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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.04.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-04-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980401017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898040101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898040101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-04
- Tag1898-04-01
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Gröbere Schriften laut unserem Preis verzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Deila,en (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbrfördrrung 60.—, mn Postbrförderung 70.—. Ännahmeschluß M Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen- Au-gabe: Nachmittag« 4 Uhr. Vei den Filialen und Annahmestellen je rin« halbe Stande sruhrr. Anzeigen sind stets an dir Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Volz in Leipzig m Jahrgang Freitag den 1. April 1898. Zum Geburtstage des Fürsten Sismarck. K Mit dem jungen Frühling geht die frohe Kunde in» Land, Fürst Bismarck trete wohlgrmuth und in vielver sprechendem Gesundheitszustand in sein 84. Lebensjahr. Die dem hohen Alter unfreundliche winterliche Jahreszeit hat dem Altreichskanzler wohl mancherlei Beschwerden gebracht, und deren Nachwehen ließen e» gerathen erscheinen, die persön liche Huldigung, die die Nachbarn als die ungewählten, darum aber nicht minder bevollmächtigten Dolmetscher der Gefühle Alldeutschlands am 1. April darzubringen pflegen, in den Mai zu verschieben. So wird der heutige Geburtstag in FriedrichSruh stiller verlaufen als sonst. Aber eS braucht nicht Fackellichter und Musikklänge, um zu zeigen und zu verkünden, daß die Deutschen glücklich sind, ihren BiSmarck in der vollen Frische de» unvergleichlichen Geiste« unter sich zu wissen. „Es ist eine Wollust, einen großen Mann zu sehen", dies Wort legt Goethe einer der sympathischsten Gestalten seine« „Götz" in den Mund. Aber wie klein ist im Vergleich zu unserer Empfindung am heutigen Tage die in der Rede de« Bruder Martin zum Ausdruck kommende rein menschliche Freude an dem bloßen Dasein eine« von der Natur über Alle Erhobenen, diese ästhetische Bewunderung der Größe! Dies Gefühl theilt mit Deutschland Bismarck gegenüber eine Welt, in unseren Schooß aber fielen uno fallen die Früchte von dem herrlichen Menschenbaume, an dem die Anderen nur daS geistige Auge weiden dürfen. Was Deutschland ist, ist e« durch ihn geworden, vor der Liebe und Dankbarkeit, die wir dem Großen zollen, verblaßt die Bewunderung der Völker um un« herum. Der Deutschen al« der Beglückten Hgungen -sinb^'eZgeÜnütziger al- die ihren und dennoch edler, denn BiSmarck hat uns da« Beste gegeben, wa» einer durch Blut, Sprache und Sinnesart zusammengehörigen Menge beschieden werden kann: er hat un» zu einem Volke gemacht, au« dem „geographischen Begriff Deutschland" ein Vaterland geschaffen. Auch heute, nachdem er schon lange von der Stätte amtlicher Bethätigung geschieden, ist die Liebe zu BiSmarck nicht uneigennützig; heute weniger als je. Gewiß, die reine Freude am Manne ist unbegrenzt und sie wächst noch, da Veröffentlichungen aller Art da« wunderbare Charakterbild in die Beleuchtung verschiedenartigster LebenSbrziehungen rücken, da die Art, sich menschlich zu geben, die Anmuth der Rede, di« Fülle des durch Selbstbelehrung und Erfahrung erworbenen Wissen» in das Gewaltige viel« bisher unbekannte Zuge de- Liebenswürdigen ein zeichnen, und doch alle» neu Hinzuzesügte den Mann immer al- Denselben erscheinen läßt, ein Heldengebilde aus einem Gusse. Aber wir beglücken un- nicht nur an dem Anblicke, wir saugen immerdar von seiurr Kraft. Der „BiSmarck im Ruhestande" ist eine amtlich gestempelte Er scheinung, aber nicht in dem Umfange eine Realität, wie er vor acht Jahren geträumt war. Der erste Kanzler wirkt noch weit und tief und er leitet. Denn die deutsche Nation hat den Beschluß de» 20. März 1890 nicht ratificirt und sie sucht und findet bei dem Weisen in FriedrichS ruh eine Führung, zu der sich da» „Gouvernement" verhält, wie der durch Zwang mit Zuhörern umgebene Schulmeister zu dem freiwillig ausgesuchten Lehrer. Man hat sich, und gerade im verflossenen Lebensjahre deS Altreichskanzlers, vor diese Thatsache gebeugt und wird auS der offenkundigen Nützlichkeit der damit bekundeten Einsicht hoffentlich wenigstens die Lehre ziehen, daß gegen BiSmarck abgeschnellte Pfeile den Schützen treffen. Die FriedrichSruher Kritik ist, wie man annehmea darf, noch heute so wenig ge liebt wie vor Jahren. Aber sie ist eine gefürchtete geworden und dieser leicht vorauSzusehenden, aber doch nicht überall ge ahnten Entwickelung ist e- vor Allem zuzuschreiben, daß wir in der deutschen Politik wieder Spuren einer unter Wilhelm I. beispiellos bewährten Staatskunst begegnen. Freilich der Erfolg der Wiederaufnahme der alten Ueberlieferungen hängt vom Können ab, daS Schicksal de» richtigen Gedanken- von der Art seiner Durchführung. Dem hat sich Deutschland als einem Erdenloose zu beugen, soweit der Mitwirkung d-z großen BeratherS und Warners Grenzen gezogen sind. Innerhalb dieser Grenzen aber wollen wir auch künftig aus den Fürsten Bismarck hoffen. DaS d ich oedarf seiner nun erst recht. Die Unterbrechung einer zehnjährigen Periode von Mißerfolgen, deren Zeugen wir augenblicklich sind, bringt neue Gefahren. Die ehrliche Ueberschwänglich- keit, die, weil sie, allzu unverwöhnt, au- kleinen Fortschritten glänzende Errungenschaften de» Genie» macht, sowie der um sich greifende und berechnendeByzantiniSmu», derTäuschungen dieser Art bewußt erzeugt uud nährt, bedrohen den Fortbestand der jetzt eingetretenen solideren Staatsleitung um so mehr, al» neben der Ueberschätzung von Aeußer'ichkeiten die Neigung, leicht mit sich selbst zufrieden zu sein, einen Zug des neuen EurseS bildet. Da- stärkste Gegengewiü,' gegen diese Mängel liegt in FriedrichSruh. Aber auch von unten gesellen sich neue Tätlichkeiten zu den alten. E» mehren sich die Versuche, natürlichen Gegnern de» jungen National staates vor der Nation zu bescheinigen, ihre gelegent lich zu wohlerwogenen selbstischen Zwecken angenommene reichsfreundliche Larve sei das verwandelte wahre Antlitz der Heuchelnden. Fürst BiSmarck'« durchdringender Blick bewahrt ihn vor dieser Selbsttäuschung. Er hat kürzlich von dem Hasse als der stärksten Triebfeder großen ThunS ge sprochen. Der Haß, den er meinte, ist die Leiden schaft für DaS, waS uns groß und edel dünkt und das der Gehaßte zu hindern oder zu zerstören droht. Solchen Haß bewahrt sich der rechte Mann auch ins Alter hinüber, und weil er als LiebeSscuer für sein Volk in dem hohen Greise zu FriedrichSruh fortlodert, läßt uns sein Erlöschen bei Anderen nur um so sehnlicher wünschen, Fürst BiSmarck möge die Hoffnung der Aerzte rechtfertigen und daS Alter seines großen kaiserlichen Mitstreiters er reichen, nicht nur zum Stolz und zur Freude, auch zur Wohlfahrt deS Vaterlandes. Deutsches Reich. ?. Pirna, 30. März. Während bisher angenommen werden mußte, daß in unserem 8. sächsischen Reichs tags-Wahlkreise nicht weniger als vier Candidaten auf der Bildfläche erscheinen würden, hat man es in Wirklichkeit nun wohl nur mit zweien zu thun, und zwar mit dem Mäntel fabrikanten Lotze, der als Reformer das Mandat gegenwärtig besitzt, sowie dem Töpfer Fräßdorf als Candidat der Socialisten. Bon einer Eandidatur des Reichstreuen Vereins, die man sicher erwartet hatte, ist nämlich noch nichts zu hören, wie auch die Freisinnigen es Unterlasten, einen besonderen Candidaten auf zustellen. Es war in Bezug hierauf bisher von einem Fa- drikauieu I.r Sebnitz die Rede. Ganz bedeutende Dimensionen dürfte unzweifelhaft die socialistische Agitation annehmen. Durch die Anlage vieler neuer Fabriken im Bezirke und die dadurch herbeigeführte wesentlich' Vermehrung der Arbeiter massen wird derselben großer Vorschub geleistet. > Berlin, 31. März. Der Sorialdemokrat K. Kautsky bringt im letzten Heft der „Neuen Zeit" eine Artikelserie über Eolonialpolitik zum Abschluß. Sie gipfelt in folgendem Resum6: „Die ostasiatische Politik unserer Rrichsreqierung, die Politik der Eroberungen und GebietSerwerbungrn in China, die Politik der Isolirung Englands und der Förderung Rußland«, die Politik der Erhebung Deutschland», das seine territoriale Begrenzung schon zu übermäßiger Belastung durch das Landheer drängt, zu einer See macht, die auch noch da« Wettrennen in den Flottenriistungen mit- zumachen hat, diese Politik ist selbst vom bloßen bürgerlichen Stand- punct, vom Standpunkt der Förderung der industriellen Entwicke lung, verwerflich. Sie ist nicht fortschrittliche, sondern reactionaire Politik, nicht moderne bürgerliche Politik, sondern ein Zweig jener Wiedererweckung der absolutistischen feudalen Politik, die aus dem europäischen Continent allenthalben al« ebenso borntrte wie brnta e Reaktion gegen die der Entwickelung dienenden Seiten teö 7 mchesterthum» grassirt. Sie ist, schon von einem etwas ' öh»- n bürgerlichen Standpunkt aus, ebenso zu bekämpfen wie die Lebensmittelzölle, wie die Prämien und Liebesgaben, wie Innung?, wesen und Unterbindung der Freizügigkeit, wie die Beschränkung der Coalitionsfreiheit »nd die Staat-wirthschaft zu fiscalischeu Zwecken. Die moderne deutsche Tol ontalpolitik ist ei» würdiges Glied dieses reactionairen Rattenkönig«. Muß selbst der bürgerliche Freund der industriellen Entwickelung der deutschen Colonial- und Flottenpolitik widerstreben, so noch weit energischer die orutsche Socialdemokratie, die Selbstmord be- gehen und das Proletariat auf Tiefste schädigen würde, wollte sie die Machtmittel des Systeins Posadowsky-Stumm vermehren. Sie darf und kann dem heutigen Regierungssystrm keinen Mann »nd keinen Groschen bewilligen. Aber sie würde der heutigen Colonial- und Flottenpolitik unter allen Umständen entgegentrelen müssen, auch dann, wenn diese von einem Regierungssystem ausginge, dar dem aufstrebenden Proletariat nicht grundsätzlich feindselig gegen- überstände." Diese Auslassung iiuponirt der „Sächs. Arbeiterztg." ungemein. Sie findet, daß, „wie man eS bei Kautsky gewöhnt sei, auch diese schriftstellerische Arbeit auf einer soliden ge schichtlichen Grundlage beruhe und eine Menge werthvoller wirthschaftlicherund politischer Rückblicke und Ausblicke enthalte". Andere würden diese „werthvollen Rück- und Ausblicke" — um ü, la Kautsky zu sprechen — ebenso „bornirt wie brutal" finden. Sonst war die „Sächs. Arbeiterztg." gar nicht so ein Herz und eine Seele mit Herrn Kautsky, aber nun haben sich, wie die „Arb.-Ztg." eingesteht, die Freunde auf dem social-revolutionairen Wege wieder gefunden. Uebrigens scheinen die Herren von der rothen Fahne gar nicht zu merken, in welchen Widersprüchen sie sich hinsichtlich ihrer Ansicht von der Colonialpolitik bewegen. Die Colonial politik beschleunigt nach socialdemokratischer Ansicht die Krisis der kapitalistischen Waarenproduclion. Wenn die Socialdemokraten consequcnt sein wollten, müßten sie also die Colonialpolitik ganz besonders fördern, damit sie recht bald am Grabe der heutigen Wirthschastsform ihren ZukunftSstaat errichten könnten. * Berlin, 31. März. Der Streit um d bürgermeisterposten ist entbrannt. All C.u.-n für diesen Posten hatte ein hiesiges Blatt den Bürgern?- Kirschner genannt. NttN spricht sich die „ Feill ' sehr energisch gegen diese Eandidatur aas,, rnden >r ine Nennung des Herrn Kirschner erkläre sich I o - Herr Kirschner zu den Führern der Freisinnige:. in Berlin gehört und bei allen Kundgebungen derselben mehr in der veffentlichkeit hervorgetreten ist, als eS sonst Oberbürger meister upd Bürgermeister von Berlin zu thun pflegen. Auch ist Herr Kirschner bekanntlich in erster Reihe verantwortlich für den Lehrerbesoldungsplan, der in der Oeffentlichkeit zu so viel Anfechtungen „Anlaß gegeben hat." Die „Köln. Ztg." aber meint, ihre- Erachtens wäre jetzt die günstigste Gelegenheit für die fortschrittlichen Wahlmacher, keinen Geringeren als ihren Meister selbst, Herrn Eugen Richter, auf den Schild zu erheben. „Er hat", so spottet das Blatt, „vor 34 Jahren seine Laufbahn in der Gemeindeverwaltung beginnen wollen; er ha! noch neuerdings in den tragischen Kämpfen gegen die Herren Rickert und Barth einerseits und Liebermann von Sonnen berg und Ablwardt andererseits, ein derartiges taktisches Geschick und eine solche Ueberlegenheit in freundlicher Kritik an den Tag gelegt, daß in den Augen seiner ihn blind verehrenden Gefolgschaft wir aff» eine Andeutung — «ff««» WffMiS «e ein»st» »isher veröffentlichte — über «ine I««»« blieb, Bismarcks , Lismarck und -ie Frauen. Bon Reinhold Schneider. RechdruS verboten. Wir sind gewohnt, daß im Leben von Staatsmännern die Frauen und die Frauenabenteuer eine große und nicht immer ansprechende Rolle spiele». Ja, in jenen „guten" »«en Zeiten, da die Diplomatie noch in dem romantischen Halbdunkel der Jatrigue zu wandeln liebte und sich noch nicht zu der schlichten, ehrlichen Kunst des Realen entwickelt hatte, zu der sie wesent lich der ehemalige Deichhauvtmann von Schönhausen gemacht hat, — in jenen Zeilen gehörten die galanten Affairen für die Diplomaten zum guten Ton, und wenn sie Glück in der Liebe hatten, so war da» für die Staatsmänner de» Rococo» ein Vor- theil und ein Ruhm. Daß aber auch in unserer Zeit noch da» Verhältniß zwischen der Diplomatie und dem schöneren Ge schlechte einen sehr intimen Charakter trägt, beweisen die Schick sale von Männern wie Gortschakow und Gambetta. In dieser Hinsicht, wie in so vielen anderen, bildet Bi»marck ein« Aus nahme unter seinen „Collegen*. Man kann shn hier mit einem oft zu Unrecht mit ihm verglichenen Manne zusammenstellen: mit Gladstone. Beider Leben ist völlig frei von galanten Aben teuern und von Lirbe-affairen irgend welcher anrüchigen oder bedenklichen Art, Beide stehen in Bezug aus ihr Ebeleben ein- wandSsrei und völlig sittenrein da. Doch unterscheiden sich die beiden Staatsmänner auch wieder iN dieser Ähnlichkeit.- Glad stone, der schroffe» strenge, finstere Puritaner, bat von Hause au» für die Frau nicht eben viel Interesse und Verständnis,; Bir- marck aber, eine ritterliche Natur durch und durch, hat die weib liche Eigenart, den Reiz der Frau immer empfunden und ge schätzt, hat weibliche Sesellschast gern ausgesucht und zeitig ver standen, daß ein Dasein ohne Frauen nicht lebenSwerth, daß e» öde uud traurig sein würde. Der junge stattliche und selbstbewußte Student, Referendar und Officter, der so viel in den Kreisen der Gesellschaft »er- kehrte, hat natürlich auch so manchen gehabt, aber nur einmal — vielleicht in seiner Aachener Zeit — scheint sein Her tiefer berührt worden -u sein. In jenem reizenden Briefe an feine „Madame'" Schwestn vom S. April L8W erzählt er von seiuem Johann, der seinen Liebeskummer dadurch -u beschneie-- iigen sucht, daß er .«»«ff» konsequent wie falsch einen gan- infamen Schottischen pfifft. F>a» Ideal sein« Träume hat vor Kurie» auf Zurede« der Ettern ihm ahgffstgt tmd ein«, Stellmacher,«Heirat-et. Gan- n-i, Kall, bt» auf de» Stell- Sie muß damals in ihm noch gelebt haben, denn er gesteht in demselben Schreiben, daß „am Ende noch ein Pollak von Neigung für meine ungetreue Stellmacherin" in ihm stecke. Und deut licher noch als diese Anspielung spricht für den Ernst diese» Herzenserlebnisses die damalige Stimmung des „tollen Bis marck", die Zerrissenheit seines Gemüths, die in ihm lebende Un rast und Unzufriedenheit und seine heiße Sehnsucht nach Liebe und Frieden. Da war es freilich leicht, die Diagnose der Krankheit zu stellen; „heirathen muß er", sagten alle Gutsbesitzersdamen der Umgebung, und sie waren nicht träge, ihm den Schritt zu erleichtern. Bald die», bald jene» junge Fräulein taucht al» Eandidatin für den weiblichen Vorsitz in Kniephof auf; aber BiSmarck, dessen kri tischer Sinn den Damen gegenüber, durch seine neuerlichen Er lebnisse geschärft war, blieb alle« Bersuchungen gegenüber kühl, und selbst als in einer Saison die Verlobungen so arg grassirt hatten, daß BiSmarck und eine gewiffe Dame als einziges Paar zurückgeblieben waren, und man ihm nun diese Fügung al» einen beherzigenLwerthen Wink hinstellte, gewann er es über sich, die Hoffnungen deS Fräulein», da» er selbst al» hübsch be zeichnete, zu enttäuschen und auch diese Tanz-, Diner« und BerlobungSsaison unter der Mißbilligung aller älteren Damen al» Junggeselle zu beschließen. Da» ruhige Urtheil, da» BiSmarck in dieser bedeutsamen Zeit seine» Leben» den Damen gegenüber sich gewahrt hat, ist für seine Stelluaa zu den Frauen überhaupt charakteristisch. Im Quartier zu Versailles spottete er einmal über «inen preußischen Diplomaten, der stet» in die Gouveraininnen de» Hofe«, bei dem er accreditirt war, verliebt geweseu sei, so erst in die Königin Von Griechenland und dann in die Kaiserin Eugenik. Im Geaensatze hierzu war BiSmarck, nachdem er einmal seines Lebens Gefährtin gefunden hatte, nie mehr verliebt, und nie hat er sich in seinen Anschauungen und Maßregeln al» Diplomat durch Frauenschönheit und Frauenkünste beeinflussen lassen. Auch der Frau gegenüber blieb er der große Menschenkenner, dessen Streben e» stet» war, ein möglichst objektives Urtheil Uber die seinen Kreit kreuzenden Personen zu gewinnen. Eugenien» seltene Schönheit bat er nie verkannt; Ztt ist noch immer eine der schönste« Frauen, die ich kenne; sie hat sich «her embellirt seit fünf Jahren", schrieb er nach Antritt feine» Botschafterposten» in Pari». Aber diese Schönheit ließ ibn dabei so kalt, daß er die Reize der Kaiserin später ganz objektiv abwog; er fand, daß be sonder» ihr Nacken von großer Vollendung der Form sei. Aber weder ibr« Schönheit «och ihre Liebenswürdigkeit und Lustigkeit vermocht» ihn im Geringsten in seinem Uriheile über ihren Charakter uud die Gefährlichkeit ihrer politischen Anschauungen zu beirre«. Traf er nun auf Dame«, bi« ihr« Reize selbst al» Verflbnm-I- «nd Auzttbung»mttttl ans dem diplomatischen Kampfplatz« verwandten, so trat er ihnen im Vollgefühle seiner Unberiönndbartttt mit einer Ueberlegenheit und einem ruhigen Humor« gegenüber, die ihn stei» zum Stärkeren machten. Alle Liel-nswürdigkeit der Frau von Vrinis in Frankfurt hinderte ihn nicht, in ihrem Salon „eine Art von österreichischem weib lichen Hauptquartier" zu erkennen, und ihr darnach ihren Platz in feinem Spiele zuzuschreiben. Dabei wußte er freilich die Schwächen Anderer in Bezug auf das weibliche Geschlecht mit Meisterschaft zu benutzen. So rieth er stets, in der dänischen Frage sich des Beistandes der Gräfin Danner zu versichern, der einstigen Putzmacherin RaSmusscn, die König Friedrich's VH. Herz unumschränkt beherrschte und sich zu seiner morganatischen Gemahlin aufgeschwungen hatte. Ebenso war er später als Kanzler auf die weiblichen Einflüsse, die wiederholt von England her wirkten, sehr aufmerksam. Aber rechnete er so, wie immer, mit den thatsächlichen Verhältnissen, so empfand er doch stets pölitisirenden Damen gegenüber ein Mißbehagen, und wenn er von der Gattin des österreichischen Gesandten in Frankfurt, Grafen Thun, rühmt: „Die Frau ist liebenswürdig, macht ein angenehmes HauS und gar keine Politik!" so läßt diese kurze, aber vielsagende Charakteristik seine Anschauungen klar erkennen. Wenn BiSmarck der Damendiplomatie Ironie und selbst Geringachtung entgegenbrachte, so waren solche Empfindungen seiner Anschauung über die Frau überhaupt von je durchaus fremd. Ja, man darf ihn als den typischen Vertreter der eigentlich deutschen Auffassung der Frau bezeichnen. Wenn die Franzosen der Frau mehr äußere Huldigung widmen und ihr einen größeren Einfluß in den öffentlichen Dingen erlauben, so lebt in dem Deutschen noch heute jene Ehrfurcht vor der Frauennatur, die bereits Tacitus erwähnt hat. Dies Gefühl ist e», da» BiSmarck'» Verhältniß zu seiner Frau so durchwärmt und verklärt. Er empfand, wie viel er ihr verdanke: „Sie ahne« nicht, wa» diese Frau au« mir gemacht hat", hat er ge äußert. Genoß er ohne sie Schönes, so hatte er „schlechtes Ge wissen"; dachte er an die Zeit zurück, wo er sie noch nicht die Seme ejenannt hotte, so erschien sie ihm schal und trostlos, fast selbst sittenlos.. In einem der trübsten Momente seines Lebens hat BiSmarck seine Ehrfurcht vor den Rechten der Frau am ein drucksvollsten vertreten, damals, al» er daran festhielt, daß am Salon seiner Frau die Macht und der Befehl selbst de» Mäch tigsten ende. ES liegt in dieser Auffassung die Anerkennung, daß die Frau ein völlig eigene», selbstständige» Wesen ist, und damit eine echtere und tiefere Anerkennung der Gleichberechtigung der Frau,nkS in allen Emancipationsbestrebungen. Al» Gleich berechtigte hat BiSmarck äuch stet» alle Frauen, mit denen er in nähere persönliche Beziehung trat, behandelt. Mit seiner Schwester Malwine und seiner Frau hat er seine Ansichten über die bedeutsamsten Angelegeuheiten de» inneren und äußeren Leben» ««»getauscht, vor chnen hat er häufig sein« persönlichsten Gedanken auilgeschitttrt und hat ihrem weiblichen Rackh« und Lacte vertraut. Auch hatte er vo-ttz vrffkäudniß .fur bi« Schwierigkeiten, die der Frau im Kamps» he»L«btp»^eaWH«n. Um so ferner ave» steht er allen Bestr^n^, IM^BrrRMnitz der Frau zu« Matme seine« natürlichen LH«rakM»pt «Weiden, es sozusagen zu egalisiren. Er ist den Frauen gegenüber immer der Mann, der Ritter, der Cavalicr gewesen, ist ihnen immer mit voller Liebenswürdigkeit und Artigkeit entgegengetreten, nicht aus galanten Neigungen, sondern weil ihm dies Verhalten Herzenssache, Natur war. Er hatte ihnen gegenüber die Höf lichkeit des Herzen». Wenn er die jungen Verehrerinnen, die seine Hände küssen wollen, mit den Worten zurückweist: „Das wäre ja verkehrte Welt", so ist das für sein Verhalten charakteristisch. Noch als Greis huldigt er im edelsten Sinne der Frau, vernachlässigt er keine der Formen, durch die der Brauch das zartere Geschlecht zugleich geschützt und geehrt hat. So konnte er zu den Damen, die er schätzte, in ein im besten Sinne kameradschaftliches, zwangloses und freies Verhältniß treten, wie z. B. mit jener Fürstin Orlow, mit der er die schönen Biarritzer Tage von 1864 in so ungetrübter Harmonie verlebte. Wie sich an den Staatsmännern, die ihrer Leidenschaften nicht Herr waren und sich zu Sclaven der Frauen machten, dies früher oder später stets gerächt hat, so durfte Bismarck die Früchte seines offenen, sittenreinrn und noblen Verhältnisses zur Frauenwelt genießen. Diese Frucht ist die Liebe der deutschen Frau, die sich in unzähligen Gaben, Aufmerksamkeiten und Huldigungen in geradezu ergreifender Weise geäußert hat. In jenem einzigen Museum der Dankbarkeit, da« in dem alten Guts hause zu Schönhausen sich befindet, spricht sich die Liede und Verehrung der Frauen auf die mannigfachste Weise aus, hier in einer mächtigen, kunstvoll ausgestatteten Adresse, dort in einer bescheidenen Brieftasche, in stillen Stunden mit treuem Gedenken des großen Manne» gestickt. Und Fürst Bismarck weiß diese Liebe der deutschen Frau, die ihm als Menschen so wohlthuk, auch als Staatsmann zu würdigen. Am 30. März 1894 hat er es einer Abordnung deutscher FraMik ausgesprochen, daß er sein Werk darum jetzt für- ganz gesichert halte, weil sein Gedanke „bis in die Frauengemächer" gedrungen sei und sich dort einen festen Platz erobert habe. „WaS bei un» bi» in die Häuslichkeit der Frau durchgedrungen ist, daS sitzt fest", sagte er und gab so am Abende seines großen Leben» noch einmal seiner tief inner lichen Werthschätzung der Frau und ihre» Wirken» Ausdruck. Wie er im Heim ihr wahre» Wirkung»feld sieht, wie er da« Prätentiöse an der Frau verlacht und ihr stille» «Re» Thun und Schaffen ehrt, wie er in ihr da» bindende Element unsere» gesammten, oft so zerfahrenen Dasein» erbktckt und di» Eh« al» da» Heiligthum de» Lebe«» betrachtet, wie er jeder lustigen, sklavischen und krankhaften Galanterie fremd »nd doch ein echter Ritter der Fraur« vom Scheitel bi» zur.Ss-A tstr auch darin ist BiSmarck der echte Vertreter de» deutschen BouSempsinden».
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