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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.03.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980329027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898032902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898032902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-29
- Monat1898-03
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Tabellarischer und Zifferusatz uach höherem Tarif. Extra »Beilagen lgesalzt), nur mit da Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderunj SO.—, mit Postbrsörderung ^tl 70.—. OOG^a Annahmeschluß siir Anzeigen: Ab»ud»Au«gabr: vormittag« 10 Uhr. Btorgen-Ausgab«: Nachmittags «Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je eia» halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Expeditta» zu richten. LruS und Verlag von E. Polz tu Leivztch ^2 159. Dienstag den 2^. März 1898. 82. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. März. Ist auch der vor einigen Wochen in einem officiösen Artikel der „Norddeutschen Allgem. Ztg." geäußerte Wunsch, daß die Marinevorlagc eininüthig angenommen werden möchte, nicht in Erfüllung gegangen, war auch die Mebrbeit für die Vorlage nicht so groß, al« eS nach dem Schluffe der Eommissionsverbandlungen immerhin als möglich erscheinen konnte, so darf man doch mit dem Resultate höchst zu frieden sein. Die Mehrheit war sehr viel größer, als sie bei heftig umstrittenen Fragen sonst zu sein pflegt; man denke nur an die erheblich geringere Majorität bei der HeereSvorlage von 1893 und bei den Handelsverträgen von 1893 und 1894. Auf daS Ausland muß die Annahme der Vorlage mit dieser Mehrheit und nach einer für die Mehrheitsparteien glänzend verlaufenen Debatte einen tiefen Eindruck machen. Man wird daraus erneut die Erkenntniß schöpfen, daß, so groß die Parteizersplitterung in Deutschland auch ist, das Derständniß für nationale Fragen sich nicht nur erhalten hat, sondern in dem vorangegangenen Jahrzehnt noch gewachsen ist. Besonders gilt dies vom Centrum, daS überdies durch den Verlauf der Debatten und Abstimmungen eine sehr eindringliche und hoffentlich fruchtbringende Lehre empfangen bat. Es hat trotz der heftigen Agitation, die von einem großen Tbeile der CentrumSpresse gegen die Vorlage betrieben worden war, nach Ausweis des stenographischen Berichts am 24. d. für den grundlegenden 8 1 des Gesetzes 00 Stimmen gestellt, während von seinen Mitgliedern und welfischen Hospitanten nur 34 gegen diesen Paragraphen stimmten. Rechnet man aber, wozu man ein Recht bat, da die Polen, die reichsländischen Protestler und die fractionS- losen Welfen nicht nur mit Hilfe deS CentrumS gewählt sind, sondern auch in ihrer antideutschen Haltung bei jeder Gelegenheit vom Centrum bestärkt werden, zu den ablehnenden 34 Stimmen noch die der 17 Polen, der 7 Elsaß-Lothringer und der beiden fraktionslosen Welsen, die den 8^1 gleichfalls ablebnten, hinzu, so erhält man gleichfalls 00 Stimmen, zu denen die deS verlorenen Sohnes des, CentrumS I)r. Sigl noch gar nicht einmal gezählt ist. Sieht man auch davon ab, daß gegen den ß 2 einige derjenigen klerikalen Abgeordneten gestimmt haben, die für den 8 1 ein- gctreten waren, so ergiebt sich, daß da« Centrum mit seinen Anhängseln zu der Annahme des Gesetzes mindestens nichts beigetragen hat; hätte es sammt diesen Anhängseln bei den definitiven Abstimmungen gefehlt, so wäre die Annahme mit mindestens derselben Mehrheit erfolgt. Die nationale RuhmeSthat der eigent lichen CentrumSfraction verliert dadurch ganz erheblich an Werth. Die Fraktion wird hoffentlich daraus entnehmen, daß sie sich, um den Ehrentitel einer nationalen Partei völlig zu verdienen, bemühen muß, ihren früher auf jene Anhängsel geübten üblen Einfluß nunmehr in anderem und besserem Sinne geltend zu machen. Schon jetzt wird die Annahme der Marine-Vorlage die Wirkung haben, daß man sich in überseeischen Staaten doppelt und dreifach bedenken wird, die Rechte Deutscher zu kränken. Deutschland wird in Zukunft im Stande sein, mit jeder der nichleuropäischen Mächte auch in maritimer Beziehung sich zu messen, wie es bezüglich seine« Landheeres in Folge der Vermehrungen von 1887, 1890 und 1893 jeder europäischen Macht mehr als gewachsen ist. Bei diesem Stande der VertheidigunaSmittel zu Lande und zur See ist ferner zu erwarten, daß Deutsch land nunmehr für absehbare Zeit auf dem Beharrungs punkte angelangt ist, d. h., daß in absehbarer Zeit größere Forderungen zur Erhöhung der Streitkräfte nicht werden ge stellt werden müssen. Im Interesse der finanziellen Situation Deutschlands ist daS von hoher Bedeutung. Denn wenn selbst die wirthschastliche Entwickelung deS Reiches und die aus den Zöllen und den indirekten Steuern sich ergebenden Einnahmen einen weiteren günstigen Fortgang nehmen, so wird man im Reiche doch daran denken müssen, daß nicht nur für noch andere Zwecke, als für die der Landesvertheidigung, die Möglichkeit der Steigerung der Ausgaben wünschenswerth, sondern auch eine allmähliche Verringerung der Schuldenlast des Reiches anzustreben ist. So ist denn anzunehmen, daß mit der Bewilligung der Marine vorlage ein Wendepunkt in der finanziellen Lage des deutschen Reiches eingetreten sei. Ist diese Lage auch immerhin so günstig, daß die Bewilligung der Marinevorlage in der Hoff nung erfolgen konnte, daß neue Steuern nicht notbwendig sein werden, so wird es doch gut sein, wenn in Zukunft daS Reich im Stande sein wird, durch eine gewisse Stetigkeit in den Ausgaben eine dauernde finanzielle Sicherheit herzustellen und die Einzelstaaten vor unliebsamen Ueberraschungen zu schützen. Angesichts der bevorstehenden Osterferien arbeitet die parlamentarische Maschine mit Volldampf. Außer der Flottenvorlage und der Branntweinsteuer-Novelle betreffs anderweiter Festsetzung des GesammtcontingentS der Brennereien bat der Reichstag gestern auch den Gesetz entwurf betreffs der Entschädigung unschuldig verurtheitter in dritter Lesung angenommen. Bei diesem Entwürfe handelt es sich um eine populäre Forderung, die schon mehrere Sessionen das Haus vergebens beschäftigt hat. Sie war früher zusammenzekoppelt worden mit der Berufung in Strafsachen und mit einer ganzen Reihe von Aendernngen deS bestehenden Rechts beziehungsweise Processes. Jene große Iustizvorlage scheuerte bekanntlich, da eine Einigung über eine Reihe von Punkten nicht erzielt werden konnte. Nun wurde vernünftiger Weise die Entschädigung unschuldig Verurtheilter, oder, wie daS Gesetz officiell sagt, „die Entschädigung der im Wiederauf nahmeverfahren freigesprochenen Personen", allein vorgclegt. Auch jetzt war die Verständigung uicht ganz leicht; die Reichs- tagSmehrheit wollte ursprünglich erheblich weiter gehen als die Regierung. Nach dem ersten Beschlüsse der Commission sollte die Entschädigung nickt nur Denjenigen bewilligt werden, deren Unschuld im Wiederaufnahmeverfahren fest gestellt war, sondern auch Denjenigen, bei denen die Ver dachtsgründe, die zur ersten Verurtbeilung geführt halten, hinweggeräumt waren, deren Unschuld aber damit noch nicht sicher war. Die Regierung zeigte nur äußerliche Nach giebigkeit, indem sie sich mit der Fassung einverstanden erklärte, daß die Entschädigung nicht nur bei erwiesener Unschuld, sondern schon dann gewährt werden soll, wenn irgend ein begründeter Verdacht gegen den Angeklagten nicht mehr vorliegt — was so ziemlich dasselbe ist. Die zweite Differenz betraf die Entschädigung für unschuldig erlittene Unter suchungshaft, die von verschiedenen Seiten aus dem Hause befürwortet, aber von der Regierung abgelehnt wurde. Das Gesetz bringt sie nicht, aber ein vom ganzen Hause an genommener Beschlußantrag giebt dem berechtigten Wunsche nach baldiger Ausfüllung dieser Lücke Ausdruck. Die Polen nehmen sich vorläufig die Mehrheit der väterlichen CentrumSpartei noch nicht zum Muster. Sie, die sich so gern als die verfolgte Unschuld hinstellen, gehen viel mehr zum rücksichtslosen Angriffe auf die preußische Regierung vor. Ihr hat Fürst Radri will bei der zweiten Lesung der Marinevorlage vorgeworfen, sie schädige die wirthschafl- lichen Interessen der Polen; die kräftige Abfertigung, die ihm Graf PosabowSky zu Theil werden ließ, hat den pol nischen Magnaten nicht abgeschreckt, sondern zu einem noch schärferen Angriffe veranlaßt: er hat der preußischen Re gierung frivole Feindseligkeit vorgeworfen. Einen derartigen unerhörten Angriff, wie ibn hier der polnische Aristokrat gemacht hat, ist man sonst höchstens von der Socialdemokratie gewöhnt. Man muß berücksichtigen, daß dieser Angriff nicht etwa von einem jugendlichen Heißsporn ausging, sondern von einem alten, sonst recht ruhigen Herrn, und man muß daraus schließen, daß er nicht etwa in der Hitze des Gefechts geschah, sondern wohlüberlegt war. Die Polen verschmähen eS also, noch die Maske der Loyalität vor dem Gesichte zu. behalten, und zeigen jetzt ihr wahres, von Haß !gegen Preußen, Deutschland und das Deutschthum verzerrtes Ge sicht. So beklagenswerth das an sich ist, so ist es doch in sofern zu begrüßen, als es nicht nur dem Centrum zeigt, was es hat grobziehen helfen, sondern auch Anderen, die früher nicht seben wollten, klar macht, woran sie sind. In Bezug auf die Polen ist es jedenfalls gut, daß Graf PosadowSky an die Stelle deS Herrn von Bötticher ge treten ist, denn der Graf hat als Landrath deS Kreises Rawitsch und als Landeshauptmann von Posen Gelegenheit gehabt, die Polen aus nächster Nähe kennen zu lernen. So ist er am ehesten im Stande, ihnen nach Gebühr entgegen zutreten, wenn sie den Angriff ans dem preußischen Landtage in den Reichstag verlegen. Der Bericht der Untersuchungscommission über den „Maine" - Unfall wurde, wie uns aus Washington gemeldet wird, gestern den beiden Häusern deS Cvngresses vorgelegt. Zugleich ging dem Congreß eine Botschaft des Präsidenten Mac Kinley zu. Diese wirft zunächst einen Rückblick auf den Verlauf der Angelegenheit und den freundschaftlichen Meinungsaustausch, der zu dem Besuche der „Maine" in Havannah und der „Viscaya" in New Aork führte, und weist auf die gute Wirkung bin, welche diese Wiederaufnahme des Austausches freundschaftlicher Be suche gehabt habe. Die Botschaft bespricht sodann die mit der „Maine"-Explosion im Zusammenhang stehenden Einzel heiten; sie erwähnt die starke übermäßig« Aufregung, <oie in den Vereinigten Staaten dadurch hervorgerusen worden sei, die indessen bald dem Entschlüsse Platz gemacht habe, in Ruhe Beweise abzuwarten, ehe man über die Angelegenheit aburtheile. Die Untersuchungscommission habe ihre Nach- forsckungen mit großer Sorgfalt angeslellt. Die Bot schaft giebt sodann den Bericht im AuSzuge wieder; in demselben heißt eS, die „Maine" sei durch einen regelrechten Regierungslootsen zu ihrer Boje im Hafen von Havannab geleitet worden; ferner werden die ent standenen Schäden besckrieben, die lediglich einer Minen explosion zugeschrieben werden könnten. Sodann zählt die Botschaft die bereits gemeldeten Schlußfolgerungen des Commissionsberichte« auf und fährt danack fort: „Ich habe Anweisungen ertheilt, daß der Wahrspruch der Unter- suchungs-Commission und die Anschauungen der Regierung der Re gierung Ihrer Majestät der Königin-Regentin mitgetheilt werden. Ich gestatte mir nicht, daran zu zweifeln, daß der Gerechtigkeits sinn der spanischen Nation den durch die Ehre und die freund schaftlichen Beziehungen der beiden Regierungen empfohlenen Weg des Vorgehens bezeichnen wird. Das Ergebniß wird dem Congresse mitgetheilt werden. Inzwischen fordere ich den Congreß zu besonnener Beschlußfassung auf/' Sowohl vom Senate als vom Repräsentantenhause wurden die Botschaft und der Commissionsbericht obne Debatte an den Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten ver wiesen. — Sehr wohlthuend berührt in diesen Mittheilungen Mac Kinley's der ruhige, fast beschwichtigende Ton, der wiedererkennen läßt, daß der Präsident noch zögert, Spanien direkt den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Auch ist in der Botschaft an den Congreß die erwartete Forderung einer halben Million zur Unterstützung der nothleidenden Civil- bevölkerung Cubas nicht gestellt worden. Allein ein Punkt der Botschaft läßt dock erkennen, daß Mac Kinlen ganz in den Händen der Kriegspartei ist. Während die amerikanische UntersuckungScommission zwar fest stellt, daß der Untergang der „Maine" nur einer äußeren Ursache, der Legung einer unterseeischen MineT' zuzuschreiben ist, aber zugleich constatirt, daß kein Beweis gefunden worden sei, um eine Verantwortlichkeit fest- zustelleu, läßt Mac Kinley's Aeußerung, Spanien werde selbst wissen, was die Ehre und die freundschaftlichen Beziehungen der beiden Regierungen fordern, deutlich erkennen, daß man in Washington die spanische Regierung doch für mitschuldig hält und Genugthuung erwartet. Das ist ein offenbarer Widerspruch zu dem Gutachten der „Maine"-Commission und kann in Spanien nicht anders als eine neue Provokation aufgefaßt werden. Die ganze Politik- der Vereinigten Staaten Spanien gegenüber ist za nicht» al« eine ununterbrochene Kette von Provokationen. Auch daS Ver langen, die Feindseligkeiten gegen die Insurgenten auf Cuba einzustellen, ist eine solche und Spanien kann sich eine derartige Behandlung nicht gefallen lassen, wenn eS nicht voll»-, ständig als Großmacht abdiciren will. Noch dauern di^ diplomatischen Verhandlungen fort. Der amerikanische Ge sandte Woodford batte am Sonntag, wie unS au« Madrid berichtet wird, mit dem Minister deS Aeußeren eine Besprechung, bei welcher er diesem einen Auszug auH dem amerikanischen Berichte über die „Maine"-Katastrophe übergab, und gestern fand zwischen Woodford und den Ministern deS Aeußeren und der Colonien, sowie dem Minister-Präsidenten eine weitere Conferenz statt, aber mehr als ein Aufschub der Feindseligkeiten wird damit kaum erzielt werden. Jedenfalls werden die Cortes sofort zur Beschaffung neuer Geldmittel einberufen und ihnen eine Vorlage betreff», einer neuen Anleihe von 500 Millionen unterbreitet werden. Die „Times" ertheilen dem englischen Ministerpräsidenten und Leiter der auswärtigen Angelegenheiten Lord SaliSdurG den „blauen Brief". Sie geben dem Mißerfolg der aus wärtigen englischen Politik dem Umstande Schuld, daß Lor); Salisbury ein alter Herr von 68 Jahren sei, und sie rathen ihm, baldigst seinen Abschied zu nehmen. DaS Blatt, das vor der Spaltung der englischen Liberalen im Jahre 188k zu den treuen Anhängern Gladstone'« gehörte, scheint zßs vergessen, daß dieser Mann, al« «r bi« in die Mitte der achtziger Jahre die auswärtige Politik Eng lands leitete, doch nahezu ein Jahrzehnt älter war, al» Lord SaliSbury jetzt ist. Und Fürst Bismarck, dessen auswärtige Politik auch von seinen Gegnern im In- und Ausland« anerkannt wurde, leitete doch noch mit 75 Jahren di« deutsche Politik so gut, wie die Engländer nur je wünschen können, daß ihre Politik geleitet würde. Aber einerlei, man ist in England eben erzürnt über die Mißerfolge der aus wärtigen Politik und deshalb will man einen Sündenbock baden. Den meisten Verdruß erregt der Erfolg Rußland» in Ostasien, den man als einen direkten Mißerfolg Englands ansieht. Mit großer Bitterkeit gegen die eigene Regierung urtheilen die „TimeS" über die verfehlte Politik England» in Ostasien u. A. wie folgt: „Die russischen Staatsmänner müssen in offenherzigen Momenten selbst zugeben, daß sie selber über die Leichtigkeit, mit der sie ihre enormen Erfolge errungen haben, erstaunt find. Sie verdanken dies der Lässigkeit der Action der englischen Regierung, die ein fach die Ausjüdrung von Veränderungen zuläßt, die vom vitalsten Interesse für den englischen Handel uud das englische Ansehen sind. Die englische Regierung wartet jetzt die unabänderliche Bestätigung von Nachrichten ab, die nie ringetreten wären, wenn sie die Fähig keit gehabt hätte, vorherzujehen, daß die Action der anderen Mächte Durch eigene Kraft. 37j Roman von Alexander Römer. Nachdruck verboten. „Aber, wie ich mir'« dachte", berichtete Claus, „sie schwindelt sich weiter durch die Welt. Denken Sie sich, gnädige Frau, daß ich ihr jetzt in Paris begegnete. Sie war da mit einer reichen Amerikanerin. O, wir begrüßten uns ganz charmant. Wir hatten's uns ja früher einmal herrlich ausgedaqt, zusammen nach Paris zu gehen. Nun hatte ich meine Lehrjahre hinter mir — die hätte sie schwerlich so mit durchgemacht — und für ihre Singstimme war es zu spät geworden. Sie sah übrigens schlecht aus, abenteuerlich, die Züge verheert. Ja, ja, es regte sich da wirklich etwas bei mir wie Mitleid. Sie war zu sehr für die abschüssige Bahn veranlagt, ich fürchte, jetzt geht es im Sturmschritt mit ihr hinab. Einstweilen spielte sie da hoch in gewissen amerikanischen Kreisen, fungirte auch wieder als Me dium, und damit kann sie bei ihrer Verschlagenheit Summen verdienen." Ottilie schauderte, der Baron schüttelte den Kopf. „Sie war ein sehr gefährliches Mädchen", meinte er, „hätte ich sie nur früher erkannt. Es ist mir übrigens ein Trost, zu wissen, daß sie keinen Mangel leidet." Einige Tage nach seiner Heimkunft kam auch Ludwig. Heute wurde er im Salon empfangen, und es wurde von Geschäften nicht geredet. Selbst der Baron fühlte, daß man dem fröhlichen, freien Manne nicht immer mit seinen eigenen, centnerschweren Sorgenlasten kommen könne. Und er war wirklich jetzt der echte Gentleman. Ottilie freute sich, daß er froh und glücklich war. Sie sagte es sich, daß ihr Gewissen dadurch entlastet werde, sie hatte eS wenigsten« nicht vermocht, sein Leben dauernd zu vergällen. Aber doch machte sich ihr der Gegensatz zwischen seiner und ihrer Lage fühlbar; eS war menschliche Schwachheit, die sie nicht ganz bemeisterte. Al» er kam, hatte er Otto Victor zuerst draußen begrüßt. Der Klei« erkannte ihn sofort, trotz der langen Abwesenheit, wieder, und sein Jubel erschallte zu ihr herein. Wie frisch und prächtig sah er aus, sein Anblick hatte heute etwas lieber- wältigendes für sie. Er war sehr unbefangen, aber warm freundschaftlich. Er erzählte nicht so lebendig wie Claus, sie wußte za auch bereits die Hauptsachen über seine Reiseerlebnisse. Der Papa war abgerufen worden, er blieb noch. Hatte er ihr noch etwas zu sagen, wofür er die Einleitung nicht finden konnte? Ihr Herz fing an zu schlagen — sie redeten mittlerweile von Wind und Wetter. Von ihren Gutsangelegenheiten wollte sie keinesfalls etwas erwähnen, er fragte ja auch nicht darnach. Sie sprach jetzt von Mariannens Krankheit, wie der Anfall aber jedenfalls viel leichter gewesen sei, als der im vergangenen Winter. Sie schlug einen Scherzton an und ahmte Tante Liesa's Lamentationen über seine Abwesenheit nach. Er blickte vor sich nieder, und seine Miene verricth, daß er nicht auf den Scherz einging. „Hat Fräulein Röpke mit Ihnen davon gesprochen, daß im Herbst eine Nachricht von Ihrem Vater kam?" fragte er plötzlich. Ihr Herz machte einen Sprung. Das war es! Da kam es! Sie ward todtenbleich, und der Athem versagte ihr beinahe. »Ja — ja — wissen Sie — wissen Sie Näheres?" Er sah jetzt auf und ihr ins Gesicht. Gott allein wußte, wie leid sie ihm that. „Beruhigen Sie sich", sagte er, und im Klang seiner Stimme lag ein so eigenartiger Zauber, daß die wenigen Worte ohne weiteren Inhalt ihr schon Ruhe brachten, „ich komme aller dings, Ihnen eine traurige Nachricht mitzutheilen, aber — so wie die Dinge standen — kurz — ich verstehe schlecht, Umschweife zu machen. Ihr Vater kam von Australien herüber, starb aber im Hospital zu London. Ich war bei ihm, auch in seinen letzten Augenblicken, es hat ihm vom Moment seiner Landung an an nicht» gemangelt, und sein Ende war leicht. Ich denke, das kann Ihnen ein Trost sein." Sie hatte den Kopf in die Hand gestützt und die Augen ge schlossen. Es brauste wie Sturmfluth vor ihren Ohren. „Gnädige Frau!" Sie hörte r« wie au» weiter Ferne. „Ihnen ist nicht wohl —". Sie schauderte, es klang so kalt, aber sie fühlte wirklich »in« Ohnmacht hrrannahen. Sie riß ge waltsam die Augen auf und starrte ihn an, ihre Lippen waren bläulich und zitterten. „Nein, nein, bitte erklären Sie mir — wie kam das, daß Sie —" Er schaute wieder vor sich nieder und drehte seinen Hut in der Hand. Er wollte, er tonnte sie nicht ansehen, und so redete er in kühlerem Ton, als seine Gefühle es ihm eingaben, weiter. „Es war ein Zufall, gnädige Frau, wie so mitunter Zufälle im Leben folgenschwer spielen. Claus erwartete einen Bekannten mit dem Schiffe, das aus Australien kommend in Southampton einlief, wir sahen daher die Passagierlisten ein, und da — na, Sie können es sich denken — fiel mir der Name Röpke auf. Claus wollte ohnehin seinen Bekannten an Bord sprechen, so fuhren wir hinüber nach Southampton und da fand ich ihn unter den Passagieren." Er hielt inne und aus ihrer Kehle kam es stammelnd: „Wie?" Er blickte noch immer nicht auf. „Er war krank, es war ein schon lange eingewurzeltes Nieren- leiden; ich sorgte natürlich dafür, daß er sofort tn ein Hospital gebracht wurde — nach London, wo ich mich noch länger auf hielt und nach ihm sehen konnte. Er hat nicht lange gelitten und er wurde sorgfältig verpflegt; er war ruhig und geduldig und freute sich, mich zu sehen. Daß Sie benachrichtigt würden, wünschte er nicht, und da ich wußte, wie Sie hier gefesselt waren, hielt auch ich es für besser, Ihnen die Strapazen der Reise und die Aufregungen eines solchen Wiedersehens zu ersparen. Helfen konnten Sie nicht, denn es geschah, was geschehen konnte. Er trug mir Grüße für Sie auf. Sie wissen ja, wie er war. Er sah die Dinge stets nur von seinem Standpunkte aus und er blieb sich bis zum letzten Augenblick getreu. Und ist es Ihnen nicht beruhigender, Ge naue» Uber sein Ende zu wissen, als die bisherige völlige Unge wißheit?" Die ganze Rede kam sehr ruhig und gleichmäßig heraus, der Berichterstatter verrieth keinerlei Gefühlsaffecte, und obgleich Ottilie, freilich dumpf nur, die Empfindung hatte, als sei eine dunkle Wand vor ihr gewichen, durchschauerte sie doch seine Kälte. „Ich danke Ihnen — wieder sind Sie e» gewesen, der —" Sie konnte nicht weiter. Er war aufgestanden, sie sah seine Gestalt wie durch einen Schleier. „Sie sind erschüttert, ich begreife es, es wurde mir schwer, aber ich wollte es Ihnen doch selber sagen —" Sie verbarg ihr Gesicht hinter ihrem Taschentuch, sie reichte ihm die Hand, die er flüchtig drückte. Sie hörte durch das Brausen vor ihren Ohren seinen Schritt, daS Schließen der Thür — er war gegangen und sic brach zusammen. — Claus blieb nur vierzehn Tage, versprach aber, im Sommer wieder zu kommen. Ottilie hatte noch eine Unterredung mit ihm über die Begegnung und den Tod ihres Vaters. Er hatte ja Alles mit angesehen und erlebt. „Warum berichteten Sie mir kein Wort davon", sagte sie zn ihm, wir sprachen uns doch ausführlich." „Ich wollte nicht mit der Hiobspost kommen", entgegnete er, „Sic glauben nicht, wie mir so etwas widerstrebt. Das paßte besser für Ludwig, er war ja auch derjenige, der für Alles sorgte. Das versichere ich Sie, gnädige Frau, Herr Röpke ist verpflegt worden, wie ein Prinz, und jeden Tag ist der Ludwig zu ihm gegangen. Wir mochten vorhaben, was wir wollten, der Besuch wurde gemacht. Treu ist Ludwig, ich habe nie einen Treueren gefunden. Und der alte Herr war ganz fidel, ich bin ein paarmal mit bei ihm gewesen. Ich dachte mir's wohl, daß ich Freunde finden würde, wenn ich nur erst europäischen Boden unter den Füßen hätte, pflegte er zu sagen. Da drüben, da ist schlimmes Caliber, bätt' nicht fortgehen sollen damals." Es war Ottilie, als ob sie den Vater reden höre, wenn Claus mit seinem Talent für Nachahmung die Rede wiedergab. Ja, Ludwig war treu — treu auch im Gedenken des Vergangener^ an großmüthiger Aufopferung übertraf ihn schwerlich Jemand. Der Secretair der Prinzessin war bei seinen Erkundigungen zu der Einsicht gelangt, daß die Verhältnisse des BaronS Wald stätten so verworren, das Gut so tief verschuldet waren, daß er gar nicht im Stand« sein werde, sich herauszuarbeiten. Da wäre es besser, wenn die Summe, welche die Frau Prinzessin opfern wollte, später der jungen Wittwe und ihrem Kinde zu Gute kam, anstatt jetzt in einen bodenlosen Abgrund zu fallen. In diesem Sinne wurde der Bittstellerin berichtet. Also Abschlag — Danaidenarbeit — neue Katastrophen in Sicht — die Zukunft lichtleere Oede! Einstweilen aber mutzte da» Angefangenr bei Bestand
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