Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.04.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-04-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189804241
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980424
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980424
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-04
- Tag1898-04-24
- Monat1898-04
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.04.1898
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-AuSgabe erscheint um V«? Uhr, dir Abeutz-AuSgabe Wochentag- um 5 Uhr, ' Nedartion und Expedition: Johanne-gaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhy Filialen: Ltt» Klemm'» Eorttm. (Alfred Hahn). Universitätsstraße S (Paulinum), L»«ts Lösche, kathariurnstr. 14, pari, «ud König-Platz 7. BezugS-Prel- In der Hanptexpeditlon oder den im Etadt- de»irk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, kei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertehährlich S.—. Dirrcte tägliche Krrvzbandsrndung In» Au-land: monatlich 7.50. ripMer IllgMaü Anzeiger. Attttsbkatt -es Königliche« Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rothes im- Rolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (-ge spalten) 50^z, vor den Familirnnachrichtrn (»gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. . Annahmeschluß fiir Anzeigen: Abeod-Au-gabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen - Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeige« sind stet» an die Expedition zn richten. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbeförderung 70.—. Druck und Verlag von L. P olz in Leipzig. 291. Sonntag den 24. April 1898. 92. Jahrgang. Aus der Woche. Än derselben Woche, in der e- sich entschieden hat, daß die eisernen Würfel de» Kriege- Uber da- Schicksal der „Perle der Antillen" geworfen werden sollen, ist die Er innerung an den deutschen Einheitskampf durch da- Jubiläum König Albert'S wiever wach geworden. In dankbarer Liebe und mit inniger Antheilnahme blickte die überwältigende Mehrheit de- deutschen Volke», an der Spitze sein Kaiser, zu dem königlichen Heerführer empor, dessen Feldherrnkunst mit in erster Linie das einige Reich erkämpft, besten Staats kunst mit in erster Reihe daS Errungene befestigt hat. Durch Sell stlosigkeit und durch die schlichte Größe treuer Pflicht erfüllung den deutschen Fürsten zum Vorbild geworden, durfte König Albert in diesen Tagen der Festesfreude die köstlichen Früchte seiner Thaten rein genießen. Daß er Kaiser und Reich gab, was de- Kaisers und de- Reiche- ist, hat ihm die eigene Ehre nicht gemindert; der äußeren Beweise hierfür wurde König Albert inne, als er die erlauchte und glänzende Schaar Derer überblickte, die sich huldigend vor ihm neigten. Wendet sich der Blick von der sächsischen Hauptstadt auf daS Reich im Ganzen, so hat der wahrheitsliebende Wochen chronist nicht eben viel Erfreuliche- zu berichten. Begrüßt aber kann in der Hauptsache werden, waS über die aus wärtige Politik Deutschlands verlautete. Fast ein- müthig hatte die deutsche Presse die englischen Anbändelungs- versuche, die an da» bekannte Telegramm Kaiser Wilhelm's in Sachen des Siege- am Atbara anknüpften, zurückgewiesen. Umsonst! ES tauchten neue Meldungen in der englischen Presse auf, die von einer deutsch-englischen Verständigung auf dem ostasiatischen diplomatischen Schauplatze zu erzählen wußten. Hinzugefügt wurde allerdings noch, daß Deutschland in Ostasien durch em geheimes Abkommen mit Rußland ge fistelt sei. Diese Nachrichten dementirte die „Nordd. Allg. Z." in der Form, daß sie an hervorragender Stelle eine sichtlich inspirirte Berliner Correspondenz deS „Pester Lloyd" ab druckte, die beide Meldungen al- über das Thatsächliche weit binau-gehend bezeichnete und im Allgemeinen betonte, daß die deutsche Politik nicht den Eindruck mache, über das treue Festhalten am Dreibunde hinaus von einem besonderen Wunsche nach vertragsmäßiger oder auch nur vertrags ähnlicher Bindung ihrer Schritte getrieben zu werden. In der Voraussetzung, daß Verträge wie der vom Grafen Caprivi nicht erneuerte Neutralitätsvertrag mit Rußland dem Gewährs- manne des „Pester Lloyd" dabei nicht vorgeschwebt haben, wünschen wir, daß Deutschland wirklich in dem hier an- geveuteten Maße auf eigenen Füßen stehe. Die Wahlbewegung bietet nach wie vor ein recht wenig erbauliches Bild. Ganz vereinzelt bleiben Wahlkreise wie Chemnitz und Frankfurt a. M., wo die bürgerlichen Parteien in voller Geschlossenheit den allen gemeinsamen Feind, die Socialdemokratie, bekämpfen, oder wie der Grau- denzerWahlkreis, wo dieDeutschen, ausnahmsweise einschließlich der freisinnigen VolkSparteiler, zum Schmerze deS Herrn Eugen Richter gesammelt dem gemeinsamen polnischen Feinde ent gegentreten. Im Allgemeinen aber zeigt sich das Gegen teil einer „Sammlungspolitik". Conservative Männer, wie Graf Douglas im Wahlkreise Bretten-Sinsheim, candidiren nicht mehr, an seine Stelle tritt der extrem-bündlerische Agi tator Lucke-Pater-Hausen, ibn hebt auch die „Kreuzztg." auf den Schild, indem sie es als Einbruch in alten konservativen Besitz stand bezeichnet, daß die badischen Nationalliberalen gegen diesen „conservativen" Candidaten Front machen. Der conservative, gut landwirtschaft-freundliche Graf Roon im Wahlkreise Minden-Lübbecke genüge den Ansprüchen der Agrarier nicht, sie setzen flugS eine bündlerische Candidatur in Scene und halten sie allen Abmahnungen zum Trotz aufrecht. Der schutzzöllnerische Freiherr von Stumm wird vom Bunde der Landwirthe ebenfalls seiner vermeintlichen wirtschafts politischen Sünden wegen verworfen — kurz, mit den Anti semiten, National-Socialen, „Wirthschaftsparteilern" und wie sie alle heißen mö^en, wetteifert daS extreme Agrarierthum, die nationalen Wähler auseinanderzusammeln. Daran dürften auch die Klagen der »Hamburger Nachrichten" nichts ändern. Außer durch die Zersplitterung der bürgerlichen Parteien werden die Aussichten der Socialdemvkratie noch dadurch verbessert, daß die freisinnige Presse im Verein mit national-socialen Stimmführern nicht müde wird, das Ratten fängerlied von der „Mauserung" der Socialdemokratie, von ihrer Umwandeluna in eine Reformpartei zu singen. Ganz entzückt ist die „Voss. Ztg." über Ausführungen Professor vr. Rudolf Sohm'S, die ihr Gelegenheit zu dem Hin weise geben, daß noch andere Personen als Mitglieder der bürgerlichen Demokratie an die Mauserung der Socialdemo- kratie „glauben". Das war freilich längst bekannt; dieGlaubens- sätze Professor Sohm'S aber, in dem ihm eigenen Lapidar stil gehalten, sind wegen der wissenschaftlichen Bedeutung Prof. Sohm'S der Demokratie begreiflicher Weise besonders werthvoll. Prof. Sohm sagt in einer jüngst erschienenen Schrift von der Socialdemvkratie u. A. Folgendes: „Längst ist die Idee des gewaltsamen Umsturzes abgethan worden ... In richtiger Erkenntniß der Verhältnisse ist von den Führern die Revolution als Mittel der socialen Bewegung aufgegeben worden ... Die bloße Thatsache, daß die Arbeiterbewegung durch das Mittel des allgemeinen gleichen Wahlrechts im deutschen Reichstag zu einer geordneten Vertretung und zu parlamentarischem Einfluß gelangte, hat die socialdemokratische Partei . . . tatsächlich, sie mag wollen oder nicht, in eine Ordnungspartei verwandelt." — Zur Kritik dieser ideologischen Phantasien geben wir die bereits dieser Tage kurz erwähnte Auslassung des „Vorwärts" vom 17. ds. M. wörtlich mit: „Mit Spaltungen der Socialdemvkratie, Mauserungen, Ab schwörung der revolutionären Gesinnung unserer Partei werden nun Tag für Tag die Leser der nationalliberalen (?), national socialen und Rickert'schen Presse unterhalten. . . . Alle möglichen und unmöglichen Vermuthungen und Schlüsse werden da noch ge zogen, viel Kluges freilich kommt dabei nicht heraus. Unsere Gegner sollten doch endlich etnsehen, daß ihre Voraussagen über das Schicksal unserer Partei noch niemals eingetroffen sind, daß sie besser thäten, diese undankbare Thätigkeit einzustellen, schadet sie doch uns nichts und nützt sie den Gegnern noch weniger. Was immer sie aus gelegentlichen Aeußerungcn herausgelesen haben und herauslesen werden, es hat nichts und wird nichts ändern an der Schärfe unseres Gegensatzes gegen die heutige politische und sociale Ordnung, es wird den Weg nicht hemmen, den seit mehr als dreißig Jahren das deutsche Proletariat von Erfolg zu Erfolg gegangen ist . . . Wir haben nichts abzu schwören, wir haben nichts zu bemänteln, wir haben aber auch noch nie den blödsinnigen Ehrgeiz gehabt, daß wir nichts zuzulernen haben. Die Entwickelung der politischen Parteien, die Aende- rungen in der Wirthschastsverfassung, der Zickzackcurs der Regie rungen und die wechselnde Taktik der Verwaltungsorgane zwingen naturgemäß auch unsere Partei, in Detail frag en die Anschauungen früherer Zeit zu überprüfen. Thäten wir das nicht, so wären wir unverbesserliche Doctrinüre, aber nicht praktische Politiker. Aber in unseren Grundanschauungen, in der Kritik der heutigen Ordnung und bezüglich unserer Endziele haben wir heute in allen wesentlichen Punkten den gleichen Stand punkt wie zu Zeiten, als man von Mauserungen und dergl. noch nichts zu erzählen wußte." Ständen die Wahlen nicht vor der Thür, so hätte die Rücksicht aus die Mitläufer den „Vorwärts", der die Pariser Commune bei jeder Gelegenheit verherrlicht, nicht verhindert, in der vorstehenden, überaus dankenswerthen Auslassung sich so herzhaft auszusprechen, wie in dem blutleckerischen „rothen Kalender". Die Tragödie deS spanisch-amerikanischen Kriege s entbehrt nicht des Satyrspiels. Orbi et urdi hat der Telegraph verkündet, daß der Fürst von Monaco, der spanischer Marineosficier ist, in einem Schreiben an die Königin-Regentin sein Bedauern darüber ausdrückte, daß besondere Pflichten ihn verhinderten, seiner Dienstpflicht in Spanien nachzukommen. Auch wer nicht abergläubisch ist, wird in dieser Verhinderung ein günstiges Vorzeichen für die spanische Marine erblicken. Der Fürst von Monaco ist von Monte Carlo her „Sprengungen" so gewöhnt, daß er dem Schiffe, auf dem er „seiner Dienstpflicht nachgekommen" wäre, Gefahr gebracht hätte. Da sind die lOOOOFrcs., die er für die Nationalsubscription gestiftet hat, schon annehmbarer. Zu bedauern bleibt aber schließlich doch, daß das ritterliche Spanien aus zwingenden Gründen nicht in der Lage war, die montecarlistische Spende abzulehnen. Deutsches Reich. * Leipzig, 23. April. Der Vorstand des National liberalen Vereins für das Königreich Sachsen veröffentlicht in der Correspondenz des Vereins die Einladung zu der Sonntag, den l.'>. Mai d. I., Vormittags 11 Uhr im Noth'scken Saale, Leipzig, Schulstraße 14, abzuhaltenden ordentlichen Generalversammlung, für die folgende Tagesordnung festgesetzt ist: 1) Jahresbericht über das verflossene Vereinsjahr. 2) Cassenbericht und Wahl der Rechnungsprüfer. 3) Aenderung bez. Ergänzung der Satzungen. 4) Neuwahl des Vorstandes. 5) Die bevorstehenden Reichstagswahlen und das nationalliberale Wahlprogramm. Der Vorstand fordert dringend zum Besuche dieser Versammlung auf, an die ein gemeinsames Mahl sich anschließen wird. * Leipzig, 23. April. Auch die deutsch-socialeReform- yartei hat für Leipzig-Stadt einen Candidaten zur dies jährigen Neichstagswahl ausgestellt und zwar in der Person des Herrn vr. mell. Max Haedicke, über den uns vom Wahlausschüsse der Partei mit dem Ersuchen um Veröffentlichung das Folgende geschrieben wird: „Herr vr. Haedicke ist vor einigen Jahren schon in die Oeffentlichkeit getreten, indem er sich des Chorpersonals am Leipziger Stadttheater annahm und durch eine Eingabe an den Leipziger Rath und die Stadt verordneten bewirkte, daß die Stellung deS Chorpersonals besser wurde. Daß Herr vr. Haedicke als deutscher Mann der deutschen Bewegung in opferfreudigster Weife gedient hat und noch dient, ist freilich nur einem kleinen Kreise be kannt, verdient aber hier hervorgehoben zu werden. Herr vr. Max Haedicke ist im Jahre 1860 in Bad Schmiede berg geboren, wo sein Vater Kaufmann war. Leider verlor er frühzeitig Vater und Mutter und war bald auf sich selbst und seine eigene Kraft angewiesen. Er besuchte zunächst die Realschule in Delitzsch und später das Realgymnasium der Franke'schen Stiftungen in Halle, um darauf in Jena Naturwissenschaft zu studiren. Seine Neigung zum ärztlichen Berufe veranlaßte ihn noch das humanistische Gymnasium in Mühlhausen zu besuchen, um alsdann in Berlin, Rostock, Leipzig und Jena Medicin zu sludircn und sich als Assistent für seinen Beruf weiter auszubilden. Im Jahre 1887 wurde er von dem kranken Afrikareisenden vr. Karl Passavant als ärztlicher Reisebegleiter zu einer zweijährigen Reise um die Erde engagirt, wobei Amerika, die Südseeinseln, Australien, Japan, China, Indien und Egypten bereist wurden. Nach der Rück kehr 1889 diente er in Halle als einjähriger Arzt und wurde nach vollendeter Dienstzeit zum Assistenzarzt der Reserve befördert, worauf er sich als praktischer Arzt in Leipzig niederließ." lieber die Stellung deS Herrn vr. Haedicke zu den politischen Fragen, die der neue Reichs tag voraussichtlich zu lösen haben wird, und über seine und seiner Gesinnungsgenossen Haltung bei einer eventuellen Stichwahl wird uns nichts mitgrtheilt. Er wird ja Wohl bald in einer öffentlichen Versammlung darüber Aus kunft geben. U Berlin, 23. April. Wenn erst in dem gestern an den Reichstag gelangten Nachtragsetat und nicht schon im Reichs- haushaltSetat für 1898 selbst eine Vermehrung der Arbeitskräfte imReichS-Bersicherungsamt verlangt ist, so hat dies hauptsächlich daran gelegen, daß bei der Auf stellung des Etats noch immer von der Annahme der baldigen Fertigstellung der Novellen zum Unfall- sowie Jnvaliditäls- versicherungsgesetze ausgegangen und von diesen eine Ent lastung des Reichsversickerungsamtes erwartet wurde. Nach dem diese Annahme hinfällig geworden ist,wird zurBewältigung der stetig wachsenden Arbeit die Vermebrung der ständigen Mitglieder um zwei Stellen gefordert. ES handelt sich dabei aber nickt bloß um die Möglichkeit der Bewältigung ver mehrter Arbeit. Es soll auch eine wichtige organisatorische Aenderung im Reichs-Versicherungsamt eintreten. Wenn in der Begründung zu der Neuforderung bemerkt wird, daß die Gefahrentarife und Unfallvcrhütungsvorschriften im Leben der Berufsgenossenschaften eine recht wichtige Rolle spielen, so ist dem nur beizupftichten. Die Gesahrentarife dienen mit den Lohnsummen als Unterlage für die Bemessung der Beiträge. Sie müssen, da diese Beiträge sich von Jahr zu Jahr, abgesehen von den durch die Verwendung der Zinsen deö Reservefonds ermöglichten vorübergehenden Minderung, steigern werden, immer genauer ausgestellt werden, um den thatsächlichen Unfallgefahren zu ent sprechen. Die Unfallverhütungsvorschriften andererseits werden immer besser ausgestaltet werden müssen, je mehr die Erkenntniß Bahn bricht, daß gerade bei ihnen die Harmonie der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitern, bei den ersteren in der Verminderung der Kosten, bei den letzteren in der Erhaltung von Leben und Gesundheit, zum Ausdruck kommt. Durch die Neuforderung des Reicks- Versicherungsamtes soll es nun ermöglicht werden, daß die technischen Arbeiten und Entscheidungen auf dem Gebiete des Tarifwesens und der Unfallverhütung unter eine besondere technische Leitung gestellt werden. Im Interesse der günstigen Entwickelung der Berufsgenossenschaften wird eine baldige Durchführung dieses Planes gewünscht werden müssen. Berlin, 23. April. Die moderne national-polnische Beweauug hat schon lange die Dichtkunst in den Dienst ihrer Propaganda gestellt. Insbesondere die Zeitschrift „Praca" thut sich in dieser Beziehung hervor. Bekanntlich fchreckte sie sogar davor nicht zurück, die Worte der heiligen Schrift für ihre politischen Zwecke zu mißhandeln, indem sie in ihrer Nummer 106 deS vorigen Jahrgangs einen hetzerischen „Psalm des Volkes" abdruckte. Bekannt ist auch, daß ihr ein haßsprühendes Gedicht gegen den Fürsten Bis marck eine empfindliche Gefängnißstrafe einbrachte. Ihre neuesten Nummern enthalten wiederum mehrere Gedichte, die für deutsche Leser zu lehrreich sind, als daß sie mit Still- fchweigen übergangen werden dürften. In dem einen Poem werden die Polen vermahnt, nicht durch Thränen der Väter traurige Feste zu ehren: „Die Thränen schänden den, der die Freiheit wünscht." Rühmlich dagegen verhält sich der polnische Jüngling, der, von feiner Mutter an die Gräber der im Kampf gegen „den Feind" gefallenen Vorfahren ge- Frttillctsn. Onkel Julius. Von Guy de Maupassant. Frei übertragen von Georg Freiherrn von Ompteda. Nachdruck verboten. Ein weißbärtiger alter Mann bat uns um ein Almosen. Mein Freund Josef Davranche gab ihm ein Fünffrankenstück. Ich war erstaunt darüber, und er sagte: „Der arme Kerl erinnert mich immer an eine Geschichte, die mir passirt ist und mich nicht wieder loslätzt. Meine Familie, die aus Havre stammt, war nicht ver mögend. Man brachte sich gerade so durch. Der Vater arbeitete, kam spät vom Bureau nach Hause und verdiente nicht viel. Ich hatte zwei Schwestern. Meine Mutter litt sehr unter unseren kümmerlichen Verhält nissen und hatte oft für ihren Mann bittere Worte und ver steckte Vorwürfe. Dann antwortete der arme Mann mit einer Handbewegung, die mir immer sehr weh that: er strich sich mit der Hand über die Stirn, als wollte er einen Schweißtropfen fortwischen, der gar nicht da war und sagte keine Silbe. Ich fühlte seinen ohnmächtigen Schmerz. Man sparte in Allem. Nie wurde eine Dinereinladung angenommen, um sie nicht er widern zu müssen. Die Vorräthe wurden im Ausverkauf er worben. Meine Schwestern fertigten ihre Kleider selbst an, und über jedes Bändchen, zu fünfzehn Centimes dar Meter, gab es lange Auseinandersetzungen. Wegen jedes verlorenen Knopfes und jeder zerrissenen Hose gab es fürchterliche Scenen. Aber jeden Sonntag gingen wir im Sonntagsstaat an den Strand. Mein Vater trug einen schwarzen Rock, einen hohen Hut, Handschuhe und führte meine Mutter am Arme, die sich aufgetakelt hatte, wie ein Schiff am Festtage. Meine Schwestern, die immer zuerst fertig waren, warteten auf daS Zeichen zum Aufbruch. Aber im letzten Augenblick ward stet- ein Fleck auf dem schwarzen Rock deS Hau-Herrn entdeckt, der schnell noch mit einem in Benzin getauchten Läppchen entfernt werden mußte. Dann behielt mein Vater den Hut auf dem Kopfe und wartete in Hemd-Lrmeln, bi- die Operation beendet worden, während meine Mutter möglichst eilig rieb, wozu sie die Handschuhe aus gezogen, um sie nicht zu verderben, und die Brille aufgesetzt, weil sie kurzsichtig war. Feierlich gingen wir davon, meine Schwestern Arm in Arm voraus. Sie waren im heirathsfähigen Alter, und das mußte den Leuten gezeigt werden. Ich schritt an der linken Seite meiner Mutter. Mein Vater rechts. Und ich erinnere mich des großartigen Aussehens meiner armen Eltern bei diesen Sonn tagsspaziergängen. Ich sehe noch im Geiste ihre ernsten Ge sichter und ihr würdevolles Benehmen. Sie gingen kerzengerade, mit steifen Schritten, als ob eine äußerst wichtige Angelegenheit von ihrer Haltung abhinge. Und jeden Sonntag sagte mein Vater, wenn wir die großen Seeschiffe, die aus unbekannten Ländern wiederkehrten, einlaufen sahen, die gleichen Worte: „Ach, wenn Julius mit so einem wiederkäme! Das wäre eine Ueberraschung!" Onkel Julius, der Bruder meines Vaters, war die einzige Hoffnung der Familie, nachdem er einst ihr Schmerzenskind ge wesen. In meinen Kinderjahren hatte ich von ihm sprechen hören, und es war mir, als müßte ich ihn auf den ersten Blick wieder erkennen, so oft hatte ich mich mit ihm beschäftigt. Ich kannte alle Einzelheiten seines Daseins bis zum Tage seiner Abreise nach Amerika, obgleich man von dieser Zeit seines Lebens nur mit gedämpfter Stimme sprach. Er hatte sich schlecht aufgeführt, das heißt, er hatte ziemlich viel Geld gebraucht, und das ist für arme Leute ein großes Verbrechen. Ueberdies hatte er die Erbschaft angegriffen, auf die mein Vater ein Recht besaß, nachdem er vorher seinen eigenen Theil bis zum letzten Groschen verbraucht. Man hatte ihn, wie man das damals that, auf einem Handelsschiff, das von Havre nach New Aork fuhr, nach Amerika geschickt. Drüben fing Onkel Julius irgend ein Geschäft an und schrieb bald, er verdiene ein bischen Geld und hoffe, das Unrecht, das er einst meinem Vater angethan, wieder gut machen zu können. Dieser Brief rührte die Familie tief. Julius, der, wie man sagt, nicht einen Pfifferling Werth war, wurde plötzlich ein braver Kerl, ein Mensch, der eigentlich Herz hatte, ein richter Davranche, tadellos wie alle Davranche's. Ein Capitain theilte uns noch dazu mit, daß er einen großen Laden gemiethet hätte und ziemlich umfangreiche Geschäfte trieb. Zwei Jahre später kam ein Brief, der lautete: „Mein lieber Philipp! Ich schreibe Dir, damit Du Dir über meine Gesundheit, die zufriedenstellend ist, nicht etwa Ge danken machst. Die Geschäfte gehen auch ganz gut. Morgen unternehme ich eine große Reise nach Südamerika. Vielleicht wirst Du ein paar Jahre lang keine Nachrichten erhalten. Aengstige Dich nur nicht, wenn ich nicht schreibe. Sobald ich ein gemachter Mann bin, komme ich wieder nach Havre, und ich hoffe, daß das nicht zu lange dauert und daß wir dann glücklich miteinander leben werden." Dieser Brief war das Evangelium der Familie geworden. Bei allen Gelegenheiten las man ihn wieder und zeigte ibn Jedermann. In der That gab Onkel Julius sechs Jahre lang kein Lebenszeichen. Aber die Hoffnung meines Vaters stieg, je mehr Zeit verstrich, und auch meine Mutter sagte häufig: „Wenn der gute Julius erst da ist, wird sich unsere Ver mögenslage schon ändern. Der hat's mal schlau angefangen." Und mein Vater wiederholte jeden Sonntag, wenn er am Horizont die mächtigen Dampfer auftauchen sah, die eine Rauch schlange am Himmel hinter sich ließen, seine ewige Redensart: „O, wenn Julius mit so einem wieder käme, das wäre eine Ueberraschung!" Und man wartete beinahe darauf, wenn er erst mit dem Taschentuch winken würde und rufen: „Hurrah Philipp!" Man hatte tausend Luftschlösser auf diese sichere Rückkehr gebaut, man wollte sogar vom Gclde des Onkels ein kleines Land haus bei Jngouville kaufen, und ich will nicht behaupten, daß mein Vater nicht etwa schon Verhandlungen darüber angeknüpft hatte. Die ältere meiner Schwestern war damals achtundzwanzig Jahre alt, die andere sechsundzwanzig. Sie hatten keine Aus sicht, sich zu verheirathen, und das schmerzte Alle. Endlich erschien ein Bewerber um die zweite, ein nicht gerade reicher, aber sehr ehrenwerther Beamter. Ich habe immer so die Idee gehabt, als ob der Brief von Onkel Julius, den man ihm eines Tages zeigte, seinen Zweifeln ein Ende gemacht und den jungen Mann zu dem Entschluß getrieben hätte. Seine Werbung wurde sofort angenommen, und man kam überein, daß die ganze Familie nach der Hochzeit eine kleine Reise nach Jersey machen sollte. Jersey ist das Ideal eines Reiseziels für unbemittelte Leute. Es ist nicht weit; die Seefahrt wird mit einem Paketboot zurück gelegt und man befindet sich auf fremdem Boden, da das Eiland den Engländern gehört. Ein Franzose kann es sich also mit zweistündiger Fahrt leisten, ein Nachbarvolk auf eigenem Boden zu beobachten und seine übrigens gräßlichen Sitten zu studiren, da auf dieser Insel die Flagge Großbritanniens weht, wie sich gewöhnliche Leute auszudrllcken Pflegen. Mit dieser Reise nach Jersey beschäftigten wir uns fort während. Sie wurde unsere einzige Erwartung; wir träumten von nichts Anderem. Endlich reisten wir ab. Ich sehe Alles vor mir, als ob es erst gestern geschehen wäre: der große Dampfer, der rauchend am Quai von Granville lag, meinen Vater, wie er aufgeregt die Verladung unserer drei Gepäckstücke überwachte, meine Mutter, die besorgt den Arm der ältesten unverheirathcten Tochter genommen hatte, und hinter uns die beiden Neu vermählten, die immer ein wenig zurückblieben, so daß ich oft den Kopf nach ihnen wandte. Wir waren an Bord. Die Schiffspfeife tönte. Das Schiss verließ den Quai und strebte ins Meer hinaus, das flach dalag wie ein Tisch von grünem Marmor. Wir sahen das Ufer schwinden und waren glücklich und stolz, wie Alle, die nur selten einmal auf die Reise gehen. Mein Vater stand da in seinem schwarzen Gehrock, von dem man noch am Morgen sorgfältig alle Flecke entfernt, und strömte den Benzingeruch aus, wie an den Ausgehtagen, woran ich so fort den Sonntag erkannte. Plötzlich gewahrte er zwei elegante Damen, denen zwei Herren Austern anboten Ein alter, zerlumpter Matrose öffnete die Schalen mit einem Messer, reichte sie den Herren, die sie daiin den Domen Weitergaben. Sie aßen sehr vorsichtig und faßten die Muscheln mit einem feinen Taschentuche an, während sie den Mund vorschoben, um auf ihre Kleider keine Flecken zu machen. Dann tranken sie das Wasser in der Muschel mit einer plötzlichen Bewegung aus und warfen die Schalen ins Meer. Meinem Vater gefiel ohne Zweifel diese vornehme Art, während der Fahrt auf dem Schiffe Austern zu essen. Er fand das sehr fein, sehr außergewöhnlich und trat zu meiner Mutter und meinen Schwestern mit der Frage: „Soll ich Euch ein paar Austern geben lassen?" Meine Mutter zögert» wegen der Ausgabe. Aber meine
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite