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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.05.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980523025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898052302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898052302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-23
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BezugS-PreiS W A» H«-drymdVto« »d« d« I« Gteldt» t»« «d d« Vororte« «rrtchMin «»«- a»oest«llr« abgtholt: vt«1rljührlich^t4.S0, b«t pvrtmaltoer ttgltcher Zustillung m« HlUv^lb.SO. D»rch di« Post bezoaen für »«tfchland »ad Oesterreich: vierteljährlich <M L—. Dtrrct« täglich« Kreuzbandsenduag 1»» LaSlimd: monalltch 7 .SO. Dir Morgen-Ausgabe erscheint um V»? Uhch die Abenh-Au-gabe Wochentag« um ü Uhr. Krdacttou m»d Lrpe-ittorr: J,h«lne«,nffe 8. Di«Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Übend« 7 Uhr. Filialen: Vit» Mmum'» Vsrttm. (Alfred Hahn), Uaiverfitai-straßr 3 (Paoltnum), Loui« Lösche, Ratharknenstr. 14, -art. und KvnigSplatz 7. Abend-Ausgabe. »MEEEM.»—» '» ' - - — — MiWM TiMdlaü Anzeiger. Amtsblatt des Äönigkilijen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nottzei-Ämtes -er Stadt Leipzig. Aazeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzrile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4a»« spalten) 50^, vor den Kamiltennachrichkrn («gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis« vrrzeichniß. Tabellarischer und giffernsatz nach höherem Laris. Ahtra-Vrtlagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.-, mit Postbesvrd«rung 70.-. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Srpeöttion zu richten. Druck und Verlag von E. Pol; in Leipzig. 257. Montag den 23. Mai 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. Wenn der spanische Admiral Cervera die Absicht hatte, nach Havannah zu segeln, sei es nun, um den Amerikanern dort eine Seeschlacht zu liefern, sei es, um im Hasen von Havannah Zuflucht zu suchen, so mußte seine Aufgabe sein, Admiral Sampson auf ver Wettfahrt nach der Hauptstadt Cuba« zuvorzukommen, und vor Allem die Vereinigung von dessen Geschwader mit dem de« Admirals Schley zu verhindern. Da« ist ihm mißglückt, denn Sampson und Schley haben sich, wie wir mittheilten, bei Key West vereinigt und werden nunmehr Cervera vor Havannah zu fassen suchen. Den 24- oder gar 36stündigen Zeitverlust, der mit dem überflüssigen Besuche in Santiago verbundrn war, hat Cervera allem Anschein nach nicht mehr eiuholeu können, wenigstens verlautet auch heute noch nicht«, daß er bei Havannah in Sicht wäre. Er hat mit seinen zwecklosen Fahrten nur Kohlen ver braucht und die Maschinen seiner Schiffe geschädigt. Mit der Verkohlung und Verproviantirung der spanischen Flotte ist e« überhaupt nichtzum Besten bestellt. EinauSCuratzao in Port au Prince eingetrofsener holländischer Dampfer berichtet, dieselbe habe in Curatzao 300 Tonnen schlechte Kohlen und 100 Tonnen Lebensmittel eingenommen; das Geschwader habe wenig oder gar keine Kohlen und auch wenig Proviant gehabt. Ein sonderbares Gerücht war in Washington verbreitet. Es hieß, bei Le Müle St. NicolaS auf Haiti habe ein Kampf stattgefundrn und dabei seien zwölf spanische Schiffe zum Sinken gebracht worden. Das Marineamt in Washington macht aber durch Maueranschlag bekannt, daß das Gerücht falsch sei. Man kann sich auch seine Entstehung nicht er klären, wenn es wahr ist, daß die beiden feindlichen Ge schwader den Curs nach Havannah zu genommen haben und das amerikanische schon bei Key West angekommen ist. Ist es Cervera möglich, die offene See zu halten, so dürfte er dem vereinten feindlichen Geschwader noch eine Zeit lang entgehen und so einer Entscheidungsschlacht vorbeugen können, die ihn überlegenen Streitkräften gegenüberstellen und ihm wahrscheinlich das Schicksal des Philippinengeschwaders bereiten würde. Er muß suchen Zeit zu gewinnen, bis er SuccurS aus der Heimath erhalten hat. Wie in Gibraltar verlautet, wird daS in Cadiz liegende Geschwader sich nach den kubanischen Gewässern begeben. Dort kann die spanische Flotte nicht stark genug sein, denn sie hat nicht nur die Aufgabe, mit dem amerikanischen Hauptgeschwader den Gang zu wagen, sondern auch die kubanische Küste zu schützen und die amerikanischen Häfen zu beunruhigen, respective zu beschießen. Nur wenn die spanischeFlotte sich selbst und Cuba die Verbin dung mit dem Mutterlande und den Nachschub von dort zu sichern versteht, vermag die hinhaltende Vertbeidigung der Insel auf längere Zett durchgeführt zu werden. Wagt jedoch die spanische Flotte die Schlacht und wird sie geschlagen oder größtentheils vernichtet, so muß Cuba unbedingt schon auS Mangel an Lebensmitteln für seine Vertheidiger früher oder später die Beute des Angreifers werden. Aber magsichCuba auch ein Jahr halten, die spanische Flotte wird die See und die dauernde Ver proviantirung Cubas nicht behaupten und durchführen können, sondern von der inzwischen immer mehr wachsenden Ueber- macht der Amerikaner erdrückt werden, wobei die Spanier nur eben noch mit der Möglichkeit rechnen können, daß die Langwierigkeit des Krieges die Friedenspartei in den Ver einigten Staaten wieder obenauf bringt. Ueber die Operationen um Cuba und auf der Insel liegen uns folgende Meldungen vor: * Madrid, 23. Mai. (Tel.) Eine amtliche Drahlmeldung aus Havannah meldet, zwei amerikanische Kanonenboote hätten versucht, Port Isabella und Sagur zu sorciren, die Truppen seien aber gezwungen worden, sich zurilckzuziehen. * Madrid, 22. Mai. General Blanko telegraphirte, ameri kanische Schiffe hätten in der Nacht des 19. d. M. auf die Besatzung in der Bucht Nuevitas geschossen. ES hätten ferner mehrere Zusammenstöße mit Aufständischen stattgesunden, welch letztere 11 Mann verloren hätten. * New Park, 22. Mai. Nach einer Drahtmeldung aus Jack- sonville ist am 18. d. M. eine auS 400 Cubanern bestehende Expedition mit großen Mengen Munition und 75 Mauleseln auf dem Dampfer „Florida" von Tampa nach Euba in See gegangen. Ein Mitarbeiter der „Associated Preß" war, wie die „Frkf. Ztg." mittheilt, nach Friedrichsruh gesandt worden, um die Ansichten deS Fürsten Bismarck überden spanisch amerikanischen Krieg zu erfahren. Der Fürst war nicht in der Lage, den Corrrspondenten zu empfangen, allein dieser will von Mitgliedern der Familie erfahren haben, daß der Fürst sich jüngst bei Tisch und sonst folgendermaßen aus gesprochen habe: „Ich glaube, daß der Krieg eine Folge systematischer Provokation durch die Bereinigten Staaten ist, die schließlich unerträglich wurde. Das ganze Verhalten der Washingtoner Regierung ist unaufrichtig gewesen und Prä sident Mac Kinley hat die Erwartungen seiner Freunde arg getäuscht. Meine Ansichten sind bekannt. Ich habe stets einen Krieg für daS letzte Mittel gehalten, das nur gerecht fertigt werden kann, wenn alle anderen Mittel fehlgeschlagen baden. Zugegeben selbst, daß Spanien sich früher großen Unrechts schuldig gemacht hat, ist Amerika« gegenwärtiges Verfahren doch noch schlimmer. Zwiefaches Unrecht macht noch kein Reckt. Wie auch der Ausgang sein mag, so kann doch das Ergebniß des Krieges nicht heilsam für Europa und Amerika sein. Die Vereinigten Staaten werden ge zwungen sein, eine Einmischungs-Politik anzunehmen,wobei Reibereien unvermeidlich werden, und so würde die traditionelle amerikanische Friedenspolitik aufgegebe» werden. Außerdem muß Amerika, um sich selbst zu erhalten, eine Militair- und Marine-Macht werden, ein kostspieliger Luxus, den seine geographische Lage überflüssig macht. Amerikas Schwenkung bedeutet einen Rückschritt im schärfsten Sinne. Das ist die hauptsächlich zu bedauernde Seite dieses Krieges." Ob Fürst Bismarck sich wirklich in dieser Weise aus gesprochen hat, bedarf noch der Bestätigung, obwohl wir es für möglich halten. Er soll auch erklärt haben, daß zwar engere Beziehungen zwischen England und den Ver einigten Staaten herzustellen seien, aber eine Allianz sei unwahrscheinlich und würde Keinem nützen. Es sei außerdem ein Irrthum, Amerika als angelsächsisch zu bezeichnen, denn die Bevölkerung sei gemischten Blutes: Briten, Irländer, Deutsche, Franzosen und Skandinavier, wobei die Anglo- Sachsen nicht einmal das Uebergewicht haben. Im klebrigen hätte Niemand ein Recht, etwas gegen eine britisch amerikanische Allianz einzuwenden. Nur müßte man Deutschland auS dem Spiele lassen, denn seine Interessen lägen nicht nach der Richtung. Die Betonung der sogenannten Rassen - Interessen sei Illusion in der Politik, man blicke nur auf Rußland und Frankreich. Mit Rußland als Nachbarn und traditionellem Freund könne Deutschland nicht Englands Bundesgenosse werden, ohne sich Rußland zum Feinde zu machen. Deutschlands Pflicht sei, sorgfältig gute Nachbarschaft mit den europäischen Nationen zu pflegen. Für Deutschland würde die Uebernahme einer Nolle in einer anglo-amerikanischen Allianz bedeuten, daß eS die Schlachten der beiden Anderen schlagen solle, denen bei der Theilung der Beute alle Vorthcile Zufällen würden. Fürst Biömarck soll eS auch als unklug bezeichnet haben, daß Chamberlain unnützerweise Rußland berauSgefordert hat. Rußland sei nicht kriegerisch, wozu also dasselbe heraus fordern? Es bestehe seit langer Zeit ein mockug vivencki zwischen Rußland und England; auch sei eS möglich, daß ein Krieg zwischen beiden Staaten überhaupt nie nöthig sein wird. Diese letztere Acußerung dürfte Fürst Bismarck nicht getban baden. DaS russische Publicum verfolgt, der „Pol. Corr." zu folge, den Krieg mit ungewöhnlicher Spannung. Seine leb hafte und volle Sympathie bleibt nach wie vor den Spaniern, deren Tapferkeit und patriotische Selbstverleugnung eS be wundert, während es sich mit dem Vorgehen der Amerikaner nicht befreunden kann. In der Presse findet jedoch dieses Mißfallen nur schwachen Ausdruck, da man sich vorsichtiger weise vor Augen hält, daß Rußland stets die freundschaft lichsten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten unterhalten hat, und Niemand denkt daran, dieses Berhältniß zu Gunsten Spaniens zu ändern, mit welchem die Russen kein nationales Interesse verknüpft. Nur eine Frage, welche durch den Verlauf dieses Krieges aufgeworfen wurde, beschäftigt die öffentliche Meinung Ruß lands besonders lebhaft, und zwar die anscheinende Absicht der Amerikaner, sich der Philippinen gänzlich zu bemächtigen oder diese Inselgruppe eventuell den Engländern zu über lassen. Rußland würde nur mit großem Mißvergnügen, ja selbst mit Unruhe seine ostasialische Politik durch eine Vergrößerung der englischen Macht im Stillen Ocean oder durch die Fest setzung der Amerikaner in jenen Gegenden beeinträchtigt sehen. Die hervorragendsten Blätter erörtern sehr lebhaft diese Frage und kommen zu dem Schluffe, daß Rußland eine Besitzergreifung der Philippinen durch welchen Staat immer nicht dulden könne, es sei denn, daß ihm ebenfalls eine dieser Inseln abgetreten würde. Man glaubt, daß Rußland in dieser Angelegenheit auf die Unterstützung Japans zählen könnte, für welches die Festsetzung der Amerikaner im Stillen Ocean gleichfalls eine große politische und commerzielle Gefahr bedeuten würde. Liese letztere Erwägung trägt selbstverständlich dazu bei, den Werth der Convention, welche zwischen Rußland und Japan bezüglich Koreas abgeschlossen wurde, in den Augen der russischen öffentlichen Meinung zu erhöhen. Alle Welt in Petersburg ist in hohem Grade davon befriedigt, daß die Aufrechterhaltung der guten Beziehungen zwischen Rußland und Japan verbürgt ist, ohne daß der Unabhängigkeit Koreas durch den letztgenannten Staat irgendwie Gefahr droht, was in Anbetracht der Nachbarschaft der russischen Besitzungen und der großen nationalen Interessen, welche dort durch die Schaffung der sibirischen Eisenbahn in Betracht kommen, ferner mit Rücksicht auf die Erwerbung von Port Arthur und Talienwan, sowie auf die in Aussicht genommene Bahn durch die Mandschurei für Rußland von ungeheurer Wichtig keit ist. Alles in Allem genommen, verlieren (wie man in Peters burg annimmt) angesichts der russisch-japanischen Convention die beunruhigenden Gerüchte, welche über eine mögliche anglo - japanische Allianz gegen Rußland im Umlaufe waren, alle Wahrscheinlichkeit; dieses Uebereinkommen sichert die völlige Unverletzbarkeit des direkten Seeweges, welcher die russischen Besitzungen im äußersten Osten mit seinen neuesten Erwerbungen auf der Halbinsel Liaotung verbindet, begünstigt die Entwickelung der politischen und wirthschafl- lichen Interessen Rußlands in diesem Gebiete und ebnet selbst daS Terrain für eine besondere Verständigung zwischen Rußland und Japan für den Fall, daß die Bereinigten Staaten und England sich anschicken sollten, die Interessen dieser beiden Staaten zu bedrohen und sich der Philippinen ganz allein zu bemächtigen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. Mai. Die Mittheilung des „Reichsanzeigers", daß die Negie rung Vie ganze mit der Einführung eines Bürgerlichen (Ersetzbnchcs für das deutsche Reich im Zusammenhang stehende Reichsgesetzgebung als abgeschlossen betrachte und die Publikation der Ergänzungsgesetze unmittelbar bevorstehe, konnte nicht mit ungemischten Gefühlen aus genommen werden. Es ist zwar erfreulich, daß dem Gesammtwerke von oben eine große Bedeutung bei gemessen wird, wie dies u. A. in der Herrn Nieberding zur Ehrung aller Betheiligten verliehenen Auszeichnung zum Ausdruck kommt. Ist es doch dem jetzigen Staats- jecretair des Reichsjustizamts vergönnt gewesen, an die ge waltige Arbeit formell die letzte Hand anlegen und mitwirken zu dürfen, als ihr im Reichstage zur Gesetzeskraft verhelfen werden sollte. Sehr bedauerlich aber ist es, daß es dieser Beamte und die preußische Regierung nicht für geboten erachtet haben, die Veröffentlichung des Ergänzungsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in seiner jetzigen Gestalt hintanzuhalten. Wie man weiß, ist vom Reichstag in dieses Gesetz eine Bestimmung über die Zulassung von Dolmetschern vor Gericht hineiugebrackl worden, welche der p o l n isch enPropaganda gegen den Gebrauch der deutschen Sprache erheblichen Vorschub leisten müßte,und nickt etwa nur in den östlichen Provinzen, sondern in ganz Preußen und weit darüber hinaus. Wird, wie nun in bestimmte Aussicht gestellt ist, das Gesetz mit dieser Bestimmung veröffentlicht, so wird das nationale Werk der Rechtseinigung noch zuletzt mit einem schweren nationalen Schaden erkaust worden sein, und zwar ohne alle Noth. DaS Gesetz über die frei willige Gerichtsbarkeit hätte ohne die mindeste Ge fährdung des rechtzeitigen Inkrafttretens der gesammten neuen Civilgesetze dem Reichstag in der nächsten Tagung noch einmal vorgelegt werden können und würde dann ohne Zweifel im Sinne ver Regierungsvorlage erledigt worden sein. Diese Absicht hat auch ursprünglich obgewaltet, denn die Un annehmbarkeit der Dolmetscher-Bestimmung war vom Bundes rathstische auS deutlich erklärt worden. Es ist unerfindlich, warum die Regierung andern Sinnes geworden ist. Daß Preußen, der nächstinteressirte Staat, hätte befürchten müssen, in dieser Frage im Bundesrathe majorisirt zu werden, würde selbst vann Niemand glauben, wenn eine dahingehende Ver sicherung im nichtamtlichen Theile des „Reichsanzeigers" zu lesen wäre. Die Gegensätze zwischen der polnischen Hofpartei und der polnischen Boltspartet haben sich auf das Schärfste zugrspitzt. FeiriHeton. Sanitätsraths Türkin. 3j Tine Kleinstadt-Geschichte von Klaus Rittland. Nachdruck vertoUn. Dann war die Geistlichkeit an die Reihe gekommen. Pastor Düsterling'« wohnten hinter der Kirche, in einem grauen, dumpfigen Hause, welche« durch einen Bibelspruch über der Ein- gang«thür als Pfarrhaus gekennzeichnet war. Die Frau Pastor, eine große, magere Dame, hielt den Kopf etwas zur Seite ge neigt und sah sehr betrübt aus, aber ohne irgendwelchen Grund, wie Jndschi bald merkte; es war ihr gewöhnlicher Gesichtsaus druck; sie hatte auch eine klagende Stimme und schien e« für die Pflicht einer frommen Pfarrfrau zu halten, immer irgendwen zu bedauern; die fleischigen Lippen ihre« Gatten dagegen umspielte rin feiste« gütig-herablassendes Lächeln; er sprach viel und mit Behagen, und wenn ein Anderer etwas sagte, antwortete er durch rin wohlwollendes Knurren. Gegen Jndschi war er sehr freund lich, gegen ihren Onkel etwas kühl, beinahe feindselig. Und bald kam auch der Grund hiervon zu Tage. „Bin ich recht berichtet, mein lieber Sanitätsrath", fragte er seinen Gast in vorwurfsvollem Tone, „daß Sie dem alten Fräu lein Rentner den Kirchrnbesuch verboten haben?" „Jawohl", hatte der Gefragte bestätigt. „Die Alte wird ja ihren Luftröhrenkatarrh nicht lo«, wenn sie sich jeden Sonntag von Neuem erkältet." Ein mißbilligende« Kopfschütteln de« Pastor«, verstärkte Wehleidigkeit im Antlitz der Pastorin und verlegene Gesprächs pause. „Ach ja", hatte Jndschi endlich da« Schweigen unterbrochen, „jetzt in der Uebergangszeit erkältet man sich am leichtesten. Später im Winter, wo die Kirchen geheizt find " „Gott bewahre — hier nicht, und wenn'« noch so stark friert!" hatte Körting entgegnet und der Pastor — seine große fette Hand auf Jndschi'« Arm legend — hatte erwidert: „Mein liebes Fräulein, glauben Sie mir, im Hause de« Herrn erkältet sich ein gläubiger Christ nie!" Dieser christliche Fatalismus war Jndschi noch neu gewesen! Und dann der letzte Besuch — bei Senator Jürgens! Eine kleine dürftige Dame von leberkranker Hautfarbe und mit schlecht gearbeiteten falschen Zähnen, die beim Sprechen öfters herauS- rutschten, hatte die Gäste in einem ziemlich unsauberen Haus gewand« empfangen und sich mit sauersüßem Lächeln entschuldigt: „Ja, wir geplagten Familienmütter haben eben nicht Zeit, den ganzen Tag an unseren Anzug zu denken!" Diese Bemerkung war von einem so scheelen Blick über Jndschi's elegante Er scheinung begleitet gewesen, daß diese sich tiefschuldig im Be wußtsein ihres vornehmen, hellgrauen „tailor-macks" Costüms gefühlt hatte. Der Senator war aber desto freundlicher gewesen; er spielte den „liebenswürdigen Schwerenöther", ein Fünfziger mit der Taille eines Secondelieutenants, einem schwarz gewichsten Schnurbart und verliebten Augen. Er hatte sich offenbar noch schnell etwas „schön gemacht", denn er erschien erst nach fünf Minuten mit Heller Cravatte, schneeweißem Halskragen und einen intensiven Patschouli-Duft ausströmend. Mit voll endeter Grazie war er auf das junge Mädchen zugeschwebt und hatt ihm die Hand geküßt, die freundliche Aeußerung seiner Gattin: „Du hast Dich ja wieder entsetzlich parfümirt!" klug überhörend. Er hatte die ganz gute Idee des Sanitätsrathes gepriesen, „sich von den Gestaden des Bosporus eine so anmuthige Hausgenossin mitzubringen", und behauptet, „das Gesicht des gnädigen Fräulein erinnere ihn fabelhaft an das Bild der Gräfin Potocka", worauf ihn seine unangenehme Ehegenossin mit der Zwischenbemerkung: „Denselben Vergleich hast Du ja früher immer für Fräulein Hedwig v. Borstewitz gebraucht!" in tödt- liche Verlegenheit versetzte. Jndschi lachte laut auf in ihrem Bette, als sie sich die Miene des blamirten Don Juans vergegenwärtigte. Ueber- haupt — an Stoff zum Lachen fehlte es nicht. Wenn sie diese guten Kleinstädter mit der flotten, internationalen Gesellschaft verglich, in der sie früher verkehrt hatte! — Aber schließlich — im Grunde lag eigentlich der Unterschied doch hauptsächlich in Aeußerlichkeiten; Lady S. und ihre beiden Töchter, die damals solche Sensation in der Gesellschaft PeraS machten, hatten sicherlich nicht mehr Esprit wie Frau und Fräulein Dräsel; und ob Senator Jürgens an moralischem Werth nicht mindesten- so hoch stand, wie der alberne Vicomte de B., der immer mit seinen erwachsenen Söhnen um die Wette Avrntüren suchte? Es ist doch alles dieselbe Sorte — und vielleicht ist noch Manches zu machen aus diesen einfachen Leuten; und hier spielt man natürlich die erste Rolle — wie sagte doch gleich Cäsar? Oder war's Brutus? Nein, Cäsar? Der Erste im Dorf — — Jndschi's Gedanken verschwommen. Sie setzte ihre Betrach tungen im Traume fort. Jndschi ging mrt ihrem Onkel „auf Praxis". Er hatte versprochen, gegen Abend noch einmal nach der typhuskranken Restaurateursfrau vom Seeschlößchen — einem dreiviertel Stunden von Klühow entfernten Vergnllgungsorte — zu sehen; da aber die bereit« Lberangestrengten Pferde den Nachmittag stehen sollten, machte er den Weg zu Fuß, in Jndschi's Begleitung. Es war wundervolles Herbstwetter. Ein leichter Wind kräuselte die Oberfläche des Sees; hell funkelten die kleinen, kurzen Weilchen im Sonnenscheine, und im Schilf raschelte es geheimnihvoll-geschäftig. Der Weg zog sich immer auf einem niederen Wall, dicht am Wasser hin. Zuerst hatte man rechts Gemüsegärten, dann Wiesen; feuchtscharfer Moderduft stieg aus dem Erdreich hervor, der Verwesungshauch der sterbenden Natur! Dann kam herrlicher Laubwald, dessen bereits lichter werdende Blätterkronen, vom Sonnenschimmer lebensvoll durch zittert, in köstlich warmen Farbentönen prangten; dieses glühende Rostroth, Chamois, Braun und Goldgelb lachte des nahenden Todes in jubelnder Festpracht, wie Jemand, der noch ein letztes Mal alle Lebenskraft und Genußfähigkeit zusammenrafft,'da er fühlt: es geht zu Ende! Die beiden Spaziergänger wanderten langsam, gemächlich; sie liebten beide die schlendernde Gangart, Körting als Klein städter, Jndschi als halbe Orientalin. Er erzählte ihr von einigen interessanten Krankheitsfällen — sie warf dann und wann eine verständige Frage dazwischen und er freute sich über ihre rege Antheilnahme. Da wurde die friedliche Waldesstille durch das Herannahen eines Wagens unterbrochen; ein flottes kleines Fuhrwerk, mit einem schönen Goldfuchs bespannt. Eine junge Frau in einem weitfaltigen, safrangelben Cape und mit einem großen grünen Rembrandthut auf dem rothblonden Kraus kopf kutschirte eigenhändig; hinter ihr saß mit gekreuzten Armen ein Diener. Der Sanitätsrath grüßte, als der Wagen vorbeikam. Die Dame nickte kameradschaftlich und doch ein klein wenig hoch- müthig. Bei Jndschi's Anblick riß sie die blauen Augen groß auf und wandte den Kopf noch einmal um. Jndschi meinte dos jugendliche Mopsgesicht mit den auf geworfenen Lippen und dem blendenden Teint zu kennen. „Wer war das?" fragte sie neugierig. „Die junge Frau v. Romin auf Ströbenhagen", antwortete der Onkel. „Weißt Du vielleicht, was sie für eine Geborene ist?" „Nein, aus der Umgegend, glaub' ich, — ach ja, richtig: eine" Tochter des Grafen Wettenborn." Jndschi schüttelte nachdenklich den Kopf. „Dann irre ich mich. Sie erinnerte mich so lebhaft an eine Dame, die ich vor vielen Jahren in Konstantinopel kennen lernte, wo sie beim österreichischen Consul zu Besuch war, ein Fräulein v. Prixen aus Schlesien." Den ganzen letzten Theil des Weges über war Jndschi still und zerstreut. Am Seeschlößchen angelangt, wartete das junge Mädchen in einer — dicht an dem malerischen Ufer gelegenen — primitiven Bretterbude, Veranda getauft, bis der Onkel seine Krankenvisite erledigt hatte. Dann machten sie sich wieder auf den Heimweg. Jetzt fiel dem Sanitätsrath Jndschi's nachdenkliches Wesen noch mehr als vorhin auf. Was mochte ihr nur sein? „Du — übrigens", begann er ein Gespräch einzuleiten, „Du hattest doch recht gesehen. Die Romin ist allerdings eine ge borene v. Prixen. Graf Wettenborn ist nur ihr Stiefvater. Der erste Mann der Gräfin ist ein Herr v. Prixen gewesen." „Also wirklich!" Ein lebhaftes Roth überflog Jndschi's Wangen. Einige Minuten lang schwieg sie. Dann fragte sie plötzlich den Onkel: „Nicht wahr. Du weißt doch, daß ich einmal verlobt gewesen bin?" Er nickte. „Mit einem österreichischen Gesandtschaftsattachö Baron Laschinger; ich erhielt damals — sechs Jahre sind's ja wohl her — die Anzeige; und dann erwähnte später Dein Vater in einem Brief, daß Du die Verlobung aufgelöst hättest. Sie schienen es Alle nicht recht zu begreifen." Jndschi lächelte. „Freilich nicht. Er war ja eine so gute Partie. Ich wurde eben lebhaft an die Zeit erinnert, weil ich Laschinger in dem Hause kennen lernte, wo Armgard Prixen zu Besuch war; sie hat Alles miterlebt." „Und — weshalb hast Du es eigentlich gethan, kch meine die Verlobung aufgelöst?" fragte der Onkel ein wenig zaghaft. „Weil er kein Mensch war", antwortete Jndschi. „Kein Mensch —?" „Nein, ein adeliger Name und ein Männerkörper mit einem sehr hübschen Photographiegesicht und ein kleines, soweit ganz gesundes Gehirn, mit lauter Sachen angefüllt, die Andere schon vorgedacht hatten. Weißt Du so — als wäre er gar nicht eigens vom lieben Gott geschaffen, sondern nur der verschwom-. mene Abguß eines schon hundertmal benutzten Normal-jungen- Mann-Modells. Ich wußte schon immer ganz genau im Voraus, was er jeden Tag sagen würde, wenn er uns besuchte, immer dieselbe Art Witzchrn und nette, gewandte Redensarten. Nein, daS fürs ganze Leben? Der Gedanke wurde mir schließlich unerträglich. Es wäre eine trostlose Ehe geworden, und mir war furchtbar bange vor einer unglücklichen Ehe, wenn da« immer so um sich gesehen hat." Er schaute sie betroffen an. „Du willst doch damit nicht sagen, Deine Eltern haben nicht glücklich miteinander gelebt." Jndschi schüttelte traurig den Kopf. „Nein, Onkel. Schein bar wohl. Ich glaube, daß Wenige e» gemerkt habln. Nicht
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