45 Andreas Richter Die Demokratisierung der Presse — das Beispiel UNION Die Presselandschaft Im Jahre 1989 gab es in der DDR 39 Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von rund 9,8 Mil lionen Exemplaren. Allein 17 dieser Zeitungen waren direkte Organe der SED. Zusammen mit den Zeitungen der sogenannten Massenorganisationen beanspruchten sie rund 6,3 Millionen der Gesamtauflage. Den Rest hatten sich die sechs Zeitungen der NDPD, fünf Zeitungen der LDPD und sechs Zeitungen der CDU zu teilen, die eine zentrale Zeitung und fünf regionale Zeitungen herausgab. Eine dieser regionalen Zeitungen war die Tageszeitung »Die Union« mit ihren kleinen Ablegern in Chemnitz (als Union) sowie in Cottbus, Potsdam und Frankfurt/ Oder (als Märkische Union). Die Auflage, begrenzt durch die vom Staat zugeteilte Papiermenge, betrug rund 65 000 Exemplare. Rund 4000 Exemplare entfielen dabei auf die Märkische Union. Bestimmend für die Auflage war also die Dresdner Ausgabe der Union, die mit dem 46.Jahrgang am 1. Dezember 1991 ihr Erscheinen einstellte. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Auflage rund 44 000 Exemplare." Der erste Schritt Demokratisierung der Presse konnte im letzten Jahr der DDR nur heißen, den Einstieg in die Pressefreiheit und in die Freiheit der Berichterstattung zu versuchen, und zwar aus der Überzeu gung vom Recht der Bürger, wahrheitsgemäß über die Wirklichkeit informiert zu werden, sowie die eigene Meinung in Wort, Schrift und Bild frei äußern und verbreiten zu können. Der Wechsel von der Verbreitung befohlener Agitation zu wahrheitsgetreuer Information belegen die Ausgaben der Union vom 9. und 10. Oktober 1989 in markanter Weise. Es ging dabei um die Darstellung und Bewertung der Ereignisse seit der Nacht vom 3. zum 4. Oktober, in der es zu ersten schockierenden Auseinandersetzungen am Dresdner Hauptbahnhof gekom men war. Am Sonntag, dem 8. Oktober, dem Tag also, an dem sich am Abend auf der Prager Straße die Gruppe der 20 gebildet hatte, wurde den Tageszeitungen in Dresden eine gemein same Mitteilung über die Bewertung dieser Ereignisse zum Abdruck ins Haus gebracht. Unter der irreführenden Überschrift »Dialog mit allen führen zur Lösung der Probleme« erscheint der von den Chefredakteuren der Dresdner Zeitungen gemeinsam verfaßte Artikel in der Ausgabe vom 9. Oktober. Darin werden »größeren Gruppen junger Menschen« rowdyhafte, staatsfeind-