Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.03.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980326028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898032602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898032602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-26
- Monat1898-03
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Dir Morgen-Ausgabe erscheint «m '/,7 Uhr, bt» Lbeud-Ausgab» Wochentag« um b Uhr» Le-action und Lrprditiou: Aohanne«,afi« 8. Die Expedition ist Wochentag« onuvterbroche» «eöfst,^ von früh 8 bi« Abends 7 Uhr. Filiale»; vtt» Klemm'« Lortim. (Alftep Ha-»», UuiverjitätSstratze 3 lPaultnum), Louis Lösche, Knthorinrustr. 1«, pari, und »önigsvl«^ 7. ivez«gS-Preis 2> h« Hmlptexpedtti»» oder de» tm Gtadt» serirt nsd den Vororten errichteten Aus» oabrstellen ab geholt: vterteljührllch^l4.üO, bei jweimaliorr täglicher Zustellung ins Haus LLy. Lurch di» Post bezogen für Deutschland nnd Oesterreich: vierteljährlich 8.—. Liren» tägliche Kreuzbandieodung tu« Ausland: monatlich 7L0. Abend-Ausgabe. MpMerTagcblalt Anzeiger. Amtsblatt des H'ömgkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rath es und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. »«zeigen-PretO tzle S gespaltene Petitzeile L2 Meelamru unter dem Redactioasstrich (Lg» ipaltrn) SO^j, vor den siauiüicuualbrichtW (6 gespalten) 40^. Eröhere Schriften laut unserem Penis» »erzetchnitz. Tadellarijcher und Ztsferusatz nach höherem Tarif. Extra »Beilagen (gesalzt), n nr mit b« Morgen - Ausgabe, ob ne Poftbrförderuuz' >l 60 —, mit Postbrsörderung >4 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bonnittags 10 Uhr. Vstorgr n»Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr: Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richte». Druck und Verlag vou E. Polz tu Leipzig 15t Sonnabend den 26. März 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. März. Nachdem der grundlegende Paragraph des Flottengesetzes im Reichstage mit erdrückender Mehrheit Annahme gefunden hat und die Blätter der ausschlaggebenden Partei durch Auf stellung der Kostenrechnung für die bei dieser Gelegenheit ge leisteten Dienste die listige Taktik deS CentrumS wieder ein mal in daS rechte Lickt gerückt haben, läßt sick das Ergebniß der nun rum Abschlüsse gebrachten» nahezu zwölfmonatigen Be wegung für und wider die Flottenorgani)ation dabin zusainmen- fassen, daß kein zweiter Parlementarier in solchem Maße seinen Mangel an Befähigung zum politischen Führer er bracht hat, wie die Seele der Opposition, der Abg. Vugc» Richter. Wenn man sich die endlose Reihe von Schlag worten vergegenwärtigt, die er seit dem verflossenen Sommer in und unter den Abonnementseinladungen seines Blattes auSgegeben hat, und nun den Artikel überfliegt» in rem er die letzte Sitzung des Reichstags und ihr Resultat behandelt, so wird man fast erschreckt von der Dürftigkeit und Beschränktheit der Politik der stolzesten aller „Mannesseelen". Als Haupt- ereigniß des Tages hebt er durch Sperrdruck hervor, er habe einem der Abgeordneten der „Freisinnigen Ver einigung" nachgewiefen, daß dieser vor der Vor legung des gewaltigen Materials der Marineverwaltung anders über das Flottengesetz geurtheilt habe, als jetzt. Also nichts, gar nichts hat er auS seiner Nieder lage, die dem Centrum Gelegenheit gab, in die von der Frei sinnigen Volkopartei geschaffene Bresche als verantwortliche Partei zu treten, gelernt, nichts kränkt ihn bei diesem kläg lichen Mißerfolge mehr, als daß ein Mitglied der Freisinnigen Vereinigung seinerseits durch dieses Material und die Unzahl der über dasselbe gehaltenen erläuternden Reden sich eines Besseren hat belehren lasten! Man begreift gar nicht, welchen Zweck Herr Richter den langen und von ihm so oft in die Lange gezogenen Plenar- und CommissionSberathungen des ReickstagS unterlegt, wenn er es für die höchste Pflicht jedes Abgeordneten hält, „unentwegt" bei seiner vorgefaßten und auf Grund lückenhafter Unterlagen gebildeten Meinung zu be harren, jeder Beweisführung sein Ohr zu verschließen und trotz aller Belehrung am Ende so zu stimmen, wie er vor der Berathung stimmen zu sollen glaubte. Und noch weniger begreift man, warum er selbst bei einer derartigen Auffassung der Pflicht eines Abgeordneten endlose Reden hält und sich die Finger wund schreibt, um seine College» für seine Meinung zu gewinnen. Wie darf er, der jeden Beweis von Lernfähigkeit und Lernwilligkeit als jämmerliche Cha rakterschwäche brandmarkt, es wagen, einen Andern belehren und umstimmen zu wollen? Oder meint er, nur er habe dazu ein Recht und das ganze deutsche Volk sende seine Abgeordneten nur deshalb in den Reichstag, damit sie sich den unfehlbaren Lehren des Tyrannen der Freisinnigen Volkspartei beugen, jede andere Belehrung aber mit Entrüstung zurückweisen? Hält er die Beugung unter sein Joch für Cbaraktergröße und jede andere für Charakterlosigkeit? Fast scheint es so, denn seit Iadren ist man daran gewöhnt, daß er auf Alle schimpft, die von Anderen und nicht von ihm sich lenken und leiten lassen. Dann sollte er aber auch konsequent sein und die ganze Reichs- tagswirthschaft, die in seinen Augen nur eine dumme und zeitraubende Komödie ist, zu beseitigen suchen durch einen Aufruf an Kaiser und Reich, ihm die Dictatur zu übertragen. Freilich hält er mit Recht die Nation noch nicht für reif zu einer solchen Radicalrefornt und sucht sich daher I für die Neuwahlen eine möglichst günstige Position zn schaffen. I Gerade deshalb beschäftigt er sich besonders mit dem Abg. s Rickert und sucht seinen eigenen Anhängern, die etwa Lust haben sollten, in daS Lager der Freisinnigen Vereinigung abzuschwenken, die Scheußlichkeit deS Rickert'schen Ilmsalles nach rechts hin möglichst scharf vor Augen zu führen. Er will sich damit zugleich eine Deckung verschaffen, wenn er trotz des GegensammlungSrufeS den Wahlkampf gegen die Vereinigung mit aller Schärfe fortsetzt. Eben wieder ist in einem zur Zeit von der Vereinigung besetzten Wahlkreise ein Candidat der Volkspartei ausgestellt worden; es sind überhaupt nicht viele Wahlkreise der Freisinnigen Vereinigung vorhanden, die Herr Richter mit Gegencandidaturen ver schonte. Daß infolgedessen der Besitzstand der Freisinnigen Vereinigung nach den nächsten Wahlen noch geringer fein wird, als gegenwärtig, muß man als höchstwahrscheinlich an nehmen; damit ist aber nickt gesagt, daß die Freisinnige Volks partei den Vortheil davon haben werde. Wenn Herr Richter hören könnte, wie sein Verhalten von Männern, die bisher seine Anhänger waren, beurtheilt wird, würde ihn sein Optimismus vielleicht verlosten. Die „Deutsche Revue" (Stuttgart, Deutsche Verlags- anstatt) hat, wie wir schon einmal hervorgehoben, den englischen Bestrebungen, dem deutschen Flotte ngesetz Schwierigkeiten zu schaffen, ihre Spalten geöffnet. Die Bezeichnung „Englische Revue" wäre unter diesen Umständen richtiger. Die neueste Leistung auf diesem Gebiete ist wiederum eine Studie des im Ruhestande befindlichen englischen Vice - Admirals Colomb: „Der Fortschritt deS Torpedo". Die Studie läuft kurz darauf hinaus, daß eigentlich nur England eine Flotte für Kriegszwecke brauche, alle andern Staaten aber sich mit Torpedofahrzeugen behelfen könnten. Den Engländern ist selbstverständlich jedes nichtenglische Kriegsschiff, das irgend wo auf dem Meere erscheint, unbequem, weil die bean spruchte Alleinherrschaft Englands zur See dadurch beeinträchtigt wird. Au« den Torpedoschiffe» machen sich dagegen die Engländer sehr wenig. Speciell Deutschland soll vom Schiffsbau abgehallen werden, damit dem überseeischen Handel Deutschlands der Schutz und die Stützpunkte fehlen. Sinkt auf diese Weise der Handel und der Einfluß Deutschlands, so besteht für England kein Grund, die deutschen Küsten anzugreifen, und der biedere deutsche Michel soll daher auf Rath seines englischen Vetters ja recht viel Geld für Torpedos auSgeben, die den Eng ländern niemals unbequem werben, aber vom sonstigen Kriegsichiffsbau seine Hände lasten, zumal die deulscken Werften damit den englischen Concurrenz macken. Wir bedauern mit den „Berl. N. N.", daß es in Deutschland immer noch Zeitschriften und Zeitungen giebt, die den Engländern auf solchen Leim gehen. Wir wundern uns aber nicht darüber, daß auch die „Frankfurter Zeitung" auf diesen Leim sich locken läßt. Hat sie doch durch ihre ganze Haltung dem Flottengesetze gegenüber bewiesen, daß sie für deutsche HandelSinteresten außerhalb des Bereichs der Frankfurter Börse wenig Verständniß hat. Selbst ihre früheren wiederholten Stoßseufzer über die Unzulänglichkeit der deutschen Kreuzerflolte sind ihr aus dem Gevächtniß gekommen. Der Gesetzentwurf, den die belgische Kammer^zum zweiten Male nach einer Verballhornung durch den Senat in einer für die V la men befriedigenden Fassung angenommen hat, um die niederländische Sprache mit der fran zösischen bei der Gesetzgebung auf gleichen Fuß zu stellen, bestimmt, daß die Gesetze in beiden Sprachen gestimmt, vollzogen und veröffentlicht werden. Die Regierungs entwürfe werden in beiden Sprachen vorgelezt. Gesetz anträge aus der Milte eines der beiden Häuser können entweder in beiden oder in der von ihrem Urheber gewählten Sprache vorgelezt werden; in letzter»! Fälle läßt das Präsidium sofort eine Uebersetzung anfertigen. Besserungsanträge, die während der Verhandlung eingehen, können in einer Sprache der Lesung unterworfen werden; werden sie angenommen, so läßt das Präsidium vor der zweiten Abstimmung eine Uebersetzung anferligen. Wenn bei der zweiten Lesung Äenderungen an der zuerst angenommenen Fassung vorgenommen werden, können die Kammern be schließen, daß die enbgiltige Abstimmung vertagt wird. In allen Fällen findet eine einzige Abstimmung über einen voll ständigen, in beiden Sprachen abgefaßten Text statt. Diese Ordnungbedeutet eine feierliche Anerkennung der niederländischen Sprache, und wir wünschen den Vlamen, daß der Senat nunmehr sich eines Bester» besinnen und die Fassung LerKammer annehmen wird. Es wird, wenn die Vorlage Gesetz wird, einen amt lichen niederländiscken Text der Gesetze geben, was für die Rechtspflege in dieser Sprache von Bedeutung ist; man will für die Zukunft dafür sorgen, daß den Rechtsgelehrten der Vorwand entzogen wird, daS Gesetzmaterial sei in französischer Sprache abgefaßt und dies erschwere die niederländische Verhand lung. Daß keine sprachlichen Schwierigkeiten vorhanden sind, um einen gediegenen niederländischen Text abzufassen, beweist das Vorgehen der Holländer, die ihre Gesetze mit demselben Erfolge verdeutscht und verdeutlicht haben, wie in Deutschland die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches ein klares Deutsch in die Gesetzbücher gebracht haben. Auf eine Anfrage im englischen Unterhause, ob die Tinies- me'dung, daß China die Forderungen Rußlands zu- ge stand en, richtig sei, erwiderte, wie uns gemeldet wurde, ParlamentSuntersecretair deS Auswärtigen Curzon, die Regie rung habe keine Bestätigung dieser Gerüchte erhalten. Damit sind dieselben natürlich noch nicht aus der Welt geschafft, und wenn China noch nicht eingewilligt hat, so wird es dies zweifellos ehestens thun. In Rußland richtet man sich darauf schon mit allem Eifer ein. So dürfte der Bau der mandschurischen und der nach der SLdwcstspitze der Liaotong-Halbinsel, das beißt nach Port Arthur führen den Eisen bahnen von der russischen Regierung nach Beginn der Schneeschmelze mit großer Energie in Angriff genommen werden. Als Beweis mag die Thatsache bienen, daß in Russisch-Ostasien alle Vorbereitungen getroffen sind, um mit dem Moment, da die dortigen Flüsse schiffbar geworden sein werden, den Transport von Baumaterial im großen Maßstabe zu beginnen. Nicht nur der Amur, sondern auch dessen Nebenflüsse, nämlich der Sckilka, Argun und der Ussuri, sowie der Sungari mit dem Nonni sind schiffbar. Die Flußlinie Sungari-Nonni ist bis zu den Ortschaften Bodune und Tsüsikar schiffbar, was daS für den Bau und den Betrieb nöthige Baumaterial, wie Werkzeuge Schienen, Schwellen, Maschinen, Locomotiven, Waggons, LowrieS und sonstige Materialmengen aus dem Flußwege bis in das Herz Mandschuriens zu transportiren ermöglicht. ES sind zu diesem Behufe auf dem Amur bereits 40 Dampfer und 100 Barken vorhanden. Auf dem Sungari und Nonni werden dieses Frühjahr 14 Dampfer und 40 Barken den Dienst aufuchmen, und aus dem Ussuri verkehren zwei große Dampfer. Die Transsibirische Gesellschaft will übrigens aus dem Amur ebenfalls eine Flottille schaffen, wo durch die Zahl der auf diesem Flusse verkehrenden Schiffe verdoppelt werden würde. Die in Ost-Asien befindlichen russischen Truppen sind sckon seit längerer Zeit an der Grenze der Mandschurei concentrirt und zum eventuellen Einmärsche bereit. Bei Wladiwostok, also am linken Flügel, stehen 18 Bataillone, 10 Escadronen und 13 Batterien^ bei Blagowestschensk, im Centruin, 2 Bataillone und 10 ESca- droneu und am Schilkaflusse, als rechtem Flügel, 17 Bataillone, 18 Escadronen und 2 Batterien. Die bei Wladiwostok be findlichen Streitkräfte sind zu eventuellen Operationen in Korea bestimmt und kommen somit gegenüber der Mandschurei nicht in Betracht. Allerdings würde daS bei Wladiwostok befindliche, höchstens 20 000 Mann zählende russische Corps vorläufig, bevor dessen Verstärkung von Europa aus nicht durchgeführt ist, nicht genügen, um einer gelandeten japanischen Armee die Spitze zu bieten. Dies mag Wohl auch die Nach giebigkeit Rußlands in der Korea-Frage erklären. lieber die „Mainc"-Affaire liegen unS folgende Mel dungen vor: * Washington, 25. März. (Meldung des „Reuter'schen Bureaus".) Die Commission zur Untersuchung des ,,Maiue"- Unsalls erklärt, daß die Explosion von Außen erfolgt fei, stellt aber nicht fest, wen die Verantwortlichkeit treffe, und spricht sich nicht über den Charakter der Explosion aus; durch Zeugen sei jedoch dargelegt, daß die Explosion durch eine unterseeische Mine verursacht sei. * London, 25. März. Nach weiteren, dem „Reuter'schen Bureau" aus Washington zugegangenen Meldungen über dea an geblichen Inhalt Les Berichtes der „Maine"-Commission, soll dieser Bericht die Katastrophe zwei auf einander folgenden Explo sionen zuschreiben, von denen die erste durch eine unterseeische bewegliche Mine erfolgt wäre, worauf die zweite in einer kleinen Pulverkammer stattgesunden habe. Selbstverständlich bedürfen alle Meldungen über den Inhalt deS Berichtes noch der Be stätigung. * Madrid, 25. März. Der Bericht der spanischen Unter suchungs-Commission kommt zu dem Schluffe, daß die Explosion auf der „Maine" einer inneren Ursache zuzuschreiben sei. Der amerikanische Gesandte Woodford hatte heute eine längere Unter redung mit dem Minister des Auswärtigen Gullon. Dem Congrcß wird der Bericht der amerikanischen Com mission officiell erst am Montag zugehen, aber der Wortlaut dürfte nur bestätigen, was das „Reuter'sche Bureau" meldet. Die spanische Enquvte hat das gerade Gegentheil der amerikanischen ergeben. Aber gesetzt auch den Fall, die amerikanische Commission hätte Recht, so wäre immer noch nicht bewiesen, daß spanische Behörden eine Mitschuld trifft. General Weyler hat wiederholt in der bestimmtesten Weise erklärt, daß an der Stelle, wo die „Maine" lag, keine unterseeischen Sprengstoffe sich befanden. Nimmt man also, da an den Worten Weyler's nicht wohl zu zweifeln ist, eine von außen wirkende Explosion an, so müssen die Explosivstoffe ohne Wissen deS Generals und der sonstigen spanischen Behörden an Ort und Stelle gebracht worden sein, waS allerdings auf die Ferrrlletsn. Durch eigene Äraft. 35j Roman von Alexander Römer. Nachdruck vtrboitn. „Ja, die fallen weg", sagte sie. „Was mich hier noch um- giebt, ist meine von der Prinzessin gestiftete Aussteuer, die Berliner Einrichtung ist zu Gelde gemacht worden, ich habe ver sucht, es so vorthcilhaft wie möglich zu thun. Wollen Sie einmal über diesen letzten erlösenden Ausweg Nachdenken, mir dir unumgänglich erforderliche Summe nennen, damit ich einen Versuch wagen kann? Leicht wird mir auch daS nicht, aber wenn es sein muß — ich mache diese Anstrengungen nicht, koste diese Demüthigungen nicht durch, um mir ein vornehmeres oder reicheres Leben zu bereiten, ja, ich thue es nicht einmal um des Papas willen, denn ich sage mir lange, was der Mensch säet, das muß er ernten — nein, ich thue eS um meines Kinde» willen. Mein Knabe ist unschuldig an aller Sünde seiner Eltern, und ich halte es für meine Pflicht, mit allen Kräften, die ich noch besitze, für sein Erbe zu streiten." Ihr Ton war hart geworden, sie stand da bleich und stolz, wie Eine, die ihres Schicksals Last mit starkem Sinne trägt. Er war aufgestanden und stützte seine Hand schwer auf den Tisch. Er fühlte sich weich werden und grollte mit sich selbst darob. „Ich werde einen Plan ausarbeiten, eine Schätzung auf stellen, gnädige Frau, wenn der Herr Baron sich nur während der nächsten Jahre über Wasser hält, so ist freilich schon viel gewonnen." „Ich danke Ihnen, und noch eine Frage: halten Sie meinen Schwiegervater für fähig, mit der Kenntniß und Umsicht, welche für die schwierigen Verhältnisse erforderlich sind, die Bewirth- schaftung zu führen?" Ludwig strich seinen schönen Vollbart und lächelte in einer eigenen Weise. Sie sah ihm scharf ins Gesicht. „Wenn Sie ihm in allen wichtigen Fragen rathend zur Seite stehen", ergänzte sie seine ausdrucksvolle Miene. „Ja, Sie und immer Sie —" Es klang jetzt wie ein Stöhnen. „Und mir sind Sie am wenigsten gern verpflichtet", lag es auf feiner Zunge. Sr sprach es aber nicht aus, von seiner Seit« sollt« kein» An« deutung an die Vergangenheit fallen. Er sagte nur ruhig und kühl: „Man muß abwarten, gnädige Frau, ich bin ja gern zu ge legentlichem Rath bereit." Sie hatte jetzt die Thür zu dem Nebenzimmer geöffnet, einem einfacher ausgestatteten Raume, wo ihr Schreibtisch stand. Es lagen große Rechnungsbücher auf demselben. „Darf ich Ihre freundliche Hilfe gleich einmal in Anspruch nehmen?" fragte sie rasch. „Papas schwache Seite ist die Buch führung, da habe ich mich bereit erklärt, das Fach zu übernehmen. Ich verstehe zu rechnen, habe mir nun diese Bücher nach dem Muster derjenigen des Jnspectors eingerichtet und auch dessen Methode studirt. Ich bin aber doch im Zweifel, ob ich damit zu Stande komme, bitte, sehen Sie hinein, kann ich so fort fahren?" Ludwig trat heran und prüfte die Anfänge. Sein Auge trübte sich, während er sich über die Blätter beugte. Wie viel Mühe gab sie sich, wie viel steckte in ihr, nun war ihr Dasein ein Ringen mit des Lebens Noch geworden, sie verblühte unter Sorgen und Entsagungen! Wie Haß stieg eS in ihm herauf, die, welche ihr dies Loos bereitet hatte, wollte sie jetzt um Hilfe angehen, — mochte sie es thun, und mochte man dort die Pflicht und Schuldigkeit erkennen, ihr zu helfen. Ludwig gab noch verschiedene Anweisungen, lobte die Anlage, rieth Erleichterungen und Verbesserungen an in ruhigem, freund schaftlichem Tone, dann ging er. „Gottlob, er hat den Schmerz überwunden, ich bin ihm jetzt eine fremde, gleichgiltige Person", sagte sich Ottilie, als er fort war. Er aber wandelte in tiefen Gedanken über den Rasenplatz, durch die Anlagen seinem einsamen Hause zu. War er denn ein Schwächling, daß ihn dieses Wieder sehen so aufregte? Er hatte sich doch fest eingeredet, die Wittwe des Barons Felix könne sein Herz nie einen Augenblick schneller schlagen machen. Und nun hatte er immer nur die Ottilie von ehemals mit dieser jungen Wittwe verglichen, ja, sie war verwandelt, aber geistig in die Höhe gewachsen, die reife Frau, der man Achtung und Ehrfurcht zollt. Gut! ja, was war es? Achtung, die verdiente ihr jetziges Benehmen, und die wollte er ihr auch nicht versagen, das Andere war todt, und Todtes wird nicht wieder lebendig. Solch ein versunkener Jugendtraum ist erloschen für ewig. Fünfunddreißigste» Eapltel. Einförmig schwanden die Wochen, dir Monde dahin. Ottilie war mit Arbeit überbürdet. 2» war kein leichtes Ding, sich in die wirthschaftliche Lage eines großen Gutes hineinzuarbritcn, und sie strebte mit Ernst und nie ermüdender Ausdauer nach diesem Ziel. Die Wolters war seit langen Jahren die Dirigentin des Haushalts gewesen; sie war auch eine ehrliche Person, die früher ihr Fach kannte, aber sie war alt geworden, und Niemand hatte je ihr Regiment geprüft und beschränkt. Eine Menge von Mißständen, von groben Nachlässigkeiten hatten sich eingebürgert, die bei einer auf Sparsamkeit gerichteten Wirthschaftsmethode nicht bestehen bleiben konnten. Mit großem Geschick wußte Ottilie sich die alte Frau geneigt zu machen. Sie besprach Alles in Güte und Freundlichkeit mit ihr, ließ der Alten stets den Schein, als ob die neuen An ordnungen noch von ihr ausgingen, und handelte mit ihrer jugendlichen Raschheit, wo die Schwerfälligkeit der Anderen erst nach Wochen zum Ziele gekommen wäre. Sie unterrichtete sich über Alles, ja, auch beim Jnspector, der nicht ungern ging — die hier zu erwartenden Zeiten lockten ihn nicht zum Bleiben —, über die Außcnwirthschaft, denn des Schwiegervaters Bequemlichkeit und Neigung zum Gchenlassen waren ihr nur zu gut bekannt. So vergingen ihre Tage unter aufregender Arbeit, und todt- müde suchte sie am Abend ihr Lager auf. Es war gut so, das vertrieb die grüblerischen Gedanken. Ludwig sah sie selten. Den versprochenen Anschlag, wie viel an Baarsummen vorerst ins Gut hineingesteckt werden müsse, hatte er ihr geschickt, und ihr war dabei der Muth ge sunken. DaS war nach ihren Begriffen ungeheuer viel, und er setzte in dem Memorandum, das er beigefügt hatte, noch hinzu, daß man sich dabei nicht verhehlen dürfe, wie die Erträge solcher Neueinrichtungen stets erst nach einer Reihe von Jahren nennens- werth sein könnten. Ach, es wurde ihr nur zu klar, und sie las es deutlich zwischen den Zeilen, es war auch seine Meinung, das Gut mußte Jemand übernehmen, der auS reichen Mitteln hineinstecken konnte und Zeit hatte, die Ernten abzuwarten. War es je bei den zer rütteten Finanzen der Waldstätten möglich? Das durste nur er, Ludwig, nicht aussprechen, — denn auS den Händen der Waldstätten ging es in die seinigen über, er war der Mann mit den reichen Mitteln. Und er that sicher keinen Schritt, die Katastrophe zu beschleunigen, oder lud auch nur den Schein eines solchen Thuns auf sich. Aber sie wollte nicht verzagen, sie hatte es sich geschworen, und ein brennende» Gefühl de» Stolzes hielt sie aufrecht. Sie wollte kämpfen bi» zuletzt. Da» gab ihr eine starre Entschlossen heit, welche jede ihrer Handlungen charakterisirte und sich auf ihrem jungen Gesicht ausprägte. Als sie dem Papa Ludwig's Ausspruch und den Plan, die Prinzessin um Hilfe anzugehen, mittheilte, stieß sie wider ihr Vermuthen bei dem alten Herrn auf heftigen Widerspruch. Während er vor dem gesellschaftlich ihm untergeordneten Manne ohne Bedenken gefordert und genommen hatte, widerstrebte es seinem Stolz, der hochgestellten Dame seine zerrütteten Verhält niffe zu offenbaren und bei ihr als Bittsteller aufzutreten. Ottilie saß ihm gegenüber und hörte sein heftiges Aufbrausen schweigend an. Bittere, recht gemischte Gedanken erfüllten ihre Seele. Wie dachte der Papa sich eigentlich das Ende? Dachte er, Ludwig Heidemann solle sein Vermögen in das Gut stecken, als sei es sein Eigenthum, es auch so bewirthschaften und seine Kräfte ihm widmen, um es für den Herrn Baron und seinen Erben in die Höhe zu bringen, wonach er dann als bescheidener Müller wieder zurücktreten konnte, die Wiedererstattung seiner Opfer vielleicht als Greis erlebend? So ungefähr stellte sich das Bild nach den Reden und Anschauungen des Barons. Es war eine schwere Aufgabe, dem alten Herrn klar zu machen, daß das nie geschehen konnte, auch nicht sollte! Sie versuchte es aber, und ihre feste Ruhe imponirte ihm. Wir dürfen nicht nach rechts noch nach links sehen, Papa", sagte sie, „wir müssen, vorwärts, geradeaus, der nüchternen Wirklichkeit entgegen, ohne Rücksichten auf unsere perlönlichen Gefühle. Meinst Du, daß mir eine solche Bitte an unsere hohe Gönnerin leicht wird? Dennoch will ich den Versuch machen." Der Baron stöhnte, ließ den Kopf sinken, wie er es früher den unbescheidenen Forderungen seiner Cäcilie gegenüber gethan hatte, und Ottilie verließ ihn schweren Herzens. Eine Stütze hatte sie an dem Schwiegerpapa kaum, handeln mußte sie allein. Und so schrieb sie an die Prinzessin, welche wieder auf Reisen war, augenblicklich in Griechenland. Die letzte Nachricht von ihr hatte sie nach ihres Gatten Tode erhalten, ein kurzes Eon dolenzbriefchen, eigenhändig geschrieben, in der sprunghaften Manier, welche ihr Wesen kennzeichnete; ihrer Zukunft wurde nicht darin gedacht. Sie kannte die hohe Dame sehr genau und paßte ihr Schreiben dieser Charakterkenntniß an. lieber den Erfolg hegte sie große Zweifel. So kam der Herbst, ja, der Winter ins Land. Die Ernte war günstig ausgefallen, wenn auch nicht so reich, wie der sanguinische Papa gehofft hatte. Ottilien« RechnungSbücher wiesen große Ertragssummen auf, welche sie zu Anfang blen deten. Aber sie verschwanden bald, wie in einem bodenlosen F-L
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite