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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.04.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-04-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980428021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898042802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898042802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-04
- Tag1898-04-28
- Monat1898-04
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Dl« Morgen-Au-gabe erscheint rm '/.7 Uhr. dl« Abeud-AuSgabe Wochentag« um 5 Uhr. /iliaiea: Dtt» Klemm'- Sortim. (Alstcetz datz»)» UuiversitütSstraße 3 (Paulinum), L,ui« Lösche. <»ch«ri»r»tzr. pari- und K-uig-pl^ 7, Nedartio« und Expedition: Aohaune-sasse 8. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen Et-Met »v» früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. lvezugS'Prei- M d« Hauptrxprditiou oder deu tm Stadt, betzirt und den Vororten errichteten Au«. oaoestrllrn ab geholt: vierteljährlich 4.50. vet zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich ^li 6.—. Direcie tägliche Krruzbandienduug tu« Au-land: monatlich ^l 7.S0. Abend-Ausgabe. KiWgcr.TaMaü Anzeiger. Amtsblatt des A'-nigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Polizei-Amtes der Stadt Leipzig. «nzeigenPret- Aie ögespattme Petitzeile LS Pf^ Aeelamen unter dem Redactiontstrich (4g» Malten) bO^, vor den Familtennecbncbt« («gespalten) 40-4- Größere Schriften laut unserem Preis» »rrzeichuiß. Tabellarischer und Zisferusatz nach höherem Tarif. Extra-veilagen (gefalzt), nur mit dm Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderunzf LO.—, mrt Postbeförderung ^l 70.—. ^nnahmeschluß für Änzeigen: Ab end »Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. VSorgen.Au«gabr: Nachmittag« «Uhr. vet deu Filialen und Annahmestellen je ein« halb« Stunde früher. Unzetgr» sind stet« an die Expedtti»» zu richten. Lrnck und Verlag von L. Polz in LelpztG 212. Donnerstag den 28. April 1898. 82. Jahrgang. Der Krieg um Cuba. —t». ES fängt an nach Pulver zu riechen. Wie uns aus Havannah über Key West berichtet wird, traf gestern daö spanische Kanonenboot „Ligera" auf der Höhe von Cayo Piedra bei MatanzaS (Nordküste von Cuba) auf den amerikanischen Torpedojäger „ Ku sh ing". Dieser gab Feuer, die „Ligera" antwortete mit zehn Schuß, worauf sich der „Kushing" beschädigt zurückzog. DaS wäre ein erster spanischer Erfolg. Auch ist es zwei spanischen Dampfern gelungen, die Blockade Eubas zu durchbrechen, und der spanische Dampfer „Monserrat" vermochte unbehelligt in Cienfuegos (Südküste) zu landen. Aber wo in aller Welt bleibt das spanische Ge schwader? AuS Sao Viucento wurde gemeldet, daß es sich gestern immer noch bei den Eapvcrden an der Westküste von Afrika befände. Nach einer Lissaboner Meldung sollte eS gestern noch auslaufen, ein Entschluß, zu dem die von Washington nach Lissabon gerichtete Drohung mit- aewirkt haben soll, die Bereinigten Staaten würden Portugal als Verbündeten Spaniens ausehen, wenn cs nicht alsbald das Auslaufen des spanischen Geschwaders au- den Häfen der portugiesischen Eapvcrden veranlasse. Allem Anschein nach hat sich die spanische Flotte zum Theil bereits in Bewegung gesetzt, denn es sind von englischen Küstenplätzen aus spanische Panzerschiffe mit dem Eurs nach Westen gesehen worden. Ihr Ziel ist offenbar die Ostküste der Bereinigten Staaten. In Washington hält man denn auch die Befürchtung für begründet, daß die spanische Flotte amerikanische Häfen angreift. Sobald die bestimmte Nachricht von dem Herannaben der spanischen Kriegsschiffe ein getroffen ist, werden, einem Telegramm der „Daily Mail" aus Washington zufolge, der Kreuzer „New Jork" und die Schlacht schiffe „Iowa" und „Indiana", sowie die Monitors „Puritan", „Terror" und „Amphitrite" von Key West und Havannah abberufen und nach dem Norden geschickt, um sich mit dem Geschwader in Hampton Roads zu vereinigen. Vorläufig sollen die Kreuzer die ganze Küste von Maine bis Florida patrouilliren. Mit dem Landkrieg auf Cuba geht es auch langsamer, als die Kriegsgötter in Washington anfänglich geglaubt. Nach einem Londoner Telegramm der „Frkf. Zlg." wird dem „Daily Chronicle" aus Washington gemeldet, der Plan, 5000 Reguläre nach MatanzaS zu schicken, finde viel Opposition. Die Gegner des Planes meinen, dieses kleine Contingent könne vernichtet werden und müßte durch die Marine unterstützt werden, die anderswo gebraucht werde; außerdem könnte die Entsendung der 5000 Mann den wirklichen Krieg herbeiführen, den die Negierung jetzt so ängstlich zu vermeiden suche. Mac Kinley hoffe Cuba ohne Blutvergießen durch eine friedliche Blockade zu nehmen; wenn aber ein Kampf nöthig sein sollte, wünscht er ihn nicht vor dem October wegen der Regenzeit. Im Kriegsministerium herrsche tatsächlich viel Ver wirrung. Mac Kinley, der sein eigener Kriegsminister sei, sei entschlossen, so wenig wie möglich zu kämpfen. Die Behörden in Washington leugnen denn auch, daß der Plan bestehe, 5000 Reguläre nach MatanzaS zu senden. Der Jnsurgentenführer Gomez dränge zwar, wie der „Globe" zu berichten weiß, durch die cubanische Junta auf die baldige Absendung einer kubanischen Expedition, die in verschiedenen Häfen Florida« zusammen gebracht wird, um mit Gomez zusammen zu operiren. Diese bestehe aus acclimatisirten Leuten, welche gegen Krankheiten der Regen zeit gefeit sind. Das wäre aber daS einzige Contingent der Ver:inigten Staaten, welches bis zum August in Cuba oxemren werde. Außerdem hatte der Oberstcommandirende der amerikanischen Truppen MileS gestern Besprechungen mit Vertretern der Aufständischen in Washington und soll dabei versprochen haben, diesen Waffen zu liefern. Daß die Cnbaner 30 000 Mann stellen könnten, wie sie behaupten, sei nicht wahr, der General- consul Lee meint, sie hätten kaum 5000 Mann, die sich im östlichen Theile der Insel befinden. Mit der kubanischen Legion werden reichliche Vorrätbe für Gomez abgehen. Eine Landnng wird sicher nicht bei MatanzaS erfolgen, eher an einem Puncte der Südküste etwa bei Batarano. Daß 5000 Marinesoldaten die Expedition begleiten sollen, sei unrichtig, denn die Vereinigten Staaten haben nur 2000 solcher Soldaten. Ueberhaupt wird die Wehrgesetzgebung der Ver einigten Staaten durch den Ausbruch des Krieges mit Spanien einer von ihren Urhebern nicht vorgesehenen Probebelastung unterzogen. Es zeigt sich nämlich, daß die als Rückhalt der verschwindend kleinen regelmäßigen Unionsarmee angesehene Milizinstitution für die Zwecke, denen sie jetzt genügen soll, gar nicht zugeschnilten ist. Laut Tit. XVI der revidirten Verfassung kann die Miliz nur in zwei Fällen einberufen werden, nämlich zur Abwehr eines feindlichen Einbruchs, oder zur Niederwerfung eines Ausstandes, und dann auch nur für die Maximalsrist von 9 Monaten. Etwaigen Gelüsten des Congresses oder des Präsidenten, trotz jener Bestimmungen die Miliz aggressiven Tendenzen dienstbar zu machen, schiebt das aus drückliche Verbot im Art. l der Verfassung einen Riegel vor. Nach dem Buchstaben des Gesetzes können die Vereinigten Staaten zur militairischen Operation außerhalb des UnionS- gebietes nur ihr stehendes Heer von einigen 20 000 Mann heranziehen. Hieraus erhellt schon, was von den Meldungen bezüglich der geplanten Invasion Cubas durch eine ameri kanische Truppenmacht zu halten ist. Um ohne Zuwider handlung gegen den Wortlaut der Verfassung eine solche ^ruppenmacht zu schaffen bezw. in Bewegung zu se-ren, ist eine vorgängige Aenderung der einschlägigen Verfassungs bestimmungen gar nicht zu umgehen. An eine Verständigung der Spanier mit den Auf ständischen ist wohl nicht mehr zu denken; heute erhalten wir hierüber folgende Meldung: * Havannah über Key West, 27. April. Die Commission der spanischen Colonialregierung, welche sich in das Lager der Auf ständischen begeben hatte, um mit diesen zu verhandeln, ist von dort noch nicht wieder zurückgekehrt. In Regierungskreisen heißt es, daß die Bestrebungen, einen Frieden mit Len Aufständischen zu Stande zu bringen, keinen Erfolg gehabt hätten. Darauf haben auch die Amerikaner von vornherein stark ge rechnet, aber wenn Mac Kinley den Plan verfolgt, durch eine zaudernde Kriegführung Spanien finanziell zu ruiniren, so daß Euba schließlich den Vereinigten Staaten als reife Frucht in den Schooß fällt, so muß wieder au das Bedenken erinnert werden, daß eine Blockade CubaS auch die Insurgenten dem Hunger preiSgiebt. Immerhin ist die Verständigung mit diesen ein großer Erfolg der amerikanischen Politik. Ein zweiter Erfolg, der aber nicht schwer wiegt, ist die Kaperung ver schiedener spanischer Schiffe und die Gefangennahme von Besatzungsmannfchaften und Passagieren. Dieser scheint man sich so bald als möglich wieder entledigen zu wollen. Wie uns aus Key West gemeldet wird, hat sich das Prisengericht gestern bei verschlossenen Thüren constituirt. Die Entscheidungen desselben sollen erst bekannt gegeben werden, wenn die ganze Frage geregelt ist. Es entsteht die Frage, was mit den gefangen genommenen Spaniern (Mannschaften und Passagieren) ge schehen soll, deren Zahl sich auf 230 beläuft. DaS Kriegs- Departement hat Anweisungen ertheilt, die gefangenen Spanier mit aller Rücksicht zn behandeln. Die Officiere werden al« Zeugen zurückbehalten, dagegen ist die Mannschaft bereits in Freiheit gesetzt worden. Die spanischen Marine- Mannschaften fürchten jedoch für sich, wenn sie in einem feindlichen Hafen landen, und werden wahrscheinlich unter dem Schutze der BundcStruppen in einzelnen Casernen untergebracht werden. Gestern haben wieder zwei amerikanische Monitors zwei mit Kohlen beladene Fahrzeuge aufgebracht. Dieselben wurden jedoch alsbald freigegeben, als sich ergab, daß sie deutscher Nationalität waren. Das sind höchst un angenehme Vexationen und es wird höchste Zeit, daß Deutschland au Ort und Stelle in etwas mehr Respect gebietender Weise sich zeigt. Ein Berliner Blatt meldet aus Kiel, die deutsche Marineverwaltung habe für den Fall gewisser Eventualitäten die Entsendung eines größeren Kriegsschiffes nach Cuba ins Auge gefaßt. Augen blicklich liege der Kreuzer „König Wilhelm" mit voller Kohlenladung in Wilhelmshaven zur sofortigen Indienststellung bereit. An maßgebender Stelle ist, wie die „Post" schreibt, von einer solchen Mission des „König Wilhelm" nichts bekannt. Wie alle Schiffe, die sich in einer bestimmten Classe der Außerdienststellung befinden, hat sich auch der „König Wilhelm" für dienstliche Zwecke bereit zu halten. Da hierzu die Maschinen gebraucht werden, so sind natürlich auch Kohlen nöthig. Die „volle Kohlenladung", von der die vorstehende Meldung spricht, hat also nicht- Außergewöhnliches. Soweit die „Post". Aber wenn es „König Wilhelm" nicht ist, so kann es ein anderes Schiff sein, und wir rechnen bestimmt darauf, daß irgend eine- und zwar recht bald Ordre nach dem KriegSschauplak beknmw» Unmittelbar vor Schluß dcS Blattes geht unS noch die folgende Meldung zu: * Key West, 28. April. (Telegramm.) Tic ameri kanischen Kriegsschiffe „New Nork", „Cincinnati" und „Pnrttan" bombardtrtcn gestern das Kort MatanzaS (östlich von Havannah). Tas (Kesccht begann nm 12 Uhr 45 Minuten Nachmittags und dauerte eine halbe Ltnndc Tic Spanier sollen grosse Ver luste erlitten haben. Tic Amerikaner hatte» keine V erlnstc. Das wäre die erste entschiedenere kriegerische Action der Ver einigten Staaten und das erste eigentliche Gefecht, über dessen thatsächlichen Verlauf freilich noch weitere Nachrichten abgewartet werden müssen. Es könnte nach dem Bombardement MatanzaS' scheinen, daß man in Washington die Politik des HinzögernS aufgegeben habe uno entschlossen sei, auf Cuba so bald als möglich tsdulg, rasa zu machen. Eine solche schroffe Aenderung der Taktik hätte bei dem Zwie- spalr, welcher innerhalb des Kreises der amerikanischen Kriegsregisseure herrscht, nichts Auffälliges; möglich ist cs aber auch, daß man MatanzaS beschossen hat, um dem ungedul digen Publicum der Vereinigten Staaten und der Kriegspartei einmal etwas zu bieten. Trifft erst die spanische Flotte an der nordatlantischen Küste ein, dann dürfte eS mit dem Bombardement der cubanischen FortS gute Wege haben. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. April. Hatte schon die „Sächsische Arbeiterzeitung", wie wir gestern hervorhoben, erkennen lassen, daß die Social- Scmokratie die Erwerbung von Kiautschou deshalb mit Ingrimm erfüllt, weil diese That den nationalen Gedanken belebt und die „Neichsfluth" hat anschwellen lassen, so sorgte gestern im Reichstage der Abg. Liebknecht dafür, daß dieser Ingrimm und seine Gründe noch klarer hervor traten. Bei der ersten Lesung deS Nachtragsetats richtete er gegen die Regierung wegen ihres Vorgehens in Ostasien die heftigsten Angriffe, die den sonst so nachsichtigen Präsidenten zu einem Ordnungsrufe nöthigten, führte aus, daß die „auswärtigen Experimente" nur den „Bankerott der inneren Politik" verdecken sollten, und schil derte dann diese innere Politik in einer Weise, die keinem Zweifel darüber Raum läßt, daß der Herr Liebknecht nichts so sehr haßt, als jede Maßregel, die das dentsche Nationalgefühl kräftigt, den Hader der bürgerlichen Parteien besänftigt und damit die Aussicht auf einen baldigen Sieg der Umstürzler trübt. Er gab dadurch dem Staats - secretair Grafen PosadowSky willkommene Gelegenheit, zu betonen, daß die Rede Liebknecht's geeignet sei, allem Gerede über die „Mauserung" der Socialbemokratie, das besonders in national-socialen Zeitschriften sich finde, ein Ende zu machen. Drastisch illustrirte der StaatSsecretair dieses Gerede, indem er Stellen aus einem Aussatze Lieb knechl'S in der Zeitschrift „KosmopoliS" verlas, in denen die ExpropriirungSmethode gefchildert wird, welche die Social demokraten anzuwendcn gedenken,falls sie zur Herrschaft komme». Und damit den Herren National-Socialen und anderen Optimisten jede Hoffnung auf Entwickelung deS angeblich schon im Gange befindlichen MauscrungsprocesieS schwände, warf der Abg. Bebel die Frage auf, waS denn geschehen sei, um das Mauserungsmärchen glaublich zu machen. „Machen Sie, wa« Sie wollen, wir blerbeu, wa« wir sind!" — AuS der Rede des Grafen PosadowSky sei noch folgende Stelle hervorgehoben: „Das Mißtrauen der Socialdeinokratie gegen die Regierung wird nicht eher schwinden, als bis wir eine socialdemokratische Re gierung haben. Das beweisen die heutigen Aeußerungen Liebknecht's, die jedes patriotische Gefühl mit Füßen treten, deutlich. Diese Rede bestätigt nur das wieder, was Herr Liebknecht in einer öffentlichen Bersainmlung gesagt hat und was in einen: Artikel im „Vorwärts" gesagt ist: „Wir ändern unsere Taktik, unsere Mittel: wir lernen zu, aber wir bleiben, was wir sind. (Lebhafte Zustimmung der Socialdemokraten.) Wird sind eine revolutionaire Partei und unser Endziel bleibt dasselbe." (Jawohl! Sehr richtig! bei den Socialdemokraten.) Ich hoffe dringend, daß das die bürgerlichen Parteien sich gesagt sein lassen, daß sic eng Zusammenhalten (Aha! bei den Socialdemokraten), daß sic in dem gemeinsamen Kampf gegen die Socialdemokratie nicht zu sehr auf ihre gegenseitigen Farben blicken, und daß sie sich bc- mußt sind, Laß das Ziel der Socialdeinokratie ist, an Stelle der jetzigen Gesellschaftsordnung und des historischen Staates eine un- erträgliche Arbeiterdespotie zu setzen, und diese wollen wir nicht." Diesen Worten dcS StaatSsecretairS wurde lebhafter Bei fall gespendet. Und doch befanden sich unter den Spendern nicht wenige, die dazu beitragen, daß das enge Zusammen- FeurHrtsn» Die Herrin von Cchtersloh. 2s Roman von Toni Krüger. Nachdruck verbot«». 2. Capitel. * Trat man durch die schwere Eichenthür des Schlosses, so befand man sich in einem sehr vornehmen Vestibül, das mit besonderer Sorgfalt ausgestattct war. Der mit leichten Matten theilweis bedeckte Fußboden zeigte ein schönes Marmormosaik, die Wände waren mit von Meisterhand gemalten Fresken ge schmückt, und ein dicker Smyrnateppich bedeckte die von ver goldetem Geländer eingefaßte Treppe, die in das obere Stockwerk führte. Hohe, grüne Blattpflanzen füllten die Nischen und schwellende Polster luden zum Ausruhen ein. Auf der einen Seite des Vorflurs lagen das große Eß zimmer, sowie zwei elegant ausgestattete Empfangssalons und das Musikzimmer. Dem Portal gegenüber führte eine Thür in den Gartensalon, einen hohen, lichten Raum ohne Fenster, der seine Beleuchtung durch eine mächtige Glasthür erhielt. Von dort gelangte man über den die ganze Hinterfront des Hauses entlang laufenden Balcon direct in den Park. Die andere Seite des Erdgeschosses wurde größtentheils von dem Ahnensaal eingenommen. Nur zwei Gemächer, die der Baron bewohnte, lagen zwischen diesem und dem Vestibül. Das obere Stockwerk enthielt einerseits verschiedene Fremden zimmer und die Räumlichkeiten der Gräfin Stockhausen, auf der anderen Seite die Gemächer des verstorbenen Grafen. Sein Arbeitszimmer lehnte sich dicht an den linken Thurm, dessen einziger Raum die sehr reichhaltige Bibliothek enthielt. Margot bewohnte ihrem Wunsch gemäß nur ein Gemach, und zwar das rechte Thurmzimmer, dessen vier Fenster einen herrlichen Rund blick gewährten. Durch das östliche Fenster schlüpfte rin Sonnenstrahl und küßte ein liebliches Mädchenantlitz, das zwischen weißen Bett gardinen schlummerte. Margot schlug die Augen auf und grüßte mit freundlichem Lächeln den Hellen Sonnenschein. Dann erhob sie sich schnell, kleidete sich an und öffnete das Fenster. Ihr erster Gang allmorgendlich war nach ihrem „Ausguck": Er befand sich über ihrem Zimmer, von welchem direct eine durch brochene, schmiedeeiserne Wendeltreppe hinaufführte. Mit kräf tigem Arm hob sie die kleine Fallthiir und stand gleich darauf, von Hellem Sonnenlicht umfluthet, hoch über den Wipfeln der Parkbäume. Wie erfrischt war Alles über Nacht! Helle Tropfen zitterten auf den Blättern, und der Himmel wölbte sich azurblau über der erwachenden Erde. Mit tiefen Zügen athmete Margot die erquickende Morgenluft ein. Ihr war heute so leicht und lange nicht mehr so todes traurig zu Muth: wie am vorigen Tage. Der Schlaf hatte ihre müdegeweinten Augen wunderbar gekräftigt. Die Welt lag so wonnig schön vor ihr, der Sonnenschein, der Morgenwind, die in der Ferne blauenden Höhen, — Alles schien sie zu ermuntern, fröhlich zu sein. lieber das Geländer gelehnt, winkte sie einen Gruß hinüber nach dem kleinen Dorfkirchhofe, als wollte sie ihrem dort ruhenden Vater einen „Guten Morgen" bieten. Herauftönender Hufschlag ließ sie sich nach der nördlichen Seite wenden. Vetter Joachim hatte sich auf seinen Asra ge schwungen, um seinem Tagewerke nachzugehen, und winkte ihr mit dem Hut einen freundlichen Morgengruß herauf. Sie sah ihm nach, bis seine hohe Gestalt unter den Parkbäumen ver schwunden war. Wie undankbar und schlecht war sie doch gestern gewesen, als sie Ben als das einzige Geschöpf bezeichnete, das ihr nunmehr noch liebend zugethan sei! Hatte sie nicht an ihrem Vetter Joachim einen stets treuen Freund, der ihr mit warmem Herzen ergeben war? Gewiß wollte sie nicht wieder solche Gedanken hegen und mit doppelter Freundlichkeit gegen ihn wieder gut machen, was sie im Geiste gefehlt! Sinnend stieg sie in ihr Zimmer zurück. Bevor sie dies jedoch verließ, hob sie das Nähtischchen von dem südlichen Fenster nach dem westlichen, von wo aus sie einen freien Blick auf den Kirchhof hatte. Im Vestibül kam ihr Ben mit freudigen Sprüngen entgegen und schmiegte den großen Kopf zärtlich an seine junge Herrin. „Ist die Tante schon auf?" fragte sie den herzutretenden Friedrich. „Nein, Comteßchen", erwiderte in alter Gewohnheit der lang jährige treue Diener des Hauses — „Lomteßchen können gut vor dem Frühstück eine kleine Promenade machen, Ihre Excellenz haben eben erst nach Resi geklingelt." Gefolgt von Ben, schlüpfte Margot in den Gartensalon, und nachdem sie von dem dort gedeckten Frühstllckstisch ein Brödchen genommen, trat sie auf die Veranda und von dort in den thaufrischen Park. „Gelt, heute ist's schön", plauderte sie mit ihrem Hunde, indem sie einen vollblühendcn Heliotropenzweig brach, „so recht ein Tag zum Herumtummrln, — wenn man es nur mit fröh lichem Herzen thun könnte!" schloß sie mit einem Seufzer, Träumerisch wandelnd erreichte sie bald einen geheimnißvoll dunklen Weiher, der von tief herabhängenden Bäumen umkränzt war. Sie stieg in ein halb im Schilf verstecktes Boot und begann, sich niederlassend, mit der mitgebrachten Semmel die Fische zu füttern. Bald zog ein prächtiges Schwanenpaar daher, das offenbar auch gern an diesem Morgenimbiß theilnehmen wollte. Ben, der ruhig zu den Füßen des Mädchens lag, hob murrend den Kopf, denn er war nicht gut Freund mit den Schwänen. Ein gebieterisches „Still, Ben!" beschwichtigte ihn. Mechanisch warf Margot die Brocken in das Wasser und unwillkürlich steckte sie einen in den Mund; cs schien ihr gut zu schmecken, denn die Schwäne sahen sie verwundert an und suchten vergebens in den Wellen nach den weißen Bissen. Margot nerkte jetzt erst, daß sie sehr hungrig sei, denn sie hatte in den l-'tzten Tagen vor Kummer wenig genossen. Sie verzehrte mit Schagen den Rest des Brödchens, die Schwäne auf ihre Wieder- hhr vertröstend. Als sie den Gartensalon betrat, hatte die Gräfin gerade am Frllhstückstische Platz genommen und beschäftigte sich damit, ihren kleinen, weißhaarigen Liebling mit Weißbrot) und Zucker zu futtern. „Guten Morgen, Tante Adele!" rief Margot, ihr die Hand kiffend, „hast Du gut geschlafen?" „Leider nicht, Kind, der Kummer um Deinen guten Vater hat mir die Ruhe geraubt", und gähnend hob sie die weiße Hand mit den merkwürdig langen Fingern an die Lippen. Die eben noch so Helle Stirn der armen Kleinen verdüsterte sch und traurig senkte sie das Köpfchen. Schweigend füllte sie der Tante die Tasse und verzehrte ktrübt ihr Frühstück, Ben den größten Theil überlassend. „Du solltest nicht immer den großen Hund hereinlaffen, nenn Jane da ist, — die arme Kleine zittert vor Angst, wenn sie das Thier sieht!" In Wirklichkeit aber strebte Jane von dem Schooße ihrer Herrin herab, um Ben zu necken; sie war durchaus nicht furcht sam, sondern suchte so viel wie möglich in des großen Hundes ffähe zu kommen. Margot antwortete gar nicht auf die sich täglich oftmals ickederholende Bemerkung ihrer Tante. Sie fügte sich sonst willig der strengen Frau, nur von Ben mochte sie sich nicht türmen. Wenn sie etwas durchsetzen wollte, so beharrte sie sqweigend auf ihrem Willen, denn mit heftigen Gegenreden kmnte man bei der Excellenz gar nichts erreichen. Frau von Stockhausen konnte sich nicht daran gewöhnen, daß Margot nun erwachsen war, sondern behandelte sie immer noch wie ein Kind. Margot war siebzehn Jahre alt und seit sie vor einem Jahre aus der Pension zurückgekehrt war, ließ sie sich gern als Dame behandeln und konnte sehr trotzig das Köpfchen in den Nacken werfen, wenn sich Jemand unterstand, sie nicht für voll an zusehen. Der Tante gegenüber war das freilich eine andere Sache! „Du mußt dann Toilette machen, Kind! In einer Stunde wird der Notar zur Testamentseröffnung erscheinen!" erinnerte die Gräfin. Jäh hob Margot das Köpfchen. Sie hatte diese lästige Ceremonie ganz vergessen und wäre ihr gern fern geblieben. Als sie diesen Wunsch leise zu äußern wagte, fuhr die Tante heftig auf: „Was fällt Dir ein, Kind, Du, die Comteß Margot, Eleonore von Echtersloh, die Tochter des Verstorbenen, bist die Hauptperson dabei! Wo bleibt denn eigentlich der Rittmeister?" Sie klingelte Friedrich, welcher meldete, daß der Rittmeister von Halden seinen Kaffee schon sehr früh auf seinem Zimmer genommen und sich dann auf eine Waldpromenade begeben habe. Durch ein leises Kopfneigen war der Diener entlassen. Auf dem Balcon ertönte Sporengeklirr, Joachim trat durch oie offenstehende Thür ein. Ehrerbietig küßte er. der Excellenz die Hand, Margot bot er einen freundlichen „Guten Morgen" und Händedruck. „Es ist die höchste Zeit, daß Sie kommen, Baron!" sagte die Gräfin, „denn Sie müssen zu dem feierlichen Act doch noch Toilette machen." „Dazu bedarf ich nicht langer Zeit, da dieselbe sehr einfach sein dürfte", erwiderte Joachim mit spöttischem Lächeln, indem er sich an dem Tische niederließ, um mit äußerster Gemüthsruhe und gutem Appetit sein zweites Frühstück zu verzehren. „Haben Sie schon das Zimmer des Grafen für den Act Herrichten kaffen?" fragte die Gräfin. „Ich wüßte nicht, was dazu für Vorbereitungen nöthig wären", erwiderte der Baron in gleichem Tone, „der Tisch wird in die Mitte gerückt, so und so viele Stühle davor und einer dahinter gesetzt, und die Sache ist gemacht." „Sie sind merkwürdig kurz angebunden, Baron, so werde ich die Anordnungen geben!" Sie erhob sich und ließ die Thür geräuschvoll hinter sich zufallen. Die Gräfin nannte Joachim nie anders als „Baron", Wohl, um ihm den Unterschied klar zu machen, der zwischen ihm und der übrigen Familie herrschte, und ihn in seine Schranken zurückzuweisen, wenn er sich unterstand, wie eben jetzt, anderer Meinung zu sein als sie, die Gräfin. Eine finstere Wolke hatte sich auf Joachims Stirn gelagert.
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