischer Zug durch die Thierwelt vom Floh, der Königin und Zofe sticht und nagt, bis zum Löwen, und wenn Falstaff auch behauptet. der Löwe verschone aus Instinkt die Fürstenmcnschen, ich glaube dem alten Lügenhans auch in diesem Falle nicht und ließ es, wenn ich Fürst wäre, lieber nicht darauf ankommen. Das Alles thut der praktischen Schönheit eines Haifisches indeß keinen Abbruch. Praktische Schönheit — in der Thal! Der Leib der meisten Haie ist von eleganter Spindelform und ver- räth auf den ersten Blick die ungeheure Muskelkraft und die er staunliche Schnelligkeit und Sicherheit der Bewegung, mit einem Worte: den vollendeten Schwimmer. Das verräth auch der Bau der Floffen. Ein Hai hat, wie die allermeisten Fische, mehr Gliedmaßen, in diesem Falle „Floffen" genannt, als ein anderes Wirbelthier. Er hat sie von zweierlei Art: wagerechte und senkrechte. Die ersteren, die Brust- und die Bauchfloffen, von jeder Sorte ein Paar, entsprechen unseren Armen und Beinen. Von senkrechten Flossen oder unpaaren, auch medianen — ganz nach Wunsch —, es sind die Schwanz-, After- und Rückenflosse oder Rückenflossen, haben wir erfreulicher Weise keine Spur, hätten wir sie, dann wäre daS Sichsetzen und Sitzen und daS An- und Ausziehen der Kleider eine verteufelt verdrießliche Geschichte. Aber für die Fische sind gerade diese Flossen und besonders die Schwanzflosse von der allergrößten Bedeutung für daS Schwimmen. In der Schwanzflosse und in dem ganzen Hinterende des Körpers sitzt die gewaltige, in horizontaler Richtung vorwärtstreibende Kraft der Fische. Hier ist die Muskulatur am stärksten entwickelt. Will ein Fisch steigen oder sinken, so stellt er di« Dorderfläch« und den Oberrand seiner wagerechten, mit einer nur schwachen Musku latur ausgerüsteten Flossen, besonders der Brustflossen, darnach. Schwenkungen nach rechts und links vermitteln außer dem Schwänze auch noch After- und Rückenflosse. Die Schwanzflosse eines Haifisches ist wohl des Ansehens werth, und wer sich daS Monstrum in der Katharinenstraße darauf ansehen will, dem rathe ich, einen Bückling dabei zu ver zehren. Dann hat er einen doppelten Genuß, den materiellen des Verspeisens und den ideellen der vergleichend anatomischen Be trachtung. Ist er mit seinem Bückling fertig, so bewahre er die Schwanzflosse, die die einigermaßen gebildeten Europäer und vollend» meine Kleinpariser nicht mit hineinzuknuppern pflegen, zu vergleichenden Studien mit dem entsprechenden Organ deS Haifisches. Der Hering — der Bückling ist nichts anderes als ein frisch geräucherter, nicht ausgenommener Hering — hat am Hinter rand der Schwanzflosse einen ziemlich tiefen Ausschnitt, der sie in eine gleiche obere und untere Hälfte zerlegt. Beim Haifisch sieht das Ding anders aus: der Ausschnitt ist auch hier vor handen, aber die beiden durch ihn zu Stande gekommenen Flossen- theile sind sehr ungleich: der obere ist weit kräftiger und länger, verläuft viel weiter nach hinten, und der untere ist nur ein lappiger Anhang an ihm. Aber im oberen Abschnitt fällt noch etwas auf: entlang seiner Mitte verläuft nämlich eine hinten spitz endigende Vexdickung. Diese Verdickung ist das nach oben ge krümmte Ende der Wirbelsäule. DaS liegt freilich auch im oberen Theile des Heringschwanzes, ist hier aber verkümmert und seine einzelne Wirbel sind zu einem Knochenstäbchen verschmolzen, das ähnlich aussieht wie jede andere Floffengrätc oder Floffen strahl auch, — der Laie kann das nicht unterscheiden, aber der Fachmann hat seine besondere Freude daran. Die Thatsache würde ihm, wenn er es nicht auch sonst schon wüßte, zeigen, daß die Haie weit alterthümlichere Fische sind als die Heringe, ja als die ganze Gesellschaft der sogenannten Knochenfische zusammen. Unser Eishai hat zwei Rucken- und eine Afterflosse, alle drei nur schwach entwickelt, und die ersteren mit einfachem, weichem Rande, während bei anderen Haifischformen sich vor diesen ein harter, knöcherner oder zahnartiger Stachel befindet. Die Brust flossen zeigen nichts Besonderes, wohl aber bei dem Exemplar im Schaufenster die Baulhfloffen, was freilich von außen nicht gut zu sehen ist. An der Innenseite einer jeden befindet sich nämlich ein eigenartiges Gebilde in Gestalt einer Rinne oder Halbröhre, das auS umgebildeten Flosscnstrahlen hervorgegangen ist. Das ist keine Eigenthümlichkeit aller Haiindividuen, sondern bloS der männlichen. Betrachten wir den Eishai weiter. Da sind am Kopf die beiden Augen. Klein, aber merkwürdig. Die Hai« besitzen, sehr abweichend von anderen Fischen, bewegliche Augenlider und viele nicht blos zwei, ein oberes und unteres, sondern wie die Vögel drei. Im vorderen Augenwinkel liegt nämlich eine Hautfalte, eine „Nickhaut", die durch die Wirkung eines besonderen Muskels über die Vorderfläche deS Auges weggezogen werden kann. Aber der Mechanismus des Apparates und bei einem tobten Hai auch die Nickhaut ist ohne anatomische Untersuchung nicht bemerkbar, und die letztere beim Eishai überhaupt nicht, und zwar au» dem aller einfachsten Grunde, nämlich weil er zu den Formen gehört, die gar keine haben. Hinter jedem Auge liegt auf Dem Kopfe ein Loch. Das Ohr loch, — natürlich! sagt mein lieber Leser. Hm! ja und nein. Anatomisch und seiner Entwickelungsgeschichte nach allerdings, da ist es dasselbe wie unser Ohrloch, aber physiologisch, d. !>. seiner Leistung nach ist es etwas ganz Anderes. Ich müßte hier zu weit ausholen und auf zu knisfliche Fragen der vergleichenden Anatomie und Entwickelungsgeschichte eingeb n. wenn ich das klar machen wollte. Nur soviel sei bemerkt: ein äußeres Ohr und ein Ohrloch, ein Trommelfell und eine Pauken höhle hat kein Fisch, auch die Knochengevildchen, die bei uns G hörknöchelckcn genannt werden, haben bei ihm eine ganz ander - Beschaffenheit und Bedeutung und liegen außerhalb des Scku dels. Jenes Loch aber ist das äußere Ende eines Canals, dessen inneres in der Maulhöhle liegt, und der selbst unserer Eu stachischen Trompete, d. b. dem Verbindungsrohr zwischen unsere: Pauken- und unserer Rachenhöhle, entspricht. Beim Hai dien: der Canal, der den Knochenfischen fehlt, dem Ein- uno Austrii: von Wasser in das Maul und aus dem Maule, und seine äußere Oeffnung heißt das „Spritzloch". Nasenlöcher fehlen dem Hai vor uns keineswegs, wir können sie aber nicht sehen, den sie liegen auf der Unterseite dec Schnauze. Alle Fische haben zwei Nasenlöcher, nur die Bricken nicht, aber das sind gar keine richtigen Fische, wenn sie auch gut schmecken. Die Nasenlöcher dienen bei den Fischen nur zur Aufnahme des mit riechenden Stoffen geschwängerten Wassers, nicht aucki zum Athernholen wie bei den landbewohnenden Wirbelthieren und denen sich im Meere aufhaltenden Kriech- und Säugethieren. Die Nasengruben stehen auch nicht wie bei diesen durch Hintere Gänge mit der Mundhöhle in Verbindung, sind vielmehr bis auf zwei oder drei, auf besondere Ursache beruhenden Ausnahmen, abge sehen vom vorderen Nasenloch, allseitig geschlossen. Aber in der Kopfregion unseres Fisches finden sich noch mehr Löcher, die wir freilich bei der Art, wie das Ungethiirn da vor uns liegt, gleichfalls nicht sehen können. Da ist selbstverständlich zunächst daS Mauk, die große Ein gangsbresche für den Stoffwechsel der meisten Thiere, und bei den des allerregsten Appetits sich erfreuenden Haien ist es doppelt groß. Es liegt bei ihnen, den Rochen und Stören auf der
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