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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.03.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980303010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898030301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898030301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
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Morgen-Ausgabe eipMer TagMalt Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. 92. Jahrgang Donnerstag den 3. März 1898. Die Morgeu-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr. di: Abcnd-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Annahmeschloß fik Anzeigen: i>lb end-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Margen-Ausgab«: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund» früher. Anzeigen siud stets au di» Expedition zu richte». Mactiün und Erveditto«: Johanne-gaffe 8. Dir Expedition ist Wochentags ununterbrochen grössnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Filialen: ktto Klemm'- Tortim. lAlfrek Hahn), UniversitätSstraße 3 (Paultnum), Louis Lüsche, Latbariueustr. Ls, Part, uud König-Platz 7. Anzeiger. Amtsblatt des Königliche« Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. VezugS-Prei- tz, tz«r Hauptexpedtkton oder den t» Stadt- bezirk und den Dororten errichteten Aus gabestellen ab geb alt: vierteljährlich ^>4.ü0, bei zweimaliger täglicher Zustellung tn» Haus ./L ö.öO. Durch die Post bezogen für Trutschland und Oesterreich: vtertestährlich 6.—. Direkt» tügliche Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich 7.Ü0. ttxtrn-Beilagen (gesalzt), nur mtt der Morgen-AuSaabe, ohne Postbrsörderung 60.—, mit Postbrsörderung ^l> 70.—. «»zsigen-VrEtr die S gespaltene Petitzeile 90 Pfg. Reklamen unter dem Redaction-strick (4g<- spalten) bO^Z, vor den Famtliennachrichte« (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Prri- verzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Die ^lottenvorlage und das Centrum. Aus parlamentarischen Kreisen wird uns geschrieben: Als der Abgeordnete Eugen Richter in der Budget commission des Reichstages am 26. Februar den endgiltigen Rückzug in seinem Kampfe gegen die Flottenvorlage antrat, da kleidete er diesen in die Form: Schon bei der ersten Lesung habe es sich herauSgestellt, daß die Entscheidung der Vorlage beim Centrum liege; jetzt zeige sich eine unerwartete Annäherung des Centrums an den Standpunkt der Regierung, denn der Ab geordnete vr. Lieber werde als Parteiführer keine andere Haltung «innehmen können wie als Berichterstatter. Demgemäß verzichte er auf die aussichtslose Bekämpfung der Vorlage. Wenn nun auch der Abgeordnete Vr. Lieber dem lebhaft widersprach und sich, wie wir anerkennen müssen, mit allem Rechte auf seine Objektivität als Berichterstatter berief, so hatte doch der kluge Führer der Opposition das Richtige getroffen. Man kann heute mit Sicherheit behaupten, daß die Ent scheidung in der Flottenfrage getroffen sei. Denn der Führer des Centrums würde mindestens das Referat über die Gesetzes vorlage abgegeben haben, wenn er nicht überzeugt wäre, daß der größere Theil seiner Fraction schließlich doch seiner Auffassung beitreten werde. Und in der That war der vom Abgeordneten Müller -Fulda in der Budgetcommission geführte Widerspruch des Centrums gegen die Vorlage ein außerordentlich matter und ließ die heftige Kampfesform vergessen, deren sich gerade dieser Abgeordnete u. A. in der „Kölnischen Volkszeitung" gegen die Vorlage bedient hatte. Der Bericht des Abgeordneten Vr. Lieber zerfiel bekanntlich in drei Theile, von denen am 22. Februar der erste materielle Theil erledigt wurde, bestehend in der Frage, ob denn überhaupt .eine Vermehrung der Flotte in dem vorgeschlagenen Maße erforderlich sei. Zu allgemeiner Ueberraschung kam der Berichterstatter vr. Lieber hierbei zu dem Schlüsse, die Vorlage stelle ein organisches Ganze dar, das man annehmen oder ver werfen, von dem man aber nichts abhandeln könne. Mit großem Geschick spielt« er die Vertheidigung dieses Standpunktes in die Hände des Staatssecretairs T i r p i tz , der ein so überwältigendes Material dafür beibrachte, daß jeder Widerspruch auch im linken Flügel des Centrums, bei den drei Spielarten des Fortschritts und bei den Socialdemokraten verstummen mußte. Es gelang dem Admiral Tirpitz der Nachweis, daß es sich bei dem jetzigen Flottenplane nicht um die Laune oder Stimmung des Augen blicks, sondern um das Ergebniß einer mehr als zehnjährigen Entwickelung handelt, und er konnte aus dem geheimen Archiv des Reichsmarineamtes leicht den Nachweis erbringen, daß zum Schutze unserer Küsten die örtliche Vertheidigung und Befestigung nicht genügt, sondern daß eine bewegliche Vertheidigung in Ge stalt einer Schlachtflotte erforderlich ist und daß aus technischen Gründen hierzu nicht mehr und nicht weniger als 16 große gleich mäßige Schlachtschiffe mit dem nöthigen Admiralschiff und dem sonstigen Zubehör gebraucht werden. Bei Berathung des zweiten Theiles der Vorlage, der Er wägung, ob für diese gerade ein Gesetz und ein wie gestaltetes erforderlich sei, trat die Führung durch die Organe der Regierung mehr als nöthig zurück. Sie lag ganz in den Händen des Be richterstatters vr. Lieber. Dieser hatte einen so glücklichen Tag, wie wohl noch nie. Es war ihm nämlich gelungen, in den alten Acten des Reichstages aus der Entstehungsgeschichte des Artikels 71 der heutigen Verfassung des Deutschen Reiches in den Jahren 1867—71 den Nachweis zu erbringen, daß damals die Führer aller Parteien des Norddeutschen und des Deutschen Reichstags die Absicht gehabt hatten, gerade für die Marine verfassungs mäßige Bestimmungen vorzusehen, welche es ermöglichten, außer halb des engen Zwanges des jährlichen Etats Bewilligungen für die Marine auf eine längere Reihe von Jahren durch Sonder gesetze auszusprechen. Der Wortlaut des Artikels 71: „Die gemeinschaftlichen Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt, können jedoch in be sonder«» Fällen auch für eine längere Dauer bewilligt werden." hat jene Absicht ein wenig verschleiert, aber mit den Acten in der Hand kann man ihm keine andere Absicht entnehmen, als die, welche sich in der gegenwärtigen Vorlage verkörpert. Und der Abgeordnete Lieber hatte Recht mit der Behauptung, daß hieran keine spitzfindige Sophisterei etwas ändern könne, und es machte einen niederschmetternden Eindruck auf die Opposition, daß Lieber hieran die Bemerkung knüpfen konnte, die Absicht der Gesetzgeber von 1867—71 in Bezug auf die Beschränkung des jährlichen Bewilligungsrechtes des Reichstages sei viel, viel weiter gegangen, als die heutige bescheidene und die formellen Rechte des Reichstages in alle Wege berücksichtigende Vorlage. So wirkte es denn auch nur erheiternd, als die verschiedenen Führer der Opposition danach die Erklärung abgaben, daß sie die ver fassungsmäßige Berechtigung der jetzigen Vorlage nie bestritten, sondern nur ihre Zweckmäßigkeit bezweifelt hätten. Wie viel Papier der „Freisinnigen Zeitung", der „Kölnischen Volks zeitung" und mancher süddeutschen Zeitung hätte bei dieser Er- kenntniß unbedruckt bleiben können! Mit dieser staatsrechtlichen Ausgrabung war der Feldzug für die organisatorische Seite des Gesetzes gewonnen, die kleineren Rückzugsgefechte beschränkten sich denn auch auf die Zweck- mäßigkeitsfrage, und hier baute der Abgeordnete Lieber, jedenfalls im vorausgegangenen Einverständniß mit dem Reichskanzler und dem Staatssecretair, seinen widerstrebenden Freunden eine goldene Brücke durch die Einbringung einer Reihe von Abänderungsanträgen, die es Denen leichter machen werden, die Forderung zu bewilligen, die gerade die gesetzliche und organi satorische Seite der Forderung seit Jahr und Tag bekämpft hatten. Auch bei dem dritten Theile der Berichterstattung nahm der Abgeordnete Lieber von vornherein eine wohlwollende Haltung ein, indem er bei der Erörterung der finanziellen Deckungsmöglichkeit der Vorlage diese überhaupt gar nicht bestritt, sondern nur die Frage aufwarf, welch« Vorschläge die Regierung zu machen gedenke, falls es nicht möglich sein werde, die Deckung aus den gegenwärtigen Quellen oorzunehmen, insbesondere, ob dann eine Reichseinkommensteuec geplant sei. Damit ging die Führung in der Erörterung dieser Frage natur gemäß in die Hände des Staatssecretairs des Reichsschatzamtes, Freiherrn v. Thielmann, über, der auf Grund der Finanz statistik den zwingenden Nachweis führen konnte, für die drei ersten Jahre der 7 jährigen Periode stehe die Deckung auch formell außer allem Zweifel; auch für die vier letzten Jahre dieser Periode und für die Zeit über 1904 hinaus könne man mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß die steigenden Reichseinnahmen für die Flottenmehrbedllrfniste und alle heut« übersehbaren außerordentlichen Bedürfnisse ausreichcn weiden. Naturgemäß wurde diese Auffassung von den Abgeordneten Müller- Fulda, Eugen Richter und August Bebel bekämpft, aber ohne daß diese Finanzkünstler mit ihren Zweifeln Eindruck auf die Budgetcommission machen konnten. Wenn man nun fragt, wie das Centrum oder wenigstens der maßgebende Theil desselben zu dieser überraschend wohl wollenden Haltung gegenüber der Gesetzesvorlage komme, so muß man vor Allem berücksichtigen, daß in derselben Sitzung der Budgetcommission der Vertreter der P o l e n f r a c t i o n die Erklärung abgab, diese werd« unter allen Umständen einstimmig gegen die Vorlage stimmen. Damit verleugnen die Polen ihre frühere flottenfreundliche Haltung und verzichten gegen über der Regierung auf den Versuch einer vo-ut-ckss-Politik. Erklärlicher Weise wurde dies von dem Führer des linken Flügels des Centrums, dem Abgeordneten Müller-Fulda, bemängelt, indem er meinte, man könne doch unmöglich vor einer Com- missionsberathung schon ein Urtheil über das Ergebniß derselben haben. Das Centrum verfahre umgekehrt, eS warte das Er- gebniß der Commissionsberathung ab und nehme dann Stellung. Jedenfalls vollzog sich hiermit schon in formeller Hinsicht eine Spaltung zwischen dem Centrum und der ihm sonst Gefolgschaft leistenden Polenfraction. Sollte nun ->as Centrum sich nachträglich auf den Stand punkt der Polen stellen? Sollte es sich der öffentlichen Meinung entgegenwerfen, die sich im Laufe de^ letzten Jahres immer mehr zu Gunsten der Flottenvermehrung ausgesprochen hat? Sollte es in dem bevorstehenden Wahlkampf als eine Oppositions partei gegen eine sympathische Rcgierungspolitik auftreten? Wir wollen dem Centrum seine nationalen Beweggründe bei seiner Stellungnahme nicht bestreiten. Jedenfalls ist so viel sicher, daß das Centrum schon um seiner selb st willen gut thut, sich in dieser wichtigen Frage auf die Seite der Re gierung zu stellen, wäre es auch nur, um den Führern des Centrums das weitere Behagen zu ermöglichen, an der Spitze einer regierungsfähigen, nationalen, ausschlaggebenden Partei zu stehen, die, indem sie Nothwendiges bewilligt, in der Lage ist. Nebensächliches zu bekämpfen, vor Allem aber das zu erreichen, was für das Centrum viel wichtiger ist, als eine etwaige Ab lehnung der Flottenfrage: Einfluß auf dem Gebiete der Kirche und Schule. Die Haltung der anderen bürgerlichen Parteien im Reiche gegenüber dem Centrum wird in Zukunft im Wesentlichen davon abhängen, ob das Centrum, wie es die Elsässer Protestler bereits abgeschüttelt hat, auch dauernd das Tafeltuch zwischen sich, den Polen, den Welfen und andern Protestlern zerschneidet. Dann wird man ohne Zweifel in allen Fragen, die nicht die Kirche und die Schule betreffen und die damit der Zuständigkeit des Reiches zumeist entrückt sind, viel leichter in Reichsangelegenheiten mit ihm Zusammenarbeiten können als bisher. Uns wäre ja eine andere Zusammenstellung der Mehrheits parteien lieber, aber wenn dies nun einmal nicht zu erreichen ist, dann wird man unter obigen Voraussetzungen im nächsten Wahlkampfe die Front ausschließlich gegen den Freisinn und die Socialdemokratie kehren können. Das Schicksal des Jesuitengesetzes liegt ja jetzt beim Bundesrathe, der wahrscheinlich schon vor den Neuwahlen seine Entscheidung trifft; fällt sie, wie jetzt vielfach befürchtet wird, zu Gunsten der Aufhebung des Gesetzes aus, so wird bei den Wahlen zu den L a n d t a g e n der Einzel st aalen mit um so größerer Energie verhütet werden müssen, daß in diesen der Ultramontanismus für die dem Reiche geleisteten Dienste sich bezahlt machen könne. Deutsches Reich. /?. Leipzig, 2. März. Herr Liebermann v. Sonnen berg, seine Rechte zum Wahlschacher dem Centrum entgegenstreckend — das ist ein zwar nickt überrasckendeS, aber doch bemerkenSwertheS Bild auf der Bühne der Tages geschickte. Der Ort der Handlung ist Mannheim; von dort erhält der „Schwäbische Merkur" unter dem 28. Februar dieses Jahres die nachstehende Correspondenz: „In einer hier gehaltenen antisemitischen Versammlung hatte der ReichSiagSabgeordnett Liebermann v. Sonnenberg der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß das Centrum im Reichstagswahlkreise Mannheim-Weinheim-Schwetztngen für den onttiemittschen Candidaten, Consul Köster von Mannheim, eintrctrn würde. Als Gegenleistung versprach Liebermann von Sonnenberg dem Centrum die Unterstützung im Wahlkreise Mainz-Oppenheim. Das Centrum unseres Wahlkreise- hat sich beeilt, dem Antisemiten führer die Antwort auf seinen Wahlhandelsvorschlag zu erthrilen. Gestern fand nämlich in Schwetzingen eine Versammlung der Ver- trauenSmänner des Centrum- unseres Wahlkreise- statt, in der ein stimmig beschlossen wurde, eine eigene Candidatur aufzustellen." So pactirt der Führer der deutsch-socialen Reformpartei, der angebliche Vorkämpfer alles Deutsch-Nationalen, mit der Partei deS „Mußpreußen" vr. Lieber, um einen WahlprofiZ berauSzuschlagen. Haißt ä Geschäft! FsrrsHstsn. Der Katzenjammer. Eine medicinische Plauderei von vr. weck. A. E. Brendel. Nachdruck verboten. „Guten Morgen, Herr Doctor!" „Morgen, Herr Müller! Ja, wie schauen Sie denn aus? Sollten Sie etwa ohne meine ärztliche Beihilfe krank gewesen sein?" „Keine Spur. Ich habe nur einen mordsmäßigen Kater, gut, das ich Sie treffe. Sie können mir gleich ein gutes Kater mittel verschreiben!" „Das ist leichter gesagt, als gethan. Denn selbst wenn ich Ihnen eines der häufig wirkendem Mittel, etwa Z Gramm Anti- pyrin oder Phenacetin, oder auch, was Sie ohne Recept kriegen, Salipyvin verordne, so könnte ich doch keine Wirkung garan- tiren. Der Katzenjammer ist ein« Krankheit, deren rationelle Bekämpfung und Verhütung man schon früher beginnen muß." „Gut, wenn Sie mir nicht helfen wollen, so schaffe ich meinm Kater aus der Welt, wie man wirkliche junge Kater aus der Welt schafft: durch Ersäufen! Ich trinke ihn fort." „Wie Sie wollen! Doch lasse ich diese Behandlung nur unter Protest zu; denn das heißt doch wirklich den Teufel durch Beelz- bub, den obersten der Teufel, austreiben." „Seien Sie nur nicht gleich böse, vielleicht geht der Kater auch von selbst in der krischen Luft weg; aber bester Herr Doctor, sagen Sie mir wenigstens: was mache ich, daß ich morgen nicht wieder mit so einem grauen Elend aufwachel" „Aber Mensch, müssen Sie denn jeden Tag " „Bitte, Herr Doctor, wenn ich am Aschermittwoch nicht einmal einen Katzenjammer haben soll, wo er gewissermaßen concessionirt ist, dann weiß ich wirklich nicht, wann ich einen haben soll." „Ja freilich, Aschermittwoch, das ist ein Milderungsgrund!" „Nun sehen Sie! Und Sie sagten vorhin so etwas von rechtzeitiger Bekämpfung dieser Krankheit — Krankheit ist übrigens gut gesagt, sehr wohlwollend." „Was wollen Sie? Selbstverständlich ist der Katzenjammer eine ganz reguläre Krankheit. Er ist die Folge einer richtigen Alkoholvergiftung, seltener schon einer Nikotinvergiftung, manch mal auch von beiden!" „Bei mir dürfte es wohl von Beiden kommen; wir haben gestern eine Menge schwerer Weine getrunken und dazu einen ziemlichen Posten schwerer Importen geraucht." „Gut. Dann haben Sie heute also auf gut Deutsch eine Mischaffeckion der beiden Secundärstadien von akuter Alkohol- und Nikotinintoxikation." „Himmel, was für gutes Deutsch! Das könnte ich Ihnen in meinem heutigen Zustand nicht nachsprechen; aber eS klang sehr gebildet. Ich werd« mir'- später auswendig lernen, um dann mit meinem Kater einen mitleiderweckenden Eindruck zu machen. Aber vorläufig hilft mir da- nicht weiter. Was soll ich also beute Abend thun, um morgen keinen Kater zu haben? Nur dürfen Sie mir da» Trinken nicht etwa verbieten." „Schön! Wir wollen also einmal das Trinken als noth wendiges und nach Ihrer Meinung schönes Laster anerkennen. Und ich soll Ihnen jetzt ein kleines Privatcolleg über das Wesen und die Bedeutung von Rausch und Katzenjammer halten? Also fasten wir einmal den Stier bei den Hörnern: weshalb trinken Sie eigentlich überhaupt größere Quantitäten Bier und Wein?" „Weils gut schmeckt." „Das ist es wohl doch nicht allein. Ich kenne z. B. Ihre Vorliebe für Krebssuppe, es würde Ihnen dach nie einfallen, wie gut sie Ihnen auch schmeckt, etwa in einem Restaurant sechs oder acht Teller Krebssuppe zu essen, so wie Sie sechs oder acht Pilsener trinken." „Dann also, weil ich Durst habe." „Das glauben Sie doch selbst nicht." „Nun dann also, weil unsereins, der 'den ganzen Tag arbeitet und sich aümüht, am Abend den Wunsch hat, vergnügt zu sein und sich durch ein paar Glas Bier alle die dummen Sorgen und Grillen aus dem Kopf treiben lassen." „Sehr richtig, das ist der Grund. Aber haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, warum Sie durch alkoholische Ge tränke vergnügt werden, und warum Bacchus der privilegirte Sorgenbrecher ist?" „Nein, darüber habe ich nie nachgedacht; es hätte mir auch wenig geholfen." „Die Sache ist schwierig zu erklären. Sie wissen doch, daß Alles, was wir thun, jede Bewegung, die wir auSführen, jeder Schmelz, dm wir empfinden, jeder Sinneseindruck, den wir wahrnehmen, durch bestimmte Nerven veranlaßt, resp. unserem Gehirn übermittelt werden?" „Ja, ich weiß, daß man eine Masse Nerven hat, meine Frau mindestens doppelt so viel wie ich, von meiner Schwiegermutter gar nicht zu reden!" „Lassen Si« die Schwiegermutter, sonst wird der Kater gleich schlimmer. Also passen Sie auf! Die meisten Medi kamente und Gifte, zu denen, wie schmerzlich Sie das auch be rühren mag, in gewissem Sinne auch der Alkohol gehört, haben »ine ganz bestimmte Wirkung auf besondere Nervengruppen. Der Alkohol nun hat die Wirkung, gewisse nervöse Functionen zu lähmen." „Oho, Doctorchen, daS können Sie mir nicht einreken. Der Alkohol macht doch gerade lustig und mobil, das muß doch schon «in vollendeter Söffel sein, der gelähmt wird." „Und doch ist es so, wie ich sage. Auch das, was Sie für Erregungserscheinunyen halten, sind bereits Lähmungserschei nungen. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Unser Herz, da» allen möglichen Anstrengungen und Anforderungen gewachsen sein muß, hat natürlich einen sehr verzwickten nervösen Apparat. So hat es Nervenfasern, die seine Thätigkeit beschleunigen, und solche, die es hemmen. Der Alkohol wirkt nun nicht erregend auf die beschleunigenden Fasern, sondern lähmend auf die Hem- mungSnerven; dadurch gewinnen die anderen die Oberhand und unser Herz schlägt schneller. Wenn einige medicinische Gelehrte, zum Theil sogar sehr bedeutende Männer, sich au» einem fana tischen Haß gegen den Alkohol in die Idee verbohren, der Al kohol wirke überhaupt nicht auf die Herzthätigkeit, sondern diese werde nur durch die Lebhaftigkeit der Bewegungen erhöht, so kann man darüber zur Tagesordnung übergehen. Die Wirkung des Alkohols als Herzmittel ist zu eclatant, als daß wir sie selbst vom temperenzlerischen Standpunkt aus als Heilfactor in der ärztlichen Behandlung wissen möchten." „Diese Lösung will ich Ihnen zugestehen, Herr Doctor. Aber eben erwähnten Sie selbst die größere Beweglichkeit und Leb haftigkeit; da kann doch von Lähmung nicht die Rede sein." „Doch, doch! Die Sache liegt so. Je uncivilisirter ein Mensch ist, desto mehr gesticulirt er beim Sprechen, desto mehr schreit er, desto mehr folgt er überlegungslos jedem Impulse. Wir civilisirten Menschen halten uns im Sprechen und Bewe gungen möglichst zurück, wir sogen nicht unbedingt, was uns auf der Zunge liegt, und thun noch weniger das, was uns vielleicht der Augenblick eingiebt. Das Alles ganz unwillkürlich, weil, uns unbewußt, die anerworbenen Hemmungscentren functioniren. Trinken wir aber Wein oder Bier, so werden die Hemmungscentren gelähmt, wir gesticuliren lebhaft, reden un- nöthig laut, plaudern Sachen aus, die wir sonst verschweigen würden. Das ist die einfache Erklärung, weswegen im Weine Wahrheit liegt. Und wenn „Kinder und Narren" die Wahrheit sagen, so thun sie cs auch, weil ihre Hemmungscentren nicht ge nügend ausgebildet sind. Gelähmt wird ferner unser kritisches Denken. Wir lachen in trunkenem Zustande über Scherze und machen sie mit, die wir am nächsten Tage für den Gipfel der Geistlosigkeit halten. Es ist manchmal zu närrisch." „Ja, aber lieber Herr Doctor, das ist ja gerade der Grund, weswegen wir trinken und weswegen gerade wir ernsthaften Deutschen so gern und viel trinken; wir wollen eben einmal ein paar Stunden lustig und kritiklos sein. Wenn man aber dieses harmlose Vergnügen mit einem Kater büßen soll, so ist das doch wohl hart." „Das ist auch gar nicht der Fall. So lange nämlich der Alkohol nur die Wirkung ausübt, daß er unsere Hemmungs vorrichtungen lähmt, so lang« wir also nur fröhlich und an scheinend lebhaft erregt sind, so lange bleiben wir auch von dem üblen Katzenjammer verschont, vorausgesetzt, daß nicht Compli- cationen mit Nicotinvergiftung vorliegen. Erst wenn der Al kohol weitere Lähmungserscheinungen hervorruft, wenn er die Bewegungsnerven und andere lähmt, wenn uns die Füße schwer werden, und die Zunge nicht mehr recht mit längeren Worten fertig wird, oder wenn gar Sehstörungen rintreten, dann ist uns der Kater ziemlich sicher." „Diese Wirkung deS Alkohols bezweckt doch auch kein Mensch, und so ist es doch das Einfachste, mit dem Trinken aufzuhören, sobald die leisesten derartigen Lähmungserscheinungen eintreten." „Das wäre sehr einfach, aber die Sache hat einen Haken. Jener Trinker, der alle zehn Minuten probirt, ob er noch Nebu- kadnezar sagen kann, und aufhört zu trinken, sobald ihm daS Wort Schwierigkeiten macht, hat ganz Recht. Aber die Wenigsten handeln so vernünftig. Die meisten wissen nicht, wenn sie in daS vorgerückte Stadium kommen; und daS hängt wieder mit der vorhin erwähnten Lähmung der Selbstkritik zusammen. Es ist Ihnen gewiß schon aufgefallen, wie hartnäckig Trunkene ihren Zustand abstreiten. Auch geschieht der Uebergang oft ganz plötzlich, und e» ist schwer, di« Grenze rechtzeitig zu erkennen. Ein sichere» Zeichen, daß man aufhören soll, ist «I, wenn man blaß wird. Es ist ein Symptom dafür, daß nicht nur die herzhemmenden, sondern auch die beschleunigenden Fasern ge lähmt sind." „Wie hängt das aber mit dem Katzenjammer zusammen?" „Der Katzenjammer ist weiter nichts als die Fortsetzung der schweren Verziftungserscheinungen; wie ich schon sagte, das Se- cundairstadium, oder wenn Sie wollen, das Reconvalescenz- stadium der Alkoholvergiftung." „Und kann sich wirklich gar nicht rechtzeitig vor diesem un angenehmen Nachspiel schützen?" „Einigermaßen doch. Zum Beispiel durch die Wahl der Getränke. Je geringer der Alkoholgehalt ist, desto geringer ist die Gefahr einer schweren Vergiftung. Dir leichten Landwsine und die leichten Biere machen schnell fröhlich, aber es dauert sehr lange, ehe sie schlimmer wirken. Höchstens liegt bei ihnen die Gefahr vor, daß durch die große Quantität der eingefllhrten Flüssigkeit der Magen geschädigt wird. Schlimmer sind schon die schweren Weine und Biere, und am schlimmsten wegen der schnellen Resorption die moussirenden Getränke, sowie die starken Alkoholika, Schnaps, Grog, Punsch u. s. w. Namentlich diese warmen Getränke haben es in sich; ehe man sichs versieht, ist das schwerere Stadium da und damit der unausbleibliche Kater. Und so ein Punschkater hat kein schlechtes Kaliber." „Das weiß der Himmel." „Wir können ferner die schweren Erscheinungen verhindern oder doch hinausschieben dadurch, daß wir vor dem Trinken reichlich essen, und auch zwischendurch etwas feste Nahrung zu uns nehmen. Ferner ist es nothwendig, daß das Zimmer, in dem wir trinken, gut ventilirt wird. Denn schon durch langes Einathmen von Wein- und Tabaksdunst können wir sämmtliche Vcrgiftungserschrinungen inclusive Katzenjammer bekommen. Dieser Dunst ist es auch, der das Trinken in großen Wein kellereien so gefährlich macht. Daß das Zimmer, in dem man nachher schläft, gut ventilirt sein muß, versteht sich von selbst." „Und wenn man trotz alledem einen Kater bekommt?" „Dann ist's schlimm. Den muh man „mit Geduld geduldig erdulden". Kann man sehr lange schlafen, so ist's gut. Denn die Vergiftungserscheinungen dauern selbst in den schwersten Fällen eine beschränkte Anzahl von Stunden, wobei die Schlaf stunden doppelt zu zählen scheinen. Im klebrigen aber hilft frische Luft und frisches Wasser, äußerlich und innerlich . . ." „Innerlich? Aber Herr Doctor!" „Oho, das schmeckt bei einem tüchtigen Brand, der ja meist mit dem Katzenjammer verbunden ist, ganz famos. Viel besser, als etwa einen Hering essen, ist es, sich gut auSzuhungern. Wenn man dann starken Hunger bekommt, und erst dann zu essen an fängt, verschwindet der Kater ganz plötzlich. Daß alle Medica- mente, wie Phenacetin, Salipyrin, Antipyrin, nur in leichten Fällen, und auch da nicht ausnahmslos helfen, habe ich Ihnen schon gesägt. Das Best« ist und bleibt schon: ausschlafen!" „Damit wird's morgen bei mir schlimm aussehen. Ich will's lieber heut Abend mit dem Aufsagen schwerer Worte versuchen. Muß es gerade Nebukadnezar sein?" „Nein, ich empfehle Ihnen noch mehr: „Dritte reitende Ar tilleriebrigade." „O weh, da» kann ich schon jetzt kaum. Adieu, H«rr Doctor!"
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