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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.03.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980303022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898030302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898030302
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- LDP: Zeitungen
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
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Gröbere Schriften laut unserem Pret«- uerjeichnib. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höhere« Tarif. Ertra »Beilage» (gefalzt), aue mü de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderunz' 60 —, mit Postbesörderuag ^tl 70.—. ' SGE0 , Iinnahmeschluß fir Anzeige»: Lbend-Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. org«»-Ausgabe: Nachmittag« «Uhr. Gei de» Filiale» und Annahmestellen je ei» halb« Stunde früher. Lureige» such stet« an die SxtzeZitio» zu richten. Sneck »ad Verlag vo» E. Polz i» Leipzig 82. Jahrgang. 112. Donnerstag den 3. März 1898. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. März. DieBudgetcommission des Reichs tagcö hat gestern mit den ßß 1 und 8 zwei der grundlegenden Bestimmungen der Mariucvorlage mit der großen Mehrheit von 2l gegen 7 Stimmen angenommen. Jedoch weder diese Abstimmung noch eine ohne Widerspruch deS Herrn Tirpitz be schlossene Aenderung deS H 1, noch rin dilatorischer, sowie ein in seiner Tendenz nicht klar erkennbarer Antrag des Herrn Müller »Fulda vom (Zentrum drückten der Sitzung den Stempel auf. Das Hauptinteresse gebührt einem Anträge Lieber, der, der „Köln. Volksztg." gehorsam, die „Belastung der stärkeren Schultern" in das Flottengesetz bringt. Wir haben den Antrag im Morgen blatte mugetheilt. Es ist ein guter Spaß. Bon einem gewissen Betrag ab sollen für die Kosten des Flotten gesetzes Matricularbeiträge herangezogen werden, aber nur in den Staaten, die keine allgemeine Einkommensteuer erheben. Die anderen Bundesstaaten müssen, so giebt sich Herr Lieber zu wollen den Anschein, ihren Thcil durch Zu schläge auf Einkommen von lOOOO^tl und mehr aufbringen. Materiell ist die Sache — immateriell. Tas Flvttengesctz wird nach den von uns vorgestern im Wortlaute wiedergegebenen Dar legungen des Reichsschatzsecretairs v. Tbielmann die Erschließung neuer Einnabmequellen nicht erforderlich machen. Soweit könnte man den Spaß gut heißen. Aber der „tolle Einfall" ist nun einmal behufs gesetzlicher Festlegung eingebracht, und deshalb darf man sich nicht ausschließlich zu ibm so ver halten, wie zu einem unwahrscheinlichen Schwanke, der auf den Brettern vorüberzieht. Der Antrag setzt die Reichs gesetzgebung in einer inneren Angelegenheit der Einzelstaaten an die Stelle der Landesgesetzgebung und dies nickt einmal konsequent für alle Staaten, sondern nur für einen Theil, d. h. für diejenigen, die wie Sachsen und Preußen, eine allgemeine Einkommensteuer erheben. Aber die Erörterung der Competenz, der staatSrecktlichen Seite, wollen wir den Ministern über lasten, können das auch mit Gemüthsruhe. UnS liegt vor Allem daran, auf dieU ng e rech t i gke it des Antrags hinzuweisen. Er will die stärkeren Schultern belasten und tbut das Gegcnthril. Zn Staaten, die wie Bayern keine allgemeine Einkommensteuer haben, müßten nach dieser lex Lieber alle zur Zahlung von direclen Steuern Verpflichteten an der — allerdings fingirten — Neubelastung durch das Flottengesetz miltragen, die kleinsten ebenso wie die großen; für diese Bundes staaten würden eben einfach die Matricularbeiträge er höht. Dagegen träfe in den anderen Bundesländern nur Leute mit lO 000 und mehr Einkommen, also die Wohl habenden und Reichen, die Last. Daß auch unter diesen Staaten — wegen der unglcicken Beranlagungsgrundsätze oder -Modalitäten — eine Ungleichheit und somit Ungerechtigkeit statuirt würde, sei nur nebenbei er wähnt. Recht nett ist auch, daß Centrumsleute, dir sich so lange gegen das „Septennat" für den Flottenbau gesträubt, auf einmal eine — allerdings, wie immer wiederholt werden muß — nur „ideale" Bewilligung directer Steuern auf sieben Jahre hinaus vornehm nachlässig, wie man eine Cigarette ofserirt, dar bieten. Und noch dazu Centrumsleute, „eifersüchtige Hüter der Rechte der Einzelstaaten". Da geht die freisinnige Bolks- partei doch rationeller zu Werke. Sie beantragt, wie auch die Socialdemokraten, eine allgemeine ReichSsteuer und hält sich recommandirt durch eine Reichs- vermögenSsteuer von >/, pro Mille für Vermögen von 100 000 an aufwärts. Diesem Vorschläge stehen wenigstens rechtliche Bedenken nickt im Wege. Was aber den des Cenlrums anlangt, so halten wir ihn, wie gesagt, für eine den Wählern zum Besten gegebene Komödie, oder für ein neues Versckleppungsmanöver, das der Regierung Zeit lasten soll, auf die Anfrage der vaticanischen „Voce della Varitst" zu antworten, ob daS Centrum für sein Entgegen kommen in der Flottenfrage Dank ernten werde. Sollte der Antrag aber wider Erwarten mebr, nämlich ein Borwand sein, zum Floltengesetze schließlich doch Nein zu sagen, so würde diese Art der Vereitelung durch ein unmögliches Steuergesetz die Chancen einer Ncichslagsauflösung noch ganz beträchtlich steigern. Die äußerliche Behandlung, der von Preusscn und Bayern die Frage deS obersten MilitairgerichtshofcS zu geführt worden ist, ist schwer zu verstehen. Der BunveSrath bat in der Frage noch nicht gesprochen, Preußen und Bayern verhandeln noch unter einander, und dennoch wird die Angelegenheit vor den Reichstag geschleppt und diesem eine Meinungsäußerung zugewiesen, von der keiner der beiten dissentirenden Bundesstaaten noch auch der Bundesrath erklärt hat, daß sie werde angenommen werden. Man kann nicht sagen: „Das Gesetz muß fertig werden, also auch die Bestimmung über die oberste Instanz für Bayern". Das kann deshalb nickt geltend ge macht werden, weil ß 33 des Einführungsgesetzes nichts Definitives über die oberste Instanz fürBayern besllmmt,sondcrn sie späterer Regelung Vorbehalt. Der Reichstag soll also er klären, daß die Sache in der Schwebe zu bleiben habe. Dennoch haben wir uns für berechtigt gehalten, von einer dem Reichstage angesonnenen Meinungskundgebung zu sprechen. Man könnte sogar: Vorentscheidungen sagen. Denn wie die Dinge vor gestern in der Commission gelagert worden sind, bedeutet die Annahme des §33 die Billigung deS preußischen und jeder andere Beschluß die Billigung des bayerischen Standpunkts. Nun ist der bayerische Standpunkt der, daß ein Reservatrecht vor liege, eine Behauptung, die der preußische Kriegsminister mil tbatsäcklicken Anführungen widerlegt hat, denen der bayerische BundcSbevollmäcktigte nichts Greifbares enlgegenzusetzeu batte. Daß der Reichstag nicht die Rechtsfrage entscheiden möge, hat aber sogar der bayerische Cenlrumsabgeordnele Frhr. v. Hertling gewünscht. Vielleicht weil er sich sagte, die Auffassung, daß ein Reservat vorliege, habe im Reichstag gar keinen Boden. Das ist unzweifelhaft auch richtig. Dagegen scheint der Reichstag geneigt, sich auf den principiellen Stand- punct Preußens zu stellen, das Bayern ja auch eine Sonderstellung (nämlich einen bayerischen Senat mit einem bayerischen General an der Spitze am Reichsmilitair- gericklShofe) einzurällmen geneigt ist. Bayern ersieht aus diesem Verhalten des größten Bundesstaates, daß eS Entgegenkommen auch ohne Anerkennung eines Reservat rechts finden kann. Nur muß es sagen, was es will. DaS hat Bayern bisher, wenigstens dem Reichstage gegenüber, nicht gethen. Der Antrag eines würltemberaiscken Centrums abgeordneten, der bekanntlich ein oberstes Gericht für Bayern, aber bei Differenzen zwischen diesem Gericht und dem Reichs- militairgerichtshofe gemeinsame Sitzungen in Berlin will, ist nickt verbindlich für die bayerische Regierung und es scheint der Würde der leitenden Kreise des zweitgrößten Bundesstaates besser zu entsprechen, wenn seine Regierung, nachdem sie einmal an den Reichstag appellirt hat, diesem sagt, welche Einrichtung sie wünscht, oder daß sie, falls sie am Reservat sesthalten will, erklärt, die Angelegenheit gehe den Reichstag nichts an, sie berühre eine RecktSstreitigkeit zwischen verschiedenen Bundes staaten, die nach Art. 76 der Reichsverfassung nur vor Len Bundes- ratb gehöre. Zum Beschreiten des letzteren Weges scheint Bayern, vielleicht im Gefühle der schwankenden Beschaffenheit seines Nechtsbodens, nicht geneigt zu sein. Schlägt eö aber in zweiter CommissionSlesung den ersteren Weg ein, so dürste der Neickstag geneigt sein, aus bundespolitischen Gründen dem Bundesrathe nabezulegen, anstatt einer Majorisirung Bayerns eine solcke Preußens zu bewerkstelligen. Das Bessere wäre natürlich cineVerständigung zwischen den beiden größten Staaten. Kommt diese aber nicht zu Stande und entscheiden Reichstag und Bundesrath zu Ungunsten Preußens, so wird daS nickt ohne die Anerkennung geschehen, daß die Vormacht formell und materiell ihrer Pflicht gemäß gebandelt bat, indem sie erstens das Recht des Reichstages gesetzlich gellend machte, und zweitens maßvoll aber ausdauernd für Einheitlickkeil eintrat. Auf der anderen Seite wird man auch nickt den Stimmen bei- pflickten können, die meinen, durch ein Entgegenkommen gegen Bayern würde ein thatsäcklickcs bayerisches Velo in jeder Frage, wo bayerische Mißstimmung in Betracht käme, statuirt. Die Reform der Militairstrasproceßordnung ist eine schlecht gewählte Gelegenheit, gegen Bayern allgemeines Miß trauen zu erregen. Denn Bayern ist der einzige deutsche Staat, der bei der Umwandlung nicht nur gewinnt, sondern auch manches nicht Werthlose einbüßt. Zn England ist man wieder unwillig über das Teutsch- land von China ertbeilte Recht zum Bau gewisser Eisen bahnen in der Provinz Schantung. Zn einem sehr un freundlichen Artikel schreiben die „Times" u. A.: „Der Anspruch, den Baron v. Heyking jetzt betreiben soll, ist nichts Geringeres als ein Eisenbahn- und wahrscheinlich auch ein Bergwerks Monopol in der ganzen Provinz Schantung Ein chinesisches Syndicat soll sich mit Hilfe von amerikanischem Capital die kaiserliche Concession zur Erbauung einer Eisenbahn von Tientsin — wo die Linie an die schon vorhandene Bahn nach Peking Anschluß finden würde — nach Chinkiang am Pang-tse erwirkt haben. Diese Bahn müßte nun nothwendigerweste durch den östlichen Winkel der Provinz Schantung gehen, und ver- muthlich nur deshalb soll Baron v. Heyking Eintprnck erhoben und sür diese Provinz das Eijenbahiimonopol verlangt baden. Nach anderen Berichten wäre er indessen nicht abgeneigt, seinen Anspruch fallen zu lassen, wenn deutsche Ingenieure und deutsches Material bei dem Bau der Linie zur Verwendung kommen. Die Berechtigung des Einspruchs steht, wie wir kaum auseinanderzusetzcn brauchen, nicht recht im Einklang mit den Erklärungen, die der deutsche Botschafter Lord Salisbury gegenüber abgab; denn jedes Monopol verletzt daS Princip der Gleichberechtigung, das zu be folgen Deutschland wie Rußland versprochen haben." Weiter wird uns gemeldet: I. 6. London, L. März. Eine Abordnung der Kaufleute in Manchester und Glasgow beklagte sich bei Lord Salisbury darüber, Laß Deutschland durch den Riaotschau-Vertrag auch Las Allein recht zum Bergwerksbau in der Provinz Schantung erhalten habe. Salisbury erwiderte, die deutsche Regierung habe die Versicherung gegeben, daß alle handelspolitischen Zugeständ nisse, welche sie Lurch die Pachtung von Riaotjchau erlangt habe, auch allen übrigen in China handeltreibenden Nationen zugute kommen würden. Diese Erklärung schließe rin Monopol Deutsch lands für den Minenbau in Schantung aus, welche Auffassung die britische Regierung nöthigenfalls auch diplomatisch vertreten werde. Dem ist zu erwidern, daß es noch gar nicht feststeht, in welchen Grenzen die deulscke Regierung Kiaotschau als Frei hafen angesehen wissen will. Jedenfalls würden die Eng länder keinen Augenblick zögern, sich derartige Concessionen zu sichern, wenn sie dazu in der Lage wären. Wo sie es waren, haben sie es stets gethan, und eS ist auch selbst verständlich, daß der Staat, welcher von einem Territorium Besitz ergreift, sich gewisse Vorrechte vorwegnimmt. Zwischen Rußland und Korea ist, wie der „Frkst. Ztg." auS London gemeldet wird, nach Informationen der „Daily Mail", ein Vertrag abgeschlossen worden, nach welchem Ruß land einen Theil der Deer-Insel kauft, um dort sofort eine Kohlenstation anzulcgen, d. b-, um seine militairische Position in Ostasien zu stärken. Die Deer- (Hirsch-) Insel oder Tsiclyongto beherrscht vollständig den Canal, durch den man in den vortrefflichen Hafen von Fusan gelangt, daS einer der drei Vertragshäfen Koreas ist. Seit dem japanisch koreanischen Vertrage von 1876 ist Fusan thatsäcklich eine japanische Niederlassung, denn nicht nur wird fast der ganze Handel von Japanern besorgt, die auch schon eine Kohlenstation auf einem anderenTheile derInsel haben,sondern diese bilden auch unter den in Fusan lebenden 3000 Fremden die überwältigende Mebrheit. Der nach Söul, der Hauptstadt Koreas, führende Telegraph liegt ebenfalls in den Händen der Japaner, und man behauptet, daß sie auch einen Vertrag mit der koreanischen Regierung wegen des Baues einer Eisenbahn besitzen. Der Hafen von Fusan ist eisfrei und vor allen Winden geschützt, er ist 8 tcm lang und 3>/-stm breit, und selbst bei Ebbe beträgt die geringste Tiefe in der Einfahrt 30—35 Fuß. Es wäre daher leicht zu erklären, wenn die Nachricht von der Festsetzung der Russen an jenem Puncte Koreas einen sehr ungünstigen Ein druck in Japan machen und zu einem Gegenzug Veranlassung geben würde. Schon meldet man uns aus Petersburg, 2. März, die russische Regierung habe durch ihren Vertreter in Tokio die Mittheilung erhallen, daß eine japanische Truppenmacht von 4500 Mann zur Ergänzung und Ver stärkung der Besatzung in Wei-Hai-Wei abgrgangen sei. In unterrichteten Kreisen Japans werde erklärt, daß, nachdem Rußland eine Verpflichtung zur baldigen Räumung von Port Arthur zurückgewiesen habe, auch Japan die Räumung von Wei-Hai-Wei ablehne. Vielleicht „pachten" oder „kaufen" nun auch die Engländer wieder Port Hamilton, daS sie bekanntlich schon einmal besetzt, aber wieder geräumt haben, und zwar auf das Versprechen Rußlands hin, daß eS sich keinen Hafen Koreas aneiguen werde. Tie Beziehungen zwischen Spante» und den Bereinigten Staaten bleiben, auch wenn in Washington die Erklärung des Marinesecrctairs Long officiell bestätigt werden sollte, daß Spanien keine Verantwortung für die „Maine"-Kata- stropbe trifft, dennoch gespannte, und müssen eS bleiben, so lange der Kampf um Cuba nicht entschieden ist. In diesen: Sinne hat sich auch dieser Tage der spanische Ministerpräsident Sazasta in einer engeren Versammlung von politischen Freunden ausgesprochen. Er sagte, die Forderung der Aufständischen, Cuba zu einer selbstständigen Republik zu erklären, sei weder durchführbar, noch könne sie ernst gemeint sei. Gegenwärtig seien die Hälfte der Groß grundbesitzer auf der Insel spanische Staatsangehörige, die andere Hälfte zum Theil Bürger der Vereinigten Staaten. Infolge des dreijährigen Kriege« aber sei die Mehrheit der Bevölkerung verarmt, und nach der Zurückziehung der spanischen Truppen würden sofort die Nichtbesitzenden über die Großgrundbesitzer herfallen und deren Eigenthum an sich bringen. Dann müsse Spanien von Neuem militainsch zum Schutze seiner Angehörigen einschreiten und der Krieg werde abermals beginnen. Halte sich aber Spanien fern, so werde Nordmerika unter dem Vorgeben, Durch eigene Kraft. 16) Roman von Alexander Römer. Nachdruck verboten. Fünfzehntes Capitel. Baron Felix ging langsam den Weg zurück. Es eilte ihm noch nicht, ins Haus zu kommen. Er zündete sich eine Cigarre an und wandelte unter den Bäumen im Monblicht. Er war sehr wider Willen von der Mama hierher befohlen worden, um ihren CavaUer abzugeben und den Llalt-rs cke plaisir zu spielen. Ein ungeheuer langweiliges Geschäft. Heute Abend war wenigstens eine Abwechslung in das ewig Gleiche gekommen — diese junge Schönheit, herausgeholt aus den wunderlichsten Verhältnissen, sie war reizend. Die Prinzessin hatte nicht unrecht, wenn sie sie ein Märchen nannte. Märchen — das Wort und seine Bedeutung lagen fern wie die selig« Kinderzeit, als er hier unter den Bäumen mit der Dorf jugend umhertollte. So lange seine Großmutter lebte, war ihm das noch erlaubt, die Frau Mama war für «ng« Dressur. Aber s-ine Großmutter erzählte ihm Märchen. Er stand still und sah durch die zitternden Wipfel hinauf an den sternenhellen Sommerhimmel. Da fiel eine Sternschnuppe. Er schrak zusammen und schloß unwillkürlich seine Augen, als sie erlosch. Früher batte er gedacht: wenn ein Wunsch in dir auf steigt, so lange das Meteor vor dir leuchtet, so wird er dir erfüllt. Jetzt war er zu klug geworden. Das Leuchtphänomen dort ver folgte seine excentrische, elliptische Bahn um die Sonne wie die anderen größeren und kleinen seines CaliberS; wie dieser leuchtende Punct, so tauchten Welten aus und gingen nieder in der unge heuren Weltenkette, ihre Runden beginnend und vollendend in unermeßlichen Zeiträumen — und der Mensch wandelte seine kurzen Bahnen im ewigen Kreisläufe durch sie dahin. Er stand noch immer, zu dem heute Abend in wundervoller Pracht flimmernden Nachthimmel hinaufstarrend, in seine Ge danken versunken. Aus seinem nüchternen Leben, dem die raffi- nirten Culturgenllsse doch keine rechte Würze zu geben vermochten, hatte er sich in letzter Zeit in eine andere Welt geflüchtet. Emily, die unruhige Seele, die unersättlich nach Aufregung Jagende, hatte in einer übersinnlichen Svbäre ein neues Reiz mittel für die abgestumpften Sinne entdeckt. Sie hatte ihn zu spiritistischen Sitzungen herangezogen, die im Hause eine« Herrn von Kowalsky stattfanden. Da, in dem mystischen Halb dunkel, sollten geheimnißvolle, tief verborgene Kräfte der Seele geweckt werden, feine Fühlfäden, di« ein Band woben hinüber ins Reich der befreiten Geister. Liebe! — Lange schon hatte das Wort seinen erlösenden Klang, seinen Inhalt für ihn verloren. Die Liebe zur Hei- math, zur Familie, zum Weibe — es waren ausgebrannte Krater, verlassene Opferstätten, entthronte Götter. Ein schaler, abge standener Becher war dieser Feuertrank geworden. Jetzt stiegen aus dem dunklen Schooße der Unerforschlichen Schatten herauf, die eine schmerzliche Sehnsucht, eine dämmernde Ahnung weckten — Geisterstimmen tönten und riefen, und der erschlaffende Geist raffte sich auf, um nach den Phantomen zu Haschen. Auch er hatte ein Phantom gerufen. Ein Urahn, der markigste seines Geschlechts, von dem die Chronik Heldenthaten berichtete, dessen Andenken in den letzten Generationen bei den friedlichen Nachkommen gänzlich erloschen war, war unter dem mystischen Banne wieder vor seine Seele getreten. Gerade durch den Gegensatz, den die Gestalt des kräf tigen Haudegens zu seiner marklosen, schwächlichen, entnervten bildete, mochte diese Kette erzeugt worden sein. Er rief den abgeschiedenen Geist und legte ihm die Frage vor: Was soll ich thun, um mein Leben recht zu leben? Und es kam angeblich eine Antwort aus dem geheimnißvollen Ort, wo die körperliche Seele ihre Ruhepause genießt, wo alles Rein« und Hohe, was sie während ihrer irdischen Laufbahn er faßte, sie umgiebt, wo jede Sehnsucht ihre Erfüllung gefunden hat. Und diese Antwort? Ein alltägliches irdisches Wort statt der himmlischen Offenbarung. „Werde ein Landwirth", schrieb die Geisterhand auf die Tafel. Heiß u^d fiebernd war sein Sehnen gewesen, ein eiskalter Strahl brauste darüber hin. Er hätte laut Hohnlachen mögen, wenn nicht der Bann, den die gespannten, geisterhaften Physio gnomien um ihn her ausübten, und die mit übersinnlichem Hauche geschwängerte Atmosphäre ihm die Lippen geschlossen hätten. Seitdem trieb eS ihn umher mit allerlei zcrmartenden Zweifeln. Heute Abend hatte die Nähe dieses fremden Mädchens ihn seltsam beruhigt. Dieses unschuldige Kindergesicht, diese Augen, sie hatten noch einen Abglanz aus jener Welt, aus dem Ruheorte des vorigen Zustande-, dir waren auf dieser unreinen Erde noch nicht eingebürgert. Ein Wind erhob sich, die Nachtluft strich empfindlich kühl um seinen Kopf. Er trat ins Haus. Er durchschritt die strahlend erhellte Vorhalle und begab sich durch mehrere leere, nur bei festlichen Gelegenheiten benutzte Ge mächer in den Saal, wo die Bilder seiner Vorfahren hingen. Es war finster drinnen, hohl hallten seine Tritte auf dem Holzparkett des öden Raumes. Er zog die herabgelassenen Vor hänge empor, das Mondlicht fluthete herin. Er zuckte zusammen — der Strahl traf gerade das Bild jenes Ahnherrn in der Tracht eines Reitergenerals aus dem dreißigjährigen Kriege. Ein Koloß in Wams und Koller mit rauhen, harten Zügen, die doch einer gewissen Gutmüthigkeit nicht entbehrten. Und diesen Haudegen hatte sich der in der überfeinerten Cultur des 19. Jahrhunderts verweichlichte Urenkel als abgeklärten Geist gedacht, der ihm sein Thun und Handeln vorschreiben sollte! Wahnwitziger, abgeschmackter Gedanke. War es der bleiche, zitternde Schein des Nachtgestirns, welcher die Täuschungen her vorrief? Das Bild da schien spöttisch zu lächeln, so spöttisch, wie der Urenkel jetzt zu lächeln pflegte über das Gewimmel um ihn her. Felix hatte einen Stuhl genommen und setzte sich dem Urahn gegenüber, die Arme verschränkt, den Blick starr auf das Portrait gerichtet. Der hatte nicht gegrübelt, sondern Thaten gethan. Diese Eisenfaust hätte Wichte, wie er einer war, mit einem Griffe zermalmt, wenn sie ihm feindlich in den Weg getreten wären. Ob der Mann glücklich gewesen war in seinem Leben voll wilder Aufregungen? Die Chronik berichtete von ihm, daß er nach dem Krieg« ein Weib genommen und hier in Ehren und Frömmigkeit seinen Acker gebaut habe. Roh waren die Zeiten, das Land verarmt, die Aecker verwüstet — was war dem Manne Glück gewesen? Felix fuhr mit der Hand über seine Stirn. Träumte er? Was focht ihn an? Wie Neid hatte es ihn gepackt beim An blick dieses Kolosses, durch dessen festen Schädel wohl nie Zweifel und übersinnliche Gedanken gezogen waren. Und er, der aufgeklärt« Moderne, der alle Wunder leugnete, alle alten Offenbarungen verlachte, er überließ sich diesen Schwärmereien, glaubte an eine Verbindungsbrücke zwischen seiner Seele und der dieses Ahnherren, an Dinge, die thörichter waren als das Sprechen von Bileams Esel. Er lachte leise vor sich hin. Auch die Thorheit machte ihre Runde im ewigen Kreislauf. Er winkte dem Bilde einen spöttischen Gruß zu. „Wo lebst Du?" murmelte er, „etwa in homöopathischer Dosts verdünnt in mir? Oder nur in einer Abtheilung meines Hirns, wo die Erinnerung ihren Sitz hat, wo Du erst durch das An ziehen eines Fadens von ungefähr erwachtest? Ist daS Dein ganzes Leben, das Du noch leben kannst? Oder war dieses Auf wecken Deine That, rührte Dein Geist an den meinen und stellte die Verbindungsdrücke her? Fragen, Fragen — und keine Ant wort — nur Zweifel und Unglaube." Er stand auf und ließ die Vorhänge wieder herab. Seine hallenden Schritte durchmaßen den Saal. Merkwürdig — in der Finfterniß, die ihn jetzt umgab, tauchte vor ihm ein ledensfrisches Bild auf, Ottilien's jungfräuliche Ge stalt mit all dem Zauber ihrer unberührten Jugend. Was machte er sich zu schaffen mit den Tobten, wo die Lebenden noch so ver lockend winkten. Er eilte rasch vorwärts durch die leeren Ge mächer in den von Menschen belebten Flur. Oben hörte er Stimmen. Die Prinzessin verfügte sich in ihre Räume, man sagte sich gute Nacht. Er flüchtete in den nur matt erhellten Seitencorri- dor, um der Gefahr zu entgehen, noch von der Mama herange- zogen zu werden. Da huschte Jemand die Treppe herab. Den raschen, gleiten den Schritt kannte er, es war Emily. Sie hatte ihn erspäht und schlüpft« um di« Ecke zu ihm heran in das Halbdunkel. „Ich brenne darauf, Dich allein zu sprechen", raunte sie. „Ich erhielt Nachricht von Kowalsky — überraschende Erfolge mit dem neuen Medium — sie sind trostlos, daß wir nicht da sind." Dieses Jahr hatte in dem Verhältnitz der Beiden zu einander allerlei verändert. Die förmliche Schranke zwischen ihnen war gefallen, Emily hatte es mit ihrer großen Geschicklichkeit sogar zu Stande gebracht, daß die gnädige Tante selbst das trauliche Du zwischen Vetter und Cousine einführte. Jetzt hielt sie den Erben der Waldstätten an vielerlei Fäden. Es hatten sich bei ihr Kräfte, welche sie zu einem Medium tauglich machten, hrrauSgestellt, sie hatte bei den Kowalskys als solches fungirt. Felix konnte es nicht leugnen, ihre unmittelbare Nähe wirkte magnetisch auf ihn. Liebe war das natürlich nicht, wie er sich selbst hundertmal versicherte, «S war ein anderer Reiz. Aber er mußte in mancher Stunde seinen kühlen Kopf wahren, um sich nicht zu Thorheiten und bindenden Versprechungen hinreißen zu lassen. Sie war ein gefährliches Geschöpf. Nach Pari-, um ihre Stimme auszubilden, war sie nicht gegangen, es fehlte ihr ja am besten, am Gelbe, dazu. Im Uebrigen paßte ihr auch das Bleiben jetzt besser. Sie war im Bann dieser „großen Offenbarung", wie sie eS nannte. Sie hing sich an seinen Arm und flüsterte ihm ihre neuesten Nachrichten zu. Mit dem fremden Medium, einer Amerikanerin, hielt man täglich Sitzungen, und sehr vorgeschrittene Geister, die schon hienieden im höheren Grad gewandelt, gaben sich kund.
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