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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.03.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980304012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898030401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898030401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-04
- Monat1898-03
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Größere Echristen laut unseren Preis verzeichniß. Tcdellarischer und Zissernsay nach höherem Taris. Extra-Bei la gen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60-, mit Poslbrsörderang ^l 70.—. Annahmeschluß fLr' Anzeigen: Abend-Ausgab«: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stund« früher. Anzeigen siud stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. m. Freitag den 4. März 1898. 92. Jahrgang. Die Dationalliberalen und die Arbeiter. In einem am 28. Februar auf dem Felsenkeller zu Plag- tvitz gehaltenen Vortrage hat Herr Professor So hm sich über die Haltung der Presse gegenüber der national-socialen Be wegung beschwert. „Alle von ihr gezeichneten Bilder der selben seien Caricaturen". Als ein Beleg dafür ward auch ein Artikel im.Ieipz. Tageblatt"vom22. Februar angeführt. Nun hatte dieser Artikel keineswegs den Zweck, die national socialen Vereine angriffsweise zu bekämpfen, sondern nur den, die sogenannten Evangelischen Arbeitervereine gegen eine Verwechselung mit jenen (wie sie im Reichstag vorgekommen war) und gegen die infolge dessen den selben schuldgegebene Verwandtschaft mit der Socialdemo kratie zu verwahren. Zur Kennzeichnung deS Unterschiedes zwischen beiden Vereinen führte der Artikel lediglich That- sachen, offenkundige, unleugbare Thatsacken an, ohne durch eingestreute Betrachtungen die National-Socialen zu charak- tcrisiren oder gar zu „carikiren." Oder kann Herr Professor Sohm leugnen, daß die National-Socialen den Hamburger Hafenarbeilerstreik, gegen den die evangelischen Arbeitervereine sich entschieden erklärten, in Wort und Thal unterstützt haben? Kann Herr Professor Sohin leugnen, daß in dem national-socialen Organ „Die Hilfe" vielfach ein Ton des Classenhasses herrscht, so z. B. wenn gesagt ist: Die Einführung des Achtstunden tages wäre wohl möglich, aber „es fehle (bei den Unter nehmern) der gute Wille", während sogar einzelne social demokratische Schriftsteller, ja Herr Naumann selbst, an einer anderen Stelle der „Hilfe" zugegeben, daß eine sofortige Einführung des Achtstundentages in allen Gewerben nicht wobt thunlich und daher das Verlangen danach unpraktisch sei? Kann Herr Professor Sohm leugnen, daß Naumann die Evangelischen Arbeitervereine zum Eintritt in die notorisch unter socialdemokratischem Einflüsse stehenden Gewerkschaften bereden wollte? Kann Herr Professor Sohm leugnen, daß Naumann für die Bewilligung der Flottenvorlage „Compen- sationen" gefordert bat? Und war es nicht ein mehr als „balb-sociaiLemokratisckes" Bekenntniß, wenn Naumann am 2l. November 1896 in Erfurt sagte: „In nationalen Fragen werden wir nicht mit der Socialdemokratie gehen, aber in jeder praktischen Frage, wo Hilfe geleistet werden kann, werden wir Schulter an Schulter mit ibr geben"? Während aber Herr Professor Sohm schon die bloße Anführung offenkundiger Thatsachen in Bezug auf seine Partei mir verübelt, fällt er im weiteren Verlaufe seines Vortrags die härtesten Urtbeile über meine, die national liberale Partei, ohne diese Urtbeile mit Thatsachen belegen zu können, ja im direkten Widerspruch mit solchen Thatsachen. Er giebt zwar zu, daß die nationalliberale Partei „für Frei heitsrechte der großen Menge eingetreten sei", aber nur in den 60er und 70er Jahren. Seitdem sei ein „Rück stand" eingetreten. „Nur dem Besitzenden und dem Ge bildeten sollte die erkämpfte Freiheit zu Gute kommen." Es ist ein schwerer Vorwurf, den hier ein populärer Redner vor einer Versammlung von 1100 Personen einer ganzen politischen Partei ins Gesicht schleudert! Kaum könnte eS einen schwereren geben, als den, daß diese Partei nur für den Besitz die neuerrungenen FreibeitSrechte erstrebt, daß sie aber um die anderen Classen des Volkes sich nicht gekümmert habe. Welches waren denn diese Freiheitsrechte, die nur den Be sitzenden und Gebildeten zu Gute kamen? In den 60er Jahren waren auf dem Reichstage deS Nord deutschen Bundes unter thäligster Mitwirkung der National liberalen sehr wichtige FreibeitSrechte „erkämpft" worden, so das Gesetz über Freizügigkeit, das CoalitionSrecht, die Be freiung der Eheschließungen von gewissen polizeilichen und communalen Beschränkungen, daS Verbot der Beschlagnahme des Arbeitslohnes. Wem kamen diese Rechte zu gute? Nur den „Besitzenden und Gebildeten?" Oder nicht vielmehr vor Allem, wo nicht ausschließlich, eben jener „großen Menge", d. h. den Arbeitern? In den 70er Jahren (1871) votirte der erste deutsche Gesammtreichstag ein Gesetz, welches zwar kein abstracteS Freiheitsrecht, aber etwas viel Greifbareres für den Arbeiter enthielt, nämlich den gesetzlichen An spruch auf eine Entschädigung bei Unglücksfällen in Fabriken, Bergwerken u. s. w. Dieses Gesetz, daS sog. Haftpflichtgesetz, war angeregt durch eine Petition an den Reichstag, die auS einem Kreise Nationalliberaler hier in Leipzig hervorging. Eben diese Thatsache ist zugleich die beste Widerlegung deS folgenden Satzes in der Sobm'schen Rede: „Von da an, wo die Arbeitsbewegung sich regte, datirt der Stillstand". Die Arbeiterbewegung „regte sich" bekanntlich schon 1863 infolge der Agitation Lassalles, jene Petition um rin Hastpflichtgesetz aber datirt aus dem Jahre 1868. Den „Stillstand" in den arbeiterfreundlichen Bestrebungen der Nationalliberalen datirt Herr Professor Sobm von dem Ende der siebziger Jahre an Nun fallen aber gerade in die achtziger Jahre jene großen socialpolitischeu Gesetze, das Kranken- und UnfallversicherungS , daS Inva liden- und Altersversorgungsgesetz, welche den Arbeitern im Laufe von etwa einem Jahrzehnt weit über eine Milliarde Mark vom Reich und von den Unternehmern zugewendet haben. Für alle diese Gesetze haben die Nationalliberalen (unter denen sehr viele Unternehmer sind) rückhaltlos ge stimmt, gegen dieselben die Socialdcmokraten, dieselben, als deren „Bruder" sich Herr Naumann in seiner Leipziger Rebe bekannt hat. An der „Arbeiterschutzgesetzgebung" der Jahre 1890/91 haben die Nationalliberalen sich im weilen Um fange betheiligt. Wo also ist der „Stillstand" oder gar „Rück gang" der Nationalliberalen in Bezug auf vie Socialpolitik? Wenn eine Pause in diesen Reformen eingetreten ist, so ge schah dies, weil man erst theils die Wirkungen jener so tief eingreifenden Gesetze, theils die Nachfolge anderer Staaten darin abwarten wollte. Auch dies geschah zum Besten der Arbeiter, deren Wohl und Wehe davon abhängig ist, daß die deutsche Industrie nicht durch einen unter so ungleichen Verhältnissen auf sie drückenden Mitbewerb deS Auslanves geschädigt und dadurch außer Stand gesetzt wird, ihren Arbeitern reichlichen Verdienst zu gewähren. Nach Alledem ist es wohl kaum gerechtfertigt zu nennen, wenn den Nationalliberalen ein Mangel an Arbeiterfreundlich keit oder ein Rückgang in den socialen Bestrebungen schuld gegeben wird. Als Partei haben dieselben bei allen Gesetzen zu Gunsten der Arbeiter bereitwillig mitgewirkt, zu einzelnen davon den ersten Anstoß gegeben, bei anderen (wie beim Coalitions- gesetz), wichtige Verbesserungen beantragt und durchgesrtzt. Von den Großindustriellen, welche Mitglieder der Partei sind, haben nicht wenige — und gerade in Sachsen — theils durch Wohlthätigkeitseinrichtungen für ihre Arbeiter, theils durch ihr persönliches Verhalten zu diesen bewiesen, wie wenig sie jene harten Urtheile verdienen, womit die Naumann'schen Blätter wiederholt alle Unternehmen ohne Ausnahme brandmarkten. Schutzmaßregeln gegen den Ansturm der sich selbst als „revo- lutionair" bezeichnenden Socialdemokratie sind nicht gegen die Arbeiter gerichtet, und wenn sie zum Tbeil diese mit treffen, so ist das die Schuld Derjenigen, die sich zu blinden Werkzeugen der Socialdemokratie hergaben und dadurch solche Maßregeln nothwendig machten. Herr Professor Sohm sagt: „wo die Nationailiberalen stehen geblieben, da nehmen die National-Socialen die Bewegung wieder auf". Wir wollen daS ruhig abwarten. Gelingt eS den National-Socialen, für das wirkliche Wohl der Arbeiter nur theilweise so viel zu erstreben und zu erreichen, wie die Nationalliberalen erstrebt und erreicht haben, so werden wir neid- und vorurtbeilslos ihrem Gebühren zuscbauen und je nach den Umständen eS unter stützen. Nur müßte sich dasselbe in Thaten zeigen, nicht in bloßen Worten. Karl Biedermann. Deutsches Reich. L. Leipzig, 3. März. Die neueste Lieferung deS „BiSmarck- Jahrbuches" enthalt einen sehr beachtenswertben Beitrag zur literarischen Kritik. Bekanntlich hat das von Ioh. Penzler berauSgegebene Werk „Fürst Bismarck nach seiner Entlassung" den Untertitel: „Leben und Politik Les Fürsten seit seinem Scheiden aus dem Amte auf Grund aller (!) authentischen Kundgebungen." Professor vr. Horst Kohl hat schon in der Vor rede zum vierten Bande des „Bismarck - Jahrbuches" betont, daß daS große Werk Penzler'S in Wirklichkeit nichts weiter sei als eine Sammlung von Zeitungsartikeln, von denen einige auf gelegentlichen Informationen durch den Fürsten Bismarck beruhen. In der „Chronik" des fünften Bandes des „Bismarck-Iabrbuches" ist unter dem 26. April folgende Auslassung der „Hamb. Nachr." (Nr. 96 A.-A) abgedruckt: „In buchbändlerischen Anzeigen des demnächst erscheinenden Werkes: „Fürst Bismarck nach seiner Entlassung" wird u. A. gesagt, daß darin nicht nur die Reden, Briefe und Depeschen des Fürsten aus der Zeit nach seinem Ausscheiden ausgenommen seien, sondern auch die Artikel der „Hamburger Nachrichten", „die von ihm selbst herrührten". Wir haben dazu zu bemerken, daß Fürst BiSmarck Artikel für unser Blatt überhaupt nicht verfaßt hat, sondern daß unsere Vertretung seiner Politik lediglich aus Grund von Informationen erfolgt, die uns gelegentlich zu Theil werden und deren Benutzung und Fassung selbständig durch unsere Redaction erfolgt; von ihr werden die Artikel verfaßt und ge schrieben, und es kann bei denselben von „authentischen Kundgebungen" deS Fürsten Bismarck, die „von ihm selbst herrührten", nicht die Rede sein." Die vorstehende Auslassung der „Hambg. Nachr." hat Horst Kohl mit folgender Anmerkung versehen: „An dieser, aus FriedrichSruh selbst herrührenden Notiz ändern auch die lobrednerischen Aeußerungen über das Penzler'sche Werk nichts, die sich in späteren Nummern der „Ham burger Nachrichten" finden. Diese Aeußerungen haben m i t FriedrichSruh nicht das Geringste zu thun." Das wußten wir; wir haben daber zu dem fraglichen Werke von Anfang an entsprechend Stellung genommen, mochten auch sogenannte, nicht« weniger als unterrichtete „Bismarckblätter" noch so oft die Authenticität der Penzler'schen Neproductionen versichern. */, Leipzig, 3. März. Aus Anlaß einer Eingabe deS Vorstandes deS deutschen Anwaltvereins an den Reichstag, in welcher die Anwaltschaft bittet, der voraeschlagenen Aenderungen zu § 143 der Civilproceßordnung die Zustimmung zu versagen, hat der Vorstand deS Verbandes Deutscher Bureaubeamten (Sitz Leipzig) kürzlich eine Petition an den deutschen Reichstag gerichtet, in der ersucht wird, „nicht nur die in der Novelle zu ß 143 der C.-P. O. vorgeschlagene Fassung beschließen, sondern dem tz 143 cit. noch eine ausdrückliche Erweiterung dahin geben zu wollen, daß auch den Bureauvorstehern und Bureau beamten der Rechtsanwälte die VerhandlungSbefugniß vor Gericht zustehen soll und nicht versagt werden darf." * Berlin, 3. März. Die „Cons. Corresp." schreibt: Wie uns aus dem Wahlkreise Marburg-Kirchhain-Fran- kenberg geschrieben wird, agikirt dort der antisemi tische Candid at gegen die Eonservativen unter einer eigenartigen Anwendung seiner Mitgliedschaft beim Bunde der Landwirthe. Letzterer an sich steht im Wahlkreise treu zur konservativen Partei und wird sich am 6. März definitiv mit dieser über einen gemeinsamen Reichstags- candidaten schlüssig machen, und zwar, wie bereits beschlossen, über einen bäuerlichen. Der antisemitische Kandidat aber, Herr Feuilleton. Das sociale Leben der Türken, ihre Sitten und Gewohnheiten.*) Der Islam kennt jene strenge Scheidung der gesellschaftlichen Classen nicht, welche den Lulturstaaten Europas eigenthiimlich und dort so sehr ausgebildet ist; das Leben in der Türkei hat daher einen mehr demokratischen Anstrich. Einen erblichen Adel giebt es nicht, ja, die Türken kennen nicht einmal den Gebrauch von Familiennamen, ohne welche eine Aristokratie nicht wohl denkbar ist. In der Türkei giebt es nur eine Beamtenaristokratie, die selbstverständlich jeder Stabilität entbehrt. Wenn wir bei der Dynastie der osmanischen Sultane und bei einzelnen früher unabhängigen Fürsten (Derc-Begs) und bei den bosnischen Begs slawischer Rasse einer Art von Geschlechtsnamen begegnen, so sind dies ganz vereinzelte Ausnahmen. Im Allgemeinen führen die Türken nur «inen Namen, der gewöhnlich eine religiöse Be deutung hat und unserem Vornamen entsprechen würde. Um Verwechselungen zwischen Trägern desselben Namens vor zubeugen, wird dem Namen häufig der Name des Vaters (z. B. Osman-Pascha-sade Ismail Bei, d. h. Ismael Bei, Sohn Osman Pascha's) oder ein zweiter Name beigefügt, der von einer körperlichen oder geistigen Eigenschaft, einer Beschäftigung, einem Gebrechen rc. hergenommen ist (z. B. der Schwarzbärtige, der Rothwangige, der Hinkende, der Närrische, der Lange, der Kleine, der Bucklige); dieser zweite Name wird aber mehr als Spitzname gebraucht, doch häufig auch von seinem Träger selbst adoptirt. Die Türken bekennen sich zum Islam und sind, wie die Araber und im Gegensatz zu den Persern, Sunniten. Ihren religiösen Pflichten, wie sie Koran und Tradition vorschreiben, kommen dle Türken meist mit großer Pünktlichkeit und Um ständlichkeit nach; so kann man z. B. sehr häufig im Freien, in Kaufläden, in den VerwaltungSvureaux sehen, wie die Türken, unbekümmert um ihre Umgebung, einen Teppich vor sich auS- breiten und auf demselben, das Gesicht nach Mekka gewandt, ein langes Gebet verrichten. Schöne Züge im türkischen Volks charakter sind die Rechtschaffenheit, Mildthätigkeit und Gast freundschaft. Im Handel ist der Türke ehrlich, und man kann sich auf sein gegebenes Wort verlassen. „Betrüget Niemand", lehrt der Koran, „messet richtig und wäget mit Billigkeit, seid wahr in der Rede und haltet den Schwur, auch wenn er Euch Schaden bringt; laßt beiseite den Trug beim Abschluß von Ge schäften und beim Markten; Diejenigen, welch« ungerechtevweise ») Ter Feder eines der ausgezeichnetsten Kenner des Orient» verdankt die soeben erschienene fünft« Auflage von Meyer'» „Türkei rc.", Beiträge, die, gleich werthvoll durch wissenschaft lichen Gehalt wie durch fesselnde Schreibweise, einen umso anziehen deren Stoff darbieten, als die Zustände aus der Balkan-Halbinsel da» Interesse des gebildeten Leser» immer von Neuem wachrufen. Die obige au»zug»weise Wiedergabe eine» Abschnitte» aus dem be kannten Reiseführer trägt daher nicht nur dem Unterhaltung»-«- dürfniß Rechnung, sondern sie vermittelt auch die Kenntntß fern- Neginder Dinge in der anschaulichsten Form. das Gut ihres Nächsten verschlingen, nähren sich von einem Feuer, das ihre Eingeweide verzehren wird." Mildthätigkeit wird nicht aus Eitelkeit und mit Ostentation ausgeübt, sondern in reiner und uneigennütziger Absicht, «weil die Religion Milde und Frei gebigkeit gegen Arme und Elende dem Moslem zur Pflicht macht. Almosm wenden im Namen Allah s gegeben. Kann ein Moslem einem Bettler nichts geben, so wird er ihn nicht mit harten Worten abweisen, sondern tröstet ihn mit einem religiösen Spruch, wie: „Gott möge Dir helfen" (^uLM ol»). Dem Islam eigenthiimlich ist auch dir Wohlthätigkeitssteuer, dir am Ende des Ramasons für die Armen erhoben wird (sekLU kitr), und die zu entrichten jeder Mohamedaner durch die Tradition verpflichtet ist. Specrell liegt die Armenpflege den Moscheen ob: die großen Moscheen (vsclmmi) sind von Gebäuden umgeben, die meist Wohlthätigkeitszwecken dienen; und es sind hier na mentlich die Garküchen (imLrsl), die Krankenhäuser (odasta- HLnS) und Irrenhäuser (limLr-üänö) zu nennen; ferner die öffentlichen Brunnen (ssdN seil. ^.Ilnti, d. h. „Pfad Gottes", genannt), welche den dürstenden Armen einen frischen Labetrunk und erquickenden Schatten spenden. Wer solche Brunnen stiftet, thut ein Gott wohlgefälliges Werk, er wandelt auf dem Pfad Gottes. Der Wohlthätigkeitssinn der Mohamedaner und speciell der Türken erstreckt sich auch auf die Thier«, die von ihnen nicht mißhandelt, sondern gut gehalten werden. In den Häusern pflegen die Türken kein« Hunde zu halten, aber den zahlreichen Straßenhunden und Katzen geben sie Futter. Vor den Häusern lassen sie Töpfe eingraben und füllen dieselben Sommers mit Wasser. Auch auf der Marmorplatte, die sein Grab bedeckt, läßt der Türke Höhlungen ausmeißeln, damit sich darin für die Vögel Wasser sammle. Dem Mitgefühl für die Thiere ent springt auch ihr« Abneigung gegen die Jagd; denn Thiere zu tobten und sie ihrer Freiheit zu berauben, gilt ihnen für Sünde, besonders wenn das Fleisch dieser Thiere zu essen verboten ist. Sogar gewissen Jnsecten, gegrn welche der grausame Europäer mit giftigen Pulvern vorgoht, schenkt der Türke, selbst wenn er sie auf der That ertappt, die Freiheit. Nicht selten kaufen sie aus den Händen der Jäger gefangene Thiere, um ihnen die Freiheit wiederzuschenken; die ^«Üci kusolrlar? („Vögel zum Freilaffen") bilden ein« besondere Waare: man kauft sie, um sie fliegen zu lassen (um so auffallender ist es, daß von Seiten der Regierung durchaus nichts zu ihrer Schonung gethan wird). Auch Schuldgrfangene werden «Sweilen durch fromme Mohame daner, welche ihre Schuld bezahlen, aus dem Gefängnisse be freit. Durch das reichlich« Geben von Almosen wird aber an dererseits der Bettelei und dem Müßiggang sehr Vorschub ge leistet; die Bettler auf den Straßen sind überall im Orient massenhaft vorhanden, und sie fordern häufig, namentlich wenn sie Mohamedaner sind, das Almosen in viel direkterer Form, als wir im Occident zu hören gewohnt sind. Namentlich die wandernden Derwische sind eine wahre Landplage für die rei cheren Bewohner. Obgleich der Koran dem Moslem bis zu vier legitimen Frauen gestattet, ist die Monogamie bei den Türken die gewöhnliche Art der Ehe, und zwar einmal wegen de« lieben Hausfriedens, und dann wegm de» großen Kostenaufwandes, welchen die Unter haltung mehrerer Frauen erfordert, indem eine Doppelehe auch einen doppelten Hausstand, doppelte Dienerschaft und dergl. nöthig macht. Der Türke verehelicht sich sehr frühzeitig, mit 17 bis 18 Jahren, oder er kauft sich «in« Sclavin, die nach dem ersten Kinde gewöhnlich in die Rechte einer legitimen Gemahlin eintritt, in jedem Fall aber, sobald sie einen Sohn geboren hat, freigelassen werden muß. Ist die Ehe kinderlos, so kann er seine Frau entlassen, muß aber Vie Mitgift zurückgeben und den Unter halt der verstoßenen Frau durch Aussetzung einer bestimmten Summe, die gleich bei der Hochzeit festgesetzt wird, sichern. Ehe scheidung kann nach mohamedanischen Begriffen nur oom Mann verlangt werden; sehr selten sind die Fälle, wo sie auf Grund einer Klage der Frau erfolgt. Von Seiten des Mannes wird sie sehr häufig verlangt, und es bedarf dazu nur der einfachen Willenserklärung des Mannes: „Ich entlasse Dich". Unter den Türken giebt es Männer, die sich 16- bis 20 mal nacheinander verheivathen. Der Mann kann sich dreimal von derselben Frau scheiden lassen; nach der dritten Scheidung aber darf er sie nicht wieder heirathen, es sei denn, daß sie sich inzwischen wieder ver- heirathet und der zweite Mann sich von ihr wieder getrennt hat. Die Stellung der türkischen Frauen im Hause ist eine unter geordnete, da der Orientale seine Frau nur als einen Gegenstand zur Vervollständigung seiner physischen Genüsse ansieht; trotzdem besitzen sie gewisse, theils auf dem Gesetz, theils auf der Sitte beruhende Rechte, über die sich der Mann -nicht Hinwegsetzen darf. Die Ehe ist im Islam ein bürgerlicher Vertrag, der vor dem Kadi abgeschlossen wird, und zwar im Hause eines der Hei- rathenden. Eine Eheschließung in der Moschee findrt nicht statt. Die Hochzeitsfeierlichkeiten dauern in der Regel drei Tage, wobei die weiblichen Gäste im Hause der Braut, die männlichen in dem des Bräutigams bewirtet werden. Die größte Sorgfalt wird auf die Wöchnerinnen und Säuglinge verwandt; sie werden durch Amulette und Geheimmittel gegen den Einfluß der bösen Geister geschützt. Die Liebe txr Mütter wendet sich fast aus schließlich den Söhnen zu; letztere werden oft bis in das dritte Lebensjahr gesäugt, während Töchter in der Regel viel früher entwöhnt werden. Die Söhne bleiben meist nur bis in das achte, selten bis in das zwölfte Lobensjahr !m Harem, d. h. unter der mütterlichen Pflege, und werden hier meist sehr verzärtelt, die Töchter bleiben bis zu ihrer Verheirathung (in der Regel bis zum 16. Jahr) im Harem und werden viel strenger be handelt. Zuneigung zwischen Geschwistern, die denselben Vater aber verschieden« Mütter hoben, ist fast nie vorhanden. Die Beschneidung der Knaben (sannet), welche etwa unserer Con- firmation entspricht, wird zwischen dem 8. und 13. Lebensjahr vollzogen und in vermögenden Familien mit vielen Festlichkeiten gefeiert. Reich« Leut« lassen in der Regel mit ihrem eigenen Sohn mehrere Kinder auS armen Familien beschneiden. Nach der Beschneidung tritt der Knabe in das Leben hinaus und scheidet aus dem Harem. Doch besuchen di« Söhne auch später noch ihre Mütter und bewahren ihnen oft ein sehr pietätvolles Andenken, wie eS übrigens der Koran ausdrücklich vorschreibt. Der türkische Sultan geht seinem Volk hierin mit gutem Beispiel voran. — Nach dem Tode des Ehemannes erbt die Witwe nur den achten Theil seines Vermögens; die übrige Hinterlassenschaft wird zwischen den Kindern so dertheilt, daß jede« männliche doppelt so diel al» da» weiblich« «Mit. Wo mehrer« Frauen al» Witt wen hinterbleiben, theil«n si« sich in das Achtel. Sind keine Kinder und kein« anderen näheren Erbberechtigten (Enkel, Ge schwister und Eltern des Verstorbenen) vorhanden, so erbt die Wittw« ein Viertel des Vermögens. Man irrt sich, wenn man glaubt, daß die t ü r k i s ch e F r a <u wie im Gefängniß lebe. Im Hanse ist sie ausschließlich Herrin, und selbst der Ehemann muß sich nicht selten ihren Launen fügen. Ist die Frau aus vornehmem Geschlecht, oder verdankt der Mann ihr seine bürgerliche Stellung, oder überragt sie ihn an Verstand, dann steht der Mann in der Türkei ebenso unter dem weiblichen Pantoffel wie in Europa. In den Familien der tückischen Großen macht sich der Einfluß deS Harems oft auch außerhalb des Hauses geltend, z. B. bei der Besetzung von Beamtenstellen und in der Politik. Aber charakteristisch bleibt es für die Stellung des Weibes zum Mann im ganzen Gebiet des Islam, daß der Mann nie mit seinem Woib zusammen ißt und nie mit seinen, Weib zusammen aukgeht oder sie gar am Arm führt. Letztere Sitte haben selbst Armenier und Griechen noch nicht (etwa von Pera abgesehen) angenommen. Dagrgrn gehört der Mann von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang in den Harem. Vernachlässigt er hier seine Pflichten, so machen ihm die Weiber das Leben schwer und können ihn sogar gesetzlich verklagen. Ein eigentliches häusliches Familienleben im europäischen Sinne existirt bei den Türken nicht. Es fehlt der geistige Austausch in Freud und Leid zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern. Alles beugt sich knechtisch vor >dom Hausherrn; er wachsene Söhne und Töchter, ja selbst die Hausfrau wagt es in der Regel nicht, sich ohne besondere Erlaubniß in Gegenwart des Hausherrn zu setzen oder gar mit ihm an einer Tafei zu speisen. „Die melancholisch-düstere Häuslichkeit der Mohamedaner", sagt VambSry, ein mit den türkischen Verhältnissen vertrauter Beobachter, in seinen „Orientalischen Sittenbildern", — „er innerte mich immer an das monotane Leben in den öden Hallen der abendländischen Klöster. Von Familienfesten, Familiengesell schaften, — mit einem Wort, von Familie überhaupt kann eigent lich keine Rede sein; die Behandlung de» weiblichen Geschlechts insonderheit muh als jener schlvarze Punct bezeichnet werden, der unheilbringend sich in allen Gesellschaftskreisen, ja in den verborgensten Verhältnissen des mohamedanischen Hauses geltend macht." Den Tag über giebt sich die türkische Frau entweder zu Haus einem behaglichen Nichtsthun, verbunden mit dem Ge nuß von Cigarette, Kaffee und Süßigkeiten, hin, oder sie macht, begleitet von Freundinnen oder Dienerinnen, Spazierfahrten in der Araba (-dem Wagen) oder im Kail (Kahn), besucht das Bad oder macht Einkäufe auf dem Bazar. In die europäischen Läden einzutreten, ist ihnen verboten, doch N/rd das Verbot nicht streng beobachtet und muß durch einen Erlaß der Sittenpolizei von Zeit zu Zeit erneuert werden. Unter Sultan Mahmud erlaubten sich die türkischen Frauen so viele Freiheiten, daß den fränkischen Kaufleuten befohlen wurde, sich nur alte Comm!» zu halten. Sobald eine erwachsene Türkin das Frauengemoch (Imrorn) verläßt, muß sie den Schleier (jasechmak) anlegen, welcher nur die Augen freiläht. Den Schleier weit zu lüften, so daß man z. B. Nase und Mund sieht, verbietet Anstand und gute Titte. Der Schleier wird meist vom 10. Leben»jahre ab getragen; er ist in neuester Zeit, namrntlich -ei jungen und koketten Frau»»,
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