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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.05.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980510018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898051001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898051001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-10
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In dem zweiten der kürzlich von uns unter der Ueber- sckrrift „Unsere Hochschulen und Parlamente" ver öffentlichten Artikel war, wie erinnerlich sein wird, der Wunsch ausgesprochen, daß die Verfügung des preußischen Unterrichts ministeriums, betreffend die fernere Nichtzulassung von Aus ländern bei der Maschinen-Jngenieur-Abtheilung in Char- lottenburg, nur eine vorübergehende sein möge. Zahlreiche Zuschriften, die uns zugegangen sind, befürworten dagegen weit schärfere und allgemeinere Maßregeln gegen das Ueber- handnehmeu ausländischer Elemente besonders an unseren technischen Hochschulen und weisen auf die Nachtheile hin, die aus dem „Verschenken" der deutschen Errungenschaften auf technischem Gebiete an das concurrirende Ausland erwacbsen müssen. Bei der Wichtigkeit der Frage halten wir uns f ir verpslichtet, die gehalt- und maßvollste jener Zu schriften unseren Lesern zur Kenntniß zu bringen. Sie lautet: v. Jemand sagte neulich: So lange Deutschland unS Produkte deS geistigen Schaffens exportirte, ging alle Welt gern auf das Geschäft ein, da es nichts kostete; jetzt, da Deutschland begonnen hat, auch materielle Maaren aus- zuführen, die baareö Geld kosten, wird das Ausland ihm furchtbar böse und erhebt jämmerliche Klagen. In der That — die Einfuhr deutscher Geistesarbeit haben die fremden Völker sich nicht nur gern gefallen lasten — sie baben selbst ihre Vertreter nach Deutschland gesandt, um sich dort diese Gaben schenken zu lassen. Kommt die deutsche Waare ins Land, so wird ihr ein Stempel L la „malle in Lerman/' ausgedrückt, um sie als fremdländisch zu brandmarken — keinem Menschen und keinem Staate aber wird eö einfallen, die aus Deutschland geholte geistige Waare in gleicher Weise zu kennzeichnen. Der deutschen Industrie suchen wir durch Handelsverträge u. dergl. den Absatz zu sichern und einen weiteren Markt zu schassen, aber wir verhindern es nicht, daß gleichzeitig die ausländische Concurrenz sich von uns selbst di: Mittel holt, unS zu bekämpfen nicht einmal, daß wir diese Mittel wenigstens zum Selbstkostenpreise verkaufen — wir schenken sie ihnen geradezu zum großen Theil. Gewiß, die Wissenschaft ist ein Gemeingut aller Völker und wird durch gegenseitigen Austausch unausgesetzt gefördert und befruchtet; allein es giebl ein Grenzgebiet, auf dem die theoretische Wissenschaft eng mit der praktischen Wirthschaft zusammenstößt, und die nationale Wirthschaft kann nicht wirksam geschützt werden, wenn in diesem Grenzgebiete nicht auch die Schranken der nationalen Wissenschaft gezogen werden. Die Ausländerfrage beginnt an unseren Hochschulen nachgerade eine schwerwiegende Rolle zu spielen, und auch amtlich hat man dieser Thatsache bereits Rechnung getragen. Weit entfernt davon, der Wissenschaft ein deutsches Monopol gründen und die Ausländer schlechthin von unseren Hoch schulen verscheuchen zu wollen, muß man sich doch recht ernst lich fragen, ob wir ihnen nicht zu weit entzegenkommen und unS daraus nicht selbst große wirthschaftliche Nachtheile bereiten. Die Hochschulen wollen unterhalten sein; sie erfordern nicht geringe Staatsmittel, und die Collegiengelder rc. decken nur einen kleinen Theil Dessen, was dem Staate die Aus bildung seiner studierenden Jugend kostet. Die Zuwendung, die er ihr auf diesem Wege macht, kommt aber gleichzeitig in vollem Umfange den Ausländern zu Gute, denen der Staat somit also geradezu ein Geschenk macht. Und wie danken sie ihm das Geschenk? Indem sie zurückgehen in ihr Vater land, die erworbenen Kenntnisse dort verwerthen und mit Hilfe dieser Kenntnisse, die sie sich etwa auf technischem u. a. Ge biete errungen haben, der Anwendung dieser fortgeschrittenen Technik in der deutschen Industrie eine scharfe Concurrenz auf gleicher Grundlage gegenüberstellen. Wenn man es ganz craß ausdrücken wollte, könnte man diesen Zustand fast ver gleichen mit einem Manne, der einem Fremden den eigenen Cassenschlüsscl selbst in die Hand drückt, damit er hingehe und die beste Rente heraushole. Sobald man sich diese Thatsache vergegenwärtigt, daß Deutschland selbst auf eigene Kosten die Leute ausbildet, die keine andere Absicht haben, als später der deutschen Arbeit Concurrenz zu machen, wird man thatsächlich zu der Ueber- zeugung kommen müssen, daß auch für die Geistesarbeit ein „mälls in Oorumux" innerhalb gewisser Gebiete und gewisser Grenzen recht angebracht wäre. Am aktuellsten ist die Frage für unsere technischen Hochschulen, die dem starken An drange gar nicht mehr gewachsen sind und mit großen Kosten erweitert werden müssen — damit das Ausland die Früchte der deutschen Geistesarbeit pflücken kann. Es war daher nur mit Freuden zu begrüßen, daß der preußische CultuS- minister kürzlich in einem Erlaß an die Technische Hochschule in Charlottenburg bestimmte, daß bei der Platzvertheilung die fremdländischen Studenten erst in letzter Linie berücksichtigt werden sollten; besonders aber wird gefordert werden müssen, daß die ausländischen Studenten an deutschen Hoch schulen wenigstens das bezahlen, was ihre Aus bildung dem Staate kostet. Einer völligen Absper rung gegen die fremden Studirenden soll durchaus nicht das Wort geredet werden — aber wir haben auch keinerlei Veranlassung, ihnen etwas zu schenken. Welche Rolle die deutsche Geistesarbeit auf dem geistigen Weltmarkt spielt, dafür spricht beispielsweise die Tbatsache, daß Deutschland nur für 19 Millionen Mark Bücher rc. einführt, an das Ausland aber für 62 Millionen abliefert. Und wenn man sich in einzelnen Wissenschaften umsieht — man greife nur einmal diejenigen heraus, die heute im Vorder gründe deS allgemeinen Interesses stehen, die WirthschastS- und Socialwiffenschaften —, so wird man leicht erkennen, daß unsere westlichen Nachbarn in großem Stile an diese Sachen Herangehen und ungemein viel dafür thun, diese Wissenschaften in ihrem Volte zu verbreiten. Geht man ihnen jedoch auf den Grund, so findet man heute nirgends einen originellen Gedanken, nirgends eine selbstständige Arbeit, überall und immer nur ein Pflügen mit dem deutschen Kalbe, ein fortgesetztes Heranzieben deutscher Autoritäten — alles „mucke iu Lermun^. Und vor allen theoretischen Wissenschaften schreitet die praktische Technik, die Grundlage unserer so imponirend cmporgeschrittenen Industrie — auch sie wurzelt in der Geistesarbeit — „macke iu 6erwaux". Darf diese Geistesarbeit ganz vogelfrei sein? Die Geschenke, die wir dem Auslande machen, könnten uns bald genug theuer zu stehen kommen und übel gelohnt werden! Japan und die Philippinen. Bei der Erörterung, wie sich die politische Zukunft der Phi lippinen gestalten, wem schließlich das Fell des übrigens noch nicht erlegten Bären zufallen soll, wird ein nicht zu unter schätzender Factor, nämlich Japan, nicht gebührend in Rech nung gesetzt. Japan ist in Formosa der nächste Nachbar der jetzt umstrittenen wichtigen Inselgruppe, es hat von Alters her ein begehrliches Auge auf die Philippinen geworfen, zu ihm haben die Philippiner, als sie die Erhebung gegen das spanische Joch wagten, als zu ihrem Vorbild und stammverwandten Retter aufgesehen; sein politischer Einfluß im fernen Osten wie seine militairischen Machtmittel geben Japan das Recht, in dieser Frage mitzureden, und an der Lust dazu wird es dem ehr geizigen Jnselvolke nicht fehlen. Angesichts dieser Sachlage ge winnt eine Reihe von Aufsätzen in der von dem Japaner Kisak Tamai geleiteten, in Berlin in deutscher Sprache er scheinenden Monatsschrift „Ostasien" — es ist die erste, von uns schon an anderer Stelle gewürdigte Monatsschrift eines Japaners in Europa — besonderes Interesse, in denen einer der besten Kenner der Philippinen, Prof. F. Blumentritt, die Be ziehungen der Inselgruppe zu Japan beleuchtet. Dem Machest dieser Zeitschrift, die, nach ihren bisherigen Leistungen zu schließen, ein werthvolles Bindeglied zwischen Deutschland und Japan zu werden verspricht, entnehmen wir darüber Folgendes: Im April 1893 erschien ein japanisches Schiff bei den Palaos-Jnseln, und durch die spanische Presse lief die Nachricht, ein japanischer hoher Officier oder Diplomat hätte gesprächsweise geäußert, Spanien könnte recht gut die Palaos an Japan ver kaufen. Seit jener Zeit blickten die Spanier mit Argwohn auf Japan. Seit dem Carolinen-Conflict hatten die Spanier immer Deutschland verdächtigt, Annexionsabsichten auf die Philip pinen zu haben; von nun an begannen sie dieselben Absichten den Japanern zuzuschreiben. Jndeß blieb Alles bis zum Ausbruche des japanisch-chinesischen Krieges ohne jede Bedeutung. Don da an freilich ändert sich das Bild. Jener Krieg äußerte auf Spanier und Philippiner eine großartige Wirkung, beide interessirten sich für den Krieg über alle Maßen. Die Spanier freuten sich nicht über die japanischen Siege, denn diese offen barten, daß in Hinterasien eine Kriegsmacht ersten Ranges plötz lich auftauche, welche für die Philippinen einst dieselbe Rolle spielen könnte, wie die Vankees sie für Cuba inne haben. Die spanische Presse, besonders die konservative, reaktionäre und car- listische, glaubte, das beste Mittel der spanischen Colonialpolitik wäre, die Japaner zu verkleinern. Manche Blätter verstiegen sich sogar zur Verhöhnung und meinten, die Japaner könnten wohl Siege über chinesische Feiglinge erfechten, seien aber den Europäern nicht gewachsen. Die liberalen und republikanischen Zeitungen zeigten sich klüger und gerechter in ihren Betrachtungen über den koreanischen Krieg. Auch in den Vorträgen, welche in den spanischen Casinos (Ateneos) über Japan und seinen Krieg gehalten wurden, herrschte die Sucht, Japans Erfolge zu ver kleinern, vor. Auf den Philippinen selbst entstand unter dem Eindruck der japanischen Siege eine förmliche Begeisterung für das Reich des Mikado. Insbesondere waren es die Indier (so werden von den Spaniern die christlichen und civilisirten Malayen der Phi lippinen genannt) und die Mischlinge oder Mestizen, welche mit ihren Sympathien ganz auf der Seite Japans standen, und diese Sympathien sind psychologisch leicht zu erklären. Die Indier sahen, daß die ihnen stammverwandten Japaner im Laufe des Feldzuges sich als den Europäern vollkommen ebenbürtig er wiesen, ja, sie sahen sogar, daß die höchsten militairischen Autori täten Europas, darunter der deutsche Kaiser selbst, mit Anerkennung von der Leitung der Operationen des Feldheeres und der Kriegsmarine Japans sprachen. Die Indier der Phi lippinen freuten sich demnach der japanischen Siege so, als ob sie selbst diese Siege erfochten hätten. Für sie waren die japanischen Erfolge auch von großer politischer Bedeutung, denn die Spanier hatten bisher die Indier unter einem streng absolutistischen Re gime niedergchalten, und alle Bitten der Eingeborenen, den Phi lippinen konstitutionelle Freiheiten zu geben, mit Hohn unter Hinweis auf deren „Inferiorität" zurückgewiesen. Die Phi lippiner konnten nun auf die „japanischen Brüder" Hinweisen und den Spaniern sagen, „was diese können, vermögen wir auch". Und so kam ein ungeahntes Selbstgefühl in die bisher so unter würfigen Eingeborenen der Kolonie. Die Spanier merkten Wohl diese Stimmung des Landes, aber sie verstanden es nicht, durch rechtzeitige Ertheilung freiheit licher Reformen das gesteigerte Nationalbewußtsein der Phi lippiner zum Besten der spanischen Sache zu verwenden. Im Gegentheil, sie verschärften ihre alte Politik der Verhaftungen und Verbannungen und sahen mit gesteigertem Mißtrauen auf Japan, dem sie die Absichl zuschrieben, sich des Philippinen- Archipels zu bemächtigen. Ferrilletsn. Am die Erde. Reisebriefe von Paul Lindenberg. Nachdruck verboten. Rückfahrt auf dem Nangtsze. — Endlich Sonnenschein. — Unser französischer Missio nar. — Ankunft in Nanking. — Schwierige Verständigung. — Vor den Mauern der Stadt. — Nanking eine Trümmer st ätte. — Er innerungen an den Taiping-Aufstand. — In der Chinesen st ad t. — Ausflug zu den Ming- Gräbern. — DieGeisterstraße. — Kugelpfeifen beimFrühstück. — ElendundArmuth. — Besuch eines chinesischen Militairlagers. — Die kaiserliche Militairschule. — Unsere Of- f i c i e r e. Nanking, 3. März. Mit Einbruch der Nacht hatte unser Dampfer „Poyang" Hankau verlassen und war mit guter Fluth den Strom hinab geschwommen; am nächsten Morgen lächelte uns seit zehn Tagen der erste Sonnenschein — wie doppelt anmuthig die Landschaft gleich aussah mit ihren weiten Feldern längs des Flusses, ihren Bergen und Thälern, von helllichtem Frühlingsgrün bedeckt, den verwitterten Pagoden auf kleinen Hügeln und den alterthümlichen Mauern, theils um ausgedehnte Ortschaften gezogen, theils von der Ebene aus ganze Gebirgszüge überkletternd, wohl als Grenzscheide zweier Provinzen dienend. An verschiedenen Plätzen legten wir an, und während ganze Trupps Kulis mit lautem, sich gegenseitig anspornenden „Ah— hei, Hei—ah" die schweren Lasten von und zum Dampfer schleppten, konnten wir eine oder zwei Stunden umherwandern. Es war meist überall der gleiche Eindruck: schmucke Settlements der Europäer, und Lärm wie Schmutz, beengende Menschen überfüllung und schlimmste Armuth in den chinesischen Quar tieren. Wir waren froh, wenn wir wieder heraus waren und uns, denn es war gehörig kalt, in dem wohnlichen Salon unseres Dampfers aufwärmen konnten. Von Hankau ab hatten wir drei Deutsche — der dritte war ein sächsischer Kaufmann — noch einen Cajütspassagier er halten, einen chinesisches Costllm und selbst den Zopf tragenden französischen Missionar, der von seiner Missionsstation dem oberen Vangtße — er hatte bis Hankau achtzehn Tage Bootfahrt gehabt und gebraucht bei seiner Rückkehr für die gleiche Strecke stromaufwärts zwei Monate — nach Shanghai reiste, um dort allerhand für die Missionsstation zu ordnen. Aus Bordeaux stammend, lebte der Pater bereits sechs Jahre oben im Innern Chinas, allein als einziger Europäer; vier Monate währt eS, bis er seine Zeitungen aus Paris bekommt, von der Besitz ergreifung Kiautschous hatte er nur läuten gehört und stimmte lebhaft dem energischen Vorgehen Deutschlands bei. Wie erfreut war er, al« er wieder in seiner Muttersprache plaudern konnte, wie fühlte er sich, seinem Ausspruche nach, in einer „neuen Welt", hier auf dem eleganten Schiff, an weißgedecktem Tisch, im Scheine elektrischen Lichte-, beim Genüsse gutgepflegten deutschen Bieres. Zu der hochgebildeten Classe seiner Amtsbrüder ge hörend, hatte der lange Aufenthalt fern aller europäischen Cultur nichts von seiner guten Lebensart, von seinem Interesse an allen Dingen, von seiner echt französischen Unterhaltungsgabe zu rauben gewußt, und ich verdanke ihm viele Aufklärungen über Land und Leute in China. Am Mittage des zweiten Tages seit unserer Abfahrt in Hankau langten wir in Nanking an; der Dampfer hielt draußen auf dem Fluß, und in dem schwankenden, die gelbe Drachen fahne führenden Postboote der „Kaiserlich Chinesischen Post" fuhren mein Begleiter und ich ans Land, während der Capitain uns noch dreimal ein „Heulsignal" mittels der Dampfpfeife nach sandte und er wie der Pater und unser deutscher Reisegenosse grüßend die Mützen schwenkten. — In Nanking besteht keinerlei europäisches Hotel, man ist auf die Gastfreundschaft seiner Landsleute angewiesen; unter den wenigen Europäern (in der Mehrzahl amerikanische Missionare) befinden sich nur drei Deutsche, und zwar sind es drei ehemalige Officiere, die hier an der Militairschule thätig sind. An den ältesten von ihnen, Hauptmann Löbbecke, der die Würde eines chinesischen Generals bekleidet, hatte ich von einem seiner ehe maligen Kameraden eine Empfehlung — aber ihn zunächst finden. Ich hatte mir zwar den chinesischen Namen der Militair- Akademie ausgeschrieben, aber als ich ihn den uns am Lande sofort dicht umringenden und ihre Dienste anbietenden Kulis in den verschiedensten Betonungen, in Güte, Wuth, Verzweiflung nannte, da begegnete ich stets auf ihren Gesichtern demselben vergnügten Grinsen, sie nickten, als ob sie Alles genau verstanden hätten, wollten unsere Sachen und uns dazu auf ihre schmutzigen Rickshas laden und der fast eine halbe Stunde entfernten Stadt zutraben, aber das kannte ich schon — nach einer Stunde wären sie dann plötzlich stehen geblieben und hätten gefragt: wohin wir denn nun wollen? Da der Haufen der Neugierigen um uns immer größer wurde und sie sich stets dichter um uns schaarten, schlugen wir lang sam den Weg nach der Stadt ein, deren hohe Mauern in der Ferne aufragten, gefolgt von dem schreienden Troß. Da fiel mein Blick auf das Aushängeschild des einsamen Ladens eines chinesischen Schiffhändlers, vielleicht konnte der etwas Englisch, und richtig, er verstand meinen Wunsch und verdolmetschte ihn den Rickshamännern, die nun ihre Beut« empfingen und mit uns der Stadt zutrotteten. Bis zu den Mauern der letzteren trifft man auf eine ganze Nomadenstadt, aus zahllosen erbärmlichsten Stroh- und Lehm hütten bestehend, in deren jeder stets Dutzende von Menschen Hausen. So viel Armuth, Lerlumptheit, Elend, Krankheit wie hier habe ich noch nie auf einem Platze vereinigt gesehen! Die Kleidungen der Bettler, die sich an uns herandrängten, bestanden thatsächlich nur au» Hunderten zusammcngeflickter Lumpen, ein zelne dieser verkommenen saßen am Wege und unternahmen in ihren Fetzen .Kleinjagd", deren ergiebige Beute sie zum Munde führten, und nun erst die Kranken und Aussätzigen, deren Ge sichter und Körper vielfach von der Lepra furchtbar verheert waren — ich schloß oftmals die Augen, um nicht dieses jammerhafte Elend zu sehen, und war froh, al wir endlich die Mauern der Stadt hinter unS hatten. Die Mauern hotten wir passirt, aber wo war die Stadt, welche von diesen oft dreißig Meter hohen, und zehn bi» fünfzehn Meter starken Mauern in einer Ausdehnung von zehn deutschen Meilen (noch jetzt?) umgeben wird? Wir fuhren auf schmalen Wegen durch Aecker und kleine Bambushaine, aber menschliche Wohnstätten sahen wir nur wenig, desto häufiger Trümmer einstiger Häuser, von Unkraut überwucherte Schutthaufen, ver wahrloste Begräbnißplätze — all' dies beredte Erinnerungen an den Taiping-Aufstand, der China so schwere, jetzt freilich ver harschte Wunden geschlagen. 1850 hatte sich in der Südprovinz Kwangsi ein angesehener Chinese, Hung-siu-tseuen, das Haupt einer vielverbreiteten ge heimen Verbindung, erhoben, offene Empörung gegen die herrschende Dynastie und daneben den Glauben an einen Gott, Schang-ti, der ihn gesendet, um dem Reiche der Mitte Frieden zu bringen, predigend; der neu verkündete Glauben wies aller hand Aehnlichkeiten mit der christlichen Religion auf, aus unver standenen Tractätchen der Missionare von Hung geschöpft, welcher sich als „Bruder Christi" bezeichnete, aber meist den Namen „Taiping-wang", „Herrscher der allgemeinen Glückseligkeit", führte. Nach ihm nannten sich seine Anhänger „Taiping's", „Bürger des Reiches der allgemeinen Glückseligkeit", sie ließen sich die Haare wachsen und trugen als Erkennungszeichen einen rothen Turban. Zu vielen Hunderttausenden strömten sie dem neuen Propheten zu, der Sieg auf Sieg über die kaiserlichen Truppen errang und eine blühende Stadt nach der anderen, be sonders im Laufe des Vangtße, eroberte. Tod und Verwüstung waren in der Gefolgschaft der Taipings, ungeheurer Schrecken ging ihnen voran; als die Kunde von ihrem Nahen nach Sutschau drang und Flüchtlinge von ihren Mordthaten erzählten, stürzten sich 40000 Menschen in das Meer. Im März 18W standen die Taipings vor Nanking und besetzten es nach kurzem Kampfe; sie hausten grauenhaft, und das so oft übertieben angewandte Wort, „daß kein Stein auf dem anderen blieb", hier wurde es zur Wahrheit. Die gcsammte Besatzung und Einwohnerschaft der Tatarenstadt — jede große chinesische Stadt hat noch Herste ihre Tatarenbesatzung, die in einem besonderen Viertel wohnt und von einem Tatarengeneral befehligt wird, der über alles Wichtige direct dem Kaiser, welcher ja bekanntlich einem Ta tarengeschlecht entstammt, Bericht erstattet — über 20 000 Männer, Weiber und Kinder, wurden niedergemehelt, und auch von der übrigen Einwohnerschaft wurden Tausende und Aber tausende hingeschlachtet. Hung schlug in Nanking seine Königs residenz auf und entsandte von hier seine Heere gegen Peking, mit geringem Glück, denn die Rebellen verloren allein in einer Schlacht über 100000 Mann, siegten aber wieder in anderen Kämpfen. 1860 rückten die Kaiserlichen vor Nanking, wurden jedoch bei einem Ausfall fast sämmtlich vernichtet, bis 1864, wo der Aufstand, der an zwanzig Millionen Menschen das Leben gekostet haben soll, endlich überall gedämpft worden war, die Stadt von den kaiserlichen Truppen beseht wurde, die ebenso arg wie die Taipings hausten; als Hung keine Rettung sah, nahm er sich das Leben. Nanking hat sich bis heute nicht von der Schreckensherrschaft erholt; war auch seine eigentliche Blüthe, welche mit der Zeit seiner Herrlichkeit als Kaiser-Residenz unter den Ming- Herrschern bis zum 15. Jahrhundert zusammenhängt, schon vor bei, als die Taipings es besetzten, so war es doch immerhin noch eine von Millionen Menschen bewohnte, regsame Stadt, die heute kaum 200 000 Einwohner zählt und nur noch wegen ihrer Seiden-Jndustrie (hier befinden sich auch die kaiserlichen Seiden fabriken) einige Wichtigkeit besitzt. Zerstörung, nur Zerstörung, überall trafen wir auf sie während unserer etwa einstündigen Fahrt, die uns doch endlich zu unserem Ziel, der Militair-Akademie, brachte, wo wir die liebenswürdigste und gastfreundlichste Aufnahme fanden. Auch am Nachmittage widmeten wir, diesmal an Stelle des von Menschen gezogenen Wagens ein mit Pferden bespanntes Gefährt benutzend, einige Stunden der Besichtigung Nankings auf guten Wegen (von dem im letzten Berichte erwähnten Vicekönig Tschang-Tschi-tung angelegt, der früher hier residirte) durch die Trümmerstäiten dahinfahrend. Von einer Stadt ist zunächst überhaupt nichts zu sehen, weite Landschaften breiten sich rings um aus, auf Hügeln Klöster und Tempel liegend, dann einzelne noch gut erhaltene Thore, von denen Mauerreste ausgehen und in deren Nähe sich Esel- und Pferde,Stationen befinden, denn diese Vierbeiner werden bei den langen Entfernungen viel benutzt. Auf den Feldern neben den Trümmern einstiger Häuser zahllose Grabhügel, auch einzelne Steinsärge, die völlig frei stehen und von Schlingpflanzen umsponnen sind. Endlich, endlich nähert man sich der „Stadt" mit ihren engen Gäßchen, dem holprigen Pflaster, den üblen Gerüchen; unser Wagen kann natürlich nicht hinein, dau sind die Straßen viel zu schmal, und wir besteigen zoddelige Ponnies, die sich zuerst gegen die Europäer sträuben und allerhand Capriolen machen, aber doch schließlich, wenn auch sichtlich widerwillig, zum Trab zu bringen sind. So gehts mit lauten Warnungsrufen durch das Menschengekribbel, oft muß man den Gaul schnell zur Seite oder zurück reißen, um nicht hier ein Kind zu Lberreiten, dort eine Frau umzustoßen, da in einen kleinen Sumpf zu gerathen. Von Allen werden wir neugierig betrachtet, Kinder kommen in ganzen Trupps schreiend hinterher, aber von irgend welchen Feindseligkeiten war nichts zu bemerken. In den Hauptstraßen der Stadt herrscht das regste Leben, aber biegt man von ihnen ab, so trifft man wieder auf die Spuren der Zerstörung, auf Schutt und Ruinen, auf Armuth und Elend, auf Strohhütten und Lehmbuden, in denen, weit schlimmer wie die Thiere bei uns, stets mehrere Familien Hausen. Hunde und Schweine machen sich auf den Wegen neben den Kindern breit, welch' letztere heulend die Flucht ergreifen, wenn sie uns, die „rothen Teufel", unvermuthet auftauchen sehen. Je weiter wir uns von der eigentlichen Handelsstadt entfernen, desto ausgedehnter werden die Trümmerstäiten; durch ein riesiges Thor, dessen Mauern über zwanzig Meter stark sind, gelangen wir in die ehemalige, noch jetzt von kolossalen Mauern umzogene Tatarenstadt — o, wie sieht es hier auS: nichts wie Stein geröll und niedergerissenes Mauerwerk, Schutt- und Brandstätten allerwegen, und zwischen dem grauen Gestein viele buntglasirte, zum Theil mit Ornamenten versehene Kacheln, die wohl von den einstigen Häusern der Großen herrühren mögen. Doch halt, was ist das dort für ein Gebäude, einer langen Scheune nicht un ähnlich, alt, baufällig, von wucherndem Grün umrankt? Es ist das einzige Haus, welches die Taipings in der Tatarenstadt verschonten, in ihm befanden sich jene Frauen in Haft, die es mit der ehelichen Treue nicht allzu genau genommen hatten! — Wir mußten wieder zurück durch die Stadt; unsere An wesenheit hatte sich wohl herumgesprochen, denn an einzelnen Stellen erwarteten unS Dutzende von Neugierigen, und zumal
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