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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.04.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-04-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980409015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898040901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898040901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-04
- Tag1898-04-09
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«tjchlasd u»d Oesterreich: vterreuäbrltch . Direkt« täglich« Kreuzbandsrndung DA AnSland: »onatüch 7ck0. t H» tzmchtqkpedtttoa oder d« t» StM- Wkk mch dtt Bornrteu errichteten Lu«- «vestellen nhgohoke: vftrteljöhrltch^lschü, Dft BKrgM^lvSgab« ericheint »« '/,7 Uhr. hi» Ubqch-H»sg«b, Woche»t»g« um b U-r. Uedsctir« und Erpediti»«- S«havtee»«affe 8. PieLlpeditjo» ist Wochentagr »»»»terbrochsH »«uet »t» früh 8 bi» «brM 7 Filialen: Vtt» Ale»«'» Eortt«. (Alfrek Hatz«), UniversitätSstraße 8 (Paulinum), Laut» Lisch», Aatbartneustr. p«t. und König-Platz7. Morgen-Ausgabe. MpMcr TaMalt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes nnd Valizei-Nmtes -er Stadt Leipzig. Aazergea-PU«»- «e e gespaltene Petitzeile ro Big. Nrrlame, »»ter dem R-dacttoaSftrtch (4g»« spalten) 50^, vor den AaMiti-nnachnchtM (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unser«« Preis, verzeichmß. Tebellarischer nutz Zfffernfatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage« (gefalzt), »»» mit der Morgen - AuSaabe, ohne Postbeförderung vO—, mit Postbeförderung 70.—. Ivvatfmeschlnß für Fsyeigen: Ab end-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» ft ein« halbe Stunde früher. Anzeigen smd stet» an die chrtzetzitt»» zu richten. Druck uud Lerlag vou E. Polz in Leipzig. 178 92. Jahrgang. Sonnabend den 9. April 1898. Zur Geschichte unserer Straßennamen. (Schluß.) Wenn eine neue Straße Lessingstraße genannt wird, so ist damit die Aufgabe, eine Straße zu taufen, eigentlich ganz aus den Augen verloren. Denn was hat die Lessingstraße mit Lessing zu thun? Nicht das Geringste. Jede beliebige Straße kann Lessingstraße genannt werden. In dem Namen lftgt nichts, was gerade dieser Straße eigenthümlich wäre. Solche Namen sind ein Nothbehelf, zu dem das rasche Anwachsen unsrer Städte und die Einförmigkeit unsrer modernen Straßen, die auf alles Eigenthümliche und Unterscheidende verzichtet, all mählich gezwungen hat. Zum Glück ist auch hier aus der Noth eine Tugend gemacht worden. Als man in Leipzig anfing, zu diesem Mittel zu greifen, wurde wiederholt im Scherz darauf hingewiesen, daß eine Straße nach einem großen Manne zu nennen die billigste Art sei, ihm ein Denkmal in der Stadt zu setzen; es koste das nur ein paar Straßenschilder. Man kann das aber in vollem Ernste sagen: jede solche Straße ist wirklich eine Art von Denkmal, das dem Betreffenden errichtet wird, und so haben diese Straßennamen mit der Zeit eine gewisse volkspädagogische Bedeutung gewonnen, deren man sich nur freuen kann, und die um so erzieherischer wirken kann, je mehr sich dabei die Behörden allen Scheingrößen und allen Modegötzen des Tages gegenüber ablehnend verhalten. Freilich darf man sie auch nicht überschätzen, denn solche Namen nutzen sich schnell ab und werden für die große Masse zu bloßem Schall; das heimliche Vergnügen, bei der Nennung eines solchen Namens immer auch wirklich des großen Trägers zu gedenken, bleibt doch schließlich auf sehr enge Kreise beschränkt. Bezeichnend ist die Reihenfolge, in der in Leipzig die Namen hervorragender Personen zur Straßenbenennung heran gezogen worden sind; es spiegelt sich darin ein gutes Stück Geschichte und Kulturgeschichte unseres Volkes und unserer Stadt wider. Zunächst lenkte man den Blick, wie natürlich, auf das sächsische Königshaus, dem sich nach der Einigung Deutsch lands ebenso natürlich das deutsche Kaiserhaus anschloß; dann kamen die Nationalgrößen der Vergangenheit und der Gegen wart an die Reihe, daneben auch einige dem Ausland ange hörige, und schließlich die Localgrößen. Den Anfang machten 1839 der Augustusplatz, der Königs platz und die Antonstraße. Dann folgten die Albertstraße, die Elisenstraße, die Königstraße, die Georgenstraße, die Carolinen- straße, die Sophienstraße und die Sidonienstraße, nach dem großen Kriege die Kaiser-Wilhelmstraße (beiläufig: die erste, bei der man den Fürstentitel dazuzusetzen für nöthig hielt), die Wettinerstraße, die Kronprinzstraße, die Kaiserin-Augustastraße und die König-Johannstraße. Den ersten Anlaß, eine Leipziger Straße nach einem großen Manne zu nennen, der dem Volke angehört, gab die Feier, die nach dem vierhundertjährigen Jubiläum der Erfindung der Buchdruckerkunst zum ersten Male wieder eine starke nationale Begeisterung entzündete: die Schillerfeier im Jahre 1859. Die Benennung der Schsllerstraße wurde vom Rath am 10. November 1859 im Tageblatt veröffentlicht und dabei ausdrücklich auf das Jubiläum hingewiesen. Auch bei den nun zunächst sich an schließenden Namen wurde keineswegs willkürlich oder mechanisch verfahren, sondern es lagen meist bestimmte Anlässe vor. Der nächste, der bedacht wurde, war merkwürdigerweise — Gustav Adolf; aber auch das wird begreiflich, wenn wir uns erinnern, daß der Gustav-Adolf-Verein eine Leipziger Schöpfung ist Bei dem Jubiläum der Leipziger Völkerschlacht im October 1863 entstanden dann zunächst die Körner- und die Lützowstraße, denen sich 1867 die Poniatowskystraße und später nach und nach eine große Zahl von Namen aus den Befreiungskriegen und der Leipziger Schlacht anreihten. Ohne besonderen Anlaß wurde 1864 die Lessingstraße genannt, die Gocthestraße 1865 dagegen zum hundertjährigen Jubiläum der Jnscription Goethe's als Student in Leipzig, die Humboldtstraße 1869 zum hundert jährigen Geburtstage Humboldt's, ebenso die Arndtstraße 1870 zum hundertjährigen Geburtstag Arndt's. 1873 folgte zunächst Bismarck und nun in bunter Reihe bis zur Gegenwart: Moltke, Fichte, Stephan, Schenkendorf, Uork, Liebig, Gneisenaü, Stein, Beethoven, Mozart, Kant, Pestalozzi, Scharnhorst, Hardenberg, Haydn, Schumann und Friedrich List. Auf die Stadtgeschichte zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt zu haben, ist das Verdienst des Stadtraths Julius Franke. Er legte, als er 1861 an die Spitze der Neubautendeputation ge treten war, in einem längeren Aufsätze die Gesichtspuncte dar, die nach seiner Ansicht bei Straßenbenennungen maßgebend sein müßten, und als den obersten bezeichnete er den ortsgeschicht lichen. „Jede Stadt, schreibt er, muß ihre geschichtlichen Re- miniscenzen hegen und pflegen; darauf beruht zu einem nicht unwesentlichen Theile die Liebe und Anhänglichkeit der Bürger zu ihrer Stadt; was irgend die historische Anklänge wieder hervorruft und das Interesse daran wach hält, sollte gefördert werden. Dahin gehört auch die Benennung von Straßen und öffentlichen Gebäuden." Er führt dann aus, daß man einerseits alte Namen auch dann nicht ändern solle, wenn sie nicht mehr zutreffend seien („wir würden z. B. die Nitterstraße nicht umgetauft zu sehen wünschen, obwohl längst keine Ritter dort mehr Hausen"), andrerseits bei neuzuschaffenden Namen in die Stadtgeschichte zuriickgreifen solle, die Namen ausgezeichneter und berühmter Leipziger auf Straßen übertragen und dabei womöglich nach localen Anknüpfungspunkten suchen solle. Diese Darlegung Frankes hatte vor allem eine erfreuliche negative Wirkung: sie schob dem Umtaufen alter Straßen namen, wozu die Behörde aus den Kreisen der Bürgerschaft fort und fort gedrängt wurde, einen Riegel vor. An Rückfällen hat es f«tüch «ich- später nichi gefehlt, bis in dü Ggenwart herein. Der ortsgeschichtliche Sinn ist eben leider in unsrer Bürgerschaft auch heute noch äußerst schwach entwickelt. Da gegen steckt den Leuten der Großstadtteufel in den Gliedern, und dazu kommt das immer mehr sich abstumpfende und ver wirrende Sprachgefühl, das z. B. keine Ahnung mehr hat von der eigentlichen Bedeutung der Wörter Gasse und Straße, und sich fortwährend einbildet, Gasse sei etwas gemeines, Straße etwas vornehmes. 1870 setzte einmal jemand alles Ernstes in einer Eingabe an den Rath auseinander, Leipzig als „Groß stadt" dürfe doch keine Gäßchen mehr haben, höchstens Gassen, und beantragte die Umtaufe sämmtlicher elf Leipziger Gäßchen, z. B. des Sporergäßchens in — Spohrgasse oder Sportgasse, des Salzgäßchens in Börsengasse u. s. w. 1873 beantragte einer, die Windmühlenstraße in Kronprinzessin-Wasa-Straße umzu taufen, da doch jetzt alles „verschönert und verbessert" würde! 1875, als der Floßplatz mit Gartenanlagen versehen worden war, wurde, in Eingaben an die Behörde und in der Presse, eine lebhafte Agitation in Scene gesetzt, den Floßplatz in Kaiser- Wilhelmsplatz umzutaufen. Und was hat die Pleißengasse, die Ulrichsgasse, die kleine Burggasse den Rath um Umtaufen be stürmt, in Einzel- und in Massenpetitionen, anonym und unter zeichnet, in Prosa und in Versen! Leider ist solchem Drängen nicht immer genügender Widerstand entgegengesetzt worden, und so ist es z. B. dahin gekommen, daß das heutige „Pleißathen" zwar eine Elsterstraße und eine Parthenstraße, aber keine Pleißenstraße mehr hat, ein Umstand, der an Komik nur noch durch den anderen Umstand übertroffen wird, daß man nach der (ganz überflüssigen) Umtaufe der Neukirche in Matthäikirche eine Zeit lang durch die Barsußgasie (soll heißen: Barfiißergafse — fünfzehntes Jahrhundert!) über den Neukirchhof (siebzehntes Jahrhundert!) in die Matthäikirche ging (neunzehntes Jahr hundert!), bis dann der Neukirchhof auch glücklich in Matthäi- kirchhof umgetauft war. Der positiven Seite seiner Darlegungen gab Stadtrath Franke den nöthigen Nachdruck, indem er gleich für den ersten Vorschlag eines neuen Straßennamens, den er zu machen hatte, selbst in die Stadtgeschichte griff, und da ist es nun eben so natürlich wie erfreulich, daß, wie Schiller der erste war, der bei einer nach einem großen Deutschen zu benennenden Straße in Frage kam, da, wo es sich um einen großen Leipziger handelte, die Blicke sich zuerst auf Gellert lenkten. „Gellert ist — schreibt Franke 1861 — durch sein langjähriges Wirken in Leipzig sowie durch seine ganze Persönlichkeit gewiß einer solchen Ehre Werth. An Anknüpfungspunkten fehlt es nicht: die Straße öffnet sich nach dem Park, in der ungefähren Richtung nach dem schwarzen Brett, wo Gellert lehrte und wirkte; im Park, auf dem kulmini- renden Punkte desselben, dem Schneckenberge, steht Gellerts Denk mal.*) Außerdem läßt die Straße ein sehr freundliches An sehen erwarten; dies und die Oeffnung nach unserm anmuthigen Park entspricht gewiß dem freundlichen, liebevollen Charakter des edlen Mannes." Soviel sinnige Erwägungen wurden frei lich später nicht immer angestellt; auch hier wurde, nachdem einmal das Rezept gefunden war, oft mechanisch verfahren, und so ist denn auch auf Gellert bis 1890 eine ziemlich bunte Reihe gefolgt, mancher ist auffällig früh, mancher auffällig spät drangekommen, mancher würde vielleicht heute überhaupt nicht drankommen, wenn er noch einmal in Frage kommen sollte. Bis 1890 sind, um sie nochmals kurz zusammenzuftellen, folgende Leipziger durch Straßennamen geehrt worden' Schütter, Leibniz, Mahlmann, Mendelssohn, Zöllner, Schreker,'Lortzing, Bach (ver erste Fall, wo eine Straße einen Vornamen erhielt: Sebastian-Bachstraße!), Hiller, Hauptmann, David, Moscheles, Harkort, Koch, Härtel, Plato, Dolz, Jablonowsky, Seeburg, Thomasius, Gottsched, Oescr**), Dufour, Simson, Rhode, Grassi, Seyfferth, Lampe, Wächter, Tauchnitz, Livia Frege, Cichorius. Auch hier waren bisweilen äußere Anlässe vorhanden: das Straßenschild der Zöllnerstraße war zum erstenmal an dem Osterfeiertage sichtbar, wo das Zöllnerdenkmal im Rosenthal enthüllt wurde, die Harkortstraße erhielt ihren Namen, als die Leipzig-Dresdner Eisenbahn an den Staat überging, die Koch *) Es wurde 1864 beim Abtragen des Schneckenberges zerschlagen. Nur das Bildnitz Gellert's wurde aufbewahrt. **)Ter Name Oeserstraße prangte 1881 nur wenige Tage in Leh- mann's Garten. Dann wurde die Tafel wieder entfernt, weil sich der Besitzer des Gartens diesen Eingriff in seine Privatrechte verbat. 1895 wurde dann der Name Oeserstraße einer Straße in Schieußig gegeben. straße wenige Tage nach dem Tode des großen Bürgermeisters. Auch sonst kann man sehen, wer gerade im Vordergründe des Interesses stand. Daß unmittelbar nach Gellert Schletter an die Reihe kam, hatte seinen natürlichen Grund in der Freude über das eben entstandne städtische Museum, das Schletters Stiftung zu danken war. Im übrigen haben aber auch iu dieser Reihe Zufälle und augenblickliche Einfälle eine Rolle gespielt. Eine neue, für viele ganz unerwartete Sachlage in den Leipziger Straßenbenennungen wurde iu den Jahren 1889 bis 1892 durch die Einverleibung von dreizehn Vororten in den Stadtbezirk geschaffen: daß nämlich eine große Anzahl Straßen namen mit einemmale mehrfach vorhanden waren. Nicht nur daß eine Menge von Namen aus der alten Stadt in den Vor orten wiederkehrte, auch Namen, die es bisher in der alten Stadt gar nicht gegeben hatte, waren in den Vororten mehrfach da. Nach einer Zusammenstellung von 1891 waren damals in Leipzig zwei Straßennamen achtfach, je einer siebenfach und sechsfach, acht Namen fünffach, elf Namen vierfach, 23 Namen dreifach und 48 Namen doppelt vorhanden. Dieser Umstand erfuhr von dem Augenblick an, wo man anfing, auf ihn aufmerksam zu werden, die verschiedenste, ja eine geradezu entgegengesetzte Beurtheilung. Die einen hielten es für vollkommen selbstverständlich, daß so schnell als möglich eine große Massenumtaufe, wie 1839, vorgenommen würde — wobei etwa für 160 Straßen neue Namen hätten beschafft werden müssen —, die andern hielten es für ebenso selbst verständlich, daß es nicht nur gänzlich unberechtigt sei, die bis herigen Straßennamen zu ändern, sondern auch ganz unnöthig, da allen Verwechslungen durch Ortsangaben wie Leipzig- Reudnitz, Leipzig-Gohlis u. s. w. leicht vorzubeugen sei. In der That erwies sich eine auch nur einigermaßen be friedigende Umtaufe so vieler Straßennamen bei genauerm Zu sehen als völlig undurchführbar. Zwar war eine große Reihe von Namcn aus der Stadtgeschichte bisher noch unberücksichtigt gebijeben; aber diese erschienen für die Vororte fast sämmtlich ungeeignet. Eine kleine Anzahl von Namen bot die Geschichte der Vororte selbst, außerdem ließen sich die nach Ortschaften benannten Straßen, natürlich unter sorgfältiger Berücksichtigung ihrer Lage und Richtung, noch etwas vermehren. Aber das alles hittte nicht knkskrwt cm4Mrrtcht, für srne^so große Anzähi von Namen Ersatz zu schaffen. Von amtlicher Stelle wie aus den Kreisen der Bürgerschaft wurden dem Rathe zahlreiche Vor schläge unterbreitet: die einen hatten mechanisch die Landkarte der Umgebung Leipzigs nach Dorfnamen abgesucht, die andern ebenso mechanisch die Landkarte Deutschlands nach Städte namen, noch andre hatten in die deutsche Geschichte gegriffen, namentlich auf die Erinnerungen an den deutsch-französischen Krieg hingewiesen, sogar zur Naturgeschichte hatte man seine Zuflucht genommen. Am verfehltesten waren unzweifelhaft die geographischen Vorschläge, obwohl man gerade mit diesen den größten Theil der Aufgabe spielend gelöst zu haben glaubte: sie hätte die Stadt mit einer Masse unechter Straßennamen über schwemmt. Eine Tauchaer Straße in Leipzig — das ist ein echter Straßenname und will auch einer sein; eine Lessingstraße — das ist ein unechter Straßenname und will auch einer sein. Aber eine Hamburger, eine Bremer, eine Lübecker, eine Kieler Straße in Leipzig — das sind echte Straßennamen, aber — es wollen keine sein, es wollen nur — Namen sein. Und noch eins war zu bedenken. Die sechs Albertstraßen, die drei Wettiner- FertiHetsn. Um die Erde. Rrisebrirfe von Paul Lindenberg. Natdruck verboten. Macao, 7. Februar. Macao — aber bei einem Haar hätte ich Monaco ge schrieben! Man kommt leicht dazu, die beiden Namen wie Orte zu verwechseln, denn in mancher Beziehung weisen sie große Uebereinstimmung auf. Schon als wir uns nach sieben stündiger Fahrt von Canton her der Insel näherten, und immer deutlicher aus dem Meer ihre Felsenumrisse, ihre be waldeten Vorsprünge, dann schließlich die am Strande einer weiten Bucht hingelagerte Stadt mit ihren Weißen Gebäuden auftauchte, da rief man unwillkürlich „Monaco!" Und nun, nachdem ich seit etlichen dreißig Stunden, unter welchen die nächtlichen einen nicht unbedeutenden Theil einnehmen, den Ort kennen gelernt, schreibt die Feder sogleich: Monaco! Den Verkehr zwischen Canton und Macao vermitteln große, gut eingerichtete Dampfer, die einer englischen Gesell schaft gehören und unter englischer Flagge fahren. Man ist auf denselben meistens gut aufgehoben, und der Capitaiu unsere» Schiffe», de» „White Cloud", ein alter Seebär, der schon vieler Meere Stürme kennen gelernt, sorgte durch Er zählung von allerhand Abenteuern für Unterhaltung. Wir waren schon am Abend vor dem Abfahrtstage — die Anker werden stet» Morgen» um acht Uhr gelichtet — an Bord gekommen und hatten in der Lady»-Cabine, der einzigen de» Schiffes mit Schlafgelegenheit, gastliche Unterkunft gesunden. Lange noch saßen wir mit dem Capitain, einem vergnügten Schotten, auf dem Vorderdeck, und manch Gla» Whisky mit Soda mußte herbeiaebracht werden, um den Durst unsere» rothwangigen Gesellschafter» zu stillen; der Vollmond spiegelte sich in den Wellen de» Perlflusses wider, von den weiter flußabwärts verankerten Blumenbooten her drang Musik und Gesang herauf, und gespenstisch tauchten ost backseit» die mächtigen Drachensegel einer Dschunke empor, oder «» schoß hastig ein Pantoffelboot, au» dessen dunklem Innern di« Kerzen vor dem Altäre aufleuchteten, an un» vorüber — wir aber waren glücklich, dem lärmenden, ermüdenden, alle Nerve» angreifenden Getrieve Canton» entronnen zu sein. Und am nächsten Morgen ging e» den Fluß hinunter; einige Hundert Chinesen hatten wir im Zwischendeck, sie lagen und huckten auf Matten umher, ihre Wasser- und Opium pfeifen rauchend, ihren Tbee und Rei» sich kochend oder auch ein kleine» Spielchen machend, vielleicht al« Vorübung für Macao. Di« all« Küstendampfer in den chinesischen Ge wässern, war auch der unsrige reichlich mit Waffen versehen; im Speisesaal standen in mehreren Gestellen Gewehre, mit Patronen versehen, und Säbel, und auch die beiden Bücher schränke enthielten in ihren unteren Fächern je fünf Flinten; bewaffnete Matrosen aber bewachten die Aufgänge vom Zwischendeck zur ersten Cajüte. Wenige Jahre ist es ja erst her, daß zwischen Hongkong und Swatow der Dampfer „Namoa" von Chinesen auSgeraubt wurde; sie waren zahl reich als Zwischendeckpassagiere mitgefahren, drangen mit Re volvern und Messern in den Salon der ersten Cajüte ein, wo der Capitain mit den wenigen Passagieren beim Frühstück saß, schossen den Capitain und den Steuermann nieder, ließen die Maschine stoppen, raubten die Mitfahrenden aus und brachten daS Wcrthvollste der Ladung in Piraten-Dschunken, die auf ein Signal vom nahen Ufer herbeieilten, an das Land. Den Hauptanführer und 10 seiner Bande fing man später und köpfte sie in Kowlon, auf dem Hongkong gegenüber liegenden chinesischen Festlande: man behauptet zwar, daß man, mit Ausnahme de» Anführers, gar nicht die richtigen Piraten ge faßt, sondern daß die chinesischen Polizisten die ersten besten zehn Kuli» ergriffen und nach raschem Verhör jeden von ihnen um einen Kopf kürzer gemacht hätten, damit dem ja selbstverständlich völlig berechtigten englischen Wunsche nach einer „Sühne" Genüge geschehe, und wie prompt Letzteres auSgeführt, kann man sogar au- mehreren m Hongkong zu kaufenden Photographien ersehen. Da» sehr gute Diner iu dem von einem Chinesen ge haltenen Hotel war zu Ende, und wir machten un» mit zwei zufällig hier getroffenen früheren Reisegefährten auf den Weg, um d»e Geheimnisse Macao» und seiner Spielhöllen zu er- forschen. Die Stadt im Innern ähnelt fast völlig einer spanischen und damit wohl auch einer portugiesischen, wenn man von den chinesischen Bewohnern und ihren rothen Zetteln an den niedrigen steinernen Häusern sowie gelegentlichen Altären an den Zugänge» der letzteren absieht; bei den besseren Ge bäuden find sogar die »ach außen hin abgeschlossenen hübschen arabischen Höfe vorhanden mit Blumen, Springbrunnen und steinernen Ruhesitze». Polizisten, fast immer Halbblut, sorgen für die Aufrechterhaltung der Ordnung und machen ebenso wie die Soldaten in ihren dunkelblauen Uniformen einen ganz guten Eindruck; von den Priestern der vielen Kirchen ist wenig zu sehen, ebensowenig von den europäischen Bewohnern, deren Zahl sich neben 80 000 Chinesen auf etwa 5000 beläuft. Aber wa» mag Alle» i» dieser Stadt, dir seit 1557 den Portugiesen gehört, auf den Namen „Europäer" Anspruch erheben! Al» wir um die neunte Abendstunde di« Straßen durch wanderten, waren sie so gut wie auSgestorben, auch für die Erleuchtung der lieben Bewohner und sonstigen verehrlichen Passanten war nicht allzu reichlich Sorg« getragen. Doch Halt — in dieser Gasse treffen wir in kurzen Zwischen räumen auf mehrere schmale Häuser, die über der Thür sowie an den Fenstern des ersten und zuweilen auch des zweiten Stockwerkes große Laternen tragen. Auf einer der unten hängenden lesen wir: „birst OIuss Oambliug House", darunter dieselbe Bezeichnung in portugiesischer Sprache: „OasL äe ^ogo" und senkrecht neben beiden chinesische Schrift. Also ein Spielhaus „erster Classe", wie die Aufschrift besagt. Auf einer engen hölzernen Treppe gelangen wir in daS erste Stockwerk, das überhaupt nur aus einem mäßig großen, niedrigen Hnnmer der allergewöhnlichsten Art besteht; ein Drittel desselben wird durch die „Spielhölle" eingenommen, die ein großer Tisch repräsentirt. Ueber diesem öffnet sich in seiner ungefähren Größe in einem Viereck das zweite Stockwerk, dessen quadratische Oeffnung mit cinem hölzernen Geländer umgeben ist, so daß die Obenstehenden gerade auf den Spieltisch blicken können, eine böchst sinnreiche Ein richtung, da oft der Tisch unten zu stark besetzt ist, als daß ihn alle Umstehenden gut übersehen können, in diesem Falle also eS dann die „Oberen" bequemer haben. In kleinen Körbchen lassen sie ihre Einsätze in Papier gewickelt herab, welche der Croupier unten in Empfang nimmt. Auf dem Papiere ist die weitere Bestimmung verzeichnet. In diesen Körbchen wird auch der Gewinn hrraufgezogen, falls das Glück günstig gewesen. Mit diesem Glück ist e» natürlich so eine eigene Sache. Man spielt in all diesen Häusern daS „Fantang", ein rich tige» Glücksspiel, b«i welchem wenigstens nickt „gemogelt" werden kann. Auf dem schon erwähnten Tisch liegt eine kleinere, einfache, viereckige Metallplatte, an deren vier Seiten bezw. Ecken man seinen Gewinn hinlegt, man setzt also auf ein» oder zwei, resp. drei oder vier, kann aber auch zugleich auf ein» und zwei, zwei und drei, eins und vier rc. setzen. In letzterem Falle erhält man, fall» einem Frau Fortuna lächelt, seine» Einsatz einmal, in ersterem aber dreifach au»- gezahlt. Bevor die Einsätze gemacht werden, hat der Bankhalter schon von einer vor ihm auf dem Tische liegenden größeren Zahl kleiner blanker Cash — der geringsten chinesischen Münzsorte — einen Weil abgezählt, den er mit einer Schale bedeckt, welche er, wenn nicht mehr gesetzt wird, aufhebt, um nun mit einem Stäbchen die Münzen zu fe vieren langsam abzuzählen. Wa» nach den letzten vollen vier Stück«n übrig bleibt, giebt den Ausschlag; bleibt also ein Cash zurück, so erhalten Alle, die auf ein« gesetzt, ihre» Einsatz dreifach, Die jenigen, die auf ein» und zwei oder ein» und vier,c. gesetzt, ihren Einsatz einfach au-gezahlt, alle» Uebriae ist verloren. Man sieht, böchst einfach und, nach de« wechselvollen Glücke» Launen, höchst gewinn- oder verlustbringend. Die Spielunternehmer, die eine sehr bedeutende Pacht an die Negierung zahlen müssen, sind stets Chinesen, ebenso der überwiegende Theil der Spieler. Und zwar sind letztere aus fälliger Weise keine wohlhabenderen und vornehmeren Chinesen, sondern, wenigstens nach der Kleidung zu schließen, mehr ärmere, die hier in wenigen Minuten ihren Wochen- und Monatslohn, auch wohl ihre ganzen, lange und sorgsam ge sammelten Ersparnisse verspielen. Ich sah, wie Dieser und Jener fünfzig und vierzig Dollars — mehr als tausend werden auf einmal nicht angenommen — setzte, während andere sich mit zwanzig, zehn, fünf Dollar», wie auch mit dreißig, vierzig Cents begnügten. Stunden lang stehen diese Zopfträger wie gebannt an dem Tisch, mir starren Augen den Fortgang deS Spieles verfolgend; keine Miene zuckt bei ihnen, wenn sie verlieren, wogegen sie ein befriedigtes Lächeln beim Gewinn doch nicht unterdrücken können. Natürlich ist in diesen Spielstuben eine wenig angenehme Lust, und wer nicht ein leidenschaftlicher Spieler ist, sagt nach einiger Zeit Lebewohl, um — nach einem anderen „Gämbling-HauS" zu pilgern! Denn eS ist ja ganz interessant, zuzuschauen und — offen gestanden — immer wieder mal zu versuchen, ob man nicht doch mit gefüllten Taschen sein Hotel aufsucht. Boa unS Bieren ist eS — leider! — keinem gelungen! Sonst bietet Macao wenig Interessante»; sehr hübsche Spaziergänge am Strande entlang, dann den lauschigen Garten, in welchem Camoe», der hier nach abenteuerlichem Leben drei Jahre zubrachte und seine „Lusiaden" beendete, oft weilte, einige hübsche Ueberblicke über die Insel und das M«r, da» ist Alle». Handel und Wandel sind während der letzten Jahrzehnte bedeutend zurückgegangen, und der ganze Ort hat viel von seiner frühere» Wichtigkeit verloren. An Bord der „Sachsen*. In der Chinesischen Ostsee, 12. Februar. Hongkong darf Wohl zu einem der schönsten Plätze deS Erdenballs gezählt werden: da« Meer, die Berg», der Himmel, die wundervollen Parkanlagen mit ihren Palmen und Rosen, da« fesselnde Hafengetriebe, da» interessante Leben in den Hauptstraßen mit den großen europäischen und chine sischen Läden — alles vereinigt sich, um diese Stadt weit her- vorzuheben unter den sonst al« „Nummer Ein«" bezeichneten Puncten unsere» Planeten. Ob man von der Bucht au« hinüberblickt auf den wolkenanstrebendea Pic mit den weiß schimmernden Häusern an seinem Fuße, ob man vom Pic binunlerschaut auf die blauen Flnthen und hinüber zu den Gebirgszügen d«« chinesischen Festland««, stet« ist der Eindruck
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