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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.05.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189805159
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980515
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980515
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-15
- Monat1898-05
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.05.1898
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der» Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuog ^l 60.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di» Expedition. zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 243. Sonntag den 15. Mai 1898. 92. Jahrgang. Aus -er Woche. Gleichviel welche» ihre Ursachen sind: die eingetretene Getreidetheuerung ist ein Factor der Wablbewegung geworden. Auf unredliche Weise selbstverständlich. Denn ein Zusammenhang der Preisstockung mit den Wahlen kann nur au» der Getreidezollfrage heraus hergestellt werden und selbst ein weit höherer al» der gegenwärtige deutsche Zoll auf Körnerfrüchte würde angesichts der Preise der vergangenen Woche al» ein der Beachtung überhaupt nickt weither oder doch al» ein höchst geringfügiger Umstand angesehen werden müssen. Die extremen Agrarier haben leider den Frei händlern im Puncte der Unehrlichkeit nicht das Mindeste vorzuwerfen. Sie behaupten, der Antrag Kanitz würde Preise, wie die gegenwärtigen, verhütet haben, da er mittlere Preise gesickert hätte. Das trifft auf alle drei Fassungen, in denen wir den Antrag Kanitz kennen gelernt haben, nicht zu. Jedesmal ist ein Mindestpreis unab änderlich vorgeschrieben und gleichzeitig die Ueberschrei- tung eines Höchstpreises vorgesehen worden. Der Antrag Kanitz hatte nur — die übrigens falsch verstandenen — Interessen der Producenten und nicht auch die der Brodesser im Auge. Für die Letzteren trug er nur Schaugerichte auf. DaS Zurückgreifen auf den Antrag Kanitz in diesem Augenblicke war ein schwerer taktischer Fehler, denn er giebt den Socialdemokraten und den Manchesterleuten, denen es politisch um einen Wahlsieg und wirthschaftlich um Beseitigung oder Verkürzung des Getreidezolles zu tbun ist, ein erneutes Recht, von agrarischer Begehrlichkeit zu sprechen, und er verhindert vor Allem, daß vaS Licht, wclckeS die amerikanische Schwänze wieder einmal auf die Wucherer und Spieler in Brobfrucht wirft, vor deutschen Wähleraugen die Lage richtig und damit zu Gunsten berechtigter Prodncenten- wünsche, sowie namentlich die neue deutsche Börsengesetz- gebung beleuchtet. Wir hoffen aber, daß trotz der tbörrchlen neuen Manöver mit dem Antrag Kanitz das Geschrei von der künstlichen Brodvertheucrung durch den Staat und die Agrarier übertönt werde von der Sprache, welche die Thaten des Herrn Leiter sprechen, und namentlich von folgender Er zählung, die nicht von Agrariern herrührt, sondern Börsen blättern entnommen ist, die sie Anfang März brachten, nachdem der Amerikaner Leiter eine kleine Weile in seinem Siegeszuge aufgehalten worden war. Die Geschichte lautete: „In einem Augenblick liebenswürdiger Schwäche gab Herr Leiter seiner schönen Freundin Miß Nina Farrinqton, die noch vor Kurzem als Stern einer New Parker Büdne erstrahlte, den zarten Wink, daß sie nicht schlecht thun würde, wenn sie sick dazu ent schließen könnte, einen Theil ihrer Ersparnisse sofort in „Mai- Weizen" anzuteqen. Er wollte ihr dann schon sagen, wann sie mit gutem Vortheil verkaufen müßte. Die jchöne Nina zögerte keinen Augen blick, dem Rath ihres bewährten Freundes zu folgen. Aber sie that auch noch ein Uebriges. Ihr gutes Herz backte an eine arme Collegin in New Jork, die von ihrer mäßigen Gage leben mußte, und schnell ent schlossen ichrieb sie an ihre beste Freundin Miß Jeannette St. Clair, indem sie ihr als tiefstes Gebeimniß den „Wink" von Mr. Leiter anvertraute und ihr anempfahl, sich von einem guten Bekannten ebenfalls Weizenpapiere kaufen zu lassen. Sobald dec Zeitpnnct zum Verkauf heranrücken würde, sollte sie telegraphische Weisung erhalten. Miß St. Clair that nun, was neunzehn Frauen unter zwanzig stets thun würden, sie avijirte noch ein halbeSDutzend Colleginnen und theille ihnen unter dem Siegel der Verschwiegen heit mit, auf welche Weise sie ihre kleinen Ersparnisse erheblich ver- größer» könnten. Am 11. Februar waren nun alle diese eleganten Schönen der „Casino Company" von New-Dork im Besitz von Weizen papieren und am 16. Februar trat bereits die Krise ein. Ganz früh am Vormittag dieses Tages wurde Miß Jeannette telephonisch von ihrer Vertrauten in Chicago angerufen und ihr mit« getheilt, daß sie sofort verkaufen solle. Die gehorsame junge Dame gab ihrem Zwischenhändler schleunigst und mit solcher Bestimmtheit Auftrag, daß dieser keine Einrede wagte, sondern handelte. Des gleichen thaten dir Bevollmächtigten der anderen Speculantinnen, und nach 24 Stunden fielen in Chicago die Preise so bedeutend, daß Mr. Leiter in größter Bestürzung rechts und links kaufte. Be vor der Markt nun geordnet werden konnte, hatte der große Weizenspeculant einen Verlust von baaren 750000 Dollar erlitten. Bald darauf stieg der Weizen wieder. Herr Joe Leiter kam allmählich hinter das Geheimniß, denn viele der Colleginnen seiner Freundin waren ja plötzlich wohlhabend geworden. Er schwieg indeß dazu und kümmerte sich mehr wie je um sein Geschäft. Bald hatte ihm sein Weizen wieder einen Profit von 2 Millionen Dollars eingebracht, und er konnte die 750000 Dollars ver- schmerzen." ES ist nicht» Neue», wa» hier erzählt wird. Auch in Deutschland sind Preise auf diese Weise gemacht worden und auch bei uns haben „schöne Freundinnen" von Börsen leuten mitgeholfen, entweder dem Landmann die Früchte seines saueren Schweißes zu verkürzen, oder dem armen Manne sein Brod zu vertheuern. Aber die Erzählung von dem schweren Mißgeschicke und dem großen Er folge eines Spielers dürfte, so sollte man wenigsten« meinen, mehr aufklären können, als unwahrhafte Erklärungen für die bestehende Theuerung zu verwirren vermögen. Das Verbot des börsenmäßigen TerminhandelS in Getreide wird jetzt glänzend gerechtfertigt und wenn, was die Börsenblätter behaupten, aber noch erwiesen werden muß, das Aufhören der Berliner Produktenbörse di« Preisbildung in den letzten Wochen ungünstig beeinflußt hat, so ist daran zu erinnern, daß die Berliner Getreidehändler ihr Fernbleiben von der Börse nicht mit dem Erlaß jenes Verbots, sondern mit anderen, ibnen unwillkommenen Anordnungen begründet haben. Die Eingriffe von Gesetzgebung und Verwaltung zu Gunsten der Ehrlichkeit rechtfertigte sogar ein Blatt der Berliner Linken, allerdings ohne es zu wollen. Es schrieb nämlick: „Die von Herrn Leiter veranstaltete Schwänze ist dadurch er leichtert worden, daß in Folge einer Veränderung der Lieferungsbedingungen in Chicago jetzt dort nur gewisse, allerbeste Weizenjorten „lieferbar" geworden sind, zum Brodbacken kann man aber selbstverständlich auch die anderen Sorten ver wenden." Mit anderen Worten: eine Anordnung, die sich in der Richtung des deutschen Gesetzes über den Terminhandel be wegt, hat dem Chicagoer Börsendrachen wenigstens einen Gistzahn auSgebrochen: Er hat aber gleich unseren Ritter und Blumenfeld, Cohn und Rosenberg — Namen, die Typen, nicht Ausnahmen, bezeichnen — wieder gezeigt, daß Preise künstlich gemacht werden können, und schon seine Leistung für sich ganz allein läßt eS mindestens nicht ungeheuerlich erscheinen, wenn der Gedanke aufgetauckt ist, „daß für die jetzige Preissteigerung Rück- sickten auf die deutschen und die französischen Wahlen mit bestimmend waren." Vom Freisinn ganz zu schweigen: auch die Socialvemokratie bat ihre Verbindungen mit dem Groß- speculantenthum und wirthschaftliche Interessen wie politische Aspirationen verweisen sie auf Wahlen, die sich bei einer von Brodtheuerung beeinflußten Stimmung vollzogen haben. Ist hier die Absicht, coiriger la kortuas, nicht eben un wahrscheinlich, so bat sie gewiß Herrn Müller-Fulda geleitet, als er eine Vorlage über eine Aenderung deSWahl- systems erfand. Daß er der preußischen Regierung eine solche nach dem Muster des von Preußen s. Z. sofort und mit Entschiedenheit zurückgewiesenen Beust'schen DelegationS- planes zuschrieb, war nicht gerade geschickt. Aber der Wille war gut und wird von den Jesuiten gewiß gelobt werden — vorausgesetzt, daß die Zeit der Herren von der Be lobigung der klösterlichen Verbündeten der Mailänder Socialdemokraten und Anarchisten nicht allzusebr in Anspruch genommen ist. Jedenfalls wird zwischen Fulda und Rom keine Meinungsverschiedenheit darüber bestehen, daß der Zweck der Störung der Politik der Sammlung ein heiliger ist. Deutsches Reich. * Meißen, 13. Mai. Die Nationalliberalen deS 7. sächsischen Reichstagswahlkreises werden, wie mehrere Blätter melden, für die bevorstehende Reichstagswahl den Landtags abgeordneten v. Eynern in Elberfeld als Candidaten auf stellen. In allernächster Zeit soll in Meißen eine Versammlung behufs Gründung eines nationalliberalen Vereins im siebenten sächsischen Reichstagswahlkreise staitfinden. Es werden somit bei der bevorstehenden Reichstagswahl nicht weniger als vier Candidaten sich gegenüberstehen. Möglicherweise stellen auch die Freisinnigen, die im Wahlkreise, wenn auch nur schwach, vertreten sind und früher fast immer einen eigenen Candidaten ernannten, noch einen solchen auf. Im Interesse der ordnungs parteilichen Sache ist diese Zersplitterung gewiß nur lebhaft zu bedauern, um so mehr, da sie recht gut hätte vermieden werden können. Da an eine Einigung aber nun nicht mehr zu denken ist, so wird es aller Anstrengung der ordnungsparteilichen Kreise bedürfen, um nicht im ersten Wahlgange das Mandat in socialdemokratische Hände gelangen zu lassen. 6. H. Berlin, 14. Mai. Während bekanntlich die socialistischen Organe leugnen, daß bei den Revolten in Italien und Spanien ihre „Genossen" die Hände im Spiel gehabt haben, sind die anarchistischen Blätter offener. Der „Socialist" schweigt sick allerdings noch auS, wahr scheinlich weil er ganz erfüllt ist von dem ihm miß fälligen Beschlüsse der Anarchisten, sich an den Reichstags wahlen zu betheiligen: aber der „Arme Conrad" giebt offen zu, daß die Anarchisten bei den Unruhen thätig gewesen sind. Er schreibt: „Das italienische Volk kämpft mit dem Mutbe der Verzweiflung. Steine und Stöcke sind seine einzigen Waffen. Ihnen gegenüber steht die wohlbewaffnete, vom sauer erworbenen Gelds des Volkes ausgerüstete Soldateska . . . Unsere Genossen sind nicht untbätig ge blieben. Schaarenweise sind sie aber auch den: Kerker über liefert worden. Dagegen hat unser Bruderorgan „L'Agitazione" einen geharnischten Protest erlassen, der einige Tausend Unterschriften trägt. Große Dinge scheinen sich für nicht allzuferne Zeit in Italien anzukündigen, der freie Socialis- muS sorge dafür, daß sie große Menschen finden." — Für die Familien der inhaftirten Anarchisten sind nach der letzten Quittung 187 eingekommen, verausgabt 148; ein gewisser H. R. Mannheim sandte 50 Auch der anarchistische Preßfonds ist durch mehrere Beiträge gestärkt worden; für die streikenden Weber in Langenbielau haben die Anarchisten gleichfalls Sammlungen veranstaltet. * Berlin, 14 Mai. Der Wahlaufruf der dänischen Partei ist jetzt gleickfalls erschienen. Er geht von dem Vorstande des nordschleSwigschen Wählervereins aus. Es heißt in ihm: „Alle freien Männer müssen dabei sein. Kein ehrliebender Nord- schleSwiger lasse sich locken durch beihörende Stimmen oder durch Drohungen von einer Handlung zurücklckeuchen, welche zu seinen ersten menschlichen und bürgerlichen Pflichten gehört. Keiner der Jungen darf sich einbilden lassen, daß er, weil er den Soldaten» rock getragen hat, genöthigt sei, seine Gesinnung über Bord zu werfen. Vielmehr müßte ein junger Mann nach Erfüllung seiner gezwungenen Bürgerpflicht durch den Militairdienst sich stärker aus gefordert fühlen, seine freiwillige, aber ebenso gesetzliche Bürger pflicht zu erfüllen, bei den Wahlen nach bester Uebrrzeugung zu stimmen. Kein alter Arbeiter darf sich durch die Vorstellung fesseln lassen, daß die Altersversorgung, aus welche er rin Recht hat und welche Niemand ihm nehmen kann, ein Hinderniß sei, seine ehrliche Meinung zu bekennen. Wir, die Staatsbürger selbst, sind es ja, welche diese Versorgung bezahlen. Keiner darf aus mißvcr- standener Christlichkeit sich verleiten lassen, zu glauben, daß die Religion einem christlichen Menschen gebieten sollte, seiner Bürger- pflicht untreu zu werden. Je gewissenhastrr ein Mann ist, desto eindringlicher lautet die Forderung an ihn, mitzugehen im Kampfe für Wahrheit und Recht." Es ist bezeichnend, sagt die „Nat.-Zta." dazu, daß dieser dreifache Appell nothwendig gewesen ist. Die „Jungen", welche ihrer Militairpflicht genügt und den Eid der Treue geleistet baden, tragen doch vielfach Bedenken, trotz der Ueber- redungSkünste der dänischen Agitation, an den dänischen Be strebungen theilzunehmen, weil eS ihnen zweifelhaft ist, ob dieselben mit der versprochenen Treue übereinstimmcn. Die „Alten", welche durch die Gesetzbung deS deutschen Reiches in den Genuß der Versorgung gelangt sind, baden doch viel fach das Gefühl, daß eS nicht angebracht ist, dem Reiche, dem sie die Wohlthat verdanken, entgegenzuarbeiten. Die .Christlichen" endlich sind vielfach nicht der Ueberzeugung, daß die Angriffe der dänischen Agitatoren auf die Zugehörig keit des nördlichen Schleswig zu Deutschland und Preußen den Grundsätzen deS ChristenthumS entsprechen. * Berlin, 14. Mai. Ueber ein kleines Mittel zur Förderung der Landw irtb schäft schreibt der „Hamb. Corr.": „In einzelnen auswärtigen Staaten nehmen die Bestrebungen, die Transportkosten für kleinere Colli mit bestimmten landmirthschaftlichen Erzeugnissen geringer zu bemessen und die Formen dieses Verkehrs zu vereinfachen, stetig zu. Namentlich in Frankreich und Belgien wird diesen Bestrebungen große Ailsmcrkjamkeit geschenkt. Es ist keine Frage, daß dadurch der Landwirthschaft bedeutend genützt werden kann. Sie kann infolg« dessen in directen Verkehr mit ihren Abnebmern, vornehmlich in den Städten, treten. Ihr Absatzgebiet erweitert sich, und sie kann ihre Erzeugnisse besser verwerthen. Es ist dies eines der „kleinen Mittel" zur Hebung der Landwirthschaft, das, wenn es gut ausgestattet wird, sehr vortheilhaft wirken könnte. In Deutschland hat man schon frühzeitig durch die Einrichtung der bO-Pfg.-Postpackete in dieser Richtung Fürsorge getroffen. Zwar hieß es eine Zeit lang, es sei innerhalb der Regierung eine starke Strömung zur Beseitigung dieser Institution vorhanden — cs war das noch zu Lebzeiten de» Staatsjecretairs vr. v. Stephan —, jedoch in letzter Zeit ist es von diesen Bestrebungen vollständig still geworden, sie sind woht auch namentlich mit dem Hinweise auf die Nützlichkeit des bO-Pfg.-Posd- packetverkehrs für die Landwirthschaft zur Ruhe gebracht worden. Es steht sogar jetzt in Aussicht, taß der directe Verkehr in landwirth- schastlichen Erzeugnissen zwischen dem Erzeuger und dem Abnehmer Weiler gefördert wird, und zwar wird dies vom 1. October ab durch Verbilligung des Stückguttarises der Fall sein. Selbstver ständlich wird die Verbilligung nicht blos Leu landwirthschastlichen Erzeugnissen zu Gute kommen, aber gerade die Landwirthschaft wird von ihr wesentliche Vortheile ziehen können." Der Kampf gegen das 50-s-Porto ist nicht von der Regierung ausgegangen, sondern von den vereinigten Bündlern und Anti semiten zu dem Zwecke, im Interesse des sog. kaufmännischen Mittelstandes die directe Waarenzusendung der großen Waaren- Häuser zu beschneiden. Es ist aber iu diesem Lager ganz still davon geworden, man scheint sich der Inkonsequenz in der Haltung bewußt geworden zu sein. Bündler und Antisemiten bekämpfen auf der einen Seite den Zwischenhandel, der „keine Werths schaffe", auf der anderen Seite unterstützen sie ihn durch die sog. Mittelstandspolitik. In der Bekämpfung deS 50-^s-PortoS zeigte sich diese Inconsequenz ganz besonders; eS wären dadurch die Waarenhäuser kaum geschädigt, wohl aber einerseits diejenigen Consumenten, die nicht in solchen Städten wobnen, in denen größere Aus wahl von Waaren vorhanden ist, und die darauf angewiesen sind, sich von großstädtischen Häusern gegen geringe Porto» auslagen Waaren senden zu lassen, also gerade die den Bündlern nahestehenden Bcvolkerungsclassen. Daun aber hatte man übersehen, daß gerade kleineren Landleulen, soweit sie den beute nothwcudigen kaufmännischen Geist besitzen, durch die Verbilligung des Portos eine ungeahnte Erwerbsgelegen- heit geboten wurde. Man sehe sich nur den Annoncentheil großstädtischer Zeitungen an, in denen Hunderte von kleine» Landwirthen Postcolli von Butter, Geflügel rc. au» Ost preußen, Schleswig u. s. w. anbieten. (-) Berlin, 14. Mai. (Telegramm.) Der Kaiser und die Kaiserin werden voraussichtlich am 2. September in Hannover eintresfen und im königlichen Schlosse Wohnung nehmen. Am 3. September hält der Kaiser die große Parade über das 10. Armeecorps mit der 17. (mecklenburgisch- banseatiscben) Division und der Cavalleriedivision ab. Zum Paradefeld ist diesmal, dem „Hann. Courier" zufolge, da» Gelände bei Wettbergen gewäblt. Die Divisionen des Corps beenden ihre Divisionsmanöver gegen einen markirten Feind am 30. August und beziehen an diesem Tage in der Nähe des ParadefeldeS (Eldagsen, Springe, Volksen, Lehrte, Ilten rc.) Quartiere. Die Parade über das 7. Armeecorps (mit der 7. (Magdeburgischcn) Division) findet am 4. September bei Minden statt. Der Kaiser und die Kaiserin begeben sich von Hannover nach Oeynhausen, wo sich daS kaiserliche Hauptquartier während des Manövers befinden wird, daS sich im Wesent- Feuilleton. Ein Fremdling in unserer Frühlingsflora. Von Franz Woenig. Natbdrul verbot»». „Darin ist die Natur so groß, daß sie ihre größten Erscheinungen im Kleinen wiederholt.« Goethe. Zwar weht die Luft noch empfindlich kalt, und die wenigen freundlichen Blicke, welche die Sonne tagsüber spendet, lassen sich zählen, und doch genügt ein einziger ermunternder Sonnen gruß, die Stürmer und Dränger unserer nordischen Pflanzen welt zu wecken. Die Weidenknospen, sorglich von weißen, seidenweichen Pelzmäntlein umhüllt, fühlen sich im Schnee treiben der März- und Apriltage ebenso wohl wie die leicht sinnigen kecken Haselnußkähchen, die am schwanken Gezweig über- müthig auf und abtanzen, wie die Circusschönen im dürftigen goldig schimmernden Flitterröckchen. Ein Fink pfeift ihnen die Balletmusik. Schneeglöckchen und sein Schwesterlein, das Märzbecherchen, müssen mit kaltem Schneewafler getauft werden, sonst gedeihen sie nicht. Doch ihr Leben ist von kurzer Dauer; wenn die Erle am Bach ihre gelben Blüthentroddeln, wie Christbaum bällchen an Fäden, im lauen Frühlingswinde auf- und nieder schaukelt, daß der Blüthenstaub in langen Floren in das nach barliche Weidengebiisch hinüberzieht, dessen goldgelb bepuderte Staubkätzchen jetzt von summenden Bienenschwärmen umsurrt werden, sind diese beiden Blumenherolde des Frühlings längst dahin, und zwischen den sprossenden Gräsern und vereinzelt stehenden Blättern verschiedener Waldpflanzen, unter denen sich in Leipzig» Waldern bekanntlich der lieblich duftende Bärenlauch (^Ilivm ursinum l,.) zum Entsetzen der Spaziergänger ungestört behaglich breit macht und eine Pflanzensippe nach der anderen verdrängt, erscheinen schüchtern die weißen und gelben Anemonen, Scharbockskraut, der Goldstern und andere Frühaufsteher, um nun den Blumen- und Blllthenreigen des Lenzes zu eröffnen, dem sich gar bald das große Heer stattlicher und bescheidener Blumenkinder anschließt. Doch waS ist das? Da drüben unter den Hasel- und Erlen- büschen hebt sich ein Trupp dunkelgrüner glänzender Blätter über Gras und Blumen des feuchten Waldbodens empor, deren fremdartiges Aeußere uns veranlaßt, den Pfad im Auenwalde zu verlassen und uns in die Büsche zu schlagen, um uns das selt same Gewächs näher anzusehen. Kommen wir Ende April oder Anfang Mai, wo die Blätter noch im Entwickeln und Entfalten begriffen sind, so bemerken wir am Boden scheidenartige Nieder blätter, auS denen langsam die zusammengerollten Laubblätter hervortreiben. Es sind gewöhnlich drei oder vier miteinander zu einem stattlichen Blattstrauße vereinigt, der am Grunde den Blüthenschaft scheidenartig umschließt, denn scheidig verbreitert sind auch unten die langen, sanft nach außen gebogenen Blatt stiele mit auffällig großen spieß-pfeilförmigen, dunkelgrünen, stark netzartig geaderten ganzrandigen Blattflächen. Oft zeigen die Blätter unregelmäßige rostbraune Flecke (an vielen Exemplaren unserer Auenwälder jedoch fehlen sie) daher auch der Artname der fremdartigen Pflanze gefleckter Arons- stab (^rum macnlatum I. ) Wir werden noch mancherlei Merkwürdiges an dieser Pflanze entdecken und darin zugleich auch eine Erklärung der zahl reichen Volksnamen finden, welche dieser Fremdling unserer nordischen Frühlingsflora trägt. Der Wurzelstock des Aronsstabes ist knollig-eiförmig, ge- wöhnljch von der Größe einer Haselnuß bis zu der eines TaubeneieS, von weißer Farbe, mehlig-fleischig und unten mit Wurzelfasern besetzt. Aus der Mitte der grundständigen Blatt büschels erhebt sich ein Blüthenschaft, der selten die Länge der Blüthenstiele erreicht, weshalb auch die Blüthe selbst gewöhnlich im Blattstrauße versteckt bleibt. Merkwürdig ist da» krönende Blüthengebilde desselben. ES gleicht einem in seinem letzten unteren Viertel zusammen geschnürten Eselsohr, ist von gelblich-grüner Farbe, besteht auS einem einzigen Hochblatte, in dem sich Kelch und Blüthenblatt vereinigt, und fuhrt den Namen Kolbentüte, denn e» umschließt ein aus seinem oberen Theile hervorragendes kolbenförmiges Gebilde von schmutzig-violetter oder braunrother Farbe. Die Blüthentute ist länger als der Kolben, oben zugespitzt, unterhalb der Einschnürung bauchig und nur wenig geöffnet. Um alle Theile des Kolbens wahrzunehmen, lösen wir mittel eines Messerchens die Kolbentute ringsum an der Ansatzstelle des Blüthenschaftes, und wir bemerken zu neuem Erstaunen, daß der Kolben innerhalb der blasigen Ausbauchung der Blüthenhülle ringsum, und zwar in Form von kleinen Kreisen, Organe aufweist, deren Zweck sich der Laie schwerlich zu deuten vermöchte. Es sind dies die Stempel- und Staub- gefäßblüthen, freilich Blüthen primitivster und eigenthümlicher Art. Doch sehen wir uns den Kolben genauer an. Derselbe steht aufrecht, wird von der Blüthenscheide weit überragt und ist an seinem oberen Ende keulig verdickt. Die Keule ist dreimal kürzer als der übrige Theil der Kolbenspindel, glatt und — wie schon bemerkt — schmutzig-violett oder rothbraun. Am unteren Theile der Spindel sitzen ringförmig, dicht aneinander gedrängt, die zahlreichen Stempelblüthen, denn als Blüthe ist jedes der kleinen kugeligen Gebilde aufzufassen, obgleich es eben nur einen Stempel besitzt und alle übrigen Blüthentheile fehlen. Sie haben eine sitzende Narbe ohne Staubweg und einen Frucht knoten mit meist zwei Samenknospen. Die Stempelblüthen- gruppe endet oben mit einem Kranze kurzer, weißlicher Fäden. Den Stempelblüthen folgt am Kolben eine kahle Stelle und dieser die Gruppe der Staubgefäßblüthen. Die Staubgefäß- blüthen haben dieselbe Gestalt wie die Stempelblüthen, sind wie diese sitzend und fast staubfadenlos. Ueber sie hin breitet sich wie ein Schutzdach,ein Kreis gelblicher Fäden, die man — ebenso wie den Fadenkranz über den Stempelblüthen — als fehlgeschlagene Stempel und Staubgefäße anfieht. Suchen wir im Spätsommer die Stellen unserer Auenwälder wieder auf, wo wir den Aronsstab fanden, so werden wir ver gebens nach den stattlichen Blattsträußen und der abenteuerlichen Blüthe suchen. Alle- ist verschwunden. Aber sieh, aus dem falben Gras und Kraut des Waldbodens leuchtet uns schon von fern» etn gelbgrllne» Säulchen entgegen, das unvermittelt aus dem Boden aufsteigt und an seinem oberen Theile eine Menge erbsengroßer scharlachroter Beeren trägt. Wir erinnern uns der kugeligen Stempelblüthen des Kolbens, erkennen auch die Stelle, wo die Kolbentute saß, und wissen nun, daß das gelbgrüne Säulchen den unteren Theil des Kolbens darstellt und daß sich das brennend rothe Beerenträubchen aus den Fruchtknoten der Stempelblüthchen entwickelt hat. Freilich zeigt sich hier und dort am Säulchen inmitten des Träubchens eine kahle Stelle, denn viele der Samen sind fehlgeschlagen. Der Aronsstab ist in unseren Auenwäldern nicht selten. Unsere Kinder bringen die seltsame Pflanze von ihren Streif zügen durch Feld und Wald häufig mit heim, um sich von den Eltern oder vom Lehrer den Namen derselben nennen zu lassen. Da die Pflanze in allen ihren Theilen, namentlich aber in ihren scharlachrothen, zum Naschen verlockenden fleischigen Beeren einen scharfen, giftigen Saft enthält, so scharf und giftig, daß der Genuß der Beeren den Tod herbeifllhren kann, soll man nie versäumen, in Schule und Haus die Kinder zu warnen, von den Früchten des Aronsstabes zu naschen. Der fremdartige Habitus der Pflanze hat es mit sich ge bracht, daß sich das Volk seit der ältesten Zeit eifrig mit dem Fremdling unserer Flora beschäftigte, seine Phantasie rege erhielt und zu allerlei Vergleichen herausforderte. Schon die alten griechischen und römischen Mtur- und Heil kundigen: Theophrast, Dioskorides und Plinius, haben sich mit dieser Pflanze beschäftigt. Die Griechen nannten sie „Aron", d. h. „Natterwurz", jedoch frommer MönchSglaube des Mittelalters, der in der seltsamen Pflanze geheime Wunder kräfte zu entdecken glaubte, übertrug das Wort auf den Namen einer biblischen Person, und der Blüthenkolben des Gewächses ward zum grünenden StabedeSHohenpriestersAron (4. Moses, 17, 8). So erhielt diese Aroidee den Namen A r o n s st a b. Ich finde den Namen „Herda ^arou" in den Schriften der Autoren des frühen Mittelalters zuerst unter denPflanzen - namen in der ..pd^gica" der heiligen Hildegard (gestorben 1179 als Aebtissin des Benedictinerinneniloster»
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