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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.03.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980305014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898030501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898030501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-05
- Monat1898-03
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Ve-ngO-Prei- US Dir Morgen-AuSgab« erscheint «m '/,7 Uhr. dir Abend-AuSgabe Wochentag- um 5 Uhr. Nr-artim» und Lrvedittou: Aohanue-,aste 8. Dir Expedition ist Wochentag« ununterbrochr» gebffurt von früh 8 bis Abend« 7 Uhr. Filialen: vtt« Klrmm'S Lortim. (Alfrek Ha-»)» UniverjitätSstraße 3 (Paulinum), Laut- Lösche, Reüdoriuenftr. L«, Part, und KS»ig«platz 7. dmtrk und den Boroctru «richtet« ÄiiS- aaoeftrllen ab geholt: vierteljährlich 4.50, vei zweimalig« täglicher Zustellung in« Hou« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierrrliädrlich 8.—. Direkte tägliche Kreuzbandirndung in« Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe ripMer TMblalt Sonnabend den 5. März 1898. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. AazeigkN'DrUlO die S gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem RrdactivaSstrich (4 a». spalten) 50iZ, vor den Familiennachrichtea <L gespalten) 40/^. Größer« Schriften laut unserem Prrls derzeichniß. Tabellarischer und Zisfrrasatz nach höherem Tarif. Extra-vrilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgade, ohne Postbefbrderung 80.—, m»t Poslbeförderuug ^l> 70.—. Ännahmeschluß fie Anzeigen: Abend-AuSgabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Vei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stund« früher. Auzetge» find stet« a» die Expedition zu richten. Druck und Verlag vou E. Polz iu Leipzig. 92. Jahrgang. Das Centrurn als Lentrum. Je mehr sich die gegenwärtige Legislaturperiode ihrem Ende zuneigte, desto höher ist die Macht und der Einfluß des EentrumS gestiegen. Die Legislaturperiode begann mit einer Niederlage deS CentrumS, indem sich diese Partei bei der Bewilligung der HeereSvorlage in der Minderheit sah. Als dann aber die Legislaturperiode auf dem absteigenden Aste angelangt war, hatte daS Centrum im Frühjahr 1896 den Triumph, dir parlamentarische Fertigstellung deS bürgerlichen Gesetzbuches auf sein Conto schreiben zu dürfen. Hetzt, wo die Dauer der Periode nur noch nach Wochen zählt, schickt sich das Centrum an, gleichzeitig zwei große Erfolge «in- zuheimsen, denn die Militairproceßreform ist zu einer ler Gröber, die Marinevorlaze zu einer lex Lieber geworden. So ist das Centrum am Ende der Legislaturperiode mehr denn je Mittelpunkt der inneren deutschen Politik und darf mit Zuversicht der kommenden NeickSkagSperiode entgegensetzen. Diese Aussicht ist sicherlich für Politiker von nationaler und gemäßigter Gesinnung nicht erfreulich. Aber die Stim mung muß noch verschlechtert werden dadurch, daß über die politische Situation und über den steigenden Einfluß deS CentrumS Niemand lautere Klagen erbebt, als die fortschritt liche Partei, die gewohnterweise, wie für jedes Uebel, so auch für dieses dir Regierung verantwortlich macht. So schreibt die „Boss. Ztg", Wohl das angesehenste Organ dieser Partei: „Je weiter sich der leitende Staatsmann von der Linken ab wandte, um so mehr war er auf daS Centrum angewiesen. Die Macht Lieser Partei ist von Wahl zu Wahl in derselben Weise gestiegen, wie der Einfluß des Liberalismus zurück gegangen ist, und das ist die natürliche Folge einer Politik, die sich hergebrachter Weise gegen den Liberalismus richtet." Es verlohnt sich gewiß nicht, gegen eine einzelne Zeitungs auslassung eingehend zu polemisiren, selbst wenn es sich um die Auslassung eines angesehenen Organs handelt. Hier aber giebt diese Auslassung zugleich die wirkliche Auffassung der fortschrittlichen Kreise wieder, eine Auffassung, die durch ständige Wiederholung den hinter den Führern stehenden Massen bcigebracht worden ist. Und deshalb verlohnt es sich doch wohl, festzustellen, daß die Behauptung von Anfang bis zu Ende die Tbatsacken auf den Kopf stellt. Der leitende Staatsmann (damit ist noch die Zeit deS Fürsten Bismarck gemeint) soll sich von der Linken abgewandt haben. Will man unter der Linken die Fortschrittspartei ver stehen, so ist zunächst zu sagen, daß sich der leitende Staats mann nie von ihr abgewandt haben kann, La sie zu keiner Zeit, auch nicht in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, als scharf gegen das Centrum regiert wurde, sich ihm zugewandt hatte. Die Macht des CentrumS an Stimmenzahl ist auch nicht von Wahl zu Wahl in dem Maße gewachsen, wie der Einfluß des Liberalismus zurückgegangen ist. Der Höhepunkt der Macht deS Liberalis mus war daS Jahr 1874, wo Nationailiberale und Fort schrittler zusammen 204 Stimmen, also die Mehrheit im Reichstage, halten. DaS Cenlrum hatte damals 91 Stimmen. Jetzt, wo die liberalen Parteien, von den Nationallibe- ralen bis zu der süddeutschen Volkspartei, kaum über die Hälfte dieser Stimmenzahl verfügen, hat das Centrum im Ganzen zehn Stimmen mehr al-damals. Die liberalen Stimmen find also nicht an daS Centrum verloren gegangen, sondern an die Conservativen und an die Socialdemokraten. Die Macht deS CentrumS ist also auch nicht durch Stimmengewinn gewachsen, sondern dadurch, daß die Regierung deS CentrumS nicht entrathen konnte, weil ein Theil der Liberalen sie nicht unterstützen wollte. Und die Macht deS Centrums ist ferner noch dadurch gestiegen, daß dieser Theil der Liberalen in unzähligen Fällen viel lieber mit dem Centrum zusammen ging als mit der Regierung. Diesem linken Flügel der Liberalen ist immer seltener die Freude zu Theil geworden, sich in einer Mehrheit zu befinden; wenn eS aber der Fall war, so war eS fast immer mit dem Centrum und gegen die Regierung. ES sei hier nur erinnert an die Ab lehnung deS dritten Direktors im Iabre 1874, an die Ver weigerung der HeereSvermebrungen 1887 und 1893, an die Ablehnung der Ehrung deS Fürsten BiSmarck im Iabre 1895, an die Streichungen im Marineetat im Frühjahr 1897, an die Verpfuschung der Strafproceßnovelle derselben Tagung. In einer großen Reihe von Fällen, in der aber das Cenlrum der Regierung zur Erreichung positiver Ziele verhalf, befand sich der Fortschritt bei der negirenden Minderheit. So kann man also mit vollem Rechte sagen, daß die Linke sich von der Regierung, nicht aber, daß die Regierung sich vom Liberalismus abgewendet habe. Und wenn nun wirklich die Regierung zu einer antiliberalen Politik überginge, wer trüge denn dann die Schuld? Dock wohl Diejenigen, die sie dazu zwingen, mit dem Centrum zu pactiren. Selbst in dieser Legislaturperiode, in der die bürgerlich-radikalen Parteien ein so geringer Macktfactor sind, hätten sie doch dazu auSgereicht, die Regierung vom Centrum unabhängig zu machen. Sie hätten statt des Centrums die ausschlaggebende Partei sowohl bei der Marine vorlage, als in der Militairproceßreform sein können, sie hätten vor einem Jahre die Bewilligung der damaligen Marineforderungen herbeiführen und damit vielleicht eine Vorlage verhindern können, die den Herren jetzt nicht genehm ist, die aber zu einer Nothwendigkeit wurde eben durch die vorjährigen Streichungen. Statt also darüber zu jammern, daß der Einfluß der CentrumSpartei steigt, sollten di« radikalen bürgerlichen Parteien lieber handeln. Mit ihrer grundsätzlich negativen Haltung haben sie den Niedergang deS Liberalismus verschuldet, indem sie eine klerikale und des halb nothwendiger Weise antiliberal gerichtete Partei zum Mittelpunkte der inneren deutschen Politik gemacht haben. Wollen sie bei ihrer Haltung verbleiben, so wird das Centrum sicherlich darüber sehr erfreut sein. Die inneren Zustände Deutschlands werden dann nicht sehr erfreulich sein, aber Diejenigen, die sie verschulden, haben am allerwenigsten ein Recht, sich darüber zu beklagen. Aus China. Gegenwärtig, wo die Blicke aller Deutschen auf die hoch bedeutsamen Vorgänge im fernen Ostasien gerichtet sind, ge winnt ein Brief von 0. Ernst Faber in Shanghai, Missionar des Allg. evang.-protest. MisstonSvereinS, der seine Missions arbeit auch aus Kiaotschau auSdehnen will, besonderes Interesse, v. Faber, nunmehr 33 Jahre als Missionar in China thätig, schreibt, wie wir dem im zweiten Jahrgang erscheinenden Gemeindeblatt „Der Protestant" entnehmen, über die Lage in China: „Da- verflossene Jahr hat für China manche wichtige Ereignisse gebracht. Der Westfluß wurde eröffnet mit dem Hafen Wutschau in der bisher für Fremde verschlossenen Pro vinz Kwangsi. Eine Kaiserlich Chinesische Bank kam zu Stande. Die chinesische Post,mit Anschluß an den Weltpostverein, wurde ins Leben gerufen. Mit England wurdedie Grenze BirmaS durch Ver trag geregelt, auch neue Handelswege wurden eröffnet. Frankreich ging auch nicht leer aus an der Tonkin-chinesischen Grenze. Ruß land schloß einen Vertrag wegen einer Eisenbabnvom Amur durch die Mandschurei, wodurch es den Nordosten Chinas beherrschen wird. Deutschland besetzte die Kiaotschau-Bucht, wodurch ein großer Theil der Shantung-Provinz in Abhängigkeit kommen kann. Die Eisenbahn zwischen Tientsin und Peking kam in Betrieb und ist von gutem Erfolg. Eine kleine Strecke zwischen Shanghai und Wusung ist noch im Bau begriffen. Der Telegraph geht durch alle Provinzen deS Reichs, auch durch Hunan, wo man sich lange dagegen sträubte. Es be stehen Dampfbootgesellschasten, welche kleine Dampfer von BertragShäfen aus nach größeren Städten, ein bis zwei Tage reisen weit, gehen lassen, hin und zurück eine Anzahl Haus boote schleppend, welche von Passagieren gemiethet sind. Eine nicht geringe Anzahl von Fabriken ist in Shanghai gebaut und theilweise schon im Gange, besonders haben die Seidenspinnereien überhand genommen, so daß beste Aussicht auf einen Krach ist wegen Mangels und Verthenerung der Cocons. Baumwollenspinnereien und Webereien mehren sich ebenfalls. Eine Dampfmühle kann bereits mehr mahlen, als Weizen käuflich ist, und liefert mehr Mehl, als die Chinesen verbrauchen können, da deren Hauptnahrung aus Reis besteht. Auch Papiermühlen sind vorhanden, doch lohnt sich noch die Einfuhr von Papier aus Japan, Europa und Amerika. Streichholzfabriken giebt eS vier, die gute Geschäfte machen, doch mit Japan concurriren müssen. Die Produkte einer Lacksteinsabrik finden guten Absatz. Eine Dampf- Möbelfabrik wurde kürzlich bedeutend vergrößert, während die chinesischen Schreiner und Zimmerleute noch immer ihre Bretter und Latten eigenhändig auS den Balken sägen. Der Reis wird nun auch, wenigstens in Shanghai, durch Dampfmaschinen enthülst und gereinigt, fertig für die Küche. DaS Cigarettengeschäft mit Maschinenbetrieb scheint lohnend und schwunghaft. Die Seifenbereitung zeigt noch keinen rechten Erfolg. In den Druckereien, auch für chinesische Bücher, sind Gasmaschinen und auch Pbotolitho- graphie und andere ausländische Verfahren im Gebrauch. Buch binder, Schneider und andere Handwerker benutzen verschiedene Handmaschinen. Man merkt außerdem gewaltigen Fortschritt in anderen Dingen. Oefen und Fensterscheiben mehren sich in den Wohnungen der wohlhabenden Chinesen. Petroleum wird in allen Geschäftslocalen gebrannt, auch vielfach in den Privathäusern; dazu bedient man sich der Lampen von aus wärts, billige aus Japan sind häufig. Ausländische Nadeln werden von den Frauen bevorzugt, dazu auch ausländischer Zwirn. Man kann reiche Chinesen mit Frau und Kind im offenen Wagen durch die Straßen fahren sehen, jüngere Chinesen auch auf dem Zweirad. Obschon damit die Neuerungen noch nicht erschöpft sind, zeigt auch diese lücken hafte Skizze, daß China ins Rollen gekommen ist. Die Mission hat beträchtliche Erfolge gehabt, und die Bewegung ist im Zunehmen, aber eS Ahlen noch genaue statistische Berichte. Die amerikanischen Methodisten der Nordstaaten zählen jetzt rund 20 000 Communicanten iu China. Aehnlich ist es mit den anderen großen Missions gesellschaften. — In Shantung sind bereit- mehrere (eng lische und amerikanische) Gesellschaften seit Jahren thätig. Diese haben großartige Institute im Gange und bereits eine beträchtliche Anzahl von Gemeinden. Nach der Statistik für 1893 hatten die englischen Baptisten sieben Haupt- und 183 Außenstationen mit 2315 Communicanten und 500 Catechumenen, der amerikanische Board 642 Com- municantcn, die amerikanischen Presbyterianer 4013 Communicanten. So viel mir bekannt, sind jetzt über 10 000 Communicanten, also Wohl 40—50 000 protestantische Christen, über die Provinz zerstreut. Darin sind die Christen von fünf anderen Missionsgesellschaften, welche neben den Genannten in Shantung arbeiten, mit einbegriffen. Die Stärke der römisch-katholischen Mission in Shantima ist mir nicht bekannt, wahrscheinlich wird dieselbe jetzt mehr Mittel und Kräfte auf jene Gegend concentriren. Daß Deutschland mit der Gründung von Colonien auch die Pflicht übernimmt, für das geistliche Wohl der heidnischen Unterthanen Sorge zu tragen, ist bereits in weiten Kreisen für Afrika und Neu-Guinea an erkannt. In China würde die Mission in der eigenen Colonie nicht für diese allein fruchtbringend sein, sondern weithin wirken auf die Provinz und darüber hinaus. Arbeit im christlichen Sinne und Geiste mit genügenden Mitteln und Kräften wird sich bald sichtlichen Erfolges erfreuen und auS dem Segen in China segensreich auf Deutschland zurück wirken. Jetzt ist die Gelegenheit geboten, da gilt es, dieselbe zu ergreifen und energisch auszunutzen. Wer reichlich säet, wird auch reichlich ernten." Wir können dem binzufügen, daß die Berliner Mission (I) in Kiaotschau eine evangelische Mission eröffnen will und zwei Missionare, die bei Kanton arbeiten, mit einem chinesisch-christlichen Gehilfen, der die in Kiaotschau gesprochene Mundart kennt, dorthin gesendet hat, um Vor bereitungen zu treffen und die Verhältnisse zu untersuchen. Deutsches Reich. * Leipzig, 4. März. „Daß Socialdemokratie und Arbeiterschaft identisch sind, zu dieser Erkenntniß bat sich die biedermännische professorale Weisheit noch nicht durchgerungen." Also läßt sich die „Leipz. Volksztg." gegen den von unS gestern veröffentlichten Artikel Professor Karl Birdermann'S vernehmen. WaS eS mit dieser „Identität" im Allgemeinen auf sich hat, ist bekannt. Wie im Beson deren die in den socialdemokratischen Consumvereinen angestellten Gehilfinnen über besagte „Identität" denken, darüber wird unS heute berichtet: „Eine gestern im „Coburger Hofe" von dem Leipziger Bevoll mächtigten LeS socialdemokratischen Central - Verbandes der Hand- lungs»Gehilfen und »Gehilfinnen Deutschlands veranstaltete, von 70 Personen, in der Hauptsache weiblichen Angestellten des Plag» witzer Consumvereins, besuchte Versammlung beschäftigte sich u. A. mit einer vomBorstande de» Lripzig-Plagwitzrr Consum- F-»»rHeton. Am die Erde. R«isrbrirfe von Paul Lindenberg. Nachdruck »erboten. XXI. Deutschland und Siam. — Des Königs Sym pathien sürDeutschland. —DeutschrinBang- tok. — Ein Canalnetz für Siam. — Vom siame sischen Volk und Land. — Der König. — Was Siam noth thut. Bangkok, 18. Januar. Eng sind Deutschlands l>and«lSpolitischr Interessen mit Ostasien verknüpft, und blonder» Siam, dieses zukunftsreiche Land, welches erst im Erschlossenwerden begriffen ist, dürfte durch immer engere und wichtigere Handelsbeziehungen mit unserem Vaterlande verbunden werden. Mit inniger Freude kann ich berichten, daß der deutsche Einfluß hier ein großer und im Wachsen begriffener ist. AuS seinen Sympathien für Deutschland macht der König kein Hehl; al« ihm bei seiner Ankunft hier die neuen diplomatischen Vertreter vorgestellt wurden und die Reihe an unseren erst vor Kurzem auf seinen hiesigen Posten berufenen Gesandten kam, meinte er sofort: „O, wir kennen unS schon, das ist mein Freund", und als der Herrscher beim Fest in der Gardecaserne noch zu später Nachtzeit verschiedene Diplomaten um sich versammelte, da sprach er fast eine halbe Stunde mit unserem liebenswürdigen, allen Deutschen hier so schnell sympathisch gewordenen Minister-Residenten, ihm berichtend, wie sehr ihm der Aufenthalt in Deutschland ge fallen, welch freundliche Aufnahme er daselbst gefunden, wie wohl er sich überall in unserer Heimath gefühlt. Es leben jetzt hier etwa siebzig Deutsche, zu denen ich auch mehrere Oesterreicher rechne; wie sie aus den verschiedensten Provinzen und Ländern kommen, so sind sie auch in den ver- schiedensten Berufsarten beschäftigt, und zwar Alle, wenn wir von den jüngeren Kaufleuten absehen, in hervorragenden Stel lungen, und Alle von den Siamesen ob ihrer Tüchtigkeit geschätzt. Die Verwaltung der Eisenbahn ist ganz deutsch; ein Berliner, Baurath Beihgc, der in seinem jovialen Wesen nicht seine Ge- burtSstadt verleugnet, steht an der Spitzt. Die englische Gesell- schäft, welche den Bau der Bahn unternommen, mußte zurück treten, deutsche Köpf« und Hände förderten in überraschend kurzer Zeit das gänzlich verfahrene Werk, und zwar unter Ersparung ganz wesentlicher Summen. Dir Post ist völlig nach deutschem Muster eingerichtet; neben einem siamesischen Generaldirektor, der in Deutschland, und -war in Leipzig, sein Examen al« Postsecretair abgelegt, steht in völlig selbstständiger Stellung als Rathgeber*) ein höherer deutscher Postbeamter, Th. Coll- mann, ein Sohn Hamru's, dessen Umsicht und Intelligenz wohl in erster Linie die großen Erfolge der Post, ihr guter und sicherer Betrieb, ihre praktischen Einrichtungen rc. zu danken sind. Wie nützlich ein einzelner Deutscher auch in anderer Hinsicht seinem Vaterland? sein kann, dafür giebt Herr Collmann, der schon seit über sieben Jahren in siamesischen Diensten steht, ein nach- ahmenswerthes Beispiel: Briefkästen, Papier, Feder, Tinte, Kleb material, Bindfaden, selbst die zur drmnächstigen Einführung bestimmten neuen Briefmarken stammen aus Deutschland und wirken direkt wie indirekt für unsere heimischen Industrien. In dem zweiten Postamt Bangkoks ist ein anderer höherer deutscher Postbeamter, Namens Jung, ein Dresdener, thätig. In deutschen Händen befinden sich mehrere der größten Handelshäuser, deren Firmen — ich nenne hier nur A. Mark wald <L Co., Windsor L Co. (Chr. Brockmann), A. W. Schmidt L Co. und B. Grimm L Co. — im gesammten Osten bekannt sind; ein auch künstlerisch sehr begabter Architekt, ein Bayer, K. Sandreczki, erbaut das Palais für den Kronprinzen, ein aus Stralsund stammender Goldschmied, Grählert, fertigt die schönsten Gold- und Silberarbeiten in altsiamesischem Stil und bildet in seinem Atelier tüchtige jüngere Kräfte heran. Dann finden wir noch Deutsche als Ingenieure, Baumeister, Apotheker, Schiffscapitain«, Photographen rc. Erfreulicher Weise herrscht ein guter Corpsgeist unter unseren Landsleuten, er findet beredten Ausdruck in dem deutschen Club, dessen neues, schönes Heim, um welches alle Ausländer die Deutschen beneiden, ich schon früher hervorgehoben. Echt vaterländische Gesinnung wird in diesem Club gepflegt, und die in dem Kreise seiner Angehörigen, auSnahmslo» liebenswürdiger, hochgebildeter und anregender Menschen, verlebten zahlreichen Stunden zählen zu den schönsten Erinnerungen des Schreiber» an seinen hiesigen Aufenthalt. Etwas näher muß ich doch noch auf da» Werl eines Deutsch- Oesterreichers, des auS Wien gebürtigen Erwin Müller, ein gehen, ein Werk, das für die materielle Zukunft Siams von wichtigster Bedeutung sein wird. Der Boden des Landes ist sehr ertragsfähig, aber nur zum kleinsten Theike ist er bebaut; zahllose Quadratmeilen umfassende Gebiete liegen brach da, von Prairiegras und Dschungeln bedeckt, al» einzige Bewohner die *) Die siamesisch« Regierung bedient sich in verschiedenen Mini sterien euroväischer Raihgeber; der erste und einflußreichste, vom KSnig mit Recht sehr geschätzte General-Rathgeber und verantwort licher Minister ist Herr Roiin-Jacquemynr, ein Belgier, dem König und Land ,u wirmstem Tank verpflichtet sind und der auch für Deutschland warme Besinnungen hegt: neben unserem deutschen Raihgeber giebt e» dann noch je einen englischen in der Zoll-, Finanz- und Justiz-Verwaltung. Heerden wiloer Elephanten. Einzig des Wassers bedürfen diese Strecken, um einen reichen Ertrag zu liefern, und Herr Müller arbeitete vor mehreren Jahren «den Plan zu einem Canalnetze aus, welches, wenn es vollständig verwirklicht sein wird, Siams Finanzkraft um das Zehnfache steigern dürfte. Mit zielbewußter Entschlossenheit und zäher Energie wußte der Genannte alle Schwierigkeiten — und es gab deren wahrlich nicht wenig« — zu überwinden, und seiner unermüdlichen Thatkraft ist es zu zuschreiben, wenn heute, vier Jahre nach Genehmigung zum Be ginn der Arbeiten, in geringer Entfernung von Bangkok sich schon eine Anzahl Canäle entlang zieht, deren hauptsächlichster in einer Ausdehnung von sechzig Kilometern (und einer Breite von sechzehn wie einer Tiefe von vier Metern) zwei der größten Flüsse, den Menam mit dem Nakonkajok, verbindet und von ihm aus sich sechzehn kleinere Canäle abzweigen. Wo noch vor ein paar Jahren Wildnih war, da leben heute 40 000 Menschen, und in absehbarer Zeit wird das von ihnen jetzt bewohnte und bebaute Gebiet so viel Reis abwerfen, wie gegenwärtig ganz Siam. Dreihundert Kilometer der Canäle sind schon fertig, 1300 Kilometer sollen im Ganzen gebaut werden. Tag und Nacht arbeitet die in Deutschland gefertigte und unter der Auf sicht eines Deutschen, eines Lübeckers, stehende Trocken-Bagger- maschine, welche in zehn Stunden 200 Kubikmeter Erde auS- werfen kann. Es war einer der seltsamsten Anblicke für mich, dieses riesige, fauchende Eisenungethüm inmitten der Wildniß schaffen zu sehen, deutsche Laute zu vernehmen und den Eindruck zu gewinnen, daß hier rin wahrhaft großartiges zukunftsreiches Werk im Entstehen begriffen ist, welches dem sympathischen Land und Volk von ungeheurem Nutzen sein wird. Dem sympathischen Land und Volk — es ist ein abgebrauchtes Wort, und doch finde ich kein besseres und treffenderes. Wer auch nur das geringste Interesse für eine eigenartige Bevölkerung und für ein Reich hat, das de» Neuen und Originellen so viel bietet, der muß mit Sympathie für Siam erfüllt werden. Dieser Menschenschlag ist zu seinem großen Theil« noch ein unverdorbener, der sicher unter guter Leitung und bei tüchtigem Beispiel Gute« und Tüchtige« leisten wird. Die angeborene Trägheit muß zuerst überwunden und zu ihrer Bekämpfung da» Bedürfniß nach besseren Daseinsbedingungen erweckt werden; im Innern des Landes leben ja noch viele Huirderttausende im halben Naturzustande: eine Hütte mit ein paar Matten, einige Klriderfetzen, etwas Reis und getrocknete Fische genügen zur Befriedigung der Existenz. Der siamesische Charakter enthält aber Vieles, was zu der Erwartung berechtigt, daß dieses Volk einer besseren Bestimmung würdig ist. Im Allgemeinen ist der Siamese rechtschaffen, freiheitsliebend und ehrenhaft, ein un verdientes Scheltwort, gar ein Schlag verletzen ihn tief und können ihn veranlassen, sofort seine Arbeit niederzulegen, auch wenn er den größten Schaden dadurch hat. Von der Rachsucht des Malayen und der Verschlagenheit des Indiers ist der Siamese frei, der ganzen Nation haftet noch viel Kindliches und Froh sinniges an, Musik und Gesang bilden die liebste Beschäftigung neben — leider — Spiel und Tändelei. Aber nach den Urtheilen Jener, die viele Jahre hier leben, ist der Siamese «rziehungsfähig, nur muß man wünschen, daß bald energische Anstrengungen nach dieser Richtung hin gemacht werden. Der König hat eine bessere Gesetzgebung und eine gerechtere Vertheilung der Lasten versprochen, das ist viel, wenn es ausgeführt wird, aber mindestens von der gleichen Wichtigkeit ist die Errichtung von Schulen und dann die Schaffung eine tüchtigen Heeres, um etwaigen französischen oder englischen Gelüsten vorzubeugen. Mit dem Schulwesen hapert's voll kommen, neuerdings hat man für die Söhne und Töchter hoher Beamten einzeln« Unterrichtsanstalten, aber in ungenügender Weise eröffnet. Die Kinder des unteren Volkes aber sind einzig auf die Erziehung durch die Priester angewiesen. Der König ist von dem besten Willen und Wunsche beseelt, sein Volk zu heben und glücklich zu machen. Das überein stimmende Urtheil der Europäer geht dahin, daß der König gut und klug ist, von den edelsten Absichten erfüllt; aber «ine Hof- und Beamten-Clique durchkreuzt häufig seine Anordnungen oder läßt seine Verordnungen nur halb zur Ausführung gelangen. Während eine ganze Anzahl der Prinzen dem König nacheifert und sich die größte Mühe giebt, in den verschiedenen Ver waltungszweigen europäische Ordnung einzuführen und Alles nach europäischem Vorbilde zu leiten, geben sich andere Große und Edle der orientalischen Gleichgiltigkeit und dem Schlaraffen leben hin, oder, was noch weit schlimmer ist, sie treten im Ge heimen feindlich gegen alles Europäische auf und intriguiren gegen Personen und Sachen, wo und wie es ihnen nur möglich ist. Daß das Ewig-Weibliche und die Sucht nach mühelosem Erwerb hierbei bedeutend mitspielen, darf nicht unerwähnt bleiben. Siam hat keine Zeit mit der Erfüllung seiner Culturaufgaben zu verlieren, es besitzt böse Nachbarn, die verlangend nach dem Lande ausschauen. „Ich will Europa besuchen und es kennen lernen, damit ich nicht mehr hintergangen werden kann mit allerhand Vorspiegelungen: „so und so wird'« in Europa ge macht", und nachher ist'» nicht wahr" — daS ist eine verbürgte Aeußerung deS Königs. Möchte er nur mit seinem Beispiele thatkräftig vorangehen, dann wird der Erfolg nicht auibleiben, und möchte sich bak umgekehrt daS Wort erfüllen: „Saure Tage, frohe Feste", d. h. möchten nach den prunkenden Festlichkeiten nun arbeit, und fördersame Tage kommen Jeder, d«r e» ehrlich mit Siam meint, wünscht die« von Herzen!
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