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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.05.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980503012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898050301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898050301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-03
- Monat1898-05
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Trübere Schrift«« laut unserem Preis »erzeichniß. Tedellarischer und Ztssernsu, nach hoh«em Darif. Extra»Vetlagr« (gesalzt), nur mit d« Morgen»Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Pvslbeförderung 70.—. Annahmrschlnß für Anzeigen: Abend-Au-gab«: vormittag« 10 Uhr. Morgr n-Au-gabe: Nachmittag« 4 Uhr. L«i den Filialen und Annahmestelle» j«ein« halb« Stunde früher. Anzeige» sind stet« an die Expedttisn zu richten. Druck uud Verlag von C. Polz in Leipzig. 220 Dienstag den 3. Mai 1898. 82. Jahrgang. Die internationale Lage. —pL. Der telegraphisch schon skizzirte, anscheinend in der Hauptsache ofsiciöse Artikel der „Kölnischen Zeitung" Über die internationale Lage lautet: »In einzelnen deutschen Zeitungen finden wir die sensa- fjonrllsten Ausstreuungen über eine gewisse Abkühlung in den deutsch-russischen Beziehungen und über krank hafte Anstrengungen der deutschen Politik, eine enge An näherung an die englische Regierung zu Stande zu bringen. Wir glauben nicht fehl zu geben, wenn wir diese Ausstreuungen auf ausländische Quellen zurückführen, und zwar einerseits auf englische, andererseits auf russische. Ja England tritt das Gefühl der Vereinsamung in immer weiteren Schichten der öffentliche» Meinung zu Tage. Das stetige, ruhige, zielbewußte Vorbringen Rußland» in Asien erweckt dort immer größere Sorge und läßt den Wunsch nach Bundesgenossen immer erklärlicher erscheinen. Daher einerseits ein Zurschautragen der engsten Be ziehungen zu den Vereinigten Staaten m der Hoffnung, daß von dort aus nach Ueberwindung des Krieges mit Spanien und unter Verwerthung der alsdann voraussichtlich sehr ver mehrten und gestärkten militairischen Kräfte sich ein schrofferer Gegensatz zu Rußland ergeben wird. Daher andererseits die mannigfachsten Versuche, Rußland von Frankreich und von Deutschland zu trennen. In Rußland umgekehrt beobachtet man mit begreiflicher Spannung diese englischen Versuche, man hat ein natürliches Interesse daran, sie mit Scheinwerfern zu beleuchten und sie bis in ihre äußersten Winkel aufzuheuen, um darnach die eigene Politik um so sicherer zu gestalten. So wird denn in verschiedenen Zeitungen, und auch deutsche sind unklug genug, daraus eiozugeben, ver breitet, Deutschland sehe wegen des Standes der Dinge auf Kreta und wegen des russischen und englischen Vorgehens in China sich veranlaßt, jetzt um die Gunst Englands zu buhlen; England sei aber nicht für platonische Freundschaft, eS sei gewohnt, nur gegen baare Bezahlung zu liefern, und eS verlange demnächst Transvaal ausgeliefert, wolle aber dafür als Draufgeld Zanzibar an Deutsch land übergeben. Schon diese Einzelheiten müssen Jedem, der mit eigenen Gedanken zu denken pflegt, klar machen, wie aussichtslos alle diese Ausstreuungen von vornherein sind. EineStörung oder eine Abkühlung in den deutsch russischen Beziehungen hat in keiner Weise statt gefunden, die deutsche Politik hat nicht das geringste Interesse daran, Rußland entgegenzutreten; das Weggehen von Kreta ist, wie aus der bekannten Reichstagsrede des StaatSsecretairS von Bülow unzweideutig hervorgeht, um deswillen erfolgt, weil die deutsche Regierung nicht die Mitverantwortung übernehmen wollte für eine Politik, deren mögliche Folgen in ihrer Bedeutung ganz außer Verbältniß sein können zu den Interessen, die Deutschland in Kreta hat. Auch in den deutsch-englischen Beziehungen ist keine Aenderung eingetreten. Die „Times" erinnern in einem recht übellaunigen Leitartikel zutreffend daran, daß Ende December Herr v. Bülow dem englischen Botschafter in Berlin versichert habe, daß die deutsche Regierung nicht beabsichtige, irgend etwas zu thun, waS England unangenehm sei; er sei ein Anhänger eines guten Einvernehmens zwischen Deutschland und England, deren Interessen in den meisten Theilen der Welt so vielfach gleiche seien. Herr v. Bülow Hal zudem noch jüngst gelegentlich im Reichstag am 27. April betont, daß zwischen Deutschland und England kein VertragS- verhältniß bestehe, daßDeutschland England gegenüber freieHand habe. DaS stimmt durchaus mit seiner früheren Erklärung, daß Deutschland seinen Platz au der Sonne haben und behaupten will. Diese Sachlage ist heute völlig unver ändert, sowohl im Allgemeinen wie insbesondere auch in Bezug auf Transvaal. Auch mit Rücksicht aufTran-vaal hat die deutsche Politik nicht die geringste Schwenkung vor genommen; die Aufrechterhaltung ihrer Selbstständigkeit ist ausschließlich Sache der Boeren; je mehr sie den Wohlstand ihres Landes heben und fördern, um so leichter wird eS ihnen werden; je mehr sie die berechtigten Interessen der dortigen Ansiedler und Gewerbetreibenden vernachlässigen und schäbigen, um so mehr bereiten sie den Gegnern der Unabhängig keit des Landes den Boden zur weiteren Unterwühlung. Die Phantasie, daß England sich demnächst bereit er klären werde, die Herrschaft über die Insel Zanzibar an Deutschland abzutreten, wird auf politische Kinder einen überwältigenden Eindruck machen, wir haben keinen Anlaß, sie ernsthaft zu nehmen. Unseres Erachtens zeichnet sich die deutsche Politik durch eine erfreuliche Klarheit und Durchsichtigkeit aus. Sie hat Rußland nicht den geringsten Anhalt ge boten, an der altüberlieferten deutschen Zuver lässigkeit zu zweifeln, sie bindert ein gutes Zu sammengehen mit England nirgends, wo die deut sch enIn ter essen ein solches Wünschenswerthmachen, sie hat allerdings aber auch jeden Zweifel darüber beseitigt, daß sie sich nicht zum englischen Vorspann her geben wird, wo keine entsprechend wichtigen deutschen Interessen mit in Frage kommen. Die deutsche Politik wird eben niemals aus dem Auge lassen, daß ihre wesentlichsten Interessen in Europa liegen und daß es ihre wichtigste Aufgabe ist, für Deutschland in Europa in Ehren den Frieden aufrecht zu erhalten und zu sichern." Diese Ausführungen stimmen im Allgemeinen vollständig mit dem überein, WaS wir immer und immer wieder zur Sache gesagt haben. Nur in Bezug auf die Boeren sind wir anderer Meinung. Trotz der Transvaal freundlichen Haltung der deutschen Regierung und der deutschen Presse hat die „K. Z." seit Jahren dem Boerenregiment im All gemeinen und Präsident Krüger im Besonder» wenig Sympathie entgegengebracht, so daß wir ihre jetzigen Auslassungen über die südafrikanische Republik nicht für officiöS halten können. ES mehren sich in jüngster Zeit nicht bloS in Deutschland, sondern auch in England die Stimmen, welche die Klagen über die Vernachlässigung berechtigter Interessen der UitlanderS al« stark übertrieben, wenn nicht al« ganz unbegründet bezeichnen und hinter denselben englische Machenschaften gegen die Unabhängigkeit Transvaals erblicken. Der Ueberzeugung sind auch wir. Von gut unterrichteter Seite wird unS zu der gleichen Angelegenheit noch aus Berlin geschrieben: Fast gleichzeitig sind in der französischen und in der deutschen Presse Corre- spondenzen au« Petersburg bezw. auS Berlin erschienen, die von einem Frontwechsel in der internationalen Haltung Deutschland« zu berichten wissen. Ein angeblich russischer Correspondeot de« „Soleil", den die deutsche Pariser Corre- spondenz gefälliger Weise als „russisch-officiös" bezeichnet, obwohl sie wenn nicht über die Nationalität, so doch über die politische Richtung des Correspondenten unterrichtet sein könnte, hat den spanisch-amerikanischen Krieg ganz aller liebst zu einem Versuch, Deutschland und Rußland zu ver hetzen, „verarbeitet". Man könnte besagten Correspondenten einen politischen Jule« Verne nennen, wäre die Phantasie, nicht böswillige Berechnung, die Quelle seiner schaudervollrn, höchst schaudervollen Mär von der gewaltigen Coalition der drei großen germanischen Völker (Eng lands, Deutschlands und der Vereinigten Staaten von Amerika), die England herbeizuführen suche. Läßt „Europa" diese Coalition zu, so ist das, meint der um daS Wohl der europäischen Menschheit treubesorgte Gewährsmann des „Soleil", „unser aller Ruin." Denn: „Das lateinische Amerika würde in wenigen Jahren von den Angelsachsen verschlungen, die europäischen Staaten von dem deutschen Heere unt«rworfen und durch die englische Concurrenz ruinirt." Zum Heil der bedrohten Weltfreiheit wird Rußland die dräuende Gefahr durch die Bildung einer „Gegenliga" beschwören, der nicht nur Frank reich, das ist ja selbstverständlich, angehörte, sondern der bei zustehen auch Oesterreich und Italien „bald begreifen" würden. Was Deutschland anlangt, so ist der „russische" Correspondent des „Soleil" human genug, zu sagen, „man" wisse noch nicht, was eS thun werde; aber daS hält ihn weder von der Behauptung ab, gerade deshalb werde der Ernst der Lage verschärft, noch hindert es ihn, den Beitritt Deutschlands zur germanischen Coalition als feststehende Thatsache zn behandeln. Mit derselben Sicherheit erzählt ein Stettiner Blatt von der „eifrigen Flucht Deutschlands an den wärmen den Ofen der Freundschaft Englands", weil infolge der ostasiatiscken Complicationen eine Erkältung in den deutsch-russischen Beziehungen eingetreten sei; ja, das Stettiner Blatt weiß sogar, daß Deutschland die Insel Zanzibar „als Draufgeld" gegen die PreiSgebung Transvaals an England erkalte. So vereinigen sich französische Berechnung und deutsche Sensationssucht, Rußland mit Mißtrauen gegen die Absichten Deutschlands zu erfüllen. Die maßgebenden russischen Kreise werden sich aber jetzt weniger als je über die deutsche Politik täuschen lassen. Zu bestimmt ist gerade in der letzten Zeit die Selbstständigkeit der deutschen Politik betont, zu offenkundig sind die das Glückwunschtelegramm Kaiser Wilhelm's nach der Schlacht am Atbara sanguinisch constatirenden englischen Blätter ihres Irrthums überführt worden. Und eben noch am 27. v. M. hat StaatSsecretair von Bülow im Reichstage erklärt: „Wir haben keinerlei Abmachungen mit England, ich freue mich aber, für die guten Gesinnungen der englischen Regierung constatiren zu können, daß dieselbe auS eigenem Antriebe die im „Reichs anzeiger" publicirte Erklärung abgegeben hat, welche uns die Sicherheit gewährt, daß England von Wei-Hai-Wei aus nicht in unsere politische und wirthschaftliche Interessensphäre ein greifen wird." Die Verstimmung, die diese höfliche Ge lassenheit in den „Times" hervorgerufen hat, thut daS Ihrige, die Abgeschmacktheit der tendenziös oder leichtfertig verbreiteten Fabel über eine deutsch-englische Cooperation in Helles Licht zu setzen. Deutsches Reich. * Leipzig, 2. Mai. 250 feststehende Candidaturen bat die Socialdemokratie jetzt nominirt. Wenn dieser Tage von 310 die Rede war, so ist zu berücksichtigen, daß 50 bis 60 Candidaten noch zweifelhaft sind, oder doppelt und drei fach candidiren. Diese durch andere Candidaten zu ersetzen, ist die Parteileitung augenblicklich bemüht, und sie steht zu diesem Zweck mit einer Anzahl von bekannten Parteigenossen behufs Annahme von Candidaturen in Unterhandlung. — Bei dieser Gelegenheit weisen die „Münch. N. N." darauf hin, daß in der Centralleitung der socialdemokratischen Partei die Ansicht besteht, der diesmalige Wahlkamps werde sich viel ruhiger entwickeln und abspielen, als in früheren Jahren. Die größte Gefahr, so behauptet die Socialdemokratie nach wie vor, liege in der Bedrohung des allgemeinen Wahlrechts und der CoalitionSfreiheit, Und auf diesen Punct wird von den Candidaten und Parteirednern in der Wahlbewegung das Hauptgewicht gelegt werden. „Es fehlt diesmal an einer bestimmten Wahlparole", so äußerte sich ein bekannter Führer der Partei. „Andererseits beherrscht der Krieg um Cuba das öffentliche Interesse in der Wählerschaft und in der Presse so allgemein, daß die Wahlbewegung stark in den Hinter grund gedrängt wird und erst ganz kurze Zeit vor dem Wahltermin eine größere Lebhaftigkeit annehmen dürfte." Daß es der Socialdemokratie an einer Wahlparole fehle, ist auch unsere Ansicht, die wir vor einiger Zeit begründet haben, und die Socialistendebatte, die Herr Liebknecht in vergangener Woche heraufbeschwor, war weiter nichts als der verzweifelte Versuch, sich daS Schlagwort, das Niemand in der Partei trotz allen Eifers finden kann, vom RezierungStische Her zubolen. Nebenher mag auch noch der fromme Wunsch des „ollen ehrlichen" Liebknecht gegangen sein, sein eigenes Partriansehn wieder einmal aufzufrischen, was er augenschein lich sehr nöthig bat. DaS Letztere mag ihm gelungen sein, denn seine Rede war ganz socialdemokratisch, aber jenes taktische Manöver hat keinen Erfolg, vielleicht sogar einen Mißerfolg gehabt. Denn Gras PosadowSky wandte sich zwar reckt scharf gegen die Socialdemokratie, aber er betonte zum Schluß — und damit zog er der Socialdemokratie den Futter napf wieder fort—, daß diebesitzenden Classen jetzt mehr denn je darauf achten sollten, die arbeitenden Classen billig und gerecht zu behandeln, und wieder mehr den ethischen Gesichtspunkt berücksichtigen möchten. Außerdem bat derMinister bekanntlich in derselben Rebe ausdrücklich erklärt, daß ein Socialistengesetz nicht in Aussicht stehe. Bemerkenswerth ist übrigens, daß die Socialdemokraten im Parlament jede Bemerkung, ihre Partei sei „revolutionair", doppelt unterstreichen. Sie wollten augenscheinlich dadurch den Eifer einzelner Parlamentarier oder Minister gegen die Social demokratie steigern, um dann irgend ein unbedachtes Wort aus der Fehde herausgreifen und ausschlachten zu können. Nun fällt aber auf die „Revolutionaire" Niemand mehr hinein, denn Jeder weiß, WaS die Herren wollen, wenn sie können, und läßt sich durch das Eingeständniß ihres revolu- lionairen Wollens ebensowenig aus der Ruhe bringen, wie durch die Ableugnung. Das große Schlagwort, das die Socialisten am vergangenen Mittwoch extrahiren wollten, ist also noch nicht gefunden. Sie wollen eS nun auf andere Weise versuchen, indem sie die Regierung über die Getreidezölle interpelliren werden. Vielleicht findet sich da — so denken die Klugen — etwas, was man zu Brvd- wucher stempeln könnte. Es wird diesmal den social demokratischen Rednern sehr schwer werden, ein neues Schlagwort unter die Menge zu schleudern, und fast scheint es, als ob sie einen Extracursus werden nehmen müssen in der Kunst, zu lügen, ohne zu errötheu. * Leipzig, 30. April. Die „Leipz. Volkszeitung" bringt den üblichen Maiartikel und dazu diesmal ein Bild, daS die Solidarität der Arbeiter aller Erdtbeile ver sinnbildlichen soll. Der Malaye und der Neger tanzen Hand in Hand mit dem deutschen Arbeiter um den Erdball. DaS macht sich ja auf dem Bilde ganz nett, aber wenn nun der Kuli diese papierne Brüderlichkeit ins Praktische übersetzte und zu seinen Brüdern nach Deutschland einwanderte? * Berlin, 2. Mai. Anfang dieses Jahres hat Bebel eine Schrift herausgegeben mit dem Titel: „Nicht stehendes Heer, sondern Volksweh r." Die Schrift kam auch im Reichstag zur Sprache. Von militairischer Seite wird der „Nat.- Ztg." darüber geschrieben: Es sind in der Schrift Bebel's die Meinungen der Socialdemokratie über das Heerwesen, welche hundert Mal wiederholt und ebenso oft widerlegt worden sind, zusammengetragen. Alles, was an schlecht- oder mißverstandenen Aeußerungen von Militairschriftstellern und solchen, die es sein wollen, von anonymen Fachmännern in demokratischen Zeitungen und Broschüren mißvergnügter Militairs aufgetrieben werden tonnte, erscheint in der Bebel'schen Schrift als baare Münze. Natürlich war es in organisatorischer Beziehung wieder ein reines Milizsystem, das Bebel als Unioersalmittel gegen den „Militaris mus" für Deutschland eingerichtet haben wollte, aber ein durch ihn verbessertes; denn auch an dem Schweizer System hat er schon manches auszusetzen. Von Nordamerika wird gesagt, dies Land beweise, „daß man ein großer Staat ohne ein eigentliches Heer und ohne eine große Flotte sein kann und doch in der ganzen Well respectirt wird." Es wird weiter ausgeführt, daß Nordamerika sich w ä h r e n d des Bürgerkrieges eine Armee schuf und eine Flotte baute, und daß es dies mit größter Schnelligkeit jetzt ebenso machen würde. Dies war geschrieben vor Ausbruch des spanisch-amerikanischen Conflicts. Inzwischen nun ist Amerika überraschend schnell durch einen Krieg, den es selbst hervorrief — Amerika, der republikanische Staat, in dem der Volkswille Alles ist! — vor eine ernste Probe gestellt worden. FettiHetsn. Geldeswerth im Älterthum. Bon Karl Bl«ibtr«u (Lharlottenburg). Nachdruck verboten. Die Cultur hat seit einem Jahrtausend eine locale Schwenkung gemacht, sich vom Süden und Osten des Erdballs nach dem Norden und Westen verpflanzt. Die Arbeit des Menschen triumphirte über die äußerlichen Bedingungen des Klimas und Bodens. In früheren primitiven Zeitaltern aber mußte die Cultur und der ökonomische Reichthum an die von Natur gesegneten Landstriche gefesselt bleiben, vor Allem an den Orient. Wie sah es nun dort aus bezüglich der Ansammlung von Capital? Die Nachrichten über da- graue Alterthum im Orient sind vorsichtig aufzunehmen. Denn wenn Herodot zwölf Meilen Umfang für Ninive angab, so wissen wir heute, daß der wirklich« Umfang so gering war, daß höchsten» eine Viertelmillion Ein wohner dort leben konnte. So klingt e» denn auch rein mythisch, daß Sardanapal sich mit 156 Millionen Gold und Silber, un gerechnet dreihundert goldene Tische und Divan», verbrannt habe. Ein voller assyrischer KönigSanzug soll einen Werth von 45 Millionen repräsentirt haben! Wir rechnen hierbei stets den Geldeswerth nach deutschen Reichsmark. Solche Angaben des Historikers Ktesias dürfen wir nicht gutgläubig nachschreiben. Richtiger klingt es schon, daß da» Perseicreich 90 Millionen Staatseinnahmen an Tributen bezog. Wir finden hier schon »ine hochentwickelte Cultur, wofür die 111 Poststationen als Beweis dienen. Ueber die Bevölkerung-maste jener alten Reiche weiß man nicht- Bestimmte». Egypten soll z. v. 7 t Millionen Einwohner gezählt haben, natürlich weit mehr al« heut. Da gegen dürfte China wohl früher nicht so bevölkert gewesen sein; heute kommen 41 Köpfe auf den Quadratkilometer, in Europa durchschnittlich nur 32, und die bevölkertste Provinz China- tp doppelt so zahlreich besetzt al» Belgien, wie Honegger in seiner „Allgemeinen Kulturgeschichte" erwähnt. In Indien muß ein recht ausgebildeter Geldverkehr geherrscht haben. Denn in Manu's Gesetzbuch wird der Geldzins bei Darlehen auf 15—60 berechnet. Mit diesen angenehmen Wucher- Gepflogenheiten des Alterthums harmonirt es, daß der biedere Tyrannenmörder Brutus den Salaminiern Geld vorstreckte mit 48 Zins! Ein Beweis für die Knappheit des Geldes, nicht etwa im Allgemeinen, sondern bei den Unterdrückten im indischen Volke und den römischen Provinzen, während die Hindu-Fürsten und die Gewalthab« in Rom ungeheure Schätze häuften. Bezüglich Griechenland» befinden wir uns schon auf festem Boden verbürgter Ueberliefrrung, obgleich z. B. die Bevölkerungs zahl auch dort streitig ist. Nach Boekh soll Attika nur j Million, Athen noch nicht 200000 Einwohner gehabt haben. Doch darf man wohl 12 Millionen Griechen, inclusive aller Colonien in Asien und Italien, annehmen. Von Sparta urtheilt Aristoteles ausdrücklich, daß eS durch zu geringe BUrgerzahl zu Grunde ge richtet wurde. Dagegen soll angeblich die kleine Insel Aegina ß Million Einwohner gehabt und 470 000 Sclavrn bei ihrer Großindustrie unterhalten haben. Doch ihr Glanz ging bald auf Athen über. Dessen Jahreseinkünfte betrugen, nach Mark berechnet, 4H Millionen, stiegen aber bis auf acht. Da- ge- sammte verfügbare Steuercapital betrug noch unter Demosthenes 29 Millionen (6000 Talente). Die gleiche Summe lag im Staatsschatz aufgespeichert. Unter dem Demagogen Kleon wurden 9 j Millionen (2000 Talente) für Vermögenssteuer aus geschrieben. Dagegen betrug unter Alexander daS gesammte mobile und immobile Vermögen der Stadt nur noch 28 Millio nen. Ein großer Theil des Capitals wurde in Kunstwerken angelegt. So kostete an der Athene de» Phidia» allein der Mantel 2 L Millionen an Goldwerth! Die Finanzwirthschaft dieses reichsten griechischen Staates, der vom untergebenen See bund der verbündeten Städte und Inseln 600 (unter Alkibiades sogar 1300) Talente Tribut empfing, gerieth hauptsächlich durch demagogische Maßregeln in- Wanken. So schraubte Kleon die Besoldung der Geschworenengerichte auf Z Millionen jährlich herauf. Obschon nun das Hellenenthum durch Alexander'- Welt eroberung sich mit dem passiven Reichthum des Orients ver knüpfte und später in Seleucia, Ktesiphon, Antiochia, Pergamon, Alexandria eine neue weichliche Hochcultur emporblühte, so verlor es doch die Kraft, sich kriegerisch zu behaupten, und damit war sein Untergang besiegelt. Rom trat räubernd und wuchernd das Erbe an, um es bald als Verschwender zu vergeuden. Die beispiellose Herrlichkeit Großgriechenlands in Süditalien und Sicilien erlag. In Hellas selber hatte das materielle Gedeihen im Durch schnitt doch nur eine leidliche Wohlhabenheit ermöglicht, nicht mehr und nicht weniger. Ueppigere Verhältnisse finden wir im Römerstaat. Zur Gracchenzeit nannte man 3 Millionen Sesterzien — 642000 cF ein mäßiges Senatorenvermögen. Freilich war eine angemessene Mitgift nicht sehr beträchtlich: so stattete Scipio Africanus seine Tochter mit 50 Talenten (etwa 24 000 ^) aus. Dagegen besaß Craffus, nachdem er schon ans Volk riesenhafte Spenden vertheilt hatte, noch fast 110 Millionen Vermögen in Baargeld, Ländereien, Sclaven und Geräthen. Zur Kaiserzeit betrug das Vermögen des LentuluS 75 Millionen, und der so übnaus weise Seneca soll auch fast 50 Millionen zusammengeschachert haben. In den letzten Jahrhunderten des Imperium Romanum darf man das Jahreseinkommen der reichsten Senatoren auf 3^ Millionen schätzen. Solche ungeheuren Vermögen sind selten von englischen Lords und Nabobs oder amerikanischen Gründern erreicht worden. Das Jahreseinkommen des Schauspielers Roscius soll auch 130 000 betragen haben. Wenn die Virtuosen-Gagen solche Reichlichkeit erlangen, muß der Luxus einer solchen cor- rumpirten Gesellschaft dafür verantwortlich gemacht werden. Natürlich war diese Ansammlung von Schätzen nur möglich, weil Rom als dickbäuchige Spinne den Provinzen das Blut aussaugte. Diese befanden sich nach der Diadochenzeit meist in blühendem Zustande. Das ptolemäische Egypten lieferte jährlich 1H Millionen Hektoliter Korn nach Rom. Selbst Perseus von Makedonien stand sich so gut, daß man ihm 210 Millionen Geld und Kostbarkeiten rauben konnte. Auch die Juden müssen schon schwunghafte Geschäfte betrieben haben, denn Mithridat nahm auf der Insel Kos 4 Millionen weg, welche die Juden dort deponirt hatten. Und dabei beklagten sich die römischen Nationalökonomen noch, daß jährlich 120 Schiffe durchs Rothe Meer fuhren, um 50 Millionen Sesterzien nach Indien zu tragen, dessen Waare man eifrig importirte. Das läßt auf eine allgemeine Blüthe des Handelsverkehrs schließen. Nur Griechen land erholte sich nicht mehr von dem letzten Schlage, als Mum mius u. A. das reiche Korinth ausplünderte, so wie Marcellus das reiche Syracus brutal ruinirt hatte. Zur Scipionenzeit besaß der reichste Grieche nur 1j Millionen. Die Steuer verhältnisse im Kaiserreich regelten sich besser und wurden schon durch die Ordnung minder drückend als während des früheren rupublikanischen Raubsystems. 300 Millionen brachte das ganze Riesenreich jährlich als Staatssteuer auf; kommunale und pro vinziale Ausgaben fielen freilich nur den Betreffenden zur Last. 800 Millionen Mark mögen die Gesammteinkünfte des Staates betragen haben. Das ist für 75000 Quadratmeilen mit 120 Millionen Einwohnern nicht eben viel. Immerhin dauerte es lange, bis in Europa nach dem Sturz des Römerreiches wieder ähnliche gesunde und geordnete Finanz zustände reiften. Erst die italienischen Städte Florenz, Venedig, Genua, Mailand, erwarben durch Seehandel und sonstige Be triebsamkeit den einstigen Glanz griechischer und karthagischer Kaufmannschaft zurück. Was von Rom und Hellas noch in Byzanz weiterblühte, welkte rasch unter dem verheerenden An sturm westlicher und östlicher Barbaren. Auch die vorüber gehende Hochcultur der Araber und Neuperser hielt sich nicht. Mongolen und Türken schleuderten Asien in tiefere Barbarei zurück, als sie je zur Urzeit dort bestand. Wo einst die Ramses und Ptolemäer ein reiche- Culturland am Nil begründet, hauste der romantische Mameluk, der stumpfsinnige Osmane. Auch vom Süden Europa- wich langsam das finanzielle Uebergewicht. Umsonst flössen die Schätze Amerikas und Indiens nach Spanien und Portugal. Holland und England schlugen jede Concurrenz nieder, nachdem schon vorher die Hansa und die süddeutschen Städte mit Italien gewetteifert. Nordamerika trat später hinzu, und so hat jetzt das Geld den Kreislauf nach Norden vollendet.
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