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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.03.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980314014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898031401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898031401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-14
- Monat1898-03
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Mit Robert Blum waren Biedermann, Koch, Joseph, Klinger, Bertling u. A. in LaS ^-tadtverordnetencollegium gelangt. Zn den folgenden Jahren durch Gleichgesinnte immer mehr verstärkt, gelang eS den liberalen Elementen im Februar 1848, da« Stadtverordneten- eollegium zur Initiative innerhalb Sachsen» zu bewegen. Am l. März wurde bei überfüllten Tribünen von sämmtlichrn anwesenden 52 stimmberechtigten Stadtverordneten die be kannte, von Biedermann verfaßte Adresse an den König einstimmig angenommen. Zn der Adresse, der sich auch der Rath anschloß, wird gebeten um „die Berufung von Bertretern sämmtlichrr deutscher Bölter an den Sitz Les Bundestages, um diese hohe Versammlung mit der moralischen Macht eines öffentlich ausgesprochenen und verkörperten Nalionalwillens zu umgeben, um jenen Zu sammenhang zwischen ihr und der Nation herzustcllen, der jetzt so oft vermißt wird, um ihren Beschlüssen eine sichere Grundlage und einen starken Rückbalt in dem Bertrauen und den Sympathien aller deutschen Völker zu geben und dem Ausland- zu zeigen, daß Deutschlands Fürsten und Böller emS sind in dem Entschlüsse, jeden fremden Angriff und Einfluß auf Deutschland abzuwehreu". Sie schließt mit den Worten: „Wir haben geglaubt, eine heilige und unabweis bare Pflicht zu erfüllen, Ew. Majestät unsere Anliegen und Wünsche in Betreff der großen Nationalintereffen unseres Vaterlandes vertrauensvoll vorzutraaen." Diese Adresse fand bei Leipzigs Bevölkerung allenthalben freudigen Widerhall. Mit zahlreichen Unterschriften versehen, wurde am 5. März den beiden städtischen Körperschaften eine Zustimmungsadresse übergeben: „ Deutsche wollen wir sein und bleiben; wir mißgönnen nicht dem Franzosen seine Freiheit und dem Russen seine Länderweiten. Wir wollen *) Nach seinem im Verein« für die Geschichte Leipzigs gehaltenen Bortrage. Montag den nichts al» Deutschland- Unabhängigkeit und Stärke. Deutsch land muß stark und mächtig sein! — — Fahren Sie fort» auf dem eingeschlagenen Wege nach diesem Ziele zu wirken, stehen Sie mutbig und fest auf dem Boden der Ordnung und Freihrit. Die Bevölkerung Leipzig« steht hinter Ihnen und hinter uns das deutsche Volk. Nur eins wollen wir alle: Unabhängigkeit Deutschlands nach außen, Ordnung und Freiheit nach innen." Auch der Rector der Universität bekennt in einer Ansprache an die Studirenden, daß er mit dem wesentlichen Inhalte der Adresse übereinstimmt. Die Studentenschaft antwortete in einer Eingabe, daß man der Verwirklichung von staatlichen Zuständen entgegen gehe, „deren ideale Auffassung das schöne Vorrecht der Jugend und insbesondere des deutschen StudententhumS ist". AuS allen Tbeilen des Landes erschienen Dank adressen: auS Zwickau, Meißen, Borna, Freiberg, Colditz, Mügeln, Strehla, Oberbobritzsch, Oederan, Pulsnitz, Roß wein, Tharandt, Lichtenstein. Die Städte Chemnitz, Zwickau, Crimmitschau, Werdau, Dorna, Glauchau, Meerane, Lichtenstein, Buchholz, Schwarzen berg, Oschatz schloffen sich der Leipziger Adresse an oder sendeten Adressen in gleichem Sinne ab. Auch im Auslande erregte die Leipziger Adresse Auf sehen. So schreiben die Times: „Unter den zahlreichen Adressen, die in Deutschland jetzt entstanden sind, haben wir keine mit mehr Interesse gelesen als die, welche die städtischen Be hörden Leipzigs an den König gerichtet haben. Ihre Sprache ist sehr beachlenSwerth." Nur in Dresden verhielt man sich ablehnend, so daß Biedermann den Dresdnern zuruft: „Mitbürger! Man hat unS und unsere Bestrebungen aufs Schnödeste bei euch ver leumdet, man bat euch glauben zu machen gesucht, wir wollten Ungesetzliches, Umsturz der Verfassung, wodl gar VeS Thrones. Laßt diese kleinliche Eifersucht, die leider so oft unsere beiden Städte getrennt hat, jetzt in diesem großen und ernsten Augenblicke, wo eS sich um die Geschicke wachsens, Deutsch lands handelt! — — Bittet mit unS, daß Sachsen bald, ehe eS zu spät wcrd, eine wahrhaft deutsch^ Politik ergreife! Mitbürger! Wir reichen euch die Hand in ehr licher, patriotischer Absicht; werdet ihr sie zurückstoßen?" Schon am 16. März kann auS Dresden berichtet werden: „Mit vonnerndem Beifalle wurde der Stadt Leipzig und der guten deutschen Sache manch schallendes Vivat gebracht." Da» hinderte freilich nicht, daß einige Monate später der Dresdener Abvocat Häpe den Leipziger „hochachtbaren Rath" beschuldigte, daß „er seine« Amtes auf so rätbselhafte Weis« 14. Marz 1898. warte. Die Regierung müsse auftreten unter den Beamten und mit unaachsichtlicher Strenge genaue Pflichterfüllung fordern. Sie müsse bei dem widerspenstigen Bürgermeister und seiner ganzen Sippschaft anfangen." DaS Privilegium de« „Ungehorsam«" und des „TreudrucheS" könne man nicht mehr dulden, und — Herr Häpe will nicht eher schweigen, bi« „diese Anarchie" aufhört. . , Währenddessen schlug die nationale Begeisterung in Leipzig immer höhere Wellen. , „ „ Der akademischeSenat betonte in einer eigenen Adresse an den König die Notbwendigkeit, einer „kräftigen Vertretung der Einheit deS deutschen Volkes, damit seine Nationalität und sein Gesammtgebiet unverletzt erhalten werde." Am 20. März brachte die in Leipzig bei Brockhaus er scheinende „Deutsche Allgemeine Zeitung" einen Aufruf: An Deutschland. Wach auf, wach auf, mein Vaterland, Und sei du selber wieder; Der Tag bricht an im deutschen Land: Nun schüttle deine Glieder! Ein Wort ergreift dir Herzen noch. Ein Wort voll heil'gen Lebens: Mein altes Deutschland lebe hoch, Du Mutter meine- Lebens. Dreistrahlend Banner, hoch und gut, Du kennst nicht Furcht noch Reue: Schwarz ist der Ernst und roth der Muth, Und golden ist die Treue. Du Doppeladler hebe dich Und schärfe deine Klauen, Das alte Reich ermanne sich; Wir wollen'- wieder bauen. Mein Vaterland, du bist das Licht, Das leuchten soll der Erde; Drum festen Schritts und wanke nicht, Daß Tag auf Erden werde! Nun denk' an deinen alten Ruhm An deines Naiven- Ehre, An deiner Größe Heiligthum, An deiner Einheit Wehrei Nicht folge fremder Meisterschaft, Du mußt dich selber fassen: Dem Recht und deiner guten Kraft! Gott wird dich nicht verlassen. Von nun an nahmen die Leipziger Vereine die Leitung der Bewegung in die Hand. 92. Jahrgang. „ AuS den Versammlungen im Schützenhause entwickelte sich der BaterlandSverein. In seinem Aufrufe bezeichnet er Len „deutschen Reichstag" als eine der wichtigsten poli tischen Fragen, deren Lösung erstrebt werden müsse. Anfang April trat der neugegründete „Deutsche Verein" mit seinem Programm vor die Oeffentlichkeit: „Die Mitglieder des Vereins bekennen sich zu der Ueber- zeugung, daß für die Gestaltung und Erhaltung eines einigen, freien und starken Deutschlands die sicherste Gewähr geboten werde: durch einen Bundesstaat mit volksthümlichem Parlament, der die Gesammtheit des deutschen Vaterlandes umfaßt, und in den einzelnen Staaten durch constitutionelle Monarchie auf breitester demokratischer Grundlage". Der constitutionelle Verein fordert „die Einheit des gesammten Deutschlands unter einer gemeinschaftlichen höchsten Staatsgewalt, bestehend aus einem Oberhaupt? mit verantwortlichem Ministerium, aus einem Hause der Fürsten und einem Hause des Volkes". Der republikanische Club verlangt „ein demokratisches Parlament zum Besten der deutschen Einheit". Der kirchliche Verein für alleReligionSbekennt- nisse erwartet von den zu Frankfurt versammelten Volks vertretern „den Grundriß einer neuen deutschen Verfassung, die Grundsteinlegung der deutschen Einheit." Der Waffenübungsverein hält eS für eine unab weisbare, heilige Verpflichtung, auf eine Wehrhaftmachung aller deutschen Männer hinzuweisen, „zum Schutze des ge meinsamen Vaterlandes und zur Ehre des deutschen Namen«." Selbst die in Leipzig wohnenden Preußen vereinigten sich. Sie bedauern in einer Adresse an ihren König, „daß die Bajonette deS intelligenten Preußens gegen ihren jetzigen Wohnort drohend gerichtet wurden, weil ihre sächsischen Brüder zu Leipzig mit männlichem Muthe und unbeugsamer Festigkeit die nolhwendigsten Forderungen der Gegenwart er kannt und ausgesprochen haben." Sie wollen „die gekränkte Ehre Preußens ihren Leipziger Brüdern gegenüber dadurch retten, daß sie im Sinne deutscher Auferstehung in allen Gauen ihres GesammtvaterlandeS an Se. Majestät ihre Wünsche um die höchsten Güter eines verjüngten ÄaterlandeS unterthänigst richten". Die Wahlen zur constituirenden Versammlung in Frank furt veranlaßten die einzelnen Vereine zur Aufstellung aus führlicher Programme. Sowohl der deutsche Verein, als auch der Vaterlandsverein fordern in ihren Wahl mani festen: Herstellung einer einigen und kräftigen Vertretung Deutschlands nach außen, Herstellung der inneren Einheit Deutschlands, Einheit der Gesetzgebung, Einheit der bewaff- FauiHeton. Metternich's Ende. Ein Skizzenblatt zur Erinnerung an das Jahr 1848. Bon Norbert Oberhuber. Nachdruck drrboien. Dreißig Jahre lang hatte Fürst Metternich alle Mittel einer kunstvollen und verschlagenen Politik in den Menst der Be kämpfung der Revolution gestellt, der Europa zuerst im Jahre 1789 in das schreckensvolle Antlitz geblickt hatte. Erst war er gegen den gefürchteten Feind angriffsweisr vorgegangen: all mählich war er älter und ruhiger geworden. Ein vollendeter Skeptiker, glaubte er an nichts; ein echter Lebemann, wollte er seine Tage in Schönheit und Luxus genießen. Wenn je in seiner Seele ein Feuer gebrannt, ein Eifer für diese oder jene Idee sich gerührt hatte, — nun lag das Alles weit, weit hinter ihm und war in einer kühlen Lebensweisheit erstarrt. Nein, er glaubte an nichts mehr. Bölkerfreihrit — Einigung Deutschlands — Fortschritt: es war seine ehrliche Ueberzeugung, daß an alledem nichts war. Einst, in den Zeiten deS Kaiser- Franz, hatte er selbst manche Maßregel zu bureaukratisch und zu eng gefunden. Nun war er auch darüber lange «hinweg. Er wußte, mit wie wenig die Welt zu regieren war; er bekannte sich ehrlich als Egoisten und sah auch hinter dem revolutionären Drange nur Egoismus und Egoisten, mit denen er sich wohl leicht würde abfinden können; Gold und Macht lockten gewiß auch sie, und er selbst, der Fünfundsiebzigjährige, hatte ja kein anderes Interesse mehr, als die Herrschaft, deren Besitz ihn als einen überlegenen Geist reizte, für den Rest der Tage ruhig zu be haupten. Wohl fühlte er zuweilen ein rauheres Lüftchen durch die Schreibstubenatmosphäre seiner Politik fahren. Selbst in der Hofburg, der geheiligten Stätte seiner Allmacht, regte cs sich zuweilen. Da war di« Erzherzogin Sophie, Mutter eines künftigen Kaiser-, des Erzherzogs Franz Josef, die dringend zu Concessionen an den „Geist der Zeit" rieth und davor warnte, über Kleinem nicht Großes zu verlieren. Und da war in dem Dreiercolleaium der Staatsconferenz, die di« wahre Regierung des Kaiserstaates bildete, der Gras Kolowrat, der den Forderun gen der Erzherzogin, wenn auch vorsichtig, 'beitrat. Aber der große Skeptiker wollte von einem neuen Zeitgeiste nichts wissen und hielt am Alten fest. Auf einmal aber wurde das Lüftchen zu einem mächtigen Windstöße, der all' die Thüren der Ministerien und Staats kanzleien, all' die Thüren der alten Hofburg gewaltsam sprengte und das Leben des 2ag«s in das sorgsam abgesperrte Revier hineinwarf. Die Nachricht von der Pariser Revolution und dem Sturze Ludwig Philipp'« flog mit Windeseile durch ganz Wien. Sie drang bei dem Staatskanzler ein, und r» heißt, daß er eine ganze Weile wie versteinert dagesessen habe, als vor ihm das Banquo-Haupt auftauchte, in das er «unc> 1789 zuerst geblickt. Sie drang in die entlegenen Ge mächer de« armen Kaiser» Ferdinand, der durch sein« Krank heit thatsächlich regierung-unfähig war und seine Tage mit harmlosen Liebhabereien auSfüllte; und allerlei blutige SchreckenS- bilder stiegen dunkel vor ihm aus, und er nahm seine Stellung zu den Dingen, indem er bedächtig zu seinem Kammerdiener sagte: „Ich laß nit schießen". Tie drang zur Erzherzogin Sophie und veranlaßte sie, mit verdoppelter Energie ihre For derungen vor der Ttaat-conserenz zu vertreten; aber Metternich und der Erzherzog Ludwig überstimmten den Grafen Kolowrat und die Erzherzogin rief zornig: „Man will also meinem Sohne das Schicksal des Herzogs von Bordeaux bereiten!" Sie drang endlich auch in die Wiener Bevölkerung und ries ein vielfaches Summen und Kopfschütteln und Fragen hervor. Gab es nun Krieg mit dem rebellischen Frankreich, wie vor jenen 60 Jahren? Nein, es blieb Alles ruhig und kein Corps rückt« ins Feld. Wohl aber zündete der Pariser Blitz hier und dort in Deutschland und Feuer und Rauch bezeichnete seinen Weg. Da kam den Wienern, allmählich nur, zaghaft, der Gedanke, auch für sie könne die Stunde geschlagen haben, den Druck zu lösen, der hier schwerer und drückender, als irgendwo sonst in Deutschland, lastete, der alles gesunde öffentliche Leben unterband, jede Regung unter staatlich« Controlle stellte. Sie waren gewiß nicht revolutionär, die Wiener; hätte es selbst in ihrer Art gelegen, sie hätten, durch eine lange Bevormundung erschlafft, gar nicht die Kraft zu einer Revolution gehabt. Aber die Censur wollten si« gern los sein und die Polizeifaust Sedlnitzky's; und wenn der Bundestag selbst dir Initiative für die „deutsche Sache" ergriff, dann durfte man doch gewiß die Wünsche für das deutsche Vaterland und Oesterreichs Anschluß daran auSsprechen, die auch hier lebten. In diesem Sinne wurden nun die ersten Adressen an die Krone gerichtet. Und kaum hatte die Wiener Bewegung diesen gemäch lichen Gang verlassen, hätten nicht zwei Elemente dem leichten Balle ein Schwergewicht gegeben: Das Proletariat und die Stu denten. Unter Metternich's Polizeiherrschaft hatte sich ein un zufriedenes grollendes Proletariat in Wien gebildet, das nur auf den Moment wartet«, seinem Hasse Ausdruck zu geben. Me Studenten aber, voll von all' jenen Ideen und Idealen, die in diesem „tollen Jahre" eben in der Luft lagen, waren lange der Enge überdrüssig, in die man daS junge Volk gewaltsam sperrte, hatten keine Lust, sich noch weiter allsonntäglich zum Kirchen besuche zu melden, wollten lesen können, was sie mochten, brüteten in geheimen Conventikeln über Revolutionsplänen, wie sie eben dem jugendlichen Geiste angemessen schienen, und dachten an re volutionäre Organisationen nach dem Beispiel der Italiener. Und so declamirten verschwörerische Studenten, murrten zornig« Arbeiter, hofften wohlmeinende Patrioten, warnten die Freunde de» Kaiserhauses, und all' da» brodelte schwer und trübe durch einander, al» am 13. März in der Herrengasse zu Wien der niederösterreichische Landtag zusammentrat. * - Fürst Metternich verhandelte gerade mit einem preußischen Diplomaten, als ihm gemeldet wurde, daß auf den Straßen lebhafte Unruhe herrschte. „Was gebt das mich an?" sagte er; „das gehört nicht in mein Ressort/ Er verließ sich auf die Maschine, die er gebaut hatte, und die auch für solche Fälle berechnet war. Er verließ sich auf sein Lebenswerk, und es lag Stärke und Haltung in der Art, wie er es that. Nicht einen Augenblick hat der Staatskanzlrr an diesem stürmischen 13. März gezittert, nicht einen Augenblick seine Würde verloren. Er blieb Philosoph bis zum letzten Augenblicke, und als er den Thron umgeworfen sah, auf dem er ein Menschenalter hindurch und länger gesessen hatte, öffnete er die Thür und ging gelassen von dannen. Ob er wohl so ruhig gesagt hätte: „Das geht mich nichts an", wenn er einen Blick in den Hof des Ständehauses geworfen hätte? Da standen sie zu Hunderten und Tausenden, Studenten und Bürger. Sie hatten das Gefühl, daß etwas ge schehen solle; aber Ne wußten nicht recht: WaS? und wußten nicht: Wie? Sie Lörten allerlei Redner, die Freiheiten ver langten, und sie riefen mit ihnen nach Freiheiten. Dann aber wiederholte ihnen Siner di« Flammenworte, die Koffuth im ungarischen Reichstage gesprochen hatte, und sie zündeten hier, wie sie in Preßburg gezündet hatten, und ihr Wille bekam all mählich Form und Richtung, und „Constitution!" scholl es, und „Fort mit Metternich!" Lauter und lauter: „Fort mit Metter nich!" Allgemach steigt die Stimmung und die Köpfe werden heißer. Da fällt in die erregt« Menge die Nachricht, die Deputation werde von den Ständen gefangen gehalten. Es ist der Funke, der ins Pulverfaß fällt. Mt einem Schlage sind die Pforten gesprengt, tobend stürmt die Menge die Treppen hinan, bricht in den Sitzungssaal ein. Me Sitzung kommt zu einem unerwar teten plötzlichen Ende und eilfertig entfernt sich eine Deputation zur Hofburg, die „Wünsche des Volkes" zu überbringen. „Das Ständehaus ist gestürmt", fliegt es durch die Stadt. Nun erst geräth sie in Gährung. Aus den Vorstädten strömen die Arbeiter heran. „Nieder mit Metternich!" dröhnt es durch ganz Wien; „Nieder mit Metternich!" braust es vor seinem Ministerium. Wilde Massen füllen die Straßen, mühsam nur drängen sich die Patrouillen und Colonnen durch sie hin durch. Erzherzog Albrecht führt die Truppen zum Ständehause. Schreie und Zischlaut« empfangen sie; Steine und Trümmer von zerstörten Geräthen fliegen auf sie nieder, der Erzherzog selbst wird getroffen. Und da geschieht es, wie drei Wochen vorher in Paris, — «ine Salve g«ht los, mehrer« Tode bedecken den Platz und heulend weicht die entsetzte Menge. Weicht, um sich nun erbittert zur Wehr zu setzen. Hier und dort kommt es zu Zusammenstößen, Barrikaden erheben sich, Ca- vallerie reitet in die Menge hinein, die dumpfen Schläge der Trommel rufen das Bürgrrcorps zur Versammlung, di« Stu denten versammeln sich in der Aula und beschließen eine neue De putation mit ihren Forderungen in die Burg zu senden. Das friedliche, gutmüthige, lebensfrohe Wien ist überraschend ver ändert und mit jeder Stunde steigt jenes dumpfe Brausen, das in diesem Jahre 48 so ost die Städte erfüllte und für Hunderte und aber Hunderte ein mächtiges Todtengeläut bedeuten sollte. * ' Auch in die stillen Gänge und Gemächer der Burg, in denen Trabanten in altspanischer Tracht würdevoll Wache halten, ist das Brausen gedrungen. Es herrscht ein emsiges unruhvolles Kommen und Gehen, die Staatsconferenz und der Familienrath tagen, die Deputationen sprechen und warten, die Erzherzöge schwanken und von draußen dringt das verhängnißvolle Knattern von Flintenschüssen und der Lärm der stets wachsenden Menge auf dem Platze vor dem Palaste heran. Die Stimmungen jagen sich. Bald werden die Deputaten hart angelaffen; bald versichert der präsumtive Thronfolger, Erzherzog Franz Karl, auf sein Wort als ehrlicher Mann, es seien Concessionen im Werke; bald räth wieder einer der Prinzen zur Anwendung energischster Ge walt gegen die Empörer. Eines aber, so viel wird mit jeder Minute klarer, ist vor Allem nöthig: eiliger Entschluß. Denn schon greift das Proletariat rauh rin, klirren die Fenster der Hofburg von zahlreichen Steinwürfen, sind öffentliche Gebäude erstürmt und verwüstet, ist Metternich's Villa am Renmvege in eine wüste Stätte verwandelt worden. Und in das Dunkel der schnell herabsintrnden Märznacht lohen riesengroß die Flammen säulen, die auS den von den Empörern aufgeriffenen Gasleitungen aufsteigen. „Was wollen Sie eigentlicb?" fragt der Graf Hartwig den Führer der Bürgercorps-Dcputation. „Den Rücktritt Metter nich's", ist die Antwort. Das Wort ist gefallen, das Unerhörte geschehen. Zwar wird das Verlangen noch mit Entrüstung zuriickgewikscn. Der Staat»kanzler selbst erscheint, kühl und vornehm wie immer, er verhandelt mit den Deputationen, er glaubt nicht an eine innere Kraft des Aufstandes, er hält ihn für das Werk fremder Zettelungen. Aber die, denen er sich gegenüber sieht, sind zweifellos Mitglieder des guten Bürger- thums, und ihre Sprache ist fest urtd entschlossen, ihre For derungen sind bestimmt und sie erklären, wenn man sie nicht bewilligen wolle, keinen Auftrag weiter zu haben und so sich zu entfernen. Aber man hält sie zurück. Me Situation erscheint doch zu bedenklich; man wird sich zu Concessionen verstehen müssen und so will man denn die verhaßte Censur preisgeben. Als sich dir Staatsconferenz hierzu entschlossen hat, begiebt sich Metternich in einen Nebenraum, um die- Verordnung abzufassen. Da hört er sagen: „Metternich muß zurücktreten", und wieder: „Metternich muß abdanken." Was noch vor einer Stunde als unerhörte Dreistigkeit abgewiesen worden war, wird jetzt von den Regierenden besprochen, verlangt, — ohne Widerspruch verlangt. Da weiß der Staatskanzler, woran er ist. Er hört da» Glöcklein klingen, das früher oder später jeder menschlichen Macht einmal läutet, und ruhig legt er das Papier zur Seite und tritt in den Saal zurück. . . . Kurze Zeit später werden die verschiedenen harrenden Depu tationen zum Staatsrath beschieden. T>er Saal ist voll von Studenten und Docenten, Bürgern und Ministern, Staatsräthen und Prinzen. Metternich tritt hervor und mit würdevoller Ruhe erklärt er, da nur sein Rücktritt, wie behauptet werde, die Ruhe wieder Herstellen könne, so „effectuire ich denselben mit Freuden. Ich wünsche Ihnen Glück zur neuen Regierung, wünsche Oester reich Glück." Einer der Deputirten antwortet, nicht gegen sein« Person, nur gegen sein System richte sich ihre Gegnerschaft, und schließt mit einem Vivat auf Kaiser Ferdinand. Dann eilen sie aus dem Palais. „Metternich ist gestürzt", rufen sie der Menge zu. Ein Freudenschrei antwortet ihnen. „Metternich ist gestürzt", wälzt es sich durch ganz Wien, und Freudenlichter flammen allenthalben auf und ein ungeheurer Jubel erfüllt di« Kaiserstadt. Tief in die Nacht hinein jubelt sie und hoch gehen di« Wogen der Begeisterung. Still hatte Fürst Metternich das hohe Gemach verlassen und auf Umwegen und in Verkleidungen flüchtete er ins Palais Liechtenstein, zum Bahnhofe, nach Prag und nach Olmütz. Er hatte in einer langen Lebensarbeit keinen Segen gestiftet, aber als ein Mann hatte er sich bewährt. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte er gesehen, wie ihn seine eigenen Kreaturen ver ließen, und mit Würde den Platz geräumt. Er durfte an diesen 13. März mit Ruhe zurückdenken, und er hat noch manches Mal mit skeptischem Lächeln an ihn zurückgedacht, als er, nachdem der Sturm verrauscht war, auf dem sonnigen JohanniSberge, wo Deutschlands edelster Wein wächst, die stillen Tage seines Alters verlebte. Ein Lebenskünstler war er noch immer und schlürfte sein Dasein noch immer mit behaglichem Genüsse. Kam ein Besucher, so freute es ihn, von alten Tagen erzählen zu können; und so war er auch gar munter und gesprächig, al» von Frankfurt aus der preußische BundeStagsgesandt«, Herr von Bismarck, ihn aufsuchte. Aus den Kelchen der Römer stiegen da di« Geister einer alten und einer neuen Zeit auf, die Geister des Vormärz und des jungen Deutschlands, und sahen einander verwundert an, zwei höchst unähnliche Kinder desselben Jahrhundert».
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