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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.05.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980512012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898051201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898051201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-12
- Monat1898-05
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Gröbere Schriften laut unserem -Preis verzrichniß. Tabellarischer und Zisfrrnsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 80.—, mit Postbrförderung 70.—. Auvahmeschluß fae Anzeige«: Abend-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmittag» »Uhr. Lei den Filiale« und Annahmestelle« je eia« halb« Stunde früher. Anreise« si«d stets aa die Expedition zi» richte«. Druck and Verlag von E. Pol» ia Leipzig 237. Donnerstag den 12. Mai 1898. 82. Jahrgang. Ultramontane Verhetzung. D. Der preußische Ministerialdirektor vr. von Bartsch hat den Zorn der „Kölnischen Volkszeitung" au» einem Anlaß erregt, der für dir Herrschaftöansprüche de» UltramontaniSmus ungemein charakteristisch ist. Herr vr. von Bartsch schloß aus der kirchlichen Conferenz der Kurmark eine Rede mit einer persönlichen Erinnerung an Madrid. Dort habe er mit Pastor Fliedner im Escorial an derselben Stelle ge standen, von wo auS einst Philipp II. den Bau des Palastes beschaute und wo heute ein Waisenhaus für evange lische Kinder stehe; könne man da nicht auch sagen: „Welch' eine Wendung durch GotteS Führung?" Hierüber ist die „Kölnische Volkszeitung" außer sich gerathen. Sie schreibt u. A. wörtlich Folgendes: „Die Freundschaft eines so hochgestellten Regierungs beamten für den professionellen Proselytenmacher Fliedner spricht Bände. Man denke sich, daß in Pommern ein Jesuit herumzöge, Protestanten bekehrte und kat holische Schulen für protestantische Kinder errichtete — eS würde ja bei un» im Gegensatz zu dem „finstern" Spanien nicht gestattet—, würde da wohl ein bayerischer Ministerial direktor es wagen, in ähnlicher Art zu sprechen?!" Es bedarf jesuitischer Schulung, um in so wenig Zeilen so viele Verdrehungen unlerzubrinaen. Wir sehen ganz davon ab, daß Pastor Fliedner „professioneller Proselytenmacher" benannt wird; daS ist in ultramontanen Augen ja jeder protestantische Geistliche, der in katholischer Gegend furchtlos und treu seines Amtes waltet. Aber wir fragen: ist Pastor Fliedner, der in seiner Gemeinde für evan gelische Kinder ein Waisenhaus errichtet, einem Jesuiten vergleichbar, der in Pommern berumzieht, Protestanten bekehrt und katholische Schulen für protestantische Kinder errichtet? Ist ferner ein bayerischer Ministerialdirektor gehalten, ein Jesuitenfreund zu sein und jesuitische Schöpfungen in protestantischen Ländern zu begrüßen, während die bayerische Regierung, informirt von bayrisch - katholischen Geistlichen, in der Zulassung der den Jesuiten bekanntlich nahe verwandten Redemptoristen sehr vorsichtig und zurück haltend verfährt? Ist endlich das Gedeihen einer protestan tischen Gemeinde in Madrid in einen geschichtlich gehaltenen Vergleich zu bringen mit der Ausdehnung des Katholicis- mus auf daS Protestantische Pommern? Ganz gewiß nicht, weil das tertium cowparationis fehlt. Cilirte Herr vr. von Bartsch in dem oben angegebenen Zusammenhänge das Wort „welch eine Wendung durch Gottes Führung", so wollte er damit doch nichts weiter sagen, als: durch GotteS Führung ist es gelungen, ein evangelisches Waisenhaus in der Residenz eines Fürsten zu errichten, der die Ausrottung des Protestantismus sich zur Lebensaufgabe gemacht batte. Hätten die Hohenzollern in Pommern jemals dasselbe Ziel in Bezug auf den Katholicismus verfolgt, so wäre der Vergleich der „Kölnischen Volkszeitung" am Platze gewesen. Die „Kölnische Volkszeitung" wird aber dergleichen den Hohenzollern beim schlechtesten Willen nicht nachsagen können. So unzulässig demnach der von der „Kölnischen Volks zeitung" gezogene Vergleich ist, so unbegreiflich erschiene eS, daß die vollständig einwaudsfreie, von unanfechtbaren geschichtlichen Thatsachen ausgehende Aeußerung deS Herrn vr. von Bartsch den UltramontaniSmus aufgebracht hat, wenn man seine HerrschaftSgelüste sich nickt vor Augen hielte. Diese heischen vom Protestanten daS suoiltieium inkelleetus, in der Ausrottung des Protestantismus, wie Philipp II. sie betrieb, ein Gott wohlgefälliges Werk zu er blicken. Die Anweisung, alle Greuelthaten der Inquisition als nicht hoch genug zu preisende Ruhmesthaten zu be trachten, hat der UltramontaniSmus erst kürzlich wieder von „maßgebender" Stelle erhalten. Pater Pius, Qualificateur du Saint-Office, also Beamter der Inquisition, Mitredacteur der in Rom erscheinenden „Revue Romaine, Analecta Ecclesiastica", hat in der ersten Lieferung des Jahrgangs 1895 einen Aufsatz über die Inquisition veröffentlicht, in dem es heißt: „Der wohlthätigen Wachsamkeit der heiligen Inquisition ist der religiöse Friede, sowie auch die Glaubensfestigkeit zu verdanken, die den Adel der spanischen Nation ausmacht. O, seid gesegnet, ihr flammende n Scheiterhaufen, durch die einige wenige und dazu ganz verschmitzte Subjekte beseitigt, jedeSmal aber hundert und aber hundert Seelen aus den Schlünden der Irrlehre . . . errettet worden sind, und auch die bürgerliche Gesellschaft, geschützt wider Zwie tracht und Bürgerkrieg, Jahrhunderte in Glück und Wohl stand erhalten blieb. O, wie herrlich und ehrwürdig ist das Andenken eines Thomas Torquemada, der . . . dem alten Vaterlande noch eine höhere und edlere Wohlfahrt sicherte, als die Annexion der Länder der Indianer sie ihm brachte." Hielte Herr vr. von Bartsch dieses Urtheil über die In quisition, die in 300 Jahren 341 021 „verschmitzte Subjekte" beseitigt hat, für richtig, so hätte er jenen Ausspruch zu Pastor Fliedner nicht gethan, und weil vr. von Bartsch solchermaßen die Parität bedroht, wird er von der „Kölnischen Volkszeitung" gerade jetzt vor den Wahlen an den Pranger gestellt, „damit die Katholiken zu dem Ent schlüsse kommen, sich mit allen Kräften die Gleichberechtigung als Volkstheil und die ihrer Kirche zu verfechten, die zwar auf dem Papier der Verfassung besteht, sich aber noch nicht zur rechten Verwirklichung durchgerungen hat." — Die „rechte Verwirklichung" der Parität im ultramontanen Sinne ist die Herrschaft der vatikanischen Kirche über das gesammte staatliche, geistliche und sittliche Leben. Nusfisch-japanischer Lorea-Vertrag. * Petersburg, 11. Mai. (Telegramm.) Der„Re- giernngSbote" veröffentlicht folgendes Communique: Seit dem Ende des chinesisch-japanischen Krieges hat die kaiserliche Regierung nicht aufgehört, alle ihre Sorge darauf zu richten, die Integrität und vollständige Unabhängigkeit des koreanischen Staates zu sichern. Zuerst, al» eS sich darum handelte, die finanzielle und militairische Organisation deS jungen Staates auf solide Grund lagen zu stellen, war eS natürlich, daß dieser fremder Unter stützung nickt «ntrathen konnte. Deshalb hatte im Jahre 1896 der Souverain von Korea die inständige Bitte an den Kaiser gerichtet, russische Instrukteure und einen russischen Finanzrath nach Soeul zu senden. Dank der Unterstützung, welche Rußland Korea zu rechter Zeit zu Theil werden ließ, hat Letzteres jetzt den Weg betreten, auf welchem eS im Stande ist,seine innere Verwaltungselbstzu besorgen. Dieser Umstand hat Rußland und Japan die Möglichkeit gegeben, in einen freundschaftlichen Ideenaustausch zu treten, um in klarer und genauer Weise die gegenseitigen Beziehungen der beiden Staaten Angesichts der kürzlich auf der koreanischen Halbinsel geschaffenen Lage festzustellen. Die in dieser Frage eingeleiteten Besprechungen haben zu dem Abschluß deS unten erwähnten Abkommens geführt, daS dazu bestimmt ist, das Protokoll von Moskau zu ergänzen und das auf Befehl deS Kaisers durck den rulsischen Gesandten in Tokio unterzeichnet worden ist. Durch eine besondere Klausel dieses Abkommens setzen beide Regierungen endgiltig die Anerkennung der Selbst ständigkeit und gänzlichen Unabhängigkeit deS koreanischen Reiches fest und treffen gleich zeitig eine gegenseitige Verpflicktung, sich jeder Ein mischung in die inneren Angelegenheiten dieses Landes zu enthalten. In dem Falle, daß Korea die Unterstützung eines der contrahirenden Staaten nöthig hätte, verpflichten sich Rußland und Japan, bezüglich Koreas keine Maßregeln zu treffen, ohne eine vorgängige Ueber- einstimmung zwischen beiden Staaten herbeigesührt zu haben. Vertrag. Der wirkliche Staatsrath und Kanzler Baron von Rosen, außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister deS Kaisers von Rußland, und Baron Nischi, Minister der aus wärtigen Angelegenheiten des Kaisers von Japan, haben, um dem Artikel 4 des zu Moskau an» >896 zwisck>en dem Kirsten Lobanow und dem Marquis Pamegata unterzeichneten Vertrages Folge zu geben, hierfür gehörig ermächtigt, die folgenden Artikel vereinbart: Artikel I. Die Kaiserlichen Regierungen von Rußland und Japan erkennen endgiltig die Selbstständigkeit und gänzliche Unab hängigkeit Koreas an und verpflichten sich gegenseitig, sich jeder direkten Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieses Landes zu enthalten. Artikel II. Mit dem Wunsche, jede mögliche Ursache eines Miß verständnisses in der Zukunft auszuschließen, verpflichten sich die kaiserlichen Regierungen Rußlands und Japans gegenseitig, in dem Falle, daß Korea den Rath und die Unterstützung Rußlands oder Japans nachsuchen sollte, keine Maßnahme« zur Ernennung von militairischen Instrukteuren und finan- ziellen Rathgebern zu treffen, ohne zuvor zu einem gegenseitigen »Einverständnisse darüber zu gelangen. — Artikel III. Angesichts der großen Entwickelung, welche die Handels- und Industrie- Unternehmungen Japans in Korea genommen haben, sowie mit Rücksicht auf die beträchtliche Zahl japanischer Unterthanen, die in Korea wohnen, wird die russische Regierung der Entwickelung der kommerziellen und industriellen Beziehungen zwischen Japan und Korea keinerlei Hindernisse bereiten. Geschehen zu Tokio und ia zwei Exemplaren ausgefertigt am 13./25. April 1898. Gezeichnet: Rosen. Nischi. Hierzu bemerkt der „Negierungsbote": Der vor stehende diplomatische Act bezeugt die Thatsache, daß die beiden befreundeten Staaten, welche ausgedehnte, aber zugleich durch aus mit einander verträgliche Interessen im äußersten Orient haben, ganz naturgemäß die Nothwendigkeil erkannt haben, gegenseitig die Ruhe in der benachbarten Halbinsel zu sichern, indem sie die politische Unabhängigkeit und die innere Ord nung des jungen koreanischen Kaiserreichs verbürgen. In Folge des Abschlusses dieses freundschaftlichen Abkommens wird Rußland in der Lage sein, alle seine Sorgfalt und seine Anstrengungen auf die Erfüllung der historischen und wesentlich friedlichen Aufgabe zu richten, die ihm an den Küsten des großen Oceans obliegen. Deutsches Reich. 1- Plauen, 10. Mai. Von der freisinnigen Volks partei ist als Candidat für den 23. sächsischen Reichtags wahlkreis Herr Kaufmann und Fabrikant Arnold v. Schwarze hier aufgestellt worden. Berlin, 11. Mai. Unter Bezugnahme auf eine Aeußerung des Abg. Professor Friedberg am 24. April aus der nationalliberalen Landesversammlung in Wiesbaden veröffentlicht Professor Dietzel in Bonn in der „Nalional- Zeitung" einen Artikel, welcher sich über „bewegliche Getreidezölle" ausläßt, darlegt, wie bedenklich bewegliche Zölle sind, und damit schließt: „Möge sich die national liberale Partei hüten vor dem Fehler, die Beweglichkeit in ihr Programm aufzunehmen oder auch nur bei ihren Mit gliedern zu dulden. Ein beträchtlicher, aber für längere Zeit festgelegter Zollsatz ist discutabel, ein wechselnder nicht. Der Dank der Bündler würde nicht lange Vorhalten — der Verlust an politischem Ansehen in weiten Kreisen der Wählerschaft weit länger." — Inzwischen hat am 1. Mai der national liberale Parteitag slattgefunden, auf dem aus Anlaß der Sätze deS Wahlaufrufs eine eingehende Erörterung auch über diese Fragen stattgefunden hat: Verhandlung und Er- j gebniß derselben sind bereits der Oeffentlichkeit übergeben I worden, und daraus ergiebt sich deutlich genug, daß, was daS I nationalliberale Programm anlangt, zu solchen Besorgnissen »kein Anlaß vorliegt. Aber auch in der Wiesbadener Rebe I de« Abgeordneten vr. Friedberg haben wir zu solchen Bc- I denken keinen Anhalt entnehmen können. Er sprach sich Feuilleton. Erinnerungen eines Achtundvierzigers. Von I. G. Findel. „Jugend hat nicht Tugend", aber sie ist allerwege empfänglich für den höheren Zug des Geistes, der durch die Volksseele geht. So war es damals, als der „Völkerfrühling" von 1848 im An zuge war und es die jugendliche Brust schwellte, wenn sie ins geheim, aber in der Vorahnung großer Ereignisse und berechtigter Bestrebungen, die schwarz-roth-goldenen Farben trug. Unter den Preßorganen, welche vor 1848 einen großen Ein fluß ausübten, stand Gust. Struve's „Zuschauer" weit obenan. Ein kleiner Kreis von Gymnasiasten der beiden Ober- clafsen in Bamberg hielt das Blatt und las es gemeinsam. Die von ihm vertretenen Ideen zündeten und begeisterten; denn was damals nicht blos der deutschen Jugend, sondern auch den Gereiften und im politischen Leben Hervortretenden abging, die realpolitische Einsicht und demgemäß das praktische Handeln, das ersetzte reichlich der große Zug des Idealismus, dem ja immerhin ein reales Ziel vorschwebte — das „einige freie deutsche Vaterland", das noch unter dem Drucke der Metternich'schen Politik, den russischen Einflüssen und dem Jammer des Bundes tages seufzte. Die Erinnerungen aus jener Zeit, zugleich ein Spiegel der selben, die hier verzeichnet werden, wollen sich nicht ins Bereich der eigentlichen Geschichte erheben, die Herr Professor Bieder mann besser zeichnen kann, als ein damals noch Unmündiger, sondern persönliche Erlebnisse, denen man indessen ein Interesse um so weniger wird versagen können, als sie, von der Höhe der Gegenwart aus betrachtet, einen gesunden Kern von Humor nicht verleugnen können. Obwohl noch nicht zwanzigjährig, mochte ich vielleicht schon als Halbwegs vollzähliger Parteigenosse gelten; denn ich durfte im Kreise jener Männer, welche später die politische Bewegung in die Hand nahmen, verkehren und am Stammtisch meine Meinung zur Geltung bringen neben Advocat Titus, später Ab geordneter des deutschen Parlaments, vr. rneck. Heinkel- mann, später mit mir im Central-Untersuchungsgefängniß zu Augsburg (1849), dem Redacteur Hegeru. A. Die Nachricht von den Pariser Ereignissen war eingegangen und ein Comitß berief eine Volksversammlung behufs Berathung einer Adresse an da» Ministerium. Eine Volksversammlung — da» war etwas Neues, nie Erlebtes und selbst schon eine „freiheit liche Errungenschaft", ehe dafür die polizeiliche Erlaubniß er- theilt war. Was Wunder, daß die Oberclaffe des Gymnasiums wenig Aufmerksamkeit zollte und so unruhig war, daß Professor Habersack fich bemüßigt fand, zu fragen, wa» lo» sei. „Volk»- versammlung", lautete die Antwort. „Nun gut, so will ich schließen." Da» Wort war kaum ausgesprochen, so waren schon die Lücher zusammengepackt und die Elasse leer. Die Thür der Unterprima ward aufgerifsen mit dem Rufe: „Auf zur Volks versammlung!" Diese fand im Theater statt, wo Alles gedrängt stand, so daß man sich nicht rühren konnte. Advocat Titus eröffnete dieselbe mit der Bemerkung, man wolle nach amerika nischer Sitte bedeckten Hauptes tagen. Eine Debatte über die 14 Puncte der Adresse fand nicht statt; sie war auch nicht nöthig. Der erste Punct: „Wir fordern ein deutsches Parla ment" wurde ebenso mit allgemeinem Bravo angenommen, wie der zweite „Wir fordern freies Vereins- und Versammlungsrecht" und der dritte. Nun kam der vierte Punct: „Die Polizei höre auf". Allgemeiner, brausender Jubel. Ganz natürlich, der gute Bayer trinkt gern immer „noch eins" und so war ihm nichts ver haßter als die fatale Polizeistunde. Nachdem der Sturm sich gelegt, fuhr Titus erst fort: „Die Polizei höre auf, den Bürger zu be vormunden" u. s. w. Aber das Volk hatte seine Meinung kund gegeben: „Die Polizei höre auf!" Der Eifer der Jugend ist größer als die Einsicht. Als während der Osterferien zu mir in die Heimath die Kunde ge drungen war, daß sich in Bamberg reactionaire Strömungen breit machten, und das Comitß angefeindet wurde, war ich in meiner Empörung kurz entschlossen: Nach Beendigung des Hoch amts eilte ich auf das Rathhaus, ließ die Glocke läuten und berief so auS eigener Vollgewalt eine Gemeindeversammlung. Nach warmer und, wie der Erfolg bewies, überzeugender An sprache wurde eine von mir verfaßte SympathierAdresse unter schrieben und an das Comitß gesandt. Hinterher freilich blieben Vorwürfe Uber meine das Bürgermeisteramt keck überspringende Eigenmächtigkeit nicht aus; aber schlimme Folgen hatte sie weiter nicht, denn damals durfte man so was schon riskiren. Je näher es auf das Abiturientenexamen zuging, desto beschränkter wurde die Agitation des jungen Volkstribunen. Vollends kleinlaut ward er, als ihm zu der beabsichtigten Reise nach München all und jedes Kleingeld mangelte. Aber die Noth macht ja erfinderisch, so auch hier. Ich überschlug die Sammlung meiner poetischen Jugendsünden, traf eine Auswahl und ließ sie unter dem Titel: „Zeitgedichte eines deutschen Studenten" drucken. Meine Freunde vertrieben das Opus und sandten mir den Ertrag. Und siehe da, eS war Alles gut! Ich konnte nach München reisen und bezog die Universität mit ganzen — 7 rhein. Gulden in der Tasche. Aber trotzdem guten MutheS. Der Betrag wurde gedehnt, bis schließlich für ein Mittagessen (Milch und Brod) nur noch 2 Kreuzer übrig blieben. Wenn die Noth am größten, ist jedoch oft die Hilfe am nächsten: ein Brief des Redacteurs de» „Freien Staatsbürger" in Nürnberg (Gust. Diezel) kündigte mir an, daß mir die Landescorrespon- denz anvertraut sei, und daß ich für jeden Brief 1 Gulden 12 Kreuzer erhalten würde. Das war, um mit dem Altreichs kanzler zu reden, „heidenmäßig viel Geld" und ermunterte zu einem ordentlichen Mittagessen für 13 Kreuzer, da» ich mir sonst zu solchem Preise nicht leistete. Eine» schönen Tages gelangte an die Redaction de» „GradauS" von einem Müller in Niederbayern da» Gesuch um rin« Rede für die demnächst in Aben»b«rg stattfindende Volk»- Versammlung. Statt diesem Wunsche zu entsprechen, beschloß der hohe Rath, mich abzusenden, damit die Rede direct vom Stapel gelassen werde. Mein Freund Jul. Knorr (später Besitzer der „M. N. Nachr.") gewährte generös das Reisegeld und der Agitator fuhr nach Abensberg. Dort hatte man indessen Wind bekommen und beschlossen, den Mann des „Gradaus" nicht zu Worte kommen zu lassen, damit er nicht etwa den Brei versalze. Das Comitß aber hatte die Rechnung ohne den Wirth gemacht; denn als es sein Sprüchlein gesagt und die Bühne verließ, um im nahen Gasthaus auf seinen Lorbeeren aus zuruhen, war mein Findel flugs auf der Tribüne und predigte nach Herzenslust sein etwas radicales Evangelium. Er fand aber theilnahmvolle Zuhörer. Während der Rede geißelte ich ein ultramontanes Blatt, welches die Volksversammlung vorweg verdächtigte. Da erscholl aus der Mitte derselben — sie füllte vollständig den großen viereckigen Marktplatz — der Ruf: „Zerreißen, das Schandblatt! Zerreißen!" Dieser Ruf ward von den niederbayerischen Bauern falsch verstanden als „Ausreißen!" und im Nu ergriffen sie, als wäre eine Kartätsche unter sie gefahren, auf allen offenen Seiten die Flucht, bis sie an meinem Weitersprechen merkten, daß die Sache einen ganz friedlichen Verlauf nehme. Nun war in Frankfurt die Reichsverfassung beschlossen und in der Theorie das einige und freie Deutschland constituirt. Davon wollten nun aber die inzwischen erstarkten Regierungen nichts wissen und der schöne Traum sollte umsonst geträumt sein. Die Münchener Studentenschaft setzte sich in Bewegung, um das politische Kleinod zu schützen, wie ich ihnen in einer Ver sammlung warm ans Herz legte. Dieses Auftreten erwies sich schließlich als minder gefährlich, denn die aushilfsweise Redaction de» „Gradaus" für den verhafteten Vecchioni (später Re dacteur der „M. N. Nachr."). Auch ich konnte natürlich meinem Schicksal nicht entgehen, ich mußte den Schutz der rechtmäßigen Reichsverfassung nicht blos mit zehnmonatlicher Untersuchungs haft (erst in der Münchener Frohnfeste, dann mit den nicht- amnestirten vier Rädelsführern im Central-Untersuchungs- gefängniß in Augsburg) büßen, sondern war in der Folge auch gezwungen, die vor mir offen stehende Laufbahn als Opfer auf dem Altäre des Vaterlandes niederzulegen, dies um so mehr, als mir die Polizeidirection keine Aufenthaltskarte geben wollte, weil ich kein Student mehr war, wie der Rector Baier mich nicht inscribiren lassen wollte, weil ich keine Aufenthaltskarte besaß. Junger Muth ließ sich nicht werfen: ich ward Buchhändler, lernte in dem schönen Heidelberg, durfte dort ab und zu Collegien hören und verkehrte in der Familie von Professor KarlHagen gelegentlich mit verschiedenen ehemaligen Parlamentsmitgliedern, auch mit Hettner, Moleschott, Hofrath Kapp u. A. In Heidel berg begann meine geistige Mauserung, wie sich solche auch an meinen Freunden vollzog. Der urradicale rothe G. Diezel besann sich in seiner schwäbischen Heimath unter dem Drucke der Reaction auf die realen Factoren; er wie» kn seiner (bald verbotenen) Schrift: „Deutschland und dir abendländisch« Civilisation" nach, daß Freiheit der Grundcharakter des Deutschen sei und machte am Schluß von der Constituirung Deutschlands als Nationalstaat die Fortdauer der abend ländischen Civilisation abhängig. Das Buch soll Bismarck als Bundestagsgesandter mit Interesse gelesen haben. Wie Diezel einen Schritt nach rechts that, so Freiherr v. Rochau (ein ehe maliger Gothaner) in seiner Schrift: „Die Grundsätze der Real politik" einen nach links. Noch weiter nach links ging Professor Gervinus in seiner „Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts". Mein süddeutscher Haß gegen Preußen legte sich und es dämmerte die Einsicht in mir auf, daß ohne die norddeutsche Vor macht das Verlangen nach deutscher Einheit nicht erfüllbar sei. So trat ich seiner Zeit, mit Oberbürgermeister Georgi einer der Ersten in Leipzig, dem Nationalverein bei. Später, neben den Professoren Biedermann und O v e r b e ck, in den Vorstand der neubcgründeten nationalliberalen Partei berufen, half ich nach meinen schwachen Kräften am Aufbau des machtvoll ent standenen deutschen Reiches, bis mir die Nationalliberalen etwas stark nach rechts abzuschwenken schienen, was mich veranlaßte, mich seitwärts nach links ins Gebüsche friedlichen Stilllebens zu verlieren. Wider meinen Willen und sehr zu meinem Schaden wurde ich nach jahrelanger Pause nochmals in die politische Agitation gezogen. Ich half hier einen Fortschrittsverein gründen und leitete später den demokratischen Verein für Sachsen, mit dem ich, Herrn Geh. Rath Professor Sohmum fast zwei Decennien voraus, die Socialdemokratie auf erreichbare Ziele und gesetz lichen Boden locken zu können hoffte. Das war freilich ein Rück fall von der Realpolitik in den Idealismus und ein vergebliches Bemühen! Im „Tageblatt" zieh mich Herr Jerrmann des Abfalles, der Apostasie. Mit Unrecht; denn von den poli tischen Parteien, bei denen niemals die ganze Wahrheit und das absolute Recht ist, waren mir ebenso sehr Wurst, wie dem Alt-Reichskanzler. Als Fortschrittler bekämpfte ich den Partei papst Eugen Richter, und trieb nach links, und der demo kratische Verein ging in die Brüche, als ich die Broschüre: „Des Reichskanzlers Wohlfahrtspolitik" erscheinen ließ. Natürlich, denn meine demokratischen Hintermänner waren von der Farbe S o n n e m a n n, der auf einem Parteitage zu Mainz nach der Aufrichtung deS deutschen Reiches die Tribüne mit den schwarz- roth-gelben Farben schmücken ließ, eine Kinderei, über die ich längst hinaus war. Auch als Fortschrittsmann und als Vorsitzender des demo kratischen Vereins war ich mir selbst, meinen Grundanschauungen und den Idealen meiner Jugend treu. Die nationale Gesinnung hat keine Partei in Erbpacht und meine Losung ist noch heute: „Deutschland über Alle»!"
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