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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.03.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980316018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898031601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898031601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-16
- Monat1898-03
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Größere Schriften laut unser«« PretL verzeichniß. Tabellarischer und Ztffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit d«r Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung ^4 70-—. Annahmeschluß fiie Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. Morge n«Au»gabe: Nachmittag« 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an dl« Expedition zu richt«». Druck und Beklag von E. Polz in Leipzig. -U 13t. Mittwoch den <6. März 1898. 92. Jahrgang. Zocialdemokratische Agitation. Die „Leipziger Volkszeitung" bat die Verurtheilung deS Raubmörders Bäurich als eine willkommene Gelegenheit zu einer Anklage gegen die „Gesellschaft" benutzt. Die Art, in der das geschieht, wird Den nicht in Erstaunen setzen, der weiß, wie konsequent die socialdemokratischen Agitatoren ihre An hänger dadurch zu ködern suchen, daß sie den Einzelnen von aller Verantwortung entlasten und für seine Thaten oder Unthaten, für fein Wohlbefinden oder sein Uebelbesinden die „Gesellschaft" verantwortlich machen. Eine gewisse Eigenart bethätigt die „Leipz. Volkszeitung" bei ihrer „Verwendung" des Falles Bäurich aber doch: sie verräth nämlich selbst, daß ihr die bessere Einsicht in die Welt der Thatsachen keineswegs ganz verschlossen ist. DaS hindert sie aber nicht, nach bekanntem Nccept ein kräftiges Hetztränklein zu brauen und zu ver zapfen. Die Hetzerei findet der bedauernswerthe Leser auf Seite 3 der Nr. 59 vom 14. März, die Einsicht auf Seite 4 derselben Nummer. Wir stellen beide Auslassungen neben einander; sie lauten wörtlich folgendermaßen: „Die Schuld fällt auf dieGesellfchaft zurück. Am Sonnabend wurde der Markthelfer Bäurich wegen schweren Raubes vom Leipziger Schwurgericht zu lebenslänglichem Zuchthause ver- urtheilt. Aus lebenslängliches Zuchthaus wurde erkannt, weil Bäurich als ein moralisch ver- kommener, in hohem Grade gemeingefährlicher Mensch zu betrachten sei, den auch eine zeitliche Strafe nicht bessern könne. Bäurich ist erst 23 Jahre und hat stets ein unstetes Leben geführt. Gestern hatte er Arbeit, heute erwarb er sich seinen Lebens unterhalt mit Bettelei. Und stets in Gesellschaft von in ähnlicher Lage befindlichen Elementen, war es so nur erklärlich, wenn der junge Mensch sittlich verwilderte und schließlich so tief sank, daß er nun seine Lebensbahn im Zuchthause beschließen muß. Die satte Bourgeoisie wird natürlich ob der schändlichen That wieder in sittlicher Entrüstung überfließeu und ihre Befriedigung aussprcchen über das Verbiet der Ge schworenen. Aber mußte es denn so sein? Wer will be haupten, daß Bäurich nicht auch ein festes Glied in der Kette der menschlichen Gesellschaft geworden wäre, wenn er in ein anderes sociales Milieu versetzt worden wäre als in das, in dem er als Verbrecher und Zuchthäusler endet? Schon Robert Owen hat vor mehr als 70 Jahren die Wahrheit erkannt, daß der Mensch das Product der ihn um gebenden Verhältnisse ist. Aber hartnäckig sträubt sich die Gesell- schall gegen diese Erkenntniß. Und nicht nur das. Sie verschlechtert noch die bestehenden Zustäube und züchtet so Verbrechen und Ver brecher! Was hat die bürger liche Gesellschaft bisher schon gethan, um die socialen Verhältnisse der arbeitenden Cl ässe zu bessern? Für die gesell- schaftliche Misere hat sie nichts als schöne Pflästerchen ge- habt und salbungsvolle Worte. Vater und Mutter in der Fabrik, die Kinder sich selbst überlassen und den Gefahren der Gasse überantwortet, so wird schon in der Jugend der sittliche Halt gelockert in einer Weise, daß auch ein überdies vielfach noch mangel hafter Volksschulunterricht da „Die Verkehrslocale des Bäurich. Wie der Verbrecher großen Stils, der feine Gauner, der Hochstapler im eleganten Ueberrock und seidenem Cylinder seine glänzenden CasSs, seine vor nehmen Hotels zweiten, dritten Ranges, so haben natürlich auch Gesellen wie der verurtheilte Mörder Bäurich ihre eigenen Verkehrslocale, ihren Bau, in den sie sich zurückziehen, wohl wissend, daß man darin hübsch unter sich ist, daß einen von den drei, vier vorhan denen Tischen herüber nur be- kannte oder doch wenigstens verwandte Gesichter grüßen. Selbst dem Einheimischen in der Regel nur vom Hörensagen bekannt, liegen diese engen dürftigen Buden und Kasfeeklappen meist in irgend einer dunklen winkeligen Gaffe, versteckt, verborgen, so daß sie dem Passanten beim spärlichen Licht der Gaslaternen kaum ins Auge fallen. So das im Bäu- rich'schen Proceß erwähnte G.'sche Local mit dem stolzen Namen Restaurant in der KleinenFleischer- gasse, so die W.'iche Kaffeestube, beide in trauter Nähe jener alten Leipziger Häuser mit dem schmalen vorspringenden Erker, mit der niedrigen vergitterten Eingangs- thür, durch deren Milchglasjcheibe lockend ein schwacher gelber Lichtschimmer dringt. Ob aber Restaurant oder Kaffee stube, wie von außen, so auch innerlich dasselbe Bild. Ein enger von Bierdunst und Tadaksqualm erfüllter Raum, mehr lang als breit; an den Wänden Placat neben Placat, in einer Ecke der Musikautomat, den von Zeit zu Zeit ein musikliebender Gast oder auch der Wirth seine Melodien spielen läßt. Und zwischen den dichtbesetzten, eng bei einander stehenden Tischen, aus denen zu vorgerückter Stunde der eine oder andere sein müde- Haupt hernieder- sinken läßt, bewegen sich, von allen Seiten stark in Anspruch ge- nommen, die nicht mehr allzu jugendlichen Kellnerinnen, Apfel- sinenverkäufer, die mit Zahlen beschriebene Kärtchen zur Ver- loojung auSbieten, der Würstel- mann mit seinem gewaltigen Blechkasten und andere mehr. Und doch, trotz diese- im All gemeinen überall gleichen Bildes, hat das eine oder andere Local gegen keine Wehr bildet. Wenn ein solcher junger Mensch dann aus der Schule entlassen und, was doch in der Regel der Fall ist, aus eigene Füße gestellt wird, dann ist eS sehr schwer, den Lockungen zu widerstehen, die in die Arme des Verbrechens und zum völligen sittlichen Untergang führen. Aber nicht genug damit! Nicht nur durch ihr passives Ver- halten züchtet die herrschende Ge- jellschaft Verbrechen, sondern sie thut dies auch activ. Unsere sächsi schen Reactionaire sind jetzt daran, das Vereinsgesetz zu ver schlechtern durch Ausscblußder Minderjährigen aus Ver sammlungen, die sich mit öffent lichen Angelegenheiten beschäftigen. Dadurch werden sie aber nicht nur aus politischen Versaminlungen serngehalten, sondern es wird ihnen die gewerkschaftliche Orga nisation geradezu unmöglich gemacht. Aber gerade die Arbeiter organisationen üben einen eminent erziehlichen Einfluß aus die Mit glieder im Allgemeinen und auf die jugendliche» Elemente im Be sonderen. Aus den Reihen der organisirten Arbeiter erstehen der Gesellschaft keine solche gemein gefährlichen Menschen, deren sie sich nur durch das Zuchthaus er wehren kann. Der geplante Aus schluß Minderjähriger aus Ver sammlungen ist nicht nur ein Attentat an den Arbeitern, son dern auch ein Verbrechen an der Gesellschaft. Gewiß würeBäurich nicht ein solch verlumpter Ver brecher geworden, wenn er unter dem sitttgenden Ein flüsse einer Arbeiterorga nisation gestanden hätte. Wenn deshalb die bürgerliche Ge sellschaft das Verbrechen des noch ziemlich jugendlichen Bäurich zu einem sittlichen Entrüstungs rummel benutzen will, so rufen wir diesen Pharisäern zu: Erst laßt ihr den Armen schuldig wer den, und dann überlaßt ihr ihn der Pein!" auch wieder seine Eigenheiten. So verfügt das G.'sche Restaurant z. B. noch über ein besonderes Hinterzimmer, das aus den kleinen schmutzigen Hof hinausgeht und vielleicht alS das Herrcnstüble oder das Zimmer der Honoratioren anzusehen ist. So läßt die ... . allabendlich ein besonderes Orchester ausjpielen, so hat die ...., inneren weiten Räumen um die mitternächtliche Stunde meist eine interessant ge- mischte Gesellschaft anzutreffen ist, ihre Automaten der verschiedensten Sorte, ihre lebensgroßen Holz figuren, ihre Sammlungen von Uhren, zinnernen Kannen u. dergl. mehr. Und doch, trotz all dieser Zugmittel und Ausstattungsstücke kann ich nicht behaupten, daß ich mich im CafS .... erheblich Wohler gesühlt hätte wie im Cafö . . . . oder in einer Ecke der G.'schen Stube, wo eine etwas frei angelegte Dame in den mittleren Jahren mich beständig anseuszte: „Ach, härn Se, wenn ich doch erseht wieder nich- trrn wäre!", aber sich dessen ungeachtet weiter in ihr hohes Gosenglas vertiefte. Nun wären diese Seufzer aus schönem Munde, wenn auch nicht anheimelnd, so doch erträglich gewesen. Da hörte ich plötzlich die Nachbarn der seufzenden Gosensreundin mit dem Hinweis aus mich etwas wie „Schmiere stehen" flüstern. „Ich, Schmiere stehen?" wiederholte ich in Gedanken; zu den zahlreichen problematischen Naturen, deren zweifelhaft schielende for schende Blicke ich diesen Abend bereits in den verschiedensten Localen nicht gerade als eine Annehmlichkeit empfunden hatte, dazu jetzt noch Liese Einreihung unter die Zünftigen? DaS war mir denn doch zu viel; und nachdem ich Rest getrunken und meinen Nickel auf den Tisch ge- worfen, schlich ich aus dem sehr animirten Kreise als ein Nüch terner heimlich von dannen." Die Einsicht in die thatsächlichen Verhältnisse läßt also die „Volksztg." sagen, Bäurich habe sich in Verkehrslocale zurückgezogen, wo er und seines Gleichen wußten, sie seien „bübsch unter sich", unter „Zünftigen"; das Hetzbedürfniß läßt sie, wenn auch nicht direcl behaupten, so doch unver kennbar andeuten, die bürgerliche Gesellschaft habe ihn in ein sociales Milieu gestoßen, in dem er als Verbrecher und Zucht häusler enden mußte. Die Einsicht läßt sie zugestehen, daß Bäurich der Schmied seines Unglückes war, das Hetzbedürfniß legt ihr die Anklage in den Mund, dieser Schmied sei die die bestehenden Zustände noch verschlechternde und so Verbrechen und Verbrecher züchtende Bourgeoisie. Das Hetzbedürfniß über sieht bei dieser Anklage völlig, wie inkonsequent es verfährt. Es leugnet beim Verbrecher mit der Schuld die Freiheit deS Willens, während es bei der bürgerlichen Gesellschaft die Willensfreiheit voraussetzt, um eine Schuld construiren zu können. Es fällt uns nicht ein, zu leugnen, daß das Bürger- thum gar Manches unterläßt, was die „gesellschaftliche Misbre" bessern und namentlich den jugendlichen Arbeiter vor Ver suchungen der schlimmsten Art schützen könnte. Wir behalten uns vor, in den nächsten Tagen auf diese Unterlassungssünden näher einzugehen. Aber jedenfalls können diese Unterlassungs-- sünden nicht so groß sein, wie das Verhetzungsbedürfniß der „L. Volksztg." sie schildert, sonst würde der „Fall Bäurich" nicht ein seltener Einzelfall sein und müßten aus dem „socialen Milieu", in dem er lebte, nur Verbrecher seiner Art herauswachsen. Und jedenfalls ist es eine der ersten Pflichten des Bürgerthums, die Arbeiterjugend mög lichst dem Einflüsse von Hetzern zu entziehen, die trotz ihrer besseren Einsicht dem Arbeiter einzureden suchen, er sei das willen- und schuldlose Product der ihn umgebenden Verhält nisse, während die Gesellschaft diese Verhältnisse absichtlich verschlechtere und deshalb an ihnen und den aus ihnen her vorgehenden Verbrechen die Schuld trage. Wenn irgend etwas Verbrecher und Verbrechen züchtet, so ist eS diese bewußte Entstellung. Sie erlödtet in sittlich nicht gefestigten Ele menten den Willen zum Guten nnd läßt sie die verlockende Gesellschaft der „Zünftigen" suchen; sie bildet den Nähr boden für jene von Haß gegen die Gesellschaft erfüllte Schicht, die ihre verbrecherischen Neigungen dieser Gesellschaft als Schuld ausbürdet und sich womöglich noch als Rächer dieser Schuld brüstet. Wir empfehlen diese neueste Leistung des socialdemokratischen Blattes besonders der Aufmerksamkeit der geistlichen Mit glieder der national-socialen Partei. Vielleicht finden sie, daß sie von der Socialdemokratie denn doch noch durch etwas Anderes getrennt werben, als durch deren Mangel an Nationalgefühl; und vielleicht kommt ihnen zum Bewußtsein, daß sie der unverdorbenen Arbeiterjugend gegenüber eine Pflicht erfüllen, wenn sic nachdrücklich auf die verderbliche Wirkung jener bewußten Entstellung Hinweisen, die den Ver brecher als willen- und schuldloses Opfer deS böswilligen und schuldbeladenen Bürgerthums erscheinen zu lassen sucht. Deutsches Reich. L2 Berlin, 15. März. Wir haben dieser Tage den Be richt der „StaatSbürgerzeilung" über eine in Berlin ge haltene Rede des antisemitischen Reichstagsabgeordneten Werner wiedergezeben. Herr Werner hat in dem Bericht „mancherlei Ungenauigkeiten" gefunden und schreibt dem ge nannten Blatte, was er, sei es gesagt hat, fei es gesagt haben möchte. An dieser Berichtigung ist vor Allem interessant, was nicht darin steht. Der Antisemitenfüdrer leugnet nicht, die Conservativen als eine Partei „ohne jede Spur von Ueberzeuzung", als „offene Feinde, denen man mit aller Schärfe entgegentreten muß", bezeichnet zu haben. Im Gegentheil, er bekennt sich zu diesen Aeußerungen, indem er in seiner Berichtigung die Conservativen nicht weiter erwähnt als an einer den Bund der Landwirthe betreffenden Stelle. Herr Werner will nicht gesagt haben, vom Bunde verspreche er sich keine Erfolge, sondern: „Vom Bunde der Landwirthe verspreche ich mir große Erfolge, wenn er sich nicht ausschließlich in das Schlepptau der Con servativen nehmen läßt." Das „ausschließlich" ist natürlich Retouche, denn der erprobte Volksfreund Werner, der seine Wähler vor allen Dingen radicaler werben sehen möchte, kann dem Bunde unmöglich auch nur ein tbeilweiles Zusammen gehen mit der Partei der Landräthe und Kopfnicker, wie er die Conservativen unwidersprochen gleichfalls genannt hat, empfohlen haben. Anscheinend ist auch der Name des Herrn Werner durch einen Mißbrauch unter den Aufruf zur Sammlung gekommen, denn er schreibt der „Staatsbürger zeitung", notL bons nach der Veröffentlichung des Aufrufes: „Die „Politik der Sammlung" ist zwar ein herrlicher Ge danke, aber wie Fürst Bismarck seiner Zeit zugegeben hat, ist derselbe leider unausführbar." Fürst Bismarck hat den Aufruf bekanntlich unterschrieben. Die Unterstellung, daß der Altreickskanzler seinen Namen bewußt und geflissentlich zu einer Farce hergegeben habe, ist durchaus würdig des Führers einer Partei, die allmählich dahinter gekommen ist, daß sich Fürst Bismarck im Grunde nur durch seine Bekannt schaft mit dem verstorbenen Herrn Gerson v. Bleichröder einen Platz in der Geschichte gesichert habe. * Berlin, 15. März. Der Abgeordnete Graf Arnim- Muskau hat jüngst bei der Beralhung der Postdampfer- Vorlage die Forderung aufgestellt, die vom Reiche mit Geld unterstützten Dampfergesellschaflen sollten ihre Ladescheine rc. in deutscher Sprache abfassen. Jetzt erhalten die „Alld. Blätter" von einem ihrer Mitglieder aus dem rheinischen Jndustriebezirk die Mittheilung, ihm sei ein in englischer Sprach abgefaßtes Rundschreiben der Hamburg-Ameri kanischen PacketfaHrt-Act ie ngesellschaft zugegangen, worauf es dieser Gesellschaft geschrieben habe, es habe keine Veranlassung, ein von einer deutschen Gesellschaft an ein deulsckes Geschäftshaus in Deutschland gerichtetes englisches Schreiben zu übersetzen; es stelle daher der Gesellschaft anheim, ihm ein Rundschreiben in deutscher Sprache zu übersenden. Darauf ist folgende Antwort des Vertreters für den ostasia tischen Dienst der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien- Gesellschaft eingegangen: „Die englische Sprache mußte deswegen gewählt werden, weil die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellichast der in England vor Jahren ins Leben geruseneo Bereinigung englischer Rhedereien, die unter ihren Mitgliedern eine Gleichheit in den Frachtraten anstrebt, beigetreten ist. Eine der Bedingungen des Beitritts war, daß die Hamburg-Amerikanische Packetsahrt-Actien- Gesellschaft den ihr bekannten Verschiffern von Gütern nach Ostasien ein dem Wortlaut und der Abfassung nach gleiches Rundschreiben sandte, wie solches von den sämmtlichen übrigen Mitgliedern der Vereinigung geschehen ist. Die« ist der Grund, weShalb die «ng- tische Sprache gewählt werden mußte." Wen soll wohl diese Begründung befriedigen? fragen die „Alld Bl.", und wir fügen auch unsererseits hinzu, daß eine solche Begründung keine Begründung ist. Daß deutsche Firmen in Deutschland mit einander zwangsweise in eng lischer Sprache verkehren sollen, ist eine Lächerlichkeit, die man weder in Frankreich noch in England verstehen würde. Um so dringender erscheint eS uns, einem derartigen Unfug durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen ein Ende zu machen. An und für sich ist es bedauerlich genug, daß daS nationale Schicklickkeitsgefühl in Deutschland erst durch Ge setzesbestimmungen anerzogen werden muß. Bei anderen Völkern ist eS angeboren und selbstverständlich. Berlin, 15. März. (Telegramm.) Der Kaiser und die Kaiserin nahmen gestern daS Mittagsmahl allein ein. Am Nachmittag begab sich der Kaiser zu Wagen nach dem Grünewald und machte dort einen längeren Spaziergang. Zur Abendtasel waren keine Einladungen ergangen. Später wohnte der Kaiser der Vorstellung im Opernhause bei. Heute Morgen um 8»/« Uhr machte der Kaiser den gewohnten Spaziergang im Thiergarten, batte demnächst eine Besprechung mit dem Staat-secretair v. Bülow und hörte darauf den Vortrag des Generals von Hahnke. (-) Berlin, 15. März. (Telegramm.) Wie die „N. A. Z." erfährt, wurde mit der Vertretung des Kaiser« bei der Walhalla-Feier in Regensburg Prinz Friedrich Heinrich betraut. Die Münchner „Allgem. Ztg." meldet gleichzeitig: Sicherem Vernehmen nach wird der Kaiser zur Enthüllungsfeier in der Walhalla nicht erscheinen. Die Ein ladung konnte mit Rücksicht auf die am 22. März in der SiegeSallee zu Berlin stattfindende Enthüllungsfeier nicht angenommen werden. (Der Prinz-Regent wird sich sicherem Vernehmen nach zur Feier nach Regensburg be geben. Red.) T Berlin, 15. März^ (Telegramm.) Die,,N. A. Z." meldet: Anläßlich des Stapellaufs der „Hansa" sendete der Hamburgische Senat an den Kaiser folgendes Telegramm: „Zu dem glücklich vollzogenen Stapellaufe deS neuen Kreuzers gestattet sich der Senat von Hamburg, seine ehrerbietigen Glückwünsche darzubringen. Der Senat ist stolz darauf, daß eins von S. M. Schiffen den altbewährten Namen der see bewehrten „Hansa" über das Weltmeer tragen wird, und wird die Fahrt dieses herrlichen Schiffes mit den herzlichsten Wünschen stets begleiten." Der Kaiser erwiderte: „Dem Senate spreche Ich für die Mir anläßlich deS Stapellaufs Meines neuen Kreuzers übermittelten freundlichen Wünsche Meinen herzlichsten Dank aus. Möge der so große Er innerungen wackrufende Name „Hansa" dem Schiffe glück bringend sein und der Allmächtige es in seine gnädige Obhut nehmen zu des Vaterlands Ruhme und Ehre und der neuen Hansa zum Schutze!" — Die „Köln. Volksztg." meldet, daß die Centrums- sraction einen neuen Vorschlag betreffs der DeckungS- frage bei der Flottenvorlage ausgearbeitet habe, von dem anzunehmen sei, daß er die Zustimmung deS Bundes- rathes finden werde. (?) — Ueber das französische Preßgesetz gegenüber dem deutschen äußert sich in der „D. Juristen-Ztg." einer der Herausgeber, RecktSanwalt vr. Staub, folgendermaßen: „Der Zola-Proceß dot für die deutschen Juristen „als solche" eine Reihe interessanter Puncte. So scheint z. B. das französische Preßgesetz auf einem so weitgehenden frei heitlichen Standpunkte zu stehen, wie er für unsere Ver hältnisse wobt kaum jemals erreichbar sein wird. War Zola in gutem Glauben? DaS war die einzige Frage, um die es sich bandelte. Mit ihrer Bejahung Ware Zola freizusprechen gewesen. Wenn man hiermit unsere gesetzlichen Vorschriften Fai»öHatsir. Jesuit und Freimaurer. Zu Blumauer« hundertjährigem Todestage. Von Hermann Pilz. Nachdruck «erboten. So hervorragende Bedeutung Wieland für die deutsche Literatur gehabt hat, so bedeutungslos waren seine Nachfolger. Es befindet sich unter ihnen kein Einziger, der von wirklichem Einfluß auf die Entwickelung der Literatur gewesen wäre, und viele Mitglieder dieser sogenannten „Wieland'schen Schule" ahmten ihren Meister nicht in der Schönheit der Darstellung und Glätte des Verses, sondern in der Frivolität nach, in der sie ihn noch zu überbieten trachteten. Wieland selbst hatte keine Freude an seinen Jüngern. Hatte er doch gelegentlich zu Herder geäußert, daß er die anstößigsten seiner Schriften am liebsten zurückkaufen würde, wenn es nur anginge. Und nun kamen gar Poeten zweifelhaften Charakters, setzten allerhand Abnormitäten in Versen in die Welt, und be riefen sich dabei auf den Dichter deS „Musarion". Der be kannteste unter diesen Nachfolgern Wieland'« ist Aloys Blumauer, merkwürdig auch durch die eigenthümlichen LebenSschicksale, die er gehabt hat. Blumauer wurde am 21. Drcember 1755 in Steher in Oberöfierreich geboren. Nachdem er sich am Lyceum seiner Vaterstadt und durch großen Privatfleiß mit den alten Sprachen und allen übrigen Schulwissenschaften in hervor ragender Weise vertraut gemacht, trat er als siebzehnjähriger Jüngling in den Jesuitenorden in Wien im Jahre 1772 ein. Blumauer erfüllte die OvdenSpflichten mit großer Gewissen haftigkeit, wenn er auch schon damals gegen die Gebrechen eiserie, die der Gesellschaft Jesu anhafteten. Schonungslos geht er in vielen seiner Dichtungen den Jesuiten zu Leibe, und deckt die gefährlichen Umtriebe derselben auf. Aber er bleibt trotzdem dem Orden treu und gehört ihm bis zu seiner Auflösung an. Als Jesuit war es natürlich, daß er den Freimaurerorden be kämpfte. Die Freimaurerei hatte damals in Oesterreich noch gute Zeit. Zwar war Maria Theresia dem Bunde abhold, aber Kaiser Franz I. protegirte ihn, und trat selbst in Prag der Loge bei. Kein Wunder, daß auch in der österreichischen Hauptstadt rasch nach einander Logen errichtet wurden, welche der Kaiser wiederholt gegen die Geistlichkeit in Schutz nahm. Blumauer war damals ganz von den Borurtheilen befangen, welche der katholische Clerus hegte, der hinter der Freimaüerei antichrist- lichc Tendenzen witterte und meinte, es laufe Alles auf die Ab setzung des Papstes hinaus. Und doch hat sich Blumauer schon als Jesuit der Brüderschaft zu nähern gesucht. Wie die Jesuiten Alles unter ihre Herrschaft zu bekommen suchten, so glaubten sie auch die Freimaurerei am besten dadurch zu bekämpfen, daß sie mit ihr pactirten und Einfluß auf ihre Thätigkeit zu gewinnen trachteten. Nachdem Papst Clemens XIV. in der Bulle Dominus no rväomtor ncwtor vom 21. Juli 1773 die völlige Aufhebung der Gesellschaft Jesu in allen Staaten der Christenheit ausgesprochen hatte, und diese Maßregel allenthalben rasch und gewaltsam ausgeführt wurde, legte auch Blumauer das Ordens kleid ab und trat ins Privatleben über. Er fand jetzt die nöthige Muße, sich dichterisch zu beschäftigen. Wieland's Ironie war auf ihn vererbt und in eleganter Sprache that er es dem Günstling des Weimarer Musenhofes gleich. Aber er besitzt nicht im Entferntesten den tiefen Ernst der Weltanschauung, der Wieland's Schriften adelt. Wo Wieland frivol ist, ist Blumauer lasciv, wo Wieland ein feines Lächeln hat, bricht Blumauer in ein cynisches Lachen aus. Nur allzu oft treibt er die Grazien, denen Wieland huldigte, von seiner Seite hinweg und opfert der Venus «Io»«» in seinen immer fließenden und gewandt gereimten Versen. Vor nichts hat Blumauer Scheu, wenn er seiner Komik nur freien Lauf lassen kann. In dem Schwanke „Der evan gelisch« Bauernjunge in der katholischen Kirche" zieht der Exjesuit Blumauer die sämmtlichen Ceremonien de« katholischen Gottes dienstes ins Lächerliche, und auch in zahlreichen anderen Ge dichten, ernsten und heiteren Inhaltes, bildet sich nach und nach eine scharf« Opposition gegen die Kirche in ihm auS. Unter seinen Gedichten burlesken Stils, die viel Aehnliches mit Bürger's komischen Gedichten, z. B. „Frau Schnips" oder d«r „Historia von der Prinzessin Europe und dem alten Götzen Jupiter" u. s. w. haben, sind die Loblieder auf den Schneider: „Schöpfer oller reizenden Gewänder, Ew'ger Forscher auf der Schönheit Spur, Unerschöpflich neuer Reizespender, Bändiger der häßlichen Naturl ¬ auf die Sonne, dm Wind, den Morgen: „Grohmächtigster der irdischen Despoten, Tyrann, vor welchem man In Galla nur, gebraten und gesotten, Sich priisentiren kann!- auf den Esel: „Du lebst mit deinen Disteln hier zufrieden, Die dir dein Fleiß gewinnt. Und Mancher, ach, friht Ananas hienieden, Ter Disteln nicht verdientl ¬ auf das Schwein und auf die Gans, die gelungensten. Es spricht sich da ein« etwas behäbige Satyr« mit Wohlgefallen aus. Ein breites, faunisches Lächeln liegt auf dem Antlitz der Blumauer'schen Muse. Auch in den Epigrammen, die vielfach französischen Vorbilden nochgeahmt sind, hat die Satyr« einen etwas philiströsen Anflug. Äelunzm ist das Epigramm vom Geizhals: „Ein Geizhals fiel in einen Fluß, der tief Und reißend war. Ein Fischer, der das Leben Ihm retten wollte, sprang hinein und rief, Er möchte ihm die Hand nur geben; Allein der Geizhals sprach, indem er untersank, Ich kann nichts geben, und ertrank. - Jn den erstm Liedern fehlt eS an Innerlichkeit. Sie sind ohne wirklich«, warme Empfindung, trotz d«r mannhaften, edlen Gesinnung, die aus Vielen derselben spricht. Wir erwähnen „Die beiden Mrnschengrößen", „Lied der Freiheit", „An die Weisheit", „Aufmunterung zur Liebe und Lebensfreude", „An die Wünsche", „Der Blick der Liebe", „O-Tahaiti" und das „Glaubensbekenntniß eines noch Wahrheit ringenden Katholiken" mit den damals diel citirten V«rs«n:
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